17. März | segu wird zwei | Positionsbestimmungen und Fragen
Am 17. März 2011 ging die Seite segu-geschichte.de online. segu war seinerzeit kaum mehr als eine Idee für ein Konzept Offenen Geschichtsunterrichts; anfangs gab es nur eine Handvoll Module. Zwei Jahre später stehen auf der Lernplattform insgesamt über 130 und damit etwa zwei Drittel der geplanten Module zur Verfügung.[1]
segu-geschichte.de | Screenshot vom 17. März 2011
Die ursprüngliche Idee zum segu-Konzept hatte mit Geschichtslernen im Internet nichts zu tun. Aus Erfahrungen der Schulpraxis, dass individuelles Lernen und Differenzierung zwar überall gefordert und durch die Umstellung auf den Ganztag an vielen Schule auch notwendig wurden, dennoch selten Anwendung fanden, erwuchs (mit Antritt der Stelle als abgeordneter Lehrer an der Universität zu Köln im Februar 2011) die Idee, ein tragfähiges Lehr- und Lernkonzept für Offenen Unterricht[2] im (meist) zweistündigen Nebenfach Geschichte (bzw. Gesellschaftslehre) der Sekundarstufe I zu erstellen. Weil schnell klar wurde, dass hierfür umfassend Lernmaterialen benötigt, in Papierform aber schwer zu organisieren sein würden, entwickelte sich erst im zweiten Schritt die Idee, diese online zur Verfügung zu stellen.
Die Programmierung der Lernplattform mit inzwischen zwei umfassenden relaunches erfolgte mit einer einfachen, im Detail dann doch nächteverzehrenden Webdesign-Software in Handarbeit. Weil sich die Funktionalität der Seite im Wesentlichen auf die Verlinkung von pdf- und Textdateien beschränkt, erfüllt sie ihren Zweck gut, bleibt in der vorliegenden Version aber klar ein Web1.0-Angebot. Im März 2012 wurde zusätzlich der Medientyp der (zurzeit 8) segu-Videomodule eingeführt, die als Screencast-Videos erstellt und extern in einem eigenen Youtube-Kanal hochgeladen werden. Die meiste Arbeit benötigt die Erstellung der einzelnen segu-Module, die hauptsächlich mit den Kapazitäten der abgeordneten Lehrerstelle unter Mitarbeit studentischer Hilfskräfte entstanden sind.[3] segu verfügt ansonsten über keine Ressourcen.[4] Knapp 10 Module stammen von anderen Autoren, darunter drei auch von Studierenden der Universität zu Köln.[5]
Zu Beginn des Projekts waren die Vorbehalte, die Materialen online zu stellen, aufgrund der Befürchtung gegen Urheberrechte zu verstoßen groß. Bis zur Erkenntnis, dass es möglich ist, Lernmaterialien bedenkenlos im Netz zu veröffentlichen, hat es einige Monate gedauert. Es wurde beispielsweise klar, dass es dank der in der Wikimedia vorhandenen, unter CC (Creative Commons)-Lizenz oder gemeinfrei (Public Domain) bereitgehaltenen Bildmedien kein Problem darstellt, Bilder in Lernmaterialien einzufügen, wenn man einen korrekten Bildnachweis führt. Einen weiteren wichtigen Anstoß gab Daniel Bernsen im November 2011, die segu-Lernmaterialien selbst auch unter CC-Lizenz zu stellen und als OER (Open Educational Resources)[6] zu labeln. Seither stehen die Module nicht mehr nur als pdf, sondern auch als Textdateien zur Verfügung.[7]
segu-Benutzerstatistik bei Google Analytics | Samstags haben Lehrer & Schüler anderes zu tun…
Die Resonanz auf die Lernplattform ist erfreulich. Die mittels google analytics erhobenen Zugriffszahlen belaufen sich auf etwa 150-200 (s. Foto), die vom Hoster ausgewiesenen Zugriffe auf etwa 600 Zugriffe täglich (Die Abweichung bedarf einer Erklärung; wir haben keine). Die Zahl der monatlich (entweder als pdf, doc oder odt) heruntergeladen Module lag laut Hoster im Oktober 2011 bei ca. 2.500, im Mai 2012 bei 13.000 und zuletzt bei 22.000. segu hat sich durch Vernetzung via twitter, facebook, iTunesU, Youtube, LearningApps und durch das segu-Magazin bei Scoopit ohne jede kommerzielle Bewerbung von selbst verbreitet.
Eine empirische Stichprobe zur Arbeit von Schüler_innen mit segu hat gezeigt: Das Konzept funktioniert im Unterricht und zeigt eine pragmatische Lösung für die Arbeit mit digitalen Geräten und dem Internet auf. Auch in den Medien hat segu Erwähnung gefunden. So berichtete die Süddeutsche Zeitung im Januar, segu sei der „einzige OER-Leuchtturm in Deutschland“ – eine schmeichelhafte, aber übertriebene Aussage. Der (mit Abstand) höchste OER-Leuchtturm in Deutschland ist (seit 15 Jahren) die ZUM.de. segu und die ZUM (Schwerpunkt Geschichte) sind seit Sommer 2012 Kooperationspartner.
Nach zwei Jahren kommt die Arbeit an den Modulen wesentlich langsamer voran. Das hat auch damit zu tun, dass universitäre Stellenprofile – je länger man auf dem Platz steht – nicht kleiner werden. Die Arbeit mit segu hat sich zudem stärker in eine Richtung verlagert, wie in Zukunft mit digitalen Medien sinnhaftes digitales Geschichtslernen stattfinden kann. Zum Stellenprofil gehörte in diesem Zusammenhang die Organisation der Tagung #gld13 | Geschichte Lernen digital am 8. und 9. März 2013 in München, die als interaktive Netztagung live zu sehen war, reichlich betwittert wurde und bald auf L.I.S.A. als Video bereit gehalten wird. Deshalb gab es im vergangenen Monat – leider – fast keine Aktivitäten auf der Lernplattform.
Die segu-Plattform im März 2013
Die erzwungene Pause bietet aber auch die Möglichkeit, zu einigen Punkten Positionsbestimmungen zum Stand nach zwei Jahren vorzunehmen und nach möglichen Entwicklungen zu fragen:
1 | segu versteht sich als Beitrag für Offenen Geschichtsunterricht.[8] Die einzelnen Module legen i.d.R weniger geschlossene und mehr offene Aufgabenstellungen zugrunde. Dennoch leiten die Aufgaben meist formelle Lernwege an. Module zu stärker informellem Lernen (im Sinne solchen Lernens, in dem die Schüler_innen ihre Fragen selbst suchen und beantworten) bilden eher die Ausnahme (in einigen Forschermodulen und allen freien Forschermodulen). Damit ist der Grad der Öffnung des Geschichtsunterrichts im segu-Lernkonzept oft eher gering; er betrifft eher Aspekte der Organisation offener Lernformen.
2 | Etwa die Hälfte der bisherigen Module soll mit Hilfe des Schulbuches bearbeitet werden, die andere im Internet. Wichtig wäre für uns der Hinweis, ob die Arbeit mit Schulbüchern in der Breite gut klappt, denn segu ist ja nicht auf ein bestimmtes Schulbuch ausgelegt.
3 | segu bietet zurzeit wenig Möglichkeiten web-basierter Interaktion.[9] Angesichts der zahlreichen Anregungen zu Web2.0-basiertem Lernen wäre zu überlegen, wie Methoden kooperativen und kollaborativen Lernens stärker eingebracht werden können.[10]
4 | Die Arbeit mit segu soll nicht dazu führen, dass Schüler_innen quasi atomisiert nur noch einzeln vor dem PC lernen. Erstens eignen sich die Materialien gut zur Partner- oder Teamarbeit, zweitens braucht Offener Unterricht immer Phasen zur Präsentation von Ergebnissen – und vor allem zur Diskussion. Eventuell findet diese Phase in der Form, wie sich die Lernplattform im Internet präsentiert, zu wenig Berücksichtigung.[11]
5 | Welche Angebote von segu lassen sich gut verwenden (resp. in welche Richtung sollen wir weiterdenken)? Module – Videos – Learning Apps – andere? Und: Werden die Materialien auch im „normalen“ Geschichtsunterricht oder tatsächlich unter Zugrundelegung des segu-Planers verwendet?
6 | Es ist unterschiedliche Kritik zu einzelnen Modulen und Aufgaben eingegangen. Die Einwände reichen von viel zu schwer bis viel zu leicht. Die Qualität der Module steht und fällt mit der Qualität der Aufgaben. Häufig wurden diesbezüglich schon Vorschläge von außen und auch Korrekturen umgesetzt.
7 | Die relativ aufwändigen bilingualen Unterrichtsmaterialien haben bislang nur wenig Beachtung gefunden.
8 | Schließlich ist der Aspekt der OER (s. Fußnote 6) von Interesse – hier besonders die Frage, ob es seitens der Benutzer bereits ein Bewusstsein für die Bedeutung der OER gibt – und ggf. bereits an anderen Orten OER-Angebote zum Geschichtslernen mit dem Internet entstehen, mit denen man sich ggf. vernetzen könnte.
Rückblickend hat sich segu als „work in progress“-Projekt deshalb gut entwickelt, weil immer Hinweise und Diskussionen sowohl über einzelne Module als auch über grundsätzliche Entscheidungen zur Konzeption und Darbietung der Lernmaterialien sowie zur Etablierung als Open Educational Resources „von außen“ eingegangen sind.
Gelegentlich gehen hier Fragen ein, wo denn der Haken bei der Verwendung von segu sei. „Ist das noch „umsonst“ – und in einem halben Jahr muss man auf einmal doch etwas bezahlen?“ Hierzu eine klare Aussage: segu ist und bleibt OER, bleibt online und wird auch in Zukunft nichts kosten!
Zu weiteren Anregungen, Kritik, Fragen: Bitte Kommentare (gerne auch unter diesen Beitrag ins Blog – Anmeldung nicht erforderlich – auch anonym) posten! Oder – gerne auch nicht öffentlich – an kontakt@segu-geschichte.de senden.
[1] segu liegt deshalb – wie auf der Startseite vermerkt – bis heute in einer beta-Version vor.
[2] Eine vertiefende Beschreibung des Projekts findet sich auf der Projekthomepage der Universität zu Köln.
[3] An dieser Stelle besten Dank an Astrid Wegner, Lisa Philippen und Johannes Jansen!
[4] Die bisherigen laufenden Kosten beschränken sich auf einen kleinen dreistelligen Betrag.
[5] segu ist ein Autorenprojekt. Sie können mit einer guten Idee Autor bei segu (und auf dem Modul namentlich erwähnt) werden.
[6] Einen Bericht in diesem Blog zu den OER hier. Die Werkstatt_bpb hat jüngst ein Dossier über OER veröffentlicht.
[7] Weil OER-Materialien mit einem Open-Source-Programm erstellt werden müssen, werden alle Module als Open-Office-Dokument erstellt. Gelegentlich wird Kritik am etwas konventionellen Layout der Module geübt. Sie sind aber bewusst schlicht gehalten, weil somit gewährleistet bleibt, dass die Dateien auch noch in einigen Jahren zu benutzen sind.
[8] Einen Überblick zum Offenen Geschichtsunterricht geben: Kühberger, Christoph; Windischbauer, Elfriede: Individualisierung und Differenzierung im Geschichtsunterricht. Schwalbach/ Ts. 2012; zum Offenen Unterricht allgemein und zum Forschungsstand: Bohl, Thorsten; Kucharz, Diemut: Offener Unterricht heute. Konzeptionelle und didaktische Weiterentwicklung. Weinheim, Basel 2010.
[9] Die Unterseite Forum, auf der sich über Fragen usw. ausgetauscht werden könnte, wird fast gar nicht genutzt.
[10] Zu Aspekten digitalen Lernens allgemein: Hugger, Kai-Uwe; Walber, Markus (Hg.): Digitale Lernwelten. Konzepte, Beispiele und Perspektiven. Wiesbaden 2010; zu Aspekten digitalen Geschichtslernens: Bernsen, Daniel; König, Alexander; Spahn, Thomas: Medien und historisches Lernen. Eine Verhältnisbestimmung und ein Plädoyer für eine digitale Geschichtsdidaktik. In: Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften, H. 1 (2012).
[11] Weiterführende Hinweise in der Datei: Hinweise zum Unterrichtseinsatz.
empfohlene Zitierweise Pallaske, Christoph (2013): 17. März | segu wird zwei | Positionsbestimmungen und Fragen. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 13.3.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1564, vom [Datum des Abrufs].
Workshop “Rebels without a cause?”, Potsdam, 11. April 2013
Workshop
Rebels without a cause? Jugendgewalt in europäischen Spielfilmen der 1950er bis 1980er Jahre
Die Entwicklung distinkter Jugendkulturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eng mit dem Aufstieg der audiovisuellen Massenmedien verbunden. Besonders das Kino wirkte dabei nicht nur als Katalysator, sondern machte dieses Phänomen in populären Filmen – allen voran „Rebel without a cause“ mit James Dean – auch immer wieder selbst zum Thema. Aus heutiger Perspektive stellen diese Filme und die gesellschaftlichen Diskurse, in die sie eingebettet waren, aufschlussreiche Quellen der zeitgenössischen Vorstellungen und Normen sowie deren Wandel dar.
Die Verknüpfung von Jugend und Gewalt hat sich dabei als ebenso bedeutender wie dauerhafter Topos erwiesen. Er bündelt in besonderem Maße jene kulturkritischen Ressentiments, Ängste und Prognosen, wie sie infolge der gesellschaftlichen Dynamik in den westlichen Konsumgesellschaften seit den 1950er Jahren spürbar wurden. Das schließt auch populäre Vorstellungen zur Wirkung der Medien mit ein, denen zufolge Gewalt unmittelbar auf einschlägige Darstellungen in den Medien zurückginge.
Der Workshop widmet sich diesem Thema exemplarisch anhand von Fallstudien zu west- und osteuropäischen Spielfilmen der 1950er bis 1980er Jahre. Neben der Analyse der jeweiligen Repräsentationen von Jugend und Gewalt im Zeitverlauf wird dabei nach den gesellschaftlichen Kontexten, diskursiven Voraussetzungen und (trans-)nationalen Bezügen gefragt. Wie unterschied sich während des Kalten Krieges der Bezug auf das Thema in Ost und West, welche Unterschiede gab es zwischen verschiedenen Nationen? Welche Rolle spielten kommerzielle Interessen und die Zwänge des Genre-Kinos für die Darstellung von Gewalt? Darüber hinaus wird auch der methodologische Aspekt von Spielfilmen als Quelle transnationaler Kulturgeschichte thematisiert. Das ZZF setzt mit dieser Veranstaltung eine seit 2010 bestehende Reihe fort, die Repräsentationen von Politik im populären Film- und Fernsehformaten des 20. Jahrhunderts analysiert.
Veranstalter: Christoph Classen, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Datum: 11. April 2013, Beginn 14 Uhr
Ort: Zentrum für Zeithistorische Forschung, Am Neuen Markt 9d, 14467 Potsdam, Großer Seminarraum
Konferenzsprachen: Deutsch und Englisch
Anmeldungen (bis 8. April) bitte an Frau Nadine Jenke <jenke@zzf-pdm.de>
Rückfragen bitte an Christoph Classen, Tel.: 0331-28992-17 (Fax: -60), <classen@zzf-pdm.de>
Programm:
14:00 Uhr: Begrüßung und Einführung (Jürgen Danyel/Christoph Classen):
14:30 “The ugly tide of today’s teenage violence”: Youth Culture, Crime and the Clockwork Orange Controversy in the UK (Peter Krämer, University of East Anglia, Norwich)
15:00 Diskussion
15:30 Uhr Kaffeepause
16:00 Uhr “Rowdys with a cause”. Der unwiderstehliche Charme der Dekandenz in ostdeutschen Jugendfilmen (Thomas Lindenberger, ZZF)
16:30 Uhr „Diggin’ the Rebob“: „Young-Rebel“-Movies der 1950er Jahre als Quelle transnationaler Kulturgeschichte (Bodo Mrozek, ZZF)
17:00 Diskussion
17:45 Resümee (Christoph Classen, ZZF)
ca. 18:00 Uhr Ende des Workshops
Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (IV): der Westen
Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten und (III) der Süden)
Das Schriftzeichen xi 西 (Westen) zeigt einen Vogel, der sich am Abend – wenn die Sonne im Westen steht – in seinem Nest niedergelassen hat. Nach traditionellen Vorstellungen korrespondiert der Westen mit dem Planeten Venus, mit der Farbe Weiß, mit dem Herbst, mit der Lunge und mit der Wandlungsphase Metall. [1]
Nicht nur der Osten sondern auch – und im noch stärkeren Maße – der Westen galten seit dem Altertum als die “klassischen Himmelsrichtungen für das Paradies” [2].
Im Westen vermutete man den Sitz der Xiwangmu 西王母, der “Königlichen Mutter des Westens”. Der Begriff leitete sich ursprünglich von einem Ortsnamen ab und erhielt schließlich – nicht zuletzt durch das für die Transkription verwendete Zeichen mu 母 (Mutter) die später geläufige Bedeutung. Wie Fracasso einleitend schreibt, haben wenige Figuren des chinesischen Pantheon so viel Aufmerksamkeit erhalten wie Xiwangmu [3]. Als Sitz der “Königlichen Mutter des Westens” galt das Kunlun 崑崙-Gebirge. Wurde die Göttin zunächst in den düstersten Farben geschildert, so wandelte sich ihr Äußeres in späteren Texten und in der Ikonographie grundlegend. Nach Ferdinand Lessing zeigen bildliche Darstellungen “eine vornehme chinesische Dame [...] deren Erscheinung die Mitte hält zwischen mädchenhafter Zartheit und der Fülle der Matrone.” [4] Anläßlich ihres Geburtstages, den sie – so die Vorstellungen – am 3. Tag des 3. Monats des chinesischen Mondkalenders feiert, lädt sie Götter und Unsterbliche ein, um diesen die nur alle paar tausend Jahre reif werdenden “Pfirsiche der Unsterblichkeit” (pantao 蟠桃) aufwarten zu lassen. [5]
Die mit dem Westen verknüpften Paradiesvorstellungen wurden mit der Verbreitung des Buddhismus in China weiter verstärkt. Die Jingtu 淨土-Schule (“Schule des Reinen Landes”) des Buddhismus verehrte besonders den Buddha Amitābha, der das “Reine Land”, das im Westen gelegene Paradies, regiert. Einige weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Buddhismus geprägt worden waren, enthielten das Schriftzeichen xi 西 (Westen): Indien wurde mit Xiguo 西國 (Land im Westen) und Sanskrit mit Xiyu 西語 (Sprache des Westens) wiedergegeben. [6]
Ab dem 10. Jahrhundert wurden die Meere Südostasiens mit dem Begriff Xiyang 西洋(“Westlicher Ozean”) bezeichnet. Für die bedeutenden maritimen Expeditionen des Zheng He 鄭和 in den Indischen Ozean wurde ebenfalls der Ausdruck xia Xiyang 下西洋, “den westlichen Ozean befahren”) gebraucht. Schon kurz nach ihrem Erscheinen an den Küsten Chinas zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden schließlich die Europäer unter anderem auch als Xiyang ren 西洋人 (“Menschen vom westlichen Ozean”) bezeichnet. Im frühen 17. Jahrhundert prägten die Jesuitenmissionare und deren chinesische Mitarbeiter den Ausdruck Da Xiyang 大西洋 (“Großer Westlicher Ozean”), der fortan für den Atlantik stand. [7]
[1] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise Bd. 2, S. 940 (Nr. 4080). [nach oben]
[2] Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück, 142. [nach oben]
[3] Ricardo Fracasso: “Holy Mothers of Ancient China. A New Approach to the Hsi-wang-mu Problem.” In: T’oung Pao 74 (1988) 1-46. – Vgl. auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 203 f. (“Xi Wangmu”). [nach oben]
[4] Zitiert nach Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 136-138 (“Hsi-wang-mu”). [nach oben]
[5] Welch: Art, 204. [nach oben]
[6] Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 729. [nach oben]
[7] Wilkinson: Chinese History, 729 f. [nach oben]
Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/184
Wiederholung der Ö1-Radiosendung zu wissenschaftlichen Weblogs
Wer die letzten Mai erstmals ausgestrahlte Radiosendung von Nicole Dietrich zum Thema “Thesenanschlag im digitalen Zeitalter. Weblogs in den Geisteswissenschaften” (vgl.) versäumt hat, kann diese nun ein paar Tage auf der Homepage des österreichischen öffentlich-rechtlichen Radiosenders Ö1 nachhören (auf Pfeil links neben “Dimensionen – die Welt der Wissenschaft” klicken):
http://oe1.orf.at/programm/330967
Die Ankündigung:
“Wissenschaftliches Recherchieren, Publizieren und Kommunizieren haben sich durch das Internet beschleunigt und vereinfacht. Man fragt sich manchmal, wie man je ohne vernetzte Datenbanken, den Druck auf die Eingabetasten oder das Zitierprogramm Texte fertig stellen konnte.
Wissenschafts-Weblogs sind ein Teil dieser neuen Forschungskultur. Blogs dokumentieren und kommentieren Forschungsfortschritte, dienen als Notizblock und Selbstvermarktungswerkzeug, zeugen für Mut zum Fragment.
hypotheses
Ursprünglich in Frankreich “eröffnet”, hat die Blogosp[hä]re seit März 2012 auch ein deutschsprachiges Forum eröffnet. Dieses Blogportal für geisteswissenschaftliche Fragen illustriert das Entstehen einer neuen Forschungskultur, eine neue Art des Publizierens. Es wird redaktionell und technisch betreut. Allen Unkenrufen virtueller Unbeständigkeit zum Trotz werden bei hypotheses.org registrierte Blogs in den Kanon zitierbarer Publikationen aufsteigen. Ein kostenloses Service, das Blogs in den Geisteswissenschaften zu mehr Anerkennung verhelfen soll.
Wissenschaftliches Recherchieren, Publizieren und Kommunizieren haben sich durch das Internet beschleunigt und vereinfacht. Man fragt sich manchmal, wie man je ohne vernetzte Datenbanken, den Druck auf die Eingabetasten oder das Zitierprogramm Texte fertig stellen konnte.
Wissenschafts-Weblogs sind ein Teil dieser neuen Forschungskultur. Blogs dokumentieren und kommentieren Forschungsfortschritte, dienen als Notizblock und Selbstvermarktungswerkzeug, zeugen für Mut zum Fragment.”
Listmania-Schwerpunkt in Isis OA zugänglich
Focus: Listmania
Introduction (pp. 710-715)
James Delbourgo and Staffan Müller-Wille
DOI: 10.1086/669045
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/10.1086/669045
Specimen Lists: Artisanal Writing or Natural Historical Paperwork? (pp. 716-726)
Valentina Pugliano
DOI: 10.1086/669049
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/10.1086/669049
The New World of Sciences: The Temporality of the Research Agenda and the Unending Ambitions of Science (pp. 727-734)
Vera Keller
DOI: 10.1086/669047
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/10.1086/669047
Listing People (pp. 735-742)
James Delbourgo
DOI: 10.1086/669046
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/10.1086/669046
Lists as Research Technologies (pp. 743-752)
Staffan Müller-Wille and Isabelle Charmantier
DOI: 10.1086/669048
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/10.1086/669048
“Digital Humanities: Neue Herausforderungen für den Forschungsplatz Schweiz” (CfP)
Am 28. und 29. November 2013 findet an der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) die Tagung „Digital Humanities: Neue Herausforderungen für den Forschungsplatz Schweiz“ statt. Damit sollen Austausch und Vernetzung gefördert und aktuelle Projekte bekannt gemacht werden.
Der CfP spezifiziert folgende Themen:
• Computerbasierte Forschung in geisteswissenschaftlichen Disziplinen (z.B. Dissertationsprojekte)
• Data mining in den DH
• Informationsdesign
• Software best practices (nicht kommerziell)
• Best practices in data curation
• Methodische oder epistemologische Studien zum digitalen Wandel in den Geisteswissenschaften
• Sicherung digitaler Forschungsresultate
• Aspekte grösserer Forschungsprojekte in den DH (Forschungsinfrastrukturen) etc.
Deadline für Abstracts ist der 26.04.2013.
Weitere Infos: http://www.infoclio.ch/de/node/31005 .
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1465
Antisemitismus im 19. Jahrhundert in transnationaler Perspektive
Die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten hat in Deutschland zu einer intensiven Beschäftigung mit der Geschichte des deutschen Antisemitismus geführt. Die Literatur ist mittlerweile in einer Weise angewachsen, dass sie auch von Experten kaum noch übersehen werden kann. Trotz der Vielzahl an Veröffentlichungen ist der Forschungsstand aber durch eine deutliche Fehlstelle gekennzeichnet, denn vergleichende oder transnationale Untersuchungen zum Antisemitismus sind bisher kaum vorgelegt worden.[1] Auch wenn dies angesichts des erheblichen organisatorischen Mehraufwands von Untersuchungen zur Transfer- und Verflechtungsgeschichte zwar nachvollzogen werden kann, so ist dies dennoch umso bedauerlicher, da der festzustellende nationale Tunnelblick zu Überzeichnungen und Ungenauigkeiten führt.[2]
Das Projekt wird an dieser Stelle ansetzen und ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert (Untersuchungszeitraum: 1830er-1890er Jahre) in einer transnationalen Perspektive als Transfer- und Verflechtungsgeschichte untersuchen. Da eine systematische Analyse des Antisemitismus in zwei oder mehr Ländern kaum geleistet werden kann, wird das Projekt am Beispiel des linken politischen Spektrums – und damit eines weiteren Forschungsdesiderats[3] – den Antisemitismus in Deutschland, Frankreich und Belgien in seiner transnationalen Dimension untersuchen.[4] In methodischer Hinsicht wird es sich um einen ideengeschichtlichen Zugang handeln, der um sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte wie den Kulturtransfer und die soziale Reichweite antisemitischer Ideen erweitert wird. Der quantitative und qualitative Stellenwert des linken im Vergleich zum rechten Antisemitismus wird dabei ebenso zu messen sein wie die mögliche gegenseitige Beeinflussung beider politischer Lager. Auch wenn der Antisemitismus in den Programmen linker Parteien und Organisationen bekämpft wurde, schließt das keineswegs aus, dass unter ihren Mitgliedern trotzdem antisemitische Ideen, Bilder und Stereotypen im Sinne eines „kulturellen Codes“ präsent waren.[5]
Charles Fourier (1772-1837)
Neben der Untersuchung der gegenseitigen Rezeption zwischen Deutschland und Frankreich (beispielsweise der Rezeption französischer Frühsozialisten in Deutschland), soll auch die Bedeutung von Emigranten in Westeuropa für die Verbreitung antisemitischer Stereotypen herausgearbeitet werden (herausragendes Beispiel hierfür ist sicherlich Michail Bakunin).[6] Belgien in seiner geographischen Mittellage zwischen Deutschland, Frankreich und den Britischen Inseln, als Zufluchtsstätte für politische Emigranten nicht nur aus Osteuropa und mit seiner Bedeutung für die Geschichte der politischen Linken in Europa wird die deutsch-französische Untersuchungsperspektive erweitern. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, welche Rolle Gruppen und Organisationen in Belgien für die Vermittlung antisemitischer Stereotypen zwischen den linken Milieus in Deutschland und Frankreich spielen konnten.[7] Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen des Projekts angesprochen werden soll, betrifft die in der Frühzeit der Arbeiterbewegung noch festzustellenden Formen von Gewalt gegen Juden. Hier ist neben der Frage, warum diese Gewalt im Gegensatz zum rechten Antisemitismus verschwand, zu untersuchen, in welcher Weise in den Argumentationslinien und Legitimationsstrategien der Verantwortlichen eine transnationale Dimension nachgewiesen werden kann.[8]
Michail Bakunin (1814-1876)
Das Projekt wird auf einer breiten Quellenbasis aufbauen. Neben Publizistik aus dem linken Spektrum und Veröffentlichungen in Zeitungen entsprechender Parteien und Organisationen sollen Nachlässe sowie Behördenbestände (beispielsweise Zensur- und Polizeiakten) in Archiven in Frankreich, Deutschland und Belgien sowie im „Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis“ in Amsterdam herangezogen werden. Außerdem werden Karikaturen und gegenständliche Überlieferung, die antisemitisch grundierte Kapitalismuskritik wie Darstellungen des „jüdischen Bankiers“ oder Rothschilds thematisieren, in die Analyse integriert, um eine breitere und vielfältigere Quellengrundlage für das Projekt zu erhalten.[9]
Abbildungen: Charles Fourier, Michail Bakunin, beide public domain
[1] Zum Forschungsdesiderat der international vergleichenden Antisemitismusforschung vgl. Thomas Gräfe, Antisemitismus in Deutschland 1815-1918. Rezensionen – Forschungsüberblick – Bibliographie, Norderstedt 22010, S. 217.
[2] Ein besonders markantes Beispiel ist sicherlich die umstrittene These eines nahezu überzeitlichen „eliminatorischen Antisemitismus“ in Deutschland, die Daniel Jonah Goldhagen formuliert hat. Siehe Daniel Jonah Goldhagen, Hitler’s willing executioners: ordinary Germans and the Holocaust, New York 1996. Zum Vergleich siehe einführend Ulrich Wyrwa, Aus der Werkstatt des Vergleichs: Emanzipation und Antisemitismus in Deutschland und Italien, in: Werkstatt Geschichte 46 (2007), S. 65-73.
[3] Siehe jetzt aber Michel Dreyfus, L’antisémitisme à gauche. Histoire d’un paradoxe, de 1830 à nos jours, Paris 22011 [12009]. Siehe außerdem Michel Winock, La gauche et les juifs, in: Ders., Nationalisme, antisémitisme et fascisme en France, Paris 2004 [11982], S. 153-182. Michel Dreyfus spricht in seiner Studie zahlreiche Aspekte an, die für transnationale Fragen von Bedeutung sind, beispielsweise die Rezeption der französischen Frühsozialisten durch die deutsche Arbeiterbewegung.
[4] Vgl. Christoph Nonn, Antisemitismus. Darmstadt 2008, S. 114.
[5] Zum „kulturellen Code“ siehe Shulamit Volkov, Antisemitismus als kultureller Code, in : Dies., Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays, München 2000 [1. Auflage unter dem Titel: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990], S. 13-36; J. Friedrich Battenberg, Antisemitismus als kultureller Code in der deutschen Geschichte. Anmerkungen zu Elementen einer antijüdischen Denkweise, in: Der Aufklärung zum Trotz: Antisemitismus und politische Kultur in Deutschland, Frankfurt am Main 1998, S. 15-52.
[6] Reinhard Rürup hat jüngst die Erforschung der Bedeutung französischer Autoren für die Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland als wichtiges Desiderat ausgemacht. Vgl. Reinhard Rürup, Antisemitismus und moderne Gesellschaft: Antijüdisches Denken und antijüdische Agitation im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Christina von Braun/Eva-Maria Ziege (Hgg.), Das bewegliche Vorurteil: Aspekte des internationalen Antisemitismus, Würzburg 2004, S. 81-100, hier S. 87-88.
[7] In seiner Studie verweist Michel Dreyfus auf den Antisemitismus in der belgischen Arbeiterbewegung und auf die hohe Relevanz dieses Untersuchungsgegenstands. Vgl. Dreyfus, S. 344-345.
[8] Siehe Arno Herzig, Judenhaß und Antisemitismus bei den Unterschichten und in der frühen Arbeiterbewegung, in: Ludger Heid/Arnold Paucker (Hgg.), Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien und religiös-kulturelle Traditionen, Tübingen 1992, S. 1-18, zu den gegen Juden gerichteten Handwerkerunruhen in Wien 1848 vgl. ebda., S. 11.
[9] Hier ist darauf zu achten, ob diese Darstellungen tatsächlich linken Ursprungs waren oder im linken Milieu nur tradiert wurden. Zur bildlichen Überlieferung in der Emanzipationszeit siehe Peter Dittmar, Die Darstellung der Juden in der populären Kunst zur Zeit der Emanzipation, München/London/New York/Paris 1992. Dort ist auch eine der frühen Rothschild-Karikaturen unter dem Titel „Seyd umschlungen Millionen!“ zu finden, die im Übrigen eine naturgetreue Übernahme einer 1817 in England entstandenen Darstellung Nathan Rothschilds an der Londoner Börse darstellt. Vgl. ebda., Abb. 116, S. 211. Die englische Vorlage mit dem Titel „A View from the Royal Exchange“ befindet sich im British Museum in London (vgl. Inventar-Nr. AN00675449_001). Zu den Karikaturen siehe außerdem den Klassiker von Eduard Fuchs, Die Juden in der Karikatur. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, München 1921. Einen sehr guten Einstieg in die dreidimensionale Überlieferung bietet Falk Wiesemann, Antijüdischer Nippes und populäre „Judenbilder“. Die Sammlung Finkelstein, Essen 2005.