Voransicht der Edition: Protokoll der 82. Sitzung des Gesamtreichsministeriums, 1849 Januar 22

Die Edition der Protokolle und ausgewählter Akten der Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland soll Ende des Jahres 2014 im Manuskript fertig gestellt sein. Ein Teil der Dokumente ist aber bereits jetzt fertig bearbeitet. Als Kostprobe der geplanten Publikation folgt hier das Protokoll der 82. Sitzung des Gesamtreichsministeriums am 22. Januar 1849 samt zwei Beilagen. Das Nachstehende ist zur Publikation hier leicht umformatiert worden, entspricht aber in den meisten Hinsichten dem Erscheinungsbild, das die fertige Edition haben soll. Rückfragen oder Bemerkungen sind ausdrücklich willkommen! Einige Erläuterungen […]

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/695

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Chronicon Bürglense – Einleitung, Übersetzung und Kommentar (Kapitel 1)

Nachdem es im Blog aus verschiedenen Gründen eine Weile still war, soll nun eine neue Reihe gestartet werden. Geplant ist es, in den nächsten Monaten kapitelweise das sogenannte Chronicon Bürglense, Gründungsbericht und Traditionsbuch des sanktblasianischen Priorats Bürgeln mit lateinischem Text und deutscher Übersetzung im Blog zu veröffentlichen. Damit adaptieren wir eine Idee des Mittelalterblogs, wo seit einigen Monaten eine Übersetzung der Historia Occidentalis des Jakob von Vitry veröffentlicht wird.

Im Folgenden soll kurz die Relevanz der Quelle für die Forschung sowie deren Inhalt, Entstehungskontext und Überlieferung vorgestellt werden. Daran an schließen der lateinische Text und eine deutsche Übersetzung des ersten Kapitels, sowie ein kurzer Kommentar zum ersten Kapitel.

I. Relevanz der Quelle für die Forschung

Zwar hat das Chronicon Bürglense einen deutlich lokaleren Bezug als die Historia Occidentalis des Jakob von Vitry, es handelt sich aber keineswegs um eine nur für die landesgeschichtliche Forschung interessante Quelle. Es ist vielmehr ein gutes Beispiel dafür, dass die anlässlich der Ausschreibung eines Editionsstipendiums von den MGH unlängst postulierte Trennung in landesgeschichtliche Quellen einerseits und für die Mittelalterliche Geschichte im Allgemeinen relevante Quellen andererseits, kaum möglich ist.1 Das Chronicon bietet nämlich sowohl Informationen für die landesgeschichtliche Erforschung des Klosters St. Blasiens, von dessen Prioraten sowie der Adelsgeschichte des Breisgaus, ist aber auch als Beispiel klösterlicher Gründungsgeschichten oder Historiae fundationum monasteriorum – so der von Jörg Kastner gewählte Sammelbegriff2 – relevant. Es bietet Ansatzpunkte für Fragen nach Entstehungsgrund und Funktion dieser Quellen3, aber auch zu Fragen adligen Selbstverständnisses, klösterlichen Reformbewegungen oder der Qualität von Besitzübertragungen.

II. Inhalt

Ähnlich wie die wesentlich prominenteren Zwiefalter Chroniken (1, 2) beschreibt das Chronicon Bürglense die Gründung eines, wenn auch deutlich kleineren Klosters, durch eine Adelsfamilie. Im Falle des zwischen Basel und Freiburg, unweit von Schliengen gelegenen Bürgelns,4 war dies die nach Ausweis des Chronicons die im Breisgau, Burgund und Rhätien begüterte Familie der Herren von Kaltenbach. Anders als die Gründer von Zwiefalten, die Grafen Liutold von Achalm und Kuno von Wülflingen, traten Werner von Kaltenbach und seine Frau Ita aber bereits anlässlich der initialen Schenkung in das Kloster St. Blasien ein, ein Schritt, den  – teilweise vor, teilweise nach den Eltern – auch zwei Söhne und zwei Töchter vollzogen.5. Damit traten alle Mitglieder der Familie ins Kloster St. Blasien und dessen Priorate ein,6, hier Kapitel 2, S. 367)), ein in seiner Totalität durchaus ungewöhnlicher Fall.7

Neben dem beinahe hagiographisch anmutendem Lob der Gründerfamilie und deren Klostereintritt, schildert das Chronicon auch die weitere Entwicklung Bürgelns und damit verbundene Rechtsstreitigkeiten. Besonderen Raum nimmt dann das Wirken der von Werner dem Jüngere und Wipert von Kaltenbach, den Söhnen des ursprünglichen Schenkers, für Bürgeln ein. Während beide zeitweise als Pröpste von Bürgeln tätig waren8, hebt das Chronicon insbesondere Wipert von Kaltenbach hervor, der im 17. und letzten Kapitel des Chronicons – einer Auflistung von Traditionsnotizen – mehrfach als Ankäufer von Gütern und Vermittler von Schenkungen dargestellt wird.9. Das Chronicon Bürglense beinhaltet damit auch Elemente eines Traditionsbuchs, wenngleich mir diese weniger im Vordergrund zu stehen scheinen, als dies Jörg Kastner in seiner vergleichenden Studie postuliert und in der “Darstellung der Besitzgeschichte” Bürgelns, das “eigentliche[n] Vorhaben” des Chronicons gesehen hat10.

III. Entstehungskontext und Überlieferung

Das Chronicon selbst ist wohl zwischen 1160 und 1180 im Kloster St. Blasien entstanden, ein späteres sankblasianisches Repertorium schreibt es einem Mönch Konrad des 12. Jahrhunderts zu, der möglicherweise noch Zeitgenosse Wiperts von Kaltenbach war.11.

Das Chronicon Bürglense liegt bislang nicht in einer modernen Edition, sondern lediglich in einem Druck des 18. Jahrhunderts vor, den der Sanktblasianer Mönch Rusten Heer besorgte.12. Dieser stützte sich dabei zwar hauptsächlich auf eine Abschrift des Chronicons, die 1494 der Notar Ulrich Buck anfertigte und zudem ins Deutsche übersetzte,13) konnte aber auch noch auf das heute verlorene Autograph zurückgreifen, nach Angabe Bucks ein ungefähr handbreiter und sieben Ellen langer Rodel, der heute wohl verloren ist.14 Heer notierte gelegentlich Variationen aus dem Autograph hielt sich aber sonst an die Abschrift Bucks, der nach Heer auch die zusammenfassenden Kapiteltitel verfasste.15.

Notarszeichen und Schriftproben

Notarzeichen des Notars Ulrich Buck und Schriftproben aus dem heute verlorenen Autograph sowie der Handschrift GLA Karlsruhe 65/139, gedruckt Chronicon Bürglense, S. 384

 

IV. Lateinischer Text und Deutsche Übersetzung

Kapitel 1: Qualiter Monasterium in monte Bürglen inchoatum sit, et cuius mons ipse antea fuit?

Omne, quod praedicatur aut scribitur, si veritatis ratione caret, vacuum et inane non ambigitur. Unde ad depellendas caliginosas tetrae oblivionis tenebras, et ad verae cognitionis luces serenandas, stili narratione duximus dignum, ad utilitatem posterorum, qualiter Dei servitium in monte Bürglon monasteriali more sit initiatium. Praedictus namque mons cum omni sua pertinentia in Dominium parentelae, quae dicitur de Caltinbach, attinet hereditario iure a progenitorum prosapia, et illorum potestati deditus fuit et subditus curae. Nam pridem vetus ibidem constructa habebatur ecclesia, ac unius Clerici informabatur instantia: Nunc vero Domini optitulante gratia monachorum (uti in praesenti cernere est) solerti instituitur vigilantia.

Kap. 1: Wie das Kloster am Berg Bürgeln begonnen sein soll und wem der Berg zuvor gehörte?16

Man zweifelt nicht an, dass alles, was verkündet oder geschrieben wird – sofern es am Grundsatz der Wahrheit mangelt – leer und unnütz ist. Deshalb, um die dunkle Finsternis des schändlichen Vergessens zu vertreiben und um das Licht der wahrhaften Erkenntnis zu erhellen, hielten wir es für angemessen zum Nutzen der Nachwelt zu erzählen, wie am Berg Bürgeln der Dienst an Gott nach klösterlicher Gewohnheit seinen Anfang nahm. Der besagte Berg gehört – erbrechtlich von einer Vorfahrensippe herrührend – nämlich, mit allem seinem Zubehör zur Herrschaft einer Verwandtengruppe, die von Kaltenbach genannt wird; er war ihrer Herrschaft gegeben und ihrer Obhut unterworfen. Dort soll vor langer Zeit eine alte Kirche erbaut und ihr durch die Emsigkeit eines einzelnen Klerikers Gestalt gegeben worden sein. Nun aber ist sie dank der Hilfe und der Gnade des Herrn mit der klugen Fürsorge der Mönche versehen worden (wie es derzeit zu sehen ist).

V. Kommentar

Jörg Kastner hat dieses erste Kapitel als “einleitende Arenga” beschrieben, in der “in gewohnter Weise die Entstehungsursache des Werkes” angezeigt werde.17. Dabei wird einerseits auf den Nutzen des Werks für die Nachwelt (ad utilitatem posterorum) verwiesen, andererseits ein allgemeiner Impetus für Geschichtsschreibung bemüht, nämlich, dass Geschehenes nicht in Vergessenheit geraten dürfe (ad depellendas caliginosas tetrae ovlivionis tenebras).

Ist die Rechtfertigung des Schreibens also eher topisch gehalten und kann als “weiteres Beispiel für die im Hirsauisch-St. Blasianischen Bereich wirksamen Formtendenzen” beschrieben werden,18, so scheinen mir die allgemeine Qualität des Lateins, insbesondere aber die Bemühungen um eine ausgeprägte Metaphorik, sowie gewisse Parallelitäten in der Satzkonstruktion (ac unius Clerici informabatur instantia […] monachorum solerti instituitur vigilantia) auf eine hohe sprachliche Bildung des Autors und dessen literarischen Anspruch hinzuweisen. Auch wenn der Autor ähnliche Werke möglicherweise gekannt hat, habe ich aber keine größeren Übernahmen aus anderen Werken feststellen können.

Mangels eigener Kompetenz in der Beurteilung sprachlicher Fragen wird sich die Kommentierung künftiger Kapitel eher auf den historischen Kontext konzentrieren, für Anregungen, Kommentare und Hinweise zur sprachlichen Qualität des Chronicon Bürglense sowie hinsichtlich von möglichen wörtlichen Übernahmen aus anderen Quellen bin ich aber sehr dankbar.

Empfohlene Zitierweise: Chronicon Bürglense, Kapitel 1, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Johannes Waldschütz, in: Mittelalter am Oberrhein, 13. Juni 2014,  http://oberrhein.hypotheses.org/?p=425 (ISSN: 2199-210X).

  1. Vgl. dazu auch die Diskussion bei Archivalia
  2. Vgl. Jörg Kastner: Historiae fundationum monasteriorum. Frühformen monastischer Institutionengeschichtsschreibung im Mittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 18), München 1978
  3. Vgl. die bisherige Forschungsdiskussion zusammenfassend: Stephan Molitor: Das Traditionsbuch. Zur Forschungsgeschichte einer Quellengattung und zu einem Beispiel aus Südwestdeutschland, in: Archiv für Diplomatik 36 (1990), S. 61–92, der dazu tendiert auch Chartularchroniken als Traditionsbücher einzuordnen und deren rechtliche und sakrale Funktion gegenüber deren historiographischer und administrativer Funktion höher bewertet. Den historiographischen Aspekt betonen Kastner, Historiae und Hans Patze: Adel und Stifterchronik. Frühformen territorialer Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Reich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 100 (1964), S. 8–81 und 101 (1965), S. 67–128. Dabei hebt Patze eher die Bedeutung der Chronistik für den Adel hervor, während Kastner diese als “Frühformen monastischer Institutionengeschichtsschreibung” deutet
  4. Nicht wie Kastner, Historiae S. 45 fälschlicherweise meint Bürglen in der Schweiz
  5. Vgl. zur Chronologie der Eintritte Adolf Schmidt-Clever: Die Gründung der Probstei Bürgeln. Mit einem Nachwort von Friedrich Pfaff, in: Alemannia 40 (1912), S. 47-80, hier S. 76f., online einsehbar mit US-Proxy; hinsichtlich der historischen Fragen wenig hilfreich aber den Inhalt paraphrasierend: Robert Gerwig:
  6. Ein im Chronicon genannter dritter Sohn tritt ist sonst nicht historisch greifbar und könnte früh verstorben sein, vgl. Conradi de S. Blasio Chronicon Bürglense, hg. von Rusten Heer, in: Ders.: Anonymus Murensis denudatus et ad locum suum restitutus seu acta fundationis principalis Monast. Murensis denuo examinata, et auctori suo adscripta…, Freiburg i. Br. 1755, Appendix II, S. 365-84, Digitalisat bei der Bayerischen Staatsbibliothek
  7. Vgl. als Parallelbeispiel den Fall der Grafen von Cappenberg, die ihre Burg in ein Stift umwandelten, Norbert Bewerunge: Der Ordenseintritt des Grafen Gottfried von Cappenberg, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 33, 1981, S. 63-81
  8. Vgl. dazu Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien im Schwarzwald. Von den Anfängen bis zum Jahr 1299, bearb. von Johann Wilhelm Braun (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A: Quellen 23), 2 Bde. und CD, Stuttgart 2003, Vorbemerkung zu Nr. 131
  9. Chronicon Bürglense, S. 381-383, UB St. Blasien, Nr. 131
  10. Vgl. dazu Kastner, Historiae, S. 45f. mit der Beurteilung des Werks als “Vorstufe einer Cartularchronik“
  11. Conradi Monachi Saeculo XII, vgl. ausführlich Adolf Schmidt-Clever, Gründung, S. 47
  12. Conradi de S. Blasio Chronicon Bürglense, hg. von Rusten Heer, in: Ders.: Anonymus Murensis denudatus et ad locum suum restitutus seu acta fundationis principalis Monast. Murensis denuo examinata, et auctori suo adscripta…, Freiburg i. Br. 1755, Appendix II, S. 365-84, Digitalisat bei der Bayerischen Staatsbibliothek
  13. Heute GLA Karlsruhe 65/139, vgl. zu dieser Handschrift den Eintrag im Katalog: Die Handschriften der Staatsarchive in Baden-Württemberg, Bd. 2: Die Handschriften 65/1-1200 im Generallandesarchiv Karlsruhe beschrieben von Michael Klein, Wiesbaden 1978, hier S. 61 (online einsehbar bei Google Books); ebenfalls zu dieser und weiteren davon abhängigen Handschriften, UB St. Blasien, Nr. 130 (Vorbemerkung
  14. Vgl. Chronicon Bürglense, S. 383
  15. Chronicon Bürglense, S. 365.
  16. Für Hilfe bei der Übersetzung bin ich Dr. Tobie Walther, Mark Wittlinger M. A. und Albert Stoer zu großem Dank verpflichtet
  17. Kastner, Historiae, S. 45
  18. Kastner, Historiae, S. 45

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/425

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Interoperationalität und semantisches Web für Mediävisten. Bericht zur Training School “Transmission of texts. New tools, new approaches” am IRHT Paris (31. März – 4. April 2014)

Training School am IRHT (Foto: Hanno Wijsman)

Training School am IRHT (Foto: Hanno Wijsman)

Anfang April konnte ich an einem gemeinsam von der COST Action „Medioevo Europeo“, dem Institut de Recherche d’Histoire de Textes (IRHT) und dem Projekt Biblissima organisierten Digital Humanities-Seminar teilnehmen. Unter dem Titel “Transmission of texts. New tools, new approaches”(mehr Infos: hier) standen dabei vor allem Fragen der Interoperationalität und das semantische Web im Vordergrund. Anhand konkreter Praxisbeispiele wurden hier neue Ansätze und Tools vorgestellt, die sich teilweise noch in der Entwicklung befinden, die aber zugleich auf sehr viel hoffen lassen. Damit verbunden war eine ebenfalls sehr praxisorientierte Einführung in TEI-XML und RDF.

Die Training School bot eine ganze Woche lang jeden Tag von 9 bis 19 Uhr ein intensives Programm. Von daher kann ich leider nicht alles wiedergeben, was ich hier gesehen und gelernt habe. Ich versuche aber mal, zumindest die Highlights zusammenzufassen, die ich mir notiert habe. Wer weitere Fragen hat, kann sich gerne an mich wenden.

Wichtiger Bestandteil des Programms war natürlich die Vorstellung der Beteiligten und deren Projekte. Nicht zuletzt, weil hier auch genau mit jenen Hilfsmitteln und Methoden gearbeitet wird, die im Rahmen der Training School vorgestellt wurden. Die Bedeutung der Interoperationalität und die Funktionsweise des semantischen Webs ließen sich so direkt am konkreten Beispiel nachvollziehen.

Sismel / Trame

Da ist einerseits das italienische Projekt TRAME, das am SISMEL in Florenz beheimatet ist, einer der Stützen der COST Action. Ziel von TRAME ist es, eine Metasuchmaschine für alle Datenbanken und -repositorien zu konstruieren, die Informationen zu mittelalterlichen Handschriften enthalten (Digitalisate, Kodikologie, Textgeschichte).

IRHT

Hauptveranstalter der Training School jedoch war das IRHT, in dessen Räumen auf der Avenue de Iéna auch die meisten Veranstaltungen stattfanden. Leider ist das IRHT in Deutschland kaum bekannt, was wirklich schade ist. Denn das auf die Erforschung alter Handschriften und Texte und deren (Überlieferungs-)Geschichte spezialisierte IRHT ist eine geradezu unglaubliche Einrichtung. Seit seiner Gründung in den 1930er wird hier alles gesammelt, was sich in Frankreich und weltweit zu Handschriften und alte Texten finden lässt. Organisiert ist das IRHT in 13 Sektionen, die gemeinsam alle hierzu notwendige Expertise unter einem Dach zusammenfassen. Die Bandbreite reicht von der Latinistik, Romanistik, Arabistik, Graezistik und Hebraistik, über Kodikologie, Bibliotheksgeschichte und Heraldik, Lateinische Paläographie und Diplomatik bis hin zu Handschriftenilluminationen. Dabei verfügt jede Sektion über eine herausragende Bibliothek, die jedes Forscherherz höher schlagen lässt. Wo sonst findet man z.B. sämtliche Handschriftenkataloge sowie Ausstellungs- und Auktionskataloge an einem Ort versammelt? Schließlich bietet das IRHT auch immer wieder Schulungen an, um Doktoranden und andere Interessierte im Umgang mit Handschriften auszubilden. Vielleicht wird ja die Direktorin des IRHT ihr Haus alsbald einmal auf dem DFMFA-Blog vorstellen.

Auf alle Fälle lohnt es sich, diese Institution einmal näher anzusehen. Nicht zuletzt, weil die über Jahrzehnte gesammelten Informationen zu Texten, Handschriften, Buchbesitzern etc., die bis vor kurzem noch allein in den vielen Zettelkästen des IRHT einsehbar waren, nun sukzessive online gehen. Dazu gehören auch die 76.000 Mikrofilme und digitale Reproduktionen von Miniaturen und Handschriften, die in Bibliotheken jenseits der Pariser Nationalbibliothek lagern. Interoperationalität spielt dabei eine große Rolle, denn all die verschiedenen Datensammlungen des IRHT sind miteinander verlinkt.

Rückgrat der Architektur ist die Datenbank MEDIUM, in der man früher noch die am IRHT vorhandenen Mikrofilme gesucht hat. Heute findet man hier alle Handschriftensignaturen verzeichnet, zu denen am IRHT Informationen zu finden sind. Die Handschriftensignaturen bilden sozusagen den Primärschlüssel zu dem ganzen System. Entsprechend kann man auch nach den Signaturen suchen. Oder aber, unter Verwendung der recherche avancée, den Bestand auch nach Eigenschaften wie Sprache, Dekoration usw. filtern. Die einzelnen Handschriften in MEDIUM sind dann wiederum mit den entsprechenden Angaben in den weiteren Datenbanken verlinkt, die da sind (in Auswahl):

  • Jonas: Katalog mittelalterlicher französischsprachiger Texte und Handschriften weltweit, durchsuchbar nach Autor, Titel und Signatur, einschließlich Texttradition und Bibliographie. Die Datenbank ist natürlich nicht komplett (zumindest was mein Thema angeht), aber man kann hier schon eine Menge finden und sie wird ständig erweitert. U.a. im Rahmen eines laufenden Katalogisierungsprojektes zu den bisher weitgehend noch unbekannten französischen Beständen der Bibiliotheca Vaticana (ca. 400 Handschriften!).
  • Bibale: Informationen zur Provenienz der Handschriften vom Mittelalter bis heute. Hier ist es möglich, anhand der Besitzvermerke, alter Signaturen, ex libris, Besitzerwappen, Inventare, Einbände usw. die Provenienz einer einzelnen Handschrift zu ermitteln oder auch ganze historische Bibliotheksbestände zu rekonstruieren.
  • Initiale: kunsthistorische Analyse dekorierter und illuminierter Handschriften und Inkunabeln.
  • Pinakes: Griechische Texte und Handschriften.

Die einzelnen Angaben wiederum sind mit der BVMM verbunden, der virtuellen Bibliothek mittelalterlicher Handschriften in französischen Bibliotheken (außer BnF) mit Bildern aus über 10.000 Handschriften, von denen hier über 3000 als vollständiges Digitalisat zu finden sind. Der Viewer erlaubt es dabei, auch mehrere Bilder gleichzeitig anzuzeigen und miteinander zu vergleichen.

Biblissima – das Megaprojekt

Biblissima, der dritte Partner der Training school, ist in der Tat ein wahres Megaprojekt. Wenn man sieht, was die BnF (einer der Partner) mit ihrer Digitalisierungsinitiative und Gallica bereits auf die Beine gestellt hat, kann man sicherlich davon ausgehen, dass auch dieses Projekt wie geplant auch umgesetzt wird. Biblissima soll nämlich nichts anderes als die „Bibliothek der Bibliotheken“ des 21. Jahrhunderts werden. So etwas wie eine, oder besser, die Metabibliothek, in der alle handschriftenrelevanten Daten der beteiligten Institutionen zugleich und miteinander kombiniert anzeigbar und durchsuchbar sein werden. Und das meint:

  • Digitialisate,
  • digitale Editionen
  • und Metadaten aus Forschungsdatenbanken (Handschriftenbeschreibungen, Ikonographie, Einband, Inkunabeln, etc.).

Während heutzutage jede Handschriftenbibliothek für ihre Bild- und Metadaten ein eigenes Format verwendet und die Bilder und Informationen der einzelnen Einrichtungen somit – um auf das in den Präsentationen immer wieder gebrauchte Bild zurückzugreifen – wie in einzelnen Silos lagern, die nicht mit einander kommunizieren können, soll Biblissima es ermöglichen, all diese Bilder und Daten miteinander in Kontakt zu bringen. Dafür wird auf ein gemeinsam mit Stanford entwickeltes Format (IIIF) und auf eine gemeinsame Technologie für die Viewer (Shared Canvas) zurückgegriffen. Letztere besteht darin, die einzelnen Handschriftenseiten als Grundlage zu nehmen. Diese werden dabei a priori als freie Fläche definiert, auf der man dann alle möglichen Informationen als einzelne Datenschichten ablegen kann: Digitalisate, digitale Editionen, Informationen zu Text und Handschrift, zu den Miniaturen, Schwarzlichtfotos, was auch immer. Wer schon einmal einen ersten Blick darauf werden möchte, findet hier ein Demo: http://demos.biblissima-condorcet.fr/mirador/ (nähere Infos dazu: hier).

Mit Biblissima soll es dann möglich sein, zu einer Handschriftenseite oder zu einer ganzen Handschrift (selbst wenn deren Teile getrennt über mehrere Bibliotheken verteilt sind) alle erreichbaren Informationen in ein und demselben Viewer gemeinsam anzeigen zu lassen. Dies kann auch mit mehreren Handschriften gleichzeitig geschehen, wenn man diese z.B. miteinander vergleichen möchte.

Für den Anfang sollen hier die virtuellen Bibliotheken der BnF (Gallica), die oben erwähnte BVMM des IRHT sowie die BVH (Les bibliothèques virtuelles humanistes der Universität Tours) miteinander verbunden werden. Aber auch die British Library und mehrere amerikanische Bibliotheken sind mit dabei. Die Datenpools speisen sich aus den genannten Datenbanken des IRHT, den Metadaten der BnF und weiteren Quellen – die aktuelle Liste umfasst ca. 50 Einzeldatenbanken.

Begleitet werden soll das Ganze durch eine Auswahl frei zur Verfügung stehender Arbeitsinstrumente für die Erstellung digitaler Editionen und deren Analyse. Zudem gibt es auf der Seite von Biblissima bald ein Toolkit, das die verschiedenen im Netz vorhandenen Datenbanken und Tools zusammenfasst und nach verschiedenen Kriterien filtern lässt.

Das Ganze ist natürlich ein Musterbeispiel für die Möglichkeiten des semantischen Webs. Aktuell wird hierfür der Thesaurus und eine Ontology speziell zur Beschreibung von Handschriften und deren Überlieferung erstellt, wobei das RDF-Framework auf CIDOC-CRM und FRBRoo basiert. Wie genau so etwas passiert, das wurde in einem der Praxisteile des Seminars gezeigt … und geübt.

Der Praxisteil: Interoperationalität und semantisches Web mit TEI-XML und RDF

Die 20 Teilnehmer aus insgesamt 14 Ländern haben also nicht nur die schöne neue Welt von morgen präsentiert bekommen, sondern auch ganz konkret erfahren und üben können, wie das alles funktioniert. Und zwar immer anhand der laufenden Arbeiten in den verschiedenen Projekten der beteiligten Institutionen. So wurde für die Markierung von Texten nach TEI- Richtlinien an alten Bibliotheksinventaren gearbeitet, auf deren Grundlage man am IRHT den Bestand der historischen Bibliotheken von Chartres rekonstruiert und mit den Resten abgleicht, die nach dem Bombardierung der Bibliotheque municipale von Chartres während des Zweiten Weltkriegs übrig geblieben sind. Verwendet wurde dabei der XMLmind_XML_Editor, der entsprechend angepasst wurde und der wohl auch dem XML-Editor im Toolkit von Biblissima zugrundeliegen wird.

Methoden und Tools zur Arbeit mit RDF im semantischen Web (Thesaurus erstellen, RDF-Triples formulieren und auf URI‘s verweisen, SPARQL-Abfragen erstellen) wurde uns wiederum am konkreten Beispiel des Biblissima-Projektes vorgeführt, bevor wir es dann auch selbst für unsere eigenen Projekte ausprobieren konnten.

Die Erstellung digitaler Editionen, insbesondere des kritischen Apparats (Varianten und Kommentare), wurden am letzten Tag schließlich anhand des nicht minder beeindruckenden Projektes SourcEncyMe geübt, einer kollaborativen Onlineplattform zu mittellateinischen Enzyklopädien und der Identifikation ihrer Quellen, die bisher noch unveröffentlicht ist. Dominique Poirel hat darüber hinaus in die verschiedenen Möglichkeiten zur Erstellung von Stemmata eingeführt. Wie sich das Ganze dann anhand TEI-encodierter Texte zumindest semi-automatisch umsetzen und graphisch aufbereiten lässt, hat anschließend Dominique Stutzmann gezeigt. Er selbst leitet die Lateinische Paläographie am IRHT und hatte am Tag zuvor sein eigenes digitales Projekt Oriflamms vorgestellt, das ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll. Hier geht es um die Möglichkeiten der automatischen Texterkennung für mittelalterliche Handschriften, wobei das Projekt schon beachtliche Resultate erzielt. Eine genauere Projektvorstellung gibt es voraussichtlich im nächsten Semester im Münsteraner „Forschungskolloquium Mittelalter (400-1500)“.

Fazit

Alles in allem war das, was während der 5 Tage am IRHT und bei Biblissima gezeigt und vorgeführt wurde, eine beeindruckende Demonstration des State of the art. Gerade der Umstand, dass die beiden Leitmotive Interoperationalität und semantisches Web hier immer wieder am praktischen Beispiel in ihrer ganzen Bedeutung fassbar wurden, war für mich eine der wichtigsten Erfahrungen dieser Training School. Das einzige, wovon ich mir noch mehr gewünscht hätte, waren die praktischen Übungen. Denn gerade durch die Arbeit mit Material aus den laufenden Projekten wurden Funktion und Sinn der einzelnen Methoden und Tools erst richtig erfahrbar. Die im Titel angekündigten new tools und new approaches haben sich im Programm der Training School damit aufs Beste miteinander verbunden.

Was mich letztlich zu der Frage bringt, wie es eigentlich mit ähnlich gelagerten Projekten in Deutschland aussieht. Vielleicht könnte man einmal eine Übersicht auch zu aktuellen mediävistischen DH-Projekten und Planungen in Deutschland hier auf dem DigiGW-Blog zusammenzustellen. Sehr gute Initiativen zur digitalen Rekonstruktion historischer Bibliotheken wie das Virtuelle Skriptorium St. Matthias in Trier, weitreichende Digitalisierungsinitiativen wie die der BSB und Metakataloge wie die Manuscripta medievalia gibt es ja auch hier. Und ich habe den Eindruck, dass sich da auch gerade einiges tut. Diese alle einmal in einem Überblick zusammenzufassen und vorzustellen wäre sicherlich sehr spannend und könnte gleichzeitig dazu beitragen, die Digitalen Geschichtswissenschaften bzw. die digitale Mediävistik und all das, was damit in Zukunft möglich wird, auch hier noch sichtbarer und bekannter zu machen.

 

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/723

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Bonaventura Thommens Dissertation (1935) über die Prunkreden des Abtes Johannes Trithemius online

Letzten Herbst kam während der Bibliotheksführung im Bozener Kloster Muri-Gries durch den liebenswürdigen Pater Pacidus Hungerbühler die Rede auf eine Studie über den Humanisten Johannes Trithemius (1462-1516), die Bonaventura Thommen in Freiburg in der Schweiz bei Richard Newald vorgelegt hatte (gedruckt in zwei Teilen jeweils als Beilage zum Jahresbericht der Kantonalen Lehranstalt Sarnen 1933/34 und 1934/35). Thommen (1897-1965) war Benediktiner des Konvents von Muri-Gries im Benediktinerkolleg Sarnen und wirkte lange Jahre als Rektor der damals von den Mönchen getragenen Kantonsschule in Sarnen. In Erinnerungen […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6872

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Editionsprojekt: Leonard Leopold Maldoners “Brisgovia vetus et nova”

Ein Gastbeitrag von Dr. Boris Bigott

Seit Dezember 2012 läuft bei der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg ein Editionsprojekt der “Brisgovia vetus et nova” von Leonard Leopold Maldoner. Bearbeiter ist Boris Bigott, der das Vorhaben im Rahmen des Freiburger Landesgeschichtlichen Kolloquiums am 28.01.2014. unter folgendem Titel vorstellte:

 Die älteste Geschichtsschreibung des Breisgaus.
Leonard Leopold Maldoners “Brisgovia vetus et nova” (1754) – ein Editionsprojekt.

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Titelblatt der in St. Paul lagernden Handschrift von Leonard Leopold Maldoners ‘Brisgovia vetus et nova’

Ab den frühen vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts arbeitete der Archivar Leonard Leopold Maldoner im Auftrag der vorderösterreichischen landständischen Regierung an seinem Geschichtswerk “Brisgovia vetus et nova”. Hierzu wurde ihm gestattet, die von ihm betreuten Archive zu nutzen: das Regiminal-Archiv, das Universitätsarchiv, das Freiburger Stadtarchiv, ferner auch die Archive der Freiburger Dominikaner, der Herrschaften Triberg und Rheinfelden sowie des Klosters St. Märgen und der Probstei zu Allerheiligen in Freiburg. Nachdem er 1749 als Archivar in die Dienste des Basler Fürstbischofs nach Porrentruy/Pruntrut gewechselt war, zog er auch die dortigen Archivalien heran. Im Jahr 1754 war das Manuskript fertiggestellt und sollte eigentlich gedruckt werden, zur Drucklegung kam es jedoch nicht. Die Handschrift gelangte ins Kloster St. Blasien, wo sie in Vergessenheit geriet. Anschließend kam sie nach der Auflösung des Schwarzwaldklosters 1806 mit den Sanblasianer Archivalien nach St. Paul im Lavanttal. Dort wurde die “Brisgovia” 1892 von Franz Xaver Kraus wiederentdeckt – eine auf seine Veranlassung hin hergestellte Abschrift liegt heute in der UB Freiburg.

In der “Brisgovia” gibt Maldoner auf insgesamt 1268 Blatt rund 1500 mittelalterliche und frühneuzeitliche Urkunden größtenteils in deutscher Paraphrase, teils auch im originalen Wortlaut wieder. Die Schrift ist gegliedert in einen kürzeren allgemeinen Teil, der als “Vorarbeiten” betitelt wurde, und einen wesentlich umfangreicheren Teil, die so genannten “Sammlungen”. Letzterer Teil umfasst alphabetisch geordnet 158 Ortsabschnitte zu Städten, Dörfern, Klöstern und Burgen, die fast allesamt in der vorderösterreichischen Provinz Breisgau des 18. Jahrhunderts lagen – beginnend mit Achkarren, endend mit Zell im Wiesental.

Der Nutzen einer Edition der “Brisgovia” wird vielschichtig sein. Zum Einen fanden aktuelle Ereignisse und Vorgänge aus der Zeit ihrer Entstehung ihren Niederschlag in dem Werk: etwa die politische Umgestaltung des Habsburgerreichs im Zuge der Reformen Maria Theresias, die rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern und den Markgrafen von Baden um verschiedene Herrschaftspositionen am Oberrhein, aber auch Berichte Maldoners selbst, die er als Zeitzeuge verfasste und in die Handschrift einfügte. Zum Anderen ist ein Einblick in die Quellenlage im 18. Jahrhundert zu erwarten: Maldoner arbeitete vor den einschneidenden politischen Umwälzungen am Ende des Jahrhunderts, die auch im Archivwesen große Veränderungen und Verluste mit sich brachten. Es steht zu erwarten, dass Maldoner zahlreiche Urkunden überliefert, die dann später verloren gingen. Zudem zog er Urkunden für seine Darstellung heran, die zeitlich bis in seine Gegenwart reichen. Da die gängigen Urkundeneditionen am Oberrhein das ausgehende Mittelalter und die frühe Neuzeit meist nicht abdecken, wird eine Edition der “Brisgovia” eine Hilfe zur Erschließung dieser Zeiträume darstellen.

Literaturauswahl:

### Nachtrag (JW) ###

UPDATE: Blogpost in Archivalia zum Thema. Dort auch der Hinweis auf http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=1012285510 zum Autor.

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/258

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aventinus media Nr. 13 [15.12.2013]: Mittelalter eMGH und dMGH. elektronische und digitale Monumenta Germaniae Historica im Vergleich [=einsichten v. 19.01.2012]

Der Beitrag stellt die beiden Online-Editionsprojekte und ihre jeweiligen Featires vor, denen die Monumenta Germaniae Historica zugrunde liegen, und nimmt hierbei auch die unterschiedlichen Ansätze der beiden Online-Editionen in den Blick. http://bit.ly/18pYmiw

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/12/4814/

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Tagungsbericht: Editionsreihen von Regierungsakten im internationalen Vergleich

Unter dem vielsagenden Titel „Zwischen Unverzichtbarkeit und Ungewissheit: Editionsreihen von Regierungsakten im internationalen Vergleich“ fand am 22. Oktober 2013 am Österreichischen Staatsarchiv in Wien ein Workshop statt, zu dem dieses zusammen mit dem Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung (INZ) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eingeladen hatte. Ziel der Veranstaltung war vor allem die Bestandsaufnahme und Bewusstseinsbildung zu Stand und Perspektiven der Regierungsakteneditionen in Österreich, wozu auch der Vergleich mit derartigen Unternehmen in Deutschland und der Schweiz beitragen sollte.

Das Programm der Veranstaltung finden Sie hier.

Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867, Bd. 2/4

Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867, Bd. 2/4

Nach Begrüßungsworten vom Direktor des INZ, Michael Gehler, wurde die Tagung mit einem Impulsreferat von Waltraud Heindl eröffnet. Die pensionierte Universitätsprofessorin, bekannt unter anderem für ihre Forschungen zur Geschichte der Bürokratie in Österreich1 und des Frauenstudiums, war auch lange Zeit Mitarbeiterin an der Edition der Ministerratsprotokolle der Habsburgermonarchie. Sie begann mit der Feststellung, Editionen seien „das ungeliebte Kind“ unter den wissenschaftlichen Großprojekten. Politische Ansprüche, die sich auf eine einseitig ökonomisch verstandene „Anwendbarkeit“ richteten, und organisatorische Paradigmen, die jede langfristige Bindung von Mitteln zu vermeiden suchten, hätten schon die Vorstellung von Langzeitvorhaben den Entscheidungsträgern „unbegreiflich“ gemacht. Demgegenüber stellte sie die kritische Textedition als wissenschaftliche Tradition heraus, die aus dem Historismus des 19. Jahrhunderts komme – einer Zeit, in der die Historie eine Leitwissenschaft der europäischen Gesellschaften und das allgemeine Bewusstsein der Gebildeten in weit höherem Maße historisch geprägt gewesen sei als gegenwärtig. Die damals entwickelten Standards und Methoden seien allerdings keineswegs ausschließlich für die Geschichtswissenschaft, sondern für den gesamten Bereich der Geistes-, Kultur- und Rechtswissenschaften gültig geblieben. Die Edition strebe einerseits danach, aus einer schwer zugänglichen Quelle einen leicht und zuverlässig abrufbaren „Wiedergebrauchstext“ zu machen, andererseits sei ein bloßer Abdruck keine Edition, sondern als unverzichtbarer Bestandteil gehöre zu dieser auch die wissenschaftliche Aufbereitung durch kritische Textgestaltung, Regestierung, Kommentierung und Einleitung. Das Vorgehen habe dabei nicht dem Ermessen zu unterliegen, sondern an Richtlinien gebunden zu sein, die im voraus festgelegt und auch den Benutzern deutlich gemacht werden. Dementsprechend, so Heindl, seien „nur die besten Historikerinnen und Historiker gut genug, um editorisch tätig zu sein“. Im Übrigen würden auch der cultural und der linguistic turn in der Geschichtswissenschaft das Bedürfnis nach solide ausgeführten Texteditionen keineswegs reduzieren, sondern im Gegenteil erhöhen – schließlich könne niemand Texte dekonstruieren, wenn keine zur Verfügung stehen. Sie schloss mit einem Plaidoyer erstens dafür, den Entscheidungsträgern in politischen Ämtern und Förderinstitutionen den Wert von Editionen verständlich zu machen, und zweitens dafür, auch an den Universitäten wieder mehr die Fähigkeiten in der Lehre zu berücksichtigen, die EditorInnen bräuchten.

Im Folgenden wurden zwei deutsche, ein schweizerisches und drei österreichische Großvorhaben jeweils von ihren Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern vorgestellt. Bärbel Holtz, Leiterin des Akademievorhabens „Preußen als Kulturstaat“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sprach über die von 1994 bis 2003 durchgeführte Edition der Protokolle des Preußischen Staatsministeriums. Hier war eine durchgehende Überlieferung über mehr als ein Jahrhundert (1817–1934/38) zu bearbeiten, wobei die Vorgaben des Fördergebers – die Finanzierung erfolgte aus dem Akademienprogramm – von Beginn an klarstellten, dass eine limitierte Projektzeit einzuhalten und eine Volltextedition jedenfalls ausgeschlossen war. Zentral für die Lösung dieser Aufgabe war ein Editionskonzept, das eine Mischung aus überwiegend standardisierter regestenförmiger Wiedergabe und der Übernahme einzelner besonders signifikanter Ausdrücke aus dem Originalwortlaut vorsah. Dank dieser kompakten Präsentationsweise nimmt ein Protokoll in der Regel nur eine Druckseite ein. Der wissenschaftliche Wert liegt daneben aber auch in einem sehr eingehend gestalteten Anmerkungsapparat, der möglichst umfassend auf bezügliche Akten sämtlicher Ministerien verweist, und in den kommentierten Registern, wobei vor allem das Personenregister geradezu eine Prosopographie der bis dahin schlecht erforschten preußischen Beamtenschaft wurde und inzwischen gerne als solche benutzt wird. Die 12 Bände in insgesamt 17 Teilbänden sind heute vollständig und unentgeltlich online zugänglich.

Hanns Jürgen Küsters, Professor an der Universität Bonn und Hauptabteilungsleiter Wissenschaftliche Dienste bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, berichtete über die lange, aber keineswegs geradlinige Geschichte der Edition der „Dokumente zur Deutschlandpolitik“. Er hob hervor, wie unmittelbar dieses Unternehmen nicht nur in seiner Entstehung, sondern auch in Detailentscheidungen über Zielsetzungen und Editionsplan von konkreten politischen Darstellungs- und Legitimationsinteressen abhängig war und ist – ein Umstand, der zu einer (so Küsters wörtlich) „verkorksten“ Reiheneinteilung und Erscheinungsfolge der Bände geführt habe. Die Arbeitsgruppe unterstand direkt dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, später dem Bundesinnenministerium; andere Ministerien zeigten sich freilich nicht immer kooperativ bei der Bereitstellung amtlicher Schriftstücke. Küsters ging auch auf die großen Probleme der Auswahl der Dokumente ein, zumal auch ausländische Bestände nach Möglichkeit herangezogen werden; das „Zauberwort ‚Schlüsseldokumente‘ “, meinte er augenzwinkernd, stehe zwar in jedem Antrag und Projektbericht, eine Definition sei ihm aber noch nicht untergekommen.

Ursina Bentele präsentierte die Edition „Diplomatische Dokumente der Schweiz“. In den 1970er Jahren zunächst als interuniversitäre Initiative entstanden, ist sie heute ein Unternehmen der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften. Die erste Reihe mit 15 Bänden zum Zeitraum 1848–1945 ist abgeschlossen; die Edition der Dokumente ab 1945 erfolgt parallel in Form der Datenbank DODIS und gedruckter Bände, in die freilich nur ein Teil der in der Datenbank bearbeiteten Stücke im Volltext eingeht – die Bücher erhalten so die Funktion von „Wegweisern“ zur Datensammlung. Die Forschungsleistung der Editionsgruppe, so Bentele, bestehe aber auch noch unter diesen Umständen zu einem beträchtlichen Teil in der Reduktion des verfügbaren Materials auf die präsentierte Auswahl: Für einen Band, der drei Jahre Schweizer Außenpolitik abdeckt, würden etwa 600 Laufmeter Akten oder rund 1,5 Millionen Schriftstücke gesichtet.

Screenshot eines Rechercheergebnisses aus DODIS

Screenshot eines Rechercheergebnisses aus DODIS

Von österreichischer Seite wurde zunächst die Edition der Ministerratsprotokolle der Habsburgermonarchie von Stefan Malfèr und Thomas Kletečka vorgestellt. Als Gemeinschaftsunternehmen österreichischer und ungarischer HistorikerInnen nahm sie ihren Anfang in den späten 1960er Jahren; die erste Serie, enthaltend die Ministerratsprotokolle der Jahre 1848 bis 1867, ist heute mit insgesamt 26 Bänden nahezu abgeschlossen, die letzten zwei sind bereits in Vorbereitung. Ähnlich steht es um die in Ungarn edierten Protokolle des gemeinsamen österreichisch-ungarischen Ministerrats von 1867 bis 1918. Die dritte Serie mit den Protokollen des „cisleithanischen“ Ministerrats aus der Zeit der Doppelmonarchie ist auf lediglich elf Bände kalkuliert, weil ein erheblicher Teil der Vorlagen beim Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 zerstört oder beschädigt wurde. Malfèr hob hervor, dass der hohe Standard – er bekannte sich insbesondere zur Volltextedition und zum ausführlichen wissenschaftlichen Kommentar einschließlich Verweisen auf Bezugsakten und Forschungsliteratur – zwar für die lange Bearbeitungsdauer mitverantwortlich sei, die immer wieder der Verteidigung bedurft habe, aber auch ein entscheidendes Kriterium für den Wert und die sehr positive Aufnahme der Edition in Fachkreisen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung liefere unvermeidlich auch bereits erste Ergebnisse hinsichtlich einer Interpretation des Regierungshandelns, in diesem Fall etwa für eine Neubewertung der Leistungen und Versäumnisse des „Neoabsolutismus“ der 1850er Jahre oder des Oktoberdiploms von 1860. Die Arbeit der Gruppe verstehe sich damit auch als Beitrag zu einer von ideologischen Verzerrungen und Ressentiments „entrümpelten Erinnerungskultur“ zur Habsburgermonarchie, so Kletečka.

Gertrude Enderle-Burcel überschrieb den von ihr gemeinsam mit Hanns Haas und Alexandra Neubauer-Czettl vorgetragenen Bericht über die Ministerratsprotokoll-Edition zur Republik Österreich bewusst provokativ mit „Blick zurück im Zorn“. Bei Beginn des Unternehmens in den 1970er Jahren habe zwar seitens des Bundeskanzlers Bruno Kreisky und der Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg ein klares politisches Bekenntnis zur Notwendigkeit der Bearbeitung bestanden, die Finanzierung und Ausstattung der Arbeitsgruppe sei jedoch von Beginn an unzulänglich gewesen, und dies habe sich im Laufe der Zeit nur noch verschärft. Nie habe es mehr als einen festen Dienstposten für das Vorhaben gegeben; die zwischen Bundeskanzleramt und Wissenschaftsministerium geteilte Zuständigkeit habe es beiden Behörden immer wieder erleichtert, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Basisfinanzierung wurde schließlich nach jenem desaströsen Regierungsbeschluss von Oktober 2010, der zur Einstellung jeglicher Förderung des Bundes für außeruniversitäre Forschung führte, gestrichen. Derzeit gebe es noch eine Finanzierung durch die Gemeinde Wien in Form jährlicher (!) Förderverträge sowie eine Projektfinanzierung des Bundeskanzleramtes für die Digitalisierung und Transkription der Unterlagen. Dabei handle es sich – was im Grunde selbstverständlich sein müsste – um Quellen von höchster Wichtigkeit und großer Aussagekraft, deren Bearbeitung allerdings hohe Ansprüche stelle, da auch die Originalmitschriften zu berücksichtigen sind, in denen vieles enthalten ist, was in die Reinschriften keine Aufnahme fand. Diese Mitschriften freilich sind in Gabelsberger Kurzschrift aufgezeichnet worden, die heute nur noch von wenigen ExpertInnen gelesen wird. Die Zukunft des Unternehmens sei derzeit höchst ungewiss; nach den 23 erschienenen Bänden wären noch 29 weitere nötig, um auch nur die Erste Republik abzuschließen, eine zweite Reihe zur Zweiten Republik steht noch in den Anfängen.

Etwas versöhnlicher klang die Präsentation der „Außenpolitischen Dokumente der Republik Österreich“ durch Klaus Koch, Walter Rauscher und Elisabeth Vyslonzil. Dieses Gegenstück zu den „Diplomatischen Dokumenten der Schweiz“ wurde um 1990 – lange nach dem Einsetzen ähnlicher Projekte in vielen anderen europäischen Staaten2 – angestoßen. Der von Beginn an schlanke Editionsplan, der für den gesamten Zeitraum der Ersten Republik 12 Bände vorsah, ist durchgehalten worden; acht Bände sind erschienen, zwei im Druck, die letzten beiden in Vorbereitung.

Der durch diese Präsentationen geschaffene Überblick zeigte zwar, dass auch in Deutschland und der Schweiz für langfristige Editionsprojekte der Himmel nicht immer voller Geigen hängt, dass aber doch die Situation in Österreich besonders unbefriedigend ist. Während die preußischen Staatsministeriumsprotokolle von fünf Promovierten bearbeitet wurden und DODIS acht wissenschaftliche MitarbeiterInnen beschäftigt, kann keine der genannten österreichischen Unternehmungen darauf zurückblicken, jemals mehr als drei Dienstposten besessen zu haben. Fördermodelle mit zehn- oder zwölfjähriger Laufzeit gibt es in Österreich schlichtweg nicht. Ein Großteil der Finanzierung erfolgte in allen drei Fällen über Jahrzehnte hinweg in Form aneinandergereihter dreijähriger Projekte, bei jeweils neuer Beantragung und Begutachtung. Die Zukunft aller drei Editionen ist völlig offen; für keine gibt es derzeit eine Finanzierung über das Jahr 2014 hinaus.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Geschäftsführerin Dorothea Sturn), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Brigitte Mazohl, Präsidentin der Philosophisch-historischen Klasse) und des Österreichischen Staatsarchivs (Gertrude Enderle-Burcel) sowie einer Beamtin des Wissenschaftsministeriums (Ursula Brustmann), die freilich bereits eingangs erklärte, nicht für die politische Ebene des Ressorts sprechen zu können, sondern nur den Standpunkt der dortigen FachbeamtInnen zu repräsentieren. Als Leitfragen wurden ausgegeben: „Wie kann politisches Interesse für Editionen gefördert werden? Welche Wünsche der Öffentlichkeit an Editionen sind zu berücksichtigen? Wie kann die nötige Finanzierung eingeworben und verstetigt werden?“

Ein niederschmetternd einmütiger Befund war zunächst der, dass es um das politische Interesse für Wissenschaft im Allgemeinen, Geisteswissenschaften im Besonderen und speziell für Editionen in Österreich derzeit schlecht bestellt respektive dieses überhaupt nicht vorhanden sei. Hinsichtlich der derzeit laufenden Verhandlungen über eine Regierungsbildung nach den Nationalratswahlen im September wurden zudem von mehreren Seiten Befürchtungen laut, dass eine Zusammenlegung des Wissenschaftsministeriums mit anderen Ressorts, vielleicht auch eine Trennung der Universitäts- von den Forschungsagenden zu befürchten sei. Dass von Seiten der Wissenschaft mehr Arbeit zur Bewusstseinsbildung nötig sei, blieb angesichts dessen unbestritten. Dazu wurden von verschiedenen Seiten Vorschläge vorgebracht, teils organisatorischer Natur – Vernetzung laufender Editionsvorhaben zu einer Plattform zwecks gegenseitiger Information und koordinierter Medien- und Lobbyarbeit (Mazohl; von vielen Seiten begrüßt) –, teils inhaltlicher Art, etwa die Idee einer Betonung des Werts von Staatsakteneditionen als Instrument der Demokratieerziehung (Küsters). Manches war wohl auch eher sarkastisch gemeint, etwa die Frage von Waltraud Heindl, ob es zielführend sei, die Namen politischer Entscheidungsträger ähnlich groß und sichtbar außen auf Editionsbände zu schreiben, wie die Namen der Bürgermeister auf Wiener Gemeindewohnbauten stehen.

Gedenktafel Bieler Hof

“Ediert aus den Mitteln der Republik Österreich in den Jahren 2017–2020 unter der Bundeskanzlerin X und dem Bundesminister für Wissenschaft Y”? (Photo: Bauinschrift des Bieler-Hofes in Wien 21. Quelle: Wikimedia Commons/Herbert Josl)

In institutioneller Hinsicht waren sich die Diskutierenden einig, dass die bestehenden Fördermodalitäten des FWF (als inzwischen nahezu einzig verbliebener Agentur zur Förderung der Geisteswissenschaften in Österreich) für langfristige Editionsprojekte wenig geeignet sind. Ob es Aufgabe des FWF sei, eine derartige Förderschiene in sein Programm aufzunehmen3, war hingegen umstritten. Von manchen wurde dies mit Nachdruck gewünscht, die FWF-Vertreterin sah eine solche Ausweitung der Tätigkeit angesichts der aktuellen Ressourcenausstattung des Fonds jedoch für die absehbare Zukunft als nicht diskutabel an4. Als Trägerinstitution größerer Vorhaben sahen fast alle, angesichts der weiterhin sehr ungünstigen Bedingungen für die Schaffung neuer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, in erster Linie die Akademie der Wissenschaften gefragt. Nach den Worten ihrer Vertreterin wäre diese dazu gerne bereit – entsprechende Budgetmittel vorausgesetzt, womit natürlich wieder die politische Ebene angesprochen war.

Diskutiert wurde auch, inwiefern sich die Rahmenbedingungen auf editorische Tätigkeit selbst auswirken müssten. Von außen ist immer wieder der bloße Abdruck von Texten ohne wissenschaftlichen Apparat empfohlen, nicht selten auch gefordert worden, wie etliche Anwesenden berichten konnten. Allen Teilnehmenden der Veranstaltung war jedoch klar, dass hierin keine Lösung liegen kann, sondern gerade die wissenschaftliche Aufarbeitung den Mehrwert der editorischen Arbeit ausmacht: Indexierung schafft erst die Möglichkeit einer Benutzung zu vorgegebenen Themen, der Nachweis der bisherigen Literatur führt an den Forschungsstand heran und Verweise auf weitere Akten ermöglichen weiterführende Forschung. Ein Textabdruck oder auch eine Sammlung von Digitalisaten ohne alles dieses ist dagegen ein unbenutzbarer Datenwust. Dies müsste freilich auch außerhalb von Fachkreisen klar gemacht werden. Gertrude Enderle-Burcel gab unerquickliche Anekdoten aus ihren Verhandlungen mit Beamten des Bundeskanzleramts zum Besten: Es sei von ihren Gesprächspartnern als unverständlich bezeichnet worden, wie jemand ein oder gar zwei Jahre an einem Editionsband „herumnudeln“ könne; es sei nach den Kosten pro Seite, ja nach Kosten pro Anmerkung gefragt worden; schließlich erscheine die (bereits erwähnte) Finanzierung für die Digitalisierung und Transkription der Protokolle zwar ihr und ihren KollegInnen als Vorarbeit für eine Edition, dem Fördergeber jedoch anscheinend als abschließende Erledigung des Anliegens. Selbst die Anlage eines Registers sei für überflüssig befunden worden, denn wenn die Transkripte online verfügbar seien, gebe es ja die Möglichkeit der Volltextsuche – in ungefähr 13.000 Seiten …

Die neuen technischen Möglichkeiten der Bearbeitung und Präsentation wurden von allen als unverzichtbar eingestuft, etliche Stimmen riefen allerdings nach einer differenzierten Abwägung von Kosten und Nutzen. Auf Online-Präsenz ganz zu verzichten und nur auf gedruckte Editionsbände hinzuarbeiten, wurde allgemein als weder wissenschaftlich vertretbar noch gegenüber einem außerwissenschaftlichen Publikum entgegenkommend abgelehnt. Hingegen wurde darauf verwiesen, dass Online-Editionen, gerade solche in Datenbankform, vor allem erweiterte Zugangs- und Suchmöglichkeiten brächten, nicht jedoch die von uninformierter Seite häufig vermutete Kostenreduktion; im Gegenteil, spätestens bei der Absicht einer langfristigen Nutzung auf Jahrzehnte hinaus sei mit viel höheren Kosten zu rechnen. Gerade die lange Nutzungsdauer ist jedoch ein besonderes Merkmal von Editionen; Bände der „Monumenta Germaniae Historica“ oder der „Acta Borussica“ aus dem 19. Jahrhundert werden heute noch geläufig zitiert. Dies wurde mehrfach als gewichtiges Argument für den Druck gewertet, dessen Langzeit-Speicherfähigkeit von keinem elektronischen Medium ohne vielfache Datenmigration erreicht wird. Die meisten Diskussionsbeiträge liefen darauf hinaus, dass sich Kombinationslösungen empfehlen, bei denen die Kapazität, Zugänglichkeit und Suchmöglichkeiten einer Online-Edition mit den Speichereigenschaften einer parallelen Druckausgabe verbunden werden. Selbst bei dem in dieser Hinsicht zukunftsweisend erscheinenden DODIS-Projekt steht „die Abschaffung des gedruckten Bandes nicht zur Debatte“ (Bentele).

Gibt es ein Fazit, das auch für die Belange unseres weit kleiner definierten Eichstätter Editionsprojekts zur Zentralgewalt anwendbar wäre? Deutlich wurde durch die Veranstaltung zunächst, dass Editionen keineswegs bloße Kärrnerarbeit sind, sondern geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung, die eine vielfache Weiternutzung ermöglicht. Dass dies außerhalb enger Fachzirkel den Wenigsten klar zu sein scheint, ist ein wesentliches Problem, und es steht allen an Editionen beteiligten ForscherInnen gut an, jede Gelegenheit zur Bewusstseinsbildung zu ergreifen. Überaus klar wurde auch, dass Editionen hohe Ansprüche an eine gediegene und konsequente Bearbeitung stellen und dementsprechend Schwerarbeit sind. Letzteres wussten wir bei der Zentralgewalt-Edition schon; Ersteres auch, aber das Workshop bestärkt uns darin, den Blick stets darauf gerichtet zu halten, dass unsere Produktion nicht nach der Zahl der Dokumente bewertet wird, die wir abgetippt haben, sondern nach der zielführenden Auswahl derselben und der Güte der Bearbeitung. Jene Standards in Textgestaltung, Erschließung und Präsentation, die sich bei einem solchen Erfahrungsaustausch als unverzichtbar und unhintergehbar über die verschiedensten Projekte hinweg erweisen, sind auch in unserer Edition zu berücksichtigen. Aber davon wird an anderer Stelle mehr zu schreiben sein.

  1. HEINDL, Waltraud: Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 bis 1848 (Studien zu Politik und Verwaltung 36), Wien – Köln – Graz 1990; HEINDL, Waltraud: Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich 1848–1918, Wien 2013.
  2. Ein solches Verspätungsempfinden im internationalen Vergleich hatte Ursina Bentele bereits als Motivation für die 1972 erfolgte Initiative zu den „Diplomatischen Dokumenten der Schweiz“ angesprochen, was von Klaus Koch mit ironischem Lächeln aufgegriffen wurde.
  3. Dies war 2007/08 unter dem Programmtitel NIKE bereits geplant, fiel jedoch der Wirtschaftskrise und den daraus folgenden Budgetkürzungen zum Opfer.
  4. Dorothea Sturn verwies hierbei darauf, dass etwa der Schweizerische Nationalfonds, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, über viermal so viele Mittel verfüge wie der FWF.

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/385

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Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6074

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Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6014

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aventinus classica Bd. 1 [31.03.2013]: Quellen. Eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie. Hamburg: Diplomica Verlag 2013

Mit “Quellen. Eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie” ist der erste Band der Schriftenreihe von aventinus erschienen. Er behandelt Methoden und Hilfsmittel der Quellenarbeit sowie Beispiele aus dem Altertum, dem Mittelalter und der Neuzeit. http://www.aventinus-online.de/index.php?id=3390

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/03/4012/

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