Javelwasser und die poetische Funktion der Sprache

In den letzten Monaten, die ich in Paris verbrachte, war es dann schließlich so weit: Der Kloreiniger, den ich bis dahin resourcenschonend verwendet hatte, und den ich noch von der Vormieterin geerbt hatte, war endgültig zu neige gegangen. Ich machte mich daher, sobald ich Zeit hatte, auf den Weg zum nächsten Carrefour bei mir um die Ecke, um für Ersatz zu sorgen. Einkäufe von Alltagsgegenständen, insbesondere von Dingen, die man normalerweise komplett ignoriert, waren immer schon ein Horror für mich, wenn ich im Ausland war. Alle Routinen, die man sich über die Jahre angewöhnt hat, werden auf einmal über den Haufen geworfen, und man muss sich nicht nur mit den Standards einer fremden Kultur in einem Bereich auseinandersetzen, der gewöhnlich sehr fern von Unescos Kulturwelterbeliste angesiedelt wird, sondern man wird auch schnell an seine eigene Borniertheit und Abhängigkeit von Alltäglichkeiten erinnert, denen man normalerweise ja kaum Beachtung schenkt.

Als ich vor dem Regal mit WC-Reinigern im Carrefour stand, gingen mir genau diese, und viele andere Gedanken durch den Kopf. Ich dachte an die Seife aus Marseille mit ihren diversen Varianten, viele davon mit Gerüchen von Pflanzen, die ich gar nicht kenne. Lavendel gefällt mir immer am besten, aber vielleicht auch nur, weil ich ihn kenne. Ich dachte auch an eine Studie, die ich gelesen hatte, in der stand, dass wir kulturell geprägt unterschiedliche Gerüche mit Sauberkeit und Hygiene verbinden: In Deutschland denkt man bei Sauberkeit und Keimfreiheit wohl am ehesten an Zitrone, und je weiter man in den Süden geht, desto eher strahlt Chlorgeruch Sicherheit aus, der mich selbst immer eher an Schwimmbäder erinnert, die ich selten mit Sauberkeit verbinde. Ich fragte mich, ob Paris jetzt eigentlich schon südlich genug sei, oder ob sich die Studie dann doch eher auf Spanien und Italien bezogen hätte.

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Quelle: https://wub.hypotheses.org/47

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Die Soziale Frage in den Künsten: Heinrich Heine und der Weberaufstand von 1844

Der folgende Text befasst sich mit der zeitgenössischen künstlerischen Reflektion von Ursachen und Folgen der Industrialisierung und den dadurch ausgelösten sozialen Verwerfungen im 19. Jahrhundert.

Der Begriff der Industrialisierung bezeichnet zunächst eine grundlegende volkswirtschaftliche Veränderung, die zahlreiche europäische Staaten seit ungefähr der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durchlaufen haben. Der vermehrte Einsatz von Maschinen steigerte die gewerbliche Produktion der vorhandenen Betriebe und neuen Fabriken signifikant. Durch die entstehende Massenproduktion verloren die Agrarwirtschaft und das Manufakturwesen an relativer wirtschaftlicher Bedeutung. Diese Entwicklung hatte relevante Folgen auf die Gesellschaft.



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Quelle: http://gafprojekt.hypotheses.org/675

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Die Bundessozialhilfe von 1962 bis 1989 – Ermöglichung eines würdevollen Lebens?

Auf den ersten Blick scheint das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 1962 eine neue Ära der Fürsorge eingeläutet zu haben, stellte es doch vor allem die Prämisse auf, SozialhilfeempfängerInnen gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes ein menschenwürdiges Leben ermöglichen zu wollen. Doch bewirkten das BSHG und seine Novellierungen in den Folgejahren tatsächlich eine Abkehr von der bis dato stärker vorherrschenden Disziplinierung oder gar Diskriminierung und im Umkehrschluss eine Hinwendung zu mehr Dienstleistung?

Nach der Verabschiedung der Rentenreform von 1957 widmete sich der Deutsche Bundestag einer in Fachkreisen längst als überfällig betrachteten Reform des Fürsorgebereichs. Dessen Regelungen, die noch auf die (mehrfach novellierte) Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 zurückgingen, sollten modernisiert und mit dem Grundgesetz in Einklang gebracht werden. Die Leistungen schienen in Zeiten wirtschaftlichen Wohlstands anpassungswürdig. Außerdem befürworteten mehrere Gerichte schon seit längerer Zeit eine umfassende Reform zur Vereinfachung des Rechtsbereichs. Politische Brisanz und Öffentlichkeitswirksamkeit entwickelten die Reform und auch ihre ersten Novellen bis Mitte der 1970er Jahre allerdings nicht. In den Jahren des Wirtschaftswunders schien für viele Akteure Armut als strukturelles, große Teile der Bevölkerung betreffendes Problem überwunden zu sein. Die Arbeitslosigkeit in der BRD verschwand zeitweise nahezu (zwischen 1950 und 1970 lag die durchschnittliche Anzahl von Arbeitslosen bei 150 000).

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Quelle: http://gafprojekt.hypotheses.org/672

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Gerichte sollten sich aus dem wissenschaftlichen Rezensionswesen raushalten!

Mir liegt die in HSOZKULT zurückgezogene Rezension (siehe hier) vor (sie ist übrigens auch in den USA online). Nichts steht meines Erachtens darin, wogegen sich ein Gericht begründeterweise wenden könnte. Ein hysterisch überzogene Auslegung des Persönlichkeitsrechts verkürzt die Wissenschaftsfreiheit, die gerade im Rezensionswesen einen von Einschüchterung freien Diskurs braucht. Rezensenten müssen einen sehr weiten Beurteilungsspielraum haben, wobei Tatsachen (dürfen nicht unwahr sein) und Meinungten (sind grundrechtlich geschützt, sofern nicht Schmähkritik) sich so durchdringen, dass es am sinnvollsten ist, allenfalls für gröbste Entstellungen den Rechtsweg vorzusehen. Wieso dürfen Schul- und Hochschullehrer sich im Prüfungsrecht auf einen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum berufen, wenn ein solcher im Wissenschaftsrecht Rezensenten verwehrt wird?

Das Landgericht Hamburg wird seinem besonders miesen Ruf wieder einmal gerecht, wie sich aus der Darstellung bei HSOZKULT ergibt:

Vor dem Landgericht Hamburg erwirkten [Julien] Reitzensteins Anwälte am 27. Juli 2016 im Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung einen Unterlassungsbeschluss. Ein Rechtsvertreter von Flachowsky war am Verfahren nicht beteiligt.

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Quelle: https://archivalia.hypotheses.org/63262

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Hygge – eine dänische Seligkeit

Die Fahndung nach einer Erklärung, warum die Skandinavier seit Jahren die Spitzenplätze auf der internationalen Wohlfühlskala einnehmen und die Dänen dabei im internationalen Vergleich regelmäßig zu den glücklichsten Menschen gekürt werden, hat zu einer seit Längerem unübersichtlich gewordenen Medienbewachung geführt, nicht zuletzt im angelsächsischen Raum. Auch eine zunehmende wissenschaftliche Abdeckung des Themas ist zu beobachten: In Redaktionen, in Thinktanks oder in wissenschaftlichen Instituten hat sich eine Glücksforschungsindustrie bemerkbar gemacht, die wirklich erstaunlich ist – aber bisher auch noch keine überzeugenden Antworten gefunden hat, warum gerade die Dänen glücklicher sind als ihre Nachbarn oder gar entferntere Nationen, die auf vergleichbarem Zivilisationsniveau auszumachen sind. Genauso wenig ist es bisher gelungen, dass die seit Jahren offensichtliche Korruptionsanfälligkeit der isländischen politischen und wirtschaftlichen Nomenklatur in die einschlägigen Bewertungsskalen eingegangen ist.

In den Fokus ist bei dieser postfaktischen Ursachenergründung seit einiger Zeit der Begriff hygge geraten, ein „Lebensgefühl, das einfach glücklich macht“ (der Begriff kommt eigentlich aus dem Norwegischen). Der Observer nennt eine lange Liste von Dingen, die unbedingt zu hygge gehören,[1] und die Süddeutsche Zeitung brachte Ende 2016 innerhalb von drei Monaten immerhin zwei große Beiträge zum Thema;[2] andere Medien kommen bei der  Berichterstattung auch selten um eine Seite herum. In München residiert ein Online-Shop, der hygge-Artikel vertreibt.

Der Journalist Elmar Jung beschrieb Dänemark schon 2013 auf 300 Seiten im Grunde als hygge-Land. Im Schwedischen gibt es ein vergleichbares Wort nicht, aber die Institution fika kommt dem assoziierten Lebensgefühl recht nahe: fika ist die im Arbeitsleben fest institutionalisierte und mit allerlei Zutaten – vor allem Kaffee – angereicherte und strikt einzuhaltende Arbeitspause am Vormittag und am Nachmittag.

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Quelle: https://nofoblog.hypotheses.org/281

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Die Büchersammlungen des Vinzentinums in Brixen

Angelika Pedron unter Mitwirkung von Klara Tutzer: Die Bibliotheken des Vinzentinums und Johanneums / Le biblioteche del Vinzentinum e dello Johanneum. – Brixen: ProvinzVerlag, 2015. – 280 S. Ill., graph. Darst. 25 cm. – (Erschließung historischer Bibliotheken in Südtirol/Censimento delle Biblioteche Storiche dell’Alto Adige 10). – ISBN 978-8899444-01-3. EUR 22.

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Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/2471

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Dressed to impress – Ein „kaiserlicher“ Exkurs

Krone, Schwert, Szepter, Reichsapfel, Stefansburse, Heilige Lanze, der aus vielen Teilen bestehende Krönungsornat – im Zentrum der Krönung im Reich stand immer eine Reihe von Insignien, in denen sich Herrschaft dinglich verkörperte. Auch die Kaiserin empfing Krone, Szepter und Reichsapfel1; andere Teile der Insignien blieben ihr verwehrt; insbesondere ein Krönungsornat. Sie wurde in kostbaren, weißgoldenen Kleidern nach der jeweiligen Mode der Zeit gekrönt. Für den König bzw. Kaiser jedoch war die Vorbereitung auf seine Krönung jeweils mit einem besonderen Akt verbunden – mit der Anprobe der zahlreichen Teile des historischen Ornats. Dazu gibt es im Archiv der Reichsstadt Nürnberg für die frühneuzeitlichen Krönungen lebendige Berichte, von denen einer heute hier vorgestellt werden soll.

Wie im Vorfeld jeder Krönung, so reisten auch im Dezember 1636 Deputierte des Nürnberger Rates mit umfangreichem Geleit zum Krönungsort und überbrachten die seit 1423 im Heiliggeist-Spital der Reichsstadt aufbewahrten Insignien und den Ornat in einem prachtvollen Kasten2. Im Jahr 1636 war ein weiteres Mal nicht Frankfurt am Main, sondern Regensburg dieser Krönungsort, wohin Kaiser Ferdinand II.

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Quelle: http://kaiserin.hypotheses.org/198

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Zum Anschauen: (Ge)schlecht konstruiert? Gender und Identität aus transregionaler Perspektive

Was gilt als „weiblich“, was als „männlich“? Gibt es eine eindeutige Binarität der Geschlechter, die klare Grenzen zwischen Männern und Frauen bestimmt? Welche Rolle kommt naturwissenschaftlichen Erkenntnissen bei der Bestimmung von Mann-Sein und Frau-Sein zu? Welche Bedeutung haben religiöse, symbolische und andere gesellschaftliche Praktiken bei der Schaffung von Geschlechternormen? Unterschiedliche Gesellschaften stellen sich die Frage nach der Rolle, Funktion und Bedeutung von Geschlecht immer wieder aufs Neue. Nicht nur daran zeigt sich die Flexibilität von vermeintlich eindeutigen und unveränderbaren Geschlechternormen.

Diese Fragen stellten sich am 23. November 2016 bei unserer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Göttinger Centrum für Geschlechterforschung unsere Podiumsteilnehmer*innen. Wer die Veranstaltung verpasst hat oder sie sich noch einmal anschauen möchte, kann das nun tun:



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Quelle: https://gid.hypotheses.org/1505

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Prekäre Arbeit in Zeiten der Digitalisierung

Industrie 4.0, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz – Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Seit den mikroelektronischen Revolutionen der 80er- und 90er-Jahre haben sich viele Arbeitsprozesse radikal gewandelt. Der digitale Kapitalismus unserer Gegenwart zeichnet sich durch enorme Produktivitätszuwächse, einen hohen Grad der internationalen Verflechtung von Wertschöpfungsketten und eine zunehmend individualisierte Produktion aus, die sich permanent und weitgehend automatisiert an Marktschwankungen und Kundenbedürfnisse anpasst. Von dieser Entwicklung profitieren nicht nur die Manager und Aktionäre der großen Technologie-Firmen, sondern auch IT-Spezialisten und viele im industriellen Sektor bestimmter Volkswirtschaften beschäftigte „klassische“ Facharbeiter. Für viele andere Erwerbstätige bedeutet der technische Fortschritt die Bedrohung des Arbeitsplatzes und/oder die Verschlechterung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Sie sehen sich beschleunigten Arbeitsabläufen ausgesetzt, deren schneller Wandel zudem ständige Weiterbildung erforderlich macht.

In einer 2016 veröffentlichten repräsentativen Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes gaben 54% bzw.

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Quelle: https://gafprojekt.hypotheses.org/637

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Überwachen und Strafen im digitalen Spiel

von Andreas Enderlin*

 

Keine Waffen in der Stadt! Schon das antike Pomerium verhinderte eine solche Übertretung und bildete somit eine symbolische Barriere gegen den Regelbruch, die Vorschriftsübertretung. Dass Waffen somit auch im digitalen Spiel häufig in Städten verboten sind, fühlt sich demnach nicht unnatürlich an, eine nachvollziehbare Regel, die auf verschiedene Weisen wachgerufen und durchgesetzt wird. So auch in der Early Access Phase des im Mittelalter des 14. Jahrhunderts angesiedelten „The Black Death“ [i]. Der unfertige Entwicklungszustand eignet sich hervorragend um zu erkennen, dass bereits einige Spielregen mit Priorität festgelegt und implementiert wurden, beispielsweise das besagte Waffenverbot. Während die Kühe der umliegenden Gegend noch aus „exotischem Fleisch“ bestehen und als Spielfehler unter die Kategorie „unfertiger Spielinhalt“ fallen, nahm die Stadt, anders als der lokale Rinderbestand, als Ort des Gesetzes und der waffenfreien Zone scheinbar einen Aspekt mit höherer Priorität. Zückt man eine Waffe nahe der Stadtwache, gibt einem diese prompt zu verstehen, dass man besser keinen Ärger machen sollte. Vorerst bleibt es bei verbalen Warnungen, sobald man ein Messer, ja schon einen Stock schwingt, werden die Hüter des Gesetzes ungemütlich und man segnet bald das Zeitliche.

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Quelle: https://spielkult.hypotheses.org/1370

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