Von weißen Flecken in der Erinnerungslandschaft und neuen Chancen für die Forschung – GeoBib: Eine annotierte und georeferenzierte Onlinebibliographie der Texte der frühen deutsch- und polnischsprachigen Holocaust- und Lagerliteratur (1933-1949)

In der Zeit zwischen 1933 und 1949 wurde eine große Zahl an Texten von durch die Nationalsozialisten verfolgten Menschen geschrieben und veröffentlicht. Die Berichte, Romane, Gedichte u.a.m. zeugen so unmittelbar von der Verfolgung und Vernichtung der Menschen wie kaum ein späteres Dokument. Diese Texte sind heute nicht mehr im kollektiven Gedächtnis verankert oder gar nicht erst in dieses eingegangen. In einem vom BMBF in der eHumanities-Förderlinie finanzierten interdisziplinären Projekt am „Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung“ (Marburg) gemeinsam mit Partnern an der „Justus-Liebig-Universität“ (Gießen) sollen die deutsch- und polnischsprachigen Texte nun bibliographisch erschlossen werden. Als Endprodukt soll dabei im Juni 2015 eine annotierte und georeferenzierte Onlinebibliographie der frühen Texte vorgelegt werden.

Neben den bibliographischen Daten werden Zusammenfassungen der Texte, Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren sowie Hintergrundinformationen zur Werkgeschichte zu finden sein. Damit werden diese frühen Zeugnisse für die geschichts- und literaturwissenschaftliche Forschung, aber auch für die historische und politische Bildungsarbeit, erschlossen und die Informationen über diese Texte allen Interessierten zugänglich gemacht. Das Projekt bleibt aber nicht bei einer klassischen Onlinebibliographie mit einem textbasierten Suchzugriff stehen. Vielmehr wurden alle in den Texten erwähnten Städte, Orte, Ghettos, Lager usw. gesammelt und ebenso alle bekannten geographischen Angaben zu den Autorinnen und Autoren sowie den Werken – wie Publikations- und Druckorte – erfasst. Damit können über eine geographische Suche Entwicklungen in den Texten der Holocaust- und Lagerliteratur und deren Publikationsumgebungen auf Karten sichtbar gemacht werden. Neben heutigen Karten, müssen bestimmte Entwicklungen auch in den historischen Grenzen von 1900 bis 2000 angezeigt werden können, damit beispielsweise Ghettos oder Lager nicht in den Grenzen des heutigen Polens, sondern in den Grenzen der durch das Deutsche Reiche annektierten und besetzten Gebieten sichtbar gemacht werden, damit gerade beim Einsatz in der Bildungsarbeit kein falsches Bild von den so oft in den Medien genannten „polnischen Lagern“ entsteht.

Die Anzeige- und Suchmodi können von den Nutzerinnen und Nutzern selbst gesteuert werden, sodass man sich ganz gezielt entsprechende Suchanfragen auf der Karte anzeigen lassen kann – etwa: Alle Texte, die von Frauen zwischen 1939 und 1941 veröffentlicht wurden. Hier kann dann gewählt werden, ob die Ergebnisse in den heutigen oder in zeitgenössischen Grenzen gezeigt werden sollen. In dem Beitrag soll das im Projekt untersuchte und in der Online-Bibliographie dargestellte Material kurz dargestellt werden und auf seine Wichtigkeit für die zukünftige Forschung über den Holocaust und die jüdische Geschichte verwiesen werden. Den Schwerpunkt des Beitrages stellt die Darstellung des Online-Portals dar: Nach einer kurzen Einführung zu den technischen Hintergründen, soll der Fokus auf die beiden Hauptsuchfunktionen – die textbasierte und die kartenbasierte – gelegt werden und die sich dadurch ergebenden Chancen für Forschung zur jüdischen Geschichte und zum Holocaust gelegt werden.

Weitere Informationen zu dem Projekt findet man unter: http://www.geobib.info/

 

Zur Person:

Annalena Schmidt studierte u.a. Geschichtswissenschaft an der JLU Gießen. Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am “Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung” in den Projekten GeoBib und DAPRO/Geoimaginaries sowie Doktorandin und Lehrbeauftragte an der JLU Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Holocaust Studies, der digitalen Geschichtswissenschaft und der Hochschulgeschichte.

Quelle: http://dhtg.hypotheses.org/258

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Digital Publizieren: Wie schreibt man im digitalen Zeitalter?

Die Anwendung von verschiedener Software und semantischen Technologien hat sich in den letzten Jahren – hierbei sind sich die meisten Fachexperten einig – etwa in der Linguistik, Kunst-, Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Archäologie, Medienwissenschaft, langsamer und mühsamer jedoch in den Geschichtswissenschaften etabliert. Auch in der fachübergreifenden Debatte über Digitale Humanities wird den Geschichtswissenschaften immer noch eine Rolle des Außenseiters nachgesagt. Dabei ist nicht nur die Nutzung der im Web vorhandenen Informationen für die Geschichtswissenschaften essenziell, auch die Herstellung wissenschaftlicher Inhalte ohne die Nutzung aktueller digitaler Werkzeuge scheint beinahe undenkbar. Das Web fungiert dabei nicht nur als Ort der schnellen Findung und Verbreitung notwendiger Fachinformationen, wobei nach Wörterbüchern, Nachschlagewerken, Enzyklopädien, ja gar Rezensionen heute eher im Internet recherchiert wird. Es stellt auch Werkzeuge zur Erstellung und weltweiten Verbreitung eigener Forschungsergebnisse bzw. -informationen bereit, die durch vereinfachte Nutzung selbst für Laien leicht verständlich und zugänglich sind. Internationalisierung der Forschung und der Lehre, die letztere durch die von den Universitäten angebotenen Online-Kurse, erreicht somit eine nie zuvor vorhandene Dimension.

Die Nutzung des Internets hat also nicht nur ein qualitativ neues Verständnis der wissenschaftlichen Kommunikation geschaffen, die Fachgemeinschaft sieht sich mit neuen Textformaten konfrontiert, bei denen es sich allerdings noch herausstellen wird, inwiefern diese zum wissenschaftlichen Kulturgut gezählt werden können.

Wie verändern sich dabei aber der Schreibprozess und das Format der Texte, die wir verfassen?

Die Praxis zeigt auf der transnationalen Ebene in dieser Hinsicht zahlreiche kulturelle Unterschiede: Die Diskussion prägen beispielsweise Fragen, wie der wissenschaftliche Schreibprozess sich international im Hinblick auf Digital Humanities verändert. In der elektronischen Publikationskultur lässt sich die Diskrepanz sowohl im Vergleich zum osteuropäischen, als auch im englischsprachigen Raum feststellen. Die Praxis beispielsweise, sofort und direkt auf elektronische Publikationen einzugehen, diese zu kommentieren bzw. zu diskutieren, was bei englischsprachigen Veröffentlichungen ausgiebig genutzt wird, ist in Deutschland zumindest in diesem Ausmaß noch nicht zu beobachten. Auch solchen Formaten wie Preprints, die im englischsprachigen Raum große Akzeptanz finden, steht die Fachgemeinschaft in Deutschland mehr als kritisch gegenüber.

Aus dieser Perspektive soll gefragt werden, wie die neuen Technologien für die moderne elektronische Publikationskultur effektiver eingesetzt werden können? Was würde es für die gegenwärtige Publikationskultur bedeuten, wenn wir uns beim Schreibprozess nicht mehr für bestimmte Datentypen und Formate entscheiden bzw. uns von wertvollem Material trennen müssten, weil diese auf dem „traditionellen“ Wege nicht publiziert werden können? Wie sollen die elektronischen Veröffentlichungen technisch ausgestattet werden, damit eine internationale Kommunikation mit der betroffenen Fachgemeinschaft möglich ist? Welche Werkzeuge wären für eine international ausgerichtete kollaborative Arbeitsweise erforderlich? Wie sollten sich die Historiker auf diese Arbeitsweise vorbereiten? Welche technischen Kenntnisse sollten vorausgestellt werden? Wie wird schließlich so eine Praxis unsere gegenwärtige Publikationswelt verändern?

Die formulierten Fragen werden am Beispiel eines webbasierten digitalen Redaktionssystems, das gerade im Rahmen des Projekts OstDok erprobt wird, kritisch hinterfragt sowie die technischen Möglichkeiten im Hinblick auf die landesweite bzw. internationale digitale Zusammenarbeit geprüft. Das Feld osteuropäische Geschichte eignet sich für dieses Beispiel besonders gut, denn sowohl die rechtlichen, als auch die kulturellen Unterschiede sowie das abweichende Verständnis der Digital Humanities insgesamt eine vielseitige Betrachtung des Themas ermöglichen.

Zur Person:

Arpine Maniero, Studium der Geschichte und Pädagogik an der Staatlichen Pädagogischen Universität in Yerewan, Armenien. Seit September 2001 war sie im Rahmen eines DAAD-Stipendiums an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie anschließend von 2002 bis 2006 als Promotionsstudentin im Fach Geschichte Ost- und Südosteuropas eingeschrieben war. In diesem Zeitraum war sie Mitarbeiterin des Osteuropa-Instituts München im Rahmen des Projekts Virtuelle Fachbibliothek Osteuropa (ViFaOst). Seit 2009 ist sie stellvertretende Bibliotheksreferentin und Koordinatorin des Projekts Osteuropa-Dokumente online (OstDok) im Collegium Carolinum München.

Quelle: http://dhtg.hypotheses.org/238

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