Die Schultern, auf denen wir stehen

Die Parallelen zwischen den Bibeldeutungen des Hieronymus und Auslegungstraditionen der rabbinischen Literatur, die wir in diesem Blog untersuchen, sind anderen Wissenschaftlern schon viel früher aufgefallen. Ihre Namen sind verbunden mit der aufblühenden jüdischen Wissenschaft, die u.a. in Breslau am dortigen Jüdisch-Theologischen Seminar ein wichtiges Zentrum hatte. Im Folgenden sollen hier drei Vertreter dieser großen Tradition kurz vorgestellt werden.

Moritz Rahmer (1837-1904)

In Breslau hatte Mitte des 19. Jahrhunderts Rabbiner Dr. Moritz Rahmer studiert, der vor allem in Magdeburg wirkte (Kurzbiografie der Universität Magdeburg). Er publizierte in jüdischen wissenschaftlichen Zeitschriften seine Untersuchungen zu den hebräischen Traditionen bei Hieronymus und lieferte damit die unmittelbare Vorlage für die Arbeit dieses Blogs. Aufgrund seiner umfassenden Bildung war Rahmer nicht nur in der Lage, die rabbinische Literatur, sondern auch die Schriften der Kirchenväter zu überblicken. Durch ihn bin ich beispielsweise auf die bemerkenswerte Darstellung des Hieronymus gestoßen, wie sich der sich lateinische Kirchenvater seine Kenntnisse der hebräischen Sprache aneignete. Diese Bildung Rahmers stellt für heutige Leser eine Herausforderung dar: Lateinische oder hebräische Zitate werden von ihm grundsätzlich nicht übersetzt, da er das Verständnis beider Sprachen voraussetzt.

Louis Ginzberg (1873-1953)

Louis Ginzberg

Louis Ginzberg

Wahrscheinlich bekannter als Rahmer dürfte Louis Ginzberg sein, dessen monumentales Werk The Legends of the Jews (1909-1928)  weite Verbreitung gefunden hat. Ende des 19. Jh. schrieb er in Heidelberg eine Dissertation zum Thema: Die Haggada bei den Kirchenvätern. Der später nach Amerika ausgewanderte Wissenschaftler, der jahrzehntelang am Jewish Theological Seminary of America einen Lehrstuhl innehatte, zeigt hier seine souveräne Beherrschung des Themas. Sprachlich gilt das selbe für ihn wie für Moritz Rahmer: Die Beherrschung der lateinischen und der hebräisch/aramäischen Sprache und Literatur ist ihm Selbstverständlichkeit.

Samuel Krauss (1866-1948)

Samuel Krauss

Samuel Krauss

Der nächste Wissenschaftler ist Prof. Samuel Krauss, der Rektor der Israelitisch Theologischen Lehranstalt in Wien war. Ich habe ihn schon einmal an anderer Stelle etwas ausführlicher vorgestellt. Krauss verfasste das Werk Griechische und Lateinische Lehnwörter in Talmud, Midrasch und Targum, das heute noch für unsere Untersuchungen sehr nützlich ist.

Im Grunde genommen greifen wir hier in diesem Blog also die Fäden auf, die der damaligen jüdischen Wissenschaft aus den Händen gerissen, bzw. deren Forschungen in der Patristik lange ignoriert wurden. Angelika Neuwirth hat in ihrem Buch »Der Koran als Text der Spätantike« darauf hingewiesen, dass es ebenfalls jüdische Wissenschaftler – allen voran Abraham Geiger – waren, die eine Koranforschung betrieben, bei der  sie ihre umfassenden Sprachkenntnisse in die Lage versetzten, die gemeinsamen und doch so differenzierten Auslegungstraditionen von Rabbinen, Kirchenvätern und dem Koran erstmalig zusammensehen zu können. Auch von diesen Leistungen zehrt die Forschung bis heute.

 

Quelle: http://hieronymus.hypotheses.org/114

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