Die drei Ordnungen. Das Weltbild der Digital Humanities #dhiha5

Aus dem Französischen übersetzt von Laura Roos, Anne Baillot und Mareike König (Originalfassung).

Wer sind nun die Digital Humanists? Ohne Zweifel eine komplexe und in Entwicklung befindliche Gemeinschaft, wie es fraglos die Panels des Kolloquiums DHIHA5 und unter ihnen besonders jene zur Ausbildung, zu den Formen digitaler Kultur und zu den Karrieremöglichkeiten vor Augen führen werden. Die kulturelle Vielfalt in den Digital Humanities, die ihren Ausdruck vor allem in der Mehrsprachigkeit findet, ist  im Übrigen  in Frankreich und Italien ein Thema von aktueller Bedeutung.

Doch auch über die Sprachen hinaus scheint es mir noch andere Möglichkeiten zu geben, die Bruchlinien innerhalb der Gemeinschaft derer, die sich zu den Digital Humanities bekennen, zu deuten. Vor langer Zeit wurde mir bewusst, dass die Digital Humanists in der Gemeinschaft, in der ich mich bewege, ein anderes Profil haben, als diejenigen, denen ich in anderen Bereichen begegnet bin, unabhängig von ihrem sprachlichen und kulturellen Hintergrund. Zum besseren Verständnis dieser Unterschiede verzeihen mir die Mediävisten (die meines Wissens hier zahlreich sind und denen ich selbst angehöre) hoffentlich den schelmischen Rückgriff auf ein berühmtes Werk von Georges Duby.

Oratores, bellatores, laboratores: jene, die beten, jene, die kämpfen, jene, die arbeiten. So könnte man in aller Kürze die drei von G. Duby unterschiedenen Stände zusammenfassen, die, wie es scheint, auch einen Schlüssel für das Verständnis der Gemeinschaft in den Digital Humanities darstellen könnten.

Jene, die arbeiten, übernehmen in der Dreiteilung von G. Dumézil die Produktion. In den Digital Humanities übernehmen diese Funktion diejenigen, die  sich praktischen Aspekten und konkreten Umsetzungen widmen. Manchmal handelt es sich um Informatiker, die sich den Geisteswissenschaften geöffnet haben. Oft sind es passionierte Geisteswissenschaftler, die sich die Mühe machten, den Umgang mit den neuen Werkzeugen und Konzepten zu erlernen.

Es ist dies, befürchte ich, der Bereich, der für die Digital Humanities der unerlässlichste ist und in Hinsicht auf Karrieremanagement und akademische Anerkennung gleichzeitig auch der fragilste. In der akademischen Welt erfahren solche konkreten Leistungen die geringste Wertschätzung (unter “konkret” verstehe ich nicht nur die reine Implementierungsarbeit, sondern auch Aspekte wie Modellierung, Design, Ergonomie…). Zudem ergibt sich ein Teufelskreis: Beginnt ein junger Geisteswissenschaftler, sich in die Erstellung von DH-Ressourcen einzubringen und Kompetenzen in dieser Domäne zu entwickeln, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man vor allen anderen diese Fähigkeiten in Anspruch nimmt (da sie seltener sind) und den jungen Menschen schleichend in einen Karriereweg drängt, den man mit bewundernswertem Optimismus “alternative academy” nennt: Techniker (ingénieur de recherche), digitale Bibliothekare etc.

Jene, die kämpfen, nehmen sich der Verteidigung der Digital Humanities an, auf politischer und intellektueller Ebene. Oft kämpfen sie dafür, den Digital Humanities den Status einer eigenständigen Disziplin zu geben. Haben die DH diesen Status verdient? Aus persönlicher Sicht und auf einer rein intellektuellen Ebene zweifle ich stark daran. Aber es sind nicht nur intellektuelle Debatten hier im Spiel, denn: Nur die Anerkennung der Digital Humanities als akademische Disziplin kann jenen, die arbeiten den Weg zu einer tatsächlich akademischen Karriere öffnen. Der Kampf hat meines Erachtens mehr mit den sozialen Umständen zu tun als mit einer Wesensbestimmung. Ich bin im Grunde überzeugt, dass die neuen Methoden und Technologien sich dort, wo sie für die einzelnen Disziplinen nützlich sind, derzeit von selbst durchsetzen oder durchsetzen werden. Ich möchte glauben, dass durch eine Art “Darwinismus”, das, was einen Vorteil besitzt, natürlich in der Evolution sowohl der Lebewesen als auch der Forschungspraktiken ausgewählt wird.

Jene, die beten, formen die letzte Kategorie, die größtenteils diejenigen versammelt, die ich als “nicht praktizierende Gläubige” bezeichnen würde. Enthusiastisch und vom Phänomen der Digital Humanities angetan, sind sie jedoch in die konkrete Umsetzung selbst nicht einbezogen. Paradoxerweise habe ich den Eindruck, dass diese Position einer akademischen Laufbahn unter Umständen erheblich dienlicher ist als jene des laborator. Der Diskurs über die Digital Humanities kann sich für die Karriere als wertvoller erweisen als ihre praktische Umsetzung.

Diese Kategorien sind glücklicherweise nicht undurchlässig. Vor allem jene, die kämpfen entstammen häufig den beiden anderen Ständen. Am wenigsten intensiv scheint der Austausch zwischen jenen, die arbeiten und jenen, die beten, zu sein. Es ist, als würden diese beiden Kategorien immer weiter auseinander driften, was mir äußerst bedauerlich erscheint. Könnte es sein, dass in den kommenden Jahren – wenn nicht die Abschaffung –  so doch die Vermeidung der weiteren Ausprägung einer Ständegesellschaft die zentrale Herausforderung für unsere Gemeinschaft ist?

______________

Literatur

Georges Duby, Les trois ordres ou L’imaginaire du féodalisme, Paris, Gallimard, 1978. (deutsch: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a.M. 1986.)

Georges Dumézil, Mythe et Épopée (I – L’Idéologie des trois fonctions dans les épopées des peuples indo-européens, 1968; II – Types épiques indo-européens : un héros, un sorcier, un roi, 1971; III – Histoires romaines, 1973), Paris, Gallimard, rééd. 1995. (deutsch: Mythos und Epos; 1. Die Ideologie der 3 Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker, Frankfurt/Main [u.a.] 1989.)

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1666

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Die drei Ordnungen. Das Weltbild der Digital Humanities #dhiha5

Aus dem Französischen übersetzt von Laura Roos, Anne Baillot und Mareike König (Originalfassung).

Wer sind nun die Digital Humanists? Ohne Zweifel eine komplexe und in Entwicklung befindliche Gemeinschaft, wie es fraglos die Panels des Kolloquiums DHIHA5 und unter ihnen besonders jene zur Ausbildung, zu den Formen digitaler Kultur und zu den Karrieremöglichkeiten vor Augen führen werden. Die kulturelle Vielfalt in den Digital Humanities, die ihren Ausdruck vor allem in der Mehrsprachigkeit findet, ist  im Übrigen  in Frankreich und Italien ein Thema von aktueller Bedeutung.

Doch auch über die Sprachen hinaus scheint es mir noch andere Möglichkeiten zu geben, die Bruchlinien innerhalb der Gemeinschaft derer, die sich zu den Digital Humanities bekennen, zu deuten. Vor langer Zeit wurde mir bewusst, dass die Digital Humanists in der Gemeinschaft, in der ich mich bewege, ein anderes Profil haben, als diejenigen, denen ich in anderen Bereichen begegnet bin, unabhängig von ihrem sprachlichen und kulturellen Hintergrund. Zum besseren Verständnis dieser Unterschiede verzeihen mir die Mediävisten (die meines Wissens hier zahlreich sind und denen ich selbst angehöre) hoffentlich den schelmischen Rückgriff auf ein berühmtes Werk von Georges Duby.

Oratores, bellatores, laboratores: jene, die beten, jene, die kämpfen, jene, die arbeiten. So könnte man in aller Kürze die drei von G. Duby unterschiedenen Stände zusammenfassen, die, wie es scheint, auch einen Schlüssel für das Verständnis der Gemeinschaft in den Digital Humanities darstellen könnten.

Jene, die arbeiten, übernehmen in der Dreiteilung von G. Dumézil die Produktion. In den Digital Humanities übernehmen diese Funktion diejenigen, die  sich praktischen Aspekten und konkreten Umsetzungen widmen. Manchmal handelt es sich um Informatiker, die sich den Geisteswissenschaften geöffnet haben. Oft sind es passionierte Geisteswissenschaftler, die sich die Mühe machten, den Umgang mit den neuen Werkzeugen und Konzepten zu erlernen.

Es ist dies, befürchte ich, der Bereich, der für die Digital Humanities der unerlässlichste ist und in Hinsicht auf Karrieremanagement und akademische Anerkennung gleichzeitig auch der fragilste. In der akademischen Welt erfahren solche konkreten Leistungen die geringste Wertschätzung (unter “konkret” verstehe ich nicht nur die reine Implementierungsarbeit, sondern auch Aspekte wie Modellierung, Design, Ergonomie…). Zudem ergibt sich ein Teufelskreis: Beginnt ein junger Geisteswissenschaftler, sich in die Erstellung von DH-Ressourcen einzubringen und Kompetenzen in dieser Domäne zu entwickeln, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man vor allen anderen diese Fähigkeiten in Anspruch nimmt (da sie seltener sind) und den jungen Menschen schleichend in einen Karriereweg drängt, den man mit bewundernswertem Optimismus “alternative academy” nennt: Techniker (ingénieur de recherche), digitale Bibliothekare etc.

Jene, die kämpfen, nehmen sich der Verteidigung der Digital Humanities an, auf politischer und intellektueller Ebene. Oft kämpfen sie dafür, den Digital Humanities den Status einer eigenständigen Disziplin zu geben. Haben die DH diesen Status verdient? Aus persönlicher Sicht und auf einer rein intellektuellen Ebene zweifle ich stark daran. Aber es sind nicht nur intellektuelle Debatten hier im Spiel, denn: Nur die Anerkennung der Digital Humanities als akademische Disziplin kann jenen, die arbeiten den Weg zu einer tatsächlich akademischen Karriere öffnen. Der Kampf hat meines Erachtens mehr mit den sozialen Umständen zu tun als mit einer Wesensbestimmung. Ich bin im Grunde überzeugt, dass die neuen Methoden und Technologien sich dort, wo sie für die einzelnen Disziplinen nützlich sind, derzeit von selbst durchsetzen oder durchsetzen werden. Ich möchte glauben, dass durch eine Art “Darwinismus”, das, was einen Vorteil besitzt, natürlich in der Evolution sowohl der Lebewesen als auch der Forschungspraktiken ausgewählt wird.

Jene, die beten, formen die letzte Kategorie, die größtenteils diejenigen versammelt, die ich als “nicht praktizierende Gläubige” bezeichnen würde. Enthusiastisch und vom Phänomen der Digital Humanities angetan, sind sie jedoch in die konkrete Umsetzung selbst nicht einbezogen. Paradoxerweise habe ich den Eindruck, dass diese Position einer akademischen Laufbahn unter Umständen erheblich dienlicher ist als jene des laborator. Der Diskurs über die Digital Humanities kann sich für die Karriere als wertvoller erweisen als ihre praktische Umsetzung.

Diese Kategorien sind glücklicherweise nicht undurchlässig. Vor allem jene, die kämpfen entstammen häufig den beiden anderen Ständen. Am wenigsten intensiv scheint der Austausch zwischen jenen, die arbeiten und jenen, die beten, zu sein. Es ist, als würden diese beiden Kategorien immer weiter auseinander driften, was mir äußerst bedauerlich erscheint. Könnte es sein, dass in den kommenden Jahren – wenn nicht die Abschaffung –  so doch die Vermeidung der weiteren Ausprägung einer Ständegesellschaft die zentrale Herausforderung für unsere Gemeinschaft ist?

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Literatur

Georges Duby, Les trois ordres ou L’imaginaire du féodalisme, Paris, Gallimard, 1978. (deutsch: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a.M. 1986.)

Georges Dumézil, Mythe et Épopée (I – L’Idéologie des trois fonctions dans les épopées des peuples indo-européens, 1968; II – Types épiques indo-européens : un héros, un sorcier, un roi, 1971; III – Histoires romaines, 1973), Paris, Gallimard, rééd. 1995. (deutsch: Mythos und Epos; 1. Die Ideologie der 3 Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker, Frankfurt/Main [u.a.] 1989.)

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1666

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