Schlaglichter auf die Geschichte, Band 1

Von Stefan Sasse

Mein erstes Buch kann ab sofort im Kindle-Store bei Amazon erworben werden. Bisher ist es nur als eBook im Self-Publishing verfügbar, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Genug der Vorrede, Vorhang auf: 

„Schlaglichter auf die Geschichte“ ist ein Lesebuch zur Geschichte. Es bietet kurze Kapitel, die sich auf etwa zehn bis zwanzig Seiten mit einem spezifischen Thema auseinandersetzen und auf dem Stand der aktuellen Forschung allgemein verständlich darlegen. Das Spektrum dieser Artikel ist breit gewählt und reicht von der Antike über das Mittelalter in die Frühe Neuzeit und in unsere Gegenwart hinein. Schwerpunkte sind die Geschichte Deutschlands und der USA. Viele dieser historischen Themen werden dabei unter dem Fokus von bestimmten Problemen untersucht, die in der entsprechenden Epoche maßgebend waren.

So etwa steht eine kurze Abhandlung des amerikanischen Bürgerkriegs unter der Frage, wie sehr der Krieg die Methoden von Kriegführung veränderte, da er viele Entwicklungen des Ersten Weltkriegs vorweg nahm, und welche Folgen er für die Amerikaner selbst hatte. Die Annäherung an die Französische Revolution zeigt die Gründe auf, warum das utopische Experiment im Blut der Guillotine und der Diktatur Bonapartes endete. Und der Artikel über den Hundertjährigen Krieg beschreibt auch die Folgen für die Gesellschaft, den Zerfall des Rittertums und die Stärkung der Zentralgewalt.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Themen, die eine komplette Epoche beschreiben und deren Relevanz anhand einer spezifischen Problemstellung greifen, befassen sich andere Artikel mit sehr speziellen Themen. Beispiele für solche Themen sind etwa die Bedeutung der Mittelschicht und des um sie herum konstruierten Mythos für die Mentalität der Bundesdeutschen oder die Gewalteskalation des Peloponnesischen Krieges, die in vielem sehr modern erscheint. Ein anderer Artikel beschäftigt sich mit der Konsequenz von Tiefen- und Breitenrüstung im Zweiten Weltkrieg. Ein weiterer Artikel dekonstruiert die Bedeutung „des Volkes“ als handelnde Kraft in der Geschichte.

Die einzelnen Artikel wurden ursprünglich für meine Homepage, das Geschichtsblog (http://geschichts-blog.blogspot.com) geschrieben. Ihre Reihe wird ständig erweitert. Für „Schlaglichter auf die Geschichte“ wurden die verwendeten Artikel noch einmal grundlegend überarbeitet. Jeder Band dieser Reihe enthält eine Auswahl von Artikeln zu den verschiedensten Themen.

Die Problemorientierung der Artikel und ihre prägnante Kürze ermöglicht dem historisch interessierten Publikum einen schnellen Einstieg ins Thema, die Aktualität des Forschungsstands und die pointierten Thesen regen das Nachdenken und Reflektieren an und heben „Schlaglichter auf die Geschichte“ damit von anderen Geschichtsüberblicken ab. In diesem Band finden sich:

- Der Ausbruch der amerikanischen Revolution
- Anatomie des Holocaust
- Der Erste Punische Krieg – Roms Aufstieg zur Weltmacht
- Der Hundertjährige Krieg
- Der konstituierende Mythos „Mittelschicht“
- Der Blick in den Abgrund - Eine kontrafaktische Betrachtung des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs
- Vier Irrtümer über das Mittelalter
- Die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika
- Der Erste Kreuzzug
- Gewalteskalation im Peloponnesischen Krieg
- Vom Volk als historischer Größe
- Der Vergessene Krieg - Korea 1950-1953
- Die Mär vom Wirtschaftswunder
- Eine kurze Geschichte der Migration in die BRD
- Der Fall des Königreichs Jerusalem und die Einigung der muslimischen Welt
- Der Erste Weltkrieg
- Sinn und Unsinn von Leugnungsverboten
- Das Ende des Hopliten-Chauvinismus
- Das blutige 20. Jahrhundert
- Die Schaffung der amerikanischen Verfassung
- Vom Matrosenaufstand bis zum Kapp-Putsch – die deutsche Revolution 1918/19
- Der 2. Punische Krieg und der Untergang Karthagos
- Der amerikanische Bürgerkrieg
- Die Französische Revolution
- Folgenschwere Fehleinschätzung - Technische Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/04/schlaglichter-auf-die-geschichte-band-1.html

Weiterlesen

Schlaglichter auf die Geschichte, Band 1

Von Stefan Sasse

Mein erstes Buch kann ab sofort im Kindle-Store bei Amazon erworben werden. Bisher ist es nur als eBook im Self-Publishing verfügbar, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Genug der Vorrede, Vorhang auf: 

„Schlaglichter auf die Geschichte“ ist ein Lesebuch zur Geschichte. Es bietet kurze Kapitel, die sich auf etwa zehn bis zwanzig Seiten mit einem spezifischen Thema auseinandersetzen und auf dem Stand der aktuellen Forschung allgemein verständlich darlegen. Das Spektrum dieser Artikel ist breit gewählt und reicht von der Antike über das Mittelalter in die Frühe Neuzeit und in unsere Gegenwart hinein. Schwerpunkte sind die Geschichte Deutschlands und der USA. Viele dieser historischen Themen werden dabei unter dem Fokus von bestimmten Problemen untersucht, die in der entsprechenden Epoche maßgebend waren.

So etwa steht eine kurze Abhandlung des amerikanischen Bürgerkriegs unter der Frage, wie sehr der Krieg die Methoden von Kriegführung veränderte, da er viele Entwicklungen des Ersten Weltkriegs vorweg nahm, und welche Folgen er für die Amerikaner selbst hatte. Die Annäherung an die Französische Revolution zeigt die Gründe auf, warum das utopische Experiment im Blut der Guillotine und der Diktatur Bonapartes endete. Und der Artikel über den Hundertjährigen Krieg beschreibt auch die Folgen für die Gesellschaft, den Zerfall des Rittertums und die Stärkung der Zentralgewalt.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Themen, die eine komplette Epoche beschreiben und deren Relevanz anhand einer spezifischen Problemstellung greifen, befassen sich andere Artikel mit sehr speziellen Themen. Beispiele für solche Themen sind etwa die Bedeutung der Mittelschicht und des um sie herum konstruierten Mythos für die Mentalität der Bundesdeutschen oder die Gewalteskalation des Peloponnesischen Krieges, die in vielem sehr modern erscheint. Ein anderer Artikel beschäftigt sich mit der Konsequenz von Tiefen- und Breitenrüstung im Zweiten Weltkrieg. Ein weiterer Artikel dekonstruiert die Bedeutung „des Volkes“ als handelnde Kraft in der Geschichte.

Die einzelnen Artikel wurden ursprünglich für meine Homepage, das Geschichtsblog (http://geschichts-blog.blogspot.com) geschrieben. Ihre Reihe wird ständig erweitert. Für „Schlaglichter auf die Geschichte“ wurden die verwendeten Artikel noch einmal grundlegend überarbeitet. Jeder Band dieser Reihe enthält eine Auswahl von Artikeln zu den verschiedensten Themen.

Die Problemorientierung der Artikel und ihre prägnante Kürze ermöglicht dem historisch interessierten Publikum einen schnellen Einstieg ins Thema, die Aktualität des Forschungsstands und die pointierten Thesen regen das Nachdenken und Reflektieren an und heben „Schlaglichter auf die Geschichte“ damit von anderen Geschichtsüberblicken ab. In diesem Band finden sich:

- Der Ausbruch der amerikanischen Revolution
- Anatomie des Holocaust
- Der Erste Punische Krieg – Roms Aufstieg zur Weltmacht
- Der Hundertjährige Krieg
- Der konstituierende Mythos „Mittelschicht“
- Der Blick in den Abgrund - Eine kontrafaktische Betrachtung des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs
- Vier Irrtümer über das Mittelalter
- Die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika
- Der Erste Kreuzzug
- Gewalteskalation im Peloponnesischen Krieg
- Vom Volk als historischer Größe
- Der Vergessene Krieg - Korea 1950-1953
- Die Mär vom Wirtschaftswunder
- Eine kurze Geschichte der Migration in die BRD
- Der Fall des Königreichs Jerusalem und die Einigung der muslimischen Welt
- Der Erste Weltkrieg
- Sinn und Unsinn von Leugnungsverboten
- Das Ende des Hopliten-Chauvinismus
- Das blutige 20. Jahrhundert
- Die Schaffung der amerikanischen Verfassung
- Vom Matrosenaufstand bis zum Kapp-Putsch – die deutsche Revolution 1918/19
- Der 2. Punische Krieg und der Untergang Karthagos
- Der amerikanische Bürgerkrieg
- Die Französische Revolution
- Folgenschwere Fehleinschätzung - Technische Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/04/schlaglichter-auf-die-geschichte-band-1.html

Weiterlesen

Die Great Depression in den USA

Von Stefan Sasse

Auflauf an der Wallstreet 1929
Die Zwanziger Jahre waren in den USA eine Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Börsenkurse kannten nur eine Richtung: nach oben. Die Produktion erlebte nie gekannte Kennziffern. Obwohl der Anstieg der Löhne deutlich hinter dem Wachstum der Wirtschaft zurückblieb, erfasste dieser Aufschwung breitere Bevölkerungsschichten als die vorherigen Boomphasen, besonders in der so genannten "Gilded Age" des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dem großen Zeitalter der "Räuberbarone". Besonders die Angestellten, qualifizierten Facharbeiter und andere traditionell der "Mittelschicht" zugerechnete Bevölkerungsgruppen gewannen einen gewissen Wohlstand und begannen sogar, Aktienanteile zu kaufen (wenngleich das Ausmaß dieses Handels deutlich geringer war, als es in der Rückschau häufig dargestellt wird). Dieser Wohlstandsgewinn fiel mit einigen neuartigen Erfindungen zusammen, die über das Telefon zum Kühlschrank und dem Radio reichten. Die Verfügbarkeit dieser Instrumente für Bezieher mittlerer Einkommen ließ diese Zeit gerade auch den Zeigenossen als eine neuartige erscheinen. Es gab zu dieser Zeit ernsthafte Meinungen von Experten, dass der Aufschwung sich verstetigt habe und dass man endlich die Zeit der Wirtschaftszyklen überwunden habe. Die Rezession schien ein Gespenst der Vergangenheit zu sein. 

Als am 28. Oktober 1929, dem mittlerweile berüchtigten "Schwarzen Montag", die Kurse um rund 13% fielen - der größte Tagesverlust bis dato - brach Panik aus. Am folgenden "Schwarzen Dienstag", dem 29. Oktober 1929, fielen sie um noch einmal 12%. Entgegen populärer Annahmen war dieser Kurseinbruch aber weder der Beginn der Weltwirtschaftskrise, noch führt von hier eine ununterbrochene Linie durch die Dreißiger Jahre hindurch. Stattdessen schienen sich Vorhersagen wie etwa die des damals schon 93jährigen David D. Rockefeller zu bewahrheiten, dass es sich nur um einen vorübergehenden, wenngleich heftigen Einbruch handle - eine normale Rezession eben, wie man sie kannte. Die Kursentwicklungen schienen ihm Recht zu geben, denn in den folgenden Monaten bis zum April 1930 erholte sich der Aktienmarkt langsam wieder. Am 17. April 1930 erreichte er ein Zwischenhoch, von dem aus er dann eine erneute, lange Abwärtsbewegung bis weit ins Jahr 1932 hinein vollzog. Dieses Phänomen einer so genannten "bear market rally" oder auch des "dead cat bounce" ist nicht singulär für die Great Depression; es findet sich auch in den 1960er und 1970er Jahren sowie besonders ausgeprägt in Japan während der "lost decade" in den 1980er und 1990er Jahren. 

Auflauf bei der Nachricht vom Konkurs der Bank of the US, 1931
Die Frage nach den Ursachen der Weltwirtschaftskrise ist dabei eine heiß umkämpfte, weil ideologisch aufgeladene. Jede Denkrichtung der Wirtschaftswissenschaften hat eine eigene Deutung entwickelt.  Für die Keynesianer etwa war es eine normale Rezession, die durch die Untätigkeit des Staates, der stattdessen deficit spending hätte betreiben müssen, erst zur Great Depression wurde. Die Monetaristen betonen die Fehler der Federal Reserve, die wesentlich mehr Geld in den Kreislauf hätte pumpen müssen, um die Deflation zu bekämpfen, während die österreichische Schule die Meinung vertritt, dass der wirtschaftliche Einbruch überhaupt erst durch billige Kredite dank einer zu offensiven Zentralbankpolitik möglich gewesen wäre. Die Marxisten sehen Krisen wie diese als dem Kapitalismus ohnehin inhärent und unvermeidlich an, während Waddil Catchings und William Trufant Foster bereits ausgangs der 1920er Jahre darauf hinwiesen, dass das geringe Lohnwachstum deflationäre Tendenzen befördert habe, da mehr Waren als Massenkaufkraft verfügbar gewesen seien. Es kann nicht die Aufgabe dieses Blogs sein, zu diesen Theorien definitiv Stellung zu beziehen, handelt, denn der Autor ist kein Wirtschaftsexperte. Die verschiedenen Ansätze sollen deswegen hier unkommentiert stehen bleiben.

Die vorherrschende Wirtschaftstheorie zu jener Zeit war der Neoklassizismus. Er ging davon aus, dass die Wirtschaft mit möglichst wenig staatlichen Eingriffen auskommen solle und dadurch wesentlich effizienter sei, als wenn der Staat regulierend eingriff. Auch im Falle einer Krise sollte der Staat sich zurückhaltend verhalten. Als ab 1930 immer mehr Menschen entlassen wurden und die Aktienkurse absackten, griff die Regierung Herbert Hoovers - dessen Name wohl auf immer mit der Krise verbunden sein wird -  nicht ein. Stattdessen reagierte sie auf die wegbrechenden Steuereinnahmen mit der Kürzung staatlicher Ausgaben, was die Krise weiter verschärfte. Tausende von Menschen wurden obdachlos und lebten in Zeltstädten am Stadtrand, den so genannten "Hoover-Villes". Ein weiteres staatlicherseits verursachtes Problem, das beileibe nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt war, war das Festhalten am Goldstandard. Dieser zwang die Federal Reserve dazu, vergleichsweise hohe Zinsen zu erhalten, um ausländische Investoren - die in Gold kauften - im Land zu halten. Eben diese Zinsen aber machten es Unternehmen schwer, Kredite aufzunehmen und zu investieren, was für die Erholung natürlich extrem nachteilig war. 

Louisville-Flut-Opfer in der "Recession of 1937"
Diese Effekte führten dazu, dass die bald 13 Millionen Menschen, die in den USA ihre Arbeit zwischen 1929 und 1932 verloren, furchtbare Bedingungen ertragen mussten. Eine funktionierende Arbeitslosenhilfe existierte effektiv nicht, und die Armenfürsorge reichte nicht aus, um die Menschen zu unterstützen. In jenen Jahren ging die industrielle Produktion um über 40% zurück. Der private Hausbau ging um 80% zurück, das Durchschnittseinkommen einer amerikanischen Familie sank um 40%, die Profite der US-Firmen gingen von 10 auf 1 Milliarde Dollar zurück. Regional erreichte die Arbeitslosenreate 80% (etwa in Toledo, Ohio). Zwischen 1930 und 1932 wurden praktisch keine neuen Münzen geprägt - es gab einfach keinen Bedarf. Dieses letzte Detail zeigt, wie stark die sinkenden Preise das tägliche Leben beeinflussten. Zu Beginn schien es für die Menschen noch positiv zu sein, da die Löhne einige Wochen stagnierten, während die Preise abzusacken begannen. Aber bald sank beides im Gleichschritt. 1933 wurden 60% der Amerikaner von der Regierung offiziell als arm eingestuft. 25% aller Schulkinder galten als unterernährt.

Doch der Niedergang der Realwirtschaft, das heißt Massenentlassungen, Firmenbankrotte und Aktienverluste, war noch lange nicht das Ende. Ab 1931 suchte eine Serie von Banken-Konkursen die USA heim; über 5000 Banken existierten bereits zwei Jahre später nicht mehr. Wie bereits zuvor bei den Verwerfungen in der Realwirtschaft wollte die Regierung Hoover nicht wirklich eingreifen. Bank-Runs, also der massenhafte Versuch, sein Geld in Sicherheit zu bringen, sorgten für eine regelrechte Kettenreaktion beim Zusammenbruch der Geldhäuser. Gleichzeitig trieben die überlebenden Banken erbarmungslos alle Schulden ein. Spätestens jetzt traf die Krise auch mit voller Wucht die Agrarwirtschaft. Tausende von überschuldeten Farmen wurden gepfändet, die Bauern zu Obdachlosen, die als Wanderarbeiter auf der Suche nach der knappen Arbeit, vom Verhungern bedroht das Land durchstreiften.

Roosevelt (r) und Hoover 1932
In diese Zeit fällt das größte voter realignment der amerikanischen Geschichte. Beim voter realignment, einem in Deutschland weitgehend unbekannten Phänomen, ändert sich die Wählerschaft einer Partei rapide. Bisher waren die Demokraten die Partei der Südstaaten gewesen, konservativ und rechtsgerichtet, ein Erbe der Bürgerkriegszeit. Der Kandidat der Demokraten auf das Präsidentenamt 1932, Franklin Delano Roosevelt, änderte das dramatisch. Er proklamierte die Vision eines "New Deal", also eines Neuanfangs für alle. Inzwischen war die Überzeugung, dass die Great Depression keine normale Rezession war, sondern stattdessen eine tiefe Krise und Zäsur für die USA und ihr Selbstverständnis darstellte, allgemeiner Konsens in den USA. Roosevelts Rhetorik fiel also auch fruchtbaren Boden. Er schmiedete eine Allianz der "Big City Machines", der korrupten Wahlkampforganisationen in den großen Städten, mit dem "White South", den Intellektuellen des Landes, den Einwohnern des Mittleren Westens, den Gewerkschaften, den Juden und den Katholiken - vielen traditionell eher diskriminierten Gruppen also. Ab 1936 wurden außerdem die bis dahin den Republikanern zuneigenden Schwarzen integriert, die bis heute ein verlässlicher Wählerblock der Demokraten sind.

Es erscheint überraschend, dass der New Deal erst einmal keine überragenden Veränderungen mit sich brachte. Bereits unter Hoover waren größere Infrastrukturprojekte begonnen worden, recht zaghaft noch, aber bereits mit der Zielsetzung, die Nachfrage wieder in Schwung zu bringen. Unter Roosevelt kamen einige weitere dazu, von denen das berühmteste die Tennessee Valley Authority war, die das strukturschwache Tennessee-Tal ausbaute. Vermutlich weit wichtiger als die von keynesianischen Wissenschaftlern als völlig unzureichend und von Angebotsökonomen als nutzlos abqualifizierten politischen Maßnahmen war der psychologische Umschwung durch Roosevelt, und darin sind sich beide Denkrichtungen auch einig. Von Anfang an verbreitete Roosevelt nicht wie Hoover eine Gürtel-enger-schnallen-Mentalität à la "Es sind harte Zeiten, aber sie gehen irgendwann vorbei", sondern machte gutes Wetter. In seinen berühmten "Kamingesprächen" im Radio, den "Firesite Chats", erklärte er seine Politik verständlich einem größeren Publikum, und seine Reden betonten beständig positive Potentiale und einen Aufwärtstrend. Tatsächlich erholte sich die Wirtschaft ab 1933 in einem sehr bescheidenen Rahmen.

Logo der NRA
Das wichtigste Werkzeug der US-Regierung jener Tage war die NRA, die "National Recovery Association", eine neue und mächtige Überbehörde, die ein strenges Instrumentarium von Regulierungen und Richtlinien herausgab. Jedes Unternehmen konnte freiwillig der NRA beitreten und im Gegenzug ihr Logo verwenden, musste sich diesen Regulierungen im Gegenzug aber unterwerfen. Da Firmen, die sich der NRA nicht anschlossen oftmals boykottiert wurden, entstand darauf ein echter Zwang für die meisten Unternehmen. Konsequenterweise erhoben sie Klage vor dem Obersten Gerichtshof, der die NRA 1935 für verfassungswidrig erklärte, so dass sie aufgelöst werden musste. Roosevelt verkündete daraufhin den "Second New Deal", ein wesentlich ambitionierteres Program, das auch diverse Mechanismen der sozialen Sicherung enthielt - und damit die Anfänge des amerikanischen Wohlfahrtsstaats begründete. Der Supreme Court bekämpfte auch diese Maßnahmen. Er war zu jener Zeit deutlich republikanisch dominiert, und der Kampf der Roosevelt-Administration gegen das Gericht gehört zu den größten und härtesten aller US-Präsidentschaften. Roosevelt selbst ging deutlich an die Grenzen der Verfassungswidrigkeit und überschritt die moralischen Grenzen deutlich, als er versuchte, den Supreme Court durch Drohungen und Erpressungen wie etwa die erklärte Absicht, einfach zusätzliche genehme Richter zu ernennen auf seine Linie zu zwingen. Im Endeffekt kühlte sich der Konflikt Ende der 1930er Jahre langsam ab. Eine wichtige Folge des New Deal auf der politischen Ebene allerdings war eine deutliche Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten. Die Maßnahmen verschoben das Machtgewicht deutlich vom Kongress in Richtung Weißes Haus, obgleich die großen Verschiebungen erst im Zweiten Weltkrieg und später im Kalten Krieg folgen würden (Roosevelt hatte noch einen persönlichen Stab von rund 50 Mitarbeitern; Obama heute hat etwa 1800, frühere Präsidenten kamen mit einer einstelligen Anzahl Mitarbeiter aus).

Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass die Erholung der US-Wirtschaft zu dieser Zeit ein Trend war, kein sofort einsetzendes Ereignis. Sie kann nicht etwa mit den Wachstumsraten des "Wirtschaftswunders" konkurrieren; die Arbeitslosigkeit etwa sank von ihrem Rekordwert von 25% 1933 lediglich auf 15% 1940. Zwischen dem endgültigen Aufschwung ab 1940, der massiv durch die gesteigerten Kriegsanstrengungen gegen Nazi-Deutschland angetrieben wurde, stürzte die US-Wirtschaft 1937 noch einmal in eine tiefe Rezession. Die Ursachen sind, wie bereits im Fall des Beginns der Weltwirtschaftskrise, umstritten. Keynesianer führen sie auf einen vorzeitigen Abbruch des deficit spending zurück, während Konservative auf die massiven Streiks Mitte der 1930er Jahre und deren Unterstützung durch Regierung und Gewerkschaften als Ursache hinweisen. Die Rezession brachte die Arbeitslosenrate von zuvor 14% auf fast 20% zurück und dauerte bis weit ins Jahr 1938. Roosevelt, der tatsächlich zu Beginn des Jahres 1937 versucht hatte, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, warf diesen Plan über Bord und legte ein Konjunkturprogramm in Höhe von 5 Milliarden Dollar auf. Die Rezession von 1937 ist wohl das Musterbeispiel der Problematik des Keynesianismus: es ist praktisch unmöglich festzustellen, wann der Punkt erreicht ist, an dem der Staat vom deficit spending zurück zu einer Art Austeritätspolitik finden soll. Dieses Problem konnte von den Keynesianern nie zufriedenstellend gelöst werden.

Vom Staubsturm verschlucktes Gerät, 1936
Während all dieser eher industriezentrierten Maßnahmen fand gleichzeitig ein für das amerikanische Bewusstsein zutiefst einscheindendes Ereignis statt, das im Gegensatz zur restlichen Erfahrung der Weltwirtschaftskrise ein US-exklusives bleibt: die so genannte "Dust Bowl" im Mittleren Westen. Eine anhaltende Dürre und Überwirtschaftung der Böden führte dazu, dass das für die Landwirtschaft ohnehin nur eingeschränkt geeignete Land der Region praktisch völlig austrocknete und sich in die namensgebende "Staubschüssel" verwandelte. Gigantische Staubstürme zogen über den Mittleren Westen und trugen den erodierten Boden mit sich. Für die tausenden von kleinen Farmer jener Zeit bedeutete dies das Aus. Ihre Lebensgrundlage war vom Staub verschluckt worden, ihre Häuser häufig beschädigt, ihr Besitz vernichtet. Nicht mehr in der Lage, ihren Verpflichtungen gerade den Banken gegenüber nachzukommen, die das Land gegen die Schulden der Farmer pfändeten, befanden sich bald zehntausende Farmer mit ihren Familien auf der Wanderschaft aus dem Mittleren Westen in andere Regionen, etwa Kalifornien, wo sie sich ein besseres Leben erhofften. Diese Menschenwanderung veränderte die Bevölkerungszusammensetzung der USA entscheidend mit.

Für die Betroffenen waren die Staubstürme eine Katastrophe. Im fast bildlichen Sinne entwurzelt, fast ohne irgendwelche Habe, irrten sie durch ein Land, dem es insgesamt ebenfalls nicht gut ging und das keinen Platz für sie hatte. Besonders hart hatte es Oklahoma getroffen; die abwertende Bezeichnung "Okies" für die Flüchtlinge setzte sich als Zuschreibung für die gesamten Staubflüchtlinge durch, die wie Ausländer im eigenen Land behandelt wurden und fühlten. Die US-Regierung stoppte die Zuwanderung in die USA praktisch vollständig und repatriierte, meist durch Zwang, rund 400.000 Mexikaner. Dabei wurde reichlich grob gearbeitet; unter den so aus dem Land geworfenen befanden sich auch diverse US-Bürger. In der Situation dieser lebensbedrohenden Krise fragte aber niemand besonders danach. Die Staubstürme, deren zwei schlimmste Wellen 1934 und 1936 über das Land hinwegfegten, trieben die Farmer besonders nach Kalifornien, wo die Zitrusfruchtagrarindustrie traditionell Wanderarbeiter beschäftigte. Die Neulinge machten den Alteingesessenenen Konkurrenz, drückten die Preise und bauten ihre Elendsquartiere. Dies sorgte für viel böses Blut, tödliche Feindschaften und scharfe Ausgrenzung, die noch jahrelang anhalten sollte.

Flüchtlingsmutter in Kalifornien, 1936
Als 1939 der Krieg in Europa ausbrach und die Regierung Roosevelt begann, Großbritannien durch großzgügige Kredite und Lieferungen zu unterstützen, begann die Wirtschaft sich spürbarer zu erholen. Spätestens der Kriegseintritt der USA 1941 beendete die Wirtschaftskrise endgültig. 1943 lag die Arbeitslosenrate bei 2%, obwohl 10 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte (vor allem Frauen) in die Wirtschaft geschwemmt waren. Der resultierende Wirtschaftsboom sollte die USA bis weit in die 1960er Jahre hinein tragen und begründete, auf dem Fundament von Roosevelts New Deal, die Schaffung der amerikanischen Mittelschicht. Die Great Depression aber ist den Amerikanern bis heute im Gedächtnis geblieben. Nie wieder soll sich so etwas wiederholen. Als im Zuge der Finanzkrise seit 2007 die "foreclosures", also die Pfändungen von privatem Immobilienbesitz, epedemieartige Ausmaße annahmen, fanden sich allenthalben Analogien zu dem Gebahren der Banken in den 1930er Jahren. Die Great Depression zerstörte nachhaltig viele gewachsene Strukturen in der amerikanischen Gesellschaft. Mit ihr endete etwa das Zeitalter der unabhängigen, kleinen Farmen in weiten Teilen des Landes und machten den Großbetrieben Platz. Politisch hatte das Land durch das voter realignment ein Erdbeben erlebt, dem in den 1950er Jahren die Eroberung des Südens durch die Republikaner und deren Hinwendung zur evangelikalen Rechten als neuer Basis folgte, während die Demokraten sich in den 1960er Jahren mit der Bürgerrechtsbewegung verbündeten - eine komplette Umkehrung der Frontstellung, in der beide Parteien 100 Jahre zuvor in den Bürgerkrieg gezogen waren.

Es abschließend auch lohnenswert darauf hinzuweisen, dass die USA im Gegensatz zu Deutschland nicht in die Gefahr gerieten, einem populistischen Extremisten auf den Leim zu gehen. Trotz des Versagens des Kapitalismus und des anfangs sehr indifferenten Verhaltens der Regierung gewannen die Marxisten und Sozialisten kaum an Zulauf. Es war stattdessen Roosevelts Vision eines gezähmten Kapitalismus, dem sie sich andienten, und einer neuen Art, demokratische Politik zu betreiben. Einen Führer, der sie Kraft seiner Autorität aus der Misere ziehen sollte, suchten die Amerikaner nie, auch wenn Roosevelt in einigen selbstherrlichen Anfällen davon überzeugt zu sein schien. Der Kampf während des New Deal, der besonders im Supreme Court ausgetragen wurde, spricht Bände darüber. Den Amerikanern fehlt auch das Drama der Weimarer Republik zuvor und eine ähnliche Wirtschaftskatastrophe wie die Hyperinflation von 1923. Für sie kam die Great Depression wie ein Blitz aus heiterem Himmel und zerriss ein bis dahin bestehendes Bild. Für Deutschland kam sie von außerhalb, und sie brachte nur die chaotischen, schlimmen Zustände, die man mit dem Beginn der Republik verband. Demokraten beider Länder aber zogen dieselben Schlussfolgerungen: wenn es zu einer solchen Krise kommt, muss der Staat beherzt eingreifen, um die Not der Menschen zu lindern. Diese Lektion der Great Depression ist bis heute unvergessen. 

Bildnachweise: 
Wallstreet Auflauf - SSA (gemeinfrei)
BUS Auflauf - World Telegram staff photographer (gemeinfrei)
Louisville - Margaret Bourke-White (gemeinfrei)
Hoover&Roosevelt - Photograph from Architect of the Capitol, AOC no. 18241 (gemeinfrei)
NRA - US Govt. Agency (gemeinfrei)
Staubsturm - Sloan (gemeinfrei)
Migrant Mother - Dorothea Lange (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/04/die-great-depression-in-den-usa.html

Weiterlesen

Die Great Depression in den USA

Von Stefan Sasse

Auflauf an der Wallstreet 1929
Die Zwanziger Jahre waren in den USA eine Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Börsenkurse kannten nur eine Richtung: nach oben. Die Produktion erlebte nie gekannte Kennziffern. Obwohl der Anstieg der Löhne deutlich hinter dem Wachstum der Wirtschaft zurückblieb, erfasste dieser Aufschwung breitere Bevölkerungsschichten als die vorherigen Boomphasen, besonders in der so genannten "Gilded Age" des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dem großen Zeitalter der "Räuberbarone". Besonders die Angestellten, qualifizierten Facharbeiter und andere traditionell der "Mittelschicht" zugerechnete Bevölkerungsgruppen gewannen einen gewissen Wohlstand und begannen sogar, Aktienanteile zu kaufen (wenngleich das Ausmaß dieses Handels deutlich geringer war, als es in der Rückschau häufig dargestellt wird). Dieser Wohlstandsgewinn fiel mit einigen neuartigen Erfindungen zusammen, die über das Telefon zum Kühlschrank und dem Radio reichten. Die Verfügbarkeit dieser Instrumente für Bezieher mittlerer Einkommen ließ diese Zeit gerade auch den Zeigenossen als eine neuartige erscheinen. Es gab zu dieser Zeit ernsthafte Meinungen von Experten, dass der Aufschwung sich verstetigt habe und dass man endlich die Zeit der Wirtschaftszyklen überwunden habe. Die Rezession schien ein Gespenst der Vergangenheit zu sein. 

Als am 28. Oktober 1929, dem mittlerweile berüchtigten "Schwarzen Montag", die Kurse um rund 13% fielen - der größte Tagesverlust bis dato - brach Panik aus. Am folgenden "Schwarzen Dienstag", dem 29. Oktober 1929, fielen sie um noch einmal 12%. Entgegen populärer Annahmen war dieser Kurseinbruch aber weder der Beginn der Weltwirtschaftskrise, noch führt von hier eine ununterbrochene Linie durch die Dreißiger Jahre hindurch. Stattdessen schienen sich Vorhersagen wie etwa die des damals schon 93jährigen David D. Rockefeller zu bewahrheiten, dass es sich nur um einen vorübergehenden, wenngleich heftigen Einbruch handle - eine normale Rezession eben, wie man sie kannte. Die Kursentwicklungen schienen ihm Recht zu geben, denn in den folgenden Monaten bis zum April 1930 erholte sich der Aktienmarkt langsam wieder. Am 17. April 1930 erreichte er ein Zwischenhoch, von dem aus er dann eine erneute, lange Abwärtsbewegung bis weit ins Jahr 1932 hinein vollzog. Dieses Phänomen einer so genannten "bear market rally" oder auch des "dead cat bounce" ist nicht singulär für die Great Depression; es findet sich auch in den 1960er und 1970er Jahren sowie besonders ausgeprägt in Japan während der "lost decade" in den 1980er und 1990er Jahren. 

Auflauf bei der Nachricht vom Konkurs der Bank of the US, 1931
Die Frage nach den Ursachen der Weltwirtschaftskrise ist dabei eine heiß umkämpfte, weil ideologisch aufgeladene. Jede Denkrichtung der Wirtschaftswissenschaften hat eine eigene Deutung entwickelt.  Für die Keynesianer etwa war es eine normale Rezession, die durch die Untätigkeit des Staates, der stattdessen deficit spending hätte betreiben müssen, erst zur Great Depression wurde. Die Monetaristen betonen die Fehler der Federal Reserve, die wesentlich mehr Geld in den Kreislauf hätte pumpen müssen, um die Deflation zu bekämpfen, während die österreichische Schule die Meinung vertritt, dass der wirtschaftliche Einbruch überhaupt erst durch billige Kredite dank einer zu offensiven Zentralbankpolitik möglich gewesen wäre. Die Marxisten sehen Krisen wie diese als dem Kapitalismus ohnehin inhärent und unvermeidlich an, während Waddil Catchings und William Trufant Foster bereits ausgangs der 1920er Jahre darauf hinwiesen, dass das geringe Lohnwachstum deflationäre Tendenzen befördert habe, da mehr Waren als Massenkaufkraft verfügbar gewesen seien. Es kann nicht die Aufgabe dieses Blogs sein, zu diesen Theorien definitiv Stellung zu beziehen, handelt, denn der Autor ist kein Wirtschaftsexperte. Die verschiedenen Ansätze sollen deswegen hier unkommentiert stehen bleiben.

Die vorherrschende Wirtschaftstheorie zu jener Zeit war der Neoklassizismus. Er ging davon aus, dass die Wirtschaft mit möglichst wenig staatlichen Eingriffen auskommen solle und dadurch wesentlich effizienter sei, als wenn der Staat regulierend eingriff. Auch im Falle einer Krise sollte der Staat sich zurückhaltend verhalten. Als ab 1930 immer mehr Menschen entlassen wurden und die Aktienkurse absackten, griff die Regierung Herbert Hoovers - dessen Name wohl auf immer mit der Krise verbunden sein wird -  nicht ein. Stattdessen reagierte sie auf die wegbrechenden Steuereinnahmen mit der Kürzung staatlicher Ausgaben, was die Krise weiter verschärfte. Tausende von Menschen wurden obdachlos und lebten in Zeltstädten am Stadtrand, den so genannten "Hoover-Villes". Ein weiteres staatlicherseits verursachtes Problem, das beileibe nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt war, war das Festhalten am Goldstandard. Dieser zwang die Federal Reserve dazu, vergleichsweise hohe Zinsen zu erhalten, um ausländische Investoren - die in Gold kauften - im Land zu halten. Eben diese Zinsen aber machten es Unternehmen schwer, Kredite aufzunehmen und zu investieren, was für die Erholung natürlich extrem nachteilig war. 

Louisville-Flut-Opfer in der "Recession of 1937"
Diese Effekte führten dazu, dass die bald 13 Millionen Menschen, die in den USA ihre Arbeit zwischen 1929 und 1932 verloren, furchtbare Bedingungen ertragen mussten. Eine funktionierende Arbeitslosenhilfe existierte effektiv nicht, und die Armenfürsorge reichte nicht aus, um die Menschen zu unterstützen. In jenen Jahren ging die industrielle Produktion um über 40% zurück. Der private Hausbau ging um 80% zurück, das Durchschnittseinkommen einer amerikanischen Familie sank um 40%, die Profite der US-Firmen gingen von 10 auf 1 Milliarde Dollar zurück. Regional erreichte die Arbeitslosenreate 80% (etwa in Toledo, Ohio). Zwischen 1930 und 1932 wurden praktisch keine neuen Münzen geprägt - es gab einfach keinen Bedarf. Dieses letzte Detail zeigt, wie stark die sinkenden Preise das tägliche Leben beeinflussten. Zu Beginn schien es für die Menschen noch positiv zu sein, da die Löhne einige Wochen stagnierten, während die Preise abzusacken begannen. Aber bald sank beides im Gleichschritt. 1933 wurden 60% der Amerikaner von der Regierung offiziell als arm eingestuft. 25% aller Schulkinder galten als unterernährt.

Doch der Niedergang der Realwirtschaft, das heißt Massenentlassungen, Firmenbankrotte und Aktienverluste, war noch lange nicht das Ende. Ab 1931 suchte eine Serie von Banken-Konkursen die USA heim; über 5000 Banken existierten bereits zwei Jahre später nicht mehr. Wie bereits zuvor bei den Verwerfungen in der Realwirtschaft wollte die Regierung Hoover nicht wirklich eingreifen. Bank-Runs, also der massenhafte Versuch, sein Geld in Sicherheit zu bringen, sorgten für eine regelrechte Kettenreaktion beim Zusammenbruch der Geldhäuser. Gleichzeitig trieben die überlebenden Banken erbarmungslos alle Schulden ein. Spätestens jetzt traf die Krise auch mit voller Wucht die Agrarwirtschaft. Tausende von überschuldeten Farmen wurden gepfändet, die Bauern zu Obdachlosen, die als Wanderarbeiter auf der Suche nach der knappen Arbeit, vom Verhungern bedroht das Land durchstreiften.

Roosevelt (r) und Hoover 1932
In diese Zeit fällt das größte voter realignment der amerikanischen Geschichte. Beim voter realignment, einem in Deutschland weitgehend unbekannten Phänomen, ändert sich die Wählerschaft einer Partei rapide. Bisher waren die Demokraten die Partei der Südstaaten gewesen, konservativ und rechtsgerichtet, ein Erbe der Bürgerkriegszeit. Der Kandidat der Demokraten auf das Präsidentenamt 1932, Franklin Delano Roosevelt, änderte das dramatisch. Er proklamierte die Vision eines "New Deal", also eines Neuanfangs für alle. Inzwischen war die Überzeugung, dass die Great Depression keine normale Rezession war, sondern stattdessen eine tiefe Krise und Zäsur für die USA und ihr Selbstverständnis darstellte, allgemeiner Konsens in den USA. Roosevelts Rhetorik fiel also auch fruchtbaren Boden. Er schmiedete eine Allianz der "Big City Machines", der korrupten Wahlkampforganisationen in den großen Städten, mit dem "White South", den Intellektuellen des Landes, den Einwohnern des Mittleren Westens, den Gewerkschaften, den Juden und den Katholiken - vielen traditionell eher diskriminierten Gruppen also. Ab 1936 wurden außerdem die bis dahin den Republikanern zuneigenden Schwarzen integriert, die bis heute ein verlässlicher Wählerblock der Demokraten sind.

Es erscheint überraschend, dass der New Deal erst einmal keine überragenden Veränderungen mit sich brachte. Bereits unter Hoover waren größere Infrastrukturprojekte begonnen worden, recht zaghaft noch, aber bereits mit der Zielsetzung, die Nachfrage wieder in Schwung zu bringen. Unter Roosevelt kamen einige weitere dazu, von denen das berühmteste die Tennessee Valley Authority war, die das strukturschwache Tennessee-Tal ausbaute. Vermutlich weit wichtiger als die von keynesianischen Wissenschaftlern als völlig unzureichend und von Angebotsökonomen als nutzlos abqualifizierten politischen Maßnahmen war der psychologische Umschwung durch Roosevelt, und darin sind sich beide Denkrichtungen auch einig. Von Anfang an verbreitete Roosevelt nicht wie Hoover eine Gürtel-enger-schnallen-Mentalität à la "Es sind harte Zeiten, aber sie gehen irgendwann vorbei", sondern machte gutes Wetter. In seinen berühmten "Kamingesprächen" im Radio, den "Firesite Chats", erklärte er seine Politik verständlich einem größeren Publikum, und seine Reden betonten beständig positive Potentiale und einen Aufwärtstrend. Tatsächlich erholte sich die Wirtschaft ab 1933 in einem sehr bescheidenen Rahmen.

Logo der NRA
Das wichtigste Werkzeug der US-Regierung jener Tage war die NRA, die "National Recovery Association", eine neue und mächtige Überbehörde, die ein strenges Instrumentarium von Regulierungen und Richtlinien herausgab. Jedes Unternehmen konnte freiwillig der NRA beitreten und im Gegenzug ihr Logo verwenden, musste sich diesen Regulierungen im Gegenzug aber unterwerfen. Da Firmen, die sich der NRA nicht anschlossen oftmals boykottiert wurden, entstand darauf ein echter Zwang für die meisten Unternehmen. Konsequenterweise erhoben sie Klage vor dem Obersten Gerichtshof, der die NRA 1935 für verfassungswidrig erklärte, so dass sie aufgelöst werden musste. Roosevelt verkündete daraufhin den "Second New Deal", ein wesentlich ambitionierteres Program, das auch diverse Mechanismen der sozialen Sicherung enthielt - und damit die Anfänge des amerikanischen Wohlfahrtsstaats begründete. Der Supreme Court bekämpfte auch diese Maßnahmen. Er war zu jener Zeit deutlich republikanisch dominiert, und der Kampf der Roosevelt-Administration gegen das Gericht gehört zu den größten und härtesten aller US-Präsidentschaften. Roosevelt selbst ging deutlich an die Grenzen der Verfassungswidrigkeit und überschritt die moralischen Grenzen deutlich, als er versuchte, den Supreme Court durch Drohungen und Erpressungen wie etwa die erklärte Absicht, einfach zusätzliche genehme Richter zu ernennen auf seine Linie zu zwingen. Im Endeffekt kühlte sich der Konflikt Ende der 1930er Jahre langsam ab. Eine wichtige Folge des New Deal auf der politischen Ebene allerdings war eine deutliche Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten. Die Maßnahmen verschoben das Machtgewicht deutlich vom Kongress in Richtung Weißes Haus, obgleich die großen Verschiebungen erst im Zweiten Weltkrieg und später im Kalten Krieg folgen würden (Roosevelt hatte noch einen persönlichen Stab von rund 50 Mitarbeitern; Obama heute hat etwa 1800, frühere Präsidenten kamen mit einer einstelligen Anzahl Mitarbeiter aus).

Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass die Erholung der US-Wirtschaft zu dieser Zeit ein Trend war, kein sofort einsetzendes Ereignis. Sie kann nicht etwa mit den Wachstumsraten des "Wirtschaftswunders" konkurrieren; die Arbeitslosigkeit etwa sank von ihrem Rekordwert von 25% 1933 lediglich auf 15% 1940. Zwischen dem endgültigen Aufschwung ab 1940, der massiv durch die gesteigerten Kriegsanstrengungen gegen Nazi-Deutschland angetrieben wurde, stürzte die US-Wirtschaft 1937 noch einmal in eine tiefe Rezession. Die Ursachen sind, wie bereits im Fall des Beginns der Weltwirtschaftskrise, umstritten. Keynesianer führen sie auf einen vorzeitigen Abbruch des deficit spending zurück, während Konservative auf die massiven Streiks Mitte der 1930er Jahre und deren Unterstützung durch Regierung und Gewerkschaften als Ursache hinweisen. Die Rezession brachte die Arbeitslosenrate von zuvor 14% auf fast 20% zurück und dauerte bis weit ins Jahr 1938. Roosevelt, der tatsächlich zu Beginn des Jahres 1937 versucht hatte, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, warf diesen Plan über Bord und legte ein Konjunkturprogramm in Höhe von 5 Milliarden Dollar auf. Die Rezession von 1937 ist wohl das Musterbeispiel der Problematik des Keynesianismus: es ist praktisch unmöglich festzustellen, wann der Punkt erreicht ist, an dem der Staat vom deficit spending zurück zu einer Art Austeritätspolitik finden soll. Dieses Problem konnte von den Keynesianern nie zufriedenstellend gelöst werden.

Vom Staubsturm verschlucktes Gerät, 1936
Während all dieser eher industriezentrierten Maßnahmen fand gleichzeitig ein für das amerikanische Bewusstsein zutiefst einscheindendes Ereignis statt, das im Gegensatz zur restlichen Erfahrung der Weltwirtschaftskrise ein US-exklusives bleibt: die so genannte "Dust Bowl" im Mittleren Westen. Eine anhaltende Dürre und Überwirtschaftung der Böden führte dazu, dass das für die Landwirtschaft ohnehin nur eingeschränkt geeignete Land der Region praktisch völlig austrocknete und sich in die namensgebende "Staubschüssel" verwandelte. Gigantische Staubstürme zogen über den Mittleren Westen und trugen den erodierten Boden mit sich. Für die tausenden von kleinen Farmer jener Zeit bedeutete dies das Aus. Ihre Lebensgrundlage war vom Staub verschluckt worden, ihre Häuser häufig beschädigt, ihr Besitz vernichtet. Nicht mehr in der Lage, ihren Verpflichtungen gerade den Banken gegenüber nachzukommen, die das Land gegen die Schulden der Farmer pfändeten, befanden sich bald zehntausende Farmer mit ihren Familien auf der Wanderschaft aus dem Mittleren Westen in andere Regionen, etwa Kalifornien, wo sie sich ein besseres Leben erhofften. Diese Menschenwanderung veränderte die Bevölkerungszusammensetzung der USA entscheidend mit.

Für die Betroffenen waren die Staubstürme eine Katastrophe. Im fast bildlichen Sinne entwurzelt, fast ohne irgendwelche Habe, irrten sie durch ein Land, dem es insgesamt ebenfalls nicht gut ging und das keinen Platz für sie hatte. Besonders hart hatte es Oklahoma getroffen; die abwertende Bezeichnung "Okies" für die Flüchtlinge setzte sich als Zuschreibung für die gesamten Staubflüchtlinge durch, die wie Ausländer im eigenen Land behandelt wurden und fühlten. Die US-Regierung stoppte die Zuwanderung in die USA praktisch vollständig und repatriierte, meist durch Zwang, rund 400.000 Mexikaner. Dabei wurde reichlich grob gearbeitet; unter den so aus dem Land geworfenen befanden sich auch diverse US-Bürger. In der Situation dieser lebensbedrohenden Krise fragte aber niemand besonders danach. Die Staubstürme, deren zwei schlimmste Wellen 1934 und 1936 über das Land hinwegfegten, trieben die Farmer besonders nach Kalifornien, wo die Zitrusfruchtagrarindustrie traditionell Wanderarbeiter beschäftigte. Die Neulinge machten den Alteingesessenenen Konkurrenz, drückten die Preise und bauten ihre Elendsquartiere. Dies sorgte für viel böses Blut, tödliche Feindschaften und scharfe Ausgrenzung, die noch jahrelang anhalten sollte.

Flüchtlingsmutter in Kalifornien, 1936
Als 1939 der Krieg in Europa ausbrach und die Regierung Roosevelt begann, Großbritannien durch großzgügige Kredite und Lieferungen zu unterstützen, begann die Wirtschaft sich spürbarer zu erholen. Spätestens der Kriegseintritt der USA 1941 beendete die Wirtschaftskrise endgültig. 1943 lag die Arbeitslosenrate bei 2%, obwohl 10 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte (vor allem Frauen) in die Wirtschaft geschwemmt waren. Der resultierende Wirtschaftsboom sollte die USA bis weit in die 1960er Jahre hinein tragen und begründete, auf dem Fundament von Roosevelts New Deal, die Schaffung der amerikanischen Mittelschicht. Die Great Depression aber ist den Amerikanern bis heute im Gedächtnis geblieben. Nie wieder soll sich so etwas wiederholen. Als im Zuge der Finanzkrise seit 2007 die "foreclosures", also die Pfändungen von privatem Immobilienbesitz, epedemieartige Ausmaße annahmen, fanden sich allenthalben Analogien zu dem Gebahren der Banken in den 1930er Jahren. Die Great Depression zerstörte nachhaltig viele gewachsene Strukturen in der amerikanischen Gesellschaft. Mit ihr endete etwa das Zeitalter der unabhängigen, kleinen Farmen in weiten Teilen des Landes und machten den Großbetrieben Platz. Politisch hatte das Land durch das voter realignment ein Erdbeben erlebt, dem in den 1950er Jahren die Eroberung des Südens durch die Republikaner und deren Hinwendung zur evangelikalen Rechten als neuer Basis folgte, während die Demokraten sich in den 1960er Jahren mit der Bürgerrechtsbewegung verbündeten - eine komplette Umkehrung der Frontstellung, in der beide Parteien 100 Jahre zuvor in den Bürgerkrieg gezogen waren.

Es abschließend auch lohnenswert darauf hinzuweisen, dass die USA im Gegensatz zu Deutschland nicht in die Gefahr gerieten, einem populistischen Extremisten auf den Leim zu gehen. Trotz des Versagens des Kapitalismus und des anfangs sehr indifferenten Verhaltens der Regierung gewannen die Marxisten und Sozialisten kaum an Zulauf. Es war stattdessen Roosevelts Vision eines gezähmten Kapitalismus, dem sie sich andienten, und einer neuen Art, demokratische Politik zu betreiben. Einen Führer, der sie Kraft seiner Autorität aus der Misere ziehen sollte, suchten die Amerikaner nie, auch wenn Roosevelt in einigen selbstherrlichen Anfällen davon überzeugt zu sein schien. Der Kampf während des New Deal, der besonders im Supreme Court ausgetragen wurde, spricht Bände darüber. Den Amerikanern fehlt auch das Drama der Weimarer Republik zuvor und eine ähnliche Wirtschaftskatastrophe wie die Hyperinflation von 1923. Für sie kam die Great Depression wie ein Blitz aus heiterem Himmel und zerriss ein bis dahin bestehendes Bild. Für Deutschland kam sie von außerhalb, und sie brachte nur die chaotischen, schlimmen Zustände, die man mit dem Beginn der Republik verband. Demokraten beider Länder aber zogen dieselben Schlussfolgerungen: wenn es zu einer solchen Krise kommt, muss der Staat beherzt eingreifen, um die Not der Menschen zu lindern. Diese Lektion der Great Depression ist bis heute unvergessen. 

Bildnachweise: 
Wallstreet Auflauf - SSA (gemeinfrei)
BUS Auflauf - World Telegram staff photographer (gemeinfrei)
Louisville - Margaret Bourke-White (gemeinfrei)
Hoover&Roosevelt - Photograph from Architect of the Capitol, AOC no. 18241 (gemeinfrei)
NRA - US Govt. Agency (gemeinfrei)
Staubsturm - Sloan (gemeinfrei)
Migrant Mother - Dorothea Lange (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/04/die-great-depression-in-den-usa.html

Weiterlesen

Die Macht der Bilder

Von Stefan Sasse

Kniefall Willy Brandts
Bilder besitzen eine unglaubliche Wirkmächtigkeit. Oftmals definieren sie historische Verläufe und brennen sich in das öffentliche Gedächtnis ein. Es sind diese Bilder, an die man sofort denkt, wenn man ein bestimmtes Ereignis hört. Willy Brandts Ostpolitik ist so ein Beispiel. Wer kennt nicht das Bild von Brandts Kniefall am Denkmal für die Opfer des Aufstands im Warschauer Ghetto? Die Frage, die seinerzeit die Republik spaltete - "Durfte Brandt knien?" wollte etwa der Spiegel in einer Leserumfrage wissen - ist längst beantwortet. Die Ikonographie dieses Bildes hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Es gibt viele solcher Bilder. Der Lagereingang von Auschwitz etwa wirft jeden sofort in die Holocaust Thematik, man kann sich der Sogwirkung kaum entziehen. Die beschriebenen Eisenbahnwaggons der an die Front fahrenden Truppenzüge 1914 gehören zur kollektiven Erinnerung an das "Augusterlebnis", und ob es so je stattgefunden hat - was Historiker mehr und mehr bezweifeln - spielt angesichts der Symbolkraft des Bildes kaum eine Rolle mehr. Fotographen nutzen diese Effekte bewusst, und die Protokollbeamten sorgen bei offiziellen Anlässen dafür, dass es entsprechende Bilder gibt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Konferenz von Jalta, wo Churchill, Stalin und Roosevelt in den Stühlen nebeneinander sitzen. Nicht, dass man in so einer Pose ernsthaft verhandeln könnte, aber das Bild zeigt uns sofort, um was geht: drei Staatsmänner verhandeln hier offensichtlich gewichtige Dinge. 

Oftmals ersetzt die Ikonographie solcher Bilder die historische Realität und die Beschäftigung mit dem eigentlichen Gegenstand. Manche Bilder - das erwähnte Lagertor etwa - dienen lediglich als kraftvolle Verstärkung eines Themas. Andere dagegen ersetzen den historischen Kontext praktisch völlig. Wer weiß denn heute noch, weswegen Willy Brandt wirklich in Warschau war? Der Kniefall und seine Bildsprache hat das historische Ereignis längst verdrängt und ist zu einem eigenen historischen Ereignis geworden. Dabei ist das heutzutage, wo die Informationen vergleichsweise leicht zu erlangen sind und Fotos auch aus anderen Perspektiven und Zeitpunkten zugänglich sind noch ein relativ harmloser Effekt. Zu einer Zeit, als die Gemäldemalerie die historische Perzeption bestimmte, musste ein Staatsmann eine Inszenierung noch nicht tatsächlich durchführen, ja, nicht einmal an Ort und Stelle sein. Im hochkonstruierten Gemälde wurde mit mächtiger Bildsprache der gewünschte Effekt erzielt, ein Effekt, dem wir uns selbst heute nur schwer entziehen können. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Gemälde "Washington Crossing the Deleware" von Emanuel Leutze, das 1851 entstand. 


Über 70 Jahre nach der eigentlichen Revolution als Auftragsarbeit in Deutschland entstanden, kann es kaum als authentisch angesehen werden. Trotzdem - oder gerade deswegen - ist es ein Musterbeispiel. Es ist vermutlich das berühmteste "Zeugnis" der amerikanischen Revolution. Sein eigentlicher Gegenstand, die sich anschließende Schlacht bei Trenton, ist kaum jemandem bekannt. Die Überquerung des Deleware selbst steht heute noch im Zentrum der Erinnerung, so sehr, dass niemand etwas dabei fand, eine Folge der Muppet-Serie "The American Revolution" über das Bild zu machen anstatt über das Ereignis der Schlacht von Trenton selbst. Wir wollen im Folgenden exemplarisch anhand des Bildes durcharbeiten, wie diese Historiengemälde arbeiten - denn sie alle haben den Zweck, die Intention, eine bestimmte Botschaft zu vermitteln. Das gilt für Washingtons Deleware-Überquerung ebenso wie für die Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles oder Napoleons Kaiserkrönung, die beide in ebenso monumentalen wie historisch falschen Gemälden verewigt wurden. Um Missverständnisse zu vermeiden: die Fehler hier sind keine Dinge, die der Maler übersehen hat. Sie sind Dinge, die der Wirkung im Weg standen oder die schlicht nicht wichtig waren. 

Das beginnt beim vorliegenden Gemälde schon bei dem Eis, das den Fluss hinuntertreibt. Der Deleware führt kein solches Eis; was dem Maler vor Augen stand war der heimatliche Rhein, der solches Eis dagegen sehr wohl führt. Das nächste ist die Lichtquelle. Sie befindet sich genau hinter Washington und gibt ihm die hervorgehobene Stellung, illuminiert ihn als Heilsgestalt. Vom Standpunkt des Beobachters aus müsste das natürlich dazu führen, dass die Bootsbesatzung nur als Silhouetten wahrnehmbar ist. Die Flagge, die der Mann hinter Washington hält ist eine Betsy-Ross-Flag, also die dreizehn Sterne mit den dreizehn Balken. Zum Zeitpunkt der Schlacht von Trenton hab es diese Flagge noch überhaupt nicht, stattdessen führte man noch die "Continental Colors". Auch die Bootsbesatzung ergibt überhaupt keinen Sinn; sie ist bunt zusammengewürfelt, und außer Washington und dem Flaggenträger gibt es niemanden in Uniform. Die Boote sind außerdem viel zu klein, um die Armee, geschweige denn die Pferde, über den Fluss zu transportieren. Bedenkt man zudem, dass es um eine heimliche Übersetzung ging, bei der jederzeit mit Beschuss zu rechnen war, so macht die aufrechte Haltung Washingtons und seine Positionierung im ersten Boot keinerlei Sinn, und der strenge Winter lässt seine Kleidung wie die seiner Mitfahrer als reichlich unangebracht erscheinen.

Reichsgründung 1871 im Spiegelsaal von Versailles
Das alles ist natürlich irrelevant. Weder Leutze noch den Auftraggebern in den USA ging es um eine akkurate Darstellung. Stattdessen sollte hier ein Gründungsmythos besiegelt werden. Die Bildsprache selbst ist eindeutig. Washington, der Heros der jungen Nation, wird von der (fast göttlichen) Sonne in der Bildmitte illuminiert. Direkt hinter ihm ist die Flagge der Nation, ebenfalls noch im vollen Licht. Seine Haltung ist heroisch, aufrecht, dem Schicksal und der britischen Übermacht entgegengereckt. Interessanter jedoch als diese jedem Betrachter offensichtlichen Sachverhalte sind die Mitfahrer Washingtons im Boot. Ihre heterogene Erscheinung hat gute Gründe, denn sie repräsentieren die vielen unterschiedlichen Gruppierungen der Kolonien. Die USA sind zu dieser Zeit eine junge Nation, hinter der man noch sehr schwankend steht, und so manche Kolonie ist wesentlich engagierter als andere. In diesem Bild ist davon nichts mehr zu sehen. Alle Bevölkerungsgruppen der USA leisten hier ihren Anteil, ob sie nun Kaufleute, Trapper oder Farmer sind. Auch ihre Nationalitäten lassen sich teilweise auseinanderhalten, zumindest ist erkennbar, dass es Angehörige verschiedener Nationen und nicht nur rebellische Briten sind, die sich hier unter dem Star-Spangled-Banner versammelt haben. 

Das wahre historische Ereignis tritt demgegenüber in den Hintergrund. Trenton war der erste Sieg der Amerikaner, gewiss, aber die verlorene Schlacht von Bunker Hill ein halbes Jahr zuvor spielt im öffentlichen Bewusstsein eine weit größere Rolle, und der Krieg würde sich noch jahrelang hinziehen. Welche Bedeutung die tatsächliche Überquerung des Deleware nun hatte ist irrelevant. Relevant ist einzig die Erinnerung daran als eine patriotische Heldentat. Dieser Effekt mag bei Historiengemälden stärker sein, weil sie unsere einzigen Bildquellen sind und wir kaum andere Möglichkeiten haben, uns die vergangenen Zeiten besser vorzustellen als so. Aber auch in unserer heutigen Zeit sind wir vor diesen Effekten nicht gefeit. Selbst Videoaufnahmen können diesen Effekt erzeugen - man denke nur an die immergleiche Aufnahme im grünlichen Filter eines Nachtsichtgeräts, in der eine Bombe präzise ins Ziel fiel und die den Golfkrieg 1991 als sauberen Krieg, der zivile Verluste vermied, darstellte. Wir müssen uns im Umgang mit Bildern stets ein gesundes Misstrauen bewahren. Fast immer soll irgendetwas mit ihnen ausgesagt werden, oder sie werden nachträglich mit einer Bedeutung aufgeladen, die sie vielleicht ursprünglich gar nicht hatten.

Bildquellen: 
Brandt - Bildarchiv des deutschen Bundestags (Bild: Sven Simon)
Washington - Emanuel Leutze (gemeinfrei)
Spiegelsaal - Anton von Werner (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/04/die-macht-der-bilder.html

Weiterlesen

Die Macht der Bilder

Von Stefan Sasse

Kniefall Willy Brandts
Bilder besitzen eine unglaubliche Wirkmächtigkeit. Oftmals definieren sie historische Verläufe und brennen sich in das öffentliche Gedächtnis ein. Es sind diese Bilder, an die man sofort denkt, wenn man ein bestimmtes Ereignis hört. Willy Brandts Ostpolitik ist so ein Beispiel. Wer kennt nicht das Bild von Brandts Kniefall am Denkmal für die Opfer des Aufstands im Warschauer Ghetto? Die Frage, die seinerzeit die Republik spaltete - "Durfte Brandt knien?" wollte etwa der Spiegel in einer Leserumfrage wissen - ist längst beantwortet. Die Ikonographie dieses Bildes hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Es gibt viele solcher Bilder. Der Lagereingang von Auschwitz etwa wirft jeden sofort in die Holocaust Thematik, man kann sich der Sogwirkung kaum entziehen. Die beschriebenen Eisenbahnwaggons der an die Front fahrenden Truppenzüge 1914 gehören zur kollektiven Erinnerung an das "Augusterlebnis", und ob es so je stattgefunden hat - was Historiker mehr und mehr bezweifeln - spielt angesichts der Symbolkraft des Bildes kaum eine Rolle mehr. Fotographen nutzen diese Effekte bewusst, und die Protokollbeamten sorgen bei offiziellen Anlässen dafür, dass es entsprechende Bilder gibt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Konferenz von Jalta, wo Churchill, Stalin und Roosevelt in den Stühlen nebeneinander sitzen. Nicht, dass man in so einer Pose ernsthaft verhandeln könnte, aber das Bild zeigt uns sofort, um was geht: drei Staatsmänner verhandeln hier offensichtlich gewichtige Dinge. 

Oftmals ersetzt die Ikonographie solcher Bilder die historische Realität und die Beschäftigung mit dem eigentlichen Gegenstand. Manche Bilder - das erwähnte Lagertor etwa - dienen lediglich als kraftvolle Verstärkung eines Themas. Andere dagegen ersetzen den historischen Kontext praktisch völlig. Wer weiß denn heute noch, weswegen Willy Brandt wirklich in Warschau war? Der Kniefall und seine Bildsprache hat das historische Ereignis längst verdrängt und ist zu einem eigenen historischen Ereignis geworden. Dabei ist das heutzutage, wo die Informationen vergleichsweise leicht zu erlangen sind und Fotos auch aus anderen Perspektiven und Zeitpunkten zugänglich sind noch ein relativ harmloser Effekt. Zu einer Zeit, als die Gemäldemalerie die historische Perzeption bestimmte, musste ein Staatsmann eine Inszenierung noch nicht tatsächlich durchführen, ja, nicht einmal an Ort und Stelle sein. Im hochkonstruierten Gemälde wurde mit mächtiger Bildsprache der gewünschte Effekt erzielt, ein Effekt, dem wir uns selbst heute nur schwer entziehen können. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Gemälde "Washington Crossing the Deleware" von Emanuel Leutze, das 1851 entstand. 


Über 70 Jahre nach der eigentlichen Revolution als Auftragsarbeit in Deutschland entstanden, kann es kaum als authentisch angesehen werden. Trotzdem - oder gerade deswegen - ist es ein Musterbeispiel. Es ist vermutlich das berühmteste "Zeugnis" der amerikanischen Revolution. Sein eigentlicher Gegenstand, die sich anschließende Schlacht bei Trenton, ist kaum jemandem bekannt. Die Überquerung des Deleware selbst steht heute noch im Zentrum der Erinnerung, so sehr, dass niemand etwas dabei fand, eine Folge der Muppet-Serie "The American Revolution" über das Bild zu machen anstatt über das Ereignis der Schlacht von Trenton selbst. Wir wollen im Folgenden exemplarisch anhand des Bildes durcharbeiten, wie diese Historiengemälde arbeiten - denn sie alle haben den Zweck, die Intention, eine bestimmte Botschaft zu vermitteln. Das gilt für Washingtons Deleware-Überquerung ebenso wie für die Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles oder Napoleons Kaiserkrönung, die beide in ebenso monumentalen wie historisch falschen Gemälden verewigt wurden. Um Missverständnisse zu vermeiden: die Fehler hier sind keine Dinge, die der Maler übersehen hat. Sie sind Dinge, die der Wirkung im Weg standen oder die schlicht nicht wichtig waren. 

Das beginnt beim vorliegenden Gemälde schon bei dem Eis, das den Fluss hinuntertreibt. Der Deleware führt kein solches Eis; was dem Maler vor Augen stand war der heimatliche Rhein, der solches Eis dagegen sehr wohl führt. Das nächste ist die Lichtquelle. Sie befindet sich genau hinter Washington und gibt ihm die hervorgehobene Stellung, illuminiert ihn als Heilsgestalt. Vom Standpunkt des Beobachters aus müsste das natürlich dazu führen, dass die Bootsbesatzung nur als Silhouetten wahrnehmbar ist. Die Flagge, die der Mann hinter Washington hält ist eine Betsy-Ross-Flag, also die dreizehn Sterne mit den dreizehn Balken. Zum Zeitpunkt der Schlacht von Trenton hab es diese Flagge noch überhaupt nicht, stattdessen führte man noch die "Continental Colors". Auch die Bootsbesatzung ergibt überhaupt keinen Sinn; sie ist bunt zusammengewürfelt, und außer Washington und dem Flaggenträger gibt es niemanden in Uniform. Die Boote sind außerdem viel zu klein, um die Armee, geschweige denn die Pferde, über den Fluss zu transportieren. Bedenkt man zudem, dass es um eine heimliche Übersetzung ging, bei der jederzeit mit Beschuss zu rechnen war, so macht die aufrechte Haltung Washingtons und seine Positionierung im ersten Boot keinerlei Sinn, und der strenge Winter lässt seine Kleidung wie die seiner Mitfahrer als reichlich unangebracht erscheinen.

Reichsgründung 1871 im Spiegelsaal von Versailles
Das alles ist natürlich irrelevant. Weder Leutze noch den Auftraggebern in den USA ging es um eine akkurate Darstellung. Stattdessen sollte hier ein Gründungsmythos besiegelt werden. Die Bildsprache selbst ist eindeutig. Washington, der Heros der jungen Nation, wird von der (fast göttlichen) Sonne in der Bildmitte illuminiert. Direkt hinter ihm ist die Flagge der Nation, ebenfalls noch im vollen Licht. Seine Haltung ist heroisch, aufrecht, dem Schicksal und der britischen Übermacht entgegengereckt. Interessanter jedoch als diese jedem Betrachter offensichtlichen Sachverhalte sind die Mitfahrer Washingtons im Boot. Ihre heterogene Erscheinung hat gute Gründe, denn sie repräsentieren die vielen unterschiedlichen Gruppierungen der Kolonien. Die USA sind zu dieser Zeit eine junge Nation, hinter der man noch sehr schwankend steht, und so manche Kolonie ist wesentlich engagierter als andere. In diesem Bild ist davon nichts mehr zu sehen. Alle Bevölkerungsgruppen der USA leisten hier ihren Anteil, ob sie nun Kaufleute, Trapper oder Farmer sind. Auch ihre Nationalitäten lassen sich teilweise auseinanderhalten, zumindest ist erkennbar, dass es Angehörige verschiedener Nationen und nicht nur rebellische Briten sind, die sich hier unter dem Star-Spangled-Banner versammelt haben. 

Das wahre historische Ereignis tritt demgegenüber in den Hintergrund. Trenton war der erste Sieg der Amerikaner, gewiss, aber die verlorene Schlacht von Bunker Hill ein halbes Jahr zuvor spielt im öffentlichen Bewusstsein eine weit größere Rolle, und der Krieg würde sich noch jahrelang hinziehen. Welche Bedeutung die tatsächliche Überquerung des Deleware nun hatte ist irrelevant. Relevant ist einzig die Erinnerung daran als eine patriotische Heldentat. Dieser Effekt mag bei Historiengemälden stärker sein, weil sie unsere einzigen Bildquellen sind und wir kaum andere Möglichkeiten haben, uns die vergangenen Zeiten besser vorzustellen als so. Aber auch in unserer heutigen Zeit sind wir vor diesen Effekten nicht gefeit. Selbst Videoaufnahmen können diesen Effekt erzeugen - man denke nur an die immergleiche Aufnahme im grünlichen Filter eines Nachtsichtgeräts, in der eine Bombe präzise ins Ziel fiel und die den Golfkrieg 1991 als sauberen Krieg, der zivile Verluste vermied, darstellte. Wir müssen uns im Umgang mit Bildern stets ein gesundes Misstrauen bewahren. Fast immer soll irgendetwas mit ihnen ausgesagt werden, oder sie werden nachträglich mit einer Bedeutung aufgeladen, die sie vielleicht ursprünglich gar nicht hatten.

Bildquellen: 
Brandt - Bildarchiv des deutschen Bundestags (Bild: Sven Simon)
Washington - Emanuel Leutze (gemeinfrei)
Spiegelsaal - Anton von Werner (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/04/die-macht-der-bilder.html

Weiterlesen