Reaktion auf Michael Meyens Blog-Beitrag „Von den Verheißungen der Resilienz: Zur Epistemologie von Rungius und Weller“
von Christoph Weller
Praktische Epistemologie könnte heißen, die Brille abzusetzen und nicht mehr in die Welt, sondern auf die Brille zu schauen. Das mag sehr selbstbezogen und weltabgewandt wirken, aber wenn sich dabei herausstellen sollte, dass die abgesetzte Brille rosa, grüne oder gar schwarze Gläser hat, schlecht geschliffen ist und die Sicht erheblich einschränkt, werden Einzelne zumindest darüber nachdenken wollen, mal mit einer anderen Brille in die Welt zu schauen. Zu solchem Brillenwechsel will dieser Kommentar ermutigen.
Wenn Michael Meyen auf die „Epistemologie von Rungius und Weller“ (2016) reagiert, hat er unser Argument sehr klar erfasst: dass gerade Sozialwissenschaftler*innen auch die Aufgabe haben, die Brillen der Gesellschaft in Augenschein zu nehmen, weil wir davon ausgehen, dass gesellschaftliche Gruppen – und auch Wissenschaftler*innen – nur auf diejenige Welt reagieren und in derjenigen Welt handeln (können), die sie durch ihre jeweilige Brille wahrnehmen. Deshalb interessieren wir uns – im Kontext des Forschungsverbunds „ForChange“ – für die Resilienz-Brille und haben in unserem Blog-Beitrag „Die verheißungsvolle Schönheit der Resilienz“ (Rungius/Weller 2016) einige unserer Einsichten zu ihrem Schliff, ihrer Färbung, ihren Einseitigkeiten und den möglicherweise daraus resultierenden Blindheiten zur Diskussion gestellt: das positiv besetzte Modewort „Resilienz“ vermittelt Hoffnungen und Versprechen auf unbestreitbar gute Phänomene und Systeme, verschleiert damit aber normative Unsicherheiten und potenzielle Umstrittenheit, lenkt ab von ethischen Dilemmata und gehört mit seinen Scheinlösungen und Stabilisierungsperspektiven zu einem postmodernen Konservatismus, dessen verheißungsvoller Schönheit wir (selbst-)kritisch begegnen sollten.
Michael Meyen scheint uns in dieser Beschreibung der Epistemologie des Resilienz-Begriffs nicht grundsätzlich zu widersprechen, doch sieht er offensichtlich kein ernsthaftes Problem in den durch die Resilienz-Brille bedingten Beeinträchtigungen und dem daraus resultierenden Tunnelblick, über den wir mit der „verheißungsvollen Schönheit“ (wir hätten auch „Attraktivität“ schreiben können – vgl.
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