Wir trauern um Peter Haber (1964-2013)

 

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Die Digital Humanities und die Geschichtswissenschaft tragen Trauer: Der Schweizer digital historian Peter Haber ist am 28. April 2013 nach langer schwerer Krankheit gestorben. Im Netz teilen derzeit Freunde, Kollegen und Kolleginnen ihre Bestürzung mit, Jan Hodel hat Peter Haber einen Nachruf auf ihrem gemeinsamen Blog hist.net gewidmet. Für die Redaktion, den Beirat und die Community von de.hypotheses.org ist sein Tod ein großer Verlust. Peter Haber war einer der Gründungsväter des deutschsprachigen Blogportals, das seinen Anfang bei Twitter genommen hat. “Wir machen ein sehr gutes Projekt, ohne Geld, aber mit sehr guten Leuten”, sagte er, als die Idee von de.hypotheses.org im Nomvember 2011 das erste Mal beim THATCamp in Lausanne öffentlich vorgestellt wurde. Dass diese Vision sich erfüllen konnte, ist auch sein Verdienst und dafür danken wir ihm sehr. Seine Ratschläge, Anregungen und Ideen werden uns, werden den Digital Humanities fehlen.

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Foto: Peter Haber, fotografiert von Juri Weiss.

 

 

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/1143

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“Emma, die Nackte” oder vom Akt im öffentlichen Raum

 

L'art Vivant_Novembre 1970
Einst wurde Édouard Manét mit seinem Gemälde “Le Déjeuner sur l’herbe” aus dem Salon verjagt. Das Paris der Jahrhunderwende war der Nacktheit der bekannten Prostituierten moralisch nicht gewachsen. Nach hundert Jahren – so könnte man denken - ist der nackte Körper in der modernen Kunst etwas Normales geworden. Auf den ersten Blick ist dem so. In der Kunstwelt der Theater, Museen, Galerien und Kunstmagazine ist der Akt und das Nacktsein als Motiv und Ausdrucksform etabliert. Doch in der Welt des Internets bekommen genau diese Werke immer wieder Probleme. Zum Schutz der Minderjährigen wird auf die Abbildung des Nackten verzichtet. Dies ist zu begrüßen, würde damit nicht auch die Kunstwelt zensiert.

In den letzten drei Jahren hat Facebook mehrmals Museumsseiten gesperrt, weil scheinbar pornographisches Bildmaterial präsentiert wurde. Dass es sich hierbei aber um Kunstwerke gehandelt hat, war der Social-Media-Plattform leider nicht bekannt. Jüngstes Opfer ist das Museum Jeu de pomme, dass auf der Facebook-Seite für eine Ausstellung von Laure Albin Guillot werben wollte und dazu ein Foto mit einer blonden nackten “Venus” präsentiert, gepostet hat. Doch deren entblöste Brust war Grund genug, die gesamte Seite für einen Tag zu sperren. Mittlerweile prangert ein schwarzer Balken darüber. Ähnlich erging es der Londoner Saatchi-Galerie mit einem Werk des Fotografen Philippe Halsmann. (1)

2012 wurde auch die Facebook-Seite des Centre Pompidou gesperrt. Das Pariser Museum für die Kunst der Moderne und Gegenwart warb mit einem der wohl bekanntesten Werke Gerhard Richters für die Panorama Ausstellung. Dabei handelte es sich um das Gemälde “Ema (Akt auf einer Treppe)” aus dem Jahr 1966. Das fotorealistische Werk zeigt die erste Frau des Künstlers. Behutsam fast schwebend kommt sie die Treppe herunter. Die Architektur hinterlegt den weiß-golden schimmernden Akt mit einem unwirklichen Grün. Die Portraitierte blickt konzentriert nach unten, als ob sie den Maler oder Betrachter nicht zur Kenntnis nehmen will. Darüber hinaus ist die Darstellung aufgrund der Unschärfe, die der Künstler dem fotorealistischen Bild am Ende durch das gleichmäßige Verwischen der noch feuchten Farbe verlieh, unnahbar fern. Der gemalte Akt rekurriert auf Marcel Duchamps “Akt eine Treppe herabsteigend” von 1912, der sich im Philadelphia Museum of Art befindet. Richter hatte das Bild in einer Krefelder Ausstellung als Fotografie gesehen und nahm es zum Anlass, sich der klassischen Aufgabe der Aktes zu widmen und sich zugleich demonstrativ gegen Duchamps Postulat vom Ende der figurativen Malerei zu wenden.

Die Nähe von Fotografie und Malerie wurde dem Bild jedoch immer wieder zum Verhängnis. Denn Facebook ist nicht die einzige öffentliche Plattform, die versucht hat, das Richter-Werk zu verbannen. Schon kurz nach der Entstehung des Bildes war sich die Kunstwelt uneinig. So hatte der damalige Direktor der Berliner Nationalgalerie aufgrund der fotografischen Realität, den Ankauf des Bildes vehement abgelehnt: “Ich sammle keine Photos, sondern Malerei”. (2) Und als das Werk 1970 auf dem Cover des französischen Kunstmagazins “L’art vivant” erschien, wurde dem Herausgeber Aimé Maeght  mit einer Anzeige “wegen Verletzung der öffentlichen Moral und des Pornografiegesetzes” gedroht. Erst nachdem er belegt hatte, dass es sich um keine Fotografie, sondern um ein Ölgemälde handle und er sich auf die Tradition der Aktmalerei in der Kunstgeschichte berief, wurde von einer Anklage abgesehen. (3)

Doch am Ende dieser Debatte sollte nicht nur die Kritik am Unwissen der zensierenden Fachggruppen stehen, sondern auch die positive Erkenntnis, dass ein Kunstwerk die Welt immer wieder in Frage stellen kann. Zudem ist es beruhigend zu wissen, dass es Menschen gibt, die die Kunst verstehen und verteidigen, seien es Autoren oder aufgeschlossene Sammler wie Peter und Irene Ludwig, die Richters Akt bereits 1967 erwarben.

 

Anmerkungen

(1) Eva Hess, Prüder als der Vatikan, in: Sonntagszeitung, 21.04.2013.

(2) Dietmar Elger, Gerhard Richter, Maler, Köln 2008, S. 130-134.

(3) EB, Emma, die Nackte, in: Kölner Stadtanzeiger, 29.12.1970.

 

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/722

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Frühe Medienbildung

 

Medienkindheit: Zwischen Verfallspanorama und Entwicklungsperspektive von Helen Knauf In den letzten Monaten habe ich mit Studierenden darüber diskutiert, welche „Zutaten“ es für eine gute Kindheit braucht. Immer wieder genannt wurde die Geborgenheit der Familie, die Verlässlichkeit von Bezugspersonen, die Freundschaft mit Gleichaltrigen, oft auch das Sich-Verlieren im Spiel und die Freiheit in der Natur. Daneben gibt es die Vorstellung, dass Kinder vor den verschiedenen Gefahren des Lebens und Aufwachsens geschützt werden müssen: Schutz vor Gewalt, Missbrauch, Diskriminierung, Vernachlässigung. Und immer wieder wird auch der [...]

 

 

Quelle: http://medienbildung.hypotheses.org/2442

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Wie man sich auf eine wissenschaftsnahe Stelle (nicht) bewirbt

Notizblock

Shawncampbell | CC BY 2.0

Vor kurzem war ich an dem Auswahlprozess für mehrere Stellen in einer kleinen Organisation beteiligt. Es ging um Stellen im Wissenschaftsmanagement in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Beim Durcharbeiten der vielen hundert eingegangenen Bewerbungen fiel mir einiges auf, das vielleicht für andere nützlich sein könnte. Ich habe, allerdings nicht ganz ernsthaft, den Stil eines Bewerbungsratgebers gewählt, gerade weil – wie deutlich werden wird – die allermeisten Bewerbungsratgeber im Fall von wissenschaftlichen und wissenschaftsnahen Stellen nichts zu taugen scheinen. Natürlich gilt: Alle Meinungen und Empfehlungen sind subjektiv und können nicht ohne weiteres verallgemeinert werden. Vielleicht helfen sie aber, die eigenen Bewerbungsunterlagen noch einmal kritisch durchzuschauen.

 

1) Lassen Sie sich Zeit! Und: Holen Sie sich Rat!

Nichts ist überflüssiger als eine schlampige Bewerbung, die innerhalb weniger Tage nach Erscheinen der Stellenanzeige bei der ausschreibenden Organisation (fortan: Arbeitgeberin) ankommt. Nutzen Sie die Länge der Bewerbungsfrist aus – mein Tipp wäre: etwa eine Woche vor Bewerbungsschluss, und sicher nicht am letzten Tag, an dem die Nerven der mit Bewerbungen überschwemmten Arbeitgeberin blank liegen. Geben Sie die Bewerbung Freunden zu lesen. Vielleicht investieren sie ein bisschen in ein professionelles Coaching. Allerdings muss es jemand sein, der sich mit wissenschaftlichen Stellen auskennt. Wichtig ist ein kritisches Gegenüber, das die inhaltlichen, stilistischen und formalen Schwächen der Bewerbung ohne falsche Rücksicht zur Sprache bringt, und Ihnen keine Sprechblasen  in den Text diktiert.

 

2) Im Anschreiben: Bewerbungslyrik entsorgen

„Sie suchen einen kommunikationsstarken, kompetenten und engagierten Mitarbeiter, der mit X, Y  und Z ihr Team bereichert? Dann sollten Sie mich kennenlernen!“. Solche Standardformulierungen aus dem Bewerbungsratgeber beeindrucken vielleicht den Recruiter einer Werbeagentur. In einem Anschreiben, mit dem Sie sich auf eine wissenschaftliche oder wissenschaftsnahe Stelle bewerben, haben sie nichts zu suchen. Schreiben Sie sachlich, präzise, und immer nur das, was relevant (siehe 4) und nachprüfbar (siehe 5) ist. Abgedroschene Vokabeln aus dem Bewerbungsratgeber vermeiden, wie etwa „dynamisch“, „aufstrebend“, „zukunftsweisend“, „innovativ“, „exzellent“, „Leadership/Soft Skills“, „fundiert“, „kompetent“ oder „robust“. Und bitte nichts „unheimlich spannend“ finden! „Mein Name ist …“ wirkt komisch, Sie bewerben sich ja nicht telefonisch. Bitte alle Selbstverständlichkeiten und Plattitüden weglassen: „Erfahrungen im gemeinschaftlichen Arbeiten in themenspezifischen Arbeitsgruppen“ oder „Fundierte theoretische und methodische Kenntnisse verschiedener Fachgebiete“ werden vorausgesetzt und beeindrucken niemanden. Gehaltsvorstellungen sind bei wissenschaftlichen und wissenschaftsnahen Stellen, die im öffentlichen Dienst bzw. analog hierzu ausgeschrieben werden, fehl am Platz.

 

3) Warum Sie nur genau eine Chance haben

Viele Bewerber/innen scheinen sich nicht im Klaren darüber zu sein, dass ihre Bewerbung im Extremfall eine von Hunderten ist. Die Arbeitgeberin liest die Bewerbungen daraufhin, so viele wie möglich schnell und begründbar aussortieren zu können. Ein Problem und Ihre Bewerbung liegt auf dem Ablehnungsstapel. Das heißt einerseits, dass Sie alles, was sie mitteilen wollen, im Anschreiben mitteilen müssen. Die Arbeitgeberin durchforscht weder den Lebenslauf noch die übrigens Materialien nach dort verborgenen Schätzen.  Sie wird keine Informationen nachfordern und auch keine Dokumente im Internet herunterladen. Wenn was fehlt: durchgefallen. Andererseits: Das Anschreiben wirklich kurz halten. Die wichtigsten Informationen passen auf eine Seite. Das geht, wenn man sich nur auf das bezieht, was gefragt ist (siehe 4) und die Arbeitgeberinnen-Perspektive einnimmt (siehe 6). Es wirkt außerdem nicht seriös, wenn Sie sich auf zwei Stellen gleichzeitig bewerben, die ein sehr unterschiedliches Profil haben.

 

4) Es ist egal, was sie können, wenn es nicht nachgefragt ist

Was mich besonders erstaunt hat, war, wie wenig die Bewerber/innen auf die Job Description, d.h. das Anforderungs- und Aufgabenprofil der Stellen eingegangen sind. Was Sie in Ihrer Magister- oder Doktorarbeit an erstaunlichen Erkenntnissen gewonnen haben, und mit welchen verantwortungsvollen Aufgaben Sie im Laufe Ihrer Karriere bereits betraut worden sind, ist nur dann von Interesse, wenn diese Dinge etwas mit der Stelle zu tun haben, auf die Sie sich bewerben. Konzentrieren Sie sich auf die Stellenbeschreibung und die erwarteten Qualifikationen, und zeigen Sie mit konkreten Beispielen, auf welche Weise Sie hier der oder die Richtige sind. Hier ist durchaus auch Platz, offen zuzugeben, dass Sie die eine oder andere Anforderung noch nicht erfüllen. Verweisen Sie  dann auf ähnliche Herausforderungen, die Sie bereits gemeistert haben. Schließlich: Auch Hobbies sind nur von Belang, wenn sie einen Zusammenhang mit der Stelle haben.

 

5) Behaupten kann man viel

Wenig überzeugend ist es, sich in höchsten Tönen, aber höchst unkonkret anzupreisen. Es reicht nicht aus, sich Teamfähigkeit, Organisationserfahrung, Interdisziplinarität (hierzu Nr. 8) oder interkulturelle Kompetenz mit dem pauschalen Hinweis auf die Arbeitsstationen zuzuschreiben, auf denen diese Qualifikationen erworben wurden. Ob Sie ein „kluger Kopf“ sind, erweist sich aus dem, was Sie (überprüfbar) gemacht oder geschrieben haben, und gerade nicht dadurch, dass Sie es betonen. Ganz schlecht: Den Text der Ausschreibung wiederholen, und dann behaupten, dass Sie das alles können. Auf „umfassende Expertise“ „überragend“, „exzellent“, „großes Talent“ verzichten, ebenso auf „Begeisterung“, „Hingabe“, „hohe Pflichterfüllung“, „perfekte Besetzung“. Jede Übertreibung rächt sich, sobald sich die Arbeitgeberin den Lebenslauf vornimmt und feststellt, dass die „profunden Kenntnisse“ in einem Praktikum gewonnen wurden. Bescheidenheit ist nach wie vor eine Tugend.

 

6) Versetzen Sie sich in die Arbeitgeberin

Diejenigen, die  Bewerbungen lesen, möchten sehen, dass sich die Bewerber/innen nicht nur mit den erwarteten Aufgaben und Fähigkeiten beschäftigt haben, sondern sich auch die wissenschaftlichen Aufgaben und Ziele der Arbeitgeberin angesehen haben. Dabei wird man selbst mit einem aufmerksamen Studium der Webseite diese Aufgaben und Ziele nicht hundertprozentig verstehen. Es fehlt die Kenntnis der Organisation von innen. Deswegen Vorsicht mit Aussagen über die Organisation. Auf jeden Fall nicht deren Selbstdarstellung von der Webseite abschreiben, sondern in eigenen Worten (vorsichtig) formulieren, Informationen gibt es im Internet genug. Die Arbeitgeberin ist auch nicht darauf angewiesen, ob Sie die Tätigkeit der Organisation „begeistert“ oder Sie sich  „gänzlich damit identifizieren“ können. Sie muss Sie interessant finden, nicht umgekehrt.

 

7) Auf Formalia und Gesamteindruck achten

Die Arbeitgeberin geht davon aus, dass Sie lesen können. Wenn in der Ausschreibung steht, dass die Bewerbung als „eine PDF-Datei“ eingereicht werden soll, dann „eine PDF-Datei“ einreichen. Zwei oder drei Dateien gehen vielleicht noch, aber nicht fünf (oder vierzehn!). Und auch keine Word-Datei oder ein JPEG (abfotografierte Zeugnisse oder Arbeitsproben? Geht gar nicht!). In so einem Fall bringt es auch ganz sicher keine Extrapunkte, die Bewerbung in Papierform vorbeizubringen. Unregelmäßige Einrückungen im Lebenslauf sind keine Nebensache – sie deuten darauf hin, wie Sie später Dokumente gestalten werden. Bei elektronischen Bewerbungen das Motivationsscheiben nicht in die E-Mail kopieren, das kann nur schief gehen, wenn es die Formatierung zerhaut. Ein kurzes E-Mail-Anschreiben mit Hinweis auf die Anlagen genügt. Die Bewerbung sollte einfach, klar und gut aufgebaut aussehen. Hintergrundbild, farbige Verzierungen, aufwendige grafische Gestaltung können grandios daneben gehen, wenn Sie kein entsprechendes Talent besitzen. Ein Bild kann man beifügen, kann es aber auch lassen – fragen Sie ihr kritisches Gegenüber, und verzichten Sie im Zweifelsfall darauf! Ganzseitige Porträts sind jedenfalls unangebracht. Den Lebenslauf im „amerikanischen“ Stil – die neuesten/letzten Erfahrungen als erstes. Kindergarten, Grundschule und Gymnasium interessieren grundsätzlich nicht, es reicht, mitzuteilen, wann und wie das Abitur zustande kam.

 

8) Achtung mit dem I-Wort

Besonders beliebt war das Wort „interdisziplinär“ – natürlich auch, weil es in der Ausschreibung genannt wurde. Aber: wenn Sie Politikwissenschaft und Theaterwissenschaften studiert haben, macht Sie das interdisziplinär?  Sie haben disziplinübergreifend studiert und dabei verschiedene Fächer kennengelernt. Interdisziplinär haben Sie aber nur dann wirklich gearbeitet, wenn Sie in konkreten Forschungsarbeiten die unterschiedlichen, oft unvereinbaren Erkenntnisinteressen mehrerer Disziplinen in mühevoller Arbeit zusammengebracht haben. Das müssen Sie zeigen. Interdisziplinarität ist anstrengend und konfliktreich und nicht etwas, was Sie beim Besuch etwa eines kulturwissenschaftlichen Seminars einfach so mitnehmen.

Ein Beitrag von Christian Boulanger

 

 

Quelle: http://gab.hypotheses.org/695

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Humanitärer Pop

 

Humanitäre Fragen wurden häufig von der Popmusik sehr ernst genommen. Ironie ist angesichts der Schwere des Themas normalerweise nicht im Fokus. Betrachtet man die Videos “Radi-Aid – Africa for Norway” oder “Aid Aid – Pimp my aid worker”, so wird schnell deutlich, das man nicht umhin kommt, sich genau damit zu befassen. Ende 2011 organisierten sich südafrikanische Studenten in Norwegen, um die Verwendung von Stereotypen in internationalen Spendenaktionen für die Entwicklungsländer in Frage zu stellen. Das Projekt “Radi-Aid – Africa for Norway” wurde ins Leben gerufen. Mit finanziellen Mitteln der norwegischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit (Norad) und des norwegischen Rats für Kinder und Jugendliche (LNU) koordinierte der Norwegian Students’ and Academics’ International Assistance Fund (SAIH) die Aufnahme eines Musikvideos und die Erstellung einer Webseite (www.africafornorway.no).

 

Kurz gefasst kritisieren die Mitwirkenden den ausschließlichen Fokus auf Hunger, Armut, Kriminalität und AIDS, wenn es um mediale Spendenaktionen für Afrika geht. Ihrer Auffassung nach können solche Kampagnen die Menschen zwar kurzfristig zum Engagement motivieren. Langfristig habe die ständige Verwendung dieser Stereotypen jedoch den gegenteiligen Effekt: Die Menschen geben auf, weil ihnen die Hilfe nutzlos scheint. Deshalb plädieren die Organisatoren dieser Kampagne für die mediale Verbreitung positiver Entwicklungen in Afrika, mehr Kenntnis und mehr Respekt. Feinsinnig wird gezeigt, dass diese Kampagne sich für Entwicklungshilfe positioniert.

Das Interessante in diesem Projekt ist die ironische, aber gut gelaunte Kritik an den Stereotypen solcher Spendenaktionen. Das Musikvideo dreht den Spieß kurzerhand um: Es stellt das Leben der Norweger negativ dar und fordert die Afrikaner auf, sich für die Nordeuropäer zu engagieren. Für sie ist die Kälte in Norwegen so schrecklich wie Hunger — Kälte kann auch tödlich sein! Die Norweger seien deswegen auch kalt und hätten wenig Lebensfreude. Darum werden die Afrikaner gebeten, ihre Heizlüfter “with a tropical breeze” nach Norwegen zuschicken um so Licht und Lächeln zu teilen. Um diese Botschaft zu übermitteln, greifen die Organisatoren der “Radi-Aid”-Kampagne auch auf Stereotypen zurück, aber solche von der Pop-Konstellation.

Am Musikvideo beteiligen sich elf Sänger, die abwechselnd die Strophen und den Refrain zusammen singen. Die Sänger erscheinen hinter dem Mikrophon im Tonstudio, wo die Aufnahme des Songs stattfindet. So wird den Zuschauern der Produktionsprozess des Videos hinter den Kulissen gezeigt. Sofort werden Videos wie “Band-Aid – Do they know it’s Christmas?” und “USA for Africa – We are the world” ins Gedächtnis der Zuschauer gerufen. Zufall? Nein! Diese Videos dienten als Inspiration, wie in der Webseite des Projekts “Radi-Aid” erklärt wird.

Andere Projekte greifen auf diese ironische Form zurück, um ihre Kritik an humanitärer Hilfe zu äußern. Auch vom Norad und anderen unterstützt wurde das “Aid Aid – Pimp my aid-worker” Musikvideo. Hier erscheinen 23 Sänger aus Zambia mit Kopfhörern hinter dem Mikrophon in einem Studio. Ironischer und direkter als “Radi-Aid” plädieren die Organisatoren dieser Kampagne für eine neue Philosophie der Gleichheit:

“A world where real compassion includes a sense of real equality, where seriousness of purpose includes a sense of humor, where generosity includes moral clarity, where the black aid back and white’s not uptight, where we take each other seriously and smile at each other’s prejudices – as we move together as one”

(www.pimpnyaid.org/index.php/vision.html).

 

Warum wählten diese Projekte ein Musikvideo solcher Art aus, um ihre Kritik zu äußern? Warum ist das so ironisch?

Historisch betrachtet war das Projekt “Band-Aid – Do they know it’s Christmas?” bahnbrechend in der Verbindung von Popmusik und humanitärer Hilfe. Im November 1984 koordinierten die Musiker Bob Geldof (Boomtown Rats) und Midge Ure (Ultravox) die Aufnahme des Songs mit 36 britischen Popstars dieser Zeit. Jeder sang einige Strophen des Songs, einige Verse wurden von Mehreren gesungen. Der Refrain versammelte alle Sänger in einem Chor. Ein im Tonstudio aufgedrehtes “Making-Of”-Video wurde in ein Musikvideo des Songs umgewandelt, um Werbung für die Kampagne zu machen. Markant in diesem Video ist die ungewöhnliche Darstellung der Popstars als ganz normale Menschen: Sie haben keine Schminke, tragen einfache Kleidung und sind mit Kopfhörern im Tonstudio. Es wird gezeigt, wie sie im Studio eintreffen, einander begrüßen und sich hinter den Kulissen verhalten. Bekannt wurde auch ihr ehrenamtlicher, gemeinsamer Beitrag für den Kampf gegen Hunger in Äthiopien. Auf diese Weise versuchten sie, ihre Fans auf Augenhöhe anzusprechen und gemeinsam in einem Projekt zu engagieren. Schnell erreichte die Single die Spitze der Charts in Großbritannien.

 

International projizierte die nordamerikanische Version des Projekts – USA for Africa – durch den von Michael Jackson und Lionel Ritchie komponierten Song “We are the World” diese Form vom popmusikalischen Engagement für humanitäre Ursachen. Im Jahr 1985 erschienen mehr als 20 weitere Videos weltweit, in denen die originelle Form angepasst wurde, unter anderem “Band für Afrika – Nackt im Wind” (Deutschland), “Northern Lights – Tears are not enough” (Kanada), “Hawaii Stars – Way of Love Benefit” (Hawaii), “Stars – Hear N’ Aid” (Heavy-Metal-Musiker – USA), “Yu Rock Misija – Za Milion Godina” (Jugoslawen), “Forente Artiste – Sammen for livet” (Norwegen), “Rockzenészek az éhezó afrikáért – Mondo, mit ér egy falat kinyír?” (Ungarn), “Apua! Orkesteri – Soittaa Maksamme Velkaa” (Finnland), “Chanteurs sans frontières – Ethiopie” (Frankreich), “Australia too – The Garden” (Australien), “The Cause – Do something now” (USA), “Voces Unidas – Cantare, cantarás” (Lateinamerika), “Musicaitalia per l’Etiopia” (Italien), “Opus and Austria for Africa – Warum?” (Österreich), “2-Tone Allstars – Starvation” (England), “Tam tam pour l’Ethiopie” (Kamerun), “Krugerrand-Aid – Operation Hunger” (Südafrika), “Leven zonder honger” (Belgien) und “Samen” (Niederlande).

Der Absicht dieser Musiker, und vor allem Bob Geldofs, wurde schnell verdächtig in den Augen der Kritiker: Wollten sie tatsächlich helfen oder strebten sie nach weltweitem Ruhm und dadurch nach höherem Gewinn? Um diesen Verdacht auszuräumen, ließen sich z.B. Bono Vox (U2) und Bruce Springsteen auf äußerst politische Projekte wie “Sun City” ein. Diese neuen Musikvideos rekurrierten immer wieder auf dieses Format von kollektivem Engagement der Musiker. Als Folge wurde es zur weltweiten Form popmusikalischen Engagements par exzellence.

Vor diesem Hintergrund wird erst verständlich, warum die Projekte “Radi-Aid” und “Aid Aid” so ironisch wirken. Die Spannung zwischen der Form und dem Inhalt der Botschaft im Musikvideo bricht mit den Erwartungen der gewöhnlichen internationalen Hilfskampagnen. Auf diese Weise wird die politische Rolle der Popkultur in Frage gestellt: Kann der Pop als Plattform für eine neue Politik der Repräsentation auf internationaler Ebene dienen? Historische Analysen in dieser Hinsicht können uns helfen, Antworten zu finden. Dabei rückt der Popgeschichte ins Zentrum der Debatte.

 

 

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/627

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Das unbekannte trojanische Pferd: Schweden und die DDR im Kalten Krieg

 

Ein Gastbeitrag von Charlotta Seiler Brylla. Das Interesse für die Beziehungen zwischen der DDR und Schweden während des Kalten Krieges scheint nicht nachzulassen. Besonders die Aktivitäten des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS) im Königreich Schweden erregen nach wie vor die Aufmerksamkeit von LeserInnen und Medien, was die auch hier auf dem NordicHistoryBlog bereits behandelte letztjährige Debatte über Birgitta Almgrens Buch Inte bara spioner… Stasi-infiltration i Sverige under kalla kriget [Nicht nur Spione…Stasi-Infiltration in Schweden während des Kalten Krieges] zeigte. Schweden war ein Schwerpunktland für die DDR-Außenpolitik und für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der Staatssicherheit. Zu keinem anderen nordischen Land wurden so viele Stasi-Berichte generiert wie über Schweden.

Der schwedische Journalist Christoph Andersson, der sich seit Jahrzehnten mit der DDR beschäftigt, hat in einem kürzlich erschienenen Buch neue Fallstudien über den Wirkungsbereich der Stasi in Schweden vorgelegt. Einer der Fälle – Operation Nordlicht – enthüllt, wie das MfS eine Propagandakampagne gegen Schweden plante. Leiter der Operation war eine Abteilung X, eine Sondereinheit der HVA. Ihr spezieller Auftrag galt der Desinformation, im Stasijargon ausgestattet mit der euphemistischen Bezeichnung Aktive Maßnahmen. Ziel der Operation war es, die schwedische Neutralitätspolitik zu demontieren, indem man versuchte, eine langjährige Tradition politischen Doppelspiels nachzuweisen. Es sollte aufgezeigt werden, wie der schwedische Staat und vor allem das schwedische Königshaus mit Nazideutschland kooperiert hätten, obwohl man sich offiziell als „neutral“ darstellte. Dieselbe Doppelmoral präge Schweden im Kalten Krieg: Unter vorgegaukelter Neutralität unterstütze es nun die westliche Nato-Allianz. Der Plan der Abteilung X war, ein Buch über die Aktivitäten Schwedens im Krieg herauszugeben, das im Rahmen der KSZE-Konferenz in Helsinki wie eine Bombe einschlagen und das schwedische Doppelspiel irreversibel diskreditieren sollte.

Die Abteilung X hatte dafür eine geeignete und zwangsläufig zuverlässige Person gefunden: Kurt Vieweg, Professor für Agrarwissenschaft, der in den Kriegsjahren im schwedischen Exil gewesen war. Vieweg hatte nach seiner Rückkehr als Exilkommunist einen guten Stand und konnte Karriere im SED-Regime machen. Relativ schnell geriet er aber in Ungnade, weil er die Zwangskollektivierung kritisierte. In Schweden hatte Vieweg Landwirtschaft studiert und das schwedische Modell kennengelernt, das eine Mischung aus Kooperation und eigenem Besitz favorisierte. Seine Reformideen hatten keinen Erfolg, die Stasi unterstellte ihm stattdessen „Revisionismus“ und „kontrarevolutionäre“ Tätigkeit. Seine Kontakte zu Herbert Wehner, den er ebenfalls in Schweden kennengelernt hatte, sowie ein Versuch, die DDR zu verlassen, führten dazu, dass Vieweg 1958 zu 12 Jahren Zuchthaus wegen Spionage und Republikflucht verurteilt wurde.

1964 kam Vieweg auf Bewährung frei, allerdings unter der Bedingung, fortan für das MfS tätig zu sein. Anfang der 1970er Jahre wurde er für die Operation Nordlicht eingeteilt. Als Schweden-Kenner und mit persönlichen Erfahrungen als Exilant im Krieg schien er für die anstehende Aufgabe perfekt geeignet. Mithilfe unzähliger Akten sollte Vieweg das Buch über Schwedens Rolle im Krieg als eine Art Ghostwriter verfassen. Dann sollten ein schwedischer Autor und ein Verlag gefunden werden, die bereit gewesen wären, ihren Namen für das Buch zu geben.

Aber dazu kam es nicht. Das Manuskript mit dem Arbeitstitel Das unbekannte trojanische Pferd, der Bezug nimmt auf den antifaschistischen Kabarettisten Karl Gerhard, blieb in einer Schublade der Abteilung X. Die DDR-Führung hatte beschlossen, den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme für zuverlässig zu halten. Im Rahmen der Helsinki-Konferenz hatte Palme sich für den Vertrag, der unter anderem die Grenzen der DDR anerkannte, außerordentlich eingesetzt.

Palme Honecker SvD

 

Die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter
über Palmes DDR-Besuch 1984

Die Beziehungen zwischen Erich Honecker und Olof Palme blieben auch nach der Helsinki-Konferenz gut. Christoph Anderssons zeigt auf seinem Cover ein Foto der Begegnung beider Regierungschefs in Stralsund 1984. Sowohl die DDR-Presse als auch die schwedischen Medien berichteten von gemeinsamen Bestrebungen für Frieden und Abrüstung in Europa. Beinahe zynisch wirkt in diesem Kontext die Tatsache, dass Schweden und die DDR gerade zu diesem Zeitpunkt den Iran-Irak-Krieg durch Waffen-Exporte am Laufen hielten. Mithilfe der vom MfS kontrollierten Außenhandelsabteilung „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) konnte der schwedische Rüstungshersteller Bofors große Mengen an Schießpulver in den Iran exportieren. Gleichzeitig lieferte ein anderes DDR-Unternehmen Waffen an den Irak. Anderssons Recherchen im BStU-Archiv zeigen, dass finanziellen Interessen sowohl in Schweden als auch in der DDR letzten Endes eine höhere Priorität als der Friedensfrage zukam

Während die Unterlagen der BStU die Geschäfte zwischen Bofors und dem KoKo-Unternehmen IMES bis ins Detail dokumentieren, konnte (durfte?) Birgitta Almgren bei ihrer Akteneinsicht des schwedischen Nachrichtendienstes (Säpo) hingegen keine einzige Akte zu diesen Embargo-Geschäften finden. Wie die Debatte vom letzten Jahr zeigte, ist der Zugang zu den Säpo-Akten willkürlich und in vielen Fällen nicht möglich. Christoph Anderssons Buch macht noch einmal deutlich, dass diese Debatte weiterhin geführt werden muss.

Charlotta Seiler Brylla ist Kultur- und Sprachwissenschaftlerin und ist seit 2009 Universitätslektorin für Deutsch/Linguistik an der Universität Stockholm. Sie arbeitet zum politischen Gebrauch von Sprache, zu begriffsgeschichtlichen Fragestellungen und hat sich bereits in mehreren Projekten ausgiebig mit den Beziehungen zwischen Schweden und der DDR beschäftigt. Derzeit forscht sie zu den rhetorischen und diskursiven Mitteln, welche bei der politischen “Vermarktung” der DDR gegenüber Schweden eingesetzt wurden.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1561

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Fachzeitschriftenartikel zum Fall “Stadtarchiv Stralsund”

 

Sehr geehrte Leser_Innen,

ein Fachzeitschriftenartikel zum Fall “Stadtarchiv Stralsund”.

Der Ausverkauf der Gymnasialbibliothek im Stadtarchiv Stralsund

Von Philipp Maaß unter Mitarbeit von Klaus Graf

Erschienen in: BuB : Forum Bibliothek und Information ; Fachzeitschrift des BIB, Berufsverband Information Bibliothek e.V Vol. 65, No. 2 (2013), p. 84-86

 

Am 5. Juni 2012 hat die Hansestadt Stralsund per Beschluss im nichtöffentlichen Teil des Hauptausschusses 5926 Bände der historischen Bibliothek des Stadtarchivs, nämlich den Teilbestand Gymnasialbibliothek, an den Antiquar Peter Hassold aus Dinkelscherben verkauft. Wir wollen in diesem Artikel eine kurze Chronologie der Ereignisse (Stand: 20. Dezember 2012) zeichnen und auch aufzeigen, wie derlei Kulturgutverlusten in Zukunft begegnet werden kann. Noch kann von einer umfassenden Aufklärung des Geschehens keine Rede sein. Das folgende ist also eher eine Zwischenbilanz als eine abschließende Bewertung der Affäre.

“Kulturgut ist unveräußerlich” (Satzung des Stadtarchivs Stralsund 2002)

“1984 – 2009 [...] war ich hier beschäftigt und kann mit ganz großer Ruhe sagen, in dieser Zeit ist kein Buch ein einziges Mal einem Benutzer vorgelegt worden, weil kein Benutzer danach verlangt hat. Hans-Joachim Hacker” (Ehemaliger Leiter des Stadtarchivs)

Eigentlich weiß man gar nicht so genau ,wo man anfangen soll: Bei den befremdlichen Äußerungen eines langjährigen Archivchefs einer Weltkulturerbe-Stadt zur mangelnden Nachfrage nach Büchern der Gymnasialbibliothek Stralsund? Beim Oberbürgermeister der Stadt Stralsund, der sich 2004 von seinem Stadtarchivar Hacker für sein Empfangszimmer 1090 historische Bände, unter anderem eine in plattdeutsch gedruckte Bibel von 1588, als dekorativen Raumschmuck bereitstellen ließ? Oder vielleicht beim Antiquar Peter Hassold, der einerseits ständig in den Medien die Rechtmäßigkeit seiner Geschäfte betont, andererseits bereit war, dem Stadtarchiv eine Honorarkraft zu finanzieren, um sich dann aus den Sammlungen bedienen zu dürfen?

Für die Fachwelt begann alles mit einem Kommentar von Falk Eisermann, Leiter des “Gesamtkatalogs der Wiegendrucke” an der Staatsbibliothek Berlin,  in dem Blog “Archivalia” am 22. Oktober 2012. Er war in einer Pressemeldung der Stadt Stralsund auf die Erwähnung der “Veräußerung eines Teilbestandes der ehemaligen Gymnasialbibliothek” aufmerksam geworden.  Eigentlich ging es im Beitrag nur um die Schließung des Archivs wegen Schimmelbefalls. Klaus Graf, der das Blog Archivalia betreibt und sich seit vielen Jahren mit Kulturgutverlusten beschäftigt, ging daraufhin der Sache auf den Grund und hakte bei der Stadt Stralsund nach. Der Pressesprecher der Stadt bestätigte am 30. Oktober den Verkauf der gesamten Gymnasialbibliothek an “einen Antiquar”. Mehr dürfe  er nicht preisgeben, da es sich um “schutzwürdige Interessen” handele.

Mittlerweile tauchten auch in den einschlägigen Portalen (Abebooks, ZVAB, Ebay usw.) erstaunlich viele Bände mit dem Besitzstempel des Stralsunder Stadtarchivs auf. Dabei handelte es sich teilweise um Pomeranica mit keinerlei (zumindest elektronischem) Nachweis in Deutschland und sogar um Bücher aus der bedeutenden Löwen’schen Sammlung. In der bibliothekarischen Mailingliste “Inetbib” machte Graf auf die unglaublichen Vorgänge aufmerksam. Ich kontaktierte ihn daraufhin, um eine Petition zu verfassen, die den Protest bündeln sollte. Es folgten eine Reihe von Protestnoten anerkannter Wissenschaftler und Pressemitteilungen von Berufsverbänden (u.a. VdA , VDB – BIB äußerte sich leider nicht) sowie nicht zuletzt zahlreiche Unterschriften unter die Petition. In den nächsten Tagen war in  überregionalen Tageszeitungen (u.a. FAZ, Süddeutsche Zeitung: “Vergessen, Verschimmelt, Verscherbelt”) vom “Stralsunder Bücherausverkauf” zu lesen. Die Stadt versprach daraufhin Aufklärung und setzte zwei renommierte Germanisten, Nigel Palmer und Jürgen Wolf, als externe Gutachterkommission ein, die zu dem Ergebnis kam, dass es sich bei dem Buchverkauf wohl doch nicht um einen “wertlosen Bestand” (Hacker) handele. Gerade als Ensemble, als geschlossenes Ganzes sei sie von großer Bedeutung für die Stadt- und Regionalgeschichte und eine wichtige Quelle der Bildungsgeschichte.

Die Stadt legte den Rückwärtsgang ein und versprach, den Verkauf umgehend rückgängig zu machen. Hassold zeigte sich generös und gab die noch nicht verkauften 5.278 Bände an die Stadt Stralsund zurück, wo sie momentan in “Thermo-Containern” aufbewahrt werden. Einen Teil hat der Antiquar als unverkäuflich vernichtet.

Ein von uns vermitteltes Angebot der Universitätsbibliothek Greifswald, den Rückkauf treuhänderisch zu verwalten und die Bände elektronisch zu erfassen sowie eine Erstrestaurierung durchzuführen, wurde aus uns nicht bekannten Gründen von der Stadt abgelehnt.

Die Archivleiterin Frau Nehmzow, die den Verkauf fachlich verantwortet hatte, wurde  fristlos entlassen. Man erfuhr, der Verkauf von angeblichen “Dubletten” sei seit den 1990er Jahren gängige Praxis gewesen, um damit die “historischen Buchsammlungen erhalten zu können” da von der Stadt keine finanziellen Mittel zu bekommen waren. Auch Förderanträge  an das Land seien mit der Begründung, es seien keine Bestände mit landesweiter Bedeutung, abgelehnt worden.

Mittlerweile hat die Stadt Strafannzeige gegen Frau Nehmzow gestellt: Im März diesen Jahres verkaufte sie für 20.000 € rund 1000 Bücher aus dem Stadtarchiv ohne Genehmigung. Der Vize-Oberbürgermeister der Stadt, Holger Albrecht, wurde von Frau Nehmzow beschuldigt, von den Verkäufen gewusst zu haben. Er wies die Vorwurfe zurück, was von Teilen der Stralsunder Bürgerschaft bezweifelt wird. Am 13. Dezember 2012 wurde laut Ostsee-Zeitung bekannt, dass der Antiquar Hassold eine Honorarkraft im Archiv bezahlte, ohne dass die Stelle von der Stadt genehmigt worden sei. Hassold habe sich dafür im März diesen Jahres 151 Bände aus dem wertvollen Pomeranica-Bestand des Stadtarchivs aussuchen dürfen.

Die maßgebliche Initiative der “Kampagne” zum Erhalt der Gymnasialbibliothek kam von Klaus Graf. Eine sehr heterogene kleine Gruppe Interessierter fand sich zuerst in einem Mail-Verteiler  zusammen. Es entstand eine Facebookseite, die zusammen mit anderen Social Media den Druck auf die Stadt erhöhten und als Austausch- und Kommunikationsplattform diente. Die Presseartikel zur Thematik wurden von uns gesammelt, und die Angebote der Antiquare zur späteren Identifizierung der Bände systematisch abgespeichert. Zwei Wikipedianer legten Artikel in der Wikipedia an, z.B. zum Stralsunder Gymnasium. Es war eine Kulturgutschutz-Kampagne, die nicht zuletzt mit Hilfe der Social Media erfolgreich war.

Damit die so geschaffene Infrastruktur auch bei künftigen Aktionen, mit denen man im Kulturgutbereich ja rechnen muss, zur Verfügung steht, haben wir beschlossen, uns als “Arbeitsgemeinschaft Kulturgut bewahren” zu organisieren.

Auch wenn der Ausgang der “Causa Stralsund” ein deutliches Warnsignal an alle Stadtkämmerer aussendet, die mit dem Gedanken spielen, kommunale Kulturgüter zu verkaufen, bleibt noch viel zu tun.

Bei allen, auch den kleinen Altbestands-Sammlungen muss sich die Überzeugung durchsetzen, dass es vor 1850 eigentlich keine “Dubletten” gibt, weil durch individuelle Provenienzmerkmale oder Druckvarianten keine Doppelstücke vorliegen. Hier muss die Position der “Schriftliches Kulturgut erhalten” in ihrer Denkschrift von 2009 immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Wie wenig man auf die Durchsetzung buchhistorischer Binsenweisenheiten in der bibliothekarischen Praxis vertrauen darf, zeigt die Rechtfertigung der skandalösen Eichstätter Verkäufe frühneuzeitlicher Drucke aus Kapuzinerbibliotheken durch die Bayerische Staatsbibliothek in einem Untersuchungsbericht. Im November 2006 fand das Salzburger Benediktinerstift St. Peter nichts dabei, sogenannte Dubletten von Drucken seit dem 16. Jahrhundert zu versteigern.

In die Stralsunder Petition haben wir bewusst auch allgemeine Forderungen aufgenommen:

“Wir rufen die politischen Entscheidungsträger in Mecklenburg-Vorpommern, Landtag und Verwaltung, dazu auf, dringend rechtliche Regelungen in Kraft zu setzen, die solche Veräußerungen beweglicher Kulturgüter in Archiven, Bibliotheken und Museen wirksam verhindern können.

Alle schützenswerten Sammlungen im Land sind in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts (bzw. national wertvoller Archive), das derzeit noch leer ist, aufzunehmen und in die Denkmalliste als bewegliche Denkmäler einzutragen.

Das Denkmalschutzgesetz, das Archive vom Denkmalschutz ausschließt, ist zu ändern, damit denkmalschutzrechtliche Rettungsmaßnahmen (§ 20 Abs. 2 DSchG M-V) auch bei Archiven greifen können.

Die im Land Mecklenburg-Vorpommern bestehenden Archivbibliotheken sind als wichtige wissenschaftliche Spezialbibliotheken stärker zu fördern und besser für die Nutzung zu erschließen (insbesondere durch elektronische Bibliothekskataloge).”

Die Ziele unserer Arbeitsgemeinschaft haben wir so formuliert: “Was in den amtlichen Denkmal- und Kulturgutverzeichnissen steht, ist leider nur ein Teil des schützenswerten Bestandes an Geschichtsquellen und kulturellen Zeugnissen, an deren Erhalt ein öffentliches Interesse besteht. Adelsbibliotheken wie die Donaueschinger Hofbibliothek, Kirchenbibliotheken wie die in Eichstätt zusammengetragenen Kapuzinerbibliotheken oder 2012 die im Stadtarchiv Stralsund verwahrte (und nur mit schmerzlichen Verlusten dank unseres Einsatzes zurückgeholte) Gymnasialbibliothek samt weiteren wertvollen Büchern wurden in den letzten Jahren in den Handel gegeben und zerstreut. Immer wieder werden bemerkenswerte Schlossausstattungen auf Auktionen angeboten. Solche historischen Provenienzen (Herkunftsgemeinschaften) verdienen Schutz und Respekt, haben aber bisher – anders als archäologische und Baudenkmale – keine organisierte Lobby.”

Auch künftig wollen wir uns stark auf Social Media stützen und in einem Weblog kulturgut.hypotheses.org unsere Positionen zum Kulturgutschutz vertreten.

Internetquellen:

http://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_B8D598E4238E4E09C1257ABF00448714?OpenDocument Chronologie der Ereignisse (Stadt Stralsund)

https://abuveliki.wordpress.com/2012/12/08/causa-stralsund-sellout-of-an-archive/ (Chronologie, englisch)

http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund (Berichterstattung im Weblog Archivalia)

Klaus Graf: Causa Stralsund. Darf eine Stadt ihr Kulturerbe in den Handel geben?

http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4101

 

 

 

 

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/126

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An der plakativen Front: Eine Fälschung macht Geschichte

 

Am Ende des derzeit viel diskutierten ZDF-Fernsehspiels „Unsere Mütter, unsere Väter“ gibt es eine bemerkenswerte kleine Szene. Im Jahr 1945 kommen drei von fünf Freunden an den Ort zurück, in der das Drama 270 Fernsehminuten zuvor im Jahr 1941 bei fröhlicher Tanzmusik begann. Mittlerweile haben die Grauen des Krieges sie verändert. Für ein paar lange Sekunden bleibt die Kamera an einem Detail hängen, das verlässlich immer wieder dann auftaucht, wenn es um Kulturpolitik des “Dritten Reiches” gilt. Auf einer Emailletafel steht in roten Fraktur-Lettern:

Screenshot ZDF-Fernsehspiel "Unsere Mütter, unsere Väter"

„Swing tanzen verboten.“ Gezeichnet ist das Schild mit dem Schriftzug „Reichskulturkammer“. Für den Erzählbogen des Fernsehspiels hat diese Einstellung eine Art Brückenfunktion. Denn neben den fünf Hauptrollen spielt populäre Musik eine der wichtigsten Nebenrollen: Am Anfang stand eine ausgelassene Party im Berlin des Jahres 1941. Die fünf deutschen Freunde, einer von ihnen ist Jude, feiern Abschied von der Heimatfront, doch sie werden jäh vom sadistischen Sturmbannführer gestört: Swing tanzen verboten.

Am Ende findet man sich wieder in der Kneipe ein und das verblichene Emaille-Schild erinnert nun daran, wie es einst begann. Nämlich mit einem Musikverbot, ganz nach dem Ausspruch Heinrich Heines: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”An dieser Narration wäre im Grunde nichts auszusetzen, doch der Teufel steckt auch hier im Detail: Ein solches Schild hat es im Nationalsozialismus nicht gegeben.  Nun könnte man einwenden, es handele sich doch nur um den Regieeinfall einer auch  sonst fiktiven Geschichte. Doch die kleine Fälschung steht in größeren Zusammenhängen. Um zu sie verstehen muss man ihre Spur genauer nachverfolgen.

An der plakativen Front

Sie führt nach Hamburg, allerdings nicht ins Jahr 1941, sondern in die siebziger Jahre. Damals beschließt eine Schallplattenfirma eine Compilation mit Jazz-Musik der Dreißiger und Vierzigerjahre herauszugeben. Als Marketing-Gag für die leicht angestaubte Musik besinnt man sich darauf, dass die fröhlichen Saxophonklänge vor wenigen Jahrzehnten einmal den Nimbus verbotener Bückware besaßen und beschließt das zu tun, was man in Marketing-Kreisen üblicherweise tut: Man beauftragt einen Grafiker mit der Visualisierung. Das Resultat sieht so aus:

LP-Cover "Swing tanzen verboten"

Dieses Schallplattencover machte eine beachtliche Karriere. Der Grafiker Schöningh hatte seinen Job so gut gemacht, dass man seine Arbeit bald nicht mehr für die Erfindung hielt, die sie war, sondern für einen historischen Quellenfund. Zumal das Detail hervorragend in den von antijüdischen Verordnungen, Propagandaplakaten und Erlässen durchherrschten Alltag des Nationalsozialismus zu passen schien. Als Knud Wolffram 1992 die Ursprünge des vermeintlichen Exponats erkundete, sagte ihm der Herausgeber der Schallplatte:

„Wir brauchten damals für das Doppelalbum […] eine plakative Front. Unser damaliger Chef Kurt Richter erinnerte sich an solche Verbotsschilder und gab unserem Tatsachensachbearbeiter [sic!] entsprechende Hinweise. Der setzte sich dann mit dem Grafiker Joop Schöningh zusammen. Schöningh entwickelte das Schild mit echter Emaille, es sah wirklich toll aus und jeder wollte es haben.“

Die Weiterverbreitung des falschen Verbotsschildes wurde von Wolfframs Enthüllung jedoch keineswegs gestoppt. Wie Marc Fabian Erdl und Armin Nassauer ausführten fand sich das Foto 1994 in Franz Ritters Buch „Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“ wieder und ist bis heute immer wieder Bestandteil kulturhistorischer Power-Point-Präsentationen. Und weil sich die Botschaft so gut zur Illustration eignete, bat man selbst Zeitzeugen mit dem Schild zu posieren, etwa den Jazz-Musiker Emil Mangelsdorff, der drei Monate lang in Gestapo-Haft war:

Die Bildunterschrift zu diesem Foto lautet: „Heute kann Emil Mangelsdorff über das Schild der NS-‚Reichskulturkammer‘, das er den Schülern in der Ederberglandhalle zeigte, wieder lächeln.“ Vielleicht lächelt Mangelsdorff aber auch, weil er weiß, dass es sich um einen Fake handelt.

Andere gingen noch einen Schritt weiter und fertigten eigene Schilder an, die gegen das vermeintliche Verbotsschild demonstrierten. So entstand die Illustration „Swing tanzen erlaubt“ mit dem nun schon obligaten Hinweis auf das angebliche Verbotsschild, das an „Eingängen vieler Tanzlokale in Deutschland“ gehangen habe:

Es half nichts, dass auch an anderer Stelle darauf hingewiesen wurde, dass es nicht nur die Schilder, sondern auch ein generelles Swing-Tanzverbot “nicht wirklich belegbar“ sind. Tatsächlich habe jeder Gastwirt selbst entscheiden können, was für Tanzmusik in seinem Lokal gespielt werde. Es seien „nur ganz vereinzelte, private ‚Swingtanz‘-Verbote einiger Lokale in Thüringen“ nachweisbar, doch beruhen diese Angaben nur auf mündlichen Berichten.

Zwar wurden Angehörige einer an Swing und afroamerikanischer Kultur orientierten Jugendkultur, die so genannten „Swing-Heinis“ oder „Zazous“ tatsächlich verfolgt. Dies waren jedoch keine Massenphänomene, sondern Ausnahmen, die auf wenige Großstädte beschränkt blieben, vor allem auf Hamburg. Das Swing-Tanzen selbst war nie offiziell verboten worden, allerdings nicht, weil man es für harmlos befand, sondern weil es reichsweit kaum praktiziert wurde. Genau das impliziert aber das gefälschte Schild: Die Notwendigkeit, eine massenhaft Swing-begeisterte deutsche Bevölkerung per Verordnung zu disziplinieren. Hier liegt der Denkfehler, der von gänzlich falschen Prämissen ausgeht.

Genau dies tut auch das ZDF-Drama. Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert kritisierte, die Darstellung des Jahres 1941 im Fernsehspiel „Unsere Mütter, unsere Väter“ gehe an den damaligen Realitäten und Mentalitäten gründlich vorbei: Juden waren längst weitgehend entrechtet und die Mehrheit der Deutschen habe dem NS zu diesem Zeitpunkt keineswegs indifferent gegenüber gestanden, sondern sei davon überzeugt gewesen, “dass es besser wäre, die Juden wären weg. Nicht, dass sie umgebracht werden sollten – aber weg sollten sie sein.” Die Darstellung der Deutschen als Jünger-lesende und Swing-hörende Freunde halblegaler Kultur sei da irreführend.

Jan Süselbeck widmet sich in einem harschen Verriss der Swing-Szene in der ZDF-Produktion: „Auffällig ist, das diese ‚Mütter‘ und ‚Väter‘, die tatsächlich diejenigen der sogenannten. 68er-‚Generation‘ waren, in diesem Film bereits ein überaus sympathisches Prä-Hippietum zu vertreten scheinen: Wie ihre Kinder wollten auch sie eigentlich nur die große Liebe erleben, fröhliche Rauscherfahrungen machen und Swing-Musik hören, wie suggeriert wird. Mit dem Swing schätzten diese Protagonisten gewissermaßen ein Äquivalent zur Rock-Musik der 1960er-Jahre, weil Swing im Nationalsozialismus verboten war, für ein Aufbegehren gegen das Regime, ja für eine offene Form resistenten Verhaltens im Alltag im Nationalsozialismus stand und zu Beginn der Serie auch prompt zu Ärger mit der Gestapo führt. Am Ende des letzten Teils der Serie, kurz nach dem Ende des Kriegs, nähert sich die Kamera noch einmal bedeutungsschwanger einem verwitterten Schriftzug mit dem Wortlaut ‚Swing tanzen verboten‘.“

Dieses Schild ist mittlerweile nicht nur Vestandteil von Film und Foto, sondern auch als dreidimensionales Objekt erhältlich. Findige Hersteller von Fan-Devotionalien ließen Blechschilder prägen, die bis heute zum Kauf angeboten werden. So wurde aus einer Illustration schließlich ein Exponat, das die Authentizität eines Überrests (im Sinne Gustav Droysens) reklamiert. Das „Nostalgie Blechschild Swing tanzen verboten“ kostet bei einem bekannten Online-Versandhandel heute rund 20 Euro und ist dort klassifiziert als „original lizensierte Replik“. Der auf Weltkriegsdevotionalien spezialisierte Händler “Germaniateutonia Militaria” bietet eine Emaille-Version als “NSDAP Türschild” für knapp 40 Euro an.

Ein falsches Schild ist nur ein Mosaiksteinchen, das allein nicht viel wiegen mag. Kommen aber mehrere davon zusammen, so ergibt sich ein Geschichtsbild, das aus Marketing-Ideen und Ex-Post-Deutungen zusammengesetzt geradezu zwangsweise zu völlig falschen Schlüssen kommen muss und ein Bild des nationalsozialistischen Alltags zeichnet, das von falschen Hypothesen und verharmlosenden Ergebnissen verstellt wird. Das Resultat ist dann im Wortsinne: Blech.

1Zit. n. Erdl / Nassauer: Kippfigur. Zur Geschichte der deutshen Jazz-Rezeption und ihrer Mythen von Weimar bis heute, in: Bollenbeck/ La Presti: Traditionsanspruch und Traditionsbruch. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik II, Wiesbaden 2002, S. 185 ff.

 

 

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/527

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Archive 2.0 auf dem 65. Westfälischen Archivtag

 

Auf dem 65. Westfälischen Archivtag in Münster wurde der Bereich Archiv 2.0 zwar nicht explizit thematisiert, wohl aber an etwas versteckter Stelle angesprochen – und zwar auf dem Diskussionsforum “Verzeichnest du noch oder gefällst du schon? Archive als Anbieter digitaler Dienstleistungen”. Im Folgenden sei mein eigenes Impulsreferat dokumentiert:

 

„Diese Verzeichnung gefällt mir! Das Archiv 2.0 als Anbieter digitaler Dienstleistungen“

Am 13. März 2013 stieg weißer Rauch über der sixtinischen Kapelle in Rom auf und ein neuer Papst war gewählt worden.

Schornstein Sixtinische Kapelle

Was hat das zu tun mit uns als Archiven oder gar unserem heutigen Archivtag?

Vielleicht soviel, dass es ein Archivar war, der das „Habemus Papam“ verkündete, nämlich der Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran, der von 2003 bis 2007 das Vatikanische Geheimarchiv leitete. Es war das Schweizerische Bundesarchiv, das diese Nachricht publik machte.

Vielleicht aber auch soviel, dass Päpste – oder besser: der schriftliche Nachlass päpstlichen Handelns – für die allermeisten Archive kein unbekanntes Thema sind. Vielerorts bilden Papsturkunden den Grundbestand der Alten Abteilungen, lässt sich mittelalterliche Geschichte insbesondere durch Papsturkunden rekonstruieren. Aus Anlass der Papstwahl berichtete beispielsweise das Österreichische Staatsarchiv über die Tagebücher des Erzbischofs von Wien, der 1655 nach Rom reiste um am damaligen Konklave teilnahm. Im Vergleich dazu brandaktuell war die Mitteilung des Stadtarchivs Linz am Rhein, dass in seinen Beständen die Erteilung des apostolischen Segens an die Bürger der Stadt direkt nach der Wahl des nunmehr emeritierten Papstes im Jahr 2005 vorhanden sei.

Und auch die us-amerikanischen National Archives nahmen das Ereignis zum Anlass, auf eine umfangreiche Fotosammlung zu den Begegnungen von Päpsten und Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte zu verweisen.

Warum sind diese Informationen für uns heute interessant? Weil alle diese Archive ihre Rolle als digitale Dienstleister ernst genommen haben und ihre Nutzer mit aktuellen archivnahen Informationen versorgt haben – und gemacht haben sie das über den in diesem Fall wohl bequemsten virtuellen Weg: nämlich über das soziale Netzwerk Facebook.

Papst Österreichisches Staatsarchiv

 

Papst US National Archives

Das „gefällt mir“ kann ich da als Nutzer sagen – und ich bezweifle, dass auch nur eins der genannten Archive für diese nette kleine tagesaktuelle Aufmerksamkeit irgendwie seine Kernaufgaben vernachlässigt hätte. Das ist es nämlich, was die Leitfrage unserer Diskussion hier impliziert: „Verzeichnest du noch oder gefällst du schon?“

Hier scheinen zwei Aspekte gegeneinander zu stehen

  • Auf der einen Seite die eigentliche Arbeit eines Archivs, seine Kernaufgaben (wofür hier die Verzeichnung sinnbildlich steht): eine anspruchsvolle, eine fordernde, bisweilen eine mühselige, vielleicht auch ungeliebte Arbeit; ist ein laufender Meter Verzeichnungsarbeit geschafft, warten schön die nächsten fünf. Dank und Lob für eine erfolgreiche Verzeichnungsarbeit erhält man nicht.
  • Ganz anders dagegen dieses ominöse „gefällst du schon?“: Gefallen, wollen wir das? Wir sind doch das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft. Wir erinnern an Geschichte, an Politik, an Herrscher, an wichtige Geschehnisse, an mitunter schreckliche Untaten. Wir sind seriös, wir sind staatstragend, wir sind eine Behörde. Da müssen wir doch keinem gefallen. Und außerdem sind wir Monopolisten: Wer unsere Dokumente einsehen will, der muss schließlich zu uns kommen, egal ob wir ihm gefallen oder nicht. Und letztendlich: Bei Facebook wissen wir doch alle: das ist bloß Spielerei, irgendwas für Teenies und allenfalls noch für Studenten, da kann ja jeder alles reinschreiben und morgen kann das alles wieder weg sein, außerdem steht da sowieso nichts Wichtiges, denn das Wichtige wird nämlich gedruckt.

Dieser Gegensatz aber scheint mir an den gegenwärtigen und vor allem an den zukünftigen Arbeitsrealitäten von Archiven vorbeizugehen:

  • Die archivische Arbeit wird sich zunehmend in den digitalen Raum verlagern, durch Digitalisate, durch Online-Publikationen, durch virtuelle Lesesäle – entsprechend notwendig wird es sein, die Strukturen zu besitzen, um diese digitalen Inhalte zu bewerben und direkt den Interessenten zuzuleiten
  • Die technischen Mittel für einen virtuellen Auftritt – für die Präsentation von Archivalien und Beständen, für Kommunikation und Interaktion mit den Nutzern, für den fachlichen Austausch mit den Kollegen – stehen längst bereit: Soziale Netzwerke, Sharing-Plattformen, Blogs, Micro-Blogs, Foren, Wikis u.v.a.m.
  • Wir Archivare müssen nur bereit sein, diese technischen Mittel zu nutzen – oder wie es ein niederländischer Kollege (wo sie uns in diesen Belangen tatsächlich Lichtjahre voraus sind) formulierte: „It’s not about technology, it’s about attitude!“

Archives Cantal

Zu den Möglichkeiten, einer archivischen Nutzung von sozialen Medien (= Archiv 2.0) möchte ich schließlich 4 Thesen formulieren:

1) Die Nutzung von sozialen Medien ist für einen wachsenden Teil der Bevölkerung alltägliche Normalität. Die deutschen Archive haben noch keine Antwort auf diese neue Mediennutzung gefunden und stehen der Entwicklung weitgehend passiv gegenüber.

2) Die archivische Nutzung von sozialen Medien erlaubt eine unkomplizierte und unmittelbare Vermittlung archivischer Anliegen: Präsentation von Archiv und Beständen, Kommunikation und Interaktion mit den Nutzern, Mitteilung von Neuigkeiten, Publikationen, Veranstaltungen u.v.a.m.

3) Die archivische Nutzung von sozialen Medien erlaubt einen intensivierten fachlichen Austausch ohne auf punktuelle Ereignisse wie Archivtage oder auf persönliche berufliche Netzwerke angewiesen zu sein. Fragen und Probleme können unkompliziert und unmittelbar unter Einbeziehung aller Interessenten thematisiert werden.

4) Die archivische Nutzung von sozialen Medien verlangt einen Bewusstseinswandel: weg von hierarchischem, beständeorientiertem, reaktivem Denken und hin zu kommunikativem, kollaborativem, nutzerorientiertem Denken.

Andernorts funktioniert der archivische Umgang mit den sozialen Medien bereits – daran könnten wir uns ein Beispiel nehmen!

(Bastian Gillner)

 

 

 

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/592

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Lernen aus der antiken Geschichte

 

“Der Historiker ist ein rückwärtsgekehrter Prophet”, sagte schon Friedrich Schlegel (Athenäum, I, 2, 20) und hatte damit vollkommen recht, denn die Beschäftigung mit der Geschichte bringt wesentlich mehr mit sich als Daten, Fakten und Ereignisse. Einsichten in die Psychologie der … Weiterlesen

 

 

Quelle: http://kristinoswald.hypotheses.org/547

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