Ein kurzer Überblick über die Revolution von 1848

Von Stefan Sasse

Lithographie der Barrikadenkämpfe in Berlin, März 1848
Die Revolution von 1848/49 war ein epochemachendes Ereignis in Europa. Dabei spricht bei einer oberflächlichen Betrachtung nur wenig für diese Interpretation: sowohl in Frankreich als auch im Deutschen Bund schuf die Revolution erst einmal nur wenig Bleibendes: Frankreichs zweite Republik wich nach nur kurzer Zeit der Regentschaft eines neuen Kaiser Napoleon, während das kurzlebige Paulskirchenparlament im Deutschen Bund kaum ein Jahr alt wurde. In beiden Fällen kamen danach wieder alte Eliten an die Macht und versuchten ihr bestes, an die Restaurationspolitik des Vormärz anzuknüpfen. 

Diese Restaurationspolitik nahm ihren Ursprung im Wiener Kongress 1814/15, in dem die Großmächte (minus das gegnerische Frankreich) über die politische Ordnung nach der unvermeidlichen Niederlage Napoleons nachdachten. Schnell wurde klar, dass die politischen Rechte, die weiten Volksschichten im Zuge der napoleonischen Reformen zugutegekommen waren und die das Volk immer vehementer einforderte, von keinem der Fürsten gewünscht waren und schnell wieder beseitigt werden sollten. Wem das 1815 noch nicht deutlich vor Augen stand, der musste nur das Wartburgfest 1817 beobachten, auf dem radikale Studenten die Errichtung eines deutschen Nationalstaats forderten, der auf einer Verfassung beruhte – ein klarer Angriff auf die Souveränität der Fürsten, die entsprechend 1819 die Karlsbader Beschlüsse einführten, mit denen sie die Presse und das junge Verlagswesen einer allgemeinen Zensur unterwarfen und die politische Opposition unterdrückten, ein Muster, das sich durch die gesamte Restaurationszeit zog (besonders gut sichtbar 1832/34 mit dem Hambacher Fest und einer weiteren Verschärfung der Beschlüsse). 

Notleidende schlesische Weber, 1848
1848 jedoch, nach einer Periode ungewöhnlicher wirtschaftlicher Not, entluden sich die aufgestauten Spannung explosionsartig in Frankreich, wo die Herrschaft der Bourbonen endgültig beendet wurde. Von dort schwappte der revolutionäre Geist, wie bereits 1789/90, schnell in die westdeutschen Gebiete über. In Baden, das einer der wenigen deutschen Verfassungsstaaten war, forderte Daniel Bassermann in der dortigen zweiten Kammer die Einberufung einer Nationalversammlung, die über eine gesamtdeutsche Verfassung und einen deutschen Staat beraten solle. Die Forderung fand Gehör vor allem, weil die Fürsten des Deutschen Bundes alle Hände voll damit zu tun hatten, revolutionäre Bewegungen in ihren Ländern niederzuhalten: So hatte es im März 1848 Barrikadenkämpfe in Berlin gegeben, und der preußische König war gezwungen worden, den Gefallenen seine Reverenz zu erweisen. Auch in Österreich war die Lage dramatisch, wo der Kaiser zudem mit Separationsbestrebungen zu kämpfen hatte. 

Unter einem ungewöhnlich gleichen und freien Wahlrecht wurden Abgeordnete für die Nationalversammlung in Frankfurt bestimmt, die nun eine ganze Reihe von Herausforderungen theoretischer und praktischer Art vor sich hatten. Man tut den Revolutionären kein Unrecht an, wenn man ihnen bescheinigt, die theoretischen Probleme gut im Blick gehabt zu haben, jedoch die praktischen sträflich vernachlässigt zu haben (was Bismarck später zu seiner „Blut und Eisen“-Bemerkung veranlasste). Diese praktischen Probleme betrafen vor allem dir realpolitische Durchsetzung von gefassten Beschlüssen, für die es kaum Machtmittel außerhalb der etablierten bundesstaatlichen gab, die fest in der Hand der Fürsten waren. Dies zeigte sich im Sommer 1848 exemplarisch am Krieg gegen Dänemark, den die Nationalversammlung zwar enthusiastisch begrüßte, der aber von Preußen praktisch souverän geführt und vor allem beendet wurde, was den Abgeordneten wie auch den Fürsten die Impotenz der Nationalversammlung eindrücklich vor Augen führte. 

Frankfurter Nationalversammlung, 1848
Die theoretischen Probleme dagegen waren wohl umrissen. Sie umfassten die zukünftigen Grenzen des deutschen Nationalstaats – vor allem, ob und in welcher Form Österreich dazugehören würde -, die Regierungsform und die Frage des Staatsoberhaupts. Die Abgeordneten waren sich in diesen Fragen keinesfalls einig. In Ermangelung von Parteien, die es damals noch nicht gab und die auch ein verabscheutes Konzept darstellten, fanden sich geistesverwandte Abgeordnete zu informellen „Stammtischen“ in örtlichen Gaststätten zusammen, nach denen diese Fraktionen auch den Namen erhielten – Casino, Deutscher Hof, Augsburger Hof, Milani, etc. – die eine wesentlich offenere Struktur als die späteren Parteien aufwiesen. Wechsel und Spaltungen waren an der Tagesordnung, und eine Art Fraktionszwang fehlte völlig. Trotz dieser und anderer Herausforderungen (das Parlament bearbeitete in seinem runden Jahr Bestehen über 1000 Bürger-Petitionen) erreichte die Nationalversammlung Arbeitsfähigkeit in all diesen Fragen. 

Die Schmähung als reines Redeparlament erklärt sich aus der anhaltenden Schwäche durch die mangelnden Durchsetzungsmechanismen. Als die örtlichen Revolutionen – die den liberalen Abgeordneten selbst ein Dorn im Auge waren – von den Fürsten nach und nach niedergeschlagen wurden, schwand deren aus der Furcht gespeiste Kooperation mit der Nationalversammlung. Der preußische König etwa gestand seinem Volk aus eigener Machtvollkommenheit eine Verfassung zu, während der österreichische Kaiser Wien zurückeroberte und zahllose Revolutionäre hinrichten ließ, darunter auch den Frankfurter Abgeordneten Robert Blum, der eigentlich durch die parlamentarische Immunität geschützt war – ein klarer und bewusster Affront. 

Karikatur auf die Bestrebungen der Schaffung eines Staates
Die Nationalversammlung musste unter dem Druck der Realität von großdeutschen Plänen Abschied nehmen und sich auf eine kleindeutsche Lösung besinnen, was jede Halteschranke nationalistischen Überschwangs entfernte und die Minderheiten innerhalb der Reichsgrenzen auf einen Germanisierungskurs zwang. Die Demokraten und Republikaner, gegenüber den gemäßigten Liberalen hoffnungslos in der Minderheit, akzeptierten in einem großen Kompromiss eine konstitutionelle Monarchie und gaben ihre republikanischen Hoffnungen auf. Im Gegenzug garantierte die neue Verfassung Bürgerrechte und implementierte ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht – für die damalige Zeit ein außerordentlicher und revolutionärer Schritt. In einer letzten Anpassung an die realpolitischen Gegebenheiten sandte die Nationalversammlung eine Delegation zum preußischen König, um ihm die Krone für das so geschaffene neue Staatsgebilde anzutragen. 

Dessen Ablehnung des „Reifs aus Dreck und Letten“ bedeutete das endgültige Scheitern der Revolution, die auch durch die Abspaltung eines republikanisch gesinnten „Rumpfparlaments“, das, viel zu spät, die Revolution noch einmal entfachen und in den Dienst der neuen Verfassung stellen wollte, nur noch einmal kurz aufloderte, ehe sie in Stuttgart von preußischen Truppen endgültig niedergeschlagen wurde. 

Verfassungsschema Paulskirchenverfassung, 1849
Trotzdem diesem offenkundigen Scheitern kann die Revolution selbst nicht als völliger Fehlschlag angesehen werden. Die spätere Reichsgründung „von oben“ erwies sich als spannungsgeladenes Gebilde, das schließlich ein einem Sturm aus „Blut und Eisen“ einem weiteren Versuch der Staatsgründung „von unten“ weichen musste, und viele Ideen von 1848 – die Grundrechte und der Föderalismus, um nur zwei zu nennen – bestimmen unsere heutige bundesrepublikanische Gegenwart, während die Blut-und-Eisen-Ideologie der Fürsten mitsamt ihrem Gottesgnadentum im Nebel der Geschichte versinken. Die Ideen von 1848 erwiesen sich ultimativ als wirkmächtiger als die Ideen von 1871.

Literatur:
Dieter Hein - Die Revolution von 1848/49
Frank Engehausen - Die Revolution von 1848/49 
Mike Rapport - 1848: Revolution in Europa
Frank Lorenz Müller - Die Revolution von 1848/49  
Claudia Liebeswar - Die Revolution von 1848

Bildnachweise: 
Barrikaden - unbekannt (gemeinfrei)
Weber - Carl Wilhelm Hübner (gemeinfrei)
Versammlung - Leo von Elliott (gemeinfrei)
Karikatur - unbekannt (gemeinfrei)
Schema - CyborgMax (CC-BY-SA 3.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/12/ein-kurzer-uberblick-uber-die.html

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Die deutsche Einheit, Teil 3

Von Stefan Sasse


Volkskammerwahl 1990, TV-Übertragung
Die deutsche Einheit hatte also sowohl eine innenpolitische als auch eine außenpolitische Dimension. Beide konnten nicht ohne Weiteres überwunden werden. Die für März angesetzte erste freie Volkskammerwahl in der DDR bedeutete nicht nur die Wahl eines ostdeutschen Parlaments. Sie wurde gleichzeitig auch zu einer Entscheidung über die Zukunft der DDR. Effektiv traten vier verschiedene Fraktionen zur Wahl an: Die christlich-demokratischen Parteien unter dem neuen Label „Allianz für Deutschland“, die verschiedenen Bürgerinitiativen aus der DDR, besonders das Bündnis 90, im Verbund mit den Grünen, die SPD und die zur PDS umbenannte SED. Die Ziele dieser Gruppierungen unterschieden sich deutlich voneinander und strahlten auf die auf den Dezember vorgezogene Bundestagswahl ab. Die „Allianz für Deutschland“ sowie die FDP strebte die vollständige und sofortige Wiedervereinigung unter Artikel 23 des Grundgesetzes an, während die SPD sich eher für eine föderale Lösung aussprach, die die Wiedervereinigung als mittelfristiges Ziel betrachtete. Gleiches gilt für Bündnis90 und Grüne, während die PDS die Eigenstaatlichkeit der DDR vertrat.

Auch wirtschaftspolitisch besaß die Wahl eine große Dimension. Die anfängliche Euphorie über den Mauerfall war verflogen, und das starke Wohlstandsgefälle zwischen BRD und DDR wurde erneut und drastisch sichtbar. Neben der Frage der künftigen Staatlichkeit der DDR, die ohnehin ohne außenpolitische Arbeit nicht lösbar war, stellte sich die nach dem Währungsraum. Helmut Kohl sprach sich schnell für eine Wirtschaftsunion beider deutscher Teilstaaten inklusive Übernahme der D-Mark zum Wechselkurs 1:1 aus. Die Folgen waren absehbar: ein kurzfristiger, großer Kaufkraftgewinn für sämtliche Ostbürger und ein rapider Verlust an Wettbewerbsfähigkeit für die ohnehin schwache DDR-Wirtschaft, die quasi über Nacht auf das westdeutsche Wirtschaftssystem umgestellt werden würde. Kohl bewies mit dieser Forderung jedoch den richtigen politischen Instinkt. Die mittelfristigen und langfristigen Wirkungen interessierten in der dynamischen und spannungsgeladenen Atmosphäre niemanden. Oskar Lafontaine, Kanzlerkandidat der SPD, verschätzte sich mit seinen Versuchen, auf einen wirtschaftlich besonneneren Kurs zu schwenken schwer. 

Briefmarke, 1989
Dies lässt sich auch an den geänderten Slogans der immer noch regelmäßig stattfindenden Demonstrationen ablesen: aus „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“. Neu hinzu kam „Kommt die DM bleiben wir, kommt sie nicht geh’n wir zu ihr“. Die Stoßrichtung war klar: die Bürger der DDR erwarteten eine wirtschaftliche Angleichung an die BRD (nicht so sehr eine politisch-soziale, aber das zu differenzieren erwies sich in jenen stürmischen Tagen als praktisch unmöglich). Die SPD, die bei den ersten Umfragen zum Jahreswechsel 1989/90 noch auf eine Mehrheit hoffen durfte, sackte bis zur Volkskammerwahl selbst daher immer weiter ab und wurde in der Wählergunst völlig von der „Allianz für Deutschland“ verdrängt. Dies hatte neben dem klaren Nachteil bei den politischen Positionen einen handfesten infrastrukturellen Grund: während die CDU und FDP ohne viel Federlesens ihre entsprechenden Blockparteien aufsaugten und deren Strukturen und Finanzen übernahmen, weigerte sich die SPD, mit der neuformierten PDS zusammenzuarbeiten. Sie musste ihre Wahlkampfstrukturen daher völlig aus dem Stand aus dem Westen heraus aufbauen. Hinter dieser Weigerung stand die Furcht, eine Übernahme von PDS-Mitgliedern (tatsächlich wurde seitens der PDS ernsthaft debattiert, dass die gesamte Führungsspitze geschlossen zur SPD überwechselte, was der PDS den Todesstoß versetzt hätte) würde die SPD zu stark verändern und der „Allianz für Deutschland“ einen Rote-Socken-Wahlkampf zu erlauben. 

Je mehr die Unterschiede zwischen PDS und SPD deutlich wurden und die beiden Parteien sich gegenseitig mieden, desto mehr profitierte die „Allianz für Deutschland“. In den Volkskammerwahlen erzielte sie 40,8%, verglichen mit nur 21,9% für die SPD und immerhin 16,4% für die PDS. Der Vorsitzende der „Allianz für Deutschland“, Lothar de Maizière, bildete daraufhin eine Koalition zwischen CDU, SPD und den Liberalen. Die Weichen standen damit endgültig auf Wiedervereinigung, denn de Maizière ließ keinen Zweifel daran, dass er die DDR nicht zu erhalten wünsche und seine Aufgabe eher als „Reichsverweser“ betrachtete. Neben der Verabschiedung einer neuen, an die BRD angelehnten Kommunalverfassung im Mai 1990, die die Grundlage für einen föderalistischen Aufbau legte, beschloss die Volkskammer im Sommer 1990 vor allem die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der BRD. Nicht nur wurde die D-Mark zum Kurs 1:1 offizielle Währung der DDR, auch die Renten wurden an das BRD-System angepasst und damit relativ zum vorherigen Stand deutlich erhöht, während die vielen nun anfallenden Arbeitslosen von der westdeutschen Sozialversicherung versorgt wurden. Um die vielen staatseigenen Betriebe zu überprüfen und zu privatisieren oder gegebenenfalls abzuwickeln wurde die berüchtigte Treuhand gegründet, von der später noch die Rede sein wird. Die klarsten Verlierer der Volkskammerwahl aber waren nicht SPD und PDS, sondern die Bürgerinitiativen wie das Bündnis90. Sie verloren in er Folgezeit massiv an Bedeutung, schon allein, weil sie es mit den Politprofis der Parteien nicht aufnehmen konnten. Ihre Reste fusionierten schließlich mit den Grünen.

Kohl im Wahlkampf 1990 in Erfurt
Neben diesen innenpolitischen Dimension spielte jedoch die außenpolitische ebenfalls eine tragende Rolle. England, Frankreich und Russland waren alle wenig begeistert von der Aussicht auf eine deutsche Wiedervereinigung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Für Großbritannien gefährdete ein Deutschland der 80 Millionen das Gleichgewicht in Europa. Bislang war die 60-Millionen-BRD durch das ähnlich große Frankreich in der Waage gehalten worden. Für Frankreich stand der delikate deutsch-französische Ausgleich, der die EWG bestimmte, auf der Kippe. Die Agrarsubventionen der EWG etwa waren für Frankreich extrem wichtig. Ein größeres industrialisiertes Deutschland aber könnte diese in Frage stellen. Für beide Länder war außerdem völlig unklar, wie zuverlässig eine solcherart vergrößerte BRD bleiben würde. Wäre Kohl bereit, ähnlich der Stalin-Note 1952 eine Neutralisierung Deutschlands zu akzeptieren, die zu einer Art Rapallo 2.0 führen würde, einer Politik zwischen Ost und West? Genau das war natürlich das erklärte Ziel der Sowjetunion. Sie wollte Ostdeutschland unbedingt aus Nato und EWG heraushalten.

Für Kohl galt es damit mehrere Ängste zu zerstreuen. Letztlich bedeutend aber waren vor allem zwei Mächte: die USA und die Sowjetunion. Kohl hatte schnell die Unterstützung George Bushs, des damaligen US-Präsidenten. Mit dieser gewichtigen Unterstützung im Rücken war damit zu rechnen, dass auch Großbritannien und Frankreich letztlich einlenken würden. Kohl musste ihnen nur garantieren, dass Deutschland in den bisherigen Vertragsgebieten bleiben würde. Dies gelang seitens Frankreichs durch das Versprechen auf eine gemeinsame europäische Währung, dem Euro. Großbritannien überwand seine Vorbehalte als deutlich wurde, dass Deutschland sich in der EWG selbst beschränken würde (so würde das Europäische Parlament keine zusätzliche deutschen Sitze bekommen, obwohl es eigentlich nach Einwohnerzahl bestimmt wurde) und in der Nato blieb. Übrig blieb somit nur die Sowjetunion.

Gorbatschow und Bush 1989 auf Malta
Kohl gelang es, auf einer sehr persönlichen Ebene mit Gorbatschow zusammenzukommen (bedenkt man, dass es 1987 noch wegen eines unglücklichen Goebbels-Vergleichs fast zum Eklat gekommen war ein erstaunliches Ergebnis) und sein Vertrauen zu gewinnen. Auf dieser Basis konnten die restlichen Probleme in Verhandlungen aus dem Weg geräumt werden. Einerseits verlangte die Sowjetunion großzügige finanzielle Entschädigungen, unter anderem einen deutschen „Kredit“ sowie die Finanzierung des sowjetischen Truppenabzugs aus Ostdeutschland bis 1994. Andererseits verpflichtete sich die BRD, in Ostdeutschland eine Art entmilitarisierter Zone einzurichten und das Gebiet nicht zum offiziellen Nato-Gebiet zu machen. Im Gegenzug durfte die wiedervereinigte BRD Nato-Gebiet bleiben (der Zusammenbruch des Warschauer Pakts kurz darauf machte diese Regelungen ohnehin zur Makulatur). Ebenfalls vereinbart wurde der EWG-Beitritt Ostdeutschlands. Die BRD musste außerdem noch einmal förmlich die Odergrenze anerkennen und gegenüber Polen auf gewaltsame Grenzänderungen verzichten.

Mit diesen Vereinbarungen waren die außenpolitischen Hindernisse beseitigt. In den 2+4-Verhandlungen wurde der Zweite Weltkrieg endgültig beendet – die Besatzungsmächte zogen vollständig ab. Dies betraf die sowjetischen Garnisonen in Ostdeutschland und die alliierten Truppen in Westberlin, sofern nicht durch entsprechende Stationierungsverträge im Rahmen der Nato Truppen verblieben. Das wiedervereinigte Deutschland würde die UNO-Mitgliedschaft der BRD erben und endgültig souverän sein. Der Vorbehalt in gesamtdeutschen Fragen entfiel. Es ist wichtig zu wissen, dass die 2+4-Verhandlungen keinen offiziellen Friedensvertrag darstellten. Die Frage nach Reparationen für den verlorenen Krieg, besonders an viele kleine Nationen wie Polen oder Griechenland, wurde damit auf die kalte Art bereinigt. Zwar verzichteten viele dieser Länder offiziell auf ihre verbliebenen Forderungen, jedoch brachen alte, in den 1950er und 1960er eigentlich als erledigt betrachtete Fragen über juristische Zuständigkeiten erneut wieder auf, was etwa Ende der 1990er Jahre zu den großen Zwangsarbeiterentschädigungen führte. Für die Wiedervereinigung stellte dies jedoch kein Hindernis dar. Zum Dezember 1990 wurden Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag ausgerufen. Die Popularität Kohls, der im Sommer 1989 noch als lahme Ente gegolten hatte, kannte fast keine Grenzen mehr. Lafontaines Wahlkampfkonzept erwies sich als falsch, und der Anschlag einer geistig verwirrten Frau auf ihn verbesserte die Lage nicht. Die SPD schwenkte ebenfalls auf den Wiedervereinigungskonsens ein (der nur noch von der PDS in Frage gestellt wurde) und verlor die Wahl mit rund 33,5% deutlich, während die Union mit 43,8% und die FDP mit 11% eine klare Mehrheit gewannen. Bündnis90/Die Grünen bestätigte den Trend der Volkskammerwahlen und gelangte überhaupt nur dank der Sonderregelung, dass in West und Ost jeweils eine eigene 5%-Hürde galt, in den Bundestag. Am 3. Oktober 1990 war zuvor die offizielle Wiedervereinigung in einem Festakt begangen worden, der zum offiziellen Nationalfeiertag wurde.

Polizist in DDR-Uniform vor Treuhandgebäude 1991
Bereits 1991 zeigten sich jedoch gravierende Schwächen in Kohls Wiedervereinigungskonzept. Während die außenpolitische Abwickelung der Einheit geradezu elegant von ihm gelöst worden war – was viele als praktisch unmöglich gesehen hatten -, machte besonders die wirtschaftliche Abwicklung deutliche Sorgen. Um die Wahl zu gewinnen hatte Kohl Steuererhöhungen, die Lafontaine als unausweichlich bezeichnet hatte, entschieden abgelehnt. Stattdessen waren Fantasiekonzepte von Privatisierungserlösen aus der Treuhand zur Finanzierung herangezogen worden. Trotz moderater Steuererhöhungen legte Kohl einen Großteil der entstehenden Kosten einfach auf die Sozialversicherungssysteme um. Die Folgen dieser Mehrbelastung besonders der Rentenversicherung fanden ihren Ausgang in der Agenda2010-Politik Schröders 2003/2004. Zudem erwies sich die Treuhand, die zur Privatisierung der DDR-Wirtschaft gegründet worden war, als wahre Katastrophe.

Investoren aus der BRD feierten geradezu ein Fest, als sie für Schleuderpreise die Filetstücke der DDR-Wirtschaft übernahmen, während der Rest – etwa die exzessive Braunkohleförderung oder die geradezu aberwitzig ineffiziente Mikrotechnikindustrie – in großem Stil abgewickelt wurde. Einige wenige Leute wurden an der Treuhand sehr reich, während viele DDR-Unternehmen ohne Rücksicht auf die Umstände liquidiert wurden. Fast allen brach das Genick, dass die umfassende Subventionierung der Betriebe durch den realsozialistischen Staat offiziell als Kredite der DDR-Banken getarnt worden war. Diese Banken waren von westlichen Investoren übernommen worden, die diese „Kredite“, die oftmals reine Luftbuchungen gewesen waren, nun einforderten. Der 1:1-Umrechnungskurs von Ostmark und D-Mark, der den realen Gegebenheiten keinesfalls entsprach, wirkte verstärkend. Bis 1992 waren weite Teile Ostdeutschlands effektiv deindustrialisiert. Trotzdem hatte die Aufbruchstimmung einen zarten Boom ausgelöst (im Osten gab es offensichtlich massive Potenziale und Märkte), der 1992 jedoch durch eine drastische Anhebung des Leitzins durch die Bundesbank, die Inflationsgefahr beschwor, abgewürgt wurde. Bis heute, mehr als 20 Jahre nach der Einigung, sind die neuen Bundesländer den alten wirtschaftlich hinterher und müssen mit Transferzahlungen finanziert werden. Auch dies ist das Erbe der deutschen Einheitspolitik.
Lafontaine im Wahlkampf 1990
Mental hinterließ besonders die Treuhand einen riesigen Scherbenhaufen. Ihre gescheiterte Politik trug dazu bei, dass viele Ostdeutsche sich kolonisiert und ausgebeutet fühlten und dem Westen vorwarfen, sich nur bereichert zu haben und selbst Deutsche zweiter Klasse zu sein. Zu einem gewissen Teil war die Enttäuschung wohl unvermeidlich, denn das rosarote Bild des Westens, das unter den Bedingungen der SED-Herrschaft geherrscht hatte, konnte der Wirklichkeit nicht standhalten. Viel davon war in jener Zeit aber auch mutwillig zerstört worden. Der Instinkt für die wirtschaftlichen Realitäten war bei Lafontaine wesentlich besser ausgeprägt als bei Kohl. Der jedoch hatte den politischen, und er nutzte ihn. Auch der eher unglückliche Umgang mit der Stasi-Akten-Behörde unter Joachim Gauck trug seinen Teil bei. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bevor ein unverstellter Blick auf diesen Teil der deutschen Geschichte möglich ist.

Bildnachweise:
Volkskammerwahl -  Bundesarchiv, Bild 183-1990-0318-431 / Schindler, Karl-Heinz / CC-BY-SA
Briefmarke - DDR Post, gemeinfrei
Kohl - Bundesarchiv, Bild 183-1990-0220-032 / CC-BY-SA
Gipfel Malta - George Bush Library, Series: George H. W. Bush Presidential Photographs, compiled 01/20/1989 - 01/20/1993. U.S. National Archives and Records Administration, NAIL Control Number: NLB-WHPC-A-P8488(18) (gemeinfrei)
Polizist - Bundesarchiv, B 145 Bild-F088838-0037 / Thurn, Joachim F. / CC-BY-SA
Lafontaine - Bundesarchiv, Bild 183-1990-1025-300 / Gahlbeck, Friedrich / CC-BY-SA

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/12/die-deutsche-einheit-teil-3.html

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