Teil 1 hier.
Lutz Raphael - Jenseits von Kohle und Stahl: Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom
Wenig überraschend interpretierte die BRD die Deindustrialisierung auch als eine Auflösung von Klassen und Schichten. Es gab zahlreiche Versuche, Deutungsmuster zu funden ("Risikogesellschaft" (Beck), "Erlebnisgesellschaft" (Schulze), "Informationsgesellschaft" (Bell). Beliebt in der bundesdeutschen Soziologie ist auch die Konstruktion der Sinus-Milieus. Diese Entwicklungen untergruben die alte Mobilisierungssprache nachhaltig. In Frankreich und Großbritannien dominierten amerikanische Deutungsmuster, die in der Deindustrialisierung vor allem eine Individualisierung betrachteten. Alle drei Länder erlebten einen Aufschwung kritischer Berichterstattung über "Problemgruppen", die sich diesem neuen Trend zu verweigern schienen (Arbeitslose, das Prekariat, etc.). Die alte Arbeitsgesellschaft verschwand fast völlig aus dem Blickfeld. Stattdessen entstand das Bild einer Gesellschaft, die die Kontrolle über ihre Ränder verloren hatte. Andere Scheidungslinien wie Rassismus und Sexismus wurden immer bedeutsamer. In der Soziologie breitete sich eine generelle Skepsis aus, inwieweit man überhaupt noch Kollektive fassen könne.
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Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2024/02/rezension-lutz-raphael-jenseits-von_14.html