Richtig gut gefälscht? – ein Flugblatt wird seziert
Anton F. Guhl und Malte Habscheidt „Ostafrika ist deutsch“ titelte ein Flugblatt, das am 1. November 1968 an der Universität Hamburg zirkulierte. Anlass für die ungewöhnlichen Ausführungen war das Ende zweier Denkmäler, die – deutschen „Afrikahelden“ gewidmet – in der … Weiterlesen
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Über rechtswidrige Polizeigewalt
Gewalt und Gewaltanwendung werden vor allem dort gelebt wo Menschen wütend und verzweifelt sind und wo sogar der Spaß an der Verletzung anderer, ob körperlich oder psychisch, vorhanden ist. Es sind mitunter Machtspielchen, das Gefühl von Kontrolle über andere und das bloße Bedürfnis sich auf Kosten anderer “abzureagieren”. Nicht nur im privaten Raum, vor vielerlei Augen verborgen, sondern gerade im öffentlichen Raum, wo viele Menschen Zeuge und Beobachter von solchen Gewaltanwendungen werden, häufen sich solche Fälle.
Uns begegnet eine ganze Bandbreite von Akteuren, ob nun die “Krawalltouristen” auf öffentlichen Demonstrationen oder politisch oder religiös rivalisierende Gruppierungen, Ausschreitungen von Hooligans nach Fußballspielen, sogenannte “Kleinkriminelle” auf der Straße und so weiter. Man muss gar nicht stigmatisieren, aber bereits nach einem kurzen Blick in die Tageszeitung stößt man auf die Bezeichnungen der Akteure oder Gruppen, die im öffentlichen (und privaten) Raum, als gewaltausübend eingestuft werden.
Häufig vergessen werden aber dabei diejenigen, die als Freund und Helfer dem Bürger zur Seite stehen sollen und vom Staat dazu beauftragt sind die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten bzw. sie wiederherzustellen. Denn wie steht es eigentlich um die rechtswidrige Gewaltausübung der Polizei im öffentlichen Raum und wie kann man die von ihr ausgeübten gewaltsamen und damit strafbaren und rechtswidrigen Übergriffe aufspüren und sie womöglich präventiv verhindern?
So wie man besser bei älteren Hamburger Polizeibeamten den Namen „Fritz Sack“ nicht erwähnt, so sollte man bei der Los Angeles Polizeibehörde den Namen „Rodney King“ weglassen. Rodney King ist kein Fritz Sack, aber dennoch haben sie ein gemeinsames Thema: Die Kontrolle der Polizeibehörde. Welche Grenzen sind der polizeilichen Arbeit gesetzt, wo endet Gewalt als Befugnis und wo fängt Gewalt als Repression an?
Rodney King war mit Sicherheit kein Heiliger. Drogenmissbrauch, Drogenschmuggel oder körperlichen Verletzung wurden ihm vorgeworfen; er wurde deswegen strafrechtlich verfolgt und auch belangt.
Dennoch liefern seine eigenen Vergehen keine Entschuldigung oder auch nur annähernd eine Erklärung für die brutale Gewalt der Polizisten ab, die ihm am 3. März 1991 widerfuhr. Rodney King wurde am besagten Tag von der Polizei aus Los Angeles (L.A.P.D.) in seinem Auto angehalten. Da er alkoholisiert war und eine Bewährungsstrafe auf ihm lastete, versuchte er zu fliehen. Doch die vier Polizisten konnten die Verfolgung aufnehmen und King verhaften. Was bei dieser Verhaftung noch passiert ist, nahmen einige Einwohner mit ihren Amateurkameras auf. Aus diesen Aufnahmen ging hervor, dass King ca. 50-mal mit dem Schlagstock traktiert wurde und weitere sechs Tritte erleiden musste. Auch als King bereits am Boden lag machten die Polizisten weiter.1 Zwar wurden die Polizisten vor Gericht gestellt, doch sie wurden in dem darauffolgenden Prozess im Jahre 1992 wieder freigesprochen, weil keine rechtsstaatlichen Anhaltspunkte für diese Tat gefunden werden konnten (obwohl zufälligerweise Bewohner mit Amateurkameras alles aufgezeichnet haben und die ganze Situation rekonstruiert werden konnte). Als besonders belastend empfanden afroamerikanische Einwohner die Tatsache, dass kein einziger Schwarzer in der Jury saß2. Das so etwas zu Frustration und Wut führt ist verständlich. Schon davor haben viele Afroamerikaner kritisiert, dass die Polizisten das racial profiling praktizieren. Rodney King war nur ein weiteres Indiz dafür. Nachdem die Polizisten vor Gericht freigesprochen wurden, wurde die Wut der Bürger immer größer und artete in der brutalsten Massendemonstration aus, die Los Angeles je gesehen hatte. Die Los Angeles Riots 1992 zeigte der LAPD, dass sie was ändern musste. Es gab einige Veränderungen, z.B. wurde ein Gesetz gegen das racial profiling erlassen, in einem zweiten Prozess wurden zumindest zwei Polizisten strafrechtlich belangt und die Bürger wurden mehr in die Polizeiarbeit integriert. Noch aber hat niemand an eine unabhängige Kontrollinstanz gedacht.
Eine Kontrolle der Polizei?
Auch in Deutschland gibt es immer wieder Polizeiskandale. Es kommt zu brutalen und unbegründeten Gewaltakten der Polizei gegen Einzelne. Ob es sich nun um die Tatbestände in Hamburg im PK 11 handelt, wo es zu strukturellen Diskriminierung und Misshandlung von Schwarzafrikanern kam, oder um Fälle wie Stephan Neisius oder Oury Jalloh. Beide sind auf tragische Art und Weise durch Polizeigewalt ums Leben gekommen. Die Umstände des Todes bei Oury Jalloh sind bis heute ungeklärt. Wie genau der Brand zustande kam, warum nichts getan wurde und der Verhaftete in der eigenen Zelle verbrannt ist, weiß die Öffentlichkeit bis heute nicht wirklich. Die Polizisten wurden in erster Instanz freigesprochen. Auch Oury Jalloh war kein “Heiliger”, aber die Personen auf der „anderen Seite“ sind es auch nicht. Viele Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International prangern die nicht vorhandene Transparenz in den Ermittlungen und den “Korpsgeist” innerhalb der Polizei an. Zu Recht.
Das “Vertrauen in unseren Rechtsstaat”, heißt es da, sei dadurch “nachhaltig gestört”3. Zudem ist insgesamt nur schwer Vertrauen aufzubauen, wenn man als Bürger weiß, dass die Kontrollinstanz der Polizei praktisch sie selbst ist. Das hat einen gewissen undemokratischen Beigeschmack. Besonders wenn man weiß, dass in der Polizei der „Korpsgeist“ herrscht. Das ist so als ob die Mafia den Prozess gegen die eigene Familie vorbereiten sollte. Da ist es klar, dass einige Informationen „verloren“ gehen können. Etwas wissenschaftlicher hat es der Kriminologe Werner Lehne formuliert:
„Eine altbekannte Problematik rechtsstaatlich organisierter Polizeien ist die angemessene Reaktion auf polizeiliches Fehlverhalten. In erster Linie resultiert diese Problematik daraus, daß es die Polizei selbst und die mit ihr eng kooperierende Staatsanwaltschaft sind, denen die Aufgabe zukommt, polizeiliches Fehlverhalten zu ermitteln und ggf. zur Anklage zu bringen. Allein das führt zu einem erheblichen Mißtrauen dahingehend, ob solche Ermittlungen mit der notwendigen Neutralität und Intensität geführt werden.“4
Allein aus diesem Grunde wäre eine unabhängige Kontrollinstanz zu befürworten. Doch damit ist den Opfern von Polizeigewalt noch keine Gerechtigkeit wiederfahren. Wie sollte so eine Kontrollinstanz aussehen und welche Rechte und Pflichten hätte sie?
Solch eine Instanz sollte zum Einen nicht in einer „Gutmenschmanier“ den Polizisten mit erhobenem Finger ständig aufzeigen, was sie falsch machen und warum all diese Fehler ihnen selbst niemals unterlaufen würden. Dass das nicht auf Jubelrufe seitens der Polizei stößt ist selbstverständlich.5 Denn nicht alles was die Polizei macht ist schlecht. Stattdessen sollte sie die Polizeiarbeit kontrollieren und im Falle einer Gewalttat die Situation objektiv analysieren und ggf. eine strafrechtliche Verfolgung möglich machen. Das Ziel dieser Kontrolle sollte so formuliert sein, wie es Amnesty International in Deutschland versucht zu umschreiben: Eine unabhängige Kontrollinstanz soll „die größtenteils sehr gute Polizeiarbeit strukturell unterstützen und verbessern, und letztlich durch mehr Transparenz und Verantwortung bei der Polizei auch das Vertrauen in die Polizei stärken“6 .
Durch solch eine Art von Transparenz könnte das Vertrauen in den Rechtstaat wieder hergestellt werden. Das was Werner Lehne zu Recht als größten Kritikpunkt nennt, wäre mit einer unabhängigen Kontrollinstanz zerschlagen. Das sollte der Polizei auch deswegen am Herzen liegen, als dass es nicht zu solch einer Situation wie in Los Angeles 1992 führen möge. Aber fehlendes Vertrauen und immer größer werdende Abneigung kann sich in Frustration und Wut entladen. Es ginge nicht darum ein mächtigeres Instrument als die Polizei zu erschaffen, sondern auf gleicher Augenhöhe die Arbeit der Polizei zu hinterfragen. Denn wenn wir strafrechtlich fundiert einen Menschen Gewalt antun (ohne aus Notwehr zu handeln) dann sollten wir dafür belangt werden, gleichgültig ob wir eine Dienstmarke tragen oder nicht.
Auch das Beispiel Polizeikommission in Hamburg hatte genau das Ziel – die Polizei effektiv und demokratisch zu kontrollieren – und hat es dennoch nicht erreicht. Warum nicht? Warum scheint das Modell einer Kontrollinstanz nicht zu funktionieren?
Warum gibt es rechtswidrige Polizeigewalt?
Zu aller Erst wäre es wertvoll eine genauere Unterscheidung zu unternehmen, was eigentlich die Polizisten zu dieser Gewaltbereitschaft und Brutalität führt. Ist es ein strukturelles Problem? Das heißt, sind es im Vorhinein gewaltbereite Menschen, die nur die Machtinstitution Polizei nutzen um ihre „Vorlieben“ legal auszuleben7. Oder aber sind es individuelle und unterschiedliche Faktoren die dazu führen, dass einige Polizisten in gewissen Situationen brutal, willkürlich und gesetzeslos handeln. Bei dem Beispiel Rodney King oder auch in den deutschen Beispielen, mag man schnell daran glauben das strukturelle Gewalt das Problem darstellt. Aber wer mit vielen Polizisten spricht, erkennt, dass in den deutschen Polizeischulen nicht der „Rambo“ oder der „Egoshooter“ gesucht wird, sondern der „Grautyp“. 8
Bei Demonstrationen zu unterscheiden, wer „angefangen“ hat, ist schon sicherlich schwieriger. Zum einen sind Demonstrationen bzw. Krawalle sehr emotional und werden durch viele Faktoren, wie zum Beispiel Rufe und Beleidigungen noch weiter aufgeheizt. Und auch Kameras können nicht jede Situation von Anfang an erfassen.
Zudem stehen die Polizisten, medial betrachtet, heute unter ständiger Beobachtung. Was bei den Unruhen 1992 noch nur dem Fernsehen möglich war, kann heute fast jede Person Gewaltexzesse dokumentieren – dank Handy und Video-Plattformen wie YouTube. So veröffentlichte die Internetplattform „Cop Watch LA“9 mehrere brutale Verhaftungsvideos, die später sogar in eine FBI-Untersuchungskommission mündeten.10 Dies ist eine machtvolle Technik, die nicht unterschätzt werden sollte. Allerdings sollte sie auch nicht überschätzt werden. Zum einen kann sie nicht alles beobachten und auch nicht von Anfang an. So gab es auch kritische Stimmen zur Verhaftung von Andrew Meyer, der 2007 zu einer Internetberühmtheit wurde. So soll der damals 21-Jährige seine ruppige Verhaftung selbst provoziert haben, doch das nahmen die Handykameras natürlich nicht auf.11 Des Weiteren kann YouTube nicht als Bürgerrechtsplattform umfunktioniert werden, zum einen gibt es insgesamt sehr viele Videos, von denen viele aufgrund der Gesamtmenge der kursierenden Videos, nur zu leicht übersehen werden und zum anderen werden solche Videos zu oft auch zu Propagandazwecken genutzt. Der Hass auf die Polizei in den USA ist vor allem in solchen Großstädten nicht gerade gering. Vor allem werden Videos gepostet die „Stimmung“ machen sollen, zum Beispiel vor Großdemonstrationen wie dem G-8-Gipfel.
Es gibt auch noch andere Argumente die gegen eine unabhängige Kontrollinstanz sprechen. Zum einen hätte solch eine Institution keinen entsprechenden Zeugenstatus vor Gericht (wenn es zur Anklage von Polizisten käme), nur die Polizei selber hat diesen besonderen Zeugenstatus. Auch hat zumindest die Polizei in Hamburg bereits durch die „Abspaltung“ des D.I.E. (Dezernat Interne Ermittlungen) an die Behörde für Inneres schon etwas für die unabhängige Kontrollinstanz getan. Zudem sind auch gesonderte Staatsanwälte für Amtsdelikte zuständig. Doch das überzeugendste Argument ist, dass man mit einer ganzheitlichen, unabhängigen Institution ganze Strukturen innerhalb der Polizei ändern müsste. Das liegt vor allem daran, dass man für eine Fallaufklärung Zeugen und Spurensicherung braucht – und das ist nun mal Aufgabe der Polizei. Das ist natürlich insoweit gefährlich, als das schon dort „Verschleierungen“ eines Tatbestandes möglich wären. Allerdings stellt sich die Frage nach der Machbarkeit und Sinnhaftigkeit einer unabhängigen Zeugenbefragung und Spurensicherung. Polizisten wissen am besten, dass gerade in bestimmten Milieus bei Ermittlungen, wie zum Beispiel der Drogenszene, die sogenannte Schwarz-Weiß-Zone eher zu einer Grauzone werden kann und dass die für einen Polizisten rechtlich vertretbaren Mittel auch gerne ausgereizt werden sollten. Hierbei ist es aber schwer den ermittelnden Polizisten zu be- und verurteilen.
Um dennoch gegen weitere Fehlverhalten seitens der Polizei entgegenzuarbeiten, wurden als weitere Maßnahme ein Rotationsprinzip eingeführt, welches Polizisten unmöglich macht Jahre bei ein und derselben Dienststelle zu verbringen und einen „Korpsgeist“ zu bilden, gegen den es schwer ist anzukämpfen.
Kontrolle der Polizeigewalt bislang schwer umsetzbar
Insgesamt ist es schwer ein Kontrollgremium einzuführen, welches im vollen Umfang effektiv die Polizei kontrollieren könnte. Zu schwer wiegen die Veränderungen innerhalb der polizeilichen Strukturen.
Zum Schluss sei nur kurz erwähnt, dass der Vergleich mit den Erkennungsmarken an den Polizeihelmen an einigen Stellen zumindest hakt. Man fordert diese Erkennungsmarken an den polizeilichen Helmen und argumentiert sehr oft mit dem (auch logischem) Grund: Wer nichts zu verbergen hat, der muss sich auch nicht fürchten. Warum aber funktioniert dieses Argument nicht woanders? Zum Beispiel in der Drogenpolitik. Die wenigsten Menschen sind dazu bereit Urin-, Blut- oder Haarproben abzugeben, damit der Chef sieht, wer eigentlich was konsumiert (und ob überhaupt natürlich). Hier kann man die gleiche Argumentation anbringen. Wer nichts zu verbergen hat, der muss sich auch nicht fürchten. Aber auch hier wird schnell das Gegenargument formuliert- es ist ein Eingreifen in die Privatsphäre. Natürlich ist es das. Doch wenden wir den Blick wieder zurück zur Polizei. Denn als weiteres Argument in der Debatte um die Kontrolle der Polizei kann angeführt werden, dass die Polizei als Exekutivorgan aber öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Die Polizei ja, aber nicht die Polizisten nach Feierabend. Wer also das Gut der Unantastbarkeit der Privatsphäre hochhält, der sollte es universell hochhalten, ansonsten droht ein Abstieg in die Heuchelei.
Wenn Polizeikommissionen und unabhängige Instanzen nicht greifen, weil sie die Struktur zu sehr einengen und nicht haltbar sind, muss man wohl etwas kleiner anfangen.
Insgesamt 98% der Ermittlungen in Sachen Polizeigewalt in Hamburg werden eingestellt. Laut der Polizei liegt es daran, dass den Polizisten mehr Glauben geschenkt wird, als dem vermeintlichen Opfer. Diese Glaubwürdigkeit hat sich die Polizei, nach Aussagen der D.I.E. auch hart erarbeiten müssen.
Natürlich ist die Verhältnismäßigkeit relevant. Es verlangt immer das Abwägen von Maßnahmen im öffentlichen Interesse gegenüber den dadurch entstehenden Einschnitten in private Interessen und Grundrechte. Aber was eigentlich bedeutsam ist, ist eine vollkommen andere Sache. Es geht um Transparenz.
Warum werden 98% der Ermittlungen gegen Polizisten eingestellt? Welche Beweggründe gab es dafür? Nicht alles kann auf Glauben beruhen. Dem Bürger transparent die Gründe darlegen um die Nachvollziehbarkeit hinter der Einstellung des Falles rekonstruieren zu können. Transparent auch dann zu bleiben wenn es zur Anklage kommt und dem Bürger immer den Nachweis bringen, dass er nicht in einer Zwei-Klassen Gesellschaft lebt, in der die Polizisten Straftaten begehen können, ohne dafür belangt zu werden. Dass die Polizei teilweise versucht sich vor der Öffentlichkeit zu hüten bringt Werner Lehne nochmals auf den Punkt:
„Weiter kommt noch ein Phänomen hinzu, das unter dem Schlagwort “Mauer des Schweigens” oder auch “Korpsgeist” diskutiert wird: In einer Institution wie der Polizei besteht leicht die Gefahr, daß sich eine kollektive Haltung herausbildet, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die eigene Institution vor Angriffen aus der “Umwelt” zu schützen ist, indem die einzelnen Beamten sich wechselseitig aufeinander verlassen können und keine Informationen nach außen geben, die gegen Kollegen verwendet werden könnten. Dieser Mechanismus führt nicht nur zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Aufdeckung und Aufklärung von Fehlverhalten, er macht es einzelnen Polizeibeamten auch nahezu unmöglich, innerhalb der Bahnen der internen Verarbeitung von Mißständen ihr Wissen konstruktiv einzubringen, ohne dadurch Nachteile zu erleiden und unter erheblichen sozialen Druck zu geraten.“
Hier ist noch ein weiterer Punkt relevant. Polizisten sind als keine besseren Menschen zu sehen. Sie machen Fehler. Wenn sie bewusst Fehlverhalten bejahen, dann haben sie den falschen Arbeitgeber gewählt. Wenn es aber unbewusst passiert, dann müssen sie dazu stehen und auch mit den Konsequenzen leben. Vollkommene Transparenz hierbei würde das Misstrauen auf beiden Seiten (Täter und Opfer) verkleinern und wäre ein wichtiger Schritt zum Abbau von Frustration, Wut und Disharmonie auf beiden Seiten. Wenn die Polizei nicht damit aufhört ihr Fehlverhalten „unter sich“ ausmachen zu wollen, ohne den Bürger zumindest zu erklären, was passiert ist und wie es gelöst werden kann, dann werden in Zukunft noch viel mehr YouTube-Videos zum Thema Polizeigewalt im Internet auftauchen.
Empfohlene Zitierweise: Goździelewska, Agnieszka (2012): Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Über rechtswidrige Polizeigewalt. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Bibliographie:
Chancer, Lynn S.: High-profile crimes: when legal cases become social causes.
[u.a.]: Univ. of Chicago Press, Chicago 2005.
Friedrichs, Hauke: Schläger in Uniform [aus:] Zeit Online vom 08.07.2010 URL: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/polizei-gewalt-amnesty [Abrufdatum: 15.01.2012]
Hagen, Kevin: Das große Schweigen. [aus:] Spiegel Online vom 08.07.2010 URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,705422,00.html [Abrufdatum: 15.01.2012]
Jefferson, Andrew M.: State violence and human rights: state officials in the South., Routledge-Cavendish, 2009.
Patalong Frank: Polizeibrutalität -Litlle Brother is watching you [aus:] Spiegel Online vom 21.09.2007 URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,506937,00.html [Abrufdatum: 17.01.2012].
Report of the Independent Commission on the Los Angeles Police Department: Chapter 1: The Rodney King Beating. : S. 7. 1991. Als Download unter: http://www.parc.info/client_files/Special%20Reports/1%20-20Chistopher%20Commision.pdf [Abrufdatum: 15.01.2012]
Weitere interessante Links:
http://www.amnesty.de/themenbericht/polizeigewalt-im-brennpunkt
- Weitere Informationen zu der Verhaftung Kings unter: http://www.parc.info/client_files/Special%20Reports/1%20-%20Chistopher%20Commision.pdf (Abrufdatum: 17.01.2012) ↩
- Anm.: Man hatte den Prozess auf Antrag der Verteidigung in das benachbarte Venturra County verlagert. Dort war der Bevölkerungsanteil von Afroamerikanern sehr gering, weswegen keiner in die Jury einberufen werden musste ↩
- http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/polizei-gewalt-amnesty (Abrufdatum: 15.01.2012) ↩
- Siehe http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/IKS/quellenundlinks/ki-21.html(Abrufdatum: 11.02.2012) ↩
- Anm.: In einem Schulprojekt habe ich insgesamt vier Polizisten und einen Polizeiausbilder interviewt und zwei Polizisten haben damals das immer größer werdende Misstrauen der Bevölkerung in der Polizei kritisiert. Dies würde sich vor allem bei Polizisten in diesem Maße äußern, das der Einwohner selber besser wisse, wie der Polizist sich zu verhalten habe. Bei einem Interview kam dann die Kritik des Polizisten, dass es ihm nicht einfallen würde einem Bäcker zu sagen, wie man Brötchen backen muss. ↩
- http://www.amnestypolizei.de/aktuell/taxonomy/term/20 (Abrufdatum: 15.01.12) ↩
- Hierbei könnte man nach der Sublimierungstheorie von Sigmund Freud behaupten, dass Polizisten ihre Position ausnutzen und sich der Sublimation mächtiger Triebe, wie den Sexual- und Aggressionstrieb, bedienen und somit ihre Triebe ausleben. Sublimierung ist charakterisiert durch Umwandlung sexueller Triebenergie in nicht-sexuelle Energien. (Vgl. Stein 1984, S.32). ↩
- Aus einem Interview mit einem Polizisten. Das Interview vom 28.12.2011 liegt der Autorin vor ↩
- Einsehbar unter: www.copwatchla.org ↩
- Frank Patalong: Polizeibrutalität -Litlle Brother is watching you (aus:) Spiegel.de vom 21.09.2007 (Stand: 17.01.2012) ↩
- Wobei dennoch die Kritik angebracht wäre, dass Elektroschocks als sinnlose Polizeigewalt klassifiziert werden können, gleichgültig ob jemand provoziert oder nicht. ↩
Akademische Feiern gestern und heute
Gründungsversammlung des deutschsprachigen Regionalverbands Digital Humanities Deutschland
Mitgeteilt von Jan Christoph Meister:
Im Rahmen der internationalen Konferenz Digital Humanities 2012, die dieses Jahr vom 16.-22.07.2012 an der Universität Hamburg ausgerichtet wird, findet am gleichen Ort die Gründungsversammlung für einen deutschsprachigen Regionalverband Digital Humanities Deutschland (DHD) statt.
- Im Rahmen der Gründungskonferenz wollen wir möglichst umfassend über aktuelle Projekte im deutschsprachigen Raum informieren. Dies soll im Format des sog. “Science Slams” geschehen – kurze, 5-minütige Vorträge + 1 Poster ermöglichen es, ein breites Spektrum zu erfassen.
- Dank der großzügigen Förderung durch die VolkswagenStiftung können wir an zehn Nachwuchsprojekte Reisekostenstipendien vergeben. Bitte machen Sie Ihnen bekannte Nachwuchs-DHler auf diese Möglichkeit aufmerksam!
Weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserer Website www.dig-hum.de Dort besteht auch die Möglichkeit zur Eintragung auf unserer Mailingliste.
Registrierung: Falls Sie an der DH2012 teilnehmen, können Sie sich im Zuge der Anmeldung für diese internationale Konferenz zugleich auch für die DHD-Gründungskonferenz anmelden. Die Anmeldung erfolgt unter
http://www.dh2012.uni-hamburg.de/conference/registration/
Eine separate Anmeldemöglichkeit für Personen, die nur an der DHD-Gründungskonferenz teilnehmen wollen, wird in Kürze auf der DHD-Website eingerichtet werden. In beiden Fällen gilt: die Teilnahme an der Gründungskonferenz ist kostenfrei; die Teilnehmerzahl ist jedoch limitiert. Die Organisatoren bitten daher um rechtzeitige Anmeldung!
DHD-Gründungsveranstaltung-17072012
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=479
Programm der DH2012 veröffentlicht
Liebe DH-Interessierte,
wir freuen uns mitteilen zu können, dass die Programmübersicht für die diesjährige internationale Konferenz der Alliance of Digital Humanities Organizations (ADHO), “Digital Humanities 2012” an der Universität Hamburg jetzt bereit steht unter
http://www.dh2012.uni-hamburg.de/conference/programme/
Vom 16. bis zum 22. Juli werden an der Universität Hamburg insgesamt 198 Workshops, Podiumsveranstaltungen, Vorträge und Postervorstellungen stattfinden – die DH 2012 verspricht eine Konferenz zu werden, die ihrem Motto gerecht wird: “Digital Diversity – Cultures, Languages, and Methods”!
Registrierung
Die Registrierung für die DH 2012-Konferenz wird kommende Woche (ab 16.4.2012) freigeschaltet werden. Alle notwendigen Informationen zu Teilnahmegebühren, ‘Early Bird’-Raten, Veranstaltungen im Rahmenprogramm etc. stehen dann ebenfalls zur Verfügung. Informationen zu Hotelunterkünften, ein Online-Buchungsformular sowie allgemeine Reisehinweise können Sie bereits jetzt aufrufen unter www.dh2012.uni-hamburg.de.
Gründung eines Regionalverbandes “Digital Humanities Deutschland”
Der Hauptkonferenz unmittelbar vorgeschaltet findet am 17.7.2012 am gleichen Ort die Gründungsveranstaltung für den deutschsprachigen Regionalverband “Digital Humanities Deutschland” statt. Zur Teilnahme an dieser Veranstaltung, die durch eine grosszügige Förderung der Volkswagenstiftung ermöglicht wurde, melden Sie sich bitte zugleich mit Ihrer Registrierung für die DH 2012 an. Für diese Veranstaltung wird keine separate Teilnahmegebühr erhoben. Weitere Informationen zur DHD-Gründungskonferenz erhalten Sie unter der Webadresse http://www.dig-hum.de
Detailliertes Programm und Abstracts
Die Abstracts zu den angekündigten Veranstaltungen und Vorträgen werden im Mai bereitstehen. Um in Zukunft automatische Benachrichtigungen zu erhalten, treten Sie bitte unserer Mailingliste bei, indem Sie diesen Link aufrufen: dh2012-subscribe@mailman.rrz.uni-hamburg.de Wir freuen uns darauf, Sie auf der DH 2012 in Hamburg begrüßen zu dürfen!
Jan Christoph Meister
Katrin Schönert
(Local organizers DH 2012)
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=401
Reiten für den „Führer“? Das Beziehungsgeflecht zwischen Pferdesport und dem NS-Regime in Hamburg
Ein Altländer Streit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks (Teil I)
Deiche und ihre Erhaltung und Bewirtschaftung stellen seit jeher eine konfliktreiche Angelegenheit dar. Aus dem repräsentativen Beispiel, der Ortschaft Twielenfleth, gelegen in der Ersten Meile des Alten Landes, kennen wir solche Streitigkeiten um die Zuständigkeiten der Deichbewirtschaftung aus dem späten 17. Jahrhundert. Die in Auszügen vorliegenden Akten aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Stade, Repositur 5 a Fach 270, Nr.68, Schwedisches Archiv 1646-1763 wurden in den Jahren 1685 bis 1687 in der Ersten Meile des Alten Landes in Twielenfleth im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit um die Bewirtschaftung eines Deiches verfasst.
Im Folgenden soll eine ausführliche Quellenuntersuchung vorgenommen werden und folgende Fragen bearbeitet werden: Welches Konfliktpotential – vor allem im rechtlichen Bereich – barg die Kabeldeichung im Alten Land am Ende des 17. Jahrhunderts, bei der jeder Altländer Bewohner für die Instandhaltung eines von den Deichbeamten zugewiesenen Deichabschnitts (Deichkabel) zuständig war?
Themenbezogene Inhaltsangabe
Im Folgenden sollen Inhalt und Sachverhalt der ausgewählten Auszüge aus behördlichen Akten in einer themenbezogenen Inhaltsangabe überblicksartig und interpretierend erschlossen werden. Ausgehend von der eingangs formulierten Fragestellung soll der Gedankengang der Quellenberichte Q1 bis Q 81 thematisch strukturiert und erfasst werden.
In der Akte Q1 vom 02.06.1685 beklagen „Grefen, Bürgermeister und Hauptleute des Alten Landes […] wegen des Zesterflethschen Deiches“, dass der Deich in Twielenfleth in der Ersten Meile im März 1685 „in solchem Schaden geraten ist, daß dadurch die ganze Meile in Gefahr war“. Bei der Ermittlung des zuständigen Deichinteressenten wurden die Verfasser vom Adligen Leutnant Joachim Dietrich von Zesterfleth an seinen Verwandten Herrn Christoffer von Zesterfleth verwiesen. Dieser verwies wiederum wiederholt auf die Witwe des Benedix von Düring, der er das Deichstück in einem Tauschgeschäft übergeben hatte. Die Witwe verneint aber, dass der Tauschhandel der beiden schon vollständig vollzogen sei und deswegen seien beide für die Instandhaltung des Deiches zuständig. Wegen der Gefahr im Verzug ermahnten die Verfasser die Witwe den Deich instandzusetzen und als diese nicht reagierte, pfändeten sie eine Tonne Bier und ein Pferd. Obwohl “die Deichrichter und Geschworenen die Frau von Düring fast täglich daran erinnerten, die Pfänder einzulösen, hat sie doch nichts am Deich machen lassen.“ Die Witwe von Düring ließ daraufhin ihr Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause“ holen, woraufhin die Deichrichter und Geschworenen es zurückholen wollten, aber es bei der Witwe mit „doppelten Schlössern an den Beinen geschlossen“, vorfanden und „der Voigt sich auch dasselbe verabfolgen zu lassen geweigert.“ 2
Als direkte Antwort auf das Aktenschreiben Q2, in der die Rückgabe des Pferdes bei 50 Goldfl. Strafe befohlen wird, schreibt die Witwe von Düring am 15.06.1685 in Q3 davon, wie sie sich geweigert hat, ihr gepfändetes Pferd wieder einzulösen und nicht gestatten könne „daß in der Francöper freien Gerichte dergelichen executiones sollen bewerkstelligt werden.“ Zudem habe ihr Junge, ohne vorausgehenden Auftrag, das Pferd „ohne die geringste Gewalttätigkeit losgemacht.“ Sie begründete ihr Vorgehen weiterhin mit der Unwissenheit darüber, dass Deichbeamte und Deichrichter solche Befehle erlassen dürften. Weiterhin glaubte sie, dass das „Francoper Junkerngericht“ von den „Herren Grefen und anderem Gerichtszwang […]befreiet sei“. Sie habe aber schließlich verfügt, dass das Pferd zurückgebracht und ihr Anteil des Deiches in Zesterfleth von 5 Morgen und 40 Ruten „in untadelhaftem Stand“ gebracht würde. Sie bat weiterhin um Verzeihung für ihr Vorgehen und verwies die „Grefen und Deichrichter“3 für die Instandsetzung der anderen Deichstücke auf die Zesterfleths. Schon am 15.6.1686 wurde das Pferd zurück an die Witwe von Düring gegeben.
In der Akte Q4 berichten die „Grefen Höpken und Heino zum Felde“ am 10.11.1686 davon, dass die Witwe einige „in Hollerner Kirchspiele liegende Ländereien durch einen Tausch von denen von Zesterfleth an sich gebracht“ hat und für diese nicht nur Kontributionen abführen muss, sondern auch für das bei Twielenfleth liegende Deichstück „ungeachtet sie mit dessen refection den Anfang hiebevor gemacht, zur Perfection und zum Stande zu bringen“4 die Kontribution abführen muss. Dem Befehl vom 13.12.1686 in Q5, die Instandhaltung des Deichstückes bei 50 Fl. Strafe fortzusetzen, entgegnet die Witwe von Düring in dem Schreiben Q65 vom 10.01.1687, dass ihr Ehemann vor seinem Tod „in trunkenem Mute und durch des anderen Teils Verleitung“ die Ländereien mit den Zesterfleths getauscht habe. Sie habe von alldem nichts gewusst und aber trotzdem „die Kontribution bezahlt und den Deich reparieren lassen.“ Durch die für die Witwe unerträglich hohe Deichlast und die Kontributionen bewegt, wollte die Witwe den Tauschhandel der Ländereien mit den Zesterfleths rückgängig machen. Als diese sich trotz eines gerichtlichen Verfahrens dem Rücktausch verweigerten, wollte die Witwe die Ländereien den Zesterfleths ohne Gegenwert überlassen und die Anwendung des Spatenrechtes gewähren, welches sie ernsthaft in Erwägung zieht „als unter der Kontributions- und Deichlast zu sitzen und zu schwitzen.“
In der Akte Q76 vom 02.03.1687 fordern vermutlich die Landesherren die „Grefen“ auf, weiter über den Vorfall zu berichten und verlangen, dass die Kinder der Witwe verschont werden, wenn diese die geforderten Arbeiten „bis nächstkünftigem Hofgerichte“ ohne Schädigung des dadurch sprechenden öffentlichen Interesses verrichtet haben. Als letzten Hinweis auf den Ausgang des Vorfalls liegt der Bericht in Q8 vor, in dem die „Grefen“ am 03.03.1687 davon berichten, dass die „auf ihren Hof geschickten Exekutoren mit Prügeln“ vertrieben wurden.
- Vgl. StA, Rep.5 a, Fach 270, Nr.68, auszugsweise exzerpiert durch Michael Ehrhardt. Es handelt sich hierbei um 8 einzelne Korrespondenzen, die im Fließtext und/oder in den Fußnoten mit den Kürzeln Q1-Q8 angegeben werden. ↩
- Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q1. ↩
- Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q3. ↩
- Für alle bisherigen Zitate dieses Absatzes. Siehe Q4. ↩
- Alle folgenden Zitate dieses Absatzes. Siehe Q6. ↩
- Für alle Zitate dieses Absatzes. Siehe Q7. ↩
Ein Altländer Streit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks (Teil II)
Klärung von Wissens- und Verständnisdefiziten
Anschließend sollen in diesem Abschnitt Auffälligkeiten und Besonderheiten des Quellenbefundes vorgestellt werden. Es soll weiterhin den bei der bisherigen Quellenuntersuchung auftretenden Unklarheiten und inhaltlichen Fragen gezielt nachgegangen werden, um Wissensdefizite zu beseitigen und die Aussagen der Quellen genauer in den historischen Kontext des späten 17. Jahrhunderts einordnen zu können.
Auffällig ist, dass die in den Quellen verwendete Sprache (Neuhochdeutsch) mit verschiedenen lateinischen Redewendungen (Bsp.: „Praestanda nicht praestiret“ , „pro declinanda turbatione jurisdictionis“, „sin praevio meo mandato“1) durchsetzt ist, die vermutlich im Zusammenhang mit rechtlichen Angelegenheiten ihre Verwendung fanden. Deutlich wird hieran, dass die Verfasser der jeweiligen Akten mit rechtlichen Themen bzw. Redewendungen wohl vertraut waren. Michael Ehrhardt ergänzt noch zu der Person der Witwe von Düring, dass sie die „Gerichtsherrin des adelig-freien Gerichts Francop“2 sei, somit waren ihr auch lateinische Redewendungen, die zum Teil auch dem typischen Sprachgebrauchs des Altländer Deichwesens entlehnt wurden, wohl bekannt. Weiterhin finden sich in den Quellenberichten viele heutzutage wenig bekannte Begriffe wie „Pupillen“ (Bedeutung: Minderjährige oder Rechtlich Unmündige Personen) oder „Permutationskontrakt“ (Bedeutung: Tauschhandel) enthalten.
Unverständlich erscheint zunächst, dass die Witwe von Düring in Q3 von zwei unterschiedlichen Vögten (Francoper und Neufelder Vogt) berichtet, die in Zusammenhang mit ihrem gepfändeten Pferd stehen. In der Quelle Q1, verfasst durch die „Grefen, Bürgermeister und Hauptleute des Alten Landes“, wird hingegen nur vom Francoper Vogt berichtet und dass das Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause, also aus ihrer Kön. May. Jurisdiktion geholt“ wurde. Zur Bereinigung dieses Widerspruchs bieten sich zwei Erklärungen an: 1. Die Witwe verwendet für denselben Vogt zwei unterschiedliche Bezeichnungen (Neufelder und Francoper Vogt). 2. Es gab zwei unterschiedliche Vögte und der Francoper Vogt brachte das Pferd nach 3 Tagen, die der Witwe gegeben wurde um das Pfand ein- bzw. auszulösen (Q1: „poenam caduci“) zu dem Neufelder Vogt. Von ihrer bewussten Verweigerung gegen die Pfandauslösung, nämlich das Pferd innerhalb der 3 Tage „aus des Frankoper Vogts Behausung wieder“ abholen zu können, wenn sie das Deichstück ausgebessert hat, spricht Q3. Der Neufelder Vogt würde dann in Q1 in der Passage erwähnt werden, in der das Pferd „zu nächtlicher Zeit aus des Voigtes verriegelten Hause, also aus ihrer Kön. May. Jurisdiktion geholt“ wurde. Demnach erwähnen die Verfasser von Q1 nicht explizit, von welchem Vogt das Pferd entwendet wurde, wobei auch die allgemeine Angabe „Kön. May. Jurisdiktion“ keine genaueren Schlüsse zulässt. In Q3 berichtet die Witwe unmissverständlich, von wem das Pferd entwendet wurde: „daß mein Junge für sich selbst und sine praevio meo mandato das mir abgepfandete Pferd aus des Neufelder Vogts Hause ohne die geringste Gewalttätigkeit losgemacht“. Aber wer war der Neufelder Vogt? Hier kann man nur vermuten, dass die Witwe hiermit einen im benachbarten Neuenfelde ansässigen Vogt meinte.
Weiterhin wirft die Quellenuntersuchung die Frage auf, ob die Deichbeamten wegen des in Q1 02.06.1685 erwähnten Sturms im März 1685 die Instandsetzung des Deiches in Twielenfleth mit ganz besonderer Dringlichkeit betreiben mussten. Der Twielenflether Deich wird in der Quelle Q1 als derjenige herausgestellt, „welcher ohnedas der gefährlichste im Lande ist, in solchem Schaden geraten ist, daß dadurch die ganze Meile in Gefahr war.“ Für diesen Sturm liegen bisher keine weiteren Quellen vor. Die zeitlich nahste und gut durch Quellen dokumentierte Flut ist die Erste Katharinenflut vom 25. November 1685, bei der besonders die Erste Meile stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die beschriebenen Folgen der Flut, wie eine verheerende mehrjährige ökonomische Krise und damit verbundene Ernteausfälle, die Aufwendung hoher Summen für den Deichwiederaufbau, belastende Kontributionszahlungen und mangelnde Unterstützung durch die Schwedischen Landesherren, deuten auf die sozialen und politischen Umstände der untersuchten Quellen Q1-Q8 von 1685 bis 1687 hin.3
Auch die Flut vom 14. Mai 1678 hatte verheerende Folgen für das Alte Land und insbesondere auch für Twielenfleth, wo die Länge des Deichbruchs allein an einer Stelle sechs Altländer Ruten betrug.4 Man sieht hieran und an der Tatsache, dass einige der Twielenflether Deichstrecken im 17. Jahrhundert besonders den Fluten ausgesetzt waren5, dass die Geschichte von Twielenfleth6 durch die Gefahr von Deichbrüchen und Fluten stark geprägt war. Man musste als Deichgeschworene und Deichrichter schnell handeln, weil man die schlimmen Folgen von unzureichend ausgeführtem Deichbau und daraus folgenden Deichbrüchen kannte. Vor diesem Hintergrund müssen die Verfasser der untersuchten Quellen gesehen und verstanden werden. Die Kenntnis dieses historischen Kontextes offenbart viel vom Standort bzw. dem Horizont der Quellenautoren und von dem, was sie wissen und folglich auch berichten konnten.
Quellenkritik
Bei der Quellenkritik soll der Fokus vor allem auf die inhaltliche Kritik, nämlich die Glaubwürdigkeit der Quellenberichte sowie deren Aussagegehalt gelegt werden: Welche geschichtliche Wirklichkeit lässt sich den Darstellungen der Quellen entnehmen und welche Möglichkeiten der Aussage kann man von den Quellen erwarten? Die Quellen wurden im behördlichen Kontext verfasst und da sie einen Rechtstreit dokumentieren, könnte man auch danach fragen, ob oder was die Quellenautoren berichten und darstellen wollten, um ihre eigene Position zu verbessern?
Ausgehend von den Erträgen der bisherigen Quellenuntersuchung kann man die These aufstellen, dass das Konfliktpotential der Kabeldeichung im späten 17. Jahrhundert in Twielenfleth unter anderem darin lag, dass die Besitzverhältnisse der Ländereien und damit auch die Zuständigkeiten für die anliegenden Deichstücke nicht immer eindeutig geklärt waren. Insbesondere dann, wenn die Deichinteressenten adlig waren und/oder über mehr Land als der durchschnittliche Bauer verfügten, mussten diese auch mehr Deichstücke bewirtschaften sowie dementsprechende Kontributionen abführen, was besonders in wirtschaftlich schlechten Zeiten (wie in den Jahren 1685-1678) zusätzliches Konfliktpotential mit sich brachte.
Zusammenfassend ließe sich folgern, dass es im späten 17. Jahrhundert in der Ersten Meile in Twielenfleth und vermutlich im gesamten Alten Land in Bezug auf den Deichbau ein Problem der Zuständigkeiten gab. Die ökonomischen Voraussetzungen für die Kabeldeichung waren selbst für Adlige und wohlhabende Altländer nicht mehr ohne weiteres zu erfüllen. Diese aufgestellte These soll im Folgenden mit der gezielten Untersuchung des historischen Kontextes und mithilfe des bisher erarbeiteten Erkenntnisstands überprüft werden.
So wie es in den untersuchten Quellen Probleme der Deichbeamten mit der Witwe von Düring in Bezug auf die Instandhaltung des Deichstückes gab, so lassen sich auch weitere Beispiele im historischen Kontext finden. Aus anderen Quellenberichten weiß man, dass um 1691 die Gräfen „angesichts des desolaten Zustands der Deiche vor Twielenfleth im Sommer 1691 erneut von der Ersten Meile die Errichtung eines kleinen Stacks begehrten.“7 Die zu dem Bauvorhaben einberufene Interessensversammlung in der Ersten Meile wurde von den Deichinteressenten nur durch wenige Teilnehmer besucht. Das Bauvorhaben wurde von ihnen offensichtlich abgelehnt, weil viele von den Deichinteressenten lieber „mit Prozessen, Klagen und Appellationen schwanger gingen“ als Gelder für Verbesserungsarbeiten des Deiches, seien es noch so wenige, auszugeben.8 Mit dieser Kenntnis und der Berücksichtigung des historischen Kontextes sowie den Ergebnissen der Quellenuntersuchung kann man sagen, dass man in Twielenfleth, ungefähr zu der Zeit der Quellenberichte, scheinbar ein allgemeines Problem mit den Deichinteressenten hatte, die lieber Rechtsprozesse und Klagen auf sich nahmen als ihre zugewiesenen Deichstücke zu bewirtschaften. Als Gründe hierfür können vor allem finanzielle Ursachen angegeben werden, die auch bei den Darlegungen der Witwe von Düring in Q6 vordergründig angeführt werden.
Das Konfliktpotential der Kabeldeichung mit seinen finanziellen Bürden zeigt sich auch in dem ähnlich erscheinenden Fall, in der der Häuerling Dietrich Detjen im März 1685 ein Landstück mit Deichstücken bei Twielenfleth vom Amtsmann Peter Benecke des Neuen Klosters pachtete. Vorausgegangen war diesem Pachtvertrag die Vernachlässigung der Deichinstandhaltung durch den Vorpächter Ernst Lindemann, der auch die Pacht für das Land nicht mehr aufbringen konnte. Im Winter 1684/1685 setzte Benecke den Deich wieder instand und verpachtete das Landstück mit den Deichen an Detjen weiter, den die „Deichlast und der mittlerweile eingetretene Deichschaden […] aber dermaßen […]“ abschreckte, „daß er umgehend die Pacht kündigen wollte.“ Dies war aber nicht möglich, so dass der Pächter Detjen für die Erhaltung der Deiche aufkommen musste.
Das Problem der unklaren Besitzverhältnisse und Zuständigkeiten, wem ein Stück Land gehörte bzw. wer das zugehörige Deichstück bewirtschaften musste, zeigte sich parallel zu dem Rechtsstreit der Witwe von Düring in einem Verfahren gegen den Leutnant Joachim Dietrich von Zesterfleth. Er verweigerte es seine Deichstücke zu bewirtschaften und wehrte die von den Deichbeamten durchgeführte Pfändung mit gewaltsamen Mitteln ab. Er gab in seinem eigenem Anklageprozess gegen die Deichbeamten an, dass der Landbesitz samt dem Deichstücken zwar vor 200 Jahren seiner Familie gehörte, aber dann „auf unbekannten Wegen über das Stader Marienkloster in das Eigentum der Kirche zu Ahlerstedt gelangt sei.“9 Von Zesterfleth wies die Zuständigkeit für das Deichstück und die Bürde der Deichlast wiederholt und klar von sich, dennoch wurde ihm in einem weiteren Gerichtsverfahren das Land als eigentlicher Eigentümer zugewiesen. Die Angabe der Deichrichter, dass von Zesterfleth aber bis zum Einbruch des Wassers im März 1685 zusammen mit der Witwe von Düring die jeweiligen Deichstücke bewirtschaftet hatte, wies er damit zurück, dass er lediglich dem Pastor in Ahlerstedt auf freiwilliger Basis geholfen hätte ein Deichstück auszubessern. Hieran lässt sich deutlich erkennen, dass dort, wo die Zuständigkeiten für Deichstücke bei anfallenden Deicharbeiten von den Deichinteressenten abgewiesen wurden, Gerichtsverfahren einsetzten und teilweise widersprüchliche Angaben seitens der Deichinteressenten gemacht wurden, wem das Land gehörte und wer damit auch die Deichlast zu bewältigen hatte. Auch der Witwe von Düring kann analog dazu durchaus vorgeworfen werden, dass sie ihre Unwissenheit über die Gültigkeit des Altländer Deichwesens für ihre Landstücke zunächst vorgeschoben haben könnte, um sich den Verpflichtungen zu entziehen. An späterer Stelle beklagt sie sich wiederum deutlich über die abzugebenden Kontributionen und die Deichlast, was voraussetzt, dass sie sich der eigentlichen Verantwortung und der damit verbundenen Kosten der Bedeichung bewusst war.
Der bei der Quellenkritik zu untersuchende Aspekt der Glaubwürdigkeit der Quellen und ihrer Darstellungen lässt sich mit den angeführten Beispielen aus dem historischen Kontext hinreichend stützen. Es gibt durchaus weitere Beispiele, die vom Sachverhalt her den Geschehnissen der Quellen Q1 – Q8 ähneln. Daher erscheint die in den Quellen dargestellte geschichtliche Wirklichkeit authentisch und stimmig mit dem historischen Kontext im späten 17. Jahrhundert. Auch die aufgestellte These lässt sich mit den angeführten Beispielen aus dem historischen Kontext überprüfen und belegen.
Fazit
Zum Abschluss dieser durchgeführten Quellenuntersuchung kann man feststellen, dass die ausgewählten Auszüge aus Akten in ihrem Inhalt und der geschichtlichen Wirklichkeit, die sie transportieren, als durchaus repräsentativ für die Geschehnisse im späten 17. Jahrhundert in der Ersten Meile des Alten Landes in Twielenfleth gelten können. Der in den Quellen behandelte Rechtsstreit behandelt einen in der Frühen Neuzeit in Twielenfleth und im Alten Land durchaus gängigen Vorgang, bei der Deichinteressenten nicht ihrer Deichpflicht nachkamen und in einen Rechtsprozess mit dem jeweiligen Deichverband gerieten. Bezüglich der historischen Authentizität der Verfasserschaft sowie der Plausibilität des Quellengehalts lassen sich daher keine Unstimmigkeiten mit dem heutigen Forschungsstand feststellen, so dass die Quellen als authentisch befunden werden können. Die auf Grundlage der Quellenuntersuchung aufgestellte These und gleichzeitig mögliche Beantwortung auf die in der Einleitung formulierte Fragestellung, lässt sich mit weiteren Beispielen aus dem historischen Kontext stützen. Das Konfliktpotential der Kabeldeichung lag im späten 17. Jahrhundert in Twielenfleth unter anderem darin, dass die Zuständigkeiten für die Ländereien und damit auch für die der anliegenden Deichstücke nicht immer eindeutig geklärt waren. Als auffälligstes Ergebnis der Quellenuntersuchung wird deutlich, dass das Deichbauwesen und die Instandhaltung der Deiche für das Alte Land zwar überlebenswichtig waren, aber das System der Kabeldeichung für viele Altländer Bewohner, selbst für die wohlhabenderen, nicht mehr finanzierbar war. Die strukturellen Defizite des Altländer Deichwesens im späten 17. Jahrhunderts werden am System der Kabeldeichung offenbar: Die Zuständigkeiten für Ländereien waren häufig nicht geklärt, die Finanzierung der Deichinstandhaltung für die Deichinteressenten war aufgrund von Sturmfluten, Wirtschaftskrisen nicht zu bewältigen und die dabei schnell aufkommenden und langwierigen Gerichtsprozesse verzögerten den Deichbau und die Instandhaltung der Deiche weiter und gefährdeten letztendlich ganze Ortschaften im Alten Land.
Empfohlene Zitierweise:
Blümel, Jonathan (2011): Ein Altländer Rechtsstreit um die Bewirtschaftung eines Deichstücks. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
- Siehe Q1. bis Q4. ↩
- Siehe Ehrhardt, Michael: „Ein guldten Bandt des Landes“ – Zur Geschichte der Deiche im Alten Land. (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden, Band 18). Stade 2003. S. 298. Und weitere Erläuterungen zur Familiengeschichte der Witwe von Düring: Vgl. Siemens, Hans Peter: Das Alte Land : Geschichte einer niederelbischen Marsch. Stade 1951. S. 272. ↩
- Vgl. Ehrhardt 2003. S. 520ff. und S. 508f. sowie Röper, Carl: Bilder und Nachrichten aus dem Alten Land und seiner Umgebung. Band 3. Jork 1988. S. 404. ↩
- Vgl. Ehrhardt 2003. S. 439ff. ↩
- Ebenda S. 118. ↩
- Vgl. Michael Ehrhardts Ausführungen über Siedlungsrücknahmen nach Deichbrüchen am Anfang des 17. Jahrhunderts in Twielenfleth. Ehrhardt 2003. S. 469-470. ↩
- Siehe Ehrhardt 2003. S. 303. ↩
- Ebenda S. 303. ↩
- Siehe Ehrhardt 2003. S. 298. ↩