Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 3

Von Stefan Sasse

Teil 1 und Teil 2 finden sich hier. 

Fritz Todt, 1940
Für den bevorstehenden Krieg aber stellte sich die chaotische Organisation als großes Problem dar. Nicht weniger als drei Personen hatten Kontrolle über die Wirtschaft, ohne dass ihre Kompetenzen geregelt wären. Für Hitler war dies vorteilhaft, weil er den ständigen Kompetenzkampf seiner Untergebenen brauchte, um selbst unangefochten an der Spitze zu stehen, aber für die Organisation des Krieges war es vollkommener Unfug. Georg Thomas, der Leiter des Wirtschaftsrüstungsamts, erklärte die Organisation zur „Missgeburt“. Neben ihm kontrollierten Göring als Leiter der Vierjahresplanbehörde und Fritz Todt als Generalbevollmächtiger für das Bauwesen die Wirtschaft. 

Zu diesem organisatorischen Chaos kam, dass die Wehrmacht insgesamt kaum als einsatzfähig beschrieben werden kann. Sie besaß nur einen geringen Vorrat an Munition – vielleicht zwei, maximal drei Monate – und nicht die Möglichkeiten, genügend zu produzieren. Gleiches galt für Ersatzteile und modernes Equipment; viele Flugzeuge und Fahrzeuge waren bereits veraltet (was sich natürlich gegen das noch ältere polnische Equipment nicht so dramatisch auswirkte). Am Ende des Polenfeldzugs waren rund 50% des Fahrzeugbestands und große Teile der Luftwaffe nicht mehr einsatzbereit. Die Vermutung, dass ein beherzter Angriff der Alliierten den Krieg für Deutschland hätte dramatisch enden lassen, liegt zumindest nicht vollständig fern. Es sollte bis zum Frühjahr 1940 dauern, bis die Wehrmacht wieder die Stärke erreicht (und überschritten) hatte, die sie vor dem Polenfeldzug besessen hatte. Gleichzeitig wurde die bestehende Marine von der Royal Navy gejagt und verlor fast jede Begegnung. 

Großadmiral Raeder, Initiator des Plan Z
Der erfolgreiche Polenfeldzug öffnete den Nationalsozialisten aber eine gänzlich andere Ressource: Arbeit. Anfangs noch auf Freiwilligenbasis, bald aber mit Zwang, wurden polnische Arbeiter in der Rüstungsindustrie eingesetzt und erlaubten so das massenhafte Einziehen von deutschen Arbeitern in die Wehrmacht, ohne die Produktivität (noch weiter) absinken zu lassen. Eine andere Ressource dagegen wurde bereits im Herbst 1939 empfindlich knapp: Eisenerz. Die polnischen Vorräte, die man erbeutet hatte, halfen nicht lange weiter, und aus Frankreich konnte aus naheliegenden Gründen nichts mehr importiert werden. Die wichtigste Quelle war Schweden, aus deren Bergwerken das Erz in die ganzjährig eisfreien norwegischen Häfen transportiert und von dort innerhalb der Drei-Meilen-Zone nach Deutschland verschifft wurde. Die Briten konnten das kaum zulassen, und so begann ein Wettlauf um die Kontrolle der norwegischen Handelsrouten, der im Frühjahr 1940 durch den Skandinavienfeldzug entschieden wurde, bei dem die Deutschen Norwegen besetzten und sich damit das schwedische Erz bis Kriegsende sicherten. Gleichzeitig aber kostete dieser Erfolg das Deutsche Reich einen Großteil seiner Überwasserflotte, die nie ersetzt werden konnte und beschleunigte den Ausbau der U-Bootflotte und das Ende des größenwahnsinnigen Plan Z – das erste Programm der Vorkriegszeit, das der Realität des Kriegsdrucks zum Opfer fiel. 

Unter dem Eindruck dieser katastrophalen Unzulänglichkeiten wurde im Frühjahr 1940 Fritz Todt zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition ernannt, wodurch ihm technisch gesehen die gesamte Wirtschaft unterstand. Sicher war er vor Störfeuer Görings jedoch nie, der als Oberbefehlshaber der Luftwaffe genug Einfluss behielt, auch wenn seine Vierjahrplanbehörde rapide an Einfluss verlor. Die deutsche Industrie, allen voran die „Wehrwirtschaftsführer“ IG Farben, Krupp und Thyssen verweigerten sich jedoch einer Zentralisierung der Wirtschaft und wollten weiterhin das Rentabilitätsprinzip erhalten (was zu großen Gewinnen und dem kommunistischen Mythos vom kapitalistischen Krieg führen würde). Erst ab 1943 würde es in größerem Umfang Schließungen von nicht kriegswichtigen Betrieben geben. 

Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts 1939
Der Sieg gegen Frankreich entspannte die Lage für die Wehrmacht erneut. Die vielen Kriegsgefangenen, die französischen Ressourcen und die Zwangsarbeiter erlaubten das Freistellen weiterer deutscher Arbeiter, die auch zunehmend durch Frauen ersetzt wurden. Der nun anstehende Luftkrieg über England zeigte aber erneut die Unzulänglichkeiten der deutschen Planung: Niemand hatte vor 1940 ernsthaft die Überlegung aufgestellt, wie die britische Royal Air Force bekämpft werden könnte. Stattdessen war die deutsche Luftwaffe auf Bodenunterstützung ausgelegt worden. Das Fehlen vernünftiger Flugzeugtypen sowohl für strategische Bombardements als auch das Erringen der Luftherrschaft führten zur Niederlage Deutschlands in der „Luftschlacht um England“ und einer nachhaltigen Verkrüppelung der Luftwaffe selbst. Aufgrund der effektiven englischen Seeblockade fehlten dem Deutschen Reich zahlreiche kriegswichtige Ressourcen, vor allem Grundnahrungsmittel wie Getreide, Verhüttungsmetalle und seltene Metalle sowie Öl und Kautschuk. Der einzige größere Handelspartner, der verblieb, war die Sowjetunion. Sie stellte besonders Öl und Getreide als Teil des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 zur Verfügung. Das Fehlen besonders der Getreideimporte nach dem Einfall in die Sowjetunion war nur durch die bewusste Hungerpolitik zu kompensieren, der Millionenen von Kriegsgefangenen und Zivilisten zum Opfer fielen, die aber immerhin die „Heimatfront“ beruhigte. 

Erneut zeigten sich im Verlauf des Jahres 1941 deutliche Schwächen der deutschen Kriegswirtschaft auf. In der gesamten Führungselite, besonders aber in der Wehrmacht, herrschte eine Verachtung für die „amerikanischen“ Methoden der Massen- und Fließbandfertigung vor, die nach Ansicht der Wehrmacht nur minderwertiges Material hervorbrachte (vergleiche Artikel „Folgenschwere Fehleinschätzung“). Stattdessen setzte man auf eine breite Palette komplexer und qualitativ hochwertiger, aber aufwändig herzustellender Systeme, was im Kriegsverlauf zunehmend Probleme bereiten würde. Da die Vierjahrpläne zudem eine feste Gewinnmarge für die Unternehmer vorsahen, gab es für die Kriegswirtschaft keinerlei Anreize zur Rationalisierung und sparsamen Ressourcenverbrauch. Teilweise wurden Ressourcen sogar heimlich von Rüstungsproduktionen weg in die wesentlich profitablere Konsumindustrie gelenkt. Todt weitete daher seine Befugnisse deutlich aus und unterwarf die Industrie ab 1941 einer wesentlich strikteren Kontrolle. 

Hochkomplexes Waffensystem: Panzerkampfwagen Tiger
Das System, das Todt sich als Konsequenz ausdachte, war das so genannte „Ausschusssystem“. Es löste die beiden Hauptprobleme auf einen Schlag, indem es der Wehrmacht die Kontrolle über den Rüstungsprozess entzog und gleichzeitig Anreize für rationales Wirtschaften schuf. Wenn Hitler oder ein anderer zuständiger Funktionär ein Projekt – etwa einen neuen Panzertyp – abgesegnet hatten, wurde dieses Projekt dem sogenannten „Hauptausschuss“ zugewiesen. Dieser legte fest, welche verschiedenen Teile benötigt wurden (etwa Munition, Chassis, Ketten, etc.) und wies diese den „Sonderausschüssen“ zu, die sich um die Beschaffung kümmerten. Auf diese Art und Weise wurde die Industrie wesentlich effizienter ausgelastet. Sie war aber immer noch nicht vor plötzlichen Prioritätenwechseln durch „Führerbefehl“ gefeit, der wie immer als chaotischer Faktor eingreifen konnte. Für ihn beeinflussende Untergebene wie Göring, Dönitz oder Rommel war dies natürlich ein geeignetes Mittel, um direkt Ressourcen für ihre Projekte zu bekommen. Gleichzeitig arbeiteten die Ausschüsse, unabhängig von Anforderungen, daran, die verschiedenen verwendeten Systeme zu vereinheitlichen. So waren bisher Munition und Ersatzteile selten kompatibel; Flugabwehrgeschütze der Wehrmacht verwendeten einen anderen Typ als die der Marine. Die Vereinheitlichungsanstrengungen schufen hier deutliche Produktivitätsgewinne. 

Nach Todts Tod übernahm Albert Speer die Rüstungsindustrie und erreichte weitere Produktivitätssteigerungen, indem er etwa „Sparingenieure“ einsetzte, die Rohstoffverschwendung eindämmten. Besonders erhellend ist folgende Episode: Speers Recherchen ergaben, dass viele Betriebe nur eine Schicht fuhren, während gleichzeitig in gigantischem Ausmaß neue Kapazitäten gebaut wurden. Speer ließ diese Neubauten sofort stoppen und stattdessen drei Schichten fahren. Für die Gewinne der Unternehmer und Hitlers Prestige war das ein schwerer Schlag, aber die Produktivität steig erneut deutlich an. 

Luftabwehr in Berlin
Letztlich glichen diese Produktivitätssteigerungen aber zu einem großen Teil nur die Verluste an industrieller Substanz durch die alliierten Luftangriffe aus. Obwohl diese deutlich weniger effizient waren, als ihre Planer es sich erhofft hatten (sie minderten die Produktivität maximal um 30%, eher deutlich weniger, und entfalteten gegen Japan eine um ein vielfaches verheerendere Wirkung) fraßen sie doch Kapazitäten, schon allein, weil Deutschland in die Luftabwehr zu investieren gezwungen war. Nichts destrotz stiegen die Produktionsraten bis 1944 kontinuierlich an, ein Phänomen, das die Alliierten nach 1945 zu emsigen Nachforschungen antrieb. Zwei Faktoren erwiesen sich als entscheidend: zum einen trafen die Luftangriffe nur Endmontagebetriebe und nicht die wirtschaftliche Basis, vor allem die Infrastruktur (deren Zerstörung 1945 brachte die Wirtschaft denn auch zum Erliegen), und zum anderen war die deutsche Wirtschaft vor 1943 schlicht katastrophal ineffizient gewesen. 

Nicht, dass sich dieses Grundproblem jemals wirklich beseitigen ließ. In einem für die deutsche Kriegswirtschaft typischen Akt stieg die Produktivität für die einzelnen Produkte – etwa Jagdflieger oder Panzer – dramatisch an, in Extremfällen um bis zu 600 Prozent. Gleichzeitig aber konzentrierte man sich so auf diese ingenieurtechnischen Höchstleistungen, dass andere Bereiche darunter litten. So stellte man, teils an entlegensten Orten, zwar hochmodernes Gerät her (etwa den Düsenstrahljäger), gleichzeitig wurden aber keinerlei Ersatzteile gefertigt oder ausgeliefert, was das Material effektiv nutzlos machte. Je weiter die Zerstörungen und ab 1944 Gebietsverluste voranschritten, desto mehr war die Industrie auf hastige Improvisationen angewiesen. Spätestens ab März 1945 war das ganze System endgültig und nachhaltig zusammengebrochen, konnten keine Lieferungen mehr getätigt oder Systeme mehr verbunden werden. Der Materialmangel war allumfassend und brachte das Wirtschaftsleben zum fast vollständigen Erliegen – ein wichtiger Faktor bei dem später entstehenden Mythos um die Stunde Null und dem Totalbeginn, den die alliierten Besatzungsmächte durchzuführen gezwungen waren. 

Albert Speer in Nürnberg, 1946
Die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten war, man kann es kaum anders sagen, grotesk. Das vollständige Chaos, das sie kennzeichnete, und seine chronische Ineffizienz hätten in einem Staat, der nicht die bereits komplett industrialisierte Gesellschaft des Deutschen Reichs aufwies, katastrophale Folgen für die Bevölkerung gehabt – ein Experiment, das sich am Beispiel der Sowjetunion oder Chinas unter Mao Tsetung gut nachverfolgen lässt. So aber blockten die Wirtschaftsführer viele der für sie negativen Maßnahmen ab, bremsten sich die Bürokratien gegenseitig aus und verschoben sich beständig Kompetenzen und Prioritäten. Es liegt der Schluss verführerisch nahe, dass eine effizientere Wirtschaftsordnung dem Zweiten Weltkrieg eine gänzlich andere Richtung hätte geben können, aber dieser Schluss führt in die Irre. Der gesamte Krieg ist ein höchst irrationales Unterfangen. Hätten die Nationalsozialisten rational gehandelt, wären sie zu dem Schluss gekommen, dass die angestrebten Ziele unmöglich waren und von ihnen abgekommen, kurz: sie wären nicht die Nationalsozialisten gewesen. Der Zweite Weltkrieg, wie Deutschland ihn führte, ist kaum ohne die spezifischen Strukturen vorstellbar, die die Wirtschaft zu dem chaotischen, ineffizienten Komplex machten, der sie war. 


Bildnachweise: 
Fritz Todt - Bundesarchiv, Bild 146-1969-146-01 / Röhn / CC-BY-SA
Raeder - Imperial War Museum (gemeinfrei)
Pakt - National Archives & Records Administration (gemeinfrei)
Tiger - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Flak - Bundesarchiv, Bild 101I-649-5387-09A / Vieth / CC-BY-SA
Speer - Charles Alexander (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/02/wirtschaftspolitik-im-dritten-reich_21.html

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Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 2

Von Stefan Sasse


Wagenkolonne Hitlers in Wien, 1938
Die Unseriosität des nationalsozialistischen Finanz- und Währungssystems wurde auch dadurch deutlich, dass ab 1935 keine Haushaltspläne mehr veröffentlicht werden durften. Auf diese Art hoffte das Regime, die kritische Haushaltslage zu verschleiern. Da diese Verschleierung, die Mefo-Wechsel und die politische Preisfestsetzung eine seriöse Bewertung der Reichsmark kaum möglich machten, blieben ausländische Investitionen ins Dritte Reich praktisch vollständig aus. Dies führte zu einer chronischen Devisenknappheit, die Importe extrem verteuerte und die ohnehin betriebene Autarkiepolitik zu einer faktischen Notwendigkeit werden ließ. Gleichzeitig sorgte die wirtschaftliche Konzentration auf den Rüstungssektor dafür, dass das Reich auch nicht allzu viele Güter exportieren konnte, was weiter zu der Devisenknappheit beitrug. Die Goldreserven der Reichsbank waren jedenfalls 1938 praktisch vollständig aufgebraucht, ebenso die vorhandenen Devisen. In dieser Situation erwies sich der "Anschluss" Österreichs für die Stabilisierung des deutschen Finanzsystems als wahrer Segen. 

Als im März 1938 deutsche Truppen die Schlagbäume zu Österreich niederrissen und das Land mit dem Deutschen Reich zum "Großdeutschen Reich" vereinten, transferierten Sonderkommandos so schnell wie möglich alle Goldreserven der österreichischen Zentralbank nach Berlin. Dieser Zuschuss von Goldreserven ermöglichte es dem Dritten Reich, seine ruinöse Aufrüstungspolitik bis 1939 fortzuführen, einem Zeitpunkt, an dem der ausbrechende Krieg jegliche Hemmungen beseitigte und zu einer beispiellosen Beuteökonomie führte.

Albtraum der Nazis: Bank-Run auf Sparkasse, 1932
Ein weiteres Problem der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik betraf die Börsen. Sie waren den Nationalsozialisten ohnehin suspekt; das inkohärente NS-Ideologiegebäude hasste sowohl den Kapitalismus (obwohl man sich in der Realität seiner durchaus versicherte) als auch die Juden, und beide waren an den Börsen in konzentrierter Form zu finden. Doch auch den Nationalsozialisten war klar, dass es ganz ohne Börsen nicht gehen konnte. Ohne sie würde die Kapitalversorgung der Unternehmen praktisch unmöglich sein (wenn man nicht den Weg der kompletten Verstaatlichung gehen wollte, der niemals diskutiert wurde). Die resultierenden Maßnahmen waren entsprechend ein Kompromiss und nicht besonders tragfähig. Zum Einen wurde die Zahl der Handelsplätze von 21 auf 9 reduziert, zum anderen die Börsenvorstände gleichgeschaltet und alle Juden aus ihnen entfernt. Diese Maßnahmen führten zu einer deutlichen Verringerung des Börsenaufkommens und reduzierten die Attraktität des deutschen Börsenstandorts deutlich. Besiegelt wurde diese Entwicklung 1934 mit der Verpflichtung, Wertpapiere ausschließlich an seiner jeweiligen Heimatbörse zu handeln. 

Dies war jedoch nicht alles: um mehr Kapital bei den Unternehmen zu belassen, wurde die Ausschüttung von Dividenden an die Aktionäre per Gesetz begrenzt. Auf diese Art und Weise hatten die Unternehmen wesentlich mehr Kapital zur Verfügung, um ihre Investitionen in die Rüstungsindustrie durchzuführen. Gleichzeitig gab es aber praktisch keinen Anreiz für neue Emissionen mehr, was den Kapitalmarkt praktisch verkrüppelte. Im Gegenzug überfluteten die Nationalsozialisten den Anleihenmarkt geradezu mit Staatsanleihen, zu deren Aufnahme die Börsenteilnehmer teils geradezu gezwungen waren. Die Börsen hatten auf diese Art und Weise eine starke Reduzierung des privaten Geldumlaufs hinzunehmen, während gleichzeitig analog zu den Mefo-Wechseln ein Schattensektor etabliert wurde, der der Wirtschaft wie ein Mühlstein um den Hals hing und immer größer wurde. All diese Entwicklungen mussten vor einer breiten Öffentlichkeit verborgen werden, um Runs auf Banken und Börsenplätze wie während der Weltwirtschaftskrise zu verhindern.

BDM Ernteeinsatz
Gänzlich andere Probleme bereitete den Nationalsozialisten die Rohstoffversorgung. Die Autarkiemaxime verlangte gemäß der Blut-und-Boden-Ideologie eine Sebstversorgung mit Nahrungsmitteln durch einen starken primären Sektor der Landwirtschaft. Das Deutsche Reich war aber in den 1930er Jahren bereits ein industrialisierter Staat, der keine starke Bauernschicht mehr brauchte. Das Land exportierte Getreide und importierte andere Nahrungsmittel. Diesem Handel gedachten die Nationalsozialisten ein Ende zu bereiten, indem sie sätmliche Landwirtschaftsverbände gleichschalteten und die verbreitete Landflucht eindämmten. Dabei wurden der Gruppe der ostelbischen Junker viele Privilegien zugestanden, die zu einer deutlichen Schlechterstellung von Beschäftigten in der Landwirtschaft führten. Das Verbot, Höfe ab einer bestimmten Größe zu verkaufen, zwang die Menschen auf dem Land zu bleiben. Die landwirschaftliche Produktion wurde außerdem deutlich subventioniert. Trotzdem gelang es nicht einmal, das Niveau von 1913 zu halten; die Vernichtung landwirtschaftlicher Nutzfläche durch den Bau von Befestigungsanlagen und Autobahnen und vor allem der massive Mangel an Dünger und modernen Maschinen ließ die Landwirtschaft effektiv auf einem Niveau des 19. Jahrhunderts stecken. Viele landwirtschaftliche Rohstoffe mussten über ausländische Staaten bezogen werden. Selbst mit der Hinzunahme des Sudetenlandes, Österreichs und des Memellands 1939 erreichten die Nationalsozialisten nur eine Selbstversorgerquote von 83%. 

Das Deutsche Reich war kein besonders rohstoffreicher Staat. Zwar gab es einige Eisen- und Kohlefördergebiete; an die Bedürfnisse eines industrialisierten Staates reichten deren Fördermengen aber nie heran, besonders nicht, seit die schlesischen Gebiete größtenteils durch den Versailler Vertrag verloren gegangen waren. Da dem Land die Devisen fehlten, mit denen man hätte größere Mengen Rohstoffe auf dem normalen Handelsweg importieren könnte, musste man zu so genannten "Clearing"-Verträgen greifen, zu denen aber bei weitem nicht alle Länder bereit waren (besonders die größeren nicht). Bei einem Clearing-Vertrag werden Lieferungen gegeneinander verrechnet - eine moderne Form des Tauschhandels. Besonders die Länder des Balkans und Skandinaviens entwickelten sich hier zu wichtigen Handelspartnern Deutschlands. Für den Rüstungssektor nahm besonders Schweden eine zentrale Rolle ein, dessen Eisenerze für die Rüstungsindustrie überlebenswichtig waren. Die grundsätzliche Devisenknappheit und Autarkiepolitik sorgten dafür, dass das Ausmaß des gesamten Außenhandels während der Friedensjahre praktisch nicht anstieg. Bedenkt man, auf welchem Niveau der Außenhandel wegen der Weltwirtschaftskrise war, so ist das ein erbärmliches Zeugnis der NS-Wirtschaftspolitik. 

Hermann Göring (l., neben Hitler)
In der Führungsspitze der Partei stellten derlei Überlegungen jedoch keinerlei Rolle. Hitler gab stattdessen 1936 die Order, einen Vierjahresplan auszuarbeiten. Bevollmächtigter hierfür wurde Hermann Göring, der damit weisungsbefugt auch für das Wirtschaftsministerium wurde und eine nie dagewesene Machtfülle auf seine Person vereinte, die er auch weidlich nutzte, um seine eigenen Taschen zu füllen. Hitler gab für den Vierjahresplan genau zwei Direktiven aus: 
1) Die deutsche Armee muss in vier Jahren kriegsbereit sein. 
2) Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsbereit sein. 
Viel weiter gingen seine Überlegungen nicht. Diese Vorgaben waren reiner politischer Wille, sie fanden keinerlei Entsprechung in der Realität. Die deutsche Wirtschaft war bei weitem nicht leistungsfähig genug, um diese Ziele zu erfüllen. Hermann Göring, beileibe kein Volkswirtschaftler von Hause aus, kümmerte sich ebenfalls wenig um wirtschaftliche Gegebenheiten, sondern setzte mit brachialer Gewalt alle Ziele um.

Da es beim Vierjahresplan allein um die militärische Leistungsfähigkeit ging, wurden zivile Wirtschaftsführer in die militärischen Strukturen eingebunden, um so die privatwirtschaftlichen Interessen weitgehend auszuschalten. Die Unterstellung des gesamten Projekts an die Militärführung, ohne dass eine einheitliche Organisation erkennbar wäre (Göring verwaltete den Vierjahresplan auf ad-hoc-Basis) sorgten dafür, dass die gesamte Aufrüstung äußerst chaotisch verlief. Die drei Teilstreitkräfte - Heer, Luftwaffe, Marine - meldeten jeweils einen Bedarf an, der die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ausreizen musste. Die Marine etwa stellte den ehrgeizigen Plan Z auf, mit dem die deutsche Marine 1945 die Größe der britischen erreichen würde. Ein so größenwahnsinniger Plan musste das Gefallen Hitlers finden, der folgerichtig Großadmiral Raeder auch sein Placet dazu gab. Göring, dem die Luftwaffe als Steckenpferd unterstand, wünsche sich natürlich eine nie dagewesene Luftwaffe, während den Beteiligten klar war, dass die Wehrmacht letztlich für eine Kontinentalmacht wie Deutschland das wichtigste Gerät blieb. Die Folge dieses Gerangels um Kompetenzen waren ständige Improvisationen und Prioritätenänderungen, je nachdem, welcher Lobbyist sich gerade einen Führerbefehl erschleichen konnte, der die gesamte Rohstoffverteilung durcheinander brachte. Dass in diesem heillosen Chaos überhaupt eine halbwegs vernünftige Armee entstand ist bemerkenswert. 

Modell der Graf Zepellin
Alle Beteiligten besaßen zudem eine unglaubliche Besessenheit mit Prestigeobjekten, die militärisch völlig sinnlos waren, aber in ihrer Gigantomanie Maßstäbe setzten. So verschwendete die Marine massenhaft Ressourcen in einem unzureichend durchdachten Flugzeugträger (die "Graf Zeppelin"), der nie fertiggestellt wurde, baute die Luftwaffe Flugzeugprototypen, die eklatante Schwächen hatten, aber auf irgendeinem Feld einen Superlativ darstellten und lieferten sich die Panzerkonstrukteure einen Wettlauf um den größten und schwersten Panzer, der in so albernen Konstruktionen wie dem "Maus" mündete. Mangels moderner, tauglicher Prototypen, für die dank dieser völlig fehlgeleiteten Prioritäten keine Ressourcen bereitstanden, wurden dafür in hohen stückzahlen veraltete Modelle produziert, etwa der Sturzkampfbomber Ju-87, der nur gegen einen Feind ohne einsatzfähige Luftwaffe wirklich effektiv war. Für einen modernen Konflikt essenzielle Techniken wie die Funkmesstechnik, moderne Produktionsabläufe und Ähnliches wurden dagegen sträflich vernachlässigt. 

Geradezu aberwitzig aber mutet die Aussetzung des Rentabilitätsprinzips durch Göring an. Im sicheren Wissen, dass die Rohstoffe bei weitem nicht ausreichend waren, um die gesteckten Ziele zu erreichen, ordnete er an, dass keine Gedanken mehr an die Rentabilität von Unternehmungen verschwendet werden sollten. So sollte die Schwerindustrie etwa selbst dreißigprozentiges Eisenerz verhütten. Die Industriellen weigerten sich, das mitzumachen, und so baute Göring seinen eigenen schwerindustriellen Komplex auf, indem ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Rentabilität produziert werden konnte. Finanziert wurden diese Maßnahmen auf Pump, über Enteignungen und Mefo-Wechsel. Innerhalb kürzester Zeit fraß sich der Vierjahresplan durch die Substanz der deutschen Wirtschaft. Ohne einen massiven Influx von neuen Rohstoffen würde die Produktion nicht über 1940 hinaus aufrechtzuerhalten sein. Nicht mehr wehren konnten sich die Industriellen gegen direkte Befehle, ihre Produktionskapazitäten auf ein Maß auszuweiten, das den Bau all dieser Projekte erlaubte - ohne die notwendigen Rohstoffe oder Arbeiter zu besitzen, wohlgemerkt. Im Gegenzug berechneten die Industriellen absurd überhöhte Preise, eine Maßnahme, die sie bereits mit den Mefo-Wechseln ergriffen hatten und die die verdeckte Inflation im Reich immer weiter in die Höhe trieb. Das Deutsche Reich hatte gigantische Überkapazitäten geschaffen, die gewissermaßen im Leerlauf liefen.

Adolf Hitler auf der Prager Burg, 1939
Die letzte große Gelegenheit für die wirtschaftlichen Planer, den unvermeidlichen Zusammenbruch noch einmal auf friedliche Art und Weise hinauszuzögern, war die Zerschlagung der Tschechoslowakei. 1939 besetzten die deutschen Truppen in einem Bruch des Münchner Abkommens Prag, spalteten die Slowakei als nominell unabhängigen, wirtschaftlich und politisch aber Deutschland unterworfenen Staat ab und plünderten die Ressourcen Tschechiens ("Böhmen und Mähren"), dessen vorherhige Mobilisierung gegen einen erwarteten deutschen Angriff nun eine große Menge fertiger Rüstungsgüter in deutsche Hände brachte. Spätestens im Sommer 1939 aber war absehbar, dass die Wirtschaft nicht mehr lange auf diese Art würde funktionieren können. Hjalmar Schacht war seinen Posten als Reichsbankpräsident inzwischen los. Die Ausplünderung unterworfener Nationen war für die Nationalsozialisten der einzig gangbare Weg, um ihren wirtschaftlichen Raubbau aufrecht zu erhalten.

Literaturhinweise:
Bernhard Chiari - Ökonomie und Expansion
Rolf Walter - Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart
Harold James - Die Deutsche Bank im Dritten Reich
Wolfgang König - Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft
Sabine Groß - Made in Germany

Bildnachweise:
Wagenkolonne - Bundesarchiv, Bild 146-1972-028-14 / CC-BY-SA
Bank-Run - Bundesarchiv, Bild 102-12023 / Georg Pahl / CC-BY-SA
BSM-Einsatz - Bundesarchiv, Bild 183-E10868 / CC-BY-SA
Hermann Göring - Bundesarchiv, Bild 146-1980-048-11A / CC-BY-SA
Modell - Raboe001 (CC-BY-SA 2.5)
Prager Burg - Bundesarchiv, Bild 183-2004-1202-505 / CC-BY-SA

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/02/wirtschaftspolitik-im-dritten-reich_5.html

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Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 1

Von Stefan Sasse

Arbeitslosenzahlem von 1933 bis 1939
Die Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus ist von Mythen umrankt. Das ist verständlich, denn die NSDAP kam im Umfeld der größten Wirtschaftskrise mehrerer Generationen an die Macht und stabilisierte ihre Herrschaft auch durch scheinbare wirtschaftliche Erfolge, der größte davon eine nominelle Vollbeschäftigung. Und zum Ende waren nicht nur die Alliierten verwundert, wie das zusammengebombte Dritte Reich es schaffte, immer noch eine Rüstunsmaschinerie am Laufen zu halten. Im Folgenden soll deswegen der Wirtschaftspolitik des Dritten Reichs auf den Grund gegangen werden - sowohl im Frieden als auch, später, im Krieg.

Zu Beginn stehen die Konzepte. Die wichtigste Idee der Nationalsozialisten war die Autarkie. Sie verstanden darunter die Fähigkeit Deutschlands, völlig ohne Importe auszukommen und einen in sich geschlossenen Wirtschaftskreislauf zu schaffen. Diese Idee fußte auf zwei gleichermaßen fixen Ideen. Die erste war das grundsätzliche Misstrauen gegenüber marktwirtschaftlichen Strukturen, besonders im Handel mit anderen Nationen (eine Haltung, mit der die Nazis in den Protektionismus-geplagten 1920er und 1930er Jahren allerdings nicht alleine standen), die zweite das Bewusstsein, dass man es auf einen Krieg anlegte und in einem solchen eine Abhängigkeit vom potenziell feindlichen Ausland verheerend sein würde. Der Autarkismus sah die Schaffung eines eigenständigen Wirtschaftsblocks vor, der nicht nur aus Deutschland bestand, aber klar von Deutschland dominiert wurde. Die NS-Planer dachten an eine Art Kolonialreich, modelliert an einem völlig idealisierten Bild des britischen Weltreichs. Deutschland würde Rohstoffe aus nachgeordneten Staaten besziehen - vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan - und diese für seine eigene Wirtschaft nutzen. So wäre es komplett unabhängig vom Welthandel.

5 Reichsmark, 1942
Das Konzept diente natürlich nicht der bestmöglichen Versorgung der Bevölkerung und ihrem Wohlergehen, sondern war den Interessen der so genannten Wehrwirtschaft untergeordnet - die Autarkie war lediglich ein wenn auch entscheidender Wegstein zur Vorbereitung eines Krieges. Sie musste instande sein, genügend Ressourcen für den militärischen und die Aufrechterhaltung eines rudimentären zivilen Sektors zu beschaffen (hierzu später mehr), den Treibstoff für die Fahrzeuge bereitszustellen, eine Infrastruktur aufzubauen, die schnelle Truppenverlegungen ermöglichte und all das auch finanzieren.

Den Nationalsozialisten war klar, dass die Errichtung dieser Wehrwirtschaft klar zulasten einer zivilen Wirtschaft, besonders der Konsumgüterindustrie, gehen musste. Stets das Schreckbild des Zusammenbruchs 1918 vor Augen definierten sie die zuverlässige Versorgung der Bevölkerung mit den Gütern des täglichen Bedarfs als höchste Priorität, die auch in der Tat wesentlich zum langen Durchhalten Nazi-Deutschlands beitrug. Die Versorgung mit Lebensmitteln musste gesichert werden, ebenso mit den Gütern, die zur Aufrechterhaltung des Propagandapperats notwendig waren - Zeitungen, Radios, Kinoeintritt u.ä. Des Weiteren wurden einige propagandistische Programme wie der Volkswagen initiiert, mit denen das Volk gegenüber dem Regime positiv gestimmt werden sollte. Vordringlichstes Ziel musste daher die Beendigung des Brüning'schen Austeritätsprogramms und die Herstellung von Vollbeschäftigung sein. Die Verbreitung bestimmter wirtschaftlicher Güter, vor allem Autos, sollte propgandistisch die Leistungsfähigkeit des Regimes herausstreichen. 

Saalebrücke bei Hirschberg - Man achte auf den regen Verkehr.
Mit diesen Zielsetzungen ging das Regime an die Planung seiner Wirtschaft. Aufbauend auf den Weimarer Programmen zum Infrastrukturausbau trieben die Nationalsozialisten den Ausbau der Autobahnen voran. Um möglichst schnell die Arbeitslosigkeit abbauen zu können, nutzten sie eine künstliche Manualisierung der Arbeit: mit primitiven Werkzeugen wie Hacken und Schaufeln, ohne großartigen Maschineneinsatz, wurde der Arbeitskräftebedarf künstlich vervielfacht. Tausende von schlecht ausgebildeten Arbeitslosen konnten hier zum Einsatz kommen. Da die Arbeit hart, schlecht bezahlt und von widrigen Umständen begleitet war - die Arbeiter mussten ihre schäbigen Unterkünfte selbst bauen - gab es kaum Freiwillige, weswegen das Regime die Arbeitslosen einfach zum Einsatz zwang. Die Maßnahme war vor allem propagandistisch erfolgreich und brachte eine sechsstellige Zahl Arbeitsloser in Arbeit; die Autobahnen selbst waren wegen der geringen Motorisierung unbedeutend; Truppenverlegungen geschahen ohnehin per Eisenbahn.

Die Nationalsozialisten gingen außerdem zügig daran, eine Kernforderung der Unternehmer zu erfüllen - die ihnen natürlich auch gelegen kam - und zerschlugen noch im Mai 1933 die Gewerkschaften vollständig. An ihre Stelle trat die DAF, die "Deutsche Arbeitsfront", die aber kein effektives Verhandlunsorgan war.  Als Ausgleich wurde die KdF, die "Kraft durch Freude", aufgebaut, eine Organisation, die Urlaubsreisen für Arbeitnehmer organisierte. Den größten Effekt auf die Arbeitslosigkeit aber hatten zwei Maßnahmen, beide 1935: die Einführung des "Reichsarbeitdiensts", in den Männer bis zum Alter von 24 eingezogen wurden und der effektiv unbezahlte, körperliche Arbeit darstellte, und die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die die Zahl der Soldaten von 100.000 auf eine Million steigerte - und die Arbeitslosigkeit unter jungen Männern praktisch vollständig beseitigte. Ein effektiver Preisstop fror dazu die Löhne und Preise etwa auf dem Niveau von 1933 ein - der Lebensstandard im Reich lag damit unter dem von 1928, aber natürlich deutlich über dem der Jahre 1930-1932, die für die meisten Menschen den einzig gültigen Vergleichssmaßstab darstellten. 

Speisung im Obdachlosenasyl 1932
Es ist wichtig an dieser Stelle den Unterschied zwischen relativem und absolutem Wohlstand zu verstehen. Den Menschen ging es zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur im allgemeinen besser als während der Wirtschaftskrise, aber schlechter als in der Weimarer Republik. Nur war dieser feine Unterschied natürlich rein akademisch - wer drei Jahre lang in grausamen wirtschaftlichen Umständen gelebt hat erinnert sich nicht mehr realistisch an das, was vorher war (besonders wenn dieses Vorher ohnehin beständig denunziert wird). Bewusst war vor allem eines: die Massenarbeitslosigkeit war vorüber, und praktisch niemand mehr musste Angst davor haben, kein Brot auf den Tisch zu bekommen. Angst betraf einige andere Gruppen, vor allem ehemalige aktive Demokraten, Kommunisten und Juden. Diese Gruppen verloren enorm an wirtschaftlicher Sicherheit, allen voran die Juden.

Neben den propagandistischen Maßnahmen - vor allem der in Szene gesetzte Autobahnbau und die Einführung des Reichsarbeitsdiensts - fanden im Hintergrund umfrangreiche Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik statt. Diese Richtungswechsel wurden mit großem Aufwand vor der Öffentlichkeit innerhalb wie außerhalb Deutschlands verborgen, denn sie waren alles andere als hasenrein. Letztlich ging es Hitler darum, dass die Wirtschaft möglichst schnell einen akzeptablen Lebensstandard bereitstellte und andererseits in der Lage war, die geplante Aufrüstung zu schultern. Dies konnte nur mit einer expansiven Wirtschaftspolitik erreicht werden, doch diese würde unweigerlich destabilisierend wirken. Eine trabende Inflation aber konnte man sich genausowenig leisten wie eine Aufnahme von größeren Schuldenbeträgen. Letzteres war in der Weltwirtschaftskrise mangels Kreditgebern ohnehin nicht möglich. Der Vorsitzende der Reichsbank, Hjalmar Schacht, brauchte also dringend eine Möglichkeit, die ab 1935 rasch ansteigenden Rüstungsausgaben mit einer Art Schattenwirtschaft zu finanzieren, denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes reichte eigentlich gerade aus, um den Lebensstandard der Deutschen wieder auf das Niveau Ende der 1920er Jahre zu bringen (das übrigens im ganzen Dritten Reich nie wirklich erreicht wurde).

Funktionsweise der Mefo-Wechsel
Zu diesem Zweck grüdnete er zusammen mit vier namhaften deutschen Unternehmen - Siemens, Gutehoffnungshütte, Krupp und Rheinmetall - die "Metallurgische Forschungsgesellschaft", eine reine Tarnfirma. Diese "Mefo" diente lediglich einem Zweck: eine zweite Unterschrift für Wechsel bereitzustellen, mit denen diese zum gesetzlichen Zahlungsmittel werden konnten. Offiziell deckten diese vier Unternehmen also von der Reichsbank ausgegebene Wechsel, die nicht auf Gold oder anderen Werten basierten, wie es die Reichsmark offiziell tat. Die Eigenkapitaleinlage der Mefo betrug gerade einmal eine Million Reichsmark - bedenkt man, dass bis 1938 Wechsel über insgesamt 11,9 Milliarden Reichsmark ausgestellt wurden erkennt man den gewaltigen Hebel, mit dem hier gearbeitet wurde.

Da hinter den Wechseln keine echten Werte standen, konnte das Reich die damit getätigten Einkäufe natürlich kaum bezahlen. In der Realität wurden daher nur rund 40% der mit den Wechseln getätigten Einkäufe tatsächlich bezahlt. Die restlichen 60% wurden als Anteile auf spätere Einnahmen und Steuernachlässe gutgeschrieben. Dies führte zu zwei Entwicklungen: zum einen gruben die Mefo-Wechsel dem Reich innerhalb kürzester Zeit die Steuerbasis ab, weil ja gewaltige Steuergutschriften aufliefen. Und zum anderen entstand eine kurzfristig in die Zukunft verlagerte Notwendigkeit, neue Einkommensquellen zu erschließen, um die Wechsel zu bedienen. In den Firmen selbst wurde das System natürlich schnell durchschaut. Da mit nur 40% des Warenwerts kaum gewirtschaftet werden konnte, begannen die Firmen in gewaltigem Umfang die Bilanzen zu frisieren und um ein vielfaches höhere Preise abzurechnen. Das ab 1934 von Hermann Göring gesteurte Wirtschaftsministerium konnte dagegen wenig unternehmen - die Mefo-Wechsel hatten eine gegenseitige Symbiose geschaffen. Weder konnte das Wirtschaftsministerium die Bilanzfälschungen anprangern noch die Firmen die Wechsel einlösen. 1938 wurde die Ausgabe der Wechsel gestoppt, ermöglichte bis dahin aber die Aufrüstung auf ein Niveau, das in etwa dem der Nachbarstaaten entsprach.

Bildnachweise: 
Arbeitslosenrate - Hedwig Klawuttke (CC-BY-SA 3.0)
Reichsmarl - Bildarchiv der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main (gemeinfrei)
Autobahnbrücke - Bundesarchiv, Bild 146-1979-096-13A / CC-BY-SA
Obdachlosenasyl -  Bundesarchiv, Bild 183-R96268 / CC-BY-SA
Mefo-Wechsel - Guido Golla (CC-BY-SA 3.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/02/wirtschaftspolitik-im-dritten-reich.html

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Buchbesprechung: Why Nations Fail

Von Stefan Sasse

"Why nations fail" verspricht bereits im Titel eine umfassende Gesamtanalyse. Große Theoriegebäude, die den Anspruch haben Erklärungen für politische Phänomene quer durch die Jahrhunderte und Kontinente zu bieten sind seit Karl Marx etwas aus der Mode gekommen, aber Daron Acemoglu und James A. Robinson unternehmen genau das. Das Ergebnis überzeugt, vor allem deswegen, weil die Theorie, die sie entwerfen, relativ simpel ist und nur ein Fundament für folgende Detailstudien bietet. In ihrer Erklärungskraft aber ist sie beeindruckend und verdient mindestens eine tief gehende Betrachtung. Die Autoren gehen in ihrem Buch dabei so vor, dass sie ihre Theorie kurz skizzieren und dann anhand zahlloser, meist historischer Beispiele empirische Evidenz zu schaffen versuchen. Die Frage, um die sich alles dreht, ist dabei die folgende:
Im 15. Jahrhundert war der Prosperitätsunterschied in allen Regionen der Erde nicht besonders groß - selbst Menschen im Kongo genossen mindestens 25% des Lebensstandards in Europa. Heute liegt diese Schere bei einem Faktor, der etwa bei 30 liegt - also etwa 3% des Lebensstandards. Die Schere entwickelt sich aber Industriellen Revolution auseinander. Warum also beginnt die Industrielle Revolution ausgerechnet in Großbritannien und erfasst dann die gesamte westliche Welt, während der Rest der Welt bis heute kaum in der Lage scheint, diese Entwicklung nachzuvollziehen? Die Beispiele Koreas und Japans zeigen, dass es keine Frage des Technologievorsprungs sein kann, denn den holten sie relativ schnell auf.

Die Antwort der Autoren ist interessant: es steht und fällt mit der Ausgestaltung politischer und ökonomischer Institutionen. Beide charakterisieren sie entweder als inkludierend oder als extraktiv. Eine inkludierende politische Institution erlaubt möglichst vielen Gruppen eine Teilhabe an der Macht - etwa in unseren modernen Demokratien, wo prinzipiell jede Gruppe ihre Anliegen frei vertreten (nicht zwingend durchsetzen) kann. Extraktive politische Systeme beschränken die Macht auf eine kleine Elite und erlauben keine Teilhabe der Mehrheit, etwa in Diktaturen, dem autoritären Russland und China oder den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Inkludierende wirtschaftliche Institutionen haben niedrige Einstiegsschwellen, breitere Einkommensstreuung und erlauben kreative Zerstörung; extraktive Systeme haben hohe Eintrittshürden (häufig politische Beziehungen), sichern Besitz nicht und ziehen Reichtum zugunsten einer kleinen Elite ab. Besitzt ein Land extraktive Institutionen, kann es nicht wachsen - es gibt keinerlei Anreize für Innovationen und Investitionen.

Die Autoren erklären außerdem, dass auf Dauer Verbindungen extraktiver und inkludierender Systeme nicht möglich sind - das heißt, wenn ein Land sein ökonomisches System inkludierend gestaltet, um Wirtschaftswachtum zu erzeugen, werden entweder seine politischen Institutionen ebenfalls inkludierend werden müssen, oder aber das Wirtschaftssystem wieder extraktiv werden. Ein Beispiel hierfür ist England: Die Liberalisierung der Wirtschaft (inkludierendes System) wird von einer stetigen Ausweitung politischer Rechte (ebenfalls inkludierend) gefolgt, weil die Gewinner der wirtschaftlichen Entwicklung (neue Eliten) diesen Erfolg auch politisch sichern wollen, während die Verlierer (alte Eliten) ihren bewahren möchten. Gewinnen die alten Eliten diesen Konflikt, wird die Wirtschaft wieder extraktiv. Am Beispiel Englands: Die frühen Fabrikanten und Großhändler erhalten Mitsprache im Parlament (neue Eliten), der Adel (alte Eliten, wirtschaftlich auf Landwirtschaft fixiert) verliert an Macht. Den neuen Eliten gelingt es aber nicht, ihren eigenen Status zu bewahren, als neue Innovationen aufkommen - stattdessen erhalten neue Gruppen Mitspracherecht, und so weiter und so fort. Die Autoren nennen dies den "tugendhaften Kreislauf"; ein Erfolg gebiert den nächsten. Das Gegenteil des Ganzen ist der "Teufelskreis", in dem extraktive Systeme neue extraktive Systeme gebieren. Beispiele dafür finden sich in der Kolonialgeschichte. Die europäischen Kolonialherren entmachten die regionalen Despoten und führen ein eigenes Ausbeutungssystem ein. Als die Kolonien unabhängig werden, treten neue Ausbeuter auf den Plan. Eine extraktive Institution wird von der nächsten abgelöst. Historisch ist der Teufelskreis wesentlich häufiger, denn der "tugendhafte Kreislauf" kann jederzeit unterbrochen werden: Sobald eine Gruppe ihre eigene Machtstellung absichert, indem sie neue Eliten ausschließt (und damit Kreative Zerstörung verhindert), werden die Systeme extraktiv. Microsoft hätte beispielsweise alle Mitbewerber ausschalten können, wenn das US-Kartellamt das nicht verhindert hätte und diesen Markt extraktiv gestalten können.

Viel Gewicht der Autoren liegt auf dem Prozess der Kreativen Zerstörung. Neue Innovationen zerstören stets alte Strukturen, und die alte Elite hat daran kein Interesse und versucht es zu verhindern. So wurden mechanische Webstühle ähnlich dem Weberschiffchen, die zu den Zündungsfunken der Industriellen Revolution wurden, bereits im Römischen Weltreich und Elisabeth I. erfunden und den jeweiligen Monarchen präsentiert. Sowohl der römische Kaiser als auch die englische Königin reagierten gleich: Sie ließen die Erfindung vernichten und den Erfinder kaltstellen. Sie fürchteten die Kreative Zerstörung, denn die Erfindung würde viele Handwerker arbeitslos machen und ihre politische Machtstellung gefährden (Unruhe gefährdet politische Macht immer, man blicke nur auf den aktuellen Prozess von Internet-Partizipation und dem Aufstieg der Piraten als harmloses Beispiel). Daher auch die lange Phase der Stagnation in Technik im römischen Kaiserreich, dem Mittelalter und durch die Neuzeit hindurch in Europa. Die Eliten bewahren das Bestehende und erlauben keine kreative Zerstörung. Ein besonders krasses Beispiel ist ein Königreich in Afrika im 17. Jahrhundert, in dem die Menschen nicht einmal das Rad und den Pflug einführten. Da die Besitzrechte nicht gesichert waren und der König in extraktiver Tradition allen Besitz auf sich konzentrierte, bestand für Bauern nie ein Anreiz, effizienter zu arbeiten. Weder Rad noch Pflug waren in dem Königreich verbreitet, obwohl sie als Konzept durchaus bekannt waren.

Es ist wichtig, dass die Autoren die Möglichkeit von Wirtschaftswachstum unter extraktiven Systemen in ihre Theorie einbezogen haben. Das beste Beispiel hierfür, über das sie auch lange berichten, ist die Sowjetunion, die zwischen dem Ende der 1920er und dem Ende der 1960er Jahre eine Phase beispiellosen Wirtschaftswachstums erreichte, das bei etwa 5% jährlich lag und viele Ökonomen auch in der westlichen Welt von der Überlegenheit des sowjetischen Modells sprechen ließ. In den 1950er Jahren gingen viele seriöse amerikanische Ökonomen davon aus, dass die Sowjetunion Ende der 1980er Jahre die USA an Wirtschaftsleistung und Lebensstandard überflügeln würde. Stattdessen rutschte die Sowjetunion in den 1960er Jahren in eine Rezession, aus der sie nie wieder herauskam. Der Grund dafür liegt laut den Autoren darin, dass das forcierte Wirtschaftswachstum in einem extraktiven System wie der Sowjetunion (die Gewinne kamen hauptsächlich der Parteielite zugute) quasi aus der Substanz erfolgt. Das russische Zarenreich lag weit unter seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Sowjets konnten also ein Wirtschaftswachstum dadurch forcieren, diese gigantischen Potenziale zu erschließen. Da sie es ohne Rentabilitätsgedanken taten, fraßen sie dabei aber die Substanz auf (man denke nur an die aus dem Boden gestampften, sinnlos riesigen Industriekomplexe mitten im Nirgendwo). Dieses Wachstum kann nicht nachhaltig sein.

Dieses Argument ist für die Autoren zentral in ihrer Bewertung des chinesischen Wirtschaftswachstums. Sie sagen, dass es sich um extraktive Institutionen handelt und das Wachstum daher nicht nachhaltig sein kann. Macht China so weiter wie bisher, wird es ebenfalls irgendwann deutlich stagnieren - und zwar sicher, bevor es den Westen eingeholt hat. Es ist wichtig, dass dies kein Automatismus ist - würden die Chinesen etwa ihr politisches System inkludierender gestalten, so wäre es durchaus möglich, dass das Wachstum nachhaltig wird. Nur, derzeit ist ihr System extraktiv, und unter diesen Bedingungen kann kein nachhaltiges Wachstum entstehen, da die alten Eliten sich der einhergehenden Kreativen Zerstörung versagen werden.

Die Lektüre des Buchs ist mehr als nur gewinnbringend. Selbst wenn man den Thesen nicht zustimmen sollte, bietet das Buch in seinen zahllosen historischen Beispielen hochinteressanten Lesestoff, muss man sich mit dem Gedankengebäude doch auseinandersetzen und es argumentativ durchdringen. Ich kann jedem nur empfehlen, sich den Gedanken der Autoren zu widmen; der Gewinn ist kaum zu messen.

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Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/01/buchbesprechung-why-nations-fail.html

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Schlaglichter auf die Geschichte, Band 3

Von Stefan Sasse

„Schlaglichter auf die Geschichte“ ist ein Lesebuch zur Geschichte. Es bietet kurze Kapitel, die sich auf etwa zehn bis zwanzig Seiten mit einem spezifischen Thema auseinandersetzen und auf dem Stand der aktuellen Forschung allgemein verständlich darlegen. Das Spektrum dieser Artikel ist breit gewählt und reicht von der Antike über das Mittelalter in die Frühe Neuzeit und in unsere Gegenwart hinein. Schwerpunkte sind die Geschichte Deutschlands und der USA. Viele dieser historischen Themen werden dabei unter dem Fokus von bestimmten Problemen untersucht, die in der entsprechenden Epoche maßgebend waren.


So findet sich im Buch eine Einführung in die Parteien der Weimarer Republik neben einer Geschichte der französischen Republiken zwischen Französischer Revolution und Zweitem Weltkrieg, enthält das Buch eine Abhandlung über die Außenpolitik der Bonner Republik und eine detaillierte Analyse der Deutschen Einheit. Besondere Schmankerl in diesem Band sind eine komplette Geschichte des Supreme Court und ein kontrafaktisches Szenario, das die möglichen Auswirkungen eines deutschen Siegs im Ersten Weltkrieg darstellt.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Themen, die eine komplette Epoche beschreiben und deren Relevanz anhand einer spezifischen Problemstellung greifen, befassen sich andere Artikel mit sehr speziellen Themen. Beispiele für solche Themen sind etwa zeitgenössiche Debatten zu historischen Themen wie die Frage, ob "Mein Kampf" neu aufgelegt werden sollte oder ob Nazi-Vergleiche gemacht werden sollten. In einem Überblicksartikel werden die amerikanischen Präsidenten zusammen mit den Animaniacs erklärt, und ein Essay widmet sich der Frage, ob das Ende der amerikanischen Ureinwohner Völkermord war.

Für „Schlaglichter auf die Geschichte“ wurden die verwendeten Artikel noch einmal grundlegend überarbeitet. Jeder Band dieser Reihe enthält eine Auswahl von Artikeln zu den verschiedensten Themen.

Die Problemorientierung der Artikel und ihre prägnante Kürze ermöglicht dem historisch interessierten Publikum einen schnellen Einstieg ins Thema, die Aktualität des Forschungsstands und die pointierten Thesen regen das Nachdenken und Reflektieren an und heben „Schlaglichter auf die Geschichte“ damit von anderen Geschichtsüberblicken ab. In diesem Band finden Sie:

- Das Parteiensystem der Weimarer Republik
- Die SPD im Wahlkampf 1972
- Zur Steinbach-Debatte
- Die Geschichte des "Supreme Court of the United States”
- Die rechtlichen Grundlagen des Prinzipats
- Die Außenpolitik der Bonner Republik
- Zur Debatte um die Wiederauflage von „Mein Kampf“
- Drei Sätze, die die Welt veränderten
- Der Versailler Vertrag
- Der internationale Nazi-Vergleich und seine Helfershelfer
- Die amerikanischen Präsidenten…mit den Animaniacs
- Gurkentruppe in Lack und Leder
- Von der Ersten zur Dritten Republik
- Die DDR – ein Staat auf Abruf
- Weihnachten wieder zu Hause? Ein kontrafaktisches Szenario
- War das Ende der amerikanischen Ureinwohner Völkermord?
- Der 9. November – ein deutscher Tag in einem deutschen Jahrhundert
- Die deutsche Einheit
- Vom Elend des deutschen Geschichtsfernsehens
- War im Geschichts-Fernsehen früher alles besser?

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/01/schlaglichter-auf-die-geschichte-band-3.html

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