Ausstellung und Tagung zu Ritterturnieren in Schaffhausen.

Man kann sich streiten, ob Schaffhausen zum “Oberrheingebiet” zählt. Während heute für den Rhein zwischen Bodensee und Basel die Bezeichnung “Hochrhein” gebräuchlich ist, so zählte dieser Rheinabschnitt im 19. Jahrhundert auch zum Oberrhein, wie dies beispielsweise das Vorwort des ersten Bands der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins illustriert.1 Unstrittig ist , dass das Schaffhauser Turnier von 1436 für die Erforschung der Geschichte des Turnierwesens von besonderem Wert ist, weil ein Bericht eines spanischen Besuchers – gleichsam aus der Außenperspektive – Ablauf und Besonderheiten des Turniers schildert.2. Natürlich sind auch zahlreiche Adlige und Bürger der Oberrheinregion, etwa aus Basel, unter den ca. 200 Teilnehmern des Schaffhauser Turniers und es kann stellvertretend für eine große Zahl von Turnieren stehen, die im Spätmittelalter in Schaffhausen und vielen anderen Städten stattgefunden hat.3.

Inspiriert vom SchaffhauserRitterturnier_Plakat_web Turnier von 1436 ist nun dem mittelalterlichen Turnierwesen eine Ausstellung im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen gewidmet. Unter dem Titel Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur” werden vom 10. April bis zum 21. September 2014 zahlreiche Objekte mit Bezug zu mittelalterlichen Turnieren präsentiert, beispielsweise Turnierrüstungen, aber auch Elfenbeintäfelchen und Buchmalerei, um so die Geschichte des Turnierwesens und dessen Kontext (Ausbildung der Knappen, Rolle der Frauen und der höfischen Minne, Gericht und Strafe, Tanz und Bankett und sogar Scherzturniere) zu beleuchten.

Begleitend zur Ausstellung wurde vom Schweizer Historiker Peter Niederhäuser eine Publikation konzipiert, die ab Ausstellungsbeginn zu erwerben sein wird. Vor allem wird am 2./3. Mai 2014 eine internationale Tagung Turnier, Tanz und Totengedenken - Stadt und Adel im Mittelalter mit besonderem Fokus auf Schaffhausen stattfinden. Dort werden am ersten Tag verschiedene Aspekte des Turnierwesens im Vordergrund stehen. So sprechen Peter Jezler und Kurt Bänteli über Turniere in Schaffhausen, Oliver Landolt über die Bedeutung des Adels im mittelalterlichen Schaffhausen, Stefan Matter über das Turnier als literarisches Ereignis, Andreas Ranft über den Turnieradel und Werner Paravicini über das Phänomen des Ehrenweins. Am zweiten Tag der Tagung wird der Fokus auf das Verhältnis von Adel und Stadt im Spätmittelalter gelegt: Es sprechen Steffen Krieb über das Verhältnis von Adel und Stadt im Südwesten; Sven Rabeler über ökonomische Beziehungen zwischen Adel und Stadt im Mittelalter, Peter Niederhäuser über die Städtepolitik der Rittergesellschaft des St. Georgenschilds, Andreas Bihrer über adlige Parteien am Bischofshof und in der Stadt Konstanz und Armand Baeriswyl über stadtherrliches und adliges Wohnen in der Stadt.

Komplettiert wird das Begleitangebot zur Ausstellung durch Ritterspiele, die vom 10.-20. Juli stattfinden werden. Im Sinn von “Reenactment” und “Living History” soll so das Turnierwesen erfahrbar gemacht werden: Rüstungen und Waffen seien nach mittelalterlichen Vorlagen “originalgetreu” nachgebaut. Eine Falkenschau, ein Söldnerlager, Konzerte und ein mittelalterlicher Handwerksmarkt komplettieren das Angebot und sollen wohl auch die Begleiterscheinungen eines Turniers erlebbar machen. Fraglich ist allerdings, ob die im Begleittext benutzten Formulierungen “originalgetreu”, “höchstmögliche Authentizität” oder “lebendig und historisch korrekt” sinnvoll gewählt sind, implizieren sie doch, dass Historiker bis heute danach streben, genau zu rekonstruieren, “wie es gewesen ist”, bzw. dass es eine absolute historische Wahrheit geben kann. Ausstellung, Begleitpublikation und Tagung sind aber auf jeden Fall für jeden an der Geschichte des Turnierwesens Interessierten ein absolutes Muss.

  1. Vgl. Vorwort, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 1 (1950), S. 1-2, hier S. 1.
  2. Vgl. Karl Stehlin: Ein spanischer Bericht über ein Turnier in Schaffhausen im Jahr 1436, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 14 (1915), S. 145-176, dazu hat kürzlich Steffen Krieb im landesgeschichtlichen Kolloquiums vorgetragen, ein gesonderter Blogpost ist in Planung.
  3. Dazu Thomas Zotz: Adel, Bürgertum und Turnier in deutschen Städten vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter, hg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1986, S. 450-499, zu Schaffhausen S. 484.

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/335

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Dinge wachsen im Garten, nicht in der Historie

Von Stefan Sasse

Bequemer Sündenbock: Nikita Chruschtschow
In der Diskussion um die Krimkrise des Jahres 2014 konnte man das Argument vernehmen, die Grenzen entsprächen keiner "historisch gewachsenen" Situation und die Ukraine sei ein junges Land, das innerlich zerrissen sei. Auch von einem unnatürlichen Gebilde konnte man - ich paraphrasiere - lesen. Hintergrund ist dabei, dass die Krim 1954 in einem innerparteilichen Machtkampf an die damalige Sowjetrepublik Ukraine abgegeben wurde - obwohl dort ethnische Russen leben. Bei der Unabhängigkeit 1991 blieb die Krim dann beim neuen ukrainischen Staat. Putins Apologeten stützen sich nun auf zwei Argumente: einerseits sei die Ukraine ein Staat, dessen Grenzziehung willkürlich vonstatten ging (in diesem Fall Chruschtschows Zug 1954) und er gewissermaßen "historisch" keine Berechtigung habe und zum anderen lebten dort nicht mehrheitlich Ukrainer. Ich halte beide Argumente für Unsinn. 

Um die Diskussion vernünftig führen zu können müssen wir erst einmal klären, wann Grenzen überhaupt legitim sind. Viele Grenzen sind und wahren stets Gegenstand heftiger Streitereien, und Grenzrevisionen gehören nach wie vor zum Standardforderungskatalog in vielen Länder. War etwa die deutsche Staatsgrenze in Elsass-Lothringen 1871-1919 legitim? Ist die Grenze des heutigen Kosovo legitim? Aus Fällen der Vergangenheit wie der Gegenwart lassen sich einige Kriterien herausarbeiten, die offensichtlich die Legitimität einer Grenze schaffen. 

Bismarck und Napoleon III. bei Sédan
1) Das Völkerrecht. Gibt es irgendeine Art von völkerrechtlicher Festschreibung einer Grenze (etwa die 2+4-Verträge für die deutsche Oder-Neisse-Grenze oder den deutsch-französischen Friedensschluss von 1871), so gilt die Grenze im allgemeinen als legitim. 

2) Die Anerkennung. Erkennen wichtige Staaten (Großmächte und direkte Nachbarn) die Grenze an, so gilt sie als legitim. Die Grenze des Kosovo etwa wird von der NATO und mit ihr assoziierten Staaten anerkannt und garantiert, während die deutsche Nachkriegsgrenze von 1871 nie von Frankreich anerkannt wurde. Die späteren Entente-Mächte schlossen sich dieser Meinung später an, was den Boden für die Revision in Versailles bereitete (Deutschland erkannte die Grenze erst nach 1945 an). 

3) Die Zustimmung der Bevölkerung. Es ist im allgemeinen schwierig, gegen den expliziten Wunsch der Bevölkerung eine Grenze aufrechtzuerhalten. Möchte die Bevölkerung das Land überwiegend verlassen, sie es durch Unabhängigkeit, sei es durch Anschluss an einen Nachbarn, so steht die Legitimität der Grenze in Frage. Wir können dies etwa im Falle Montenegros oder des Sudans sehen. 

Verteidigungsministerium in Belgrad, 1999
4) Machtpolitische Realitäten. Haben wichtige Staaten (Großmächte und bedeutende Nachbarn) ein Interesse am aktuellen Grenzverlauf und garantieren ihn, so werden andere Faktoren selten eine Rolle spielen. Deutschlands Macht etwa garantierte, dass ohne Krieg keine Revision in Elsass-Lothringen zu erreichen war; die Menge an Feinden, die Serbien auf sich vereinigte, machte es dagegen unmöglich, an seinen in Frage gestellten Grenzverläufen festzuhalten. 

Zu diesen Fakten kommen einige legitimatorische Konstrukte. Dazu gehören sowohl irgendwelche ethnischen Betrachtungen (wie etwa auf der Krim oder 1938 im Sudetenland), geographische Gegebenheiten (der Wahn der "natürlichen Grenzen", der besonders im 19. Jahrhundert gepflegt wurde) als auch das Argument der Geschichte (von "gewachsenen" Grenzen). Ebenfalls beliebt ist der Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, was auf den ersten Blick identisch mit Punkt 3 zu sein scheint, dies aber nicht ist: Vorgebracht wird dieses Argument nämlich gerne von jenen, die überhaupt nicht dort leben, sei es die nazi-deutsche Regierung im Fall des Sudetenlandes oder jetzt Putin im Falle der Krim. 

Das war übrigens zu allen Zeiten so. Das Mittelalter etwa kannte ebenfalls hochkomplexe Konstrukte zur Legitimierung von Grenzen, ebenso die Neuzeit und die Antike. Fast immer spielten irgendwelche Schriftstücke eine Rolle (die Römer beriefen sich auf irgendwelche Verträge, im Mittelalter spielten die Lehensurkunden und Lehensverträge eine entscheidende Rolle und in der Neuzeit wurden diese um verschriftlichte Absprachen zwischen den Monarchen ergänzt) oder aber die Berufung auf die Tradition (alte Siedlungsräume und ehemalige Kolonien, die lange Dauer des Lehensvertrags, frühere Zugehörigkeit zu einem Vorfahren).

Gemein ist aber all diesen Konstrukten, dass es stets um Legitimation ging. Der reale Grenzverlauf wurde einzig und allein durch die Akzeptanz der Nachbarn bestimmt - wie in den vier Punkten beschrieben. Kein mittelalterlicher Fürst ließ sich von einem Verweis auf Tradition und gewachsene historische Grenzen von einem Anspruch auf ein Land abbringen, Friedrich der Große interessierte sich nicht für die lange Zugehörigkeit Schlesiens zur Habsburger Erbmasse, niemand kümmerte sich in den polnischen Teilungen um die Existenz des polnischen Großreichs.

Das Argument von der jungen Lebensdauer der Ukraine und der "unnatürlichen" Grenzziehung ist daher wenig tragfähig. Grenzziehungen sind immer willkürlich. Vollkommen absurd wird es, wenn einem Staat wie Frankreich die Legitimität seiner Grenzen zugesprochen wird, weil diese eben "historisch gewachsen" seien, der Ukraine aber nicht. Grenzen wachsen grundsätzlich nicht. Sie werden festgelegt, entweder in gegenseitiger Übereinkunft in einem Vertrag (selten) oder durch die Beilegung vorangegangener kriegerischer Aktivitäten (häufig). Die Grenzen des heutigen Frankreich entstanden in einem historischen Prozess von Ausbreitung und Konflikt, der jederzeit hätte unterbrochen werden können. Genauso ist es durchaus nicht realitätsfern anzunehmen, dass die Ukraine in hundert Jahren ein ungeheuer stabiles Gebilde wäre, mit eigener Identität ähnlich der heutigen französischen, das sich niemand mehr aus Europa wegdenken kann. Eine Grenze kann nur dann Gewohnheit werden, wenn man sie lässt. 

Bildnachweise: 
Verteidigungsministerium in Belgrad - David Orlovic, CC-BY-SA 3.0

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/03/dinge-wachsen-im-garten-nicht-in-der.html

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Coding Da Vinci – Hackathon mit offenen Kulturdaten

In Berlin findet zum ersten Mal ein Hackathon mit http://daten.berlin.de/sites/default/files/styles/landscape/public/field/image/coding_davinci.png?itok=5AFtRl9Boffenen Daten aus verschiedenen Kultureinrichtungen statt. Der erste Kultur-Hackathon wird gemeinsam ausgerichtet von der Deutschen Digitalen Bibliothek, der Servicestelle Digitalisierung Berlin, der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland.

Die Daten kommen u.a. von folgenden Institutionen, die Datensätze werden ab 1. April 2014 unter http://codingdavinci.de/daten/ veröffentlicht:

  • Deutsche Digitale Bibliothek
  • Zentral- und Landesbibliothek Berlin
    • Adressbucheinträge des Jüdischen Adressbuchs von Groß-Berlin von 1931
    • Berliner Adressbuchdaten (1799-1943)
    • Daten des NS-Raubgut-Projekts
  • Ethnologisches Museum Berlin
    • Tagore-Sammlungsobjekte als CT-Daten, 3D-Modelle (Musikinstrumente Südasiens)
    • Bestimmung von Musikinstrumenten (Metadaten, Audio-, Videofiles)
  • Max-Plack-Institut für Wissenschaftsgeschichte
    • bibliografische Metadaten zur Rara-Sammlung (historischer Buchquellen vom 16.-19. Jhd.)
    • Metadaten zu Filmen aus der MPWG-Mediathek
  • Stadtmuseum Berlin
    • Stadtansichten mit Grafiken und Gemälde von Berlin im 18. und 19.Jhd.
    • Heinrich Zille zeichnet die Berliner Bevölkerung und die sozialen Verhältnisse in typischer “Berliner Schnauze” (Grafische Sammlung)
    • Nachlass des Berliner Fotografen Harry Croner, darunter Fotos der Berliner Filmfestspiele, Theaterfotografien, 1945 – 1988
  • Berlinische Galerie
    • Aufnahmen aus dem Ostberliner Fotoarchiv 1960-1970
  • Museum für Naturkunde Berlin
    • Analyse von Gigapixel-Scans von Insektenkästen
  • Ihre Daten?

Termine:

  • 26./27. April 2014
  • 5./6. Juli 2014 (mit Preisverleihung)
  • dazwischen 10 Wochen eigenständiger Sprint

Ort: Wikimedia Deutschland e.V. | Tempelhofer Ufer 23-24 | 10963 Berlin

Teilnehmen:

  • Kulturinstitutionen können Ihre Daten zur Verfügung stellen, sofern die Datensätze unter einer offenen Lizenz zur Verfügung stehen. Kontakt: Helene Hahn (OKF)
  • Kultur- und Technikinteressierte, auch und besonders die, die nicht coden können aber interessante Ideen haben, sind eingeladen, am Hackathon teilzunehmen.
  • Reisestipendien werden einige wenige vergeben, mehr Informationen unter http://codingdavinci.de/info/

Weitere Informationen:

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3214

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Anders als geplant: Und was machst du so, Paul*?

Paul*, über 30, Studiengänge: Soziologie und Politikwissenschaft * Der Name unseres Interviewpartners ist uns bekannt, wurde jedoch vor der Veröffentlichung geändert, um eine Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt auszuschließen. Hallo Paul, danke, dass du dich für ein Interview bereit erklärt hast. … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6130

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Anders als geplant: Und was machst du so, Paul*?

Paul*, über 30, Studiengänge: Soziologie und Politikwissenschaft * Der Name unseres Interviewpartners ist uns bekannt, wurde jedoch vor der Veröffentlichung geändert, um eine Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt auszuschließen. Hallo Paul, danke, dass du dich für ein Interview bereit erklärt hast. … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6130

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Die Bilderfreigabe von Getty Images – faires Angebot oder Danaergeschenk?

 

Timeo Danaos et dona ferentes … In meinem Beitrag zur Verwendung fremder Bilder (Oktober 2013), über dessen Auszeichnung ich mich natürlich gefreut habe, bin ich am Schluss auf extrem bildlastige Angebote wie Tumblr oder Pinterest eingegangen, bei denen die millionenfache Urheberrechtsverletzung geradezu Programm ist: “Die Fotografen-Lobby kann noch so sehr mit Schaum vor dem Mund gegen das massenhafte Teilen geschützter Bilder im Internet eifern: Ich bezweifle, dass sie die Flut eindämmen kann.” Getty Images hat sich nun zu einem bemerkenswerten Schritt entschlossen und macht unter anderem Bloggern ein legales Angebot: Unter bestimmten Bedingungen darf ein nicht unbeträchtlicher Teil des Getty-Bildbestands kostenlos mittels einer Einbettungs-Funktion genutzt werden. Dass die Fotografen, unter denen die Betonköpfe das große Wort zu führen scheinen, empört sind, war absehbar. Aber auch sonst gab es sehr viele kritische Stimmen (nicht nur im gewohnt miesepetrigen Deutschland), was mir doch ein wenig ungerecht erscheint. Ärgerlich sind Falschdarstellungen, die Gettys Angebot möglichst restriktiv auslegen.

Spektakulärer Kurswechsel

Die 1995 gegründete Bildagentur war für ihre aggressive und unbarmherzige Rechtewahrnehmung berüchtigt. Auch viele deutsche Nutzer wurden im Auftrag der Agentur vor allem durch die “Abmahn-Kanzlei” Waldorf Frommer abgemahnt. Es fällt daher schwer, den Wandel von der beißfreudigen Bulldogge zum bloggerfreundlichen Kuschelhund zu glauben. In einem einschlägigen Forum wird bereits gemutmaßt, Getty werde seine Bilder plötzlich kostenpflichtig werden lassen. Also eine Art trojanisches Pferd?

Die harte Rechteverfolgung hat den massenhaften Bilderklau überhaupt nicht stoppen können. Die unglückliche Eskalations-Devise “Mehr desselben” (ich habe sie im Nachwort zu meiner Urheberrechtsfibel 2009 analysiert) hat nicht funktioniert – daher das Umdenken. Im digitalen Zeitalter brauchen wir ein völlig anderes Urheberrecht, das auf das Abmahnunwesen und die Kriminalisierung verzichtet. Zugleich muss der Wandel jedoch “sozialverträglich” gestaltet werden. Auch Berufsfotografen müssen ihre Mieten zahlen und ihre Familien unterhalten können. Es mag paradox erscheinen, wenn ich als vehementer Verfechter freier Inhalte Getty in Schutz nehme, aber neben der Bekämpfung von Copyfraud bei gemeinfreien Bildern und ihren Reproduktionen (“Was gemeinfrei ist, muss gemeinfrei bleiben!”), neben der Forderung, dass im Bereich der Wissenschaft auf Bildurheberrechte verzichtet wird und auf CC-BY oder Public Domain gesetzt wird, und – last but not least – neben dem Appell, der Bildung (im weitesten Sinn) dienliche Bilder freizugeben (siehe vor allem Wikimedia Commons) muss man doch die Realitäten des Bildermarkts in Rechnung stellen. Hätte Getty erklären sollen “Wir werden nunmehr zur Wohlfahrtsorganisation und stellen alle unsere Bilder unter CC-BY zur Verfügung”? Ich zolle dem Schritt, eine kostenlose und legale Alternative anzubieten, ausdrücklich Respekt, denn er geht definitiv in die richtige Richtung.

Die durchaus vorhandenen Risiken und Nebenwirkungen sind online breit beleuchtet worden. Ich empfehle die FAQ von Rechtsanwalt Schwenke, der bei aller Kritik doch zu dem Schluss kommt: “Ich persönlich finde es gut, dass Getty diesen Weg geht und sich an der “Sharing Culture” beteiligt und vor allem einen großzügigen Maßstab bei kommerzieller Nutzung anlegt. Damit werden die Nachteile, die das Urheberrecht für (Semi)Privatnutzer mit sich bringt, ein Stück aufgewogen und der “Grass Roots” Journalismus unterstützt. Ferner haben die Bilder eine gute Qualität und auch sind die Gefahren illegaler Uploads geringer, als bei Bildern unter Creative Commons-Lizenzen”.

Es gibt keinen funktionierenden Filter nur für zum Teilen freigegebene Bilder, sehr attraktive Bildergruppen sind ausgeschlossen. Es muss strikt der Einbettungscode wie er ist (also der Iframe) verwendet werden (was etwa dazu führt dass in Archivalia aufgrund des Iframe-Verbots von Twoday keine Getty-Bilder verwendet werden können), der jetzt schon Werbung für Getty (und einen Backlink) transportiert und zukünftig wohl auch mit anderer Werbung angereichert werden soll. Die Größe kann nicht geändert werden. Getty behält sich das Recht vor, die Bilder jederzeit wieder zu entfernen.

Aus wissenschaftlicher Sicht kann man mangelhafte Metadaten kritisieren. “3 Turkish dervishes in native costume” ist alles, was man über obiges historisches Foto erfährt. Eine Datierung und sei sie auch ungenau ist aber unverzichtbar. Von daher kann es gut sein, dass viele WissenschaftsbloggerInnen zu wenig wirklich brauchbares Material bei Getty finden.

Man konnte nicht erwarten, dass Getty das eigene Geschäftsmodell durch eine Freigabe auch für kommerzielle Nutzungen torpedieren würde. Von daher ist es erfreulich, dass werbefinanzierte Angebote nicht ausgeschlossen sind. “Blogs that draw revenues from Google Ads will still be able to use the Getty Images embed player at no cost. “We would not consider this commercial use,” says Peters. “The fact today that a website is generating revenue would not limit the use of the embed. What would limit that use is if they used our imagery to promote a service, a product or their business. They would need to get a licence.” (bjp-online) Wer dagegen ein Creative Commons Bild, das die Einschränkung NC besitzt, in einem Blog mit Google-Ads benutzt, bewegt sich mindestens in einer Grauzone und kann möglicherweise abgemahnt werden. Sicher wird es im Einzelfall noch Streit geben (erneut der Hinweis auf RA Schwenkes FAQ), aber Wissenschaftsblogs dürften keine Probleme mit dieser Einschränkung haben. Genuine Werbeaktivitäten (zu denen auch Gewinnspiele zählen) können allerdings nicht kostenlos bebildert werden.

Dass Getty nur redaktionelle Verwendungen freigibt, scheint mir eher unproblematisch, denn es nicht davon auszugehen, dass die Firma ihren generösen Schritt durch kleinliche Restriktionen kaputtmachen wird. Redaktionell ist als Gegenbegriff zu kommerziell aufzufassen. Natürlich kann keine Rede davon sein, dass die meisten Tumblr-Blogs Fotos nur “im Zusammenhang mit Ereignissen, die berichtenswert und von öffentlichem Interesse sind” (Terms) teilen. Hier muss sich Getty das Anbringen eines Tumblr-Buttons anrechnen lassen, bei dem man keinen Code kopieren muss und auch nicht irgendwelchen Nutzungsbedingungen zustimmen. Wenn also nur wenige Tumblr-Blogs keine bloßen “Bilderschleudern”, von denen oft sehr viele Bilder je Tag und zwar ohne redaktionellen Text (abgesehen bestenfalls von einer Bildunterschrift) geteilt werden, sind, bedeutet das Anbringen eines Tumblr-Sharing-Buttons nichts anderes als die Aufforderung zum kostenlosen Teilen nach Tumblr-Art. Was bei Tumblr rechtens ist, muss bei Pinterest & Co. billig sein. Wenn ich ein Blumenbild (oder süße Häschen, siehe Bild unten) zum Teilen freigebe, kann ich nicht erwarten, dass es im Zusammenhang mit einem öffentlich interessierenden Ereignis geteilt wird. Wer sich an die Regeln hält und nicht-kommerziell nutzt, darf also auch rein illustrativ nutzen.

Happy embedding!

Nicht nur Getty verwendet Einbettungscodes, sondern auch YouTube, Flickr oder Pinterest, um nur die bekanntesten zu nennen. Ich habe mich vor kurzem mit den rechtlichen Rahmenbedingungen bei Flickr in Archivalia befasst und war selbst überrascht, dass man Flickr-Bilder legal auch dann teilen, also auf anderen Websites verwenden darf, wenn sie nicht unter einer CC-Lizenz stehen. Grundsätzlich gilt bei der Verwendung solcher Einbettungscodes: Abgesehen von irrtümlichen Abmahnungen (diese gibt es häufiger als man annehmen sollte) droht keine Abmahnung, wenn

a) der Inhalt vom Berechtigen (Urheber oder Inhaber entsprechender Nutzungsrechte) auf der Website eingestellt wurde

b) die Bedingungen der Website (z.B. Verwenden nur des vorgegebenen Einbettungs-Codes) eingehalten wurden

c) die AGB der Website, die diese Weiternutzung ermöglichen, wirksam sind (aber auch dann braucht der Nutzer nicht notwendigerweise Angst haben).

Da Flickr seinen Nutzern die Wahl lässt, ob sie Sharing erlauben wollen oder nicht, darf man die vorgegebenen Teilungsmöglichkeiten ganz legal nutzen. Ständige deutsche Rechtsprechung ist: “Ein Berechtigter, der Texte oder Bilder im Internet ohne Einschränkungen frei zugänglich macht, muss mit den nach den Umständen üblichen Benutzungshandlungen rechnen” (so das LG Köln). Wer zum Teilen einlädt, kann nicht abmahnen, wenn tatsächlich geteilt wird.

OMG, der Datenschutz!

Die nicht selten recht hysterische Tonlage, mit der – vor allem In Deutschland – Datenkraken gegeißelt werden, nervt mich schon lange. Ja, mittels des Iframe ist datenschutzrechtlich bedenkliches Tracking möglich. Mich persönlich stört das eher weniger (zumal Getty nicht die NSA ist). Wer sich bei Getty darüber aufregt, dass die Einbettungsfunktion Tracking ermöglicht, darf dann auch kein einziges YouTube-Video einbinden. Überhaupt kann man das Social Web so gut wie vergessen, wenn es um die hergebrachten Grundsätze des Datenschutzes geht. Auf Facebook & Co. kann man derzeit nicht datenschutzkonform agieren.

Ja, man zahlt – wie häufig – mit Daten und wird zum Werbeträger (vorerst nur für Getty selbst). Ich finde das nicht unfair. Man muss sich nur einmal ansehen, was man für das Häschenbild unten bei Getty regulär zahlen müsste (von 119 bis 449 Euro). Zu rufen “There’s No Such Thing as a Free Lunch” und dann auf die kostenlosen Creative Commons Bilder zu verweisen erscheint mir widersprüchlich. Auch bei CC zahlt man mit Anerkennung (Attribution) und Einhaltung der Lizenzbedingungen. Und selbstverständlich gibt es im Urheberrecht einen kostenlosen Lunch: nämlich die Public Domain, ein reich gedeckter Tisch, den es unbedingt auszubauen gilt.

Niemand ist gezwungen, das aus meiner Sicht durchaus großzügige Angebot von Getty Images anzunehmen, und jeder, der es tut, kann die Bilder jederzeit wieder rauswerfen. Es gilt, die weitere Entwicklung und das weitere Verhalten von Getty zu beobachten. Wer sich an Gettys Regeln hält, sollte aber bis auf weiteres keine bösen Überraschungen erleben.

Reaktionen (in Auswahl)

Archiv-Freigabe: Diese Getty-Bilder dürfen Sie jetzt gratis einbetten

FAQ zur Einbettung der Bilder von Getty Images – Urheberrechtlich top, Datenschutzrechtlich flop

Getty Images bietet kostenlos einbettbare Bilder

Getty Images: Kostenlose Bilder mit Nebenwirkungen

Getty Images: nutzen? Nein!!!

Getty Images und die Sache mit der “nichtkommerziellen Nutzung” – wir haben nachgefragt

Gratisbilder für alle – attraktiv oder gefährlich? bzw. Das neue Angebot von Getty Images an Blogger: Attraktiv oder gefährlich?

Kostenlose Bilder sind nicht umsonst

Stockfotografie: Gettyimages bietet kostenlose Nutzung ausgewählter Bilder

Getty Embed Tool Already Subverted: You Can Crop Out the Credit Line

Getty Images Allows Free Embedding, but at What Cost to Privacy?

Getty Images allows free embed of 35 million photographs

Getty Images Image Embed: Progressive or Destructive?

Getty Images goes free: is embedding an alternative to copyright?

Getty Images: not quite free to use

 

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/2183

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“Sir, To perform my late promise to you, I shall without further ceremony acquaint you, that …”

… schreibt Isaac Newton 1671 in den Philosophical Transactions of the Royal Society. Nein! Eigentlich ist das falsch. In diesem Zusammenhang kann man noch gar nicht von ‘jmd. schreibt etw. in” sprechen. Wir befinden uns vielmehr gerade auf dem Weg dorthin und sehen im Zitat ein Interim.

Nein, Newton schrieb nicht in den Transactions, er schrieb vielmehr an den Herausgeber Henry Oldenburg. Wir befinden uns am Beginn der Entstehung des wissenschaftlichen Artikels und es zeigt sich, dass diese Entstehung eng damit verknüpft ist, dass sich ein Bewusstsein für eine neue Kommunikationsform herausbildet. Die Überreste der alten Kommunikationsform, dem Brief an den Herausgeber nämlich, zeigen sich noch in reduzierter Form. Und vielleicht lässt sich hier eine Parallele ziehen zum Kommentar im (wissenschaftlichen) Weblog?

newton_new theory about light and colors

Aus: Philosophical Transactions 6 (80), 1671, S. 3075.

Die oben beschriebene Konstellation zwischen Newton, Oldenburg, den Transactions und der Royal Society, sowie der lesenden Community wird im Absatz vor Beginn des ‘Papers’ von Oldenburg noch sichtbar gemacht.1 Es wird von einem “Letter” gesprochen, “containing his New Theory“, der dem Herausgeber am 6. Februar geschickt wurde, “in order to be communicated to the R. Society“.

Sprachlich schlägt sich das Kommunikationsformenwissen und die Sprechsituation des Briefes noch in der reduzierten Anrede nieder. Aber dass diese nur noch formal eine Rolle spielt, zeigt sich im unmittelbar angestrebten Beginn der Ausführungen “without further ceremony”. Newton ist sich sehr bewusst, dass es dieser Brief ist, der abgedruckt werden wird. Das zeigt auch der Verweis auf die Vorgeschichte: “To perform my late promise to you”. Interessant ist, dass er als Prädikat “acquaint” nutzt. Newton setzt Oldenburg in Kenntnis, informiert ihn. Ob darin die Umwegskonstellation zum Ausdruck kommt, in der Newton durch Oldenburg zur Community spricht oder ob es Teil der rhetorischen Strategie Newtons ist, wie sie Bazerman (1988, 90) herausarbeitet als Strategie

“to give an account of his findings so that they appear as concrete fact, as real as an earthquake or ore found in Germany, even though the events that made these facts visible to Newton occured in a private laboratory as the result of speculative ponderings and active experimental manipulations.”

Das Spannungsverhältnis zwischen der zunehmenden Privatheit der Erkenntnisproduktion und der In-Kenntnis-Setzung der Community stand ganz am Anfang der Herausbildung der Transactions und bringt mit der Zeit die wissenschaftliche Öffentlichkeit als solche erst hervor.

Die Frage, die sich mir gerade aufdrängte, als ich den Bazerman (1988) las, war die nach der sprachlichen Gestalt von Kommentaren in (wissenschaftlichen) Weblogs. Bisher bin ich noch nicht über Untersuchungen gestolpert, die das genauer im Blick haben, aber es findet sich von Zeit zu Zeit eine Musterhaftigkeit in Blogkommentaren wieder, die sich von Briefen über E-Mails, Newsletter und Mailinglisten auch in Kommentaren in Weblogs durchhält. Es ist die simple Reihe ‘Anrede-Hauptteil-Grußformel’, um die es hier geht. Aus meinem persönlichen Eindruck heraus finde ich es durchaus ungewöhnlich, diese Struktur in einem Kommentar zu verwenden, aber da treffen vielleicht einfach unterschiedliche Generationen Kommunikationsformenwissen (bzw. -konvention) aufeinander. Günther/Wyss (1996, 66) sprechen von den “konstitutiven Elementen, die funktional die Kontaktaufnahme, den Abbruch des Kontaktes und die Übermittlung der Information regeln: Anrede + Text + Gruss“.

Interessant ist nun, wann und warum es zum Wegfall dieser funktionalen Elemente kommt? Bei den Transactions ist das recht einfach zu erklären: Die Kommunikationsform Zeitschrift wurde für Zwecke der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse funktionalisiert, die spezifische institutionelle Abwicklung (samt Peer Review) muss erst noch entstehen, die Rolle des Herausgebers ist noch viel präsenter, seine medialisierende Rolle ist noch wenig eingeschränkt – er ist noch einer der gewichtigen obligatorischen Passagepunkte (vgl. Star/Griesemer 1989), die zur wissenschaftlichen Öffentlichkeit führen. Im Zuge der Formierung dieser Öffentlichkeit entwickelt sich die eigenständige Gattung des wissenschaftlichen Artikels, der den Zwecken der Briefform entwächst. Mit der Formierung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ergibt sich also eine ganz andere zu bearbeitende Konstellation, die anderer sprachliche Mittel bedarf (vgl. Graefen/Thielmann 2007).

Warum aber, gibt es Kommentare auf Weblogs mit und ohne diese Elemente der Kontaktbearbeitung? Entgegen der Beteiligungsstruktur der Einträge, die man durchaus als massenmedial (1:n) charakterisieren kann, sind die Kommentare oft primär von einem 1:1 eingeprägt: der Kommentator spricht den Blogger an. Das ermöglicht es erst, dass eine ‘Anrede-Text-Gruß’-Form gewählt werden kann, um eine Kontaktsituation explizit zu etablieren.

Hat sich nun unter Bloggern ein Kommunikationsformenwissen ausgebildet, dass solche funktionalen Elemente obsolet macht? Ich denke nicht, dass sie obsolet geworden sind. Ich denke aber, dass sie gewissermaßen abgegeben oder besser delegiert wurden. Kommentatoren, die selber Bloggen, geben sich über die Kommentareingabemaske oft mit ihrem Blogaccount zu erkennen. Bild und Name (als Link) erscheinen dann über dem Kommentar und weisen die sprechende Person aus. Bei hypotheses.org wird das zum Beispiel so artikuliert “H says: [Datum, Uhrzeit] KOMMENTAR [Antwort-Button]“. In der verdauerten Textoberfläche wird der Kommentator auf diese Weise präsentisch als Diskurspartner vorgehalten (vgl. zu Charakteristika des Diskursiven in Weblogs: Schlobinski/Siever Hg. 2007). Interessanterweise anders als der Autor des Eintrags, der in typischer Schriftlichkeitsmanier unter dem Titel mit “Posted on [Datum] by S” genannt wird. Hier scheint auch eine genauere Datierung nicht notwendig zu sein (zumindest bei hypotheses.org).

Was man also vielleicht sagen könnte, ist, dass die kommentatorenseitige Adresse, die Origo des Kommentierenden schon durch die Metadaten des Kommentars zur Darstellung kommen, dass sie nicht eigens, sprachlich hergestellt werden müssen. Das erklärte zumindest die fehlende Grußformel. Das Fehlen der Anrede könnte (gerade bei wiss. Weblogs) als Sachbezogenheit interpretiert werden: Beziehungspflege ist nicht derart vordergründig, als das sie explizit konturiert werden müsste. Aber dazu braucht es noch aussagekräftige Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang unterstützten. Intuitiv würde ich das nicht auf sachbezogene Blogs reduzieren. Vielmehr habe ich den Eindruck, als würde die Kommunikationsform Weblog sich durch eine gewisse Vororientiertheit von Adressanten-Adresse und Adressaten-Adresse (Meiler 2013) auszeichnen. Die Identitäten der Kommunizierenden sind entweder nicht von Belang oder hinreichend ans Hypertextgeflecht angebunden, in dem sie als solche auch immer präsent, gewissermaßen immer erreichbar sind. Der verdauerte Diskurs der Kommentare braucht u.U. eine präzise Temporalisierung2 und ist deswegen nicht nur von präzisen Zeitangaben, sondern mittlerweile auch von hierarchischen Zuordnungen gekennzeichnet.3 Das scheint der wichtigere, zu bearbeitende Zweckbereich zu sein, der der diskutierten Sache gewissermaßen mehr Priorität einräumt, wenn die Kontaktpflege mehr oder weniger automatisiert ist.

Die vorsichtige These, die seit einiger Zeit in meinem Kopf steckt, wäre also, dass es Kommunikationsformen gibt, wie bspw. Weblogs, bei denen die funktionalen Elemente der Kontaktbearbeitung sich wesentlich aus dem Verbund der Soziotechnik ergeben, an sie delegiert werden und dann nicht mehr sprachlich expliziert werden müssen. Es ist dies vornehmlich eine Frage der Adressenkonstitution.4 Der Übergang, den wir darin also heute beobachten können, könnte dem Interim vergleichbar sein, das wir oben bei Newton sahen…

Bazerman, Charles (1988): Shaping Written Knowledge. The Genre and Activity of the Experi­mental Research Article in Science. Madison: The University of Wisconsin Press.

Graefen, Gabriele/Thielmann, Winfried (2007): Der Wissenschaftliche Artikel. In: Auer, P./Baßler, H. (Hg.): Reden und Schreiben in der Wissenschaft.Frankfurt/New York: Campus, S. 67-98.

Günther, Ulla/Wyss, Eva Lia (1996): E-Mail-Briefe – eine neue Textsorte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Hess-Lüttich, Ernest W. B. (Hg.): Textstrukturen im Medienwandel. Frankfurt/Main etc.: Lang, S. 61-86.

Meiler, Matthias (2013): Kommunikationsformenadressen oder: Prozeduren des Situationsvollzugs am Beispiel von Weblogs. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 59/2. S. 51-106.

Schlobinski, Peter/Siever, Torsten (Hg.) (2007): Sprachliche und textuelle Merkmale von Weblogs: ein internationales Projekt. In: Networx 46.

Star, Susan Leigh/Griesemer, James R. (1989): Institutional Ecology, ‘Translations’ and Boundary Objects: Amateurs and Professionals in Berkeley’s Museum of Vertebrate Zoology, 1907–1939. In: Social Studies of Science 19. S. 387–420.

Wichter, Sigurd (1991): Zur Computerwortschatz-Ausbreitung in die Gemeinsprache. Elemente der vertikalen Sprachgeschichte einer Sache. Frankfurt/Main: Lang.

  1. Was ich hier beschreibe, ist keine Neuigkeit, sondern schon wunderbar herausgearbeitet von Bazerman (1988) und z.B. auch Graefen/Thielmann (2007).
  2. Und eigentlich braucht es keinerlei Lokalisierung, als vielleicht nur die im Hypertext – was schon eine spezifische vor allem zeitbezogene Adressenordnung darstellt; vgl. Meiler (2013).
  3. Insofern wird das sog. “Mühlen-Prinzip” (Wichter 1991, 78) noch thematisch ergänzt.
  4. Die Vorstellungen oder besser: das gemeinschaftliche Wissen, das die Kommunizierenden von diesen Adressen haben und die Frage, wie sie diese im Verhältnis zum Kommunizierten einschätzen, ist natürlich nicht vollständig von Gattungs- und Domänencharakteristiken zu trennen.

Quelle: http://metablock.hypotheses.org/516

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De mensura astrolabii: wie und warum man sich ein Astrolab basteln sollte

Vor einigen Tagen habe ich den letzten Teil der kleinen Reihe zum geozentrischen Weltbild des Mittelalters geschrieben: über die Himmelssphäre und ihren Einfluss auf das tägliche Leben. Dass das nicht unbedingt der einfachste Artikel der Reihe war, liegt wohl vor allem an der Schwierigkeit, sich die abstrakt formulierten Vorgänge plastisch vorzustellen.

Das ging den Menschen im Mittelalter natürlich nicht anders. Auch sie taten sich häufig schwer, die Informationen in den lateinischen Texten zu einem großen gedanklichen Modell des Kosmos zu destillieren oder ein solches von den Erscheinungen am Himmel zu abstrahieren.

Gelehrter mit Astrolab. Psalter aus dem 13. Jahrhundert. Paris, BnF, Arsenal, ms. 1186 rés., fol. 1v.

Zum Glück fand ungefähr um das Jahr 1000 herum ein kleines orientalisches Hilfsmittel seinen Weg nach Europa: das Astrolab (im verlinkten Wikipedia-Artikel findet sich die wichtigste Literatur zum Einstieg). Dieses Gerät ist ein Mess- und Vorhersageinstrument für so ziemlich alles, was den hochmittelalterlichen Astronomus interessierte. Ein astronomisches Schweizer Taschenmesser, wenn man so will. Außerdem half es dabei, die komplexen Phänomene am Himmel zu veranschaulichen. Es ist also auch als didaktisches Tool für den Unterricht nutzbar.

TED Video zum Gebrauch des Astrolabs. Hier auch mit deutschem Untertitel.

Ein Astrolab besteht aus verschiedenen aufeinandergelagerten Scheiben, mit denen sich für einen jeweils bestimmten Punkt auf der Erde die wahrnehmbaren Abläufe am Himmel simulieren und vorhersagen lassen. Es zeigt zum Beispiel den Stand der Sonne an, den Sternenhimmel einer jeweiligen Position, die Länge des Tages zu einem bestimmten Datum, und und und.

Oxford, Bodleian Library, MS Ashmole 304, fol. 2v

So simpel Astrolabien zu nutzen sind, so schwierig ist ihre Herstellung. Damit meine ich weniger die Schmiedekunst an sich, sondern vor allem das Erstellen einer korrekten Himmelsprojektion, bei der man die wichtigen Informationen (Ekliptik, Wendekreise, Himmelspol, usw.) eines dreidimensionalen Kugelmodells auf eine zweidimensionale Scheibe projizieren muss (die Problematik ist bei Arianna Borrelli: Aspects of the Astrolabe, Stuttgart 2008 recht anschaulich erklärt). Dabei halfen zwar entsprechende Beschreibungen oder Abbildungen; da jedes Astrolab für eine bestimmte Position neu konstruiert werden musste, erforderte diese Herstellung trotzdem einen Meister seines Faches, der nicht nur eine umfassende Kenntnis der Astronomie, sondern auch der Geometrie besitzen musste – und außerdem ein sehr ausgeprägtes Vorstellungsvermögen.

Brügge, Öffentliche Bibliothek, Ms. 522, f. 61v. Hier ist allerdings lediglich die Rückseite des Astrolabs dargestellt, nicht die kompliziertere Projektion auf der Vorderseite. (Abbildung: Openbare Bibliotheek Brugge, Lizenz http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)

Heute geht das glücklicherweise einfacher: Unter http://in-the-sky.org/astrolabe/ hat Dominic Ford Projektionen für diverse Breitengrade erstellt (die sich aber auch auf die eigene Koordinate ändern lassen), mit denen sich sehr einfach ein voll umfängliches Astrolabium erstellen lässt. Wie man das Gerät dann nutzt, hat er in einem kleinen Aufsatz erklärt: http://in-the-sky.org/astrolabe/astrolabe_jbaa.pdf

Das ganze ist nicht nur hilfreich, um sich die Grundlagen mittelalterlicher Astronomie zu erschließen, ein Astrolabium ist darüber hinaus auch ein schickes Statusobjekt und must have für den Gelehrten von Welt – meiner Meinung nach damals wie heute!

Jan van Eyck, Der heilige Hieronymus im Gehäuse von 1442

 

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/162

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