Seit langer Zeit grüble ich, wie eine professionelle Geschichtswissenschaft sinnvollerweise auf die Forderungen der AfD reagieren sollte, die „positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte“ in eine „erweiterte[n] Geschichtsbetrachtung“ einzubeziehen, um so die „aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“ (Grundsatzprogramm der AfD) zu überwinden. Was damit gemeint ist, ist ja eigentlich klar; und aus Sicht einer professionellen Geschichtswissenschaft hat dieses Anliegen mit Geschichte wenig, viel aber mit Geschichtspolitik zu tun. Denn tatsächlich lässt sich eine solche Verengung nirgends empirisch beobachten; sie wird nur von demjenigen so empfunden, dem dies subjektiv zu viel erscheint. Damit ist es aber per se kein Anliegen, zu dem man sich wissenschaftlich verhalten kann, sondern ein politisches Ansinnen.
Ich bin daher froh, dass Norbert Lammert nun – ohne die AfD zu erwähnen, und vielleicht auch, ohne dabei überhaupt nur an diese intellektuell recht dürftige Forderung zu denken – tatsächlich einen erinnerungspolitischen Schritt auf bedeutende Persönlichkeiten der deutschen Geschichte zugegangen ist, als er dem Ältestenrat des Bundestags vorschlug, zwei Abgeordnetengebäude nach Matthias Erzberger und Otto Wels zu benennen. Damit würde er nun zwei Personen ehren, deren Gedenken auch dem Parlament selbst zu Ehren gereichen würde. Otto Wels immerhin hat es bis ins Schulbuch geschafft; seine letzte freie Rede im Weimarer Reichstag dürfte die in deutschen Schulen meistgelesene Weimarer Parlamentsrede sein.
Bei Matthias Erzberger liegt die Sache sicher etwas schwieriger – und das nicht wegen seiner Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne.
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