Ein absurd-skurriler Besuch im Museum für Kommunikation Berlin

imageGemeinsam mit einer Bekannten besuchte ich die Ausstellung Dialog mit der Zeit. Die Erlebnisausstellung im Museum für Kommunikation Berlin. Ich habe diesen Ort als Treffpunkt vorgeschlagen, weil ich hoffte, dass eine inspirierende Ausstellung schöne Gesprächsanlässe gibt.

An der Kasse werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir nur die umherfahrenden Roboter im Erdgeschoss fotografieren dürfen und sonst nichts. Aha, wo sind wir gleich nochmal?

Am Eingangsbereich der Ausstellung im 2. Stock werden wir begrüßt und auf die in einigen Minuten stattfindende Führung hingewiesen. Wir könnten uns ruhig ein bisschen umsehen derweil. Derweil besprechen wir zwei Besucherinnen uns aber, dass wir einfach so durch die Ausstellung schlendern wollen. Es ist immer interessant zu sehen, welche Themen auf welche Weise angesprochen werden. Man muss ja nicht alles bis ins kleinste Detail mitmachen, auch nicht in einer Erlebnisausstellung – dachten wir.

Im zweiten Raum probiere ich zunächst die Telefonansage aus. Übrigens sind schwer verständliche Telefonansagen kein altersspezifisches Problem. Da kommt eine resolut wirkende ältere Dame auf uns zu. Die Ausstellung könnten wir nur mit einer Führung besuchen und wir möchten bitte mitkommen, es würde ein interessanter Film gezeigt. Wir blicken uns an und gehen mit. Der Film zeigt ein zunächst junges Gesicht, das altert und faltiger wird. Ganz so wie bei der Agingbooth-App von iTunes. Als ich merke, worum es in dem Film geht, zücke ich mein Tablet und setze den Tweet Im Museum für Kommunikation in Berlin darf man keine Fotos machen und z.B. twittern ab. Dann führt eine ältere Dame mit einigen Worten in die Ausstellung ein. Sie blickt mich strafend an: ¨Wenn Sie vielleicht auch zuhören und ich Ihre Aufmerksamkeit haben könnte. Schließlich wollen Sie ja etwas von hier mitnehmen und da wäre es von Vorteil, wenn Sie zuhören würden.¨

Ein Zeitsprung! Ich fühle mich nicht wie 50 sondern wie 15 und meine Lehrerin tadelt mich, weil ich nicht aufpasse.

So geplättet stecke ich mein Tablet in die Tasche zurück.

Wir zwei entscheiden uns, jetzt wirklich allein weiterzugehen. Kaum entfernen wir uns einige Schritte von der Gruppe, ruft uns die ältere Dame zu:

Sie müssen bei der Gruppe bleiben!

Wir möchten aber alleine durch die Ausstellung gehen.

Aber die Ausstellung ist nur mit einer Führung interessant.

Wir möchten gerne selbst entscheiden, was wir interessant finden. Worin besteht das Problem?

Es gibt kein Problem. Aber am Eingang steht ein Schild, auf dem steht, dass Sie nur mit einer Gruppe in die Ausstellung dürfen.

Welches Schild? Wir haben keines gesehen.

Das Schild am Eingang! Außerdem haben Sie diese Anhänger um, Sie wurden am Eingang darauf aufmerksam gemacht, dass Sie nur mit einer Führung durch die Ausstellung können.

Nein, das war ein allgemeiner Hinweis, das gleich eine Führung stattfindet. Wir möchten bitte selbst für uns entscheiden.

Ja, dann entscheiden Sie für sich selbst.

Wir tun das und kehren in den zweiten Raum zurück. Dort probiere ich die Station aus, wie es sich für ältere Menschen anfühlt, eine Tür zu öffnen. Wieder kommt eine ältere Dame auf uns zu. Es folgt ein sehr ähnlicher Dialog.

Nächste Station: Sehtest. Die junge Dame vom Eingang der Ausstellung nähert sich uns: ¨Ich hörte von einem unserer Senior-Guides, dass es ein Problem gibt?” Spätestens  jetzt fühlen wir uns wie Randalierer. Dialog s.o.

image (1)

Wir sind jetzt schnell fertig mit der Besichtigung. Ich fühle mich sehr unwohl und auch fassungslos. Dem Bedürfnis, mich mit meiner Begleiterin auszutauschen, kann ich hier nicht nachkommen. Auch habe ich das Gefühl, das man uns einfach nicht Ernst nimmt und fühle mich in meiner Privatsphäre verletzt. Beim Verlassen der Ausstellung sehen wir das besagte Schild im Din-A-4 Format. Es wäre hilfreich gewesen, wenn ich bereits bei der Recherche zur Ausstellung im Internet einen entsprechenden Hinweis gelesen hätte oder wir spätestens an der Kasse darauf hingewiesen worden wären, dass der Besuch der Sonderausstellung nur mit Führung erlaubt ist. Dann hätten wir die Möglichkeit gehabt, uns gleich einen anderen Ort für unsere Kommunikation zu suchen.

Fazit: Das war der absurdeste Museumsbesuch, den ich jemals erlebt habe. Auch hätte ich mir – zumal ich mich in einem Museum befand, und nicht an einem Krankenkassen-Info-Stand – tiefergehende Zukunfts-Themen und Denkanstöße als dargeboten erhofft. Warum wird eine Ausstellung so einseitig konzipiert? Wenn die Zukunft des Alters darin besteht, andere zu reglementieren und festzulegen, wie sie die Dinge zu sehen haben, dann wird mir Angst vor dem Alter. Und daran ändern auch keine zweisprachigen Beschriftungen  (dt./engl.) etwas.

Mein persönlicher Tipp: Widmen Sie Ihre Zeit einem älteren Menschen in Ihrer direkten Umgebung und treten Sie mit diesem in einen Dialog mit der Zeit. Das ist keine Zeitverschwendung und bereichert beide Seiten.

 

Digitale Bildquelle (Bild oben): www.artigo.org
Künstler: Meister des Hausbuchs, Titel: Der Jüngling und der Tod, Ort: Wien, Albertina, Zeit: letztes Viertel 15. Jh.

Digitale Bildquelle (Bild unten): www.artigo.org
Künstler: Ferdinand Georg Waldmüller, Titel: Die Ermahnung, Ort: Wien, Museen der Stadt Wien, Zeit: 1846

Quelle: http://games.hypotheses.org/1932

Weiterlesen

Die Auswirkung des Selbstwertes auf Crowdsourcing

MeissonierHaben Sie schon einmal jemanden von Ihrem neuen Vorhaben erzählt und Ihr Gesprächspartner hat abgewunken und gleich mehrere Einwände gehabt? Vorher waren Sie euphorisch, danach völlig ernüchtert? Folge: Sie werden mit diesem Menschen so schnell nicht wieder über neue Pläne sprechen. Möglicherweise werden Sie in Zukunft eher versuchen, ihn zu meiden.

Können Sie sich noch an die Rückgabe der Klausuren in der Schule erinnern? Als sie in absteigender Reihenfolge zurückgegeben wurden? Die guten zu erst und dann die immer schlechteren. Haben Sie auch einmal als einer der letzten Ihre Klausur zurückerhalten? Wie haben Sie sich dabei gefühlt? Folge: Schlechte Noten verursachen Angst. Mit Angst kann man nicht lernen, das hat die Neuropsychologie festgestellt. Aber leider wird hieraus schnell eine Spirale, die sich schnell nach unten dreht: Schlechte Noten, Beschämung in der Schule durch den Lehrer (beispielsweise die o.g. Prozedur der Rückgabe), Eltern schimpfen. Wollen das Beste. Streichen den nachmittäglichen Sport:“ Ab jetzt gibt es kein Fußball mehr: Du gehst jetzt zur Nachhilfe.“ Mehr Stress. Es wird immer enger. Mehr Angst. Die Wahrscheinlichkeit, in Zukunft bessere Noten zu schreiben, sinkt. Einsatz von Psychopharmaka. Selbstwert im Keller. Eine mögliche Strategie des schlechten Schülers: Zusammenschluss mit anderen schlechten Schülern. In der Clique wird der größte Schmarrn gemacht. Eltern und Lehrer schimpfen (weiterer Selbstwertverlust), aber innerhalb der Gruppe der Schlechten geben sie sich dafür Anerkennung (Selbstwerterhöhung).

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie mit der Bedienung eines Gerätes oder einer Software nicht zurechtkommen. Alle anderen scheinen es zu können, nur Sie nicht. Komisch oder? Folge: Sie benutzen die Software nicht mehr. Sie bitten jemand anderen, es für sich zu tun:“ Ich kann das nicht. Ich bin viel zu ungeschickt dazu“. Falls es sich um Hardware handelt: Sie kaufen sich ein anderes Gerät.

Sozialpsychologisch kann das mit dem Attributionsfehler erklärt werden: Im Hinblick einer den Selbstwert schützenden Funktion neigen wir dazu, eigene Erfolge uns selbst, Misserfolge externen Ereignissen zuzuschreiben. Fatalerweise suchen wir aber gerade im Umgang mit dem Computer Fehler in der Bedienung bei uns selbst. Don Norman beschreibt das Phänomen wie folgt: „Ich beobachte oft, wie Menschen im Umgang mit mechanischen Geräten, Lichtschaltern und Sicherungen, Computer-Betriebssystemen und Textverarbeitungsanlagen, sogar Flugzeugen und Kernkraftwerken Fehler machen – manchmal gravierende. Unweigerlich haben die Leute ein schlechtes Gewissen und versuchen entweder, den Fehler zu vertuschen, oder sie klagen sich selbst an wegen „Dummheit“ oder Tolpatschigkeit“. Ich habe es oft schwer, die Erlaubnis zum Zuschauen zu erhalten. Niemand läßt gern einen anderen zusehen, wie er sich „dumm“ anstellt. Ich weise darauf hin, daß es sich um ein fehlerhaftes Design handelt und daß andere denselben Fehler machen. Aber wenn die Aufgabe einfach oder trivial erscheint, dann suchen die Leute die Schuld bei sich! Es ist, als ob sie auf perverse Weise stolz darauf wären, sich selbst für mechanisch inkompetent zu halten.“

Beispiel Arbeitsplatz

Belohnung ist etwas Positives und stärkt den Selbstwert. Wie werden Mitarbeiter in Unternehmen belohnt? – Mit Gehaltserhöhungen, Prämien oder Boni. Man weiß heute, dass die positive Wirkung einer zusätzlichen Geldleistung durch den Arbeitgeber nur kurz anhält und sich der Angestellte sehr schnell daran gewöhnt. Der Normalzustand ist bald wieder erreicht. Dabei gibt es eine Möglichkeit, Mitarbeiter zu guter Leistung anzuspornen, die gratis ist: Wertschätzung. Das ist sogar Beraterfirmen wie McKinsey bekannt. Die drei besten „noncash motivators“ sind demnach: Lob und Anerkennung durch den direkten Vorgesetzten, Aufmerksamkeit, sowie die Möglichkeit, Projekte in Eigenverantwortung ausführen zu können.

Das sind nur ein paar wenige Beispiele, aus denen hervorgehen dürfte, dass wir Menschen die Bestrebung haben, unseren Selbstwert zu erhöhen. Diese Situationen suchen wir. Situationen, in denen ein Selbstwertverlust droht, versuchen wir zu vermeiden. Und zwar immer, überall und jederzeit. Das kann man auch mit Crowdsourcing in Bezug setzen:

Crowdsourcing und der Selbstwert

Internetbasiertes Crowdsourcing ist technologiegestützt und basiert auf der freiwilligen Teilnahme der Nutzer. Zugegeben, die folgenden Features stützen häufig mehrere der vier genannten Bedürfnisse. Ich betrachte Sie aber hier hauptsächlich unter dem Aspekt des Selbstwertes. Die Aufzählung erhebt nicht den Anspruch, vollzählig zu sein; sie soll einen Denkanstoß und ein Gefühl dafür vermitteln, mit welchen Features der Selbstwert innerhalb einer Crowdsourcing-Anwendung angesprochen wird:

  • Eine fehlerfrei funktionierende sowie intuitiv und leicht zu bedienende Anwendung. Das hört sich banal an. Wer aber keine bugfreie und einfache Anwendung hinkriegt, darf sich alle weiteren Überlegungen sparen, denn der Nutzer kann mit einem einzigen Klick jederzeit abspringen.
  • Stellt die Plattform ein Diskussionsforum zur Verfügung, dann muss hier auf eine gute Netiquette und auf Fairness Wert gelegt werden.
  • „Nonfinancial motivators“, also Anerkennung. Bei ARTigo wäre das die Einladung eines besonders fleißigen Taggers durch den Museumsdirektor.
  • Feedback über den Betrag der Hilfeleistung des Nutzers.
  • Aufmerksamkeit: Bei Problemstellungen vielleicht ein Interview mit dem Nutzer, der die Lösung entdeckt hat. Wie ist er darauf gekommen? Etc.
  • Verteilungsgerechtigkeit: besonders bei Crowdsourcing-Initiativen, die von Unternehmen ausgehen, muss den Teilnehmern vermittelt werden, ob sie die Teilnahme als Ausbeutung oder faires Geschäft sehen.
  • Prozessgerechtigkeit: Wie fühlen sich Teilnehmer behandelt? Fühlen sie sich wichtig genommen und wertgeschätzt? Oder eher bedeutungslos? Auch dieser Eindruck entscheidet über die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme an einem Crowdsourcing-Projekt.
  • Wieviel Sinn vermittelt die Tätigkeit? Nach Martin Seligmann geht man einer sinnhaften Beschäftigung um ihrer selbst willen nach. Da kann kommen was will, man bleibt dabei. Zudem trägt Sinn direkt zum Wohlbefinden bei. Das hat wiederum positive Auswirkungen, u.a. auf den Selbstwert.

Fazit:

Das Bestreben nach Erhöhung des Selbstwertes und Vermeidung von Selbstwertverlust begleitet uns auch bei der Arbeit am und mit dem Computer. Nutzer legen ihren Selbstwert nicht vor dem Schreibtisch nieder (und auch nicht die weiteren Bedürfnisse, um die es in dieser Artikelreihe geht). Programmierern ist das meist gar nicht erst bekannt. Es gibt an den Unis zwar den Bereich der Human Computer Interaction (HCI), der lehrt, wie man menschengerechte Software herstellt, aber die Masse der angehenden Software-Entwickler verfügt hier – wenn überhaupt – nur über rudimentäres Basiswissen, was eindeutig nicht ausreicht.

Mit HCI allein ist es aber nicht getan: Der Nutzer möchte ernst genommen werden, ein freundlicher, wertschätzender Umgangston in Foren ist ein absolutes Muss. Für eine Umgebung, in der sich der Nutzer wohl fühlt, damit er seine Kenntnisse und Fähigkeiten in das Crowdsourcing einbringen kann, braucht es Mitarbeiter, die mit Erfahrung und Fingerspitzengefühl eine solche Umgebung zu schaffen vermögen.

Weitere Artikel dieser Serie:

  1. Auftakt zur Artikelreihe: Was macht Crowdsourcing erfolgreich?
  2. Crowdsourcing: Definition und Prozessbeschreibung
  3. Die Auswirkung von Kontrolle und Orientierung auf Crowdsourcing
  4. Die Auswirkung von Gemeinschaft auf Crowdsourcing
  5. Die Auswirkung von Selbstwerterhöhung auf Crowdsourcing
  6. Die Auswirkung von Lustgewinn und Unlustvermeidung auf Crowdsourcing

Bild: “Le rieur” von Ernest Meissonier, 1865, Compiègne/Musée National du Château de Compiègne et Musée du Second Empire. Digitale Quelle: www.artigo.org

Quelle: http://games.hypotheses.org/1539

Weiterlesen

Die Auswirkung von Gemeinschaft auf Crowdsourcing

Der Bau des Palastes von Khawarnaq (anonym)Die vier zentralen Bedürfnisse gelten zum einen in allen zwischenmenschlichen Beziehungen, also z.B. in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Schule, etc. . Außerdem können sie unter den folgenden beispielhaften Fragestellungen auch auf Objekte und Systeme übertragen werden:

 

  • Was macht Lernen bzw. Schule erfolgreich / stress- oder angstvoll?
  • Warum ist eine Software erfolgreich / nicht erfolgreich?
  • Warum ist ein Design ein Renner / ein Flop?
  • Warum arbeiten Mitarbeiter eines Unternehmens zuverlässig / unzuverlässig, trödeln / sind effektiv, sind loyal / illoyal…?
  • uvm.

Das hieße, dass die Betrachtung der vier Bedürfnisse in Bezug auf ein Thema (z.B. eine Software) entscheidende Hinweise geben kann, warum es erfolgreich ist oder nicht, bzw. an welcher Stelle etwas verändert werden könnte, um erfolgreicher zu sein.

Bei der Übertragung kann man feststellen, dass die Bedürfnisse, bzw. ihre Befriedigung häufig stark ineinander verzahnt sind. Deshalb beschreibe ich sie zunächst einzeln, werde in weiteren Artikeln die Übertragung der Fragestellung auf die Themen Lernen und Crowdsourcing übertragen und sie dabei umfassend unter den vier Bedürfnissen betrachten.

Menschen und Gemeinschaft

Wir Menschen sind Gemeinschaftswesen. Wir wachsen in der Gemeinschaft einer Familie auf, denn wir sind auf Hilfe angewiesen und hätten sonst keine Überlebenschance. Lernen geschieht ebenfalls in der Gemeinschaft. Überhaupt können wir allein wenig schaffen und sind mit der Unterstützung anderer erfolgreicher. Schon in der Vorzeit konnte ein Mammut ausschließlich durch gemeinsames Jagen erlegt werden, und auch heute sind Aufgaben so komplex, dass sie nur in Zusammenarbeit getan werden können.

Wir wachsen auf, lernen, arbeiten gemeinschaftlich und “… nichts davon macht wirklich Spaß, wenn man es ganz alleine macht, wenn nicht wenigstens einer zuschaut, der sich selbst auch dafür interessiert. Wenn nicht wenigstens einer da ist, und sei es auch nur in unseren Gedanken, der es auch wichtig findet und sich auch daran erfreut. Wir sind die einzigen Lebewesen, die sich nicht nur selbst mit Begeisterung etwas ausdenken können, sondern die dazu auch eine Gemeinschaft brauchen. Die Lust am eigenen Entdecken und Gestalten würde uns rasch vergehen, wenn sich die anderen, mit denen wir uns verbunden fühlen, wenn nicht real, dann aber zumindest in unserer eigenen Vorstellung, nicht ebenfalls darüber freuten. Und je mehr andere Menschen daran beteiligt sind, umso großartiger oder verrückter wird das, was von Menschen dann gemeinsam erdacht und geschaffen werden kann. Wenn das nicht so wäre, hätte niemand jemals den Himalaya bestiegen.” (Gerald Hüther)

Ein Ausschluss aus der Gemeinschaft hingegen ist schmerzhaft und was unternehmen Menschen nicht alles, um dazugehören zu können?

Gemeinschaft und Crowdsourcing

Mit dem internetbasierten Crowdsourcing ist es möglich, gleichzeitig viele Nutzer ansprechen zu können. Es gibt Anwendungen, bei denen alle gemeinsam zum Erfolg oder zur Lösung eines Problems beitragen. Auf der Plattform Zooniverse beispielsweise können Sie einen Beitrag leisten, die Mondoberfläche oder den Meeresgrund genau zu beschreiben (u.v.m). Beim Kunstgeschichtsspiel ARTigo verschlagworten Sie Bilder, was den Nutzen hat, dass auf die Bilder später über die Schlagworte zugegriffen werden kann, sprich: die Bilder werden suchbar. Jeder Teilnehmer arbeitet also einen gewissen Beitrag ein, gibt von seiner Zeit und seinem Wissen etwas ab.

Die praktische Umsetzung

Es ist ein Ansporn, das Bemühen des Einzelnen sichtbar zu machen, z.B. über einen “Zähler” o.ä., der anzeigt, wie viel jeder zum Erfolg beitragt. Fortschrittsbalken sind dazu ebenfalls geeignet. Wo steht das Projekt jetzt? Wieviel Arbeit wurde getan, wieviel ist noch nötig? Das zeigt einerseits die eigene Leistung (was sich positiv an das Selbstwertgefühl wendet) und auch die Leistung einer Gruppe. Und das bestärkt und motiviert wiederum zum Weitermachen.

Auch Funktionalitäten, die dazu dienen, mit anderen in Kontakt zu treten, zu kommunizieren, sind unter dem Aspekt der Gemeinschaft wichtig. Foren, in denen sich die Nutzer austauschen können, sind ebenfalls ein Baustein. Dabei sollte es bei bloßer Nachahmung der realen Welt nicht bleiben. Das Internet kann zusätzliche Möglichkeiten schaffen, die die analoge Welt bereichern, also einen Mehrwert bieten.

Hierzu ist die Beobachtung der Nutzer hilfreich: Was bezwecken Sie mit ihren Tätigkeiten? Was ist der Sinn dahinter? Der Bereich des Social Computing befasst sich z.B. mit diesen Fragestellungen (Dam and Soegaard, 2011).

Eine Crowdsourcing-Plattform ist nicht nur ein Stück Software. Menschen finden sich hier zusammen, weil sie gemeinsam etwas schaffen wollen. Weil das eines der zentralen Bedürfnisse jedes Einzelnen ist. Und dazu kommt ein gutes Gefühl, denn wenn wir anderen helfen, empfinden wir dabei Freude.

Fazit:

Menschen sind in der Gemeinschaft stark. Zu anderen bzw. einer Gruppe dazuzugehören, nicht allein zu sein, ist eines unserer zentralen Bedürfnisse. Zu helfen gibt uns ein gutes Gefühl. Crowdsourcing wendet sich an diese Bedürfnisse und Gefühle. Software und Prozesse müssen deshalb so gestaltet werden, dass sie dem Rechnung tragen.

Weitere Artikel dieser Serie:

  1. Auftakt zur Artikelreihe: Was macht Crowdsourcing erfolgreich?
  2. Crowdsourcing: Definition und Prozessbeschreibung
  3. Die Auswirkung von Kontrolle und Orientierung auf Crowdsourcing
  4. Die Auswirkung von Bindung/Gemeinschaft auf Crowdsourcing
  5. Die Auswirkung von Selbstwerterhöhung auf Crowdsourcing
  6. Die Auswirkung von Lustgewinn und Unlustvermeidung auf Crowdsourcing

 

Literatur:

Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher, Frankfurt 2013. Zitat sh. S. 47

Dam, Rikke Friis and Soegaard, Mads (2011). Video: Social Computing video 3 – Face-to-face Interaction as Inspiration for Designing Social Computing Systems. Retrieved 29 January 2014 from http://www.interaction-design.org/tv/Social_Computing_Video_3_-_Face-to-face_Interaction_as_Inspiration_for_Designing_Social_Computing_Systems.html

Quelle: http://games.hypotheses.org/1519

Weiterlesen

Die Auswirkung von Kontrolle und Orientierung auf Crowdsourcing

marionette04Vier zentrale Bedürfnisse

Bedürfnisse sind die Grundlage menschlichen Handelns. Die Befriedigung der Existenzbedürfnisse, wie ausreichend Nahrung, Kleidung und Wohnung ist allein nicht ausreichend, um ein zufriedenes Leben zu führen. Wir Menschen haben weitere Bedürfnisse, die uns Wohlbefinden bringen und aufgrund derer wir handeln. Doch welche sind das?

Es gibt eine ganze Reihe von Bedürfnistheorien, die jeweils zahlreiche Bedürfnisse nennen. Epstein/Grawe hingegen nennen nur vier. Wenig im Gegensatz zu den anderen. Diese vier Bedürfnisse sind jedoch von besonderer Relevanz, denn finden sie Berücksichtigung, hat man bereits gute Rahmenbedingungen geschaffen und entscheidende Schritte für ein erfolgreiches Handeln oder eine vielversprechende Projektumsetzung gemacht. Es handelt sich um das Bedürfnis nach:

  • Kontrolle und Orientierung
  • Bindung (Gemeinschaft)
  • Selbstwerterhöhung
  • Lustgewinn und Unlustvermeidung

Das Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung

Wann haben wir Kontrolle über die Dinge? Wenn wir handeln. Wenn wir aktiv sind. Wenn wir das tun können, was wir tun wollen. Wenn wir die Dinge um uns herum verstehen.

Hier beispielhaft ein paar Lebenssituationen, die das Bedürfnis nach Kontrolle ansprechen:

  • Ungewißheit ist sehr belastend und wir können sie nicht lange aushalten. Dies ist z.B. in Situationen der Fall, in denen wir eine ausstehende Entscheidung nicht in der Hand haben.
  • Das Wissen darüber, was mit unseren Daten im Internet geschieht.
  • Die Angst vor Krankheit und Alter ist auch eine Angst, auf andere angewiesen zu sein und Selbstbestimmung (Kontrolle) zu verlieren.
  • Ausnahmezustände wie Konflikte bis hin zum Krieg sind u.a. deshalb so schlimm, weil Menschen die Kontrolle über ihre Gesundheit, Familie, ihr Hab und Gut, schlichtweg über ihr Leben verlieren.

Fazit: Überall dort, wo die Möglichkeit zur Beeinflussung unseres Handelns oder unserer Lebensumstände sinkt, verletzt das unser Bedürfnis nach Kontrolle.

Crowdsourcing und das Bedürfnis nach Kontrolle

Für Softwareanwendungen, und damit auch für internetgestütztes Crowdsourcing, ist es deshalb für den Nutzer wichtig, die Kontrolle über seine Teilnahme zu behalten. Dazu zählt jede Aufklärung über den Ablauf des Projekts:

  • Art und Umfang der Erhebung von persönlichen Daten
  • Art und Umfang der Nutzung der Daten durch den Crowdsourcing-Anbieter
  • Bei Projekten, bei denen die Lösung eines Problems gesucht wird: Transparenz über die Regeln von der Definition der Idee seitens der Nutzer bis hin zur Auswahl der Siegerlösung.
  • Regelung des Lizenzrechts, falls die Siegerlösung in einer Produktidee besteht.
  • Art und Höhe einer Vergütung (oder Incentives) für die Siegerlösung.

Ethische Verantwortung für den Crowdsourcing-Anbieter bei gamifizierten Anwendungen

Insbesondere bei gamifizierten Anwendungen stellt sich die Aufgabe für den Crowdsourcing-Anbieter, die Anwendung einerseits attraktiv zu gestalten, so dass die Nutzer eine Weile mit Spaß bei der Sache sein können. Andererseits sollte die Anwendung nicht zu attraktiv sein, denn der Nutzer sollte die Dauer seines Einsatzes selbst bestimmen können. Es ist eine Frage der Ethik, die Anwender aufhören lassen zu können.

Wissensgebiete, die Kontrolle und Orientierung verwirklichen können

Als maßgebliche Wissenschaftszweige, die im Rahmen des internetbasierten Crowdsourcings den Aspekt der Kontrolle umsetzen können, möchte ich die Informatik und die Sozialpsychologie nennen. Gemeinsam ist es ihnen möglich, die Software gemäß den o.g. Anforderungen gestalten.

Das für mich Frappierende liegt in den einfachen, ja selbstverständlich klingenden Anforderungen. Das Problem jedoch ist, dass ihre fachgerechte Umsetzung Interdisziplinarität erfordert. Die Informatik allein kann das nicht bewerkstelligen. Die Psychologie auch nicht. Nur die gemeinsame Umsetzung des jeweiligen Fachwissens wird menschengerechte und damit erfolgreiche Lösungen schaffen.

Weitere Artikel dieser Serie:

  1. Auftakt zur Artikelreihe: Was macht Crowdsourcing erfolgreich?
  2. Crowdsourcing: Definition und Prozessbeschreibung
  3. Die Auswirkung von Kontrolle und Orientierung auf Crowdsourcing
  4. Die Auswirkung von Bindung auf Crowdsourcing
  5. Die Auswirkung von Selbstwerterhöhung auf Crowdsourcing
  6. Die Auswirkung von Lustgewinn und Unlustvermeidung auf Crowdsourcing

Literatur:

Nicola Döring: Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen, Göttingen 2003

Dieter Frey, Martin Irle (Hrsg.): Theorien der Sozialpsychologie, Band III, Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien, Göttingen 2002

Gassmann, Oliver: Crowdsourcing. Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz, 2. Auflage, München 2013

Klaus Grawe: Psychologische Therapie, Göttingen 2000

Quelle: http://games.hypotheses.org/1503

Weiterlesen