Sofortmaßnahmen – „Erste Hilfe“ nach Bombenschäden

Die Maßnahmen, die man im Sommer 1943 unmittelbar nach dem verheerenden Feuersturm ergriff, dienten dazu, so viele Menschen wie irgend möglich zu retten und den ersten Schritt zur Wiederherstellung der Ordnung zu unternehmen. Doch erreichten die Flächenbrände in Hamburg Dimensionen, angesichts derer die in der Vorkriegszeit für den Luftschutz ausgearbeiteten Systeme an ihre Grenzen stießen. Auch wenn das Inferno für viele Zeitgenossen einem Weltuntergang gleichkam, konnte man zumindest das Ausmaß sowie einige der Langzeitfolgen dieser Katastrophe etwas begrenzen. Welche Handlungsspielräume gab es und was wurde durch deren Ausschöpfung erreicht?

Luftschutz

Schon vor Beginn des II. Weltkrieges hatten die Verantwortlichen geahnt, dass die technischen Innovationen in der Luftfahrt das Risiko von Bombenangriffen gegen die Städte erhöhten. Dementsprechend hatte man im Rahmen des Luftschutzes Vorkehrungen getroffen, mit denen man die Auswirkungen begrenzen wollte. Dies betraf sowohl die Prävention als auch Planungen für die Durchführung von Sofortmaßnahmen im Ernstfall. Da der Luftkrieg ein vollkommen neues Mittel der Kriegsführung war, konnte jedoch kaum jemand im Voraus ahnen, welche Szenarien genau man zu erwarten hatte. Daher kamen die Verantwortlichen im Verlauf des II. Weltkrieges nicht umhin, ihren Luftschutz an die tatsächlich eintretenden Gegebenheiten anzupassen. In Deutschland geschah dies auch und gerade unter dem Eindruck des Schocks infolge der so genannten „Operation Gomorrha“ in Hamburg.

Schutzräume

Bereits bei Kriegsbeginn hatte man Luftschutzräume eingerichtet, in denen die Menschen sich im Falle eines Angriffs sicher fühlen sollten. Es gelang in Hamburg ebenso wie in vielen anderen deutschen Großstädten nicht, für die ganze Bevölkerung Plätze in den besonders gut ausgestatteten öffentlichen Schutzräumen zu schaffen. Daher mussten viele Menschen bei Bombenangriffen auf ihre behelfsmäßig ausgebauten Hauskeller ausweichen, die nur einen sehr unzureichenden Schutz boten. Bei Flächenbränden konnten sich in diesen Räumen giftige Gase entwickeln, an denen die Insassen erstickten, sofern sie diese Keller nicht umgehend verließen. Die fatalen Folgen dieser Mängel sollten die Bewohner Hamburgs im Sommer 1943 auf grausame Weise zu spüren bekommen. Ausgerechnet die Kellerräume, die sie zu ihrem eigenen Schutz aufgesucht hatten, wurden für Tausende zur tödlichen Falle.

Organisationsstrukturen im Luftschutz

Ebenfalls vor Kriegsbeginn hatte man die Organisation der Sofortmaßnahmen für den Fall von Bombenangriffen genau geregelt. Hierbei war es zum Einen wichtig, die vorgesehenen Abläufe genau einzustudieren und damit das angemessene Verhalten im Ernstfall zur Routine werden zu lassen. Zum Anderen war man jedoch auf Spielräume angewiesen, um sich an unvorhersehbare Gegebenheiten anpassen zu können. Daher waren einerseits kommunale und staatliche Institutionen erforderlich, die Personal und Logistik bereitstellten, um umfangreichere Einsätze durchzuführen. Andererseits wurde die Schadensbegrenzung vor Ort durch schnelles Eingreifen entscheidend durch dezentrale Strukturen erleichtert. Gerade in Deutschland spielte der Einsatz der Bewohner vor Ort neben den Einrichtungen des professionellen Katastrophenschutzes eine entscheidende Rolle. Im Rahmen der so genannten „Luftschutzdienstpflicht“ waren im „Dritten Reich“ alle erwachsenen und gesunden Bewohner zur Mitwirkung verpflichtet. Damit waren die luftschutzbedingten Eingriffe in das Privatleben der Menschen besonders massiv. Dass Menschen angesichts der primitiven Ausstattung, die dafür zur Verfügung stand, bei Großangriffen ihr Leben riskierten, nahm die NS-Führung billigend in Kauf. Für das Regime waren diese Organisationsstrukturen nicht nur aus praktischen Erwägungen heraus notwendig, sondern man sah darin vielmehr noch eine zusätzliche Chance, die Kampfmoral im totalen Krieg zusätzlich zu erhöhen. Bei kleinen Bombenangriffen mochten die Einsätze dieser so genannten „Selbstschutzgemeinschaften“ aus Hausbewohnern und Belegschaften von Betrieben durchaus eine gewisse Wirksamkeit entfalten. Mit Flächenbombardements und deren verheerenden Folgen waren sie jedoch überfordert.

Brandbekämpfung

Um Menschenleben zu retten und Zerstörungen zu begrenzen, war es zunächst einmal erforderlich, die durch Tausende von Phosphor- und Stabbrandbomben ausgelösten Brände zu bekämpfen. Zunächst war es an den „Selbstschutzgemeinschaften“, Brände im Keim zu ersticken, zumindest aber deren weitere Ausbreitung zu verhindern. Die mit Fahrzeugen und professionellem Löschmaterial ausgerüstete Feuerwehr sollte dann eingreifen, wenn die Löschkräfte vor Ort ein Feuer nicht unter Kontrolle bringen konnten.

Aufgrund der wiederholten massiven Bombardements im Juli und August 1943 stießen alle Beteiligten dieses Brandbekämpfungssystems an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die professionelle Feuerwehr war in ihrer Mobilität eingeschränkt, weil Trümmer und Brände kein Durchkommen mehr ermöglichten. Darüber hinaus fielen zahlreiche Fahrzeuge den Flammen zum Opfer. Die „Selbstschutzgemeinschaften“ konnten mit ihren primitiven Löschmitteln – einfache Handspritzen gegen herkömmliche Brandbomben und Sand gegen Phosphor – der umfassenden Brandentwicklung keinen Einhalt mehr gebieten. Je länger die Großangriffsserie dauerte, desto stärker wurden bei allen Löschkräften die Erschöpfungssymptome. Wenn es angesichts der Konzentration der abgeworfenen Brandbomben kaum möglich war, Brände zu löschen, so konnte man zumindest deren Ausbreitung eindämmen. Vor allem bei den ersten Bombenangriffen vor dem 27. Juli 1943 konnte man hier noch eine entscheidende Wirkung erzielen. Die vorübergehende Eindämmung der Brände verschaffte eine Atempause im Wettlauf gegen die Zeit und ermöglichte es zahlreichen Bewohnern, sich und einen Teil ihrer Habe in Sicherheit zu bringen, bevor es zu spät war.

Hilfe für die Opfer

Mit mehr als 30.000 Toten gehörte die „Operation Gomhorra“ zu den folgenschwersten Bombenangriffen gegen deutsche Städte im II. Weltkrieg. Doch angesichts der Dimensionen des Brand-Infernos hätte es noch um einiges schlimmer kommen können, wenn nicht die trotz allem bestehenden Handlungsspielräume zur Rettung von Menschenleben ausgeschöpft worden wären.

Rettung und Bergung

Durch die sehr gut funktionierende mobile medizinische Versorgung konnten zahlreiche Verletzte überleben und vor dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen bewahrt werden. So waren eingesetzten Pflegekräfte angemessen darauf vorbereitet, Verletzungen durch Phosphor und Stabbrandbomben wirkungsvoll zu behandeln. An die Belastungsgrenzen stieß man jedoch bei der Rettung von Bombenopfern, die entweder verschüttet oder vom Flammenmeer eingeschlossen waren. Hierfür musste man schnell handeln, gleichzeitig jedoch mit Sorgfalt vorgehen, um die Betroffenen nicht zusätzlich zu gefährden. Angesichts der allgemeinen Überlastung kam daher für viele Opfer jede Hilfe zu spät. Die Bergung der Toten stellte die städtischen Institutionen lange nach Ende der Großangriffsserie vor erhebliche Belastungen. Die Leichen mussten geborgen und umgehend entfernt werden, um den Ausbruch von Seuchen sowie eine Beeinträchtigung der Moral der Bevölkerung zu vermeiden. Tatsächlich verlief die Seuchenbekämpfung trotz der sommerlichen Witterung erfolgreich. Ob dies auf die Wirksamkeit der Bergungsaktionen oder eher darauf zurückzuführen ist, dass es die meisten Toten in den schwer zerstörten Stadtteilen gab, die ohnehin weitgehend unbewohnbar geworden waren, lässt sich im Nachhinein kaum noch nachvollziehen.

Versorgung der Obdachlosen

Um die Moral der Bevölkerung zu stabilisieren und den Ausbruch sozialer Unruhen zu vermeiden, war es unerlässlich, die Obdachlosen, die oftmals ihre gesamte Habe verloren hatten, umgehend mit dem Nötigsten zu versorgen. Unverzüglich sollten kommunale Institutionen und NS-Wohlfahrtsorganisationen Nahrungsmittel, Getränke und eine Grundausstattung mit Ersatz-Hausrat für die Ausgebombten bereitstellen. Durch die besonderen Bedingungen des Hamburger Feuersturms waren viele Obdachlose zusätzlich akuter Lebensgefahr ausgesetzt. Daher funktionierte das ursprünglich ausgearbeitete Versorgungssystem nicht, das die Ausgebombten zu den bereits vorbereiteten Sammelunterkünften leiten sollte, in Hamburg nur sehr unzureichend. Tatsächlich verließen in Hamburg zahlreiche obdachlos gewordene Menschen fluchtartig die Stadt in Richtung Umland, nachdem sie dem Inferno entronnen waren. Es kam zu chaotischen Zuständen auf den Bahnhöfen. Doch es gelang Behörden und NS-Wohlfahrtsorganisationen rasch, die  Obdachlosen auf dem Land mit dem Lebensnotwendigen – vor allem mit Nahrungsmitteln – zu versorgen. Unterkünfte konnten ebenfalls zeitnah bereitgestellt werden. Trotz des durch das Inferno hervorgerufenen Chaos gerieten diejenigen, die durch den Feuersturm in Hamburg ihr Zuhause verloren hatten, aufgrund dieser wirkungsvollen Maßnahmen nicht in eine die existenziellen Lebensgrundlagen dauerhaft bedrohende Notsituation. Das Wichtigste war, dass die Lebensmittelversorgung der Obdachlosen durch die großzügigen Sonderzuteilungen zu keinem Zeitpunkt gefährdet war.

Wiederherstellung von Ordnung und Normalität

Sobald man die unmittelbare, mitunter lebensbedrohliche Notsituation infolge der Bombenangriffe unter Kontrolle gebracht hatte, ging es darum, die Grundlagen für die Wiederaufnahme eines geregelten Alltagslebens zu schaffen. Durch entsprechende effiziente Sofortmaßnahmen konnte man mit einem geringen Aufwand an Personal und Logistik schnell eine Wiederherstellung der lebenswichtigen Grundfunktionen bewirken. So gelang es, die Auswirkungen der Bombenangriffe in den als lebensnotwendig oder kriegswichtig eingestuften Bereichen zeitlich und räumlich erheblich zu begrenzen.

Trümmerbeseitigung

Um die für die Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens entscheidenden Verkehrswege wieder nutzbar zu machen, mussten die dort befindlichen Trümmer umgehend beseitigt werden. Dazu gehörte auch das Entfernen einsturzgefährdeter Ruinen, die ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen konnten. Wollte man zudem mit den Ressourcen effizient haushalten, war es erforderlich, den Schutt bestmöglich wiederzuverwerten. Somit kam der Trümmerbeseitigung auch bei der Schaffung der Grundlagen für eine langfristige Bewältigung der Bombenkriegsfolgen eine Schlüsselrolle zu.

Die Enttrümmerung war also eine anspruchsvolle, mit hohem personellem und logistischem Aufwand verbundene Aufgabe. Aufgrund der flächendeckenden Zerstörung ganzer Stadtteile durch den Feuersturm war es unmöglich, alle Trümmer zeitnah zu entfernen. Doch indem die Verantwortlichen klare Schwerpunkte beim Freiräumen der lebenswichtigen Hauptverkehrswege setzten, gelang es in diesem Bereich eine beachtliche Wirksamkeit zu entfalten. Das Abräumen des Schutts auf den total zerstörten Grundstücken wurde damit zur Nachkriegsaufgabe.

Behelfsmäßige Reparaturen

Während des Krieges war aufgrund des Mangels an Personal, Baumaterialien und finanziellen Mitteln nicht an einen groß angelegten Wiederaufbau zu denken. Dennoch gab es bei den begrenzten Schäden beträchtliche Handlungsspielräume für behelfsmäßige Instandsetzungen. Um hierbei mit dem geringstmöglichen Aufwand eine größtmögliche Wirksamkeit zu erzielen, konzentrierte man sich sehr gezielt auf die lebensnotwendigen und kriegswichtigen Bereiche. Entscheidende Ergebnisse brachten diese Reparaturen vor allem bei der Infrastruktur, bei lebenswichtigen öffentlichen Gebäuden sowie bei der Industrie. Gerade das Beispiel des Hamburger Feuersturms zeigt, dass es trotz schweren und flächendeckenden Bombenschäden während des Krieges möglich war, die Grundfunktionen einer Metropole aufrechtzuerhalten.

Sofortmaßnahmen und Ausbeutung von Zwangsarbeitern

Die frühen Publikationen zum Hamburger Feuersturm in den 1950er und 1960er Jahren betonen den vorbildlichen Einsatz der deutschen Bevölkerung und das dabei angeblich gelebte Gemeinschaftsgefühl. Erst in den letzten Jahren wurde herausgearbeitet, dass diese Sichtweise einseitig ist. Es ist an der Zeit, dass der Einsatz von Zwangsarbeitern, die auch bei diesen Kraftakten ausgebeutet wurden, größere Beachtung findet.

Der Zwangsarbeiter-Einsatz für jene Maßnahmen, die mit der Bewältigung von Bombenkriegsfolgen zu tun hatten, war in Hamburg keine improvisierte Notlösung, auf die man erst 1943 zurückgriff. Vielmehr war die menschenunwürdige Ausbeutung dieser billigen Arbeitskräfte von langer Hand geplant worden. Schon seit 1938 mussten Häftlinge des KZ Neuengamme unter lebensfeindlichen Bedingungen schuften, um in dem dortigen Klinkerwerk dringend benötigte Baustoffe zu produzieren, die für Zwecke des Luftschutzes und der Behebung von Bombenschäden zum Einsatz kommen sollten. Als die Intensität des Bombenkrieges zunahm, wurden über das ganze Stadtgebiet verteilt dezentrale Zwangsarbeiter-Lager eingerichtet, um die Arbeitskräfte zeitnah an den Einsatzorten bereitstellen zu können.

Zwangsarbeit spielte vor allem in denjenigen Bereichen der Sofortmaßnahmen eine entscheidende Rolle, in denen die physische oder psychische Belastung für deutsche Arbeitskräfte eine Belastung der allgemeinen Kriegsmoral hätte bewirken können. Zugleich handelte es sich um Tätigkeiten, die weder ein ausgeprägtes Fachwissen voraussetzten, noch sicherheitsrelevante Bereiche der Kriegswirtschaft berührten. Daher griff man vor allem bei der Bergung der Leichen und bei der Schutt-Beseitigung verstärkt auf Zwangsarbeiter zurück. Es ist daher davon auszugehen, dass die Wiederherstellung der Lebensgrundlagen nach dem Feuersturm durch den Einsatz der Zwangsarbeiter erheblich erleichtert und beschleunigt wurde. Daher ist es an der Zeit, die Arbeit dieser Menschen bei der Erinnerung an die Bombenangriffe angemessen zu würdigen.

Quelle: http://ueberlebenhh.hypotheses.org/34

Weiterlesen

„Wir wollen freie Menschen sein!“ Film zum 17. Juni 1953 von Freya Klier

Lange Zeit war ein wirkliches Erinnern an den Volksaufstand von 1953 in der DDR, in der BRD und auch später nicht möglich. Der Aufstand wurde von Politikern aller am Kalten Krieg beteiligten Seiten so gedeutet, dass er sich für ihre jeweiligen Zwecke instrumentalisieren ließ. Im Ostblock sprach man vom „faschistischen Putschversuch“, den man erfolgreich in den Griff bekommen habe. Im Westen dagegen unterstellte man, es sei den Demonstranten vorrangig um die Wiedervereinigung Deutschlands gegangen. Lange hielt sich auch die Sichtweise, es habe sich um einen Aufstand der Berliner Arbeiter gehandelt. Fast auf den Tag genau 60 Jahre danach ist es überfällig, endlich einmal auf die menschlichen Schicksale einzugehen, die mit diesem Volksaufstand und seinem tragischen Ausgang verknüpft sind.

Dieser Aufgabe widmet sich Freya Klier auf engagierte Weise in ihrem Film „Wir wollen freie Menschen sein!“. Eingeordnet in die historischen Hintergründe schildert sie die Schicksale zweier Leipziger Zeitzeugen und ihrer Familien am 17. Juni 1953 ebenso wie die Konsequenzen, die dieses Ereignis für ihren weiteren Lebensweg hatte. Lebendig gestaltet wird der Film durch zeitgenössische Bilddokumente, Spielfilm-Szenen und Aufnahmen von den Originalschauplätzen. Der Zuschauer wird dabei mit auf eine Reise in das Jahr 1953 genommen.

Brigitte Dienst ist die Schwester des jüngsten Todesopfers bei der Niederschlagung des Volksaufstandes, dem damals 15-jährigen Paul Ochsenbauer. Peter Schmidt geriet als 10-jähriger zufällig in die Tumulte des 17. Juni und erlitt dabei einen Bauchschuss. Auf einfühlsame Weise bringt der Film den Zuschauern die Belastungen näher, mit denen die Opfer und ihre Familien in den Jahren danach fertig werden mussten. In der DDR durften sie nicht über ihr Schicksal sprechen und mussten den damit verbundenen Schmerz auf sich gestellt aushalten. Peter Schmidt durfte in der Schule nie die wahren Gründe für seine Verletzung nennen und Brigitte Diensts Familie konnte den Tod des Bruders nicht betrauern. Dass die Zeitzeugen 60 Jahre danach den Mut haben, offen vor der Kamera über ihr schweres Schicksal zu sprechen, ist zutiefst beeindruckend.

Freya Klier, die am eigenen Leib den Terror des SED-Regimes erlebt hat, leistet mit diesem Film einen entscheidenden Beitrag zu einer würdevollen Erinnerung an den 17. Juni 1953 und seine Opfer. Die Zuschauer – auch und gerade junge Menschen – erhalten hier durch die schonungslos offene Schilderung persönlicher Schicksale einen realistischen Einblick in die Lebenswirklichkeit in der DDR-Diktatur vor 60 Jahren. Der Film wird am 16. Juni 2013 um 22:45 Uhr im Fernsehsender RTL ausgestrahlt. Darüber hinaus finden zum 60. Jahrestag des 17. Juni zahlreiche weitere Vorführungen in Deutschland statt.

Quelle: http://de.hypotheses.org/71689

Weiterlesen

Arabische Revolution 2011: Wie viel Veränderung ist möglich?

  Vor fast genau zwei Jahren begannen die Ägypter mit ihrer Protestbewegung, die schließlich in der Revolution und im Sturz ihres ehemaligen Präsidenten Mubarak münden sollte. Auch mich haben die Bilder der standhaften Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz beeindruckt. Sie waren so entschlossen, wirklich etwas zu verändern. Und ich habe dabei auch oftmals an die erfolgreiche Friedliche Revolution 1989 in der DDR gedacht, die vorher auch kaum jemand für möglich gehalten hätte. War der so genannte „arabische Frühling“ für die Menschen dort wirklich so eine Befreiung wie der 1989 durch die Revolution ermöglichte Mauerfall für die Menschen in der DDR? Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig, die die kulturellen Hintergründe dieser Region einbezieht. Historische Hintergründe In den Tagen der arabischen Revolution 2011 war viel davon die Rede, dass die Araber erst die Aufklärung nachholen müssen, bevor eine Demokratisierung stattfinden kann. Doch der tunesische Literaturwissenschaftler Sarhan Dhouib betonte bei seiner Ringvorlesung an der Leuphana Universität Lüneburg am 18. Januar 2013 mit dem Titel „Europa von außen gesehen: Eine arabisch-islamische Perspektive“, dass es seit dem 19. Jh. aufklärerische und säkulare Tendenzen in der arabischen Welt gegeben habe. Bereits in dieser Zeit, so Dhouib, hätten arabische Intellektuelle nach europäischem Vorbild Ideen für säkulare, auf rechtsstaatlichen Prinzipien aufbauende Verfassungen entwickelt. Es hat also Ansätze der Aufklärung gegeben, sie konnten sich nur nicht durchsetzen. Der heute für so viel Konfliktstoff sorgende Islamismus entstand erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um eine politische Bewegung, die die religiösen Gefühle der Menschen gezielt instrumentalisiert. Von Anfang an verstand sich der Islamismus als Gegenbewegung zu diversen Reformen Anfang des 20. Jahrhunderts – er wandte sich insbesondere gegen die umfassende politische Neuordnung nach der Säkularisierung und der Abschaffung des Sultanats in der Türkei. Abgesehen von den technischen Errungenschaften lehnten die Islamisten alle modernen Werte und die daraus resultierenden politischen Perspektiven ab. Einen Aufschwung erlebt der Islamismus vor allem am Ende des 20. Jahrhunderts infolge der fortschreitenden Unzufriedenheit und Desorientierung vieler Menschen in den arabischen Ländern: Migration und Digitalisierung bieten zudem noch nie da gewesene Kommunikationsmöglichkeiten an. Mit der Islamischen Revolution im Iran von 1979 gelang es den Islamisten erstmals, in Regierungsverantwortung zu gelangen. Spätestens seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 dominierten diese Eindrücke das Bild von den Arabern und vom Islam in der westlichen Welt. Die säkulare Gegenbewegung entwickelte sich allerdings ebenfalls in eine totalitäre, die Menschen unterdrückende Richtung. Ebenfalls in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der so genannte Panarabismus. Diese Ideologie strebte nach der Vereinigung aller arabischen Länder. Wichtig war hier nicht die Religion, sondern der Nationalismus. Infolge des Panarabismus entstanden in vielen Ländern – unter anderem in Tunesien, in Ägypten, in Libyen, in Syrien oder im Jemen – totalitäre Regime, die jahrzehntelang das eigene Volk terrorisierten. Viele von ihnen wurden durch die Revolutionen von 2011 zu Fall gebracht. Die Welle der Revolution schwappt über die arabischen Länder Was das Fass schließlich zum Überlaufen brachte Jahrzehntelang hatten sich die Menschen in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien eher aus Pragmatismus, denn aus Begeisterung den Verhältnissen in ihren Ländern angepasst. Von den einst vollmundig propagierten Visionen des Sozialismus und der arabischen Einheit war schon längst nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen herrschten Korruption und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Mächtige Geheimdienst-Apparate schüchterten die Menschen ein und versuchten, jede Kritik im Keim zu ersticken. Doch auf einmal spielten die Menschen dieses ganze Spiel nicht mehr mit. Anzeichen dafür, dass etwas ins Rollen kam, hatte es bereits im Sommer 2010 gegeben, als die Ägypter die in ihrem Land herrschende Polizei-Willkür nicht mehr hinnehmen wollten. Es kam verstärkt zu Solidaritätsbekundungen für deren Opfer. Als der 28-jährige Khaled Said auf offener Straße zu Tode geprügelt wurde, bekundeten zahlreiche Menschen via Internet ihre Anteilnahme. Der offene Protest nahm im Dezember 2010 in Tunesien seinen Anfang. Ein junger Gemüsehändler, der die andauernden staatlichen Schikanen in seinem Berufsalltag nicht mehr ertrug, verbrannte sich am 26. Dezember 2010 selbst. Dieser öffentliche Selbstmord war die Initialzündung für landesweite Demonstrationen gegen die schlechten Zukunftsperspektiven. Offen entlud sich der Unmut über die Korruption und die desolate Wirtschaftslage. Protest-Aufrufe verbreiteten sich in Windeseile auf Web 2.0-Plattformen wie Facebook und Twitter. Die Protest-Lawine war ins Rollen gekommen und sie war kaum noch aufzuhalten. Initialzündung aus Tunesien Die Umwälzung der politischen Verhältnisse vollzog sich in den Tagen um den Jahreswechsel 2010/2011 herum praktisch unbemerkt von der internationalen Gemeinschaft. Demonstrationen weiteten sich zu Volksaufstand aus und erfassten schließlich das ganze Land. Am 14. Januar 2011 überschlugen sich die Ereignisse. In einer eigens anberaumten Rede kündigte Ben Ali seinen Rücktritt bis 2014 an. Doch damit wollten sich die Demonstranten nicht mehr abfinden. Noch am selben Tag reist Präsident Ben Ali unter dem Druck der Straße in sein ausländisches Exil ab. Am 17. Januar wird eine Übergangsregierung gebildet. Damit war die Ära Ben Ali nach mehr als 30 Jahren zu Ende. Alles in allem lässt sich sagen, dass sowohl die Regierung als auch die ihr unterstellten Sicherheitsorgane von den Vorgängen vollkommen überrumpelt wurden. Darauf, dass alles so schnell ging, war es wohl auch zurückzuführen, dass Tunesien das einzige Beispiel einer wirklich friedlichen Revolution in der arabischen Welt darstellte. Mit den neuen, im Internet organisierten Protestformen war das Regime offensichtlich überfordert. Die Revolution in Tunesien zeigte auf, wie schnell es möglich war, die politischen Verhältnisse für immer zu verändern. Ägypten setzt ein Ausrufezeichen Der Funke, der aus Tunesien nach Ägypten übersprang, entflammte auch dort die revolutionäre Bewegung. Am 25. Januar 2011 entlud sich bei einem so genannten „Tag des Zorns“ der ganze, über Jahre angestaute Unmut über das seit 30 Jahren festgefahrene autokratische System in offenem Protest. Gleichzeitig fanden in verschiedenen Städten des Landes Massendemonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern statt. Bereits am folgenden Tag schlug das Mubarak-Regime zurück. Der Tahrir-Platz wurde unter Einsatz von Wasserwerfern geräumt. Es folgte die erste Verhaftungswelle. Darüber hinaus blockierte das Regime wichtige Social Media-Plattformen, um der Protestbewegung ihre Kommunikationsbasis zu entziehen. Doch davon ließen sich die Demonstranten nicht mehr abhalten, als der Protest bereits ins Rollen gekommen war. Schon am 28. Januar 2011 begann die entscheidende Phase der ägyptischen Revolution. Erstmals schaltete sich die Armee ein, um einen Ausgleich zustande zu bringen. Gleichzeitig distanzierten sich die Streitkräfte vom Mubarak-Regime. Ende Januar setzten sich die Demonstranten dauerhaft auf dem Tahrir-Platz – dem Zentrum ihres Protests – fest. Dort herrschte Augenzeugenberichten zufolge eine nie gekannte euphorische und gelassene Stimmung, die erstmals einen freien und offenen Dialog der verschiedenen politischen Lager ermöglichte. Konsequent und entschlossen forderten die Demonstranten den Rücktritt Mubaraks als Staatschef. Dieser verlor unterdessen auch im Ausland an Rückhalt, als US-Präsident Barack Obama erstmals die Notwendigkeit eines Regierungswechsels in Ägypten andeutete. Gewalt war das letzte Mittel, das dem um seine Macht kämpfenden Autokraten noch blieb, als der Kampf schon längst verloren war. Anfang Februar 2011 schickte Mubarak seine aus den Armenvierteln Kairos rekrutierten Schlägertrupps gegen die Demonstranten los. Die folgenden Gewaltexzesse forderten einem Untersuchungsbericht vom 19. April 2011 zufolge 846 Menschenleben. Darüber hinaus waren 6.467 Verletzte zu beklagen. Doch von all dem Terror ließen sich die Demonstranten nun nicht mehr einschüchtern und blieben standhaft. Gewaltfrei harrten sie auf dem Tahrir-Platz aus. Unterdessen schwand Mubaraks Rückhalt bei der Armee und bei den Verbündeten im Ausland weiter dahin. Die Rede des Präsidenten vom 10. Februar 2011 entpuppte sich nicht als der von ihm erhoffte Befreiungsschlag. Mit vagen Reformversprechen sowie mit der Ankündigung seines Rücktritts nach den Wahlen im September konnte er sein Volk nicht mehr erreichen. Im Gegenteil: Der Unmut über diese Rede schürte den Protest weiter. Am folgenden Tag, dem 11. Februar 2011 konnte die Opposition mehr Menschen als jemals zuvor für ihre Protestkundgebungen im ganzen Land mobilisieren. Am späten Nachmittag gab Mubarak dem Druck der Straße nach und kündigte seinen Rücktritt an. Damit war die Ära Mubarak nach 30 Jahren zu Ende gegangen. Mit ihrem gewaltfreien Massenprotest hatten die Demonstranten das Regime schließlich in die Knie gezwungen. Die erfolgreiche Revolution in Ägypten setzte ein deutliches Zeichen für Veränderung, zumal das Land am Nil als kulturelles und gesellschaftliches Zentrum der arabischen Welt gilt. Die Schattenseite der arabischen Revolution: Bürgerkriege in Libyen und Syrien Schließlich erreichte der Funke der Revolution auch die als besonders brutal geltenden Diktaturen in Libyen und Syrien. Doch diese Regime verstanden es, die Revolutionäre in blutige Bürgerkriege mit unabsehbaren Folgen zu verwickeln. Was auch in diesen Ländern als friedliche Revolution geplant war, versank in brutalster Gewalt. Relativ schnell nach dem Sturz Mubaraks in Ägypten erreichte die Revolution auch das benachbarte Libyen. Bereits am 17. Februar 2011 kam es auch dort zu einem „Tag des Zorns“. Doch das Gaddafi-Regime reagierte sofort mit brutalster Gewalt. Es folgten gezielte Bombenangriffe gegen wehrlose Demonstranten. Angesichts dieser Gewaltexzesse entschloss sich die libysche Opposition dazu, den Weg des friedlichen Protests zu verlassen und ihre Anhänger gewaltsam gegen derartige Übergriffe zu verteidigen. Bereits bis zum 23. Februar 2011 war es den Rebellen gelungen, die Kontrolle über den Ostteil Libyens zu erlangen. Doch was nun folgte war ein von immer brutalerer Gewalt gekennzeichneter Bürgerkrieg. Nach erneuten schweren Bombenangriffen erließ der UN-Sicherheitsrat am 18. März eine Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone, die die Zivilbevölkerung vor weiteren Bombardements schützen sollte. Zu deren Durchsetzung griff die Nato militärisch in den Konflikt ein. Mit Hilfe dieser Unterstützung aus dem Ausland gelang es den Rebellen schließlich im Sommer 2011, den Bürgerkrieg nach erbitterten Kämpfen für sich zu entscheiden. Ende August war auch das Gaddafi-Regime nach mehr als 40 Jahren entmachtet. Doch der Preis, der hier zu bezahlen war, war mit Zehntausenden von Kriegsopfern außerordentlich schmerzlich. In den Monaten erbitterter Kämpfe hatten die Rebellen sich ihrerseits Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen schuldig gemacht. Gaddafi wurde schließlich im Oktober 2011 von Rebellen hingerichtet. Nur einen Tag später als in Libyen begannen am 18. Februar 2011 auch in Syrien Proteste gegen die Regierung, die sich im März spürbar ausweiteten. Auch hier reagierte das Assad-Regime mit brutalster Gewalt gegen die eigene Zivilbevölkerung. Es kam ebenfalls zu einem Bürgerkrieg, der den in Libyen in seiner Grausamkeit noch übertreffen dürfte. Hier kam es aufgrund der geostrategischen Lage im Spannungsfeld des Nahostkonflikts nicht zu einer Intervention aus dem Ausland. Das Assad-Regime ist entschlossen, seine Macht bis zum Letzten zu verteidigen. Kreativität und Selbstwirksamkeit in den arabischen Protestbewegungen Schon in der Phase ihrer Entstehung setzten die neuen arabischen Protestbewegungen auf die Breitenwirkung der aufkommenden Social Media-Plattformen. So konnten sie ihre Kritik an den Regimen und ihre politischen Botschaften an der Zensur vorbei einer breiten Masse zugänglich machen. Darüber hinaus ermöglichten die Plattformen des Web 2.0 den Aktivisten die Mobilisierung ihrer Anhänger für Demonstrationen. Außerdem versetzten diese neuen Kommunikationsformen die Protestbewegung schnell in die Lage, sich zu vernetzen, um auf Maßnahmen von Seiten der Regime, die sie bekämpften, reagieren zu können. Angesichts der Brutalität der Unterdrückungsapparate von Seiten der Regierungen entwickelten die Demonstranten kreative und höchst wirkungsvolle Formen des Protests, die nicht so schnell auszuschalten waren. So vereinbarten sie durch Vernetzung im Internet und durch Handys Spontan-Kundgebungen, die sich ebenso schnell wieder auflösten, wie sie sich formiert hatten. Charakteristisch für die Protestbewegung in den arabischen Ländern war auch die gezielte Besetzung wichtiger Plätze, auf denen die Demonstranten dann tagelang gewaltfrei ausharren konnten. In der Übergangsphase, in der das alte Regime schon im Untergang begriffen war, ein neues politisches System sich aber noch nicht gefestigt hatte, war es für die Menschen wichtig, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dazu entwickelten sie neue zivilgesellschaftliche Organisationsformen, die frei von allem ideologischen Ballast das Nötige für das Überleben der Menschen taten. In der chaotischen Phase des Übergangs bewachten Nachbarschaftskomitees Häuser und Wohnungen, um sie vor Plünderern zu schützen. Darüber hinaus kümmerten sich Nachbarn auch darum, die Menschen, die auf dem Tahrir-Platz und auf anderen öffentlichen Plätzen ausharrten, mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Innerhalb der revolutionären Bewegungen waren erhebliche politische und religiöse Differenzen zu überwinden. Das gemeinsame Ziel aller Gruppen ermöglichte in den Revolutionstagen einen Zusammenhalt. Dass sich dieser für die folgende Zeit als wenig tragbar erwies, stellte sich  bereits in den Monaten nach dem Umsturz heraus. Herausforderungen des Neubeginns Derzeit ist die Situation in der arabischen Welt von großen Unsicherheiten geprägt. Die Orientierungslosigkeit entsteht dadurch, dass das Alte zwar definitiv vorbei ist, aber noch nicht klar zu erkennen ist, wie sich die weitere Entwicklung gestalten wird. Die derzeitige verworrene Lage erinnert an die Lage in Europa 1918. Demokratische Reformen werden nur von einer kleinen, meist aus dem gehobenen Bildungsbürgertum stammenden Minderheit befürwortet. Diese Bevölkerungsschicht hatte einen maßgeblichen Anteil an der Revolution. Doch es ist ihr auch zwei Jahre nach dem Ende der Diktaturen nicht gelungen, eigene Organisationsstrukturen sowie ein tragfähiges politisches Programm zu entwickeln. Für die breite, politisch weitgehend orientierungslose Masse der Bevölkerung sind die einfachen Lösungen und Patentrezepte von Islamisten, die vermeintlich Sicherheit versprechen, oftmals attraktiver als mühsame demokratische Prozesse. Wie das Beispiel Ägypten zeigt, werden in einem solchen System die Freiheitsrechte des Einzelnen – vor allem der Christen und der Frauen – massiv eingeschränkt. Inwieweit die davon in ihren Freiheiten beeinträchtigten Teile der Bevölkerung diese Mehrheitsentscheidung hinnehmen müssen, darüber ist in Ägypten ein heftiger, von Gewaltexzessen begleiteter Konflikt entbrannt, dessen Ausgang offen ist. Das Gewaltpotential, das diese Auseinandersetzungen beinhalten, ist möglicherweise sogar dazu angetan, die Errungenschaften der Revolution zumindest teilweise rückgängig zu machen. Das zeigt sich beispielsweise an der Wiedereinführung des Ausnahmezustandes in drei ägyptischen Städten fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Beginn der Revolution. Wenngleich die Konflikte in Tunesien auf kein derart breites Echo in der Medien-Öffentlichkeit stoßen wie diejenigen in Ägypten, so sind sie doch ebenfalls brisant. Auch dort werden liberale Kultureinrichtungen zum Ziel von Übergriffen extremistischer Salafisten, ohne dass die vermeintlich „moderat“ islamistische Regierungspartei „Ennahda“ dem etwas entgegensetzt. In Libyen ist man zusätzlich zu diesen Herausforderungen auch noch mit der Bewältigung der Kriegsfolgen – vor allem dem Wiederaufbau der Infrastruktur und dem Einsammeln aller illegalen Waffen aus den Arsenalen von Gaddafi beschäftigt. Weite Teile des Wüstenstaates drohen zu einem Rückzugsraum mir islamistische Terroristen zu verkommen. Syrien befindet sich immer noch in einem brutalen Bürgerkrieg, der von täglich neuen Gräueltaten aller Seiten geprägt ist. Doch auch diejenigen Länder, die nicht wie Libyen oder Syrien unter Kriegsfolgen zu leiden haben, kämpfen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Technologisch haben die arabischen Staaten in vielen Bereichen den Anschluss an den Westen, aber auch an Indien, China und die südostasiatischen Länder verloren. Auch der Tourismus, von dem gerade Tunesien und Ägypten abhängig sind, ist infolge der von Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägten instabilen Lage eingebrochen. Darüber hinaus wird die Wirtschaftskraft dadurch beeinträchtigt, dass viel Geld in den dunklen Kanälen der Korruption versickert. Diese korrupten Strukturen, die infolge der Revolution nur zu einem kleinen Teil beseitigt werden konnten, führen zu einer sehr ungerechten Verteilung der ohnehin knappen wirtschaftlichen Ressourcen. Die Sicherung der Lebensgrundlagen für alle gesellschaftlichen Schichten ist eine Grundvoraussetzung für dauerhaften sozialen Frieden und politische Stabilität. Doch um Unterdrückung, Konflikte und Gewalt wirklich hinter sich zu lassen, sind noch weitaus tiefer greifende Veränderungen in der Einstellung der Menschen notwendig. Die Zensur im Denken zu überwinden ist seit 2011 eine der größten Herausforderungen. Oftmals tritt heute der in seinem Wesenskern totalitäre Islamismus an die Stelle der ideologischen Vorgaben der gestürzten autokratischen Regime. Die einfachen Antworten im Schwarz-Weiß-Denken sorgen für vermeintliche Sicherheit in einer Zeit der Orientierungslosigkeit. Erst wenn die arabischen Gesellschaften den Mut entwickeln, die Freiheit und die Würde eines jeden einzelnen Menschen unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft oder seines Geschlechts zu respektieren, wird es einen Ausweg aus der Unterdrückung geben. Der „arabische Frühling“ wird erst dann zur Realität, wenn die Menschen die Verantwortung für ihr Schicksal selbst übernehmen, anstatt fatalistisch auf die Segnungen einer vermeintlich gottgewollten Ordnung zu hoffen. Was unterscheidet die Revolutionen in der arabischen Welt 2011 von der Friedlichen Revolution 1989 in der DDR? Noch heute stehen die Friedliche Revolution 1989 in der DDR und der durch sie ermöglichte Mauerfall für einen sehr ermutigenden Wendepunkt in der deutschen und europäischen Geschichte. 2011 war viel vom so genannten „arabischen Frühling“ die Rede, von dem man sich eine ähnlich positive Wende der Entwicklungen in den arabischen Ländern erwartete. Doch nicht nur in Hinblick auf das Bürgerkriegsland Syrien, sondern auch hinsichtlich der von Gewalt begleiteten politischen Spannungen in Ägypten heißt es heute oft, der „arabische Frühling“ habe sich zum „arabischen Winter“ entwickelt. Heute, da die erste Euphorie verflogen ist, werden die Unterschiede zur Friedlichen Revolution 1989 in der DDR immer deutlicher:
  • Auch wenn es in der ehemaligen DDR in der Umbruchsphase ebenfalls zu erheblichen Enttäuschungen und Frustrationen kam, entluden sich diese nicht in Gewalt. Dagegen wird die Neuordnung in den arabischen Ländern seit der Revolution 2011 – aktuell besonders massiv in Ägypten – wiederholt von gewaltsamen Unruhen begleitet. Selbst wenn es 2011 noch zu gewaltfreien Protesten kam, kann diese Entwicklung heute im Ganzen betrachtet nicht mehr als friedliche Revolution bezeichnet werden.
  • Die neuen politischen Strukturen mussten in der DDR nicht neu erfunden werden. Durch den Zusammenschluss mit der BRD konnte man deren seit Jahrzehnten bewährtes politisches System übernehmen und somit schnell rechtsstaatliche Grundlagen schaffen. Für die arabischen Staaten mit ihrer kolonialen Vergangenheit ist Europa dagegen kein Vorbild. Sie stehen somit vor der Herausforderung, ihr eigenes System zu entwickeln.
  • Im Gegensatz zur ehemaligen DDR in der Umbruchsphase nach 1989 spielt die Religion in den arabischen Ländern als politischer Faktor eine zentrale Rolle. Vermeintlich gottgewollte Regeln und Vorschriften verschärfen die Gegensätze zu Minderheiten und fördern deren Ausgrenzung. Anders als in der DDR, wo die christlichen Kirchen den gewaltfreien Protest unterstützten, tritt der politische Islamismus in der arabischen Welt als gewaltfördernder Faktor in Erscheinung.
  • Zwar waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in der ehemaligen DDR in der Wendezeit schwierig. Doch fehlte es der dortigen Bevölkerung im Gegensatz zu derjenigen in den arabischen Ländern niemals am Lebensnotwendigen. In vielen arabischen Staaten hat sich die Armut durch die Revolution noch weiter verschärft, so dass viele Menschen den Verlust ihrer existentiellen Lebensgrundlagen fürchten müssen.
   

Quelle: http://revolution1989.hypotheses.org/68

Weiterlesen

Sie lebten das „andere Deutschland“ 1933-1945: Hiltgunt Zassenhaus und Harald Poelchau als „stille Helden“

In den Jahren 1933-1945 waren die Grenzen für aktiven Widerstand sehr eng. Jedes Anzeichen von Kritik oder verweigerter Anpassung konnte als „Wehrkraftzersetzung“, „Feindbegünstigung“ oder „Landesverrat“ mit dem Tode bestraft werden. Unter solchen nahezu ausweglos erscheinenden Bedingungen gewinnt jedes Zeichen der Menschlichkeit, das diesen beispiellosen Gewaltexzessen entgegen gesetzt wurde, an Bedeutung. Nur dadurch, dass es Menschen gab, die in dieser dunklen Zeit der deutschen Geschichte die Unantastbarkeit der Menschenwürde in ihrem eigenen Umfeld lebten, konnte das Vertrauen in die Wiederherstellung eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates wachsen. Vielen Verfolgten war die Erinnerung an jene Helfer von ganz entscheidender Bedeutung. Die Überzeugung, dass das „andere Deutschland“ trotz Terror und Repressionen gelebt wurde, war entscheidend für Vergebung und Aussöhnung. Umso wichtiger war den Überlebenden das Andenken an jene zahlreichen und oft namenlosen „stillen Helden“, die ihnen das Leben retteten oder ihnen zumindest für kurze Zeit ein Gefühl der Würde inmitten von all der Demütigung gaben. In diesem Beitrag möchte ich auf zwei dieser Helfer aufmerksam machen, die durch die Nutzung ihrer Position die Terror-Maschinerie des NS-Staates zumindest ein Stück weit unterwandern konnten: Die Hamburger Dolmetscherin und Medizinstudentin Hiltgunt Zassenhaus und den Berliner Gefängnisseelsorger Harald Poelchau.

Hiltgunt Zassenhaus war seit 1933 entschlossen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um der Unmenschlichkeit des NS-Staates etwas entgegen zu setzen. Hilfreich waren dabei ihre Kenntnisse in skandinavischen Sprachen. Seit Beginn des II. Weltkrieges war sie bei der Post beschäftigt, um Post aus Skandinavien an rassistisch Verfolgte in Deutschland und den besetzten Gebieten zu zensieren. Doch anstatt dieser Aufgabe nachzukommen schmuggelte Zassenhaus diese Briefe und auch Paketsendungen mit Kleidung und Lebensmitteln an der Zensur vorbei zu ihren Adressaten. Ab 1941 war sie als Aufseherin bei Besuchen von Seelsorgern für skandinavische Widerstandskämpfer in deutschen Gefängnissen eingesetzt. Auch hier schmuggelte sie Briefe an die Angehörigen an der Zensur vorbei nach draußen. Und sie versorgte die Häftlinge heimlich und unter Einsatz ihres Lebens mit lebenswichtigen Medikamenten und Nahrungsmitteln. Am Ende des Krieges half sie mit, die Aktion „Weiße Busse“ zu organisieren, die zahlreichen skandinavischen Gefangenen das Leben retten sollte.

Auch Harald Poelchau nutzte seine Stellung als Seelsorger, um Gefangenen das Leben im Rahmen der engen Grenzen zumindest etwas zu erleichtern. Auch er war von Anfang an dazu entschlossen, etwas gegen die Unmenschlichkeit im Dritten Reich zu unternehmen und den politisch und rassistisch Verfolgten zumindest ein Stück ihrer Würde zurückzugeben. Seine Wohnung in Berlin wurde zur Anlaufstelle für untergetauchte Juden. Vielen von ihnen rettete seine ideelle und praktische Unterstützung das Leben. Poelchau stand den im Gefängnis in Berlin-Tegel inhaftierten Widerstandskämpfern des 20. Juli in ihren letzten Stunden bei und spendete ihnen Trost, wo er nur konnte. Das wussten auch deren Angehörige wie Freya von Moltke – die Frau von Helmut James Graf von Moltke, eines der führenden Köpfe des Kreisauer Kreises – sehr zu schätzen. Ohne Poelchau wären weder die letzten Briefe von Helmut von Moltke noch die zukunftsweisenden theologischen Ideen Dietrich Bonhoeffers – eines weiteren von ihm betreuten Gefangenen – jemals niedergeschrieben worden. Bis zuletzt vermittelte Poelchau den Aktivisten des Widerstandes, dass ihr Tod nicht sinnlos war. Poelchau war bewusst in welche Gefahr er sich begab und stand deswegen Todesängste aus. Doch er war entschlossen, dies im Dienste einer höheren Sache, der gottgewollten Menschlichkeit, durchzustehen.

Zwar waren die ursprünglichen Grundhaltungen dieser beiden „stillen Helden“  unterschiedlich. Während Zassenhaus von humanistischen Wertvorstellungen geprägt war, war Poelchau von der christlichen Nächstenliebe überzeugt. Ihnen gemeinsam war jedoch die Entschlossenheit, in dunkelster Zeit – notfalls unter Einsatz ihres Lebens – Menschlichkeit zu leben und zumindest in Einzelfällen etwas zu bewirken. Die Entschlossenheit, auch in dieser dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte ihre Werte zu leben, verlieh ihnen eine ungeheure physische und psychische kraft. Zassenhaus und Poelchau lebten während des Krieges in permanenter Angst, entdeckt zu werden. Doch ihre tiefe Überzeugung von der Unantastbarkeit der menschlichen Würde gab ihnen den Mut, auch unter verschärftem Terror nach dem 20. Juli 1944 durchzuhalten und weiterzumachen. Wichtig für sie war die Erfahrung des menschlichen Zusammenhalts. Von den Verfolgten bekamen sie stets viel Dankbarkeit und Wertschätzung zurück, die sie ermutigten. Darüber hinaus wussten sie, dass ihre Arbeit nur dadurch möglich war, dass stille Helfer sie unterstützten und sie nicht verrieten. Trotz allem, was Zassenhaus und Poelchau an persönlichen Belastungen auf sich nahmen, waren sie zu jedem Zeitpunkt voll und ganz von ihrem Dienst für die Menschlichkeit überzeugt und sahen auch nach dem Krieg ihre Aufgabe darin, für ein menschlicheres Miteinander ohne Vorurteile einzustehen.

Quelle: http://ueberlebensstrategien.hypotheses.org/25

Weiterlesen