(Noch) Mehr Barcamps braucht die Wissenschaft?

Camping (Foto: Beraldo Leal, 2010 bei Lizenz CC BY 2.0)

In meinem Beitrag auf unserem Blog zum ersten #histocamp im November 2015 hatte ich mir Christie Wampole’s „Conference Manifesto“ ausgeliehen und endete mit ihrem Zitat „We don’t expect the conference system to change any time soon.“ In rebellischer Stimmung und großer Vorfreude auf das erste Barcamp zu Geschichte, dessen Initiatorin ich zudem war, fügte ich hinzu: „Sorry, Christy, we do! Let’s change it together!“ Jetzt, wo am 1. und 2. Dezember in Darmstadt mittlerweile das dritte #histocamp bevorsteht, darf man fragen: Was ist seit meiner forschen Forderung passiert? Haben wir tatsächlich mit dem #histocamp einen Wandel im üblichen Tagungsbetrieb bewirkt?

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Quelle: https://mittelalter.hypotheses.org/11451

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Wollen wir wirklich BeStI(e)n sein? Ein Plädoyer an und gegen „den wissenschaftlichen Nachwuchs“

tldr: Der Begriff des „wissenschaftlichen Nachwuchses“ ist im heutigen Wissenschaftsbetrieb weder brauchbar noch für die meisten der darin Tätigen zutreffend oder angemessen. Er muss ersetzt werden durch einen Begriff, der den Zustand des akademischen Erwachsenwerdens und -seins losgelöst von Dauerstellen und Personalpolitik erreichbar macht. Der erste Schritt ist eine Ablehnung dieser Fremdzuschreibung und eine Neudefinition.

Am 9./10. Februar luden gleich 5 geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Fachverbände in das Schader-Forum in Darmstadt zur wissenschaftspolitischen Konferenz „War die Zukunft früher besser? Akademische und außerakademische Berufsperspektiven in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften“ ein. In Streitgesprächen, Workshops, Dialog-Cafés sowie einer Podiumsdiskussion sollte über die Wege und auch Irrwege des heutigen Wissenschaftsbetriebs in Bezug auf die wissenschaftliche Karriere diskutiert und mögliche Lösungsansätze für die zunehmend als gravierender Missstand empfundene Lage des sogenannten „Mittelbaus“ gefunden werden. Ein Storify von Thorsten Thiel (@thothiel) ist hier verfügbar.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/9774

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Veranstaltungsbericht: “Faszination Mittelalter: Das Mittelalter entdecken und erforschen.” Der 5. Heidelberger Mittelaltertag

Der diesjährige fünfte Heidelberger Mittelaltertag am 25.06.2016 stand unter dem Motto Faszination Mittelalter: Das Mittelalter entdecken und erforschen. In seiner Eröffnungsrede ging Prof. Peter Schmidt auch auf die Erfolgsgeschichte des Mittelaltertags ein, der „gebraucht und gewollt“ sei und der auch…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/8589

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Cui bono? Über Sinn und Nutzen einer Übersetzung der Werke Joachims von Fiore

By permission of the President and Fellows of Corpus Christi College, Oxford, ms 255A, Joachim von Fiore, Liber Figurarum, fol. 17v a) Autor und Edition Joachim von Fiore war lange Zeit eins der schwarzen Löcher des Mittelalters. Obwohl sein Name…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/7166

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Die Bibliothek der frühen Neuzeit als Raum der Ideen – Kurzbericht zum Sommerkurs an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel

Bibelsaal

Im Bibelsaal der Herzog-August-Bibliothek.
Foto: Christina Holzwarth

Die Bibliothek als „Raum der Ideen“ stand im Mittelpunkt des diesjährigen Sommerkurses der Herzog-August-Bibliothek in  Wolfenbüttel. Im Bibelsaal der Herzog-August-Bibliothek, umgeben von Büchern, hatten in diesem Jahr insgesamt elf  Stipendiaten die Möglichkeit, die Bibliothek als Gegenstand gelehrter Auseinandersetzung in den Blick zu nehmen und gleichzeitig  zwei Wochen lang in der berühmten Herzog-August-Bibliothek zu forschen.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Adam (Universität Osnabrück, Leiter des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen  Neuzeit), dem Prof. Dr. Giulia Cantarutti (Università di Bologna) charismatisch assistierte, kam eine ebenso interdisziplinäre wie  internationale Gruppe zusammen, die, trotz oder gerade aufgrund der fach- und themenbedingt sehr unterschiedlichen Art und  Weise, sich dem Forschungsgegenstand „Bibliothek“ zu nähern, vom ersten Tag an rege miteinander zu diskutieren begann.

Von Seiten der Herzog-August-Bibliothek wurde der Kurs in erster Linie von Dr. Volker Bauer begleitet, der nicht nur sein Wissen  über die Herzog-August-Bibliothek zur Verfügung stellte, sondern auch die Perspektive des Historikers in den Kurs miteinbrachte.

Das dynamische Element der Bibliothek

 Zu Beginn des Kurses galt es zunächst, sich mit der aktuellen Forschung zur Bibliothek der Frühen Neuzeit vertraut zu machen. Im einführenden Vortrag von Herrn Prof. Adam wurde hierzu vor allem auf das „dynamische Element“ einer Bibliothek hingewiesen (vgl. William Sherman, A living library), welches die Erforschung einer Bibliothek im Rahmen einer Ideengeschichte ermöglicht – sei es in Bezug auf Fragen nach der Genese einer Bibliothek, dem Einfluss verschiedener Kontroversen (etwa konfessionellen Spannungen) und der eventuell daraus resultierenden Eliminierung und mitunter auch der Vernichtung von Büchern aus Bibliotheken; oder der Bibliothek als Repräsentationsraum und ihrer Bedeutung zur Legitimation von Herrschaft. Dass sich „bewusstes Vergessen“, wahrnehmbar im Phänomen der Lethe, oder aber „gemachte Erinnerung“ sich nicht nur im Inhalt von Büchern niederschlagen können, sondern auch die Bibliothek als Ganzes beeinflussen, gehörte zu den aus der Beobachtung zum „autarken Eigenleben“ der Bibliothek und zu den voces librorum gewonnenen Erkenntnissen des ersten Tages.

Gruppenbild

Die Gruppe der Stipendiaten mit Kursleiter Prof. Dr. Wolfgang Adam vor der Herzog-August-Bibliothek.
Foto: Christel Annemieke Canton-Romein

Zwei erste Beispiele für Büchersammlungen und daraus zu gewinnende Erkenntnisse wurden am darauffolgenden Tag von der Wolfenbütteler Forscherin Dr. Gabriele Ball (Die Büchersammlung der Gräfin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt als Spiegel eines fürstlichen Netzwerks) und der Stuttgarter Stipendiatin Dr. Carola Fey (zu den Büchern in der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg) vorgestellt.

Die imaginierte Bibliothek

Dass sich auch aus der Beschreibung nicht realer, sondern literarisch idealisierter Bibliotheken bedeutsame Erkenntnisse zu diesen Institutionen, ihren Benutzern und der Bedeutung der Bibliotheken für die Benutzer ableiten lassen, wurde im Vortrag von PD Dr. Dirk Werle (Leipzig/HU Berlin) deutlich. Anhand des ‚Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis‘ Johann Fischarts (1590), der die zeitgenössische Diskussion um eine Handhabung der copia librorum aufgreift und insgesamt 526 allesamt erfundene, ironische bis bissige Buchtitel umfasst, erklärte Dirk Werle die Bedeutung rein fiktionaler Bibliotheken für die frühneuzeitliche Klassifikation der Gelehrsamkeit.

Bibliotheksgeschichte einmal anders

Überlegungen für einen neuen Zugang zu Bibliotheken anhand kulturwissenschaftlicher Perspektiven, die im Zuge des in der Forschung häufig vernachlässigten Kulturtransfers Einblicke in sonst verborgene Zusammenhänge liefern, standen im Zentrum des Vortrags von Prof. Dr. Cantarutti, der die zweite Kurswoche imposant eröffnete. Anhand der Netzwerkbildung und der Kulturverflechtung in der Frühen Neuzeit wurde deutlich, dass die „intellektuelle Evolution“ eines Autors nicht in dessen nationalsprachigen Texten zu suchen ist, sondern dass sich das Profil eines frühneuzeitlichen Gelehrten in der Summa seiner literarischen Produktion äußert. Für ihre adäquate Erfassung liefert eine fundierte Quellenkunde (Bibliothekskataloge, Nachlassverzeichnisse, Briefwechsel etc.) das unabdingbare Fundament.

Die von Prof. Dr. Helga Meise (Université de Reims) vorgestellte Untersuchung der Bibliotheken von fünf Darmstädter Fürstinnen eröffnete wichtige Aspekte im Hinblick auf Handlungsräume, Bücherbesitz sowie Benutzungskontexte durch die adligen Besitzerinnen. Die Nachlassinventare ihrer Privatbibliotheken zeigen die Bücher dabei teils als Medien der Repräsentation, teils als Lese- und Schreibobjekte für den eigenen Gebrauchs, an denen ein Wandel der Lektürepraktiken ablesbar wird, der wichtige Erkenntnisse hinsichtlich des Selbstverständnisses der fürstlichen Rezipientinnen birgt.

Der Besuch beim Projekt zur Erforschung der „Fruchtbringenden Gesellschaft“

Gerahmt wurde das hochinteressante, umfängliche und überaus anregende Programm rund um die Bibliotheken der Frühen Neuzeit als Raum der Ideen durch den Besuch beim Projekt zur Erforschung der „Fruchtbringenden Gesellschaft“. Diese Organisation hatte als ständeübergreifende Akademie des 17. Jahrhunderts vielfältige sprachliche, literarische und (bildungs-)politische Intentionen, welche für die Geistesgeschichte der Frühen Neuzeit ein umfängliches sowie bedeutendes Potential bieten. Das an der Herzog August Bibliothek angesiedelte Forschungs- und Editionsprojekt widmet sich der Erschließung der innerhalb der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ gewechselten Briefe, mit denen erstmals kulturgeschichtlich relevante Einblicke in das Innenleben dieser Organisation offengelegt werden.

Die Bibliothek als Raum der Ideen

Gruppenaktivitäten

Gemeinsames Kochen in der Küche des Anna-Vorwerk-Hauses.
Foto: Christina Holzwarth

Zum Schluss des Kurses widmete sich die Gruppe der gemeinsamen Lektüre von Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ und der lateinischen Version seines Schülers Jakob Locher, der ‚Stultifera Navis‘, von denen die Herzog-August Bibliothek gleich mehrere Ausgaben besitzt. Für den Sommerkurs wurden diese Ausgaben in den Bibelsaal gebracht und den Stipendiaten die einmalige Gelegenheit geboten, den Brantschen „Büchernarren“ an den originalen Drucken mit ihren Marginalien, Holzschnitten und Benutzerspuren zu besprechen.

Dass die Vorträge der Experten zusammen mit der Vorstellung und Diskussion der eigenen Projekte der Stipendiaten nur die erste Hälfte des Tages füllten, erwies sich als großer Vorteil, denn so hatte man Gelegenheit, nicht nur über die Bibliothek als solche nachzudenken, sondern auch in einer an Beständen gerade des 16. und 17. Jahrhunderts besonders reichen Bibliothek zu forschen. Dank der freundlichen und hilfsbereiten Unterstützung von den Bibliothekaren und dem Aufsichtspersonal der Herzog-August-Bibliothek, gelang es so, vielfach neue Erkenntnisse auch für die eigenen Projekte zu gewinnen.

Da die Bibliothek in Wolfenbüttel nicht nur über ein gut strukturiertes Gastwesen verfügt, sondern den Gästen und Stipendiaten mit gemeinsamen Kaffeenachmittagen, der Möglichkeit zum gemeinsamen Kochen in der Gemeinschaftsküche des Anna-Vorwerk-Hauses und den zahlreichen Zufallsbegegnungen mit anderen Forschenden in der nahegelegenen Wolfenbütteler Innenstadt auch regelmäßigen Kontakt ermöglicht, bot sich oft die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über neue Ideen auszutauschen. Die Bibliothek als „Raum der Ideen“ war somit nicht nur Forschungsgegenstand des Sommerkurses, sondern wurde in der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek für die Stipendiaten auch als solch ein Raum erfahrbar.

Julia Frick (Universität Freiburg) & Christina Holzwarth (Universität Leipzig)

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/4760

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 7

[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts]

Siebtes Kapitel

Über den Zustand der Stadt Paris

In jenen üblen und dunklen Tagen und gefährlichen Zeiten wandelte die Stadt Paris in Dunkelheit, wie andere Städte auch eingehüllt in verschiedene Verbrechen und zahlreiche Gemeinheiten, die nun durch das rechte Eingreifen des Himmels, der das Verwüstete in Wonne und das Verödete in den Sitz des Herrn verwandelt, zu einer gläubigen und ruhmreichen Stadt geworden ist, der Stadt des großen Königs. Wie der Garten der Freude und Ursprung der Wonne ist sie angefüllt mit allen Arten von Obstbäumen, und in der gesamten Welt atmet man die Süße (ihres) Geruchs. Wie aus einer Schatztruhe holt der höchste Vater das Neue und das Alte aus ihr hervor.

Sie selbst, gleichsam wie eine Quelle des Aufgangs und ein Brunnen des lebendigen Wassers, bewässert die Oberfläche der gesamten Erde, wobei sie den Königen wohlschmeckendes Brot und andere Köstlichkeiten darreicht und der gesamten Kirche Gottes über Honig und Honigwaben hinaus die überaus süßen Brüste anbietet.

Damals jedoch war der Klerus in ihr verdorbener als das übrige Volk, gleichsam ein stinkender Bock und ein krankes Schaf. Durch verderbliches Beispiel korrumpierte sie viele ihrer Besucher, die von überall her zu ihr strömten, und sie verschlang ihre Bewohner und versenkte sie mit sich in die Tiefe. Einfache Unzucht hielten sie für keine Sünde. Huren zogen überall öffentlich auf den Plätzen und Straßen der Stadt vorbeigehende Kleriker gleichsam mit Gewalt in ihre Bordelle. Wenn sich aber welche beharrlich weigerten hineinzugehen, dann nannten sie diese Sodomiten und schrien hinter ihnen her. Dieses hässliche und abscheuliche Übel hatte die Stadt so sehr in Besatz genommen, gleichwie ein nicht behandelbarer Aussatz und ein unheilbares Gift, dass sie es für etwas Ehrbares hielten, wenn jemand sich öffentlich eine oder mehrere Konkubinen hielt. In ein und demselben Haus wurden oben Vorlesungen gehalten, während unten die Dirnen lebten. Im Obergeschoss lehrten die Magister, im Untergeschoss gingen die Huren ihren verwerflichen Geschäften nach. Aus dem einen Teil (des Hauses) heraus stritten die Huren untereinander und mit den Kupplern, aus dem anderen Teil heraus plärrten die Disputierenden und die sich streitsüchtig aufführenden Kleriker.

Je mehr jedoch die üppig Lebenden und in ihren Ausgaben Freizügigen ihren Besitz auf sehr schändliche Weise verschwendeten, desto mehr vertraute man ihnen, und sie wurden von fast allen rechtschaffen und edel genannt. Wenn aber welche gemäß der apostolischen Lehre nüchtern, gerecht und fromm unter ihnen leben wollten, dann wurden diese sofort von den Unkeuschen und Weichlichen als geizig, elend, heuchlerisch und abergläubisch verurteilt.

Fast alle Pariser Gelehrten, Fremde wie Einheimische, beschäftigten sich mit nichts anderem als dem, etwas Neues zu lernen oder zu hören. Die einen lernten, um viel zu wissen. Das ist Neugier. Die anderen (lernten), um bekannt zu werden. Das ist Eitelkeit. Wieder andere (lernten), um Geld zu verdienen. Das ist Gier und das Übel der Simonie. Wenige jedoch lernten, um erbaut zu werden und zu erbauen.

Aber nicht nur aus dem Grund verschiedener Sekten(zugehörigkeit) oder aus dem Anlass der Disputation heraus widersprachen sich die Gegner gegenseitig, sondern auch wegen der Verschiedenheit der Herkunftsregionen stritten sie sich, sahen sich scheel an und zogen sich gegenseitig in den Schmutz, und brachten dabei gegeneinander auf unverschämte Weise Beleidigungen und Beschimpfungen hervor. Die Engländer nannten sie Säufer und Schwanzträger, die Franzosen eitel, weichlich und auf weibische Weise aufgeputzt, die Deutschen rasend und unsittlich in ihren Gelagen, die Normannen leer und prahlerisch und die Poitevins Verräter und Freunde des Reichtums. Diejenigen, die aus Burgund stammten, hielten sie für plump und dumm. Die Bretonen beurteilten sie als leichtfertig und unstet, und warfen ihnen häufig den Tod des Artus vor. Die Lombarden bezeichneten sie als gierig, bösartig und feige, die Römer als aufrührerisch, gewalttätig und eidbrüchig, die Sizilier als tyrannisch und grausam, die Brabanter als Männer des Blutes, Brandstifter, Eroberer und Vergewaltiger, die Flamen schließlich als reich, verschwenderisch, Trinkgelagen ergeben und nach Art der Butter weich und schlaff. Und bei Zank dieser Art gingen sie häufig von Worten zu Schlägen über.

So wollen wir aber von den Logikern schweigen, um deren Augen die Schmeißfliegen Ägyptens flogen, womit die sophistischen Spitzfindigkeiten gemeint sind, „damit die Redegewandtheit ihrer Sprache nicht durchschaut werden kann, in der“, so sagt Jesaja, „keine Weisheit ist“.[1]

Die Doktoren der Theologie, die auf dem Stuhl des Moses saßen, und die die Liebe nicht erbaute, ließ dafür das Wissen anschwellen. Als Lehrende, aber nicht zugleich Handelnde wurden sie wie das tönende Erz und die klingende Schelle, und wie ein steinerner Kanal, der Wasser in Gewürzgärten führt, aber in sich trocken bleibt. Nicht nur waren sie aufeinander neidisch und zogen die Studenten der anderen mit Schmeicheleien an sich, wobei sie den eigenen Ruhm suchten, sich um die Frucht der Geister aber nicht kümmerten, sondern sie vermehrten auch ihr Gehalt und jagten nach Würden, wobei sie das apostolische Wort mit allzu offenen Ohren aufnahmen: „Wer das Bischofsamt begehrt, begehrt ein gutes Werk.“[2] Weil sie jedoch nicht so sehr das Werk, als vielmehr die Berühmtheit liebten, wollten sie auf der Straße als erste gegrüßt werden, begehrten die vordersten Plätze in der Versammlung und die besten Liegen beim Fest. Während aber der Apostel Jakobus sagt: „Strebt nicht so sehr danach, Magister zu werden“,[3] beeilten sich so viele, Magister zu werden, dass die meisten von ihnen nur durch Bitte und Bestechung Schüler zu halten vermochten. Sicherer ist es jedoch zu hören als zu lehren, und besser ist ein demütiger Hörer als ein ungenügender und voreiliger Doktor. Der Herr hatte sich jedoch nur wenige unter ihnen als ehrliche und gottesfürchtige Männer bewahrt, die nicht auf der Straße der Sünder standen und nicht mit den anderen auf dem Stuhl der Pestilenz saßen.

[1]    Jes 33,19

[2]    1 Tim 3,1

[3]    Jak 3,1

D O W N L O A D

(pdf-Version)

Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 7, übers. von Christina Franke, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 24. Juli 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/4096 (ISSN 2197-6120).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/4096

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 5

[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts]

Fünftes Kapitel

Über die Nachlässigkeit und die Sünden der Kirchenfürsten

Als Grund all dieser Übel hatte sich die Schwäche, Abtrünnigkeit und Dummheit der Kirchenfürsten herausgestellt, denn nicht nur wegen der schläfrigen Hirten, sondern auch der bewusst mitwirkenden, säte ein feindlicher Mensch Unkraut inmitten des Weizens aus. Das Getreide verkam zu Lolch[1] und das verfluchte Land quoll über von Dornen und Unkraut. Den Acker des faulen Menschen und den Weinberg des törichten Mannes erfüllten derweilen die Brennnesseln und Dornen hatten sein Angesicht bedeckt. Während nämlich die schlechte Sorge der Hirten sich in die Raserei der Wölfe verwandelte, ging die Schlichtheit der Schafe in den Gestank der Ziegen über. Die Verkäufer des unschuldigen Josef, Nachahmer Simons des Magiers und Bundesgenossen des Verräters Judas, führten die Schafe, die sie in Sichem, das bedeutet in dem Bemühen um Arbeit und Zucht, weiden sollten, nach Dotan, das bedeutet in den Abfall von allen Gütern. Unbarmherzig waren schließlich auch die Vollstrecker, die Josef an die Ismaeliten verkauften und das Blut des aufrichtigen Abel auf dem Erdboden vergossen, während sie nichts umsonst empfingen und nichts umsonst zusammenrafften. Derweil nämlich das Feuer auf ihre unendliche Gier übergriff, sahen weder sie selbst die Sonne der Gerechtigkeit, noch ließen sie zu, dass deren Strahlen vorbei an der aufgeblähten Gestalt der über- und zwischengeordneten Herrschaft zu den Untergebenen durchdrangen. Dieselben waren tatsächlich keine Hirten, sondern eher Zerstreuer, keine Kirchenfürsten, sondern eher Pilaten. Nicht nur flohen sie beim Anblick des kommenden Wolfes, sondern meistens hielten sie mit denselben Wölfen zum Verderben der Schafe auch noch Frieden. Die „stummen Hunde“[2] wehrten die Wölfe vom Schafstall aus eigenem Verschulden nicht ab, damit sich ihnen nicht einer durch Zufall in den Weg stellte: „Arzt, heile dich selbst.“[3] Der du predigst nicht zu stehlen, du stiehlst, und nicht Unzucht zu treiben, du treibst Unzucht. Ziehe erst den Balken aus deinem Auge, damit du das Hälmchen im Auge deines Bruders sehen kannst. Dafür ist die Braut Christi von jenen preisgegeben worden, Unzucht zu treiben, denen sie zum Schutz anvertraut war.

Kaum fand man in jenen Tagen einen, der diese Stellvertreter Christi bedauert hätte, obwohl er doch über unzählige Diener verfügte; der eine Mauer entgegengesetzt hätte für das Haus des Herrn, den der Eifer für das Haus des Herrn verzehrt hätte, der die Füchslein gefangen hätte, die den Weinberg des Herrn beschädigten. Die den Sohn Gottes erneut kreuzigten und zur Schau stellten, entblößten seine Glieder von den Kleidern nicht nur durch Raub aus Habgier, sondern beraubten (sie) auch der Kraft durch ein Beispiel an Nachlässigkeit. Nachts im Bordell, morgens am Altar! Die die Tochter der Venus nachts betatschten, berührten morgens den Sohn der Jungfrau. Sie misshandelten den Sohn Gottes und verschmutzten das Blut des Bundes. Dagegen jedoch der selige Hieronymus als Zeuge: „Den Leib und das Blut Christi verunreinigt, sobald es in ihm ist, derjenige, der unrein an den Altar tritt.“ Deshalb wurde die mit aussätzigen Händen dargereichte Gabe vom Herrn ausgespieen, wie der Herr durch Jesaja gesagt hat: „Wenn ihr auch eure Gebete vermehren solltet, ich würde nicht hören, denn eure Hände sind voll von Blut.“[4] So wurden die Blinden zu kunstvollen Führern der Blinden und gemeinsam stürzten sie in die Fallgrube. Die Priester selbst jedoch wurden umso tiefer untergetaucht, je mehr sie es schuldig blieben, die Untergebenen in Werken der Heiligkeit und der Vortrefflichkeit des Lebens zu übertreffen.

Während also fast die ganze Welt sich elend dem Fall zuneigte, stieg sie Schritt für Schritt in den Abgrund hinab. Weil nämlich der Hochmut ihr den Gott forttrug, der Neid den Nächsten und der Zorn denjenigen, den der Hochmut geschwollen, der Neid neidisch, der Zorn aufgewühlt, die Trägheit faul, die Begehrlichkeit blind, der Ehrgeiz unruhig, die Völlerei des Bauches als Hund und die Unreinheit der Lust als Schwein zurückgab. Als nun die Herzen der unfrommen Menschen durch Hochmut geschwollen, durch Zorn entflammt, durch Neid vertrocknet und beinahe schon abgenutzt und zu Staub geworden waren, da wurden sie durch Traurigkeit und Trägheit zerstreut, durch Habgier befleckt und ebenso durch Gefräßigkeit besudelt. So wurden die durch Genusssucht Niedergetretenen in den Schlamm zurückgetrieben. So könnte der elende Mensch wahrhaftig sagen: „Niedergetreten wurde ich in den Schlamm der Tiefe und es gibt keinen Halt.“[5] Auch die Geißeln des Herrn riefen die verstockten und zum Bösen geneigten Menschen nicht zurück, als der Herr Pestilenz und Hunger losließ und die störrischen Söhne vergeblich schlug, weil sie die Züchtigung nicht annahmen.

Auch erschütterten Kriege und Händel die Welt fast überall, als sich Volk gegen Volk und Reich gegen Reich erhob. Die heilige römische Kirche wurde auf gefährliche Weise von Schismatikern aufgeschreckt. Das römische Reich, das in sich gespalten war, verödete; Franzosen kämpften gegen Engländer; die Sarazenen unterdrückten die Gläubigen in Spanien über Gebühr; das Königreich Sizilien wurde von Zweitracht und Kämpfen verwüstet und die Länder des Abendlandes wurden überall geschlagen mit verschiedensten Drangsalen nach dem Urteil der göttlichen Vergeltung. Der Herr stürzte um und verschonte nicht das Wohlgestaltete in Jakob. Er häufte auf sein Volk Jammer über Jammer. Die Reste des Herausgerissenen fraß die Heuschrecke, und was die Heuschrecke übrig ließ, verschlang der Käfer. Was aber der Käfer übrig ließ, verzehrte der Mehltau. Dennoch flehten jene nicht zu ihm, als der Herr sie schlug, noch wurden sie bekehrt. Der Herr behandelte Babylon, aber es wurde nicht geheilt. Umsonst blies der Erzgießer an. Vergeudet wurde das Blei und das gute Silber wurde in Schlacke verwandelt und nicht gereinigt.

Beispiele für die Verdammnis der unwürdigen Kirchenfürsten

Zur Schmach und Brandmarkung der unwürdigen Kirchenfürsten und derer, die das Volk lehren sollten, predigte der Herr die Wahrheit des Evangeliums durch einen bösartigen Geist in einem Besessenen, der sich damals in Deutschland aufhielt, oder ließ zu, dass sie gepredigt wurde. Als von diesem erfragt wurde, was sein Name sei oder durch wessen Vollmacht er sich anmaße, dem Volk zu predigen und es zu lehren, antwortete er: „Mein Name ist Feder in der Tinte. Ich werde von Gott gezwungen, zur Verachtung der stummen und des Bellens nicht fähigen Hunde die Wahrheit zu predigen. Und weil ich nichts sagen kann außer das Wahre und das des Niederschreibens Würdige, ist mein Name Feder in der Tinte.

Zum Vorwurf für die, die sich weigerten, würdige Früchte der Buße für ihre Sünden zu bringen, oder die sich scheuten, zitternd vor Furcht, wo keine Gottesfurcht war, stellte der Herr ein armes Mädchen im Königreich Frankreich, in der Diözese Senones, in einem kleinen Ort, der Cudot genannt wird, allen als Beispiel der Enthaltsamkeit vor Augen. Nachdem nämlich die selige Jungfrau sie in einer schweren Krankheit, die sie für viele Tage gehabt hatte, sichtbar besuchte, lebte sie ungefähr vierzig Jahre ohne zu essen oder zu trinken. Zwar saugte sie zur Befeuchtung der Trockenheit des Gaumens und der Kehle ein wenig von einem Fisch oder einer anderen Sache ein, nahm jedoch keinerlei feste Nahrung in den Bauch auf. Samstagnachts und sonntags ließ der Friede Gottes, der sich erhebt und jeden Sinn begräbt, sie, im Geist ergriffen, so still und bewegungslos zurück, dass sie keine Stimme und kein Bewusstsein mehr hatte, und auch nicht mehr zu atmen schien.

Weiterhin sahen wir in den Grenzen Frankreichs und der Normandie nahe einem Ort, den sie Vernon nennen, ein in einer Klause eingeschlossenes Mädchen, das sich aus den harten Fellen von Igeln ein Bußgewand angefertigt hatte. Für viele Jahre hatte sie nichts gegessen oder getrunken. Nichts verließ jemals ihren Körper durch den Mund oder durch ein anderes Instrument der Natur. Den Leib des Herrn jedoch empfing sie an sechs Tagen aus dem Mund einer Taube, die ihr sagte: „Empfange das ewige Leben,“ während sie ihn an den Sonntagen wieder aus den Händen des Priesters entgegennahm. Die Taube hatte ihr nämlich, sowohl wegen der Würde des Priesteramtes und der Einrichtung der Kirche, als auch wegen des Verdachts der Menschen, damit ihr nicht ganz und gar geglaubt werde, befohlen, durch ein Trugbild verhöhnt zu werden, damit sie des Empfangs des wahren Sakraments beraubt werde. Wenn sie jedoch nicht wöchentlich das genannte Sakrament empfing, dann war sie, ermattend vor Schwäche und Erniedrigung, nicht fähig, sich am Leben zu halten. Samstags jedoch und in der Nacht auf Sonntag, wenn ein leuchtendes Feuer vom Himmel her in ihre Lampe hinabstieg, hörte nicht nur sie den lieblichen Gesang der Engel, sondern auch viele andere Anwesende.

[1]    Getreideart, die Vergiftungserscheinungen wie Schwindel und Übelkeit erzeugt.

[2]    Jes 56,10

[3]    Lk 4,23

[4]    Jes 1,15

[5]    Ps 68,3 (Ps 69,3)

D O W N L O A D

(pdf-Version)

Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 4, übers. von Christina Franke, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 21. April 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3470 (ISSN 2197-6120).

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3470

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 4

[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts]

Viertes Kapitel

Von den verschiedenen Geschlechtern der Menschen und den verschiedenen verschlungenen Verbrechen

Aber nicht nur diese, sondern das gesamte Menschengeschlecht hatte seine Wege auf der Erde verdorben. Sie erhoben sich nämlich in der Nachwelt über die vergessenen Altvorderen. Die Händler bemühten sich, durch Lügen und unendliche Betrügereien ihre Brüder zu hintergehen. Bauern gaben von ihren Gütern den Zehnten nicht mehr den Kirchen. Knechte und Mägde dienten ihren Herren ohne Gottesfurcht und nur dem Augenschein nach.

Die Ärzte fürchteten sich nicht davor, ihre Kranken auf alle Arten zu betrügen, indem sie mit trügerischen Lippen und großsprecherischer Zunge vieles versprachen und mäßiges hielten, wobei sie viel annahmen, aber wenig vollbrachten. Meistens raubten sie denen, die sie heilen sollten, das Leben durch Lüge und Täuschung und brachten dabei auf betrügerische Weise noch Geld an sich. Sie sind jedoch nicht nur den Körpern nicht zuträglich, sondern vernichten auch die Seelen. Während sie nämlich versichern, dass die Körper durch Ausweitung der Begierde gereinigt würden, verführen sie viele zur Unzucht. Die Schwerkranken aber, denen sie sagen sollten: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht leben“,1 bringen sie dazu, die Beichte und andere geistliche Heilmittel aufzuschieben oder gering zu achten, während sie sie auf lügnerische und betrügerische Weise in Sicherheit wiegen.

Auch die ungerechten Advokaten, geblendet durch die Gier nach Besitz und unermesslichem Lohn, widmeten sich nicht nur den ungerechten Fällen, sondern nahmen, im Vertrauen auf Lügen und Geschwätzigkeit, auch die aussichtslosen an. Von diesen sagte der selige Ijob: „Feuer wird die Zelte derer verschlingen, die gerne Bestechungsgeld annehmen.“2 Dieselben jedoch, die zugunsten des schmählichen Gewinns von Stadt zu Stadt, von Haus zu Haus, von Ratsversammlung zu Ratsversammlung liefen, wurden über das gesamte Land Ägypten verstreut, um Getreide zu sammeln. Sie verschleppten die Rechtssachen, indem sie freudig die Streitfragen vermehrten und unzählige Ausnahmen vorbrachten, um so die Kassen vielfach zu plündern. Wenn sie es aber nicht vermochten, eine Sache, durch welchen Betrug auch immer, zum gewünschten Ende zu führen, ließen sie sich sofort zur Berufung hinreißen, damit, wenn die Sache neu verhandelt würde, sich auch ihr Lohn erneuerte.

Die Weiber aber zogen, nicht nur in dirnenhaftem Schmuck und durch Verschwendungssucht der Kleidung, in gelocktem Haar, in Gold und Perlen und kostbarem Gewand, in unerlaubtem Beifall und Tanz, sondern auch mit mächtiger Hexerei und unzähligen Übeltaten, unvorsichtige Menschen in den Tod und zum tiefen Fall. Indem sie den Brunnen aufwühlten und nicht bedeckten, wurden sie durch Tierhaftes und Törichtes ruiniert. Ihnen wird, gemäß einer Weissagung des Propheten Jesaja, Gestank anstelle lieblichen Geruchs, ein Strick für die Hüfte und eine Glatze anstelle des gelockten Haars sein.

Diese jedoch, die der Welt entsagt und sich durch ein religiöses Gelübde gebunden hatten, indem sie die regulierte Lebensweise angenommen hatten, die nach außen eine Art von Frömmigkeit zeigten, deren Tugend jedoch verweigerten, die fielen nach dem Gelübde im elenden Fall so schwer, wie ihr Rang hervorgehoben war. Die Ungehorsamen, die Murrenden, die sich gegenseitig Verleumdenden, die das Kreuz Christi unter Zwang Tragenden, die Unreinen und Maßlosen, die nach dem Fleisch und nicht nach dem Geist Wandelnden, und auch die, die mit der an den Pflug gelegten Hand gemeinsam mit dem Weib des Lot zurückblickten nach dem Lauch, den Melonen und den Fleischtöpfen Ägyptens, während sie das Manna der Wüste verschmähten, die vergingen in den Gräbern der Begierlichkeit als Tote und Begrabene, „weil sie den frühen Glauben für ungültig erklärt hatten.“3 Viele von diesen, die die Frömmigkeit als Gewinn einschätzten, machten zwischen dem Heiligen und dem Profanen keinen Unterschied, aber nahmen häufig das Gestorbene und Geraubte von den Wucherern und Räubern an. Aus Gier hinterfragten sie dabei nichts, obwohl doch der heilige Tobias seine Frau bat: „Sieh zu, dass es nicht gestohlen sei.“4 Jene jedoch, die nicht durch die Tür gingen, sondern unter der Erde gruben, die durch das Schlupfloch des Geldes hineingekommen sind, die sind schon gerichtet durch den Herrn, der spricht: „Jede Anpflanzung, die nicht mein Vater gepflanzt hat, wird ausgerissen werden“,5 und ebenso die, die sich nicht scheuten, mit Hananias und Saphira nicht nur an der Eigenart des Willens, sondern auch am Eigentum des Geldes festzuhalten.

1Jes 38,1

2Ijob 15,34

31 Tim 5,12

4Tob 2,21 (BSV)

5Mt 15,13

D O W N L O A D

(pdf-Version)

Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 4, übers. von Christina Franke, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 26. Januar 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/2917 (ISSN 2197-6120).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2917

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Münchner Sommerakademie Grundwissenschaften 2013 „Schriftkunde des Mittelalters. Einführung in die paläographische Praxis“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München (22. bis 27. Juli 2013)

Ein Erfahrungsbericht

Striche, Linien, ein paar verblasste Buchstaben – mehr ist auf dem Bild nicht zu erkennen, das der Projektor an die Wand wirft. Hier und da scheinen ein n oder ein t klar hervor, aber ansonsten gleicht die Ältere römische Kursive eher den sprichwörtlichen Hieroglyphen als einem zusammenhängenden Text. Völlig ohne Ordnung und nach meinem Ermessen mit einiger Kreativität, was die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Buchstaben anbelangt, scheint der Schreiber im Jahr 57 n. Chr. seine Buchstaben in das Wachstäfelchen eingedrückt zu haben. Schnell wird klar, vor mir liegt eine intensive Woche des Lesen und Übens.

ca. 800. Zürich Kantonsbibliothek, C I, fol, 6.

Züricher Alkuin-Bibel ca. 800.
Zürich Kantonsbibliothek, C I, fol, 6.

In den kommenden Tagen erwartet mich im Rahmen der Blockveranstaltung ein spannender Einblick in die Entwicklung der Schrift, von ihren antiken Anfängen, ihrer Weiterentwicklung im Mittelalter und der frühen Neuzeit bis hin zur Gegenwart. Den Schwerpunkt der Veranstaltung bilden Handschriften des 8. bis 16. Jahrhunderts. Ein interessanter und vor allem wichtiger Bereich, denn gegen Ende des Studiums oder spätestens während der Promotion stößt man als Mediävist mit edierten Quellen an Grenzen und muss auch Handschriften zu Rate ziehen, um im eigenen Forschungsvorhaben voranzukommen. Genau an diesem Punkt setzt die Münchner Sommerakademie an. Ziel ist es, grundlegende Schriftformen des abendländischen Mittelalters in ihren verschiedenen Ausformungen kennen zu lernen, um so alte Handschriften lesen und einordnen zu können.
Nicht alle Universitäten bieten Übungen mit mittelalterlichen Handschriften an und wenn, so sind sie selten und häufig mit dem eigenen Semesterplan nicht in Einklang zu bringen. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Abteilung für Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde der LMU in Zusammenarbeit mit der Monumenta Germaniae Historica (MGH), der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB), dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (BayHStA) und dem Diözesanarchiv des Erzbistums München und Freising dieser Sache angenommen hat. Die Aufzählung verrät bereits den einzigartigen Charakter, den diese Veranstaltung trägt, denn mit der genannten Kooperation ist eine ideale Voraussetzung geschaffen, um die in den Veranstaltungen vermittelten Handschriften auch im „Original“ einsehen zu können.

 

Lesen „im Schweiße des Angesichts“
Die heiße und sonnenreiche Woche im Juli begann täglich um 9 Uhr im Historicum der LMU mit einer intensiven Lerneinheit, in der nach kurzer Einführung bereits erste Texte gelesen oder – wie in manchem Fall treffender – mit der Lupe entschlüsselt wurden. Das Niveau der Teilnehmer war unterschiedlich. Manche hatten bereits Vorkenntnisse, andere betraten mit der Paläographie des Mittelalters Neuland. Nach einer Kaffeepause stand eine Exkursion auf dem Programm, bei der eines der obigen Institute besucht wurde. Mein persönliches Highlight war der Besuch im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, wo wir ein Exemplar der Goldenen Bulle und eine Urkunde Karls des Großen von 794 sehen konnten. Nach einer Mittagspause, in der die Münchner Studenten den auswärtigen Teilnehmern wertvolle kulinarische Tipps gaben, wurden am Nachmittag weitere Handschriften gelesen. Durch eine zweite Kaffeepause getrennt, gab es im Anschluss eine freiwillige 30-minütige Leseübung, um den Stoff des Tages noch einmal zu vertiefen. Nahezu alle Teilnehmer der Sommerakademie nahmen dieses Angebot gerne in Anspruch, waren doch viele der Handschriften nur mit einiger Übung zu lesen. Abends fanden schließlich Vorträge ausgewiesener Experten auf dem Gebiet der Paläographie des Mittelalters statt, die thematisch entweder auf den nächsten Tag hinwiesen oder den gelernten Stoff reflektierten. Zwischen 18 und 19 Uhr endete der Tag für gewöhnlich. Mitte der Woche waren alle Teilnehmer der Sommerakademie zum Essen eingeladen, wo man sich in angenehmer Atmosphäre austauschen konnte. Abschließend wurde am Samstag eine Klausur (ECTS 3 P.) geschrieben und wer wollte, konnte zusätzlich eine mündliche Prüfung ablegen (ECTS 5 P.). Diese ECTS-Punkte waren mit anderen Universitäten koordiniert, sodass auch Auswärtige einen Schein in München erwerben konnten.

 

Leseübung

Leseübung.
Foto: LMU München. Mit freundlicher Genehmigung der Abteilung für Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde.

Von der Antike in die Gegenwart – Merkmale und Besonderheiten
Unsere heutige Schrift hat eine lange Geschichte. Sie ist viele Wege gegangen, bis sie in ihrer heutigen standardisierten Form – in Times New Roman oder Arial – angekommen ist. Die Worttrennung im Satz, wie die Trennung von Buchstaben und das Ausschreiben von Wörtern sind für uns heute Selbstverständlichkeiten. In der Geschichte der Schrift waren sie es nicht.

Das 23 Buchstaben umfassende Alphabet der Römer hatten die Bewohner am Tiber von den Westgriechen und den Etruskern, für deren Schrift das Griechische ebenfalls Pate stand, übernommen. Für uns heute so geläufige Buchstaben wie W, J und U sind erst im Laufe des Mittelalters hinzugekommen. Der Buchstabe W begegnet uns etwa um 1000, die Ausdifferenzierung des I zum J etwa um 1400, das eindeutige U an Stelle des V sogar erst im 16. Jahrhundert. Beim Lesen mittelalterlicher Quellen muss man diese Mehrfach-Bedeutung der Buchstaben im Blick haben.
Denkt man an die Antike, so hat man meist Inschriften auf Triumphbögen und ähnlich repräsentativen Bauten im Kopf. Doch auch die antike lateinische Schrift hatte – wie unsere heutige  – verschiedene Ausformungen. Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. findet sich auf Inschriften die sogenannte Römische Capitalis, eine, wie das Wort schon sagt, große und recht gut lesbare Schrift. Um das 1. Jahrhundert v. Chr. wird eine Ausdifferenzierung der Römischen Capitalis greifbar, die, neben der Inschrift (scriptura monumentalis), auch eine Buchschrift (kanonisierte Capitalis), und die Ältere römische Kursive umfasst. Wie uns ein Lesebeispiel Vergils zeigte, handelt es sich bei der kanonisierten Capitalis um eine verhältnismäßig gut lesbare Schrift, die durchweg aus Großbuchstaben besteht, allerdings ohne Worttrennung auskommt und somit einen erhöhten Anspruch an unsere heutigen Lesegewohnheiten stellt. Ausgangspunkt für die weitere Schriftentwicklung ist jedoch die Ältere römische Kursive. Ähnlich wie die heutige Schreibschrift, handelt es sich um eine Gebrauchsschrift, die wesentlich schneller ausgeführt werden konnte und somit für den Alltag, für Notizen und Rechnungen erheblich besser geeignet war. Die weitere Kursivierung der Schrift, also das stärkere Verbinden von einzelnen Buchstaben und Buchstabenelementen sowie eine Rechtsneigung und teilweise auch das Mitschreiben der Luftlinien (dies vor allem in späteren Epochen), führte im Laufe der Zeit zu einer veränderten Schriftform, die uns um das 3. Jahrhundert n. Chr. als Jüngere römische Kursive begegnet. Sie ist der Urspung aller weiteren Schriften im lateinischen Westen. Aus ihr entstanden die insularen Schriften, die sogenannten Nationalschriften, die bedeutende Karolingische Minuskel, die gotische und schließlich die humanistische Schrift, genauso wie die Schriften der verschiedenen Privat-, Herrscher- und Papsturkunden – womit auch die behandelten Schriften der Sommerakademie grob umrissen sind.

 

Eine Epoche kennt viele Schriften
Wichtig für den Umgang mit mittelalterlichen Handschriften ist die Tatsache, dass es nie nur e i n e Schrift gab. Es gab einerseits Urkunden- sowie Auszeichnungs- und Buchschriften, die klarer und vergleichsweise lesbar sind und andererseits Gebrauchsschriften, die schnell geschrieben wurden und daher oft nur mit Mühe entziffert werden können. Daneben gab es regional sehr große Unterschiede in der Gestaltung der Schrift. Vor der Vereinheitlichung durch die Karolingische Minuskel im Zusammenhang der renovatio imperii ab dem letzten Viertel des 8. Jahrhunderts gab es vielerlei Möglichkeiten das gesprochene Wort zu verschriftlichen. Hierzu gehören die insularen Schriften im irisch-angelsächsischen Bereich, die Merowingische Schrift in Gallien sowie die Westgotische Schrift und die Beneventana, die im südlichen Italien und Dalmatien verwendet wurde. Die Karolingische Minuskel löste diese Schriften keineswegs ab. Sie erweiterte zunächst lediglich die Auswahl an verfügbaren Schriften, wenngleich sie meist überall im lateinischen Europa gelesen werden konnte, was bei den anderen Handschriften häufig nicht der Fall war. Große Skriptorien der Zeit in Tours, St. Denis oder St. Gallen förderten die überregionale Verbreitung der Karolingischen Minuskel, da Informationen der Herrscher hier weitergeleitet und Vorlagen für Schriftstücke erstellt wurden.

Neben der Karolingischen Minuskel, die eine Buchschrift darstellt, gab es auch Urkundenschriften, die sich sehr stark voneinander unterscheiden können. Papsturkunden sehen anders aus als Herrscherurkunden und letztere unterscheiden sich – abhängig von ihrer regionalen Herkunft – ebenfalls voneinander. Genauso verhält es sich mit Privaturkunden, etwa von Fürsten oder Bischöfen.
Es gibt also eine Vielzahl von Schriften, die uns in jeder historischen Epoche parallel begegnen können. Auch im weiteren Verlauf, als sich die Schrift durch eine erneute Kursivierung veränderte, Brechungen und Bogenverbindungen in der gotischen Schrift auftauchen und das Mitschreiben der Luftlinien üblich wurde, ändert sich diese Tatsache nicht. Sie wird vielmehr sogar verstärkt. Das relativ klare Schriftbild der Karolingischen Minuskel wurde im Laufe der Zeit immer mehr von regionalen Nuancen aufgebrochen. Die genormten Formen der Schrift bekamen durch die verschiedenen Biographien der Schreiber individuelle Züge und auch die Anzahl der Abkürzungen im Text nahm wieder zu.
Abkürzungen und Verbindungen von Buchstaben, sogenannte Ligaturen, sind ein enorm wichtiger Bereich der Paläographie. Auch heute gehören Wortkürzungen wie ders., Bsp. oder vgl. zum Alltag der Schriftsprache. Vergangene Epochen waren ähnlich kürzungsfreudig. Es gehörte sogar zum guten Ton besonders viel zu kürzen – auch in der Literatur. Häufig verwendete Wörter wie etwa deus, iesus, ecclessia oder dominus wurden gekürzt und können dem Leser als ds, ihs, eccla oder dns begegnen – stets mit einem Strich über den Buchstaben, der die Kürzung markiert. Grammatische Formen müssen hier allerdings beachtet werden. Handelt es sich nämlich um domini anstatt dominus, so lautet die Abkürzung nicht mehr dns, sondern dni. Wie sich zeigt, ist das korrekte Erkennen der jeweiligen Kürzung unabdingbar, um den Text zu verstehen. Gelegentlich wurden auch Buchstaben in andere hineingeschrieben, sogenannte Enklaven. Hier verschwindet beispielsweise ein D im Kreis des O, woraus schließlich ein Buchstabe wird. Auch Ligaturen wurden sehr gerne benutzt. Häufige Verwendung finden zum Beispiel st- und nt-Ligaturen oder das uns heute noch präsente et (&).

 

Von der Gotik zum Humanismus
Die Karolingische Minuskel hatte die Verwendung von Ligaturen einst beschränkt. Es war eine Schrift, die konsequent in ein Vier-Linien-System eingegliedert war, die Buchstaben einzeln stellte, weniger Ober- und Unterlinien aufwies und kursive Elemente tilgte. Es war eine eindeutige aber auch „langsame“ Schrift, die Abkürzungen vereinfachte. Dies hat ihr bis heute eine gute Lesbarkeit beschert. Mit der beginnenden Gotisierung der Schrift änderte sich dies jedoch. Das Schreibtempo erhöhte sich. Die Buchstaben f und s wurden weit in die Unterlängen ausgedehnt, Buchstabenbrechungen traten auf und die Schrift verdichtete sich. Damit sind die gotischen Schriften Vorläufer der uns noch heute im Alltag gelegentlich begegnenden Fraktur. Es gibt allerdings eine Vielzahl an gotischen Schriften, sodass nicht von d e r gotischen Schrift gesprochen werden kann. Auch hier gibt es verschiedene Entwicklungsstufen, die jede für sich Besonderheiten aufweisen, die sich an bestimmten Buchstaben feststellen lassen. Hat eine Schrift beispielsweise weit in die Unterlänge ragende, dolchförmige Verzierungen bei den Buchstaben f und s, so sind dies recht eindeutige Indizien für die sogenannte Bastarda. Da jede Schrift solche besonderen Merkmale aufweist, kann man mitunter recht eindeutige Aussagen über den Schrifttyp fällen, die Schrift somit auch zeitlich einordnen.
Gotische Schriften zu lesen ist nicht immer ein Vergnügen. Ich erinnere mich an eine Leseübung in der eine Lupe herumgereicht wurde, um die Buchstaben zu entziffern. So wundert es nicht, dass Petrarca im 14. Jahrhundert die Lesbarkeit gotischer Texte bemängelte. Die Humanisten im „Herbst des Mittelalters“ griffen daher für literarische Zwecke und um Abschreibefehler zu beseitigen wieder auf die Karolingische Minuskel zurück. Man unterschied zwischen der littera antiqua, der alten Schrift (Karolingische Minuskel) und der littera nova, der neuen Schrift (gotische Schrift). Doch auch die Humanisten übernahmen die Karolingische Minuskel nicht 1:1, sondern veränderten sie teilweise – etwa durch ein einstöckiges a oder ein unten leicht gekürztes g.
Ein weiteres Merkmal mittelalterlicher Handschriften ist die parallele Verwendung verschiedener Schriften auf demselben Beschreibstoff. Der Anfang einer Seite kann durchaus mit einer Capitalis beginnen, mit einer Unziale, einer stilisierten und fixierten Schrift mit zollgroßen Buchstaben, fortgeführt werden und den Haupttext schließlich mit einer Karolingischen Minuskel wiedergeben. Ein besonders schönes Beispiel hierfür bietet das Titelbild der Sommerakademie, das die Züricher Alkuin-Bibel aus der Zeit um 800 zeigt.

 

Teilnehmer der Sommerakademie.  Mit freundlicher Genehmigung der Abteilung für Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde der LMU.

Teilnehmer der Sommerakademie.
Foto: LMU München. Mit freundlicher Genehmigung der Abteilung für Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde.

Was bleibt hängen?
Das Mittelalter kannte eine Vielzahl von Schriften, die sich je nach Epoche, Region und natürlich Schreiber stark voneinander unterscheiden konnten. Sicher kann man im Laufe einer Woche nur bedingt in die Tiefe der Paläographie des Mittelalters eindringen. Genauere Betrachtungen einer bestimmten Epoche, die für das eigene Forschungsvorhaben relevant sind, können in einem über tausend Jahre umspannenden Zeitraum im Rahmen der Sommerakademie ohnehin nicht erfolgen, aber nach den sechs Tagen in München ist man wesentlich besser für kommende Handschriften gerüstet. Man weiß, worauf man achten muss, dass eine Reihe von Konsonanten eine Kürzung sein kann, dass Wörter nicht immer getrennt voneinander geschrieben wurden oder dass Buchstaben wie a, f und s Indikatoren für eine gewisse Epoche sein können. Dies sind gute Einstiegshilfen und nehmen mancher Schrift ihren Schrecken. Die Woche in München hat auch gezeigt, dass man mit der Zeit einen Blick für die Schrift entwickelt und das Lesen etwas leichter wird. Ein guter Ausgangspunkt für die individuelle paläographische Spezialisierung.

Abschließend ist mein Eindruck, dass der LMU ein guter Spagat zwischen Theorie und Praxis gelungen ist, wobei die Exkursionen mit ihren faszinierenden Originalen aus verschiedenen Epochen des Mittelalters ganz sicher ein Höhepunkt waren, der die mittelalterliche Paläographie aus der Vergangenheit in die Gegenwart hob. Es bleibt zu wünschen, dass die Sommerakademie 2013 den Anfang einer langen Münchner Tradition markiert.

Hilfreiche Quellensammlungen und Übersichten über verschiedene Datenbanken zur Paläographie des Mittelalters sind über den Link der LMU München verfügbar:
http://www.hgw.geschichte.uni-muenchen.de/service/index.html

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2190

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Bericht: SCRIPTO VI

Das grundwissenschaftliche Angebot der meisten Unis rangiert von ‘nicht vorhanden’ über ‘eher bescheiden’ bis ‘solide in ausgewählten Bereichen’. Wer sich als Student der Geschichte oder Altphilologie bereits während des Studiums auf den Umgang mit Archivquellen vorbereiten möchte, ist folglich meist auf externe Angebote angewiesen. Das haben inzwischen erfreulicherweise auch diverse Institutionen erkannt, sodass das Angebot an Sommerschulen zu grundwissenschaftlichen Themen derzeit stetig breiter wird.1

Eines dieser Angebote, gerichtet vornehmlich an Graduierte, nennt sich SCRIPTO – Scholarly Codicological Research, Information & Paleographical Tools und wurde diesen Sommer bereits zum sechsten Mal (22.4. bis 28.6. 2013, Erlangen, Teilnahmegebühr: 1280 Euro) unter Leitung von Prof. Dr. Michele Ferrari am Mittellateinischen Seminar der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angeboten.

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Arbeit mit Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg
Foto: Jan Odstrčilik

Ursprünglich entstanden aus dem Wunsch nach einer verbesserten Ausbildung zukünftiger Handschriftenkatalogisierer richtet sich der Kurs vorwiegend an den entsprechenden Bedürfnissen auf, reicht an vielen Stellen jedoch auch darüber hinaus:

Aufgeteilt ist SCRIPTO in vier unterschiedlich umfangreiche Module, von denen die von Prof. Dr. Bernhard Pabst mit großer Langmut und unerschöpflichem Wissensvorrat unterrichtete Texttypologie (mit den Teilmodulen Philosophie und Theologie, Literarisches Schrifttum, Liturgie/Musik und Zeitrechnung sowie Jura und Medizin) den größten Raum einnahm. Dazu gehörten außerdem eine Einführung in die Geschichte und die Standards der Handschriftenkatalogisierung durch Prof. Dr. Michele Ferrari sowie ein von Dr. Tino Licht aus Heidelberg referierter Überblick über die Besonderheiten des Mittellateins. Anhand zahlreicher Beispiele konnten wir hier unter Einsatz der Fachwörterbücher unsere Übersetzungstechnik erproben und uns mit den Tücken des mittelalterlichen Lateins auseinandersetzenfür die Altphilologen unter uns eine leichte Übung, für alle anderen im Zweifel lustiges Formenraten gepaart mit wilder Kombinationstechnik.

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Handschrift: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. II, 42 (http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0165_b026_JPG.htm)
Foto: Jan Odstrčilik

Das zweite Modul zerfällt in die Bereiche Paläographie und Buchmalerei: Erstere brachte uns Dr. Tino Licht an mehreren Wochenenden mithilfe zahlreicher Beispiele und praktischer Übungen näher. Der letzteren widmeten wir uns unter Anleitung von Dr. Chrstine Jakobi-Mirwald und Dr. Christine Sauer in der Stadtbibliothek Nürnberg, wobei uns zahlreiche Codices aus dem dortigen Bestand zur Anschauung dienten. Auch wenn wir am Ende der Nürnberger Tage Krautblatt und Palmette, bewohnte und historisierte Initiale noch immer nicht ganz zweifelsfrei auseinanderhalten konnten, so gingen wir doch immerhin mit einem grundlegenden Einblick in die faszinierende Welt der Buchmalerei und einer Sensibilisierung für ihre Formenvielfalt ins nächste Modul. Mindestens ebenso wertvoll wie die Vermittlung des theoretischen Know-how war für uns jedoch sicher die Möglichkeit, illuminierte Stundenbücher und Bibeln in unseren eigenen Händen zu halten, die winzigen Pinselstriche der Miniaturen zu bestaunen, den Unterschied zwischen Papier und Pergament zu fühlen, das Schimmern des Blattgoldes mit dem matten Glanz von Pinselgold zu vergleichen – all das zu erfahren, was bei der Anschauung moderner und ach so praktischer Digitalisate verwehrt bleibt.

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Arbeit mit Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg
(Hert. Ms. 3)
Foto: Jan Odstrčilik

Abgerundet wird das Programm durch Modul 4, SCRIPTO digital. Einen Block verbrachten wir hierfür an der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und einen zweiten in den Räumen der StaBi München. Dabei bestand das Programm in Wolfenbüttel vorwiegend aus einer von Torsten Schaßan dargebotenen Einführung in XML (Extensible Markup Language) und TEI (Text Encoding Initiative), die beide für die Erstellung digitaler Editionen benötigt werden – grundsätzlich sicher eine sinnvolle Ergänzung, für tendenziell technophobe Mediävisten wie mich jedoch schwere Kost, zu deren Verdauung es neben den begleitenden Übungen wohl noch einer vertiefenden Anwendung im Anschluss bedurft hätte. Bis auf eine Führung durch die öffentlich zugänglichen Schauräume der herzoglichen Bibliothek war zu unser aller Bedauern leider keine weitere Nutzung derselben bzw. ihrer Handschriftenschätze vorgesehen.

In München hingegen lag der Fokus auf der Digitalisierung von Handschriften, die uns verschiedene Mitarbeiter der StaBi in Theorie und Praxis näherbrachten. Beliebte Diskussionsthemen waren hier Sinn und Unsinn der massenhaften Handschriftendigitalisierung sowie die daraus folgende, zunehmend restriktive Politik vieler Bibliotheken hinsichtlich der Benutzung von Originalen.

Dieser Widerstreit zwischen dem Schutz und der Konservierung von Handschriften auf der einen und der Notwendigkeit oder dem Wunsch des Mediävisten nach haptischer Anschauung auf der anderen Seite begleitete uns darüber hinaus während des gesamten Kurses in unzähligen Gesprächen. Glücklicherweise hatten wir dank SCRIPTO jedoch den Vorzug, zahlreiche Archivalien sowohl aus der Stadtbibliothek Nürnberg und der UB Erlangen als auch aus der Pfarrbibliothek Neustadt an der Aisch und der Universitätsbibliothek von Uppsala weitgehend unbürokratisch nutzen zu dürfen. Lediglich in Stockholm, neben Uppsala Ziel unserer fünftägigen Schweden-Exkursion, brachte man uns hinsichtlich des Umgangs mit den Handschriften kein allzu großes Vertrauen entgegen und legte uns diese in der Kungliga biblioteket folglich lediglich unter der umblätternden Aufsicht einer gestrengen Bibliotheksmitarbeiterin vor.

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Universitätsbibliothek Uppsala
Foto: Annabell Engel

Neben den Bibliotheken stand insbesondere in Stockholm der Besuch einiger historischer Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. – Alles in allem eine nette, für den Inhalt des Kurses jedoch nicht unbedingt notwendige Ergänzung, die zugunsten niedrigerer Kursgebühren wohl auch problemlos hätte eingespart werden können. Dies umso mehr, wenn man uns stattdessen die Möglichkeit eingeräumt hätte, die Bestände in München, Wolfenbüttel und Bamberg zu nutzen, die denen in Uppsala und Stockholm – sieht man einmal vom Codex Gigas ab, den wir zudem lediglich hinter Glas betrachten durften – in ihrer Pracht und Vielfalt sicher in nichts nachstehen.

Bereichernd hingegen war die Tagesexkursion zur Pfarrbibliothek in Neustadt an der Aisch: In einer kleinen, über der Sakristei gelegenen und seit dem 16. Jahrhundert praktisch unveränderten Kammer wird hier ein Teil des etwa 9500 Bände

umfassenden Bestandes aufbewahrt und von Bibliothekar Reinhold Ohlmann in aufopferungsvoller, ehrenamtlicher Arbeit gepflegt und erforscht. Ihren Reichtum verdankt die Kirchenbibliothek in erster Linie der Auflösung des Klosters St. Wolfgang in Riedfeld im Zuge der Bauernaufstände 1525, dessen Bestand ihren Grundstock bildet. Vorteilhaft hat sich zudem neben diversen Bücherspenden und Neuerwerbungen auch ein Paragraph in der Bibliotheksordnung ausgewirkt, der jeden neuen Pfarrer bei Amtsantritt zu einer Bücherabgabe verpflichtete und außerdem bei seinem Tode das wertvollste Stück aus seiner Bibliothek einforderte.2 Dankenswerterweise stellte uns Herr Ohlmann für die Dauer des Kurses einige Bände aus dem Bestand der Bibliothek als Leihgabe zur Verfügung.

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Ein Stundenbuch aus der Stadtbibliothek Nürnberg
(Hert. Ms. 3, http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0177_b131_JPG.htm)
Foto: Jan Odstrčilik

Sowohl in Nürnberg als auch in München hatten wir zudem die Gelegenheit, einen Blick in die dortigen Restaurierungswerkstätten zu werfen und uns mit den Restauratorinnen zu unterhalten. Fasziniert befühlten wir die unterschiedlichen Pergament- und Lederarten und übten uns im Erkennen der jeweiligen Tierart. Man ließ uns am Fischleim schnuppern und die der Eisengallustinte als Grundlage dienenden Galläpfel befühlen. Gruseln konnten wir uns beim Anblick von Bänden mit Insektenbefall oder Wasserschäden; einen fast größeren Schrecken erweckten jedoch die berüchtigten Restaurierungsopfer der 70er Jahre – mittelalterliche Codices mit Kunstledereinband und säurehaltigem Papiervorsatz! Alles in allem kam der Aspekt der Restaurierung und Bestandserhaltung während des Kurses allerdings etwas zu kurz, die meisten von uns wären hier gern noch tiefer eingetaucht.

Zu den regulären Modulen und Exkursionen kamen außerdem Workshops und Vorträge externer Referenten hinzu: Höhepunkt war hier sicher der Besuch des insbesondere durch seine Blog- und Twitteraktivitäten bekannten Paläographen Dr. Erik Kwakkel (@erik_kwakkel) aus Leiden, der uns passenderweise am gefühlt heißesten Tag des Jahres mit Kissing, Biting and the Treatment of Feet (einer Kommilitonin verdanken wir zudem die Entdeckung des spooning) in den Schriften des 12. Jahrhunderts vertraut machte und am Abend zudem über Books in the Medieval Classroom referierte. Dr. Andrea Fleischer von der UB Heidelberg brachte uns im Rahmen des Franken-Seminars die Handschriftenbestände aus dem Kloster Heilsbronn näher, bei Prof. Dr. Andrea Stieldorf aus Bamberg besuchten wir ein Halbtagesseminar zur Funktion mittelalterlicher Chartulare, und schließlich präsentierte man uns als Beispiel einer erfolgreichen SCRIPTO-Absolventin Dr. Anette Creutzburg aus Florenz. Sie hielt einen Vortrag über die Ikonographie Birgittas von Schweden und berichtete insbesondere auch von ihrer Arbeit am Sehnsuchtsort Kunsthistorisches Institut in Florenz sowie dem unter ihrer Leitung durchgeführten Umbau der dortigen Institutsbibliothek – eine Karriere, die uns vor Neid erblassen ließ!

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Handschriftenlesesaal der Stadtbibliothek Nürnberg
Foto: Jan Odstrčilik

Ergänzt wurde das Angebot zudem durch eine den Kurs begleitende und an dessen ursprünglichem Zweck, der Befähigung zur Handschriftenkatalogisierung, ausgerichtete Praxisaufgabe: Die Beschreibung einer Handschrift aus der Neustädter Pfarrbibliothek. Bewaffnet mit den entsprechenden Richtlinien machten wir uns in Gruppen ans Werk, um jeweils einen Codex bzw. ein Fragment zu autopsieren – eine ideale Möglichkeit, um die bisher im Kurs erworbenen Kenntnisse anzuwenden, die Richtlinien auf ihre Praxistauglichkeit zu testen sowie die teils ungeahnten, mit der Handschriftenbeschreibung verbundenen Schwierigkeiten am eigenen Leib zu erfahren und im besten Falle auch zu überwinden. Lediglich eine Auswertung der Ergebnisse enthält man uns nun, gut zwei Monate nach Kursende leider noch immer vor.

Nachdem ich mit großem Hunger auf grundwissenschaftliches Input und die Arbeit mit Originalen nach Erlangen gekommen war, hat mich der Kurs einerseits vorerst gesättigt – gesättigt, was die rein grundwissenschaftliche Arbeit, die Beschäftigung mit Paläographie und Philologie zum Selbstzweck betrifft –, mir andererseits aber auch weiteren Appetit gemacht: Appetit auf das für ein Semester vernachlässigte historische Arbeiten, auf Quelleninterpretation und Forschungsdebatten. Appetit aber auch auf weiteren Haut- (oder wenigstens Handschuh-)kontakt mit mittelalterlichen Originalquellen – auf Archivarbeit. Und hierbei werden mir die im Kurs gewonnenen Kenntnisse sicherlich hilfreich sein.

1 Zu nennen sind u.a. die Sommerschule der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften „Die historischen Grundwissenschaften in der mediävistischen Praxis“ (vgl. auch die Ankündigung der Veranstaltung hier auf dem Blog, die in diesem Jahr paläographisch-editorisch ausgerichtete Sommerakademie des Mediävistenverbandes „Distanzen überwinden – Briefkommunikation und Briefdokumentation im Mittelalter“, der dritte Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur „Handschriftenkultur des Mittelalters für Fortgeschrittene“ sowie die Münchner Sommerakademie Grundwissenschaften 2013 „Schriftkunde des Mittelalters“.

2 Siehe für nähere Informationen Kirchenbibliothek Neustadt (Aisch), in: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa – http://fabian.sub.uni-goettingen.de/?Kirchenbibliothek_(Neustadt/Aisc) – letzter Aufruf am 05.09.2013.

Anmerkung zu den Bildern: Da es nicht in allen Bibliotheken gleichermaßen erwünscht war zu fotografieren und uns diese Möglichkeit in der Stadtbibliothek Nürnberg besonders großzügig eingeräumt wurde, stammt ein Großteil der hier veröffentlichten Bilder aus diesem Kontext und steht somit lediglich exemplarisch für die den gesamten Kurs durchziehende Arbeit mit Handschriften.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2042

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