Ekel als Scheidungsgrund
Am 3. April 1850 rechtfertigte sich der 64jährige Schneidermeister Johann Duschek gegen die Vorwürfe, die seine um 33 Jahre jüngere Ehefrau Rosalia Duschek gegen ihn vorgebracht hatte, wie folgt:
Was den 2ten Scheidungsgrund anbelangt, nämlich, daß er mit einem übelriechenden Athem und Ausdünstung behaftet sey, so müße er diesen Umstand als unwahr widersprechen. … Übrigens berufe er sich auf die Wahrnehmung der gerichtlichen Commission, denn, wäre die Angabe der Klägerin in dem Grade richtig, wie sie in ihrer Klage behauptete, so müßte dieser Übelstand auch von dem Gerichte wahrgenommen werden könnnen.
Rosalia Duschek antwortete während derselben Tagsatzung, wie ein Verhandlungstermin vor Gericht bezeichnet wurde, dass für sie
die Ausdünstung ihres Gatten Pest [sei] und es komme ihr vor, als wäre sie in der Nähe eines Leichnames, sie habe deßhalb auch zu Hause nichts eßen können.
Die Gerichtskommission ging auf die Aufforderung des beklagten Ehemanns ein und nahm Stellung zu diesem Übelstande. Der Gerichtsschreiber vermerkte folgendes im Protokoll:
Von Seite der Kommission wird bemerkt, daß Johann Duschek der Gerichtscommission sehr nahe stand, und deßen ungeachtet von der behaupteten übelriechenden Ausdünstung nichts bemerkt wurde, und daß auch die Klägerin dem Geklagten knapp zur Seite stand, ohne durch eine derlei Ausdünstung belästiget zu werden.
Quelle: http://ehenvorgericht.wordpress.com/2012/07/11/ekel-als-scheidungsgrund/
Medienimpulse 2009-2011 im Papieruniversum
Tantner, Anton: Selbstmanagement in der Kontrollgesellschaft: Weblogs und persönliche Homepages, in: Medienimpulse. Beiträge zur Medienpädagogik 2009 2011. Hg. von Alessandro Barberi u. a. Wien: Braumüller (nunmehr: New Academic Press), 2012, S. 324332.
Verlagsinfo: http://www.newacademicpress.at/?page_id=237
Survival of the Fittest, oder „Erst mal veröffentlichen, dann filtern“?
Die Quantität ist nicht der Feind der Qualität, im Gegenteil: Aus der Masse kommt die Klasse, findet der Digital-Humanities-Professor und Blogautor Dan Cohen. Jedenfalls beim wissenschaftlichen Publizieren im neuen digitalen Zeitalter.
Die neuen Open-Access-Publikationsmöglichkeiten verändern das Wesen der wissenschaftlichen Veröffentlichung dahingehend, dass nicht nur die offensichtlich bedeutsamen, “sensationellen” Ergebnisse publiziert werden – „Higgs-Boson entdeckt!“ – , sondern auch weniger Hervorstechendes: zum Beispiel die Überprüfung der Resultate anderer Studien oder negative Ergebnisse, wenn etwa die Hypothese eines Autor sich als falsch herausstellt.
Da oft erst lange nach einer Veröffentlichung klar wird, ob eine Erkenntnis nützlich war oder nicht, empfiehlt Cohen, soll man doch möglichst viel publizieren und die wissenschaftliche Community darüber entscheiden lassen, was wichtig ist:
Aside from rare and obvious discoveries (the 1%), we can’t tell what will be important in the future, so let’s publish as much as possible (the 99%) and let the community of scholars rather than editors figure that out for themselves.
Publizieren im Long Tail
Auch Hubertus Kohle, Professor für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist ein Verfechter dieser Idee. Er vergleicht die „publish first – filter later“-Philosophie der wissenschaftlichen Publikation mit der Idee des „Long Tail“: Analog zum Online-Buchhändler, der dank des unbegrenzt verfügbaren digitalen Speicherplatzes deutlich mehr Titel als nur die üblichen Bestseller anbieten kann, haben in der Wissenschaft auch Ideen eine Chance auf Anerkennung und Weiterentwicklung durch die Community, die im „alten“ System durch das nicht immer unfehlbare Peer Review ausgesiebt werden.
Sie finden das auch? Sie wiegen noch unentschlossen den Kopf? Oder Ihre Alltagserfahrung als Wissenschaftler lehrt Sie das Gegenteil? Hubertus Kohle wird im Rahmen der RKB-Tagung ein Panel moderieren. Melden Sie sich an und diskutieren Sie vor Ort mit. Nach und nach werden wir vorab Statements aller Tagungsteilnehmer hier im Blog posten.
Quelle: http://rkb.hypotheses.org/121
Wie Ernsthaftigkeit leuchten kann: der Archimedes-Palimpsest in Hildesheim
Ausschreibung für Internetpublikation zur Geschichte der Sozialen Sicherheit in der Schweiz
Koloniale Sammelwut – Zur Restitution geraubter Gebeine
Die neue Ausgabe der iz3w fragt gerade nach dem politischen Umgang mit den Schädeln und Gebeinen, die in der Zeit des Imperialismus aus den Kolonien geraubt wurden (siehe hier das Inhaltsverzeichnis). “Dieses Thema mag auf den ersten Blick abseitig erscheinen”, schreiben die Herausgeber. Doch die derzeitigen Rückgabeprozesse bringe die gesamten vergangenheitspolitischen Defizite im Zusammenhang mit der kolonialen Gewalt auf die Agenda.
Das Problem im Aufriss:
Vor über 100 Jahren brachten deutsche Wissenschaftler zahlreiche Schädel und Gebeine etwa aus „Deutsch-Südwestafrika“ nach Deutschland, auch um damit „Rassenforschung“ zu betreiben. Bis heute lagern sie in deutschen Universitätseinrichtungen und Museen. Die Nachfahren der Opfer bestehen auf Rückführung (Restitution) der Schädel ins heutige Namibia, auf offizielle Schuldanerkennung und Reparationszahlungen.
Und das Editorial führt aus:
Nun sehen sich immer mehr anatomische und anthropologische Sammlungen der Frage gegenüber, wie sie sich zu unrechtmäßig erworbenen Gebeinen verhalten und wie sie mit ihrer eigenen rassistischen Geschichte umgehen sollen. Die Restitutionsforderungen werfen viele weitere Fragen auf: Herkunftsländer und Nachkommen der Opfer kolonialer Verbrechen fordern Anerkennung, Aufarbeitung und Entschädigung für erlittenes koloniales Unrecht. Das beginnt mit einer würdigen Rückführung der Gebeine und der Bereitstellung von Mitteln für Gedenkstätten. Es geht weiter damit, den Zusammenhang zu den kolonialen Eroberungen und Kriegen aufzuzeigen. Im Hinblick auf den deutschen Genozid im heutigen Namibia 1903-1908 verknüpfen Opfergruppen mit der Restitution die Anerkennung dieses Tatbestands seitens der deutschen Regierung. Sie fordern eine offizielle Entschuldigung und Entschädigung, und sie wollen sich nicht mit einigen restituierten Schädeln oder mit von Deutschland dekretierten Programmen abspeisen lassen. In den Herkunftsländern tritt mit den Restitutionen der Prozess der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ebenfalls in eine neue Phase.
Es geht also um weit mehr als nur um würdige Bestattungen. Eine angemessene Entschädigung für den Massenmord und die verheerenden Folgen der imperialistischen Zerstörung ist das Thema. Schließlich ist die heutige Unterentwicklung ganzer Kontinente nicht zuletzt ein Ergebnis des Kolonialismus – wie unter anderem Mike Davis in seinem Buch Die Geburt der Dritten Welt (2004) zeigen konnte.
So werden die historischen Gebein- und Schädelsammlung Teil der globalen Verteilungskämpfe.
Einsortiert unter:Erinnerung, Geschichtspolitik, Kolonialismus, Literatur
Pop als Zeitgeschichte
Der Pop ist tot – es lebe die Popgeschichte, so könnte eine voreilige Antwort auf die Frage lauten, ob der Pop nicht mehr Aufmerksamkeit als Gegenstand der zeithistorischen Forschung verdient hätte. Kaum hat man dieses Motto aus dem Feuilleton ausgesprochen, wird jedoch klar, dass es ein bequemes Klischee bedient. Die Popkultur ist bereits des Öfteren für tot erklärt worden. Als Indiz für den behaupteten Verfall dient dabei die Beobachtung, dass sich Pop nicht mehr als eine sichtbare Gegenwartskultur identifizieren lasse, die im sprichwörtlichen Sinne die Massen bewege. Beklagt werden die durch das Internet zusätzlich ausdifferenzierten und fragmentierten Öffentlichkeiten und Szenen, die sich nicht mehr wie in den „guten alten Tagen“ zu politisch relevanten Generationsrevolten aufschaukeln. Hinzu kommt dann noch das Staunen über die ewigen Retrowellen, jene von Simon Reynolds sezierte Besessenheit der Popkultur von ihrer eigenen Geschichte: „We live in a Pop age gone loco for retro and crazy for commemoration.“
Da hat man noch nicht zu Ende gedacht, wie man die 14 CDs der „Original Recording Remastered Edition“ von Pink Floyd im Discovery Boxset mit der eigenen begrenzten Lebenszeit in Einklang bringt, da folgen schon Nirvana mit der künstlich aufgeblähten „Nevermind“, Brian Wilson mit auch noch dem letzten Studiorauschen der Sessions seines grandios gescheiterten „Smile“-Projekts, die ewigen Weltverbesserer von U2 mit 20 Jahren „Achtung Baby“ oder The Who mit 40 Jahren „Quadrophenia“: Man kann getrost den ausgewaschenen Fishtail Parka mit dem Target Patch aus dem Schrank holen. Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Auch im aktuellen Popgeschäft dominieren Souldiven im Retrostyle und vergangenheitsverliebte Stilsymbiosen wie etwa jüngst Lana Del Rey, die gekonnt ihre Reminiszenzen an Nancy Sinatra und den Look von Hollywood mit einer Portion Gangsta Rap mixt.
Die Historiker können dieses Geschehen mit Gelassenheit beobachten. Dass die Popkultur ihre eigene Geschichte in immer höheren Dosen inhaliert, erleichtert ihnen vielleicht das Geschäft. Die Vermarktung der Vergangenheit des Pop bringt neben viel Erinnerungskitsch manch interessante Quelle hervor. Sicher ist die Frage, ob die Ära der Popkultur zu Ende geht, nicht völlig abwegig. Die Digitalisierung scheint zumindest einen Bruch zu markieren, der alte Modelle der Distribution radikal in Frage stellt und den Tod der Musikindustrie in ihrer bisherigen Form in den Bereich des Wahrscheinlichen rückt. Bis die Popgeschichtsschreibung sich aber an Erklärungen für das vermeintliche Ende machen sollte, sind noch viele andere Fragen zu beantworten.
Es wäre auch übertrieben, bereits von einer Konjunktur der zeithistorischen Popforschung oder gar ihrem Siegeszug zu reden. Im Gegenteil. Im Vergleich zur Blüte anderer Forschungsfelder der Zeitgeschichte fällt auf, welches Nischendasein die Popgeschichte noch immer führt. Insofern geht es zunächst um etwas ganz Elementares: die zahlreicher werdenden Pioniere der Pophistory zusammenzubringen, einen Gesprächs- und Verständigungsraum über die theoretischen und methodischen Grundlagen des eigenen Tuns zu schaffen und die Forschungsrichtung auf Dauer und Geltung zu stellen. In diesem Sinne wurde mit der vom ZZF gemeinsam mit dem Arbeitskreis Popgeschichte vom 3. bis 5. November 2011 im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz veranstalteten Tagung „PopHistory. Perspektiven einer Zeitgeschichte des Populären“ ein Forum zu einer ersten Bestandsaufnahme und Vernetzung verschiedener Ansätze geschaffen.
Dabei zeigte sich: Die Zeichen stehen insgesamt nicht schlecht. Diejenigen, die über Pop forschen, bringen eigene Sozialisationserfahrungen ein und können letztere als Resonanzboden voraussetzen. Was schon für die Nachkriegszeit und die umbruchslangen 1960er-Jahre gilt, trifft erst recht zu, wenn die „Wanderdüne“ Zeitgeschichte nun die 1970er, 1980er und 1990er Jahre erreicht: Ohne Popkultur geht da gar nichts mehr. Es gibt inzwischen keine Tabus bei den Themen, und das Verständnis von Pop hat sich deutlich geweitet. Die Zeiten sind gottlob vorbei, wo bestenfalls die Abenteuergeschichten von Rock ´n´ Roll und politischer Revolte oder der hochkulturfähige Jazz die Weihen von ernstzunehmenden Themen erfuhren. Inzwischen ist es schick, über Punk, Disco, Mode und die ganzen anderen habituellen und performativen Welten der Popkultur und deren Wandel zu forschen.
Bodo Mrozek hat in einem Beitrag für „Spiegel Online“ darauf verwiesen, dass die alten Gegensätze zwischen elitärer Hochkultur und Massenunterhaltung für die unteren Schichten schon seit längerem aufgeweicht sind, nicht zuletzt durch die Beschäftigung von Vordenkern wie Greil Marcus, Jon Savage oder Diedrich Diederichsen mit der Popkultur. Plattensammeln und Fanwissen hätten ein ähnliches Prestige erlangt wie vormals die Klavierstunde oder der Museumsbesuch. Am Pop könne man „den kulturellen Wandel ablesen – etwa die Liberalisierung und Nivellierung traditioneller Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Schichten“.[1]. Aus dieser Perspektive öffnet sich ein breites Terrain für eine zeithistorische Forschung, die solche überholten kulturellen Dichotomien hinter sich lässt.
Aus der Feststellung, dass es nicht mehr ohne den Pop geht, wenn man den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts untersuchen will, sollte man jedoch keine falschen Schlüsse ziehen. Den Pop in den Rang einer neuen Meistererzählung zu erheben wäre falsch. Vielmehr geht es darum, dass die neu gewonnene Forschungsperspektive in andere Bereiche der Zeitgeschichte diffundiert. Dies gilt natürlich auch in die umgekehrte Richtung. Blickt man auf die wachsende Zahl der popgeschichtlichen Arbeiten und Projekte, so werden diese Transfers sichtbar: Geforscht und publiziert wird über Pop und Politik, Pop und Konsum, über Popgenerationen, Pop und Dekolonisierung, Pop und Medien, Pop im Kommunismus oder über Pop und Subjektivierungsprozesse.
Um die Popkultur zu historisieren, müssen eigene Begriffe, Konzepte und methodische Zugänge gefunden werden. Dabei gilt es, zur Kenntnis zu nehmen, was in den Nachbardisziplinen an theoretischen Zugängen bereits erarbeitet wurde, etwa in der Ästhetik oder der Kritik. Hier hat die Geschichte definitiv Nachholbedarf. Konsequente Historisierung heißt aber auch, dass die In- und Exklusionen der popintellektuellen Agenda-Setter zur Frage, was Pop ist oder zu sein hat, wie auch die damit verbundenen Diskursrituale selbst zum historischen Quellenmaterial werden. Der Satz von Benjamin von Stuckrad-Barre, Pop sei für ihn, „dass es wahnsinnig darauf ankommt, wann hört man das, von wem hört man das und wie sieht denn der Typ aus, der das sagt“, wäre im Sinne einer intellectual history des Pop zu historisieren.
Das ist für diejenigen, die plötzlich zum Forschungsgegenstand werden, gewöhnungsbedürftig – das wissen wir schon aus der Begegnung einer gegenwartsnäheren Zeitgeschichte mit den Diagnosen der Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Für die Pophistorikerinnen und Pophistoriker auf der anderen Seite bedeutet dies, nicht den Fehler zu machen, jene feinen Unterschiede, die der Pop als intellektuelle Strömung mit seiner „sophistication“ (Nadja Geer) postuliert hat, unreflektiert bei der Wahl der eigenen Forschungsgegenstände zu übernehmen. Berührungsängste gegenüber dem Mainstream, dem allzu Kommerziellen oder dem Banalen im Pop sind aus einer historiographischen Perspektive unangebracht.
Darüber, wie der Pop zeitlich zu verorten ist und welche Phänomene darunter zu fassen sind, gib es unterschiedliche Positionen. Da wird dann auch schon mal Mozart zum Pop erklärt und das Phänomen weit in die Geschichte zurückprojiziert. Eine zweifache Eingrenzung erscheint jedoch sinnvoll. Erstens sollte zwischen Pop und populärer Kultur unterschieden werden. Letztere wäre das aus historiographischer Perspektive breiter zu fassende Gebiet. Pop als Forschungsfeld hingegen sollte zunächst enger gefasst werden. Hier kann man sich an einem Verständnis orientieren, das Diedrich Diederichsen und andere entwickelt haben. Es zielt im Kern auf eine spezifische Form der elektroakustischen Musikproduktion, ihre Performanz und Verbreitung über die modernen Massenmedien und ist nicht normativ angelegt. Pop wäre demnach über spezifische Bedingungen seiner Produktion und Reproduktion sowie über seine performativen und habituellen Dimensionen zu fassen. Hinzu käme die Verschmelzung des Pop als Praxis mit den Diskursen über das Phänomen.
Daraus ergibt sich, zweitens, eine zeitliche Verortung des Pop, die seine Anfänge in den 1950er Jahren und seine Blütezeit im Kontext der Entwicklung der westlichen und zeitversetzt auch der östlichen Gesellschaften zu modernen Konsum- und Freizeitgesellschaften und einer fortschreitenden Medialisierung sieht. Pop könnte so als ein Phänomen untersucht werden, das die gesellschaftlichen Krisen- und Transformationsprozesse der Zeit „nach dem Boom“ begleitet. Auch dies ließe sich angesichts der kulturellen Transferprozesse in einer Ost und West verklammernden Perspektive untersuchen. Dabei wäre auch zu fragen, welche Rolle der Pop für die Erosion der inneren Bindungskräfte der staatssozialistischen Gesellschaften und für den Umbruch von 1989 gespielt hat.
Neben der Gretchenfrage, was wir eigentlich unter Pop in einer historischen Perspektive verstehen und wie er zeitlich zu verorten wäre, gibt es noch einige praktische Probleme für die pophistorische Forschung. Damit sich Zeitzeugenschaft und Historiographie nicht gegenseitig im Wege stehen, müssen diejenigen, die auf dem Gebiet der Popgeschichte arbeiten, ihre eigenen Sozialisationserfahrungen mit Pop kritisch als vorwissenschaftliche Prägungen reflektieren, um sie nicht unter der Hand zum Maßstab für die historische Betrachtung zu machen. Sonst könnte die begrüßenswerte Affinität zum methodischen Problem werden.
Eine Popgeschichte sollte auch technisch informiert sein und sich mit den sich wandelnden Medien der Produktion, Reproduktion und des massenhaften Konsums von Pop beschäftigen. Was bedeuteten etwa das Kofferradio, die Möglichkeit populäre Musiksendungen auf Tonband aufzunehmen, die Mobilität des von Sony eingeführten Walkmen, die erschwingliche Hi-Fi-Anlage im Wohnzimmer oder der Vormarsch von Musikkassette und CD für den Wandel von Kulturtechniken und die Diffusion des Pop in alle Lebensbereiche?
Nachzudenken wäre ferner darüber, wie wichtige Quellen der Popgeschichte dauerhaft gesichert und wie die Archive dafür sensibilisiert werden könnten. Oft sind es private Sammler oder Vereine, die sich um die Erhaltung popkultureller Überlieferungen bemühen, und die bedürfen der Unterstützung. In diesem Zusammenhang wäre auch über Mindeststandards für die Präsentation insbesondere der audiovisuellen Zeugnisse der Popgeschichte in Vorträgen und Publikationen zu reden: Wie zitiert man Schallplatten, und mit welchen Kontextinformationen sollte ein Videoclip versehen sein? Hinzu kommen die Fragen des Urheberrechts und der ganze Komplex der Digitalisierung bis hin zur Frage nach der Zukunft des Pop im Zeitalter des Internet.
All dies sind Aspekte, die bei der wünschenswerten Konjunktur pophistorischer Forschungen mitgedacht werden sollten. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden jedoch den Trend nicht stoppen können. Im Gegenteil. Die Popgeschichte wird auf absehbare Zeit einen festen Platz im Arsenal der Zeitgeschichte erobern. Darauf darf man in jeder Hinsicht gespannt sein.
Dieser Beitrag resümiert grundlegende Überlegungen der Tagung “PopHistory – Perspektiven einer Zeitgeschichte des Populären“ des Arbeitskreises Popgeschichte und des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) im November 2011. Er basiert wurde im soeben erschienenen Jahresbericht 2011 des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) abgedruckt.
[1] Vgl. Bodo Mrozek, Neuer Trend in der Geschichtswissenschaft. Verschwindet Pop in den Archiven?“ – Artikel auf Spiegel.de, erschienen am 12. September 2011 (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,783978,00.html).
Was wird im Jahr 1648 geschehen?
Bildung I.: Bildung und Migrationshintergrund
Von Jens Röcher Dies ist der erste Teil einer Serie, die sich mit den Problemen des Bildungssystems auseinandersetzt. Darin geht es um die Gruppe von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund, die immernoch eine Benachteiligung erfahren. Zunächst einmal zur Begriffsklärung. Was ist eigentlich ein Migrationshintergrund und warum benutzt man nicht einfach den Begriff Migranten? Das liegt einfach daran, dass wir es nicht mehr nur mit Menschen zu tun haben, die außerhalb von Deutschland geboren sind und dann einwanderten. Vielmehr sind inzwischen die Kinder und Enkel der [...]