CODE 5: Ian Milligan about GeoCities, Web Archives and Digital History

GeoCities was one of the largest sites in the early days of the World Wide Web. In 2009 Yahoo! decided to shut down the community-based platform. Thirty-eight million pages and millions of images were about to get lost forever as Yahoo! did not facilitate user export. Ian Milligan is working with web archives and he examines the digital ruins of GeoCities. In this interview we talk about the challenges to work with this big amount of source material: What skills, methods and techniques do we need to work with born-digital collections?

Quelle: http://codinghistory.com/podcast/code5/

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Besprechungen der „Ersten Suchmaschinen“

In den letzten Wochen wurden wieder einige Besprechungen der "Ersten Suchmaschinen" veröffentlicht:

*) Seit gestern online ist Marliese Mendels Rezension für DieZeitschrift.at, ihr Resümee: ein spannendes Buch, das nicht nur Einblick in das Suchverhalten der neuzeitlichen Stadtbewohner gibt, sondern auch nachweist, dass die Adressbüros für die Bürger wichtige analoge Suchmaschinen waren.

*) Etwas skeptischer ist Alexander Pschera im Deutschlandradio Kultur, der vermeint, an einem faszinierenden Thema, der Vorgeschichte der Informationsgesellschaft im ancien régime, nur geschnuppert zu haben und dass es [i]mmer dann, wenn Anton Tantner (...) um die Ecke denkt, es spannend wird, der aber sonst eine minutiöse, mitunter ermüdend detaillierte Beschreibung ausmacht.

*) In der Bücherbeilage zum Falter wiederum liegt für Oliver Hochadel die Stärke von Tantners Buch (...) in der chronologischen und geografischen Breite, er attestiert: Tantner schreibt flüssig und jargonfrei, trotzdem ist die Lektüre des an sich dünnen Büchleins etwas ermüdend. Sein Fazit lautet trotzdem: Die Pionierarbeit ist verdienstvoll.

-Nun, was diese Einschätzung als "ermüdend" betrifft, so bitte ich die beiden Rezensenten, dies mit FAZ-Rezensenten Helmut Mayer auszudiskutieren, der ja von einer kurzweilig zu lesende[n] Darstellung sprach.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022411366/

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Antike „Aussteiger“: Askese an heiligen Orten im Heiligen Land

Sie haben das gutsituierte, aber auch klar vorgezeichnete Leben der römischen Oberschicht hinter sich gelassen und neue Herausforderungen gesucht: Melania die Ältere und Paula von Rom gehören im letzten Viertel des vierten Jahrhunderts zu jenen vornehmen christlichen Witwen, die sich durchaus aufsehenerregend für eine asketische Lebensführung entschlossen, ihre Familien verließen und zu einer Bildungsreise bzw. Wallfahrt zu den Mönchen Ägyptens und ins Heilige Land aufbrachen. An exponierten Stellen errichteten sie dort mit ihrem reichlich vorhandenen Vermögen großzügige Klosteranlagen für Frauen und Männer, in denen sie auch selbst lebten: Melania die Ältere zusammen mit Rufinus von Aquileia ab 378 am Ölberg in Jerusalem, Paula gemeinsam mit ihrer Tochter Eustochium und Hieronymus, den sie schon in Rom kennengelernt hatte, ab 386 in Bethlehem. Die Gebäudekomplexe dienten dabei nicht nur als Orte des Rückzugs und des wissenschaftlichen Arbeitens vor allem für ihre gelehrten Begleiter, sondern wurden auch zu wichtigen Anlaufstätten vieler reisender Christen und sind daher heute am ehesten mit privat geführten Bildungs- bzw. Gästehäusern vergleichbar.

Blick vom Ölberg, Jerusalem (Foto: Michael Hölscher)
Blick vom Ölberg Richtung Altstadt, Jerusalem (Foto: Michael Hölscher)
Statue des Heiligen Hieronymus vor dem Eingang der Katharinenkirche, Bethlehem; Foto: Thomas Hieke
Statue des Hieronymus vor dem Eingang der Katharinenkirche, Bethlehem (Foto: Thomas Hieke)

Konkurrenz zwischen Klöstern

Dass sich Melania und Paula persönlich kannten, lässt sich nur vermuten. Sicher bezeugt sind dagegen die zunächst freundschaftlichen Beziehungen der beiden Studienfreunde Rufinus und Hieronymus. Doch entzündete sich ein heftiger Streit nicht nur um die Rechtgläubigkeit des Origenes und die Frage nach der angemessenen Übersetzung seiner Texte ins Lateinische, sondern auch um richtige asketische Lebensführung. Die benachbarten Klöster konkurrierten zudem um Förderer und Gönner. Während sich Hieronymus der Sympathie zahlreicher Römer versicherte, wurde Rufinus u.a. durch den Bischof von Jerusalem unterstützt, dazu durch einflussreiche Mitglieder der kaiserlichen Familie. Ob die vornehmen Gäste in Jerusalem nicht ganz auf ihren gewohnten Lebensstil verzichteten, was immerhin mehrfach Hieronymus‘ scharfe Kritik hervorrief?

Krise der Klöster

Am Ende des vierten Jahrhunderts gerieten beide Institutionen in Schwierigkeiten. Rufinus reiste 397 nach Italien zurück. Auch Melania trat 400 einen mehrjährigen Heimataufenthalt an und kehrte erst kurz vor ihrem Tod (um 410) nach Jerusalem zurück. Tatsächlich war es ihr gelungen, die Enkelin Melania die Jüngere für eine Nachfolge zu begeistern.

In Bethlehem erkrankte schließlich Paula schwer und starb nach zweijähriger Krankheit 404, was vermutlich die finanziellen Schwierigkeiten von Eustochium und Hieronymus noch steigerte.

Relief über dem Hieronymusgrab, das sich ebenso wie die Gräber der Paula und der Eustochium im nördlichen Teil des Grottensystems unter der Geburtskirche in Bethlehem befindet (Foto: Patrick Strosche)
Relief über dem Hieronymusgrab, das sich ebenso wie die Gräber der Paula und Eustochium im nördlichen Teil des Grottensystems unter der Geburtskirche in Bethlehem befindet (Foto: Patrick Strosche)

Fehden mit der Feder

Als Hieronymus bald darauf seinen Nachruf auf Paula (Ep. 108) verfasste, beabsichtigte er daher keineswegs nur, die trauernde Eustochium zu trösten. Sein Text ist auch als überbietender Gegenentwurf zur hagiographischen Stilisierung der Melania der Älteren zu verstehen, die u.a. Paulinus von Nola (insbesondere Ep. 29) betrieb. Aus Rufins Umfeld stammte dagegen Palladius von Helenopolis, der in seiner 419/20 verfassten Historia Lausiaca an mehreren Stellen (vgl. HL 36; 41) vor allem mit Hieronymus scharf abrechnete.

Und heute?

An den selben Orten in Jerusalem und Bethlehem stehend, bemerken wir, vielleicht mehr, vielleicht weniger erstaunt: So fremd sind uns die Menschen der Antike nun auch wieder nicht …

Literatur in Auswahl:

Alciati, Roberto/ Giorda, Mariachiara, Possessions and Asceticism: Melania the Younger and her slow way to Jerusalem, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 14 (2010) 425/44.

Cain, Andrew, Jerome’s Epitaphium Paulae. Hagiography, Pilgrimage, and the Cult of Saint Paula, in: Journal of Early Christian Studies 18 (2010) 105/39.

Heyden, Katharina, Orientierung. Die westliche Christenheit und das Heilige Land in der Antike (= Jerusalemer Theologisches Forum 28). Münster 2014.

Moine, Nicole, Melaniana, in: Recherches Augustiniennes 15 (1980) 3/79.

Mratschek, Sigrid, Der Briefwechsel des Paulinus von Nola. Kommunikation und soziale Kontakte zwischen christlichen Intellektuellen (= Hypomnemata 134). Göttingen 2002.

Ein Beitrag von Heike Grieser

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/574

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CODE 4: Fiona Krakenbürger über den Einstieg ins Programmieren

An Initiativen zum Programmieren lernen herrscht derzeit kein Mangel. Aber warum ist es überhaupt sinnvoll, wenn sich so viele Menschen wie möglich mit dem Programmieren auseinandersetzen? Fiona Krakenbürger hat ihre ersten Coding-Erfahrungen durch ein Blog begleitet. Sie lernt immer noch Programmieren, aber engagiert sich inzwischen in zahlreichen Projekten, die Leuten den Einstieg in die Welt der Computer erleichtern. Außerdem schreibt sie an einer Bachelorarbeit, in der sie Strategien untersucht, mit deren Hilfe in technischen Communities versucht wird, den Anteil an Frauen zu erhöhen.

Quelle: http://codinghistory.com/podcast/code4/

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Scientific Computing and Cultural Heritage 2015

SCCH 2015 is the fifth conference on scientific computing and cultural heritage to be held at Heidelberg. The conference brings together scientists from applied mathematics and computer science on the one hand and researchers in cultural heritage projects on the other hand. The main topic is the application of scientific computing techniques to improve research work in areas such as art history, archaeology, transcultural studies and similar topics.

SCCH 2015, November 23th – 25th 2015
Internationales Wissenschaftsforum Heidelberg (IWH)

Abstract submission deadline: May 15th 2015

SCCH 2015 will feature mini sessions on predefined topics as well as general session for the presentation of new methodology and/or ongoing project work. Invited key lectures complement the conference program and introduce participants into details of this vibrant new interdisciplinary field.

The organizing committee especially encourages students to present their research work in the student poster session. Four student contributions will be invited to give an oral presentation in special student section of the conference. The best student presentation will be honoured with the SCCH student presentation award.

Further details can be found at the SCCH15 Website.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4898

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Stellenausschreibungen des Deutschen Archäologischen Institutes (DAI) in Berlin im IANUS-Projekt – drei SoftwareentwicklerInnen gesucht

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Deutsche Archäologische Institut (DAI) in Berlin sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die Dauer von vorerst zwei Jahren zwei wissenschaftliche MitarbeiterInnen als ProgrammiererInnen/SoftwareentwicklerInnen (TVöD E13 Bund) in Vollzeit (die Stellen sind jeweils auch teilzeitgeeignet) sowie eine wissenschaftliche Hilfskraft als ProgrammiererIn/SoftwareentwicklerIn für die Mitarbeit am Projekt “IANUS – Forschungsdatenzentrum für Archäologie und Altertumswissenschaften” (www.ianus-fdz.de).

Den vollständigen Ausschreibungstext sowie Kontaktinformationen erhalten Sie unter

Wiss. MA – Softwareentwicklung Backend – http://www.ianus-fdz.de/attachments/download/784/16_2015%20Stellenausschreibung.pdf
Wiss. MA. – Softwareentwicklung Frontend – http://www.ianus-fdz.de/attachments/download/785/17_2015%20Stellenausschreibung.pdf
Wiss. Hk. – – Softwareentwicklung – http://www.ianus-fdz.de/attachments/download/786/18_2015%20Stellenausschreibung.pdf

Beste Grüße
Wibke Kolbmann

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4894

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Buch zur Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus online

Gerhard Senft, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien hat sein 2002 erschienenes Buch als PDF online zur Verfügung gestellt:

Senft, Gerhard: Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934-1938. Wien: Braumüller, 2002. 771 S.
http://austrofaschismus-wirtschaftspolitik.at/

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022411011/

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Zur Auseinandersetzung mit Täterschaft in der eigenen Familie

Von Dr. Oliver von Wrochem Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und die Erinnerung an seine Verbrechen sind 70 Jahre nach Kriegsende als gesellschaftliche Verpflichtung anerkannt. Erster und Zweiter Weltkrieg werden in den Medien stark thematisiert, „Erinnerungskultur“ ist Teil der schulischen Lehrpläne, Holocaust-Überlebende erhalten eine hohe Aufmerksamkeit, die deutsche Justiz ermittelt gegen noch lebende Nazitäter: soviel öffentliche Aufarbeitung war nie. Zugleich werden Stimmen laut, die diese Aufarbeitung als ritualisiert beschreiben und ein Unbehagen an den Formen der Erinnerungskultur artikulieren. In diesem Zusammenhang wird auf die … Zur Auseinandersetzung mit Täterschaft in der eigenen Familie weiterlesen

Quelle: http://erinnern.hypotheses.org/173

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Hitler: Personalisation in historical representation and no end

Who exactly acts in the past and in history? Is it solely the rulers or is Bert Brecht’s literary critique in his poem “Questions from a worker who reads” as necessary today as it was in 1935? It seems that in the classroom a reductive and a balanced  …

English

Who exactly acts in the past and in history? Is it solely the rulers or is Bert Brecht’s literary critique in his poem “Questions from a worker who reads” as necessary today as it was in 1935? It seems that in the classroom a reductive and a balanced approach stand clearly opposed.

 

 

Hitler as a pars pro toto

In an Austrian highschool textbook, we can read:

“Adolf Hitler became Chancellor and President of the Reich shortly thereafter. Immediately after seizing power, Hitler began eliminating all democratic institutions. […] Hitler gradually rescinded the provisions of the Treaty of Versailles. The major powers let him do as he pleased; it was the invasion of Poland in September 1939 that led to the outbreak of the Second World War. After several successful ‘blitzkriegs’, in 1942, Hitler was at the height of his power.”[1]

This textbook presents Adolf Hitler as a figure whose actions were all-encompassing. Because not only was he solely responsible for the planning and implementation of the rise of a specific politics but he is also equated with very many actions performed in Nazi Germany (e.g. “Hitler seized the neutral states […]”. [2] However, one may not agree with the observation that complexities must always be reduced in order to facilitate historical learning. Learning about history does, in fact, require reduction. But how should one deal with this in a tragic chapter of Austrian history? In a 1970 study, Ludwig von Friedeburg and Peter Hübner revealed that a reductive approach contributes to fostering a personalised concept of history, which in turn leads to unacceptable distortions about responsibilities within societies [3]. In this way, a single person is demonised, while many other perpetrators and followers are indirectly decontextualised from history. Such a narrative also contradicts modern research. In recent decades, the field of historical science has been concerned with a differentiated perception of the complex social structure of the Nazi regime.

Historical–didactical insights

If in the Second Republic (almost up until the end of the 20th century) it was common to stylise oneself as the “first victim” [4] in the Austrian master narrative in order to evade shared historical and political responsibility because of the “Moscow Declaration”, access to National Socialism heavily focussed on Hitler concealed the deep structures of a totalitarian society in an entirely different way. [5] Our society (and therefore also the academic discipline dealing with “turbulent history”) may watch over historical representations far more sensitively than the designing of narratives about rulers in other historical periods (e.g. Alexander III of Macedonia or Maria Theresa of Austria). Nevertheless, in other periods of human history, personalised approaches should also be classified as unbalanced and as factually inaccurate. Klaus Bergmann has introduced a central historical–didactical position by criticising such unilateral personalisation in historical accounts from a democratic–emancipatory perspective. Such accounts, he argues, provide children and adolescents with insights neither into the possibilities of individual political action nor into economic, political, and cultural structures; these, he observes, are concealed by “great men”. In addition, personalisation could lead to the relativisation (or even negation) of opportunities for the political participation or involvement of all members of a society. This would also give rise to a potential denial of co-responsibility for political developments within society.[6] In extreme cases, this would also support the idea that there are only active politicians and passive citizens.[7]

Reflection as a necessary attitude

It is therefore necessary to periodically examine the representations of the past appearing in both textbooks and society in terms of the models used to explain the personalisation and personification of historicala actors so as not to lose sight of those moments that have been dealt with in a historical–didactical manner. Indeed, it is often the historical and cultural background noises (e.g. television documentaries with euphonious names such as  “Hitler’s Children”, “Hitler’s helpers”) that evoke a didactic discourse in order to raise awareness among a new generation of history teachers and textbook authors of the problem of personalised history didactics.

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Literature

  • Klaus Bergmann, ‘Personalisierung, Personifizierung’, in: ‘Handbuch der Geschichtsdidaktik’. Edited by K. Bergmann et al. Seelze-Velber: Kallmeyer 1997, p. 298-300.

External links

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[1] Robert Beier, Ute Leonhardt, ‚Zeitfenster 4. Geschichte und Sozialkunde‘, Vienna: Hölzel 2011, p. 49.
[2] Beier/Leonhardt 2011, p. 56.
[3] Ludwig von Friedeburg, Peter Hübner, ‚Das Geschichtsbild der Jugend‘, Munich: Juventa 1970. – From the perspective of history didactics, the following study is still influential to some extent: Heinrich Roth, ‚Kind und Geschichte. Psychologische Voraussetzungen des Geschichtsunterrichts in der Volksschule‘, 2nd ed. Munich: Kösel 1958.
[4] Cf. Heidemarie Uhl, ‚Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. Die Transformation des österreichischen Gedächtnisses‘, in: Monika Flake (ed.), ‚Mythen der Nationen. 1945 – Arenen der Erinnerung‘, vol. 2. Berlin: DHM 2004, pp. 481–508.
[5] In his introduction to ‘Hitler. 1889–1936’, Ian Kershaw attempts to reconcile the contradiction between a structural analysis of society and biographical approaches without overvaluing or devaluing the individual. – Ian Kershaw, ‘Hitler. 1889–1836’, 2nd ed. Stuttgart: dtv 1998, p. 8 – This debate is not foreign to the historical sciences. The currents of “Hitlerism” (I. Kershaw) should also be referred to here. – Ian Kershaw, ‘Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick‘, 13th ed. Hamburg: Nikol 1995, p. 116.
[6] Klaus Bergmann‚ ‚Personalisierung im Geschichtsunterricht – Erziehung zu Demokratie?‘, Stuttgart: Klett 1977, p. 41.
[7] Bergmann 1977, p. 55f.

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Image Credits
© The Federal Archives of Germany, Bild 183-B24543, “Headquarters Army Group South, briefing”. Licensed under CC BY-SA 3.0 de on Wikimedia Commons.“. 

Recommended Citation
Kühberger, Christoph: Hitler: Personalisation in historical representation and no end. In: Public History Weekly 3 (2015) 10, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2015-3764.

Copyright (c) 2015 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: elise.wintz (at) degruyter.com.

Deutsch

Wer handelt eigentlich in der Vergangenheit und in der Geschichte? Sind es die HerrscherInnen alleine oder ist Bert Brechts literarisch vorgebrachte Kritik im Gedicht “Frage eines lesenden Arbeiters” heute genauso notwendig wie im Jahr 1935? Reduktion und Ausgewogenheit stehen sich in der Vermittlung offenbar gegenüber.

 

 

Hitler als pars-pro-toto

In einem österreichischen Schulbuch für die Sekundarstufe I steht zu lesen:

“Adolf Hitler wurde Reichskanzler und wenig später Reichspräsident. Unmittelbar nach der Machtübernahme ging Hitler daran, alle demokratischen Einrichtungen auszuschalten. […] Schritt für Schritt hob Hitler eigenmächtig die Bestimmungen des Vertrages von Versailles auf. Die Großmächte ließen ihn gewähren, erst der Angriff auf Polen im September 1939 führte zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Nach mehreren erfolgreichen ‘Blitzkriegen’ war Hitler 1942 auf dem Höhepunkt seiner Macht.”[1]

In der Darstellung dieses Schulbuches erscheint der Politiker Adolf Hitler als allumfassend handelnde Persönlichkeit, die nicht nur alle Geschicke des Aufstiegs alleine leitet und vollbringt, sondern darüber hinaus auch pars pro toto für ganz viele Handlungen gesetzt wird, die im nationalsozialistischen Deutschland vorgenommen wurden (z.B. “Hitler griff die neutralen Staaten […] an.”).[2] Man mag einer solchen Beobachtung entgegenhalten, dass im Rahmen des historischen Lernens immer Komplexitäten reduziert werden müssten und dass durch derartige Akte historisches Lernen erst ermöglicht werden würde. In der Tat benötigt historisches Lernen Reduktion, doch wie sollte man damit in einem tragischen Kapitel der österreichischen Geschichte umgehen, wenn bereits in einer Untersuchung von Ludwig von Friedeburg und Peter Hübner aus dem Jahr 1970 festgehalten wurde, dass damit der Aufbau eines personalisierten Geschichtsbildes Vorschub geleistet wird und es damit zu unzulässigen Verzerrungen hinsichtlich der Verantwortungen innerhalb von Gesellschaften kommt.[3] Auf diese Weise wird eine einzelne Person dämonisiert und gleichzeitig viele andere TäterInnen und MitläuferInnen indirekt aus der Geschichte dekontextualisiert. Eine solche Erzählung steht zudem im Gegensatz zur modernen Forschung. Gerade die Geschichtswissenschaften bemühten sich in den letzten Jahrzehnten um  eine differenzierte Wahrnehmung einer vielschichtigen gesellschaftlichen Struktur des NS-Regimes.

Geschichtsdidaktische Einsichten

War es im österreichischen Masternarrativ in der Zweiten Republik aufgrund der “Moskauer Deklaration” bis nahezu ans Ende des 20. Jahrhunderts üblich, sich als “erstes Opfer” zu stilisieren,[4] um sich damit der historischen und politischen Mitverantwortung zu entziehen, verschleiert ein stark auf Hitler fokussierter Zugang zum Nationalsozialismus die Tiefenstrukturen einer totalitären Gesellschaft auf eine ganz andere Weise.[5] Es mag sein, dass unsere Gesellschaft und damit auch die Wissenschaft im Umgang mit “heißer Geschichte” viel sensibler über historische Darstellungen wacht, als etwa über die Ausgestaltung von Narrationen zu HerrscherInnen in anderen historischen Epochen (z.B. zu Alexander III. von Makedonien oder Maria Theresia von Österreich). Gleichwohl sind personalisierte Zugänge auch in anderen Zeitabschnitten der Menschheitsgeschichte als unausgewogen und durchaus als sachlich falsch zu klassifizieren. Eine zentrale geschichtsdidaktische Position hat dazu Klaus Bergmann eingebracht, indem er aus einer demokratisch-emanzipatorischen Grundhaltung heraus derartige einseitige Personalisierungen in historischen Darstellungen kritisiert. Sie würden Kindern und Jugendlichen keine Einsicht in die politischen Handlungsmöglichkeiten von einzelnen Menschen sowie in wirtschaftliche, politische und kulturelle Strukturen bieten, da sie durch “große Männer” verdeckt werden würden. Zudem könnte die Personalisierung dazu führen, Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung und Mitgestaltung von allen Mitgliedern einer Gesellschaft zu relativieren oder gar zu negieren. Daraus würde auch ein potentielles Leugnen von Mit-Verantwortung für politische Entwicklungen innerhalb einer Gesellschaft erwachsen.[6] Im Extremfall würde sogar eine Vorstellung unterstützt, nach der es nur handelnde PolitikerInnen und passive BürgerInnen gäbe.[7]

Reflexion als notwendige Haltung

Es gilt daher, in regelmäßigen Abständen die in Schulbüchern und in der Gesellschaft auftretenden Darstellungen der Vergangenheit hinsichtlich ihrer Erklärungsmodelle zu den Handelnden auf Personalisierung und Personifizierung hin zu untersuchen, um nicht jene Momente aus den Augen zu verlieren, die geschichtsdidaktisch als bewältigt gelten. Es sind nämlich oftmals die geschichtskulturellen Nebengeräusche (z.B. TV-Dokumentationen mit den wohlklingenden Bezeichnungen “Hitlers Kinder”, “Hitlers Helfer” o.ä.), die einen an sich bereits geführten fachdidaktischen Diskurs wieder notwendigerweise an die Oberfläche spülen, um den Problemgehalt einer neuen Generation von GeschichtslehrerInnen und SchulbuchautorInnen zukommen zu lassen.

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Literatur

  • Bergmann, Klaus: Personalisierung, Personifizierung. In: K. Bergmann u.a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 1997, S. 298-300.

Externe Links

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[1] Beier, Robert / Leonhardt, Ute: Zeitfenster 4. Geschichte und Sozialkunde. Wien 2011, S. 49.
[2] Beier / Leonhardt 2011, S. 56.
[3] Friedeburg, Ludwig von / Hübner, Peter: Das Geschichtsbild der Jugend. München 1970. – Geschichtsdidaktisch teilweise bis heute prägend gilt dabei: Roth, Heinrich: Kind und Geschichte. Psychologische Voraussetzungen des Geschichtsunterrichts in der Volksschule. 2. Aufl. München 1958.
[4] Vgl. Uhl, Heidemarie: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. Die Transformation des österreichischen Gedächtnisses. In: M. Flake (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arenen der Erinnerung. Bd. 2. Mainz 2004, S. 481-508.
[5] Ian Kershaw versucht in seiner Einleitung zu „Hitler. 1889-1936“ den Gegensatz einer strukturalistischen Gesellschaftsanalyse und biografische Annäherungen zu versöhnen, ohne das Individuum zu erhöhen oder abzuwerten. – Kershaw, Ian: Hitler. 1889-1836. 2. Aufl. Stuttgart 1998, S. 8. – Diese Debatte ist den Geschichtswissenschaften nicht fremd. Auch hier soll auf die Strömungen des „Hitlerismus“ (I. Kershaw) verweisen werden. – Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. 13. Aufl. Hamburg 1995, S. 116.
[6] Bergmann, Klaus: Personalisierung im Geschichtsunterricht – Erziehung zu Demokratie? Stuttgart 1977, S. 41.
[7] Bergmann 1977, S. 55f.

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Abbildungsnachweis
© Bundesarchiv Bild 183-B24543, Hauptquartier Heeresgruppe Süd, Lagebesprechung. Lizensiert unter CC BY-SA 3.0 de auf Wikimedia Commons.“.

Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Hitler: Personalisierung in der historischen Darstellung und kein Ende. In: Public History Weekly 3 (2015) 10, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2015-3764.

Copyright (c) 2015 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: elise.wintz (at) degruyter.com.


 

 

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36. Das Romantische oder: Geschichte wiederholt sich doch nicht

Alles schon mal dagewesenRomantik

Vor kurzem wieder so ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt: Das kennst du doch irgendwoher, hätte ich mir denken können, wenn ich in dem Moment einen vollständigen Satz gedacht hätte. Aber wahrscheinlich kam nur so etwas heraus wie: Ach! Und wenn ich statt Ach! schon einen vollständigen Satz hätte denken können, dann hätte er weniger lauten sollen, dass ich das da irgendwoher kenne, sondern eher, dass ich es irgendwannher kenne. Aber für solche Verstiegenheiten war die Zeit zu knapp. Da war das Ach! einfach schneller.

Unangenehm ist vor allem, dass ich gar nicht mehr genau sagen kann, was mir da so bekannt vorkam. Liegt wohl daran, dass es seit geraumer Zeit so viele Gelegenheiten gibt, Altbekanntem oder vermeintlich längst Vergangenem wieder zu begegnen. Da war man sich zum Beispiel mal im späten 20. Jahrhundert sicher, dass man die ganze Sache mit dem Nationalismus überwunden hätte, bis genau dieser Nationalismus seit den 1990er Jahren wieder fröhliche Urständ feiert und in den letzten 25 Jahren auch keine Anstalten gemacht hat, wieder zu verschwinden. Dabei geht es nicht nur um nationalistisch motivierte, kriegerische Auseinandersetzungen, sondern viel eher noch um die offensichtliche Hoffähigkeit und Veralltäglichung nationalistischer Positionen auf verschiedenen Ebenen der politischen Meinungsbildung. Ob man sich den Aufstieg nationalpopulistischer Parteien in den Niederlanden, in Skandinavien, Ungarn, Frankreich, Deutschland und sonstwo ansieht oder die eingeforderte Selbstverständlichkeit betrachtet, mit der nicht wenige fordern, gegen so genannte Migranten und so genannte Ausländer hetzen zu dürfen („Wir sind keine Nazis, wir sind Bürger“!) – mulmig muss einem werden, wenn es nicht einmal mehr einer gehörigen Wirtschaftskrise bedarf, um solche Emotionen zu schüren.

Die Religion wird gleich mitgenommen. Auch wenn sich die Pegida-Bewegung in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft in einem doppelten Sinn müde gelaufen haben sollte, wird es ersatzweise sicherlich andere Komplexitätsreduzierer geben, denen die Dinge gar nicht einfach genug sein können. Und ‚das Abendland‘, das auch dann wieder verteidigt werden soll, muss natürlich ein irgendwie – also eher diffus – christliches sein, so dass man weiterhin den Krieg der Religionen und Konfessionen ausrufen kann, weil man ja auch in diesen Religionen eine irgendwie geartete Identitäts- und Stabilitätsgarantie zu entdecken vermag.

Aber es sind eben nicht nur die offensichtlichen Beispiele von Nation und Religion, die einem im vergangenen Vierteljahrhundert temporale Schwindelgefühle verursachen konnten, weil das alles schon mal dagewesen ist und eigentlich schon längst abgehakt war. Auch in anderen, politisch gänzlich unverfänglichen Zusammenhängen kann einem das eine oder andere bekannt vorkommen. So können aufmerksame Beobachter kulturwissenschaftlicher Diskussionen zum Beispiel feststellen, wie in den vergangenen Jahren zunehmend versucht wird, den überbordenden Verunsicherungen und Unwägbarkeiten neue/alte Grundlagen entgegenzusetzen. Da gerät die Frage nach dem Sein und der Ontologie unversehens zu einer neuen Blüte, da wird gegen alle möglichen Spielarten von Konstruktivismus die Unmittelbarkeit einer Präsenz hervorgehoben oder da wird gegen nervende Relativierungen ein „Neuer Realismus“ ausgerufen. [1] Generell war das Geschimpfe gegen alles, was man als „postmodern“ bezeichnen konnte, ja schon immer groß, nun kommt es aber zunehmend auch aus den Reihen derjenigen, von denen man bisher immer denken durfte, dass sie eigentlich zu diesen „Postmodernen“ dazu gehören. Das scheint nach dem Motto zu laufen, dass dieses ganze theoretische Herumexperimentieren ja ganz nett war, nun aber mal Schluss mit dem Quatsch sei, weil es jetzt wieder ernst werde: Kriege, Krisen, Katastrophen! [2]

Eine zweite Romantik

Natürlich ist klar, woher wir das alles schon kennen, dieses zunächst ironisch-experimentelle Herumspielen, das aber schon recht bald übergeht in die Suche nach dem Eigentlichen, dem Essentiellen, dem Wirklich-Wahren, dem eigentlich Unfassbaren, das so groß ist, dass man sich ihm einfach nur noch hingeben kann. Unabhängig davon, ob dieses Eigentliche, mit dem wir es da zu tun haben und das alles übersteigt, nun Nation, Religion, Geist, Gott, Wirklichkeit, Wahrheit oder sonstwie heißt – es widersetzt sich letztendlich allen Differenzierungen und Theoretisierungen und kann in seiner Großartigkeit nur noch hingenommen werden. Die Romantik hat all das schon einmal ähnlich durchgespielt. Und in der Tat sind die Parallelen fast schon unheimlich: Zunächst haben wir es mit einer theoretischen Bewegung zu tun, die es unternimmt, die Grundlagen der sicher geglaubten Welt zu erschüttern (dort Aufklärung, hier Postmoderne), sodann eine politische Revolution, die mit dieser Erschütterung tatsächlich ernst macht (dort Französische Revolution 1789, hier die europäischen Revolutionen 1989/90), gefolgt von der schwierigen und zähen Aufarbeitung all dessen, was da geschehen ist. In der anschließend entstandenen Verwirrung, ausgelöst durch den Verlust einst sicher geglaubter Wirklichkeitsparameter, wird nicht ausschließlich, aber doch ganz merklich der Versuch beobachtbar, verlorene Gewissheiten wiederzugewinnen. Dann macht es mit einem Mal Sinn, sich wieder auf die Religion zu kaprizieren, die Nation zu vergöttern, die Wahrheit wertzuschätzen oder die Einheit in der Wirklichkeit wieder zu entdecken, weil in all diesen Essentialismen das endlose Differenzieren und Relativieren endlich ein Ende findet.

Diese zeitlichen und inhaltlichen Parallelen sind so frappierend, dass man doch wohl mit Fug und Recht davon sprechen könnte, wir lebten in einer zweiten Romantik (nach der „Zweiten Moderne“ wäre das ja durchaus folgerichtig). Und wäre dem so, hätten wir zwei ganz wichtige Erkenntnisse gewonnen: Erstens hätten wir bestimmte historische Verlaufsformen, wenn nicht sogar eine grundlegende historische Gesetzmäßigkeit ausfindig gemacht. Und zweitens könnten wir dann auf dieser Basis sogar voraussagen, wie sich zumindest in groben Zügen der weitere Verlauf der Entwicklungen vollziehen wird. Heureka!

Alles noch gar nicht dagewesen

Aber nein, so ist es natürlich nicht. War nur ein Scherz. Die Rede von einer zweiten Romantik (oder einem zweiten Wasauchimmer) mag zwar auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, erweist sich aber schnell als Popanz. Also keine Sorge, die Geschichte wiederholt sich nicht. Sie tut es nicht nur nicht, weil es verboten oder argumentativ zu einfach wäre. Auch tut sie es nicht, weil um 1800 einige Aspekte eine eher geringe Rolle gespielt haben, die uns um 2000 wesentlich stärker betreffen, zum Beispiel die globalen Kommunikationszusammenhänge, in die wir eingebunden sind (während die erste Romantik schon ein sehr europäisches Phänomen war), oder die überbordend große Rolle ökonomischer Fragen, die im frühen 19. Jahrhundert bei weitem nicht so bedeutsam waren. Sie tut es vor allem nicht, weil ein solcher Blick, der sich auf die Wiederkehr bestimmter historischer Verlaufsmuster konzentriert, nur das sieht und betont, was er sehen will. Alles Unpassende wird beiseitegeschoben. Und die Verwandtschaft der Jahreszahlen zu betonen (1789-1989) übersieht entweder, dass dazwischen doch zwei Jahrhunderte Differenz liegen, oder hat sich noch nicht wirklich von der Macht kabbalistischer Zahlenmystik befreit. Dem kann man dann möglicherweise historische Prozesse auch dadurch erklären, dass man auf die Namensähnlichkeit von Staatschefs verweist: Lenin-Stalin-Putin!

Aber ein gewisses Muster gibt es natürlich trotzdem. Allerdings liegt das weniger in ‚der Geschichte‘ (was auch immer mit diesem vermeintlich alles erklärenden Gottersatz gemeint sein mag), sondern eher bei uns. In der Art und Weise, wie wir uns auf abwesende Zeiten beziehen, wie wir mit Vergangenheit und Zukunft als Orientierungshorizonten operieren, versuchen wir unsere eigene Gegenwart zu organisieren. Und auf Verunsicherungen, die aus einem empfundenen oder tatsächlichen Übermaß an Veränderungen resultieren, kann man unter anderem reagieren, indem man auf vermeintlich überzeitlich gültige Grundlagen rekurriert. Dann müssen mit einem Mal die seltsamsten Konstrukte herhalten, um den Irritationen des Konstruktivismus zu entgehen. Dann werden Nation und Religion (natürlich die jeweils ‚eigene‘) mit einem Mal ebenso bedeutsam wie die Unbestreitbarkeit der einen Wahrheit oder der einen und einzigen Wirklichkeit. Gab es jemals eine bessere Zeit für postmoderne Dekonstruktionsarbeiter als diese, in der man sich allenthalben nach neuen Konstrukten sehnt?

Damit hätten wir aber kein historisches Grundgesetz formuliert, sondern höchstens Einsichten in die allzu menschlichen Unzulänglichkeiten gewonnen. Dass Verunsicherungen und Turbulenzen nicht angenehm sind, lässt sich schon aus der Genesis lernen. Aus dem Paradies vertrieben zu werden, war offensichtlich nicht besonders angenehm. Und seither suchen zumindest manche Vertreter der Gattung Mensch den Weg dorthin zurück, in die geordneten, sorgenlosen und ewig gültigen Verhältnisse eines Paradieses, in dem irgendeine höhere Instanz dafür sorgt, dass alles bleibt, wie es ist. Aber dieses Paradies wäre die Hölle.

Die Romantik des Historischen

Dummerweise sind von solchen Phänomenen der Re-Romantisierung alle historischen Tätigkeitsfelder ganz besonders betroffen. Insofern ist es kein Zufall, dass man es seit den 1990er Jahren mit einem unübersehbaren Geschichts- und Erinnerungsboom zu tun hat, bei dem nicht nur alles und jedes historisiert wird, sondern bei dem vor allem ‚die Geschichte‘ mal wieder die versichernden Antworten auf all die verunsichernden Fragen zu geben hat. Insofern muss ich mir tatsächlich Sorgen machen über die anhaltende Attraktivität meines eigenen Arbeitsgebiets.

Daher heißt es gegensteuern. Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben sollten: Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hat gerade nicht die Funktion, zur Orientierung und Identitätsbildung oder sonstigen Versicherungsmaßnahmen beizutragen. Das kann nur gelingen, wenn man nicht so genau hinsieht und das Gewesene als billiges Argumentationsarsenal missbraucht. Ganz im Gegenteil hat die Beschäftigung mit der Vergangenheit die Aufgabe, uns in unserer selbstverständlichen Bräsigkeit zu verunsichern, Alternativen aufzuzeigen, von denen wir noch nicht einmal wussten, dass sie existieren könnten, und das vermeintlich überzeitlich Gültige als zeitlich recht beschränkt vorzuführen. Und das gilt sowohl für die Suche nach unbezweifelbaren Grundlagen (schließlich muss man laut Wittgenstein an allem zweifeln – nur am Zweifel selbst nicht) wie auch für die Illusion von historischen Gesetzmäßigkeiten.

 

[1] Hans Ulrich Gumbrecht: Präsenz, Berlin 2012; Markus Gabriel (Hg.): Der Neue Realismus, Berlin 2014

[2] Dazu scheint zu passen, dass diese theoretischen Expermientierfelder gerade ihre eigene Historisierung erfahren: Ulrich Raulff: Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens, Stuttgart 2014; Philipp Felsch: Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960-1990, München 2015.


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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2015/03/26/36-das-romantische-oder-geschichte-wiederholt-sich-doch-nicht/

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