Der Zweite Weltkrieg in Skandinavien in deutschen Lehrbüchern – 1961 und heute

  Ein Besuch auf der Leipziger Buchmesse hat mich auf eine Literaturgattung aufmerksam gemacht, die oft Gegenstand harter – und oft grenzüberschreitender – Auseinandersetzung über die “richtige” Geschichtsdarstellung gewesen ist: Lehr- und Geschichtsbücher. Während ich an einer Vielzahl von Lehrbuchverlagen vorbeiging, erinnerte ich mich an einen Zeitungsarikel der norwegischen Aftenposten aus den frühen 1960er Jahren. Darin forderte der Autor – ganz nach dem Titel des Artikels »Hårdt tiltrengt revisjon av lærebøkene i de tyske skoler« (21. Januar 1961) – eine Korrektur der deutschen Geschichtsbücher. Unter anderem kritisierte der Artikel “die unkorrekte Darstellung des Überfalls [auf Norwegen und Dänemark 1940, Anm. RZ]” sowie die apologethische Erklärung zur Besetzung der nordischen Nachbarn. Auf besonderes Unverständnis stieß das völlige Weglassen von detaillierteren Schilderungen zum deutschen Terror und dem Besatzungsregime in Norwegen. Dies habe ich zum Anlass genommen, mir die aktuellen Lehrbücher zweier großer Verlage auf genau diese Kritik hin anzuschauen. Ich wollte wissen, wie der Überfall auf die skandinavischen Länder während des Weltkrieges in den heutigen Schulbüchern dargestellt wird und welchen Umfang die Beschreibung der anschließenden Besatzungsherrschaft einnimmt. Vorweg sollte ich noch erwähnen, dass die beiden Beispiele weder repräsentativ für alle Geschichtsbücher auf dem deutschen Büchermarkt sind, noch dem stark förderalen Bildungssystem der Bundesrepublik mit all seinen verschiedenen Lehrplänen Rechnung tragen. Mir kommt es daher eher auf die Tendenzen der Aussagen als den genauen Wortlaut an. Das erste Werk, das ich mir anschaute, war Geschichte und Geschehen, Oberstufe Gesamtband des Klett-Verlags. Hier wird der Überfall (und nur dieser) in drei Zeilen abgehandelt. So heißt es unter der Überschrift Deutschlands Führung verrechnet sich in Europa: “Um sich wichtige Rohstoffe für die Rüstungsindustrie gegen einen möglichen britischen Zugriff zu sichern (schwedisches Eisenerz), überfiel Deutschland im April 1940 die neutralen Staaten Dänemark und Norwegen.” (S. 426) Weitere Verweise auf das Besatzungsregime habe ich nicht gefunden (kann diese aber auch nicht 100% ausschließen, schließlich konnte ich die Lehrbücher nur an einem Messestand durchsehen). Als Vergleichsexemplar habe ich das Geschichtslehrbuch Kursbuch Geschichte (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern) des Cornelsen-Verlages herangezogen. Unter den Unterpunkt Eroberungs- und Besatzungspolitik heißt es wieder auf drei Zeilen [sic]: “Bevor das Deutsche Reich seine Offensive im Westen eröffnete, besetzte die Wehrmacht Dänemark und Norwegen, um die Nordflanke sowie die für die Kriegsführung notwendige Versorgung mit Erzen abzusichern.” (S. 449) Wieder konnte ich keine Hinweise auf die eigentliche Besatzung oder wenigstens einen Verweis auf weiterführende Informationen entdecken. Stattdessen dominieren in den Geschichtsbüchern die Geschehnisse an der Ost- und Westfront. Skandninavien wird mehr oder minder ausgeklammert bzw. nur am Rande erwähnt. Leider hatte ich bisher keine Möglichkeit diese Textstellen mit anderen deutschen Lehrbüchern aus den ersten Nachkriegsjahrzehnten zu vergleichen. In Anbetracht der Fülle an Material, das die Autoren in nur wenigen Seiten überblicksartig darzustellen versuchen, ist die Kürze der Beschreibung nicht überraschend. Dennoch laden auch heute noch die deutschen Lehrbücher zur gleichen Kritik ein, die bereits vor über 50 Jahren im Aftenposten-Artikel aufgeführt wurde. Zumindest findet man keine Anspielung auf die “Race-to-Scandinavia”-These allá Walther Hubatsch (siehe letzter Post). Leider versäumen auch heutige Geschichtsbücher, auf die Rolle des Zweiten Weltkriegs für die Selbst- und Deutschlandwahrnehmung unserer skandinavischen Nachbarn einzugehen. Im Allgemeinen sollten die Deutschlandbilder unserer unmittelbaren Nachbarn im Unterricht Einzug halten, um die nationale Nabelschau im Geschichtsunterricht weiter entgegenzuwirken und ein europäisches Geschichtsverständnis zu fördern. Weniger überraschend, aber nicht minder enttäuschend ist die fehlende Differenzierung zwischen den Besatzungsverläufen in Norwegen und Dänemark. Dies ist eine Disparität, auf die in beiden Ländern großen Wert gelegt wird und in Deutschland zu oft unterschlagen wird. (1) (1) Vgl. Dahl, Hans F., et al. (Hrsg.): Danske tilstander, norske tilstander – Forskjeller og likheter under tysk okkupasjon 1940-45, Oslo: Forlaget Press, 2010.    

Quelle: http://umstrittenesgedaechtnis.hypotheses.org/23

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Wissenschaftsbloggen in Archivalia & Co.

Bullshit-Bingo Web 2.0, Internet und WissenschaftSchriftliche Fassung des Beitrags zur Tagung “Weblogs in den Geisteswissenschaften” am 9. März 2012 Am Anfang stand eine Urlaubsvertretung. Im November 2001 suchte Edlef Stabenau, der Gründer des bibliothekarischen Weblogs netbib Leute, die für ihn in seiner Abwesenheit weiterbloggen sollten. Neben Jürgen Plieninger und Christian Spließ meldete auch ich mich und so sonderte ich in der Mutter aller bibliothekarischen Weblogs des  deutschsprachigen Raums am 21. November 2001 meinen ersten ganz kurzen Blogeintrag ab. Tausende sollten folgen, denn mir gefiel die Möglichkeit, Aktuelles aus einschlägigen Interessensgebieten wie dem Bibliotheks- oder Archivwesen kurz mitzuteilen und zu kommentieren. Als sich im Februar 2003 die Möglichkeit bot, ein kostenloses Gemeinschaftsblog bei Twoday.net einzurichten, griff ich zu, und Archivalia, ein Gemeinschaftsblog rund um das Archivwesen, war geboren. Erst allmählich verlagerte sich der Schwerpunkt meiner Blogaktivitäten hin zu Archivalia (nach wie vor blogge ich sporadisch in netbib). Seither wurden in Archivalia über 21.000 Beiträge veröffentlicht. In den Blogcharts von ebuzzing steht Archivalia im Ranking der deutschsprachigen Wissenschaftsblogs vom März 2012 auf Platz 8. Was ich auf der Pariser Tagung letztes Jahr zu Archivalia gesagt habe, möchte ich nicht wiederholen; es gibt ein Video dazu (unter CC-BY-SA)  im Netz und eine schriftliche Fassung in Archivalia. Vielleicht etwas zu wohlwollend charakterisierte Mareike König das Blog in dem von uns gemeinsam verfassten Beitrag zu deutschsprachigen Geschichtsblogs: Denkt man an Geschichtsblogs im deutschsprachigen Raum, so kommt einem als erstes Archivalia in den Sinn. Von Klaus Graf im Jahr 2003 als Gemeinschaftsblog gegründet, hat sich Archivalia seine herausragende Stellung durch zahlreiche hochwertige Forschungsbeiträge sowie einen wissenschaftlichen Rezensionsteil verdient. Flankiert durch die Veröffentlichung zahlreicher relevanter Links erreicht Archivalia eine Publikationsfrequenz, die einen schwindelig machen kann. Eine “ausgesprochene Buntheit” und ein Interesse an vielfältigen Themen wurde Archivalia schon 2004 in einer Rezension bei H-Soz-u-Kult bescheinigt. Einen Namen hat sich Archivalia darüber hinaus als “Sturmgeschütz, das für Open Access kämpft” gemacht. Klaus Graf setzt sich mit diesem Blog außerdem für die Renaissance von Miszellen, Splitterveröffentlichungen und Textfragmenten ein, wie aus seinem Vortrag am DHI Paris deutlich wird. Die Art und Weise, in der Archivalia die Community mit Information versorgt, ist sowohl qualitativ wie auch quantitativ einmalig. Anzahl der im Blog publizierten Einträge: Oktober 2011: 274, September 2011: 378. Seit September 2010 war ich auch der Hauptverantwortliche für das damals gemeinsam mit dem Internetauftritt etablierte Weblog der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Historikerverband. Es ist am Desinteresse der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft an dieser Form des Publizierens im Netz gescheitert (siehe ausführlich Abschied vom AGFNZ-Blog, 9. Dezember 2011). Die Inhalte wurden nach de.hypotheses.org importiert, das Blog wird – derzeit auf Sparflamme – als “Frühneuzeit-Blog der RWTH” am Lehr- und Forschungsgebiet Frühe Neuzeit der RWTH Aachen weitergeführt. Im Redaktionsblog von de.hypotheses.org habe ich bislang außer der mit Mareike König verfassten Übersicht zur Geschichtsblogosphäre einen Beitrag zur archivischen Blogosphäre beigesteuert.  Anlass war die von dem Siegener Kreisarchivar Thomas Wolf, nach mir der wichtigste Archivalia-Beiträger, initiierte Gründung eines Gemeinschaftsblogs der Archive im Landkreis Siegen-Wittgenstein. Stark bildlastig ist das am 26. September 2011 eröffnete Tumblr-Blog Archivalia-EN, ein nur von mir bestückter englischsprachiger Ableger von Archivalia mit über 2700 Beiträgen und 220 Followern, die das Blog in ihrem Dashboard verfügbar haben.  Wie das Frauen-Netzwerk Pinterest wird Tumblr überwiegend für das Bloggen von im Netz gefundenen Bildern verwendet. Ein praktisches Bookmarklet erleichtert das Teilen von Bildern, Zitaten und Videos.  Ursprünglich als Ergänzung zu den englischsprachigen Beiträgen von Archivalia konzipiert, nutze ich dieses Blog zum Mitteilen englischsprachiger Links aus meinen Interessensgebieten sowie als “Bilderschleuder”. Da die interne Suchfunktion nicht funktioniert und Google solche Blogs natürlich nicht komplett erfasst, sollte man alle Einträge, die man später einmal wiederfinden möchte, mit Tags verschlagworten.  Die Bildauswahl ist bunt gemischt: Neben Bildern aus alten Handschriften finden sich beispielsweise solche von Schreibmaschinen oder schönen alten Bibliotheksräumen. Längere englischsprachige Texte von mir sind dagegen schon aus Sprach- und Zeitgründen kaum vertreten. Alle Beiträge aus dem Tumblr-Blog werden automatisch zu meinem Twitter-Account Archivalia_kg, den ich seit drei Jahren besitze, weitergeleitet und landen ebenso automatisch auf Facebook. Auch Meldungen von Google+, dem von mir bevorzugten sozialen Netzwerk, gelangen so zu Twitter. Das von mir als Archivar betreute Hochschularchiv der RWTH Aachen ist seit kurzem auch auf Google+ aktiv.  Seit April 2008 unterhält es das bisher einzige Weblog eines einzelnen Archivs aus dem deutschsprachigen Raum (bei Blogger.com). Glücklicherweise schreiben meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die meisten Beiträge in diesem Blog und auf Google+. Man kann mich aufgrund dieser doch recht bedenklich anmutenden Produktivität als Blogger gewiss in die Schublade eines klassischen Vielschreibers einsortieren. Bedeutet aber Quantität ohne weiteres auch geringere Qualität? “Ein Wissenschaftler, der nicht bloggt, ist ein schlechter Wissenschaftler” In der Diskussion zu meinem Pariser Referat wurde mir die Frage gestellt, ob ich der Ansicht sei, dass ein Wissenschaftler, der nicht blogge, ein schlechter Wissenschaftler sei. Ich antwortete mit einem lapidaren Ja. Wer die methodischen Schritte, die Droysen Heuristik nannte, nicht beherrscht, kann kein guter Historiker sein.  Ein deutscher Mediävist, der nicht mit der MGH umgehen kann, ist kein guter Mediävist. Wer ineffizient nur mit gedruckten Bibliotheksbeständen und umständlichen Fernleihen arbeitet, weil er das Auffinden von Digitalisaten nie richtig gelernt hat, ist sicher kein Vorbild für Studierende. Jeder akademisch Lehrende hat seinen Studentinnen und Studenten immer auch Heuristik beizubringen. Dazu gehört im digitalen Zeitalter essentiell der Umgang mit Internetressourcen und das Wissen um die Möglichkeiten des Web 2.0.  Wie man das Mitmach-Web hinreichend verstehen und seine Chancen, aber auch Gefahren im universitären Unterricht angemessen darstellen soll, ohne selbst mitzumachen, ist mir ein Rätsel. Ein Schwimmlehrer, der nur auf dem Trockenen lehrt, aber selbst nie im Wasser war, wäre eine absurde Vorstellung.  Ein Professor, der sich von oben herab über die Wikipedia äußert, ohne sich mit ihr genügend auseinandergesetzt zu haben, ist dagegen alles andere als ein Außenseiter. Über soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook oder Mendeley werden zunehmend auch wissenschaftliche Neuigkeiten ausgetauscht.  Wer hier nicht am Ball bleibt, gerät ins Hintertreffen. Natürlich kann man als genialer Meistererzähler mit einem kleinen Handapparat veralteter gedruckter Quellenausgaben und ohne Zuhilfenahme einer Schreibmaschine eine großartige historisch-philosophische Darstellung schaffen – aber wie realistisch ist ein solches Wissenschaftlerbild in unserer Gegenwart? Der Einstieg ins Bloggen kann am einfachsten mit sogenanntem Kuratieren erfolgen (mehr dazu in Archivalia).  Ein Tumblr-Blog ist wirklich in 5 Minuten eingerichtet (siehe auch das Tumblr-Blog der historischen Schulbibliothek des Hamburger Christianeums). Wer an einer Hochschule lehrt, dem ist trotz aller Zeitzwänge wirklich zuzumuten, ein solches Mikroblog wenigstens für ein Semester probeweise zu führen. Da man allenthalben über die fachliche Informationsüberflutung stöhnt, wären solche Blogs, die auf neue Bücher und Aufsätze zu einem Forschungsgebiet hinweisen könnten, als Orientierungshilfen dringend wünschenswert. Niemand ist gezwungen, für ein großes weltweites Publikum zu schreiben. Er kann sich an den Interessen eines Fachpublikums orientieren, auch wenn ein allgemeiner Internetzugriff möglich ist (siehe dazu auch Michael Schmalenstroer: “Wissenschaft, Bloggen und die Öffentlichkeit”, 20. September 2011). Es geht also um öffentliches Teilen von Wissen im Zeichen von “Open Access”, nicht um eitle Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Wer Hochschuldidaktik im digitalen Zeitalter ernst nimmt, muss als Lehrender ständig dazu lernen, und das geht im Web 2.0 nur durch “teilnehmende Beobachtung”. Wissenschaftsbloggen ist meist Bloggen über Wissenschaft, kaum Bloggen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu publizieren.  Ich bin jedoch der Überzeugung, dass wir auch mehr Experimente auf diesem Feld brauchen. Von den genannten Blogs, an denen ich beteiligt bin, bieten lediglich Archivalia und das AGFNZ-Blog solche Inhalte.  Frank Pohle veröffentlichte im AGFNZ-Blog zwei Nachträge zum Nordrheinischen Klosterbuch. Der erste Artikel betraf biographische Neufunde zum Jesuitenkolleg Münstereifel, der zweite Beitrag zu einer übersehenen Aachener Klosterchronik lieferte Anregungen für eine niederländische Forscherin, wie den Kommentaren zu entnehmen ist. In Archivalia gibt es einen kleinen Fundbericht (2010) über die Identifizierung eines württembergischen Sagenautors aus dem 19. Jahrhundert, der nicht aus meiner Feder stammt.   Ich habe jetzt nachträglich versucht, diejenigen Beiträge von mir in Archivalia, die neue, wenn auch nur bescheidene wissenschaftliche  Erkenntnisse erbringen, mit einem Schlagwort #forschung zu versehen. Ich komme so auf derzeit 66 Einträge, die überwiegend kleine Funde aus dem Bereich der Erforschung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Handschriften betreffen. Der wohl wichtigste Fund – er galt einer hochmittelalterlichen Handschrift Ruperts von Deutz in der Hofbibliothek Sigmaringen – hat sogar eine Notiz im Deutschen Archiv 2010 veranlasst. Dank WebCite bzw. webcitation.org ist es möglich, dauerhaft auf solche Beiträge zu verlinken, auch wenn Archivalia aus dem Netz verschwunden sein wird (Beispiel). Natürlich bin ich auch stolz, dass Archivalia bislang zweimal in der Datenbank des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke zitiert wird und dass es nach der Abbildung eines unidentifizierten deutschsprachigen Fragments aus der Hamburger Christianeums-Bibliothek in Archivalia nur wenige Stunden dauerte, bis der Germanist Stephen Mossmann in Manchester den Text als Teil einer Vita Dorotheas von Montau von Johannes Marienwerder  bestimmen konnte. Wenigstens kurz hingewiesen sei auf den wissenschaftlichen Anspruch erhebenden Rezensionsteil von Archivalia mit bislang über 40 Original-Besprechungen. Es sollte viel solche Versuche, wissenschaftliche Ergebnisse online in Blogform zu präsentieren, geben. Daher möchte ich den letzten Teil meiner Ausführungen einem konkreten Vorschlag in dieser Richtung widmen. “Historische Miszellen” – ein Peer-Review-Journal für kürzere Beiträge Es gibt keine epochenübergreifende deutschsprachige Open-Access-Zeitschrift im Bereich der Geschichtswissenschaft. Das muss aber nicht so bleiben. Bevor man ein ambitionierteres Projekt angeht, könnte man mit einem E-Journal experimentieren, das kürzere Beiträge (etwa bis 10 DIN-A-4-Seiten) aufnehmen soll (analog zu dem kanadischen Open-Access-E-Journal Opuscula, das für ausdrücklich  Editionen von Kurztexten aus Mittelalter und Renaissance vorgesehen ist). Auch kleine Funde sind als Mosaiksteinchen zu einem größeren Bild mitteilenswert.  Dieses Journal könnte – nach dem Motto “keep it simple and stupid” – als Blog im Rahmen von de.hypotheses.org realisiert werden.  Arbeitstitel: “Historische Miszellen”. Die freie Lizenz CC-BY wäre wünschenswert. Langzeitarchivierung und dauerhafte Adressen der Beiträge (URN, DOI o.ä.) sollten sichergestellt werden – auch wenn das Projekt nach einer Evaluierungsphase eventuell aufgegeben wird. Obwohl ich nicht dazu neige, die Forderung nach einem “Peer Review” wie eine Monstranz umherzutragen (nach wie vor praktizieren wichtige geschichtswissenschaftliche Zeitschriften anscheinend kein Peer Review), wäre es keine schlechte Idee, eine solche Qualitätssicherung einzubauen.  Das Peer Review sollte nicht länger als einen Monat beanspruchen. Beiträge sollen neue Erkenntnisse enthalten, müssen aber nicht unbedingt attraktive Themen behandeln oder hoch-innovativ sein. Das Review soll vor allem offenkundigen Unsinn, unwissenschaftliche oder grob fehlerhafte Beiträge aussondern (Vorbild: PLoS One).  ”Doppelt blind” wird nicht praktiziert, ob ein Open Review stattfindet, könnte der Beiträger entscheiden. Anders als bei dem Open Review von “Kunstgeschichte” sollten aber mindestens zwei Gutachter in jedem Fall eine kurze schriftliche Stellungnahme mit Anregungen/Auflagen abgeben. Blogs sollten ein wissenschaftliches Experimentierfeld sein, sie sollten – gemäß dem von mir geforderten neuen “Kult des Fragments” – auch Unfertiges und Unausgereiftes aufnehmen. Die Beiträge können dann – nach dem Prinzip der “Bananensoftware” – in der Öffentlichkeit reifen, bis sie der Autor – eventuell nach Einarbeitung von Hinweisen in den Kommentaren – einem etwas formellerem Medium, einer gedruckten Publikation oder den hier vorgeschlagenen “Historischen Miszellen” überantwortet. Es schadet aber auch nichts, wenn sie diese Veredelungsstufe nicht erreichen. Über den Herold Georg Rüxner aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts gibt es in Archivalia derzeit 50 Einträge, von denen einige unbekanntes Material enthalten. Über eine Publikationsanfrage der Landshuter Museen hatte ich 2009 die Möglichkeit, den damaligen Kenntnisstand in einem gedruckten Ausstellungsbegleitband zusammenzufassen. Inzwischen gibt es dazu aber etliche Nachträge, die teils in Archivalia bereits publiziert wurden, teils auf eine solche Mitteilung noch warten.  Da ich leider dazu neige, Themen anzufangen und dann halb- oder dreiviertelbearbeitet in der Schublade liegenzulassen, therapiert Archivalia als ständiges “work in progress” hin und wieder eine solche Schreibblockade. Blogs sind schneller als gedruckte Publikationen, sie können multimedialer sein und haben vor allem einen für mich entscheidenden Vorteil, den sie mit allen Online-Publikationen, die auf eine HTML-Präsentation setzen, teilen. Soweit Quellen und Literatur online vorhanden sind, können sie verlinkt und vom Leser mit einem Klick überprüft werden.  (Das wäre übrigens auch ein Mittel zur Plagiatbekämpfung.) Fazit: Wir müssen auch in den Geisteswissenschaften davon wegkommen, die gedruckte Publikation als Non-Plus-Ultra der wissenschaftlichen Kommunikation zu betrachten. Dafür brauchen wir mehr Mut und mehr Experimente.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/392

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ISSN für die wissenschaftlichen Blogs bei Hypotheses.org

Dank des Engagements des Zentrums für elektronisches Publizieren (Cléo, Marseille) können jetzt auch den wissenschaftlichen Blogs von Hypotheses.org ISSN zugewiesen werden. Die ISSN ist eine eindeutige Nummer für eine regelmäßig erscheinende Publikation, die fünf Voraussetzungen erfüllen muss1:

  • edierte Inhalte publizieren;
  • einen Herausgeber haben;
  • fortlaufend unter einem gleich bleibenden Titel erscheinen;
  • eine dauerhafte URL haben, die zum Inhalt führt;
  • zusammenhängende Inhalte anbieten, die sich an ein Zielpublikum richten.

Letztes Jahr hat die Nationalbibliothek Frankreichs (BnF) den Antrag des Cléo genehmigt und 69 ISSN an Wissenschaftsblog von Hypotheses vergeben. Diese ISSN sind sowohl in der Fußzeile des Blogs als auch in seinem Katalogeintrag auf OpenEdition angegeben. Die Zuteilung weiterer ISSN soll auch in Zukunft folgen. Zum ersten Mal wurden damit ISSN für wissenschaftliche Blogs auf einer Plattform vergeben; dies gewährt auch den Fortbestand ihrer Inhalte.

Die Vergabe von ISSN erleichtert die Zitierbarkeit und Sichtbarkeit der Publikationen, die auf Hypotheses.org erscheinen.

Bild: Ta place à grande vitesse, von Tangi Bertin, CC by  2.0

 

1. Diese Kriterien sind auf die offizielle Webseite des ISSN International Center zu finden: http://www.issn.org/2-22638-ISSN-and-electronic-publications.php []

Quelle: http://bloghaus.hypotheses.org/14

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Was können und sollen wissenschaftliche Blogs leisten?

Vor einiger Zeit wurde über die provokante These von Norbert Bolz diskutiert (Medienwissenschaft, TU Berlin), der Nachwuchswissenschaftlern davon abriet, Massenmedien, Blogs und andere öffentlichkeitswirksame Formate zu bedienen. Das könne der Karriere schaden. Siehe dazu hier (scienceblogs.de) oder hier (arthistoricum.net). Gestern nun erschien bei Telepolis ein Interview mit Holger Wormer (Wissenschaftsjournalismus, TU Dortmund), der Bolz zu Recht in weiten Teilen widerspricht (zum Interview). Ich will das zum Anlass nehmen, die Diskussion hier im Blog der Redaktion von de.hypotheses anzustoßen, was ein Wissenschaftsblog sein kann. Auffällig an der Argumentation von Bolz und Wormer erscheint mir, dass der Zweck des Bloggens weitgehend auf den Aspekt einer Wirkung in die breite Öffentlichkeit hin beleuchtet wird. Wie wichtig aber ist das Bloggen etwa für die Arbeit, also die Reflexions- und Erkenntnisprozesse des bloggenden Wissenschaftlers selbst? Und: Wie wichtig ist es für den Austausch über neue Ideen mit Fachkollegen? Nebenbemerkung: Holger Wormer kritisiert neben der wachsenden Zahl wissenschaftlicher Blogs („Wer soll das alles lesen“? Ich würde zur Diskussion stellen: Die Zahl ist fachabhängig unterschiedlich und lesen soll der, der sich für die behandelten Themen der naturgemäß oftmals sehr spezialisierten Blogs interessiert, punktum) auch, dass die Blogs „zu versprengt“ seien. Genau hier kann man den großen Mehrwert des neuen Portals de.hypotheses sehen: Bündelung von Wissenschaftsblogs bei gleichzeitigem Herausfiltern besonders breitenwirksamer Posts über de.hypotheses.org.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/315

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“Was heißt und zu welchem Ende…?” Net-Working und das wissenschaftliche Werk – Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen eines universalhistorischen Blogs

Anton F. Guhl Es ist eine grundsätzliche Frage: Ist Wissenschaft, die ihre Ergebnisse nach geduldigem Studium in umfassenden Analysen durch das sorgfältige Prüfen von Thesen und Antithesen gewinnt, kompatibel mit dem schnelllebigen, hybriden und oft unverbindlichen Medium des Weblogs? Publish … Weiterlesen

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/1114

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Junge Hamburger Geschichtswissenschaft – Zur Geschichte einer Vortragsreihe

Anna-Maria Götz und Christa Wetzel Im laufenden Wintersemester 2011/12 findet die Vortragsreihe „Junge Hamburger Geschichtswissenschaft“ (JHG) zum vierten Mal an der Universität Hamburg statt. Alle zwei Wochen, jeweils am Montagabend, stellen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Historischen Seminars ihre Forschungsprojekte und … Weiterlesen

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/1129

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Planned Obsolescence: Kathleen Fitzpatrick über wissenschaftliches Bloggen

Ende 2011 ist Kathleen Fitzpatricks neues Buch über die Gegenwart und Zukunft des akademischen und insbesondere geisteswissenschaftlichen Publikationswesens im Zeitalter der digitalen Medien erschienen, mit dem Titel Planned Obsolescence: Publishing, Technology, and the Future of the Academy (NYU Press, 2011). Da die Autorin zu den aktivsten Vertretern von neuen, offenen, Publikationsformen in den Geisteswissenschaften gehört, und weil es in dem Buch unter anderem um die Rolle und Bedeutung des wissenschaftlichen Bloggens geht, möchte ich hier zunächst eine kleinen Überblick über das Buch geben und mich dann der Frage widmen, was Fitzpatrick über das wissenschaftliche Bloggen sagt.

Das Buch ist die überarbeitete, gedruckte Version eines Publikationsprojekts und Experiments mit offenem, kommunikativem wissenschaftlichen Schreiben, das Fitzpatrick auf der Plattform CommentPress des Institute for the Future of the Book in den vergangenen Jahren durchgeführt hat (Planned Obscolescence). Dort hat sie das in Arbeit befindliche Manuskripts kapitelweise veröffentlicht: Leser konnten Kommentare hinterlassen, die Autorin konnte darauf antworten und das Ergebnis dieser Diskussionen in eine neue Version des Kapitels einfließen lassen.

Das Ergebnis kann sich lesen lassen. Kathleen Fitzpatrick blickt in jedem der fünf Hauptkapitel des Buches auf einen anderen Aspekt ihres Themas und untersucht jeweils, welchen Veränderungen akademisches Schreiben in diesem Bereich unterworfen ist: sie beginnt mit einem Kapitel zum “peer review”, wo sie für ein Verfahren plädiert, das zugleich “post-publication” und wirklich “peer-to-peer” wäre, und die beiden Funktionen von wissenschaftlichem Schreiben, die Kommunikation und die Reputationsbildung, berücksichtigt. Sie geht dann weiter zu Problematiken rund um das Konzept der Autorschaft und diskutiert unter andere, inwiefern der proklamierte Tod des Autors in den Geisteswissenschaften Realität ist oder sein kann. Anschließend analysiert die Autorin, wie sich der Text selbst im digitalen Medium verändert und geht vor allem der Frage nach, welche Konsequenzen neue Textstrukturen und -repositorien auch für die Interaktionen zwischen Autoren und Lesern haben. Darauf folgt ein Kapitel über die Frage der Langzeitverfügbarkeit digitaler Ressourcen, das vor allem Standards und Metadaten behandelt. Fitzpatrick schließt mit einem Kapitel ab, das sich den Institutionen zuwendet, in denen die drei bis dahin beschriebenen Konzepte und Praktiken funktionieren, insbesondere also der Rolle von “university presses” und wissenschaftlichen Bibliotheken im Bereich der geisteswissenschaftlichen Forschungspublikation.

Es geht Fitzpatrick dabei weniger (oder zumindest nicht in erster Linie) darum, eine direkte Determination der Schreibpraxis und ihrer Bedingungen durch das Technische zu konstatieren. Vielmehr liegt dem Buch die Einsicht zugrunde, dass einige der etablierten, im Zeitalter des Buchdrucks entstandene Mechanismen nicht mehr zufriedenstellend funktionieren (man denke nur an das Zeitschriftenwesen) und dass digitale Publikationsformen einen möglichen Ausweg für drängende Probleme sein können, unter der Voraussetzung allerdings dass wir sie auch bewußt in sinnvoller und zielgerichteter Weise gestalten und dabei nicht außer Acht lassen, dass es zugleich gilt, unsere Einstellungen und Institutionen zu verändern.

Was hat Kathleen Fitzpatrick nun speziell zum wissenschaftlichen Bloggen zu sagen? Als drei Kernmerkmale von Blogs nennt Fitzpatrick, die für sie die erste und erfolgreichste neue Form wissenschaftlichen Publizierens sind, dass sie “commenting, linking, and versioning” (S. 67) ermöglichen, drei Merkmale die alle den eigentlich immer schon vorhandenen, interaktiven, netzwerkhaften und prozessualen Charakter wissenschaftlichen Schreibens zu realisieren erlauben, der Fitzpatrick besonders wichtig ist (wobei die Versionierung doch vor allem Wikis auszeichnet und nur selten, und recht primitiv, in Blogs realisiert ist). Konkrete Vorteile des Bloggens für Forscher sieht sie außerdem vor allem darin, dass das Bloggen gewissermaßen die Finger lockert für andere Schreibaktivitäten, dass man seine im Blog formulierten Ideen durch das Feedback tatsächlich weiter und tiefer verfolgen kann, und dass man schon während des Forschungsprozesses ein interessiertes Publikum erreicht oder für sich aufbauen kann.

Zentral und grundsätzlich scheint mir an Fitzpatrick Plaidoyer für das Bloggen zu sein, dass sie Wissenschaft als im Kern kommunikativ,  interaktiv und prozesshaft definiert – es geht darum, dass Wissen, Ideen und Texte frei zirkulieren können, diskutiert werden können, dadurch weiterentwickelt werden und zugleich ihr Publikum erreichen (S. 100). In dieser Perspektive ist der Blog natürlich ein ideales Medium, in dem man schnell, unkompliziert, offen und interaktiv publizieren kann. Fitzpatrick gibt selbst gerne zu, dass all dies eher für Kurzformen gilt und dass für die wissenschaftlichen Langformen noch keine vergleichbar elegante digitale Form existiert (S. 109-110).

Und so ist es wohl zumindest aktuell noch nicht nur meinem eigenen Verhaftetbleiben in der Printkultur zuzuschreiben, dass ich Fitzpatricks Ideen nicht auf ihrem Blog, sondern in Buchform und in extenso gelesen habe, wobei es mir allerdings ständig in den Fingern kribbelte, um den vielen Verweisen auf Projekte und Referenzen online weiter nachzugehen. Und die Konversation rund um das Buch findet ja, auch hier zum Beispiel, selbstverständlich wieder im Netz statt, ganz im Sinne Fitzpatricks.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/193

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Tagung “Weblogs in den Geisteswissenschaften” am 9.3.2012

Weblogs in den Geisteswissenschaften oder: Vom Entstehen einer neuen Forschungskultur. Tagung des Deutschen Historischen Instituts Paris und des Instituts für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Start des Blogportals de.hypotheses.org (Digital Humanities am DHIP #4) . Mit finanzieller Unterstützung von L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung und der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA).

Wissenschaftliches Bloggen bietet ein großes Potential für die schnelle Verbreitung und Diskussion aktueller Forschungsinhalte. Im deutschsprachigen Raum und speziell in den Geisteswissenschaften wird dies noch viel zu wenig erkannt und genutzt. Mit dem Aufbau eines deutschsprachigen Blogportals für die Geisteswissenschaften – http://de.hypotheses.org – soll diese Form der wissenschaftlichen Kommunikation nun stärker verbreitet werden. Das Portal stellt einen kostenlosen Service zur Verfügung, der das Eröffnen von Wissenschaftsblogs in allen Disziplinen der Humanities erleichtert, diese unter einem Dach versammelt und für eine größere Sichtbarkeit wie auch für die Archivierung der Inhalte sorgt. Die Tagung begleitet den offiziellen Online-Gang von de.hypotheses.org. Neben einer Bestandsaufnahme zum aktuellen Stand des geisteswissenschaftlichen Bloggens in Deutschland und der Vorstellung einzelner Beispiele ist ein Blick über den Tellerrand auf die Blogkultur anderer Länder und anderer Disziplinen geplant. Dabei stehen Fragen der Zielsetzung, Akzeptanz, Anerkennung und die Stilformen dieser Art der Publikation im Mittelpunkt, ebenso wie Qualitätssicherung, Themenfindung und der Umgang mit Kommentaren. Die Tagung will nicht nur Anregungen für das eigene wissenschaftliche Bloggen bieten, sondern auch der Frage nachgehen, inwiefern wir derzeit das Entstehen einer neuen Forschungskultur erleben.     Programm Ab 9h00: Empfang der Teilnehmerinnen und Teilnehmer 9h30 Begrüßung und Einleitung Prof. Dr. Gudrun Gersmann (DHIP), Prof. Dr. Hubertus Kohle (Institut für Kunstgeschichte, LMU) I. Wissenschaftsblogs als angewandte Forschung: Wo stehen wir? Moderation: Dr. Michael Kaiser (Stiftung Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland DGIA) 9h45 Dr. Cornelius Puschmann (Humboldt Universität zu Berlin/Alexander-von-Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft) Was ist ein Wissenschaftsblog? Form, Funktion und Ökonomie einer emergenten Kommunikationsform 10h15 Dr. Melissa Terras (University College London) Whispers into the Void: Personal Reflections on Academic Blogging 10h45 Kaffeepause II. Andere Länder, andere Disziplinen, neue Portale Moderation: Prof. Dr. Claudine Moulin (Trier Center for Digital Humanities) 11h15 Marc Scheloske (Wissenswerkstatt) Wege aus der Nische: Was man von erfolgreichen (Natur-)Wissenschaftsblogs lernen kann 11h45 Dr. Aurélien Berra (Universität Paris-Ouest) News from the Hyposphere. Scholarly Blogging in France 12h15 Dr. Mareike König (DHIP) de.hypotheses.org – ein Blogportal für die deutschsprachigen Geisteswissenschaften 13h00 Mittagspause III. Themen, Praxis und Beispiele geisteswissenschaftlicher Blogs Moderation: Dr. Jürgen Danyel (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) 14h00 Ass.Prof. Dr. Eva Pfanzelter (Universität Innsbruck) Blogging the Holocaust 14h30 Dr. Klaus Graf (RWTH Aachen) Wissenschaftsbloggen in Archivalia & Co. 15h00 Georgios Chatzoudis (Gerda Henkel Stiftung) Wissenskommunikation im Netz: Interaktivität als Herausforderung am Beispiel von „L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung“ 15h30 Kaffeepause IV. Ausblicke für die geisteswissenschaftliche Blogosphäre Moderation: Gregor Horstkemper (BSB München) 16h00 Prof. Dr. Hubertus Kohle (Ludwig-Maximilians-Universität München) Open Peer Review: eine Möglichkeit zur Qualitätssicherung bei Wissenschaftsblogs? 16h30 PD Dr. Peter Haber (Universität Basel) Aufbruch in eine neue Wissenschaftskultur? Wohin treibt die wissenschaftliche Blogosphäre? 17h00 Abschlussdiskussion Moderation: Prof. Dr. Hubertus Kohle (Ludwig-Maximilians-Universität München) 17h30 Ende der Veranstaltung Tagungsort (ACHTUNG, am 20.1.2012 geändert!) Internationales Begegnungszentrum der Wissenschaft e.V. Amalienstraße 38 80799 München Bayerische Akademie der Wissenschaften Alfons-Goppel-Str. 11 80539 München Lageplan.pdf Anmeldung Deutsches Historisches Institut Paris Frau Inger Brandt ibrandt@dhi-paris.fr Die Vorstellung der Vortragenden und ihrer Kurzabstracts erfolgt hier auf dem Redaktionsblog. http://redaktionsblog.hypotheses.org Tagung des Deutschen Historischen Instituts Paris und des Instituts für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Start des Blogportals de.hypotheses.org (Digital Humanities am DHIP #4). Mit finanzieller Unterstützung von L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung und der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA).

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/136

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Der Centenaire 2014 und die deutsch-französischen Beziehungen

Das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe, Photo Michael Reeve, 29 Januar 2004

Die gedenkpolitischen Planungen zum 100. Jahrestag – dem centenaire – des Ersten Weltkriegs nehmen in Frankreich langsam Fahrt auf. Ein vom Président de la République in Auftrag gegebener Bericht, der “rapport Zimet”, schlägt für die Jahre 2014-2018 ein sehr ambitioniertes Großprogramm vor, in dessen Verlauf Zentralstaat und collectivités régionales gemeinsam des vierjährigen, totalen Krieges, der “Urkatastrophe” des 20. Jahrhunderts, gedenken wollen.

Der “rapport Zimet” – das offizielle Programm

Auf einzelne Aspekte des mittlerweile im Netz veröffentlichten und in seinen Grundzügen von den maßgeblichen Stellen (Präsident, Premierminister) abgesegneten Plans soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die großen Linien sehen für das Jahr 2014 eine Reihe von zentralen und dezentralen Gedenkveranstaltungen vor: Eröffnung des Gedenkjahres durch ein Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 28. 6. 2014 in Sarajevo, einen 14 juillet im Zeichen des Ersten Weltkriegs mit u.a. der Uraufführung eines Requiems und einer großen Royal-de-Luxe-Inszenierung auf den Champs-Elysées. Am 31. Juli soll die Ermordung Jean Jaurès’ 1914 Anlass zu einer zentralen Gedenkveranstaltung geben, bevor am 2. August ein dezentraler Gedenktag an die Mobilmachung zu Beginn des Krieges erinnern wird. Einige Wochen später, im September 2014, wird dann der 100. Jahrestag der Marne-Schlacht gefeiert werden. Krönender Abschluss des offiziellen Programms soll dann am Onze Novembre die “panthéonisation de Maurice Genevoix”, also die Überführung der sterblichen Überreste des wohl emblematischsten frz. Schriftstellers der “génération du feu” sein.

Der auf diese Art und Weise angefachte “élan commémoratif” wird dann in den Jahren 2015-2017 durch die collectivités régionales weitergetragen werden, bevor 2018 dann der (Zentral-)Staat wieder stärker auf den Plan tritt. Diese Arbeitsteilung gehorcht sicherlich z.T. Budgetzwängen, spiegelt aber auch ganz entscheidend die starke regionale Verankerung der Erinnerungskultur in Frankreich wider, wo es insbesondere in den 13 départements, die im Ersten Weltkrieg von Kampfhandlungen unmittelbar berührt worden sind, eine Unmenge an lokalpolitischen bzw. zivilgesellschaftlichen Gedenkinitiativen gibt. So wird z.B. das Jahr 2016 ganz im Zeichen des Gedenkens an die Verdun- und die Somme-Schlacht stehen, ohne dass Paris hier eine federführende Position einzunehmen beabsichtigt.

3 Begleitprojekte

Parallel dazu, das umfangreiche Programm flankierend, sieht der Bericht drei größere Projekte vor, die wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Akteure zusammenbringen sollen:

Zum einen ist angedacht, die Kriegsstammrollen (registres de matricules) der rund 8 Millionen frz. Soldaten im Ersten Weltkrieg zu digitalisieren und im open-access zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot käme zu den bereits jetzt frei verfügbaren Datenbanken zum Ersten Weltkrieg auf Mémoire des Hommes (Morts pour la France, Personnel de l’aéronautique militaire, Journaux des unités) hinzu und würde das Quellenangebot zum Ersten Weltkrieg substantiell erweitern.

Zum zweiten wird für 2016 die Klassifizierung des ehemaligen belgischen und französischen Frontgebietes als Weltkulturerbe vorangetrieben. Hier sind es wieder die 13 von 1914-1918 vom Krieg unmittelbar betroffenen départements, die in enger Zusammenarbeit mit belgischen Einrichtungen die Bewerbung bei der UNESCO vorbereiten. Frankreich und Belgien würden das dossier dann gemeinsam in die verantwortlichen Gremien einbringen. Ein Erfolg würde die weltweite Sichtbarkeit der ehemaligen Frontlinien signifikant erhöhen und, das gehört zu den eher unausgesprochenen Annahmen, das Tourismus-Aufkommen in den derart ausgezeichneten Gebieten deutlich erhöhen.

Darüber hinaus ist vorgesehen, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der in Frankreich nach wie vor brisanten und subkutan politischen Frage der „Fusillés pour l’exemple“, d.h. der wegen „Feigheit vor dem Feind“ standrechtlich erschossenen frz. Soldaten, auseinandersetzt und Empfehlungen ausspricht, wie mit ihrem quer zum tendenziell harmonisierenden, offiziellen Gedenkdiskurs liegenden Schicksal umzugehen ist.

Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs in Frankreich

Die Dimensionen des Jubiläums-Jahres 2014 führen die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Frankreich eindrücklich vor Augen. Es ist für deutsche Beobachter nicht unbedingt leicht nachvollziehbar, aber es ist so: der Erste Weltkrieg, jene vier Jahre, in denen sich Frankreich – so jedenfalls die vorherrschende Lesart – vereint und opferbereit den Herausforderungen der Weltgeschichte stellte, hat sich in den letzten 10-20 Jahren zum Ursprungsmythos des modernen Frankreich entwickelt.  La Grande Guerre hat damit im nationalen Symbolhaushalt der V. Republik eine Bedeutung erlangt, die mit der der französischen Revolution von 1789 durchaus vergleichbar ist. Dementsprechend verbindet sich mit dem centenaire eine klare geschichtspolitische Agenda. Anders als die problematische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, ist die Erinnerung an 14-18 trotz aller Nuancen und Differenzierungen – Nicolas Offenstadt spricht zu Recht von der erstaunlichen „plasticité symbolique“, d.h. der symbolischen Viel- und Mehrdeutigkeit des Ersten Weltkriegs[1] – eine Sinnressource für die Gegenwart. Das gilt für das ganze politische Spektrum. Bei allen Unterschieden in Stil und Tonalität z.B. zwischen der Rede Nicolas Sarkozys  am Grab des Unbekannten Soldaten und der Ansprache seines sozialistischen Herausforderers Francois Hollande auf dem Soldatenfriedhof Saint-Thomas d‘Argonne am 11. November 2011, ist unverkennbar, dass beide im 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs eine herausragende Gelegenheit sehen, die nationale Einheit der Franzosen in der Kriegszeit in Szene zu setzen: „Cohésion nationale“, „rassemblement national“, „unité nationale“ sind z.B. immer wiederkehrende Schlagworte. Dass es dabei insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenlage auch darum geht, durch die Würdigung der Opferbereitschaft vergangener Generationen die Bevölkerung in die Pflicht zu nehmen, den Herausforderungen der Zukunft tapfer und mit Selbstbewusstsein zu begegnen, liegt auf der Hand.

Es ist ganz entscheidend zu verstehen, dass das französische Interesse am Ersten Weltkrieg keinesfalls auf diese politisch-pädagogische Funktion reduziert werden kann. Die gedenkpolitischen Großinitiativen sind ganz im Gegenteil nur die Spitze des Eisbergs. Charakteristisch für die aktuelle Phase der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist vielmehr eindeutig das relative Übergewicht zivilgesellschaftlicher und regionaler bzw. lokaler Akteure. Impulse gehen weniger vom Zentralstaat aus, auch wenn dieser für die offiziellen Feierlichkeiten zuständig bleibt und z.B. über die DMPA (Direction de la Mémoire du Patrimoine et des Archives) im Ministère de la Défense eine Koordinierungs- und Finanzierungsfunktion ausübt, als von den Collectivités terrioriales, also den Kommunen, Départements und Régions, insbesondere – doch keinesfalls nur – im durch den Krieg besonders betroffenen Nordosten Frankreichs (Nord-Pas-de-Calais, Picardie, Champagne-Ardenne, Alsace und Lorraine). So entstanden z.B. das Historial de la Grande Guerre 1992 und aktuell das neue große Weltkriegs-Museum in Meaux aus lokalen Initiativen, die durchaus auch mit dem Hintergedanken, den tourisme de mémoire zu entwickeln, die Spuren des Krieges als Patrimoine culturel, also als schützenswertes Kulturgut, in Szene zu setzen beabsichtigen. Kulminationspunkt dieser Tendenz ist ohne Zweifel die bereits angesprochene Initiative, die Frontlinien von 1914-1918 von der UNESCO als Weltkulturerbe schützen zu lassen.

Ein weiterer wichtiger Anker der Weltkriegserinnerung in Frankreich sind die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Vereine und Verbände wie z.B. La Cavalerie dans la Bataille de la Marne, Les Amis de Vauquois, Soissonnais 14-18, Le Poilu de la Marne, Mémoire de la GG, Bleu horizon, die mit verschiedenen Zielsetzungen seit den 1980er, 1990er Jahren von Geschichtsinteressierten ins Leben gerufen wurden. Geht es vielen dieser Associations um den Erhalt der Schlachtfelder oder auch um den Erhalt ausgewählter monuments aux morts, organisieren andere Gedenkmärsche oder organisieren das Reenactment bestimmter Schlachten.

Der veritable „activisme 14-18“, den Nicolas Offenstadt in seinem sehr lesenswerten “14-18 aujourd’hui” beschreibt, kennt weitere Spielformen. Familiengeschichtliche Privatforschung, in diesem Zusammenhang teils in jahrelanger Kleinarbeit edierte Tagebücher und Feldpost, lokalgeschichtliche Initiativen und nicht zuletzt die seit den 1990er Jahren weiter zunehmende Thematisierung des Ersten Weltkriegs in Literatur, Film, Comic, Musik, etc. sorgen dafür, dass der Erste Weltkrieg in Frankreich anders als in Deutschland nicht nur „Geschichte“, sondern Gegenstand einer veritablen „pratique sociale et culturelle“[2] ist, die grassroot-Aktivismus und Gedenkpolitik, populäre und politische Erinnerungskultur gleichermaßen  durchdringt.

Internationalisierung des Gedenkens

So sehr das frz. Weltkriegsgedenken auch lokal, regional und nicht zuletzt national verankert ist, so wenig lässt sich im Europa des 21. Jahrhunderts eines Weltkrieges national gedenken. Von vornherein sieht der “rapport Zimet” daher systematisch die Internationalisierung der Gedenkveranstaltungen vor. Dabei wird angestrebt, nicht nur die ‚üblichen Verdächtigen’ aus Europa und Übersee einzubeziehen, sondern in größerem Maße als zuvor die globale Dimension des Krieges und seiner Konsequenzen abzubilden, so sollen z.B. die frz. Botschaften überall in der Welt ein Kulturprogramm entwerfen, das der Bedeutung des Krieges für das jeweilige Gastland Rechnung trägt. Eine große Bedeutung hat daher das Gedenken an die frz. Kolonialtruppen („tirailleurs sénégalais“) und die vielen außereuropäischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten (z.B. Chinese Labour Corps). Besonders eng wird die Zusammenarbeit in diesem Kontext auch mit denjenigen (westlichen) Ländern sein, für deren Nationalgeschichte der Erste Weltkrieg eine entscheidende Zäsur darstellt (Kanada, Neuseeland, Australien) und in denen die Vorbereitungen auf das Jahr 2014 z.T. schon sehr weit fortgeschritten sind.

Ein deutsch-französischer Kern

Unbenommen dieser globalen Dimension der Feierlichkeiten gehen die französischen Planungen aber von einem starken deutsch-französischen Kern aus, und in der Tat liegt es ja angesichts der historischen Feindschaft zwischen den beiden Ländern nahe, die Erfolgsgeschichte ihrer Aussöhnung und Annäherung als Ausgangspunkt für einen aufgeklärt-kritischen Blick auf die Vergangenheit zu nehmen. Der Erste Weltkrieg als Negativfolie, vor der die deutsch-französische Zusammenarbeit und darüber hinaus die europäische Integration in umso hellerem Licht erscheinen, dieser in vielerlei Hinsicht richtige und alternativlose Ansatz lag bereits den Feierlichkeiten zum Onze novembre 2009 zugrunde, als Merkel und Sarkozy gemeinsam am Grab des unbekannten Soldaten in Paris der Toten des Ersten Weltkriegs gedachten.

Im « rapport Zimet » liest sich das so: « C’est main dans la main avec l’Allemagne, partenaire, depuis cinquante ans, d’une réconciliation historique et de l’édification d’une Europe pacifique, qu’elle devra être racontée et commémorée. » Oder an anderer Stelle : « Cette parole franco-allemande sur la mémoire de la Grande Guerre sera déterminante pour travailler entre Européens autour de l’héritage commun de la Première Guerre mondiale, (…). La création d’un socle mémoriel et culturel franco-allemand solide et confiant sera déterminant pour la réussite du Centenaire. »[3] Mit anderen Worten : der Gedenk-Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland wird tendenziell ein höherer Stellenwert beigemessen als dem gemeinsamen Gedenken mit dem Kriegsverbündeten Großbritannien! Gerade im Lichte der aktuellen Krise erwartet die französische Seite ein starkes Signal, das dem Willen Deutschlands, sich der europäischen Integration weiter zu verschreiben, symbolisch Ausdruck verleiht.

Der Erste Weltkrieg in Deutschland

Nun ist es mit Symbolen und ihrer politisch gewollten transnationalen Übertragung und Instrumentalisierung so eine Sache. Abgesehen davon, dass die politische Kultur der Bundesrepublik sich insgesamt – jedenfalls verglichen mit Frankreich – mit symbolischer Kommunikation schwer tut, erschwert im konkreten Fall eine fundamental andere Beziehung zum Ersten Weltkrieg nicht nur die Formulierung einer deutschen Position, sondern viel grundsätzlicher das Verständnis für die französischen Erwartungen.

Ein kurzes Beispiel stehe hier pars pro toto für die stabile Asymmetrie in der Wahrnehmung der Jahre 1914-1918: Als am 12. März 2008 Lazare Ponticelli, der letzte französische Kriegsteilnehmer starb, war das allen französischen Tageszeitungen eine Meldung auf der Titelseite wert. Fünf Tage später, am 17. März, fand im Invalidendom in Paris eine offizielle Trauerfeier statt, die live im Fernsehen (TF1, France 2) übertragen wurde. Der Président de la République hielt eine Rede, hochrangige Repräsentanten des frz. Staates erwiesen dem Toten die letzte Ehre. Landesweit wurde der Schulunterricht für eine Schweigeminute unterbrochen und die Lehrer wurden per ministeriellem Erlass dazu aufgefordert, den jungen Franzosen und Französinnen Leben und Leistung des Verstorbenen in Erinnerung zu rufen. Mit dem letzten der „derniers poilus“, wie die französische Öffentlichkeit die letzten Veteranen des Ersten Weltkriegs mit einer Mischung aus Respekt, Ehrfurcht und Zuneigung in den letzten Jahren ihres Lebens genannte hatte, nahm Frankreich ganz offensichtlich von einem wichtigen Symbol, ja einem Kristallisationspunkt der nationalen Identität Abschied. Die besondere Stellung die Ponticelli, Louis de Cazenave und Jean Grélaud, die drei letzten poilus, als Orientierungspunkte, ja als „sages“, als Weise, in den 2000er Jahren eingenommen haben, ist in diesem Zusammenhang deswegen besonders interessant, weil sie auf eine manifeste Leerstelle verweist. Der letzte deutsche Kriegsteilnehmer nämlich, sofern man den angesichts der ungleich schwierigeren Quellenlage überhaupt sicher sein kann, dass er der letzte gewesen ist, der nur wenige Wochen vor Ponticelli starb, Erich Kästner, starb von der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt und ohne jedwede Reaktion von offizieller Seite.

Ein deutsch-französischer Vergleich soll hier nicht weitergeführt werden. Es genügt, die Reden Merkels und Sarkozys unter dem Arc de Triomphe vom November 2009 zu lesen, um zu verstehen, wie sehr deutscherseits der Holocaust und die Schrecken des Dritten Reichs als negativer Ursprungsmythos der Bundesrepublik den Ersten Weltkrieg weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt haben. Dies heißt nicht, dass von Seiten der Geschichtswissenschaft oder in der Museumslandschaft nicht ein reges Interesse am Ersten Weltkrieg bestünde. Großprojekte wie 1914-1918-online oder Europeana 1914-1918 belegen ganz im Gegenteil, dass sich in diesem Bereich sehr viel tut. Nur haben wir es hier mit einem eher akademischen, allgemein historischen Interesse an den Jahren 1914-1918 zu tun.  Für Symbolik und Selbstverständnis der Bundesrepublik und in der politischen Kultur Deutschlands insgesamt spielt der Erste Weltkrieg dagegen überhaupt keine Rolle.

Fazit

Diesen deskriptiven Befund muss man wertfrei zur Kenntnis nehmen. Die offensichtlich differente Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wirft letztlich ein Schlaglicht auf das Nicht-Vorhandensein einer mémoire collective européenne, und daran wird sich auch auf mittlere Sicht nichts ändern, was auch nicht weiter schlimm ist. Eine größere Sensibilität von deutscher Seite für die Erwartungen des Partners Frankreich kann aber gleichwohl helfen, manche Irritation zu vermeiden. Der 100. Jahrestag der „Urkatastrophe“ Europas bietet die Chance, die dauerhafte Pazifizierung Europas zu feiern und von deutscher Seite ein symbolisch starkes Bekenntnis zu den deutsch-französischen Beziehungen und zur europäischen Integration abzulegen. Dass dies vor dem Hintergrund eines in den letzten Wochen und Monaten keinesfalls nur in Frankreich massiv zunehmenden antideutschen Sentiments wünschenswert wäre, scheint jedenfalls kaum bestreitbar.

 

 

 


[1] Nicolas Offenstadt: 14-18 aujourd’hui. La Grande Guerre dans la France contemporaine, Paris 2010, S. 154.

[2] Offenstadt, S. 8.

[3] Rapport Zimet, S. 10, 24.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/143

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