Codices im Netz – Die Digitalisierung mittelalterlicher Handschriften und ihre Konsequenzen

 

Ende November 2013 fand in Wolfenbüttel eine kleine, vom Mittelalter-Komitee der Herzog August Bibliothek organisierte Tagung zum Thema “Konsequenzen der Digitalisierung” statt. Zur Einstimmung in die Tagungsthematik hatten die drei Organisatoren (Stephan Müller/Wien, Felix Heinzer/Freiburg und ich) kurze Statements vorbereitet, die aus der jeweils eigenen Perspektive inhaltliche und methodische Herausforderungen der fortschreitenden Digitalisierung von mittelalterlichen Bibliotheksbeständen und Konsequenzen für deren Erforschung reflektieren. Meine Eingangsüberlegungen können hier in leicht überarbeiteter Form nachgelesen werden. Auf der Tagung hielten ferner Erik Kwakkel (Leiden), Björn Ommer (Heidelberg), Manuel Braun (Stuttgart), Sonja Glauch und Florian Kragl (Erlangen) Vorträge zu laufenden Digital-Humanities-Projekten im Bereich der Analyse, Paläographie, Edition und Auswertung mittelalterlicher Handschriften. Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem gemeinsamen Konzeptpapier zusammengefasst und als Blogbeitrag auf de.hypotheses publiziert werden.

Noch ein Turn

Von all den intellektuellen und technischen turns, die die Geistes- und Sozialwissenschaften im letzten Jahrhundert durchgeführt haben, ist der digitale zweifellos von einer anderen Natur und einer breiteren Wirkung, auch wenn nicht jeder in der akademischen Welt von uneingeschränkter Euphorie erfüllt ist. Die Entwicklung von Digitalität (digitality), im Sinne der Konzeptualisierung durch Nicholas Negroponte als ‘the condition of being digital’, ist nicht nur von allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz, vielmehr birgt sie auch bedeutende Konsequenzen für die akademische Welt und die Art und Weise, wie wir forschen. Hierbei stellt sich, insbesondere auch bei dem Thema der Wolfenbütteler Veranstaltung die grundlegende Frage: Digitalität verändert zweifellos unseren akademischen Alltag, aber wie sind diese Veränderungen methodologisch, und wenn man es so formulieren will, epistemologisch zu begleiten?

Vor allem die Sicherung, Dokumentierung und Bereitstellung des kulturellen Erbes in seiner materiellen Vielfältigkeit und Heterogenität stellen uns vor neue Herausforderungen. Hier sind grundlegende methodische Konzepte nicht nur für die so genannten Digital Humanities, sondern für alle geisteswissenschaftlichen, insbesondere auch die historisch arbeitenden Disziplinen insgesamt zu entwickeln. Die Frage ist also eindeutig nicht mehr die Frage nach dem ob der Digitalität und der digitalen Wissensbestände, sondern die nach dem wie. Der Bogen an Möglichkeiten spannt sich von mittlerweile anerkannten Parametern wie der Entwicklung und Anwendung von internationalen Standards, der prinzipiellen Verfügbarkeit des digitalisierten Materials über den Open Access Gedanken und der langfristigen Sicherung dieses Materials über die systematische Dokumentation der digitalen Erschließungstools bis hin zur Herausbildung und Akzeptanz neuer Publikations-, Evaluations- und Anerkennungskulturen im Rahmen digital-gestützter, geisteswissenschaftlicher Forschungsprozesse.

Kulturelle Artefakte und Forschungsobjekte im Wandel

Insbesondere wird nicht nur das Verhältnis zwischen Objekt bzw. Artefakt und wissenschaftlichem Beobachter neu ausgerichtet, sondern auch die prinzipielle Daseinsform dieser beiden Akteure im wissenschaftlichen Prozess, der unter Umständen entkörpert, entzeitlicht und enträumlicht werden kann. Es geht auch darum, das Verhältnis auszuloten zwischen dem historischen (analogen) Objekt und dessen digitalen Repräsentanten bzw. Abstraktionen, oder wie es unsere Oxforder Kollegin Ségolène Tarte formuliert, deren digitalen Avataren, die durchaus ihre eigene Existenzformen haben und auch eigene Gefahren im wissenschaftlichen Umgang mit ihnen bergen. Ferner gibt es auch die so genannten “digital born objects”, die so intendiert, gezielt produziert und ausschließlich digital existieren, wie etwa die nur virtuell vorhandene 3D-Rekonstruktion einer Handschriftenseite aus einem heute völlig verkohlten Fragment oder die Rekonstruktion eines Artefakts, das nie existierte, dessen Planung jedoch aus schriftlichen Quellen bekannt ist. Und schließlich gibt es Formen der Hybridität, der unterschiedliche Existenzformen vereinen.

In diesem Spannungsfeld der Objektvielfalt sind Forschungsprojekte im Rahmen der digitalen Erschließung und Analyse von Handschriftenbeständen angesiedelt, welche entsprechende Erkenntnismöglichkeiten eben nur durch die Existenz der Digitalisate ermöglichen. Dies betrifft sowohl das Digitalisat im Sinne der Einzelüberlieferung (etwa die Analyse einer Handschrift bzw. kleinerer Quellengruppen) als auch der Möglichkeit der Analyse und Auswertung von sehr großem Datenmaterial, das nur mit computergestützten Methoden zu bewältigen ist (hierzu hat Björn Ommer einen spannenden Vortrag zur Computer Vision gehalten). Die Herausforderung im Bereich der Digitalisierung ist es aber auch, wie bereits vielfach und auch auf der Wolfenbütteler Veranstaltung unterstrichen wurde, nicht nur Antworten auf die Fragen von heute (die wir ja kennen und formulieren können) zu finden, sondern auch zukünftige Fragen, die wir unter Umständen heute noch gar nicht fassen können, zu ermöglichen. Dies erfordert eine teilweise unübliche, noch zu erlernende methodologische Offenheit, und eine über die Perspektiven der Einzelfächer hinausgehende grundlegende Bereitschaft zur Interdisziplinarität.

Im Hinblick auf historische Bibliotheksbestände ist die Ausgangslage eine auf den ersten Blick Erfreuliche: Früh hat sich das “digitale” Augenmerk auf diese einmaligen Kulturbestände gerichtet, so dass inzwischen solide Erfahrungswerte vorhanden sind, und vielfach auch entsprechende Digitalisierungsstandards entwickelt werden konnten. Die Anzahl der Digitalisierungsprojekte oder der virtuellen Rekonstruktionsprojekte zu mittelalterlichen Bibliotheken ist etwa bereits für den europäischen Raum kaum zu überschauen, ganz zu schweigen von Vorhaben zu nicht-europäischen Schriftkulturen. Teilweise entstehen – auch durch besondere Umstände bedingt und abhängig von der jeweiligen Fragstellung oder Schwerpunktsetzung – so genannte Insellösungen, die nicht immer mit gängigen Digitalisierungs- und Kodierungsstandards kompatibel sind, und die somit auch eine Vergleichbarkeit und eine Interoperabilität der unterschiedlichen Digitalisierungsprojekte bereits auf nationaler Ebene erschweren. Hier wird eine der wichtigen Herausforderungen der nächsten Zeit sein, Brücken zu schlagen und Austauschmöglichkeiten der Formate zu ermöglichen, um übergreifende Untersuchungsszenarien zu ermöglichen.

Verlässt man die reine Digitalisierungsebene der Bestände in Richtung wissenschaftliche Erschließung, so können einerseits ausgehend von bereits vorhandenen, digitalisierten und entsprechend annotierten Beständen weiterführende Forschungsprojekte angeschlossen werden. Aus dem Trierer DFG-Projekt „Virtuelles Scriptorium St. Matthias“, das die heute dislozierte, mittelalterlich Bibliothek von St. Matthias in Trier virtuell rekonstruiert, ist zum Beispiel das größere, vom BMBF geförderte Kooperationsprojekt „eCodicology“ entstanden, in dem u. a. Philologen, Buchwissenschaftler und Informatiker aus Darmstadt, Karlsruhe und Trier Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften entwickeln, die Makro- und Mikro-Strukturelemente einer Handschriftenseite im Hinblick auf Layout und Aufmachung automatisch erkennen und diese Informationen in die Metadaten zu jedem Image einpflegen. Das geht so weit gut, weil wir uns quasi ins gemachte Bett legen, sprich eigene, homogene Daten zu 500 mittelalterlichen Handschriften zu forschungsfragengetriebenen Analysen verwenden können.

Hybridität der Angebote in den digitalen Wissensräumen und Hürden im Forschungsalltag

Anders sieht es bezüglich der Quellengrundlage bei Vorhaben bzw. forschungsgetriebenen Einzelfragen aus, die man gerne als “traditionelle” Vorgehensweise bezeichnet (aber nicht ganz zutreffend, da diese doch eine zeitlose Daseinsform geisteswissenschaftlicher Forschung darstellt), und die auch nicht mit einem vorhandenen, homogenen digitalen Korpus etwa einer Bibliothek bzw. einem bereits fertigen Digitalisierungsprojekts zu einem bestimmten Thema zu bewältigen ist (bzw. es zur Zeit noch nicht ist). Ich möchte hier von einem eigenen Beispiel ausgehen: Im Rahmen einer Untersuchung zur Kulturgeschichte der Annotation habe ich an einer kleineren interdisziplinären Fallstudie, bei der der Ausgangsgedanke war, die Textgeschichte (und auch Texterfindung) des berühmten Architekturtraktates des antiken Autors Vitruvius durch die Überlieferung annotierter Exemplare vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit zu erforschen. Eine erste Stichprobe ergab, (u.a. auch dank der Existenz einer Online-Vitruv-Datenbank, die zumindest einen Teil der Zeitstrecke abdeckte), dass offenbar genügend Digitalisate entsprechender zentraler Handschriften, Inkunabeln und frühen Drucke für diese Fallstudie zugänglich sein müssten. Soweit die Theorie, die Praxis sah jedoch etwas anders aus: Viele Digitalisate, auch aus bekannten Bibliotheken bzw. auf der Europeana-Plattform, waren qualitativ so heterogen, dass zum Teil im schwarz-weißen Avatar der Buchrand selber und auch die eigentlich im Ausgangsobjekt vorhandenen Marginalien nicht mehr erkennbar waren. Ferner gab es regelmäßig Fehlverknüpfungen bzw. ungenaue Zuweisungen der Digitalisate einerseits innerhalb der Bibliothekskataloge selber und andererseits (wenn auch in geringerer Anzahl) in die vorhandene Vitruvdatenbank. Was hier unter Umständen für eine wissenschafts- oder architekturhistorische Fragestellung zu verschmerzen gewesen wäre (aber wahrscheinlich auch dort nicht), war aus philologischer Sicht methodisch deprimierend. Das Resultat war, dass ich die im Netz gewonnenen Daten zwar genauestens im Sinne einer Quellenkritik und auf dem Hintergrund eines Gesamtkorpus geprüft habe, aber dann entschieden habe, das digitale Angebot eher als Zusatzmöglichkeit zu nutzen und sonst gezielt wiederum das Original in der Bibliothek aufzusuchen. Trotz des vermeintlich überlieferungsgeschichtlich gut dokumentierten Vitruv, hat also das zur Zeit vorhandene, recht üppige digitale Angebot nicht gereicht, um (bereits jetzt) eine digital indizierte Einzelstudie durchzuführen, unter anderem eben wegen der unterschiedlichen Qualität der Digitalisate und deren Erschließung. In diesem Zusammenhang kommen die Historizität und Heterogenität der Bestandsdigitalisierung selber zum Vorschein, die im Laufe der letzten fünfzehn Jahre entsprechende Variabilitäten erzeugt hat. Insgesamt wäre es bestimmt interessant für Vitruv-Forschergemeinschaft, auf eine auch eine unkomplizierte, kollaborative Forschungsplattform zurückzugreifen, in der eigene zusätzliche Digitalisate und Erkenntnisse hätten eingepflegt werden können, und so langsam aus dem vorhandenen digitalen Angebot zu schöpfen bzw. diesen gezielt zu ergänzen.

Als Zwischenfazit bleibt im Bereich der einzelnen forschungsfragengetriebenen Analysen (die man auch als bottom-up-Prozesse verstehen kann) der Befund eines qualitativ hybriden Angebots im Bereich der Digitalisierung und der digitalen Erschließung mittelalterlicher Quellen, bei dem wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr genau darauf achten müssen, womit wir es zu tun haben (bzw. in anderen Worten: Prüfe, bevor du dich bindest). Dies sollte jedoch kein Grund sein, digitale Quellen nicht zu nutzen, sondern auch als Ermutigung verstanden werden, sich für eine Verbesserung des Angebots und dessen transparente Dokumentation zu engagieren, und sich auch konsequent für eine entsprechende heuristische Quellenkritik (“critique des sources”) einzusetzen, wie wir es ja sonst auch bei der “traditionellen” Quellenarbeit mit historischem Material tun.

Brainstorming für eine übergreifende Dokumentation einer bestands- und forschungsorientierte Digitalisierung

Die Frage ist ferner, wie man internationale Standards, offene Schnittstellen und Best Practice-Verfahren für die Digitalisierung und Erschließung dieser Bestände nicht nur entwickeln kann (denn die gibt es ja vielfach schon), sondern auch so propagieren kann, dass Insellösungen eher vermieden bzw. mit ihren Besonderheiten anknüpffähig werden, sowie Anforderungen der disziplinenindizierten Grundlagenforschung (wie etwa mit dem Vitruvbeispiel) aufgefangen werden können.

In dieser Hinsicht wäre der Gedanke eines internationalen Digital Documentation Platform of Manuscript Collections  überlegenswert (hier könnte dann Erik Kwakkel zum Beispiel nach allen digitalisierten, westeuropäischen Handschriften des 12. Jahrhunderts sammlungsübergreifend suchen, wie er es sich in seinem Wolfenbütteler Vortrag gewünscht hat). Sinnvoll wären in diesem Sinne auch grenzüberschreitende Zusammenschlüsse versierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als interdisziplinär aufgestelltes Gremium auch methodologisch-infrastrukturell operieren und das Verhältnis von Digitalisat und analoger Vorlage sowie das Verhältnis zwischen digitalisiertem historischem Objekt und Wissenschaftlern theoretisch ausloten (im Sinne kollaborativer Zusammenarbeit, ohne top-down-Vorgehen). Dabei wären Synergien mit anderen Initiativen zu digitalen Forschungsinfrastrukturen (etwa Nedimah, Dariah u. a.) und Census-Vorhaben zur mittelalterlichen Überlieferung auszuloten und anzustreben.

Auch die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs oder “Qualitätssigels” zur wissenschaftlichen Bewertung der digital zur Verfügung stehenden Handschriften bzw. Sammlungen sollte überlegt werden, anhand dessen die Benutzerin auf der jeweiligen Homepage übersichtlich und transparent über das Datenmaterial und dessen Aufbereitung informiert wird, und ihr auch die Möglichkeit eines direkten Feedbacks gegeben wird (etwas was ich mir schon lange für das VD16 und VD17 zum Beispiel wünsche). Notwendig sind ferner die Entwicklung und Auslotung von konkreten Benutzerszenarien und Benutzerstudien, mit deren Hilfe dokumentiert werden kann, welche Anforderungen an Digitalisate sowohl disziplinenorientiert als auch in übergreifender Sicht gestellt werden können und müssen.

Und schließlich sollten Studierende und der wissenschaftliche Nachwuchs frühzeitig für die Gesamtproblematik der Digitalisierung, dem Umgang mit dieser sowie ihrer Konsequenzen sensibilisiert und entsprechend ausgebildet werden – dies nicht nur in den neuen Studiengängen der Digital Humanities, sondern allgemein in den Einzeldisziplinen im Sinne einer traditionellen Heuristik und Quellenkunde im Umgang mit digitalisiertem Kulturgut.

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Für die Diskussion über und Anregungen zu meinem Eingangsstatement danke ich den Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmern sowie Vera Hildenbrandt (Trier Center for Digital Humanities), Falko Klaes (Universität Trier, Ältere Deutsche Philologie) und Georg Schelbert (Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Kunstgeschichte).

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Literatur (Auswahl)

Claudine Moulin, Multiples vies paratextuelles: Vitruve, De Architectura, 2013 (abrufbar unter: http://annotatio.hypotheses.org/222)

Nicholas Negroponte, Being Digital, New York 1996

Ségolène Tarte, Interpreting Ancient Documents: Of Avatars, Uncertainty and Knowldege Creation, ESF exploratory workshop on Digital Palaeography, Würzburg, Germany, http://tinyurl.com/esfDPwkshp, Talk given on 22d July 2011(http://oxford.academia.edu/SegoleneTarte/Talks/49627/Interpreting_Ancient_Documents_Of_Avatars_Uncertainty_and_Knowldege_Creation)

Virtuelles Skirptorium St. Matthias: http://www.stmatthias.uni-trier.de/ (DFG-Projekt

ECodicology:  Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften: http://www.digitalhumanities.tu-darmstadt.de/index.php?id=ecodicology (BMBF-Projekt)

 

 

Quelle: http://annotatio.hypotheses.org/353

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Soziologischer Monatsrückblick November 2013

Der Einsendeschluss für unsere nächste Ausgabe zum Thema „Krisen und Umbrüche. Wie wandeln sich Gesellschaften?” ist abgelaufen – habt’ für die vielseitigen und interessanten Einreichungen vielen Dank! Im Dezember werden wir nun im Redaktionsteam eure anonymisierten Beiträge diskutieren und darüber abstimmen, welche Artikel wir … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5830

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Psychologie als SozialWissenschaft – die Instrumente der Psychologie

Psychologen messen gerne. Ob bei der Evaluation einer Unternehmensstrategie, bei einem Vorstellungsgespräch oder in der Therapie, eine Frage stellen Psychologen gerne: Wie meinen Sie das genau? Was genau meinen Sie mit Kundenzufriedenheit, woran könnte ich einen zufriedenen Kunden erkennen? Was genau meinen Sie, wenn Sie sagen, dass Sie flexibel sind, können Sie mir Beispiele für flexibles Handeln in Ihrem Leben nennen? Was genau meinen Sie mit Schlafproblemen, bei welcher Schlafmenge und -qualität würden Sie von gesundem Schlaf sprechen? Mit solchen Anstößen zur Konkretisierung versuchen Psychologen die Verbindung herzustellen zwischen dem eher allgemeinen Abstraktionsniveau, auf dem sich alltägliche Gespräche und Gedanken oft bewegen, und der Sphäre des für jedermann Beobachtbaren.

Fragen wie diese können zu einer gewissen Genervtheit führen, weil sie in den Bereich dringen, der für uns selbstverständlich ist (“Ja, Herr Psychologe, Albträume find’ ich nicht so toll…”). Und auch wenn es stimmt, dass in vielen Fällen das für uns Selbstverständliche ebenso für Mitmenschen gilt, so unterschätzen wir aus unserer egozentrischen Sicht doch oft, wie anders die Anderen tatsächlich sind. Es gibt z. B. Studien zur Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeits-/Häufigkeitsbegriffen wie ‘wahrscheinlich’, ‘vielleicht’, ‘oft’ und ‘selten’, die zeigen, dass die mit den Begriffen verbundenen Zahlen sowohl zwischen verschiedenen Menschen als auch zwischen verschiedenen Situationen massiv schwanken. “Ich komme wahrscheinlich” kann in Bezug auf ein Vorstandstreffen etwas anderes bedeuten als wenn eine Party gemeint ist und kann von Sabine anders verstanden werden als von Ahmad. Wissenschaft hat aber den Anspruch, erstens für jeden Menschen gleichermaßen wiederholbar zu sein und zweitens konkrete Ergebnisse zu liefern. Darum darf nur das objektiv Selbstverständliche auch für selbstverständlich genommen werden.

Psychologen messen so ziemlich alles. Von der Intelligenz bis zur Fluktuationsrate im Unternehmen, von der Rückfallwahrscheinlichkeit eines Straftäters bis zur Flow-Intensität beim Kochen – alles wird unter die metaphorische Lupe genommen und quantifiziert, d. h. in Zahlen verwandelt. Das Ziel dieser Psychodiagnostik ist dabei immer, zukünftiges Verhalten und Erleben vorherzusagen und Entscheidungshilfen anzubieten. Bei der Berufsberatung bspw. wird versucht, überdauernde Fähigkeiten und Neigungen zu identifizieren und diese mit dem Eigenschaftenprofil verschiedener Berufsgruppen abzugleichen. Der Unterschied zum Ratschlag eines Freundes ist der weitere Horizont der gängigen psychologischen Tests. Standardisierte Persönlichkeits-, Eignugs- und Kompetenztests wurden und werden von so vielen Menschen bearbeitet, dass die Datenbasis weit über die Meinung eines einzelnen Menschen hinausgeht. Die Tests wissen sozusagen besser, wie gut sich jemand konzentrieren kann und wie ausgeprägt die Offenheit für neue Erfahrungen im Vergleich zu Abertausenden von anderen Menschen ist. Sie ermöglichen einen unverstellten Blick auf das eigene Innenleben.

Andererseits kann keine Testbatterie die Einzigartigkeit irgendeines Lebens erfassen und punktgenaue Vorhersagen machen. Es ist ebenso unsinnig, einem einzelnen Testwert sehr viel Gewicht beizumessen wie es kurzsichtig ist, ihm jegliche Relevanz abzusprechen. Die Schwierigkeiten bei der Übersetzung von menschlichem Leben in Zahlen sind niemandem so bewusst wie Psychologen, die, unabhängig von ihrem Spezialgebiet, im Studium zu Experten in Sachen Tests und Untersuchungsdesigns ausgebildet werden. Der diagnostische Blick bleibt nicht auf den Output eines einzelnen Instrumentes beschränkt. Im Gegenteil ist Psychologen daran gelegen, ein möglichst umfassendes Bild von einem Menschen zu bekommen, so dass z. B. Selbstauskünfte (“Ich bin schlau”) sowohl mit Testergebnissen (IQ-Test) als auch mit Verhaltensbeobachtungen (Schachspielen, Sprachgebrauch, …) abgeglichen werden.

Zwei Screeningfragebögen

Die bunten Fragen konstituieren zwei Screeningfragebögen, von denen einer international bewährt und der andere frei erfunden ist. Augenscheinlich sind sie sich ziemlich ähnlich. Wodurch wird eine Reihe von Fragen zu einem nützlichen psychologischen Instrument? Was unterscheidet psychologische von Dr. Sommer-Diagnostik?

Objektivität

Ein psychologisches Testergebnis sollte so unabhängig von den Umständen der Testung sein wie möglich. Darum entwerfen Psychologen strikte Richtlinien zu Durchführung, Auswertung und Interpretation. Die Reihenfolge der Aufgaben oder Fragen wird festgelegt, die Darbietungsform ist immer die gleiche und sogar die exakten Worte, die der Versuchsleiter bei jedem Schritt sagt, sind im Testmanual nachzulesen. Ebenso werden die Rechenschritte vom ‘Item’ (Fachbegriff für die kleinste Testeinheit, meistens eine Frage im Fragebogen oder eine Aufgabe im Test) bis zum Gesamtergebnis beschrieben. Und zu guter letzt werden auch die konkreten Begriffe vorgeschrieben, mit denen das Ergebnis beschrieben werden soll. Ein IQ von 104 Punkten bspw. wird ’durchschnittlich’, ein IQ von 116 Punkten wird ‘überdurchschnittlich’ genannt. Diese rigorose Standardisierungsunternehmung schafft zwar ein eher kühles und gekünsteltes Ambiente und findet ihre Erfüllung in der Übergabe der Versuchsleitung an einen Computer, doch liegt gerade darin auch die Stärke der Psychodiagnostik: Durch die Entkoppelung des Testergebnisses von zwischenmenschlichen Faktoren lassen sich Entscheidungen fernab von Sympathie und Vetternwirtschaft treffen. Auch wenn Frau Dr. Psycho mich nicht mag, mir etwas Böses will oder mich für extrem dumm hält, kann ich sicher sein, dass sich dies nicht in meinem Testergebnis niederschlagen wird.

Reliabilität

Ein Testergebnis sollte so genau und verlässlich sein wie möglich. Wenn mein IQ gestern 93 war und heute bei 121 liegt, ohne dass ich gestern völlig neben mir stand oder heute geschummelt habe, ist der Test unbrauchbar. Meistens versuchen Psychologen, die Ausprägung relativ stabiler Charakterzüge in Erfahrung zu bringen. Wenn ein Test nun von einem Tag auf den anderen stark schwankt, ist er auf jeden Fall nicht geeignet, etwas Stabiles zu erfassen, sondern misst irgendwelche mysteriösen Zufallsfaktoren, deren Einfluss auf das Testergebnis Psychologen unter dem Begriff ‘Messfehler’ zusammenfassen. Reliabilität ist Unabhängigkeit vom Messfehler und kommt außer in der gerade angesprochenen heute-morgen-Reliabilität (fachsprachlich Retest-Reliabilität) noch in einigen anderen Gewändern daher. Unter anderem umfasst Reliabilität auch das Ausmaß, in dem verschiedene Items dieselbe Eigenschaft messen. Z. B. könnten die Fragen “Mögen Sie Äpfel?”, “Mögen Sie Bananen?” und “Mögen Sie Birnen?” alle die Eigenschaft der Fruchtliebhaberei messen. Aber ob die Fragen “Mögen Sie gebackene Bananen?” und “Mögen Sie Bratäpfel?” denselben Geschmacksvorliebenbereich abdecken, ist fraglich.

Validität

Das Ziel, das psychologische Instrumentenbauer verfolgen, ist letztlich ein einfaches: Sie wollen, dass das Instrument genau das misst, was es messen soll. Wenn ein Test oder Fragebogen dies leistet, nennt man ihn valide und freut sich. Auf dem Weg zur Validität muss man jedoch zunächst die Hürden der Objektivität und der Reliabilität nehmen. Ein Test, der nach Annas Auswertung ein anderes Ergebnis hervorbringt als nach Julians Auswertung, kann nicht zuverlässig und genau sein. Und wenn ein Test nicht zuverlässig und genau ist, wenn er also stark messfehlerbehaftet ist, kann er nicht gut das messen, was er messen soll. Objektivität ist eine Voraussetzung für Reliabilität ist eine Voraussetzung für Validität.

Die Frage, was psychologische Instrumente messen, ist ganz und gar nicht trivial. Führen wir uns noch einmal vor Augen, wie viele gedankliche Schritte zwischen einem praktischen Anliegen wie der Entscheidung, ob ich Selin oder Klaus die attraktive und gut bezahlte Führungsposition anbiete, und einer Aufgabe wie der hier abgebildeten liegen. Einer dieser Schritte ist der zu dem Konstrukt, das wir ‘Intelligenz’ nenneraven matrixn und dem wir als Persönlichkeitseigenschaft eine gewisse, meist nicht allzu geringe Bedeutung beimessen. Aber was ist Intelligenz denn nun eigentlich? Als Laie meine ich, dass Intelligenz etwas mit schnellem Denken zu tun hat und mit dem Erkennen von Mustern und Zusammenhängen – allgemeine geistige Fähigkeiten. Und wenn ich mehr erfahren möchte, komme ich nicht umhin, mir einen Intelligenztest anzusehen. Messinstrumente sind die konkreten Ausformungen eines abstrakten Konstruktes und definieren dieses rückwirkend mit.

Das grundlegende Problem ist, dass es keine absolute Autorität gibt, die ein für alle Mal die Bedeutung von Begriffen festlegt. Die Entscheidung, ob ein Instrument Intelligenz misst oder Kreativität oder Purzelbaumaffinität, treffen Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet mit keinem anderen Kriterium als ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer einschlägigen Erfahrung. Wer sagt, dass die Experten tatsächlich Experten sind? Der Rest der Gesellschaft, wir alle gestehen ihnen diesen Status und damit auch die Autorität zu, solche Entscheidungen zu treffen. Die menschlichen Eigenschaften, mit denen forschende Psychologen sich beschäftigen, sind durch und durch sozial konstruiert und stehen für Kritik und Revision weit offen. Wenn wir uns heute alle gemeinsam dazu durchringen würden, einen anderen Haufen Leute als Experten zu betrachten als bisher, würde das den gängigen psychologischen Fragebögen und Tests ihrer Basis berauben. Der Wert jedes psychodiagnostischen Instrumentes ist es, Expertenwissen breitflächig verfügbar zu machen.

Fazit

Psychologen sind Messer. Sie quantifizieren stabile Persönlichkeitseigenschaften mit dem Ziel, Entscheidungshilfen vor einem gesamtgesellschaftlichen Horizont anzubieten. Ihre Messinstrumente sollten so objektiv und genau wie möglich messen und dienen dazu, Expertenwissen breitflächig nutzbar zu machen.

Verwendete Bilder:
NICO looks at himself by Georgia Pinaud, PD, http://en.wikipedia.org/wiki/File:NICO_looks_at_himself.jpg
Empty Wine bottle by Patrick Heusser, CC-BY-SA Unported 3.0, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Empty_Wine_bottle.jpg
Raven-Matrices a11 by Widescreen, PD, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Raven-Matrices_a11.jpg

Quelle: http://psych.hypotheses.org/107

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Vom Essen und vom Trinken in China (I): Allgemeine Bemerkungen

Die Entwicklung von Ess- und Trinkgewohnheiten nimmt auch in der Kulturgeschichte Chinas einen wichtigen Stellenwert ein.  Das Spektrum dabei reicht von den so genannten “sieben Notwendigkeiten des Lebens” (kaimen qi jian shi  開門七件事), die alle direkt oder indirekt mit Nahrung beziehungsweise mit deren Zubereitung zu tun haben (neben dem zum Kochen unerläßlichen Brennmaterial sind dies Reis, Öl, Salz, Soja, Essig und Tee), bis hin zu jenen exquisiten Speisen, die bei opulenten kaiserlichen Banketten gereicht wurden[1].

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Das auf dem Schälchen zu sehende Schriftzeichen shou 壽 bedeutet “langes Leben” – Foto: Monika Lehner

„Inhaltlich setzt sich Eßkultur aus Objekten, Handlungen, sozialen Beziehungen und Wertsystemen zusammen, die das menschliche Selbstverständnis berühren, Emotionen zum Ausdruck bringen und Chancen bieten, den alltäglichen wie ungewöhnlichen Lebenserfahrungen eine Bedeutung zu verleihen.“[2]

In diesem  Sinne wird sich “De rebus sinicis” in loser Folge inzelnen Aspekten des hier skizzierten Rahmens widmen. Obwohl schon der Titel der hiermit beginnenden Serie verrät, dass dabei weniger die Küche und das Kochen sondern vielmehr das Essen und das Trinken im Mittelpunkt stehen werden, sei zunächst auf die unterschiedlichen Kochtraditionen im Gebiet des heutigen China verweisen.[3] Diese unterschiedlichen Traditionen werden im Westen unter dem vereinfachenden Begriff “chinesische Küche” zusammengefasst. Gelegentlich ist von acht Hauptrichtungen die Rede. Diese Hauptrichtungen werden mit einzelnen Regionen beziehungsweise Provinzen verbunden (Beijing, Shandong, Jiangsu, Anhui, Guangdong, Fujian, Sichuan und Hunan). In anderen Darstellungen werden vier Großregionen unterschieden.[4]:

  • Norden (Beijing, Hebei, Henan, Shandong, Shanxi und Shaanxi) – Geschmacksrichtung: salzig – häufige Verwendung von Knoblauch – Spezialitäten: mongolischer Feuertopf, Peking-Ente
  • Osten (Jiangsu, Zhejiang, Anhui, Jiangxi, Hubei (ohne die südwestlichste Region), lokale Traditionen in den Städten Shanghai, Hangzhou, Suzhou und Wuxi – Geschmacksrichtung: sauer – gilt als “schwer” und “dekorativ”, u.a. bekannt für die Technik des “Rotkochens”, worunter man das langsame Köcheln in dunkler Sojasauce versteht, die mit Reiswein angereichert wurde
  • Süden (Fujian, Guangdong und Guangxi) – Geschmacksrichtung: süß – die verschiedenen natürlichen Aromen werden harmonisch kombiniert, Gewürze eher sparsam verwendet – als südchinesische Spezialität gilt Dim Sum (dianxin 點心[5])
  • Westen (Sichuan, Hunan, Guizhou, Yunnan und die südwestlichste Region von Hubei) – Geschmacksrichtung: scharf, auch mit ausgiebiger Verwendung von Gewürzen – ein typisches Gericht ist etwa die sauer-scharfe Suppe
  1. Einen kurzen Überblick über die Geschichte chinesischer Tafelfreuden bietet Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 342-344.
  2. Hans-Jürgen Teuteberg: „Homo edens. Reflexionen zu einer neuen Kulturgeschichte des Essens.“ Historische Zeitschrift 265 (1997) 6.
  3. Vgl. etwa Solomon H. Katz, William Woys Weaver (Hg.): Encyclopedia of Food and Culture (Scribner Library of Daily Life), 3 Bde. (New York 2003) [Bd. 1], S. 379-399 („China“, mit Abschnitten zur Küche des dynastischen China (S. 379-384) sowie zu den Regionalküchen von Beijing (S. 384-388, Eugene N. Anderson), Fujian (S. 388-390, Jacqueline M. Newman), Guangzhou (390-393), Sichuan (393-396), Zhejiang (S. 396-398, Eugene N. Anderson).
  4. Die Einteilung folgt Vgl. Yan-kit So: Chinesische Küche (Werl, o. J. [ca. 1990]) 7-10 (Karte auf S. 7), Piero Antolini, The Lian Tjo: Das große Buch der chinesischen Küche (Köln [1990]) 11 (Karte).
  5. Erläuterungen zur Begriffsgeschichte und anschauliche Bilder bietet das Ostasienlexikon der Hochschule Ludwigshafen, Art. “Dim Sum”

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/899

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Juli 1620: Kriegssteuern gegen die Exstirpation der Religion

Im Juli 1620 hatte der Feldzug gegen die aufständischen Böhmen noch gar nicht begonnen, als schon Probleme mit der Kriegsfinanzierung aufkamen. Maximilian von Bayern wünschte, daß die rheinischen Ligastände (also vor allem die drei geistlichen Kurfürsten) ihre Beiträge zur Kriegskasse erhöhten. Prompt organisierte Kurmainz ein Treffen, um über dieses Ansinnen beraten zu lassen. Maximilian ahnte, was kommen würde, und legte daraufhin Ferdinand von Köln seine Sicht der Dinge nahe (Herzog Maximilian von Bayern an Kurfürst Ferdinand von Köln, München 16.6.1620, Bay HStA Kasten schwarz 934 fol. 229-231 Konzept).

Dieser hatte kurz zuvor über die Schwierigkeiten berichtet, die erforderlichen Gelder aufzubringen. Maximilian muß über die Klagen seines Bruders Ferdinand enttäuscht, wenn nicht verärgert gewesen sein. Doch er ließ sich nichts anmerken, äußerte zunächst vielmehr Bedauern und versicherte, daß ihm die „difficulteten, beschwerden vnd verhinderungen“, von denen Ferdinand berichtet hatte, „ganz vnlieb“ seien. Daran knüpfte der bayerische Herzog aber die Hoffnung, daß sein Bruder doch noch „vff eisseriste mitl vnd weeg“ gedenken werde, um die erforderlichen Kriegssteuern für die Ligaarmee leisten zu können. Im Weiteren konnte er sich dann nicht die Bemerkung verkneifen, daß gerade er, Maximilian, als Bundesoberst der Liga die meisten Mühen zu ertragen und die größten finanziellen Lasten zu schultern habe. Entsprechend brach sich dann am Ende auch die Erwartung Bahn, daß sein Bruder Ferdinand als Kurfürst von Köln bei den anstehenden Beratungen ganz im Sinne Maximilians agieren und für die zügige Aufbringung der nötigen Gelder votieren werde.

Auffällig ist in diesem Schreiben Maximilians die überdeutlich konfessionell geprägte Argumentation. So fehlte nicht der Hinweis auf die höchste Not „des gemainen Cathollischen weßens […], darauff ainmal salus vel interitus religionis stehet“. Im Falle einer unzureichenden Finanzierung der Ligaarmee drohten nicht nur Spott, Schimpf und Nachteile, sondern vor allem ein „vnwiderbringlicher schaden der Cathollischen Religion vnd allen dessen zugewandten Stenden“. Gleichzeitig bekomme der Gegner die „erwinschte gelegenheit zu seinem schedlichen intent vnd extirpation der Religion“.

Das wirkt auf den ersten Blick deutlich alarmistisch und wohl auch etwas übertrieben. Ging es wirklich um Sein oder Nichtsein im Konfessionenstreit? Und meinte Maximilian dies wirklich so, wie er schrieb, oder skizzierte er nur ein Szenario, von dem er wußte, daß es bei den geistlichen Kurfürsten den gewünschten Effekt erzielen würde? Der bayerische Herzog war sicher ein kühl kalkulierender Fürst, der seine Argumente wohl abwog, auch in internen ligistischen Debatten. Doch sollte man nicht ausblenden, daß sich im Reich eine hochnervöse Spannung aufgebaut hatte, in der religiöse Existenzängste bei allen Konfessionsparteien nicht unbekannt waren. Axel Gotthard hat einmal von einem „Bedrohungssyndrom“ gesprochen, das er vor allem den geistlichen Kurfürsten attestierte. Es spricht einiges dafür, daß auch Maximilian von Bayern nicht frei von solchen Ängsten war. Und sie haben ohne Zweifel zumindest in dieser Phase auch die Politik maßgeblich mitbestimmt.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/358

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Archive im digitalen Nutzerkontakt. Virtuelle Lesesäle, soziale Medien und mentale Veränderungszwänge

Titelblatt Archivar 66 (2013)

In der aktuellen Ausgabe des Archivar (66/2013) findet sich auf den Seiten 406 bis 415 der Artikel “Archive im digitalen Nutzerkontakt. Virtuelle Lesesäle, soziale Medien und mentale Veränderungszwänge”. Wie dort angekündigt, soll hier in diesem Blog die Möglichkeit geschaffen werden, seine Inhalte und Thesen zu diskutieren. Für alle Anmerkungen, Meinungen, Rückfragen – natürlich gerne auch kritischer Art – ist der Autor dankbar.

Hier ist der Artikel auch online lesbar: Archive im virtuellen Nutzerkontakt

Für die unkomplizierte Bereitstellung des Artikels hier auf Archive 2.0 sei der Redaktion des Archivar gedankt.

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/1026

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Die “gute Butter” und das Schweigen: Eindrücke aus Gesprächen über die Nachkriegskinder-Studie

Häufig, wenn ich über die Nachkriegskinder-Studie erzähle, fangen meine Gesprächspartner an von ihren Eltern (oder Großeltern) zu erzählen. Die Geschichten dieser “zweiten Generation” sind nicht immer gleich, doch einige Themen tauchen öfter auf, wenn ich den Geschichten von früher und heute zuhöre.

„Gute Butter“, dieser Begriff gehört für mich zu der Generation, die den Krieg und die Zeit kurz danach selbst erlebt hat. Mir wurde erzählt, dass die Eltern/Großeltern als Kinder oder Jugendliche Kartoffelschalen ausgekocht haben, damit sie etwas zu Essen hatten. Manches Mal mussten sie lange suchen und bei Bauernhöfen betteln oder hungrig schlafen gehen. Der Hunger gehörte für sie dazu.
In späteren Wohlstandszeiten konnte dann dick gute Butter und Leberwurst auf das dünn geschnittene Brot geschmiert werden, so dick, dass die zweite Generation das Verhalten ihrer Eltern kaum nachvollziehen konnte. Wenn Besuch kam, wurde diesen trotzdem reichlich Essen aufgetischt, auch wenn die Gäste bereits satt waren, wurde mir erzählt. Widerrede war da zwecklos.

Ein weiteres Thema, dass in den Erzählungen immer wieder auftaucht, ist das Schweigen über die Vergangenheit. Kriegsgeschichten oder Flüchtlingserlebnisse, nach solchen Geschichten zu fragen sei für die nachfolgende Generation wie ein Tabu gewesen. Manche Kriegs- und Nachkriegskinder öffnen sich erst im hohen Alter, wenn sie überhaupt jemals darüber sprechen. Und wer hört schon gerne von Bombennächten, Fliegeralarm und Flucht, von Überlebensangst, Erschießungen, Vergewaltigungen, dem Tod des Vaters oder der Mutter und all den Schrecken, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte. Wenn ich nur Teile solche Geschichten höre und sie vergleiche mit den Sorgen, die Eltern heute um ihre Kinder haben, wenn ihnen im Vergleich eine Kleinigkeit zustößt, merkt man schnell, dass bei diesen Vergleichen Welten dazwischen liegen. Aber wieso sollten die Kinder von damals stärker oder unempfindlicher sein als die heutigen Kinder?

Besonders schwierig empfinde ich bei diesem Thema das Spannungsfeld zwischen Deutschen als Tätern und Deutschen als Opfern. Ich denke es ist einfach zu sagen, dass Kinder, die in der Kriegszeit und in der Nachkriegszeit geboren wurden, auch zu den Opfern des Nationalsozialismus gehören. Viele von Ihnen sind in einer Welt voller Zerstörung aufgewachsen, sowohl materieller, als auch ideeller Zerstörung. Fern liegt es mir jedoch, die deutschen Kriegs- und Nachkriegskinder so darzustellen, dass sich die tatsächlichen Täter mit Ihnen als Opfer identifizieren können. Kein Opfer des Nationalsozialismus darf vergessen werden. Manchmal ist das Schweigen der zweiten Generation bei diesem Thema auch Ausdruck des Unbehagens über das, was ihre Eltern getan haben, vermute ich.

Ein Arzt beschrieb mir die Generation, die den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebt hatte, oft als sehr bescheiden, wenn sie zu ihm in die Praxis kommen. Sie möchten nicht gerne zum Arzt gehen, reden ihre Leiden und Schmerzen klein und nehmen sich selbst zurück. Sie wünschten sich, dass es ihren Kindern einmal besser ginge, wofür sie oft wenig Rücksicht auf sich selbst genommen haben. Viele von Ihnen haben lange über ihre Vergangenheit geschwiegen, weil es ja allen schlecht ging, weil die Eltern beschäftigt waren, wegen dem Wiederaufbau und ihren seelischen Trümmern und wo für die kleinen Sorgen vielleicht kein Platz war. Jetzt im Alter, wo die Stärke und Selbstständigkeit schwindet, wo die eigene Hilflosigkeit immer deutlicher wird, bahnen sich die Erinnerungen ihren Weg. Und so sprechen diese Menschen plötzlich mit ihren Arzt in 10 Minuten über Dinge, über die sie mehr als 60 Jahre geschwiegen haben.

Die Reaktivierung der Nachkriegskinder-Stichprobe, ist für mich also nicht nur ein wissenschaftliches Projekt bei dem Forschungsfragen beantwortet werden sollen, sondern es soll auch ein Angebot zum Dialog der Generationen sein, bevor die Kriegskinder und die Nachkriegskinder ihre Geschichten nicht mehr selbst erzählen können.

Quelle: http://zakunibonn.hypotheses.org/378

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Kulturgut versus menschliches Leid?

In seinem absolut empfehlenswerten Wissenschaftsblog Archaeologik geht Rainer Schreg immer wieder auf bedrohtes Kulturgut ein. Ein aktueller Schwerpunkt ist der syrische Bürgerkrieg, der auch immense Kulturgutverluste brachte. Der jüngste Beitrag zitiert einen Kommentar in der WELT: “Es fällt schwer, bei all dem menschlichen Leid an Kulturgüter zu denken. Doch viele Experten sind davon überzeugt, dass deren Erhalt beinahe so wichtig ist wie die Rettung von Menschenleben. Das kulturelle Erbe sei untrennbar mit den Menschen verbunden, heißt es bei der Unesco. “Wenn Kulturgut in einem vom Krieg betroffenen Land Schaden nimmt, kann das bedeutende Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis der gesamten Bevölkerung haben”, sagt auch Museumsratspräsident Hans-Martin Hinz. Der Erhalt des Erbes sei ein entscheidender Faktor, um den kulturellen Wohlstand eines Landes zu schützen, seine Offenheit gegenüber der Welt zu wahren und um den Tourismus zu fördern. “Und der ist unerlässlich für den potenziellen Wiederaufbau.””

Das ist auch meine Auffassung. Es ist töricht, Kulturgutschutz und humanitäre Hilfe gegeneinander auszuspielen. Niemand dürfte bestreiten, dass die primäre Unterstützung den Menschen gelten muss. Doch in Kulturgütern verkörperte kulturelle Traditionen sind wichtige Bestandteile der menschlichen Lebenswelt, die ebenso Schutz verdienen wie unsere Umwelt.  Werden Kulturgüter vernichtet oder beschädigt, nimmt auch die kulturelle Identität der betroffenen Länder Schaden. Menschen brauchen Kultur.

Ich wünsche uns einen schönen Advent 2013. Wenn Sie etwas spenden möchten, gibt es unzählige Möglichkeiten. Beispielsweise für die Menschen auf den Philippinen, die Opfer des Taifuns geworden sind (der übrigens auch im Denkmalbestand gewütet hat, siehe Bild). Oder in Deutschland für die Stiftung Stadtgedächtnis, die sich um die Archivalien des 2009 eingestürzten Kölner Stadtarchivs kümmert.

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/330

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Mehr Europa wagen? Willy Brandt, die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) und der Nahe Osten

Spätestens seit den Ereignissen in der arabischen Welt in den vergangenen Jahren wird der Ruf nach einem gemeinsamen Auftreten der Europäischen Union in internationalen Angelegenheiten immer lauter, auch wenn er nicht neu ist: Mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) etablierten … Continue reading

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/1883

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Adventskalender 2013 – 1. Türchen

Poloreiterflasche um 1300 Herkunft (Allgemein): Ägypten (Land) Herkunft (Allgemein): Syrien (Land) honigfarbenes Glas mit rot konturierter roter, weißer, gelber, grüner, hell- und dunkelblauer Email- und Goldmalerei Höhe: 28,5 cm Durchmesser: 19 cm Durchmesser: 4,3 cm (Hals) Wandungsstärke: 0,5 cm Im … Continue reading

Quelle: http://jameel.hypotheses.org/289

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