China-News: Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus … (1871)

Die Wiener Weltausstellung 1873 war die erste im deutschsprachigen Raum – und die erste, an der sich China beteiligte. Die Vorbereitungen dafür begannen auf chinesischer Seite wohl unmittelbar nach dem Abschluss des ‘Freundschafts- Handels- und Schifffahrtsvertrags’ am 2.9.1869.  In den Wiener Blättern finden sich immer wieder Notizen zur Weltausstellung, darunter auch  Meldungen über die Vorbereitungen in China. Diese Texte geben Einblick in die Vorbereitungen und machen deutlich, welcher Anstrengungen es bedurfte, beovr am 1. Mai 1873 die Weltausstellung feierlich eröffnet werden konnte.

Einer dieser Texte findet sich fast gleichlautend in mehreren Wiener Blättern[1]. Er gibt Einblick in die Vorbereitungen – und macht deutlich, welcher Anstrengungen es bedurfte, bevor am 1. Mai 1873 die Weltausstellung feierlich eröffnet werden konnte.

Wiener Zeitung, 3.10.1871

Wiener Zeitung, 3.10.1871 (Ausschnitt)
Quelle: ANNO

Heinrich Joseph Aloys von Calice (1831-1912)[2], der in Shanghai 上海 residierte, hatte sich an den zǒnglǐ yámen 總理衙門[3] in Beijing 北京 gewandt und zur Teilnahme an der für 1873 geplanten Ausstellung eingeladen.

Vom Zǒnglǐ Yámen aus ging die Einladung dann über die verschlungenen Wege der chinesischen Bürokratie:
Der Superintendent der Seezölle von Jiangnan 江南 und daotai 道臺 von Suzhou 蘇州, Songjiang 松江 und Taicang 太倉 wurde vom provisorischen Handels-Superintendenten informiert, dass der Zǒnglǐ yámen die Superintendenten des Handels über die Einladung informiert hätte.
Die Zoll-Superintendenten in den offenen Häfen[4] sollten nun dahingehend instruiert werden, dass potentiell an einer Teilnahme interessierten Gruppen diese Einladung zur Kenntnis gebracht werde.
Als ‘incentive’ würden die für die Ausstellung bestimmten Waren in Österreich-Ungarn von Einfuhrzöllen befreit.
Im Gegenzug befreit die chinesische Regierung die für die Ausstellung bestimmten Waren vom Ausfuhrzoll. Davon erfuhr der Vertreter Österreich-Ungarns allerdings nicht direkt, sondern zuerst über den Direktor der Seezollverwaltung, Sir Robert Hart.[5]

Die ersten Aufrufe dürften wenig Resonanz erzeugt haben, denn Die Presse vom 7. März 1872[6] berichtet über die Berichterstattung im in Hongkong erscheindenden Daily Advertiser vom 18.1.1872:

In der Einleitung [...] wird China, das auf den bisherigen Ausstellungen nur schwach vertreten war, aufgefordert, sich lebhaft an der Aussteillung zu betheiligen und besonders die Auswahl solcher Gegenstände zu treffen, welche die Aufmerksamkeit weitester Kreise und die Naturproducte und Bodenschätze des Landes zu lenken geeignet sind. (Die Presse (7.3.1872) 14)

Die Bemühungen, Aussteller aus China zu gewinnen, waren durchaus erfolgreich, denn die Weltausstellungs-Commission schmetterte lauter werdende Kritik an der unzulänglichen Information über die Ausstellung im Inland (!)  damit ab, dass Anmeldungen aus China und Japan eingelaufen wären …[7].

  1. Wiener Zeitung, Morgen-Post, Die Presse vom 3.10.1871.
  2. Calice hatte 1869-1871 als Vertreter des k.u.k. Ministeriums des Äußern und des kaiserlichen Hauses an der ostasiatischen Expedition nach Siam, China und Japan teilgenommen. und war ab 1871 Ministerresident in Shanghai. 1874 kam er nach Bukarest, 1876 nahm er an der Konferenz von Kohenstantinopel teil, 1877-1880 war er im Ministerium des Äußern, 1880-1906 war er Botschafter in Konstantinopel. Kurzbiographie: “Calice, Heinrich Gf. (1831-1912), Diplomat”. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 133,
  3. Der Zǒnglǐ Yámen 總理衙門 (eigentlich: Zǒnglǐ gèguó shìwù yámén 總理衙門 ["Amt für die Belange aller Nationen"]) war das 1861 eingerichtete (Proto-)Außenministerium.
  4. Seit 1841/42 waren Shanghai 上海, Ningbo 寧波, Fuzhou 福州, Xiamen 廈門 und Guangzhou 廣州 offen, ab 1858 Nanjing 南京, Hankou 漢口, Shantou 汕頭 [Swatow], Niuzhuang 牛莊 und Tamsui 淡水sowie ab 1860 Tianjin 天津. Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde die Liste der Vertragshäfen immer länger.
  5. Sir Robert Hart (1835-1911) leitete als Inspector-General von 1863 bis 1911 die Imperial Maritime Custom Service (IMCS). S. Stanley Fowler Wright: Hart and the Chinese customs. (Belfast, Published for the Queen’s University [by] W. Mullan, 1950).
  6. Die Presse  Nr. 66 (7.3.1872) 14. Online: ANNO. Wortident auch in: Neue Freie Presse Nr. 2707 (7.3.1872) 7 (Online: ANNO).
  7. “Agitation für die umfassende Beschickung der Weltausstellung” In: Wiener Weltausstellungs-Zeitung Nr. 50 (15.6.1872) [5] Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1331

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Von Paris nach Berlin – der Publikumserfolg der „rue du Caire“

Von Jan Maier

Fast 32 Millionen Menschen besuchten vom 6. Mai bis zum 31. Oktober 1889 die Weltausstellung in Paris. Auf der 96 Hektar großen Ausstellungsfläche befanden sich unter anderem ein sogenanntes „village nègre“ und die „rue du Caire“. Sieben Jahre später waren auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung gleichzeitig eine „Kolonialausstellung“ sowie die „Sonderausstellung Kairo“ zu sehen. 7,4 Millionen Besucher strömten auf die mit 1,1 Millionen Quadratmetern bis dato größte Ausstellungsfläche Europas im Treptower Park, davon allein zwei Millionen auf die 60 000 Quadratmeter der Kolonialausstellung. Diese Sonderattraktionen in beiden Städten sind Zeugnisse Zurschaustellung kolonisierter Bevölkerungen, die einem bestimmten Muster folgten, das bei allen europäischen Kolonialausstellungen zu finden ist. Alice von Plato spricht bei der „rue du Caire“ von einem internationalen „Prototyp“, der die Grundlage für viele  weitere Ausstellungen wurde1.

Die Pariser „rue du Caire“ von 1889

Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine Faszination für Ägypten bei den Weltausstellungen. Zeigte man 1867 noch eigene Exponate mit dem Wunsch sich als „unabhängige Nation mit eigenen, unverwechselbaren Traditionen“2 darzustellen, überwog in der „rue du Caire“ in Paris von 1889 der koloniale Gedanke. Neben den fast 400 „Einheimischen“, einer bunten Mischung aus Händlern, Gauklern und verschleierten Frauen, waren auch Kamele und Affen zu sehen. In den vermeintlichen exotischen Cafés der engen Straße sollten die Besucher „orientalische Luft schnuppern“ und Souvenirs kaufen. Man sollte sich wie auf einem Basar fühlen. Die Berliner „Sonderausstellung Kairo“ war fast identisch mit ihrem von Baumeister Gabriel Wohlgemuth und Schausteller Willy Möller aufgegriffenen Pariser Vorbild. Nur mit dem Nachbau der Cheops-Pyramide ging man noch einen Schritt weiter und übertraf das französische Original. Dabei hatten die beiden Bauherren die Idee, nicht aber die Nachbauten aus Paris übernommen3.

Die hier gezeigten Beispiele sind nach dem selben Schema aufgebaut: Zunächst sollte eine exotische Atmosphäre geschaffen werden, in der sich die Besucher zugleich fremd- und wohlfühlten. Gleichzeitig sollte man menschlichen „Exponaten“ zusehen, wie sie ihren anscheinend normalen Tagesabläufen folgten, lebten sie doch in ihrer „natürlichen“ Umgebung. Durch diese stark reduzierte Darstellung der vermeintlich typischen Lebensweise wurde das Entstehen von Stereotypen gegenüber den kolonialisierten Kulturen gefördert. In beiden Fällen handelte es sich um eine bewusste Inszenierung zur Rechtfertigung des imperialen Ausgreifens auf die Welt.

Ähnlich war es auch im Pariser „village nègre“. Dort „lebten“ zirka 400 Menschen in Nachbauten von Hütten, die der Architektur der jeweiligen Stämme aus den französischen Kolonien nachempfunden waren. Umgekehrt zeigten die 1896 errichteten „Eingeborenendörfer“ in Berlin 103 Menschen aus den Kolonien des Deutschen Reichs (z.B. aus Kamerun und Togo). Daneben waren in beiden Ausstellungen kulturtypische Gegenstände und Häuser zu sehen. Das gemeinsame Prinzip bestand in der Nachahmung der Struktur eines afrikanischen Dorfes. In Paris spielte ferner die Idee des théâtre colonial eine Rolle, d.h. man wollte bei den Franzosen der Metropole einen Zuspruch zu den Kolonien auslösen, „zu einem Konsens über das empire gelangen“4. Ziel war also, „die Öffentlichkeit des Mutterlandes [Frankreich, J. Maier] zu verführen, indem man sie mit ‚ihren‘ weit entfernten Besitztümern vertraut machte“5. Neben der Kolonialpropaganda erfüllten die Sonderattraktionen in Berlin auch den Wunsch, der Gewerbe-Ausstellung einen internationalen Charakter zu verleihen.

Unterstützt wurde dies durch die mediale Präsenz der beiden Ausstellungen in der zeitgenössischen Presse. Trotz des Publikumserfolgs finden sich auch zeitgenössische kritische Stimmen zur Berliner Ausstellung. So zweifelte der Politiker Friedrich Naumann am Erfolg der Inszenierung von „Kairo“ und der „Kolonialausstellung“ und wirft ihr eine zu große Nähe zum Theater vor. Alfred Kerr, Theaterkritiker, äußerte ähnliche Bedenken zu „Kairo“, lobte diese in einem Brief vom 3. Mai 1896 jedoch als „sehr geistvolle[n] und […] anregende[n] Mumpitz.“6 Für die Kolonialausstellung dagegen konnte er sich überhaupt nicht begeistern.

Mit dem Ende der Gewerbe-Ausstellung  am 15. Oktober 1896 verschwanden die dort gezeigten Beispiele aber nicht aus Berlin. 1899 ging aus der Kolonialausstellung das Deutsche Kolonialmuseum hervor (bis 1915) und eine Replik der „Straße von Kairo“ befand sich 1904-1934 im Luna-Park, wo ebenfalls Senegalesen (1904) und Somali (1910) ausgestellt wurden.

Literatur

Volker Barth, Menschen versus Welt, Die Pariser Weltausstellung von 1867, Darmstadt 12007.

Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire (Hg.), Culture coloniale 1871-1931, La France conquise par son Empire, Paris, 12003.

Alice von Plato, Präsentierte Geschichte, Ausstellungskultur und Massenpublikum im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/New York 12001.

Ines Roman, Exotische Welten – Die Inszenierung Ägyptens in der Sonderausstellung „Kairo“ der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/1114/1/Magisterarbeit_Ines_Roman.pdf (26.07.2013).

Günther Rühle (Hg.), Alfred Kerr, Wo liegt Berlin?, Briefe aus der Reichshauptstadt, Berlin 51998.

Abbildung

La rue du Caire. Avenue de Suffren: Champs-de-Mars von Brown University, Public Domain

  1. Alice von Plato, Präsentierte Geschichte, Ausstellungskultur und Massenpublikum im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/New York 12001, S. 219, 224.
  2. Volker Barth, Menschen versus Welt, Die Pariser Weltausstellung von 1867, Darmstadt 12007, S. 246.
  3. Ines Roman, Exotische Welten – Die Inszenierung Ägyptens in der Sonderausstellung „Kairo“ der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896, S. 47, 52.
  4. „[…] à établir un consensus sur l’empire“ (Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire (Hg.), Culture coloniale 1871-1931, La France conquise par son Empire, Paris, 12003, S. 47.), übersetztes Zitat [J. Maier]
  5. „séduire le public métropolitain en le familiarisant avec ‚ses‘ possessions lointaines“ (Blanchard/Lemaire, 46), übersetztes Zitat [J. Maier]
  6. Günther Rühle (Hg.), Alfred Kerr, Wo liegt Berlin?, Briefe aus der Reichshauptstadt, Berlin 51998, S. 152.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1275

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