Thüringische Leichenpredigten – das Beispiel Andreas Reyher

Im Rahmen der im Projekt AutoThür edierten autobiographischen Texte will ich heute kurz auf die Leichenpredigt von Andreas Reyher eingehen. Dieser wirkte vor allem als Rektor des Gymnasiums in Gotha; seine Lebensspanne von 1601 bis 1673 machte ihn zu einem Zeitzeugen, der den Dreißigjährigen Krieg mit vollem Bewußtsein miterlebt hat.

Auffällig ist aber in dieser Lebensbeschreibung, daß Kriegsereignisse oder überhaupt politische Vorgänge praktisch keine Rolle spielen. Der Bericht scheint komplett auf die Biographie konzentriert, zeitgenössische Ereignisse werden nicht eingeflochten. Daß dies nicht zufällig geschieht, sondern offenbar einem bewußten Ausblenden geschuldet ist, zeigt die Schilderung der Jahre 1630 bis 1631. Reyher weilte damals in Leipzig. Hier interessieren ihn aber ausschließlich sein berufliches Fortkommen und besonders seine Qualifikationen an der Universität in Leipzig. Der Stolz ist durchaus zu spüren, als Reyher vermerkt, daß er am „19. Martii Anno 1631. unanimi Consensu Professorum & Assessorum in Numerum Collegarum auff= und angenommen worden“ sei. Daß zu dieser Zeit genau in Leipzig der sog. Leipziger Konvent tagte, der die protestantischen Reichsfürsten unter kursächsischer Führung in einer neuen politischen Organisation zu formieren sich anschickte, war für Reyher ohne Belang. Auch daß wenige Monate später vor den Toren der Stadt Leipzig in der Schlacht bei Breitenfeld die schwedisch-sächsische Armee das kaiserlich-ligistische Heer vernichtend schlug (zeitgenössische Quellen sprechen auch von der Schlacht bei Leipzig), ist Reyher keine Erwähnung wert.

Eine Ausnahme bildet das Jahr 1632, in dem Reyher zum Rektor des Gymnasiums in Schleusingen berufen wurde. Die Abreise aus Leipzig verzögerte sich aber wegen der akuten Kriegsgefahr. Erst nach der Schlacht bei Lützen brach er auf und gelangte dann auch an sein Ziel. Allerdings verlief diese Reise nicht ohne Komplikationen, vielmehr spricht die Leichenpredigt von „grosser Gefahr auch Beraubung“. Bezeichnenderweise bleibt es bei diesen Stichworten. Denn was bei diesem Raubüberfall genau passierte, wer dafür verantwortlich war und was Reyher einbüßte, wird nicht erwähnt: Marginalisierung als ein möglicher Weg, mit Kriegserleben umzugehen?

Am Ende noch ein Kuriosum: Reyher spricht von der Schlacht bei Lützen als der „Lützischen Niederlage der Ligistischer [!] Armee“. Das stimmt natürlich nicht, denn hier kämpfte nicht die Armee der Liga, sondern die kaiserliche unter Wallenstein. Auch hier also ein merkwürdiges Durcheinander historischer Fakten (vgl. Ähnliches schon in der Leichenpredigt des J. G. Heinold). Daß hingegen der Schlachtentod des schwedischen Königs Gustav Adolf, der im Reich für großes Aufsehen sorgte und sich auch in der Publikation vieler Flugblätter niederschlug, für Reyher keine Erwähnung wert ist, paßt dagegen wieder ins Bild einer Leichenpredigt, die das Zeitgeschehen fast komplett ausblendet.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/272

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