Über das geozentrische Weltbild des Mittelalters II – die sublunare Welt

Bevor ich heute ein paar Worte zum Aufbau der sublunaren Welt verliere, vorneweg ein kurzer Disclaimer: Mir geht es hier vor allem darum, einen möglichst simplen Einstieg in das mittelalterliche Weltbild zu geben. Viele wichtige Autoren, Theorien und Forschungskontroversen des Mittelalters muss ich daher leider unter den Tisch fallen lassen. Wenn möglich, versuche ich, mittelalterliche Autoren zu Wort kommen zu lassen, auch wenn diese nicht die Urheber der vorgestellten Theorien sein sollten.

Der mittelalterliche Kosmos erinnert ein Stück weit an eine Zwiebeln, die aus verschiedenen, umeinander angeordneten „Schichten“ besteht. Im Zentrum dieser Zwiebel findet sich die Erde, begrenzt wird sie, quasi als Schale, durch die Ebene der Fixsterne. Dazwischen sind die Planeten inklusive Sonne und Mond.

Sphärenmodell am Freiburger Münster – Foto: privat

 

 Diese Schichten, oder richtiger Sphären, lassen sich untereinander Qualitativ unterscheiden: in einen sublunaren (also unterhalb der Sphäre des Mondes) und einen himmlischen Bereich. Während die himmlische Welt durch den Menschen nicht beeinflusst werden kann, stellt die sublunare Welt, also die Sphären unterhalb des Mondes im weitesten Sinne dessen Lebensbereich dar – und um diesen dreht sich der heutige Beitrag.

Die sublunare Welt besteht aus vier Elementen oder verschiedenen Mischtypen. Ideengeschichtlich lässt sich diese Vorstellung (wie auch die Einteilung in sublunar und himmlisch) auf Aristoteles zurückführen[1], ich möchte aber mit Wilhelm von Conches, den ich schon des Öfteren zu Wort kommen lassen habe, beginnen. Im Dragmaticon (nach der englischen Übersetzung von Italo Ronca[2]) schreibt dieser: „In his [hier ist Aristoteles gemeint] opinion, the four elements exist from the moon downward […]; all things below the moon are either elements or consist of them.“ (Buch III, cap. 5)

Die vier Elemente sind natürlich die Erde, das Wasser, die Luft und das Feuer. Sie haben verschiedene Eigenschaften und nehmen einen jeweils eigenen Ort im Weltgefüge ein: Über der Erde findet sich Wasser. Über dieser Schicht Luft, und als letztes Element vor den himmlischen Sphären, das Feuer.

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Die sublunaren Sphären nach Hartmann Schedel aus seiner Weltchronik (Druck Nürnberg 1943, Digitalisat UB Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00309000 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/)

Diese Anordnung ist nicht willkürlich, sondern lässt sich durch Logik und Beobachtung durch die Schwerkraft herleiten: Zum einen hat jedes Element sein ihm eigenes Gewicht (Am schwersten ist die Erde, am leichtesten das Feuer): „[T]here is no part of earth or water that, if raised for some cause, would not descent once that cause was removed; and the heavier earth is than water, the faster it is in this motion toward the center.“ (Buch II, cap. 6, 5) Umgekehrt sei es bei den Elementen Luft und Feuer: sie würden natürlicherweise nach oben streben.

For since every place except earth is higher than water, and it is contrary to the nature of water to ascend, and since the lowest place is occupied by a more solid element [nämlich die Erde], water cannot move by any kind of transfer.” (Buch II, cap. 6, 11) Gleiches gilt für Luft, die nicht aufsteigen kann, weil sie durch das leichtere Element des Feuers begrenzt wird. „In conclusion, the fabric of the world remains unshaken because of the great bodies, which are called elements by some, have no place to which to move by transfer.” (Buch II, cap. 6, 12)

In der Mitte dieser sublunaren Welt befindet sich also die Erde. Sie ist unbeweglich. „If you want a rational argument: from ist bulkiness, coldness, and dryness“, das sind Qualitäten dieses Elements, die Wilhelm an anderer Stelle ausführt, „the earth is insensible, heavy, and immovable.“ (Buch II, cap. 6, 7).

Sie hat aufgrund der Schwerkraft darüber hinaus die Form einer Kugel, weil “the stars that appear at one latitude do not appear at another: the star of Canopus, which is visible in Egypt, is not visible at our latitude. This would never happen if the earth were flat. Therefore, the earth is round and spherical.” (Buch VI, cap. 2, 6, einen anderen Beweis habe ich hier schon vorgestellt). Besonders schön ist dieser Aufbau der sublunaren Welt in Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique, MS. 9231, fol. 281v zu finden.

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Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique, MS. 9231, fol. 281v

Die Welt verstanden als geographischer Raum wurde im Mittelalter vor allem auf zwei Arten dargestellt[3],

  1. als TO-Karte
  2. als Zonenkarte

Eine TO-Karte ist oben abgebildet. Im Grunde zeigen diese Karten lediglich einen kleinen Ausschnitt der bekannten und als bewohnbar erachteten Welt: Mittelmeer, Nil und Don teilen diese bekannte Welt in drei Teile, von denen im Osten Asien 2/4, Europa und Afrika jeweils ¼ der Landmasse einnehmen. Aus kosmologischer Sicht viel interessanter sind aber die sogenannten Zonenkarten.

Martianus Capella, einer der fürs Mittelalter ganz wichtigen spätantiken Autoren, die entscheidend zum kosmologischen Wissen des Mittelalters beigetragen haben, schreibt hierzu (in der etwas manirierten Übersetzung von Hans Günter Zekl[4]):

Der Erdkreis wird geschieden in fünf Zonen […]. Drei davon haben die Unbilden des Wetters durch vieles Allzuviel von Gegensätzen für menschliche Besiedlung verbannt: Die zweie, die auf beiden Seiten an die Achse [das wären die Pole um die Erdachse] grenzen, die liegen unter ungeheurem Frost und Kälte und geben angesichts des Falls von Schnee und Eis den Anlaß, sie zu meiden; der mittlere dagegen [der Äquator], von heißem hauch der Flammen ausgedörrt, brennt allem, was da lebt, den Zugang fort, wenn es da nähertreten will. Die andern zwei (die jetzt noch dasind) haben mit Einzug wohlgemischten Lebensatems dem, was da atmet, die Besiedlung erlaubt.“ (Buch VI, 602)

Auf der gesamten Rundungskrümmung der Erde haben sie sich um die obere sowohl wie um die untere Halbkugel herumgelegt. Denn beiderseits trennt Erde die zwei an ihr in Halbkreisform gegebenen Teile mit allerlei Verschiedenheit ab, d.h., sie hat eine obere Hälfte – die bewohnen wir, und es umgibt uns der Okeanus; und eine andere, die untre eben.“ (ebd.)

Auf dieser Hälfte leben unsere Antipoden, also nach heutigem Verständnis etwa die Australier, die man sich im Mittelalter zum Beispiel so vorstellte:

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Antipoden. Aus einer Abschrift von De civitate Dei; Nantes, Bibliotheque Municipale, Ms. fr. 8, fol. 163.

Kartographisch lässt sich das etwa so darstellen, wie in der Arnsteinbibel (Achtung, die Karte ist geostet!): Umgeben von zwei sich schneidenden Ozeanen (der eine ist als Kreis um die Welt dargestellt, der andere als mittlerer Streifen) befindet sich die Welt, die man in fünf verschiedene Zonen teilen kann.

Zonenkarte aus British Library, Harley 2799, fol. 242v

Zonenkarte aus British Library, Harley 2799, fol. 242v

Von diesen Zonen sind jeweils zwei bewohnt, drei aber unbewohnt: die Zonen an den Polen starren vor Kälte, während die mittlere Zone, die sich auf der Karte mit dem mittleren Ozean deckt, völlig verbrannt und ausgedörrt ist (perusta). Tatsächlich ist diese Zone so heiß, dass man sie gar nicht überqueren kann. Von den bewohnbaren Zonen kennen wir daher nur eine, die nördliche, die unserer bekannten Welt entspricht, und die man ihrerseits als TO-Karte darstellen kann.

So viel zur sublunaren Welt, zu den himmlischen Regionen dann das nächste Mal.

[2] Italo Ronca, A dialogue on natural philosophy : translation of the new Latin critical text with a short introduction and explanatory noteses. Notre Dame 1997.

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/150

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