Als der Erfurter Zigarettenhersteller Reemtsma in den 1920er-Jahren seinen Sitz nach Altona verlegte, revolutionierte das Unternehmen mit seinem neuen und professionellen Auftreten erst den Hamburger und schließlich den gesamtdeutschen Zigarettenmarkt. Damit legte der Konzern den Grundstein für die Herausbildung vieler prominenter Marken, die der Firma langjährigen Erfolg bescherten: 2010 konnte das Traditionsunternehmen 100-jähriges Bestehen feiern.
Die Firmengeschichte des Zigarettenherstellers Reemtsma beginnt 1910, als der Kaufmann Bernhard Reemtsma die Erfurter Zigarettenfabrik Dixi aufkauft, die lediglich sechs Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen schafft es, den Ersten Weltkrieg finanziell zu überleben. Alle Söhne Bernhard Reemtsmas steigen nach dem Krieg in das Unternehmen ein und ermöglichen so einen Neuanfang, begünstigt durch das Marktvakuum, welches durch das Fehlen von qualitativem Rohtabak während des Krieges entstand.
1923 zog das Familienunternehmen, inzwischen geführt von den Brüdern Alwin, Hermann und Philipp Reemtsma, auf ein ungenutztes Kasernengelände in Altona-Bahrenfeld um. Die Firma hatte viele Neuerungen mit im Gepäck: ein neues Logo, ein professionelles und einheitliches Auftreten des Unternehmens sowie die Möglichkeit zur industriellen Massenfertigung. Damit unterschied sich Reemtsma deutlich von den meisten anderen Hamburger Zigarettenherstellern, die zum großen Teil noch in Handarbeit in Hinterhoffabriken und ohne die Absicht eines markenbewussten Auftretens produzierten.
Leinwand mit dem Firmenlogo, entworfen von Wilhelm Deffke, 1920 / Grafik: Museum der Arbeit (Hamburg) Reemtsma-Archive (im Folgenden: MdA ReeA) MA.D 2012/001.17
Domizlaff und Deffke, zwei Ikonen der modernen Werbung
Schlüsselereignis für den Innovationsschub bei Reemtsma war die Bekanntschaft der Unternehmer mit dem Grafiker und Werbefachmann Hans Domizlaff im Jahr 1921. Dieser galt zwar als erfindungsreicher Visionär, aber auch als schwieriger und exzentrischer Charakter. Dennoch wurde Domizlaff Reemtsmas Werbeberater und bleib bis 1958 für das Unternehmen tätig. Seine Ideen formten Reemtsmas Bild nach außen und innen nachhaltig. Bereits durch dieses Anstellungsverhältnis bewies das Unternehmen ein Gespür dafür, Trends in der Konsumindustrie- und gesellschaft frühzeitig zu erkennen. Gezielte Werbung war in den 1920er-Jahren in vielen Branchen noch ein Novum, ebenso eigens Personal zum Entwickeln von Werbestrategien und Unternehmenskommunikation anzustellen.
Domizlaff erschuf ein homogenes und einprägsames Auftreten der Firma in allen Bereichen und war immer um einen Wiedererkennungswert Reemtsmas bemüht. Mit solchen Ansätzen, die Vorläufer der heutigen Corporate Identity[1] waren, kann er als einer der Begründer der modernen Markentechnik gesehen werden.
Bereits vor dem Engagement mit Domizlaff unternahm Reemtsma einen wichtigen Schritt in Richtung eines professionellen Erscheinungsbildes. 1920 führte das Unternehmen ein neues Signet ein, gestaltet vom Gebrauchsgrafiker Wilhelm Deffke. So wie Hans Domizlaff als Begründer der Markentechnik bezeichnet werden kann, so wird Deffke oftmals als Vater des modernen Logos gehandelt. Deffke, vom Bauhaus inspiriert, entwarf für Reemtsma ein stark reduziertes, fast strenges Logo. Es zeigt einen stilisierten Bug eines Wikingerschiffes vor einer roten Sonne.
Werbeplakat Eugen Schmidt mit Wikingerschiff und Reemtsma-Logo, ca. 1921 / Grafik: MdA ReeA MA.D 2012/001.14
Ab diesem Zeitpunkt war auf allen Reemtsma-Produkten das neue Logo in angepasster Form zu finden. Dieses Vorgehen bezog sich nicht nur direkt auf die Produkte, also die Zigarettenpackungen, sondern setzte sich auch in Anzeigen und Plakaten fort. Dies war einer der Verdienste Domizlaffs. Mit seiner neuartigen Auffassung von Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbraucher war er darauf bedacht, dass alle Marken des Hauses, auch wenn sie unterschiedliche Kundentypen ansprechen sollten, die gleiche Linie verfolgten. In Reemtsmas Fall hieß diese Linie hohe Qualität für den anspruchsvollen Kunden, da das Unternehmen überwiegend höherpreisige Marken für den gehobenen Bedarf herstellte. Domizlaff, der schnell in der Unternehmenshierarchie Reemtsmas aufstieg, war daher besonders darauf aus, ein breites Angebot an Marken zu schaffen, die jedoch den gleichen verlässlichen Standard beibehielten. Das Reemtsma-Logo sollte dies als eine Art Versprechen an den Verbraucher garantieren. Dieses Versprechen gewinnt an Bedeutung, wenn berücksichtigt wird, dass die Qualität von Tabakprodukten während der Kriegsjahre stark abgenommen hatte.
Auch war diese Art der Vermarktung für die Zigarette als einem Produkt ohne oder mit sehr wenigen Eigenschaften bedeutsam; sie ermöglichte es dem Produkt, sich von seiner Konkurrenz abzuheben. So entstanden in den zwanziger Jahren unter der Ägide von Hans Domizlaff beispielsweise Marken wie R6 und Ernte 23, beide in einer schlichten Aufmachung, die für technische Überlegenheit und ausgewählte Qualität stehen sollen. Sie zählen auch heute noch zur Reemtsma Produktpalette.[2]
Zigarettenpackung der Marke Reemtsma Gold, 1920 / Grafik: MdA ReeA MA.O 2007/003.4179
Trotz der Strategie, für jeden Kunden die passende Marke anbieten zu wollen, beschränkt sich Reemtsma auf die Herstellung einiger weniger, dafür aber stark charakteristischer Marken. Auch damit hebt sich das Unternehmen von der Masse der Zigarettenproduzenten ab. Anders als heute waren in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehrere hundert verschiedene Zigarettenmarken auf dem Markt. Viele von ihnen jeweils nur für sehr kurze Zeit. Erreichte eine Marke nicht den gewünschten Umsatz, wurde sie ohne langes Zögern vom Markt genommen. Reemtsma hingegen war eine der ersten Firmen, die bewusst Markenkonzepte entwickelte und diese umsetzte.
Kampf gegen alte Symbolwelten
Das strenge Design Deffkes und die autoritäre Art Domizlaffs schienen als treibende Kräfte des noch jungen Unternehmens gut zu korrespondieren. Die Entscheidung, gleich zwei so visionäre Köpfe zu beschäftigen, mag den Reemtsma-Brüdern dennoch nicht leicht gefallen sein. Obwohl sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Abkehr von der wilhelminischen Wert- und Weltvorstellung vollzog, und damit auch in den Bereichen Konsum, Design und Werbung die Türen für einen Neuanfang offen standen, hielten viele Unternehmen noch lange Zeit an der traditionellen Symbolik des Kaiserreiches fest. Reemtsmas Entscheidung, sich der Strömung der Moderne und Erneuerung anzuschließen, war also mit einem gewissen Risiko verbunden.
Zigarettenpackung Marke Dreiersachsen, 1925 – Steht für die alte Symbolstruktur / Grafik: MdA ReeA MA.O 2007/003.3224
Die Gestaltung typischer Zigarettenpackungen der Vorkriegs- und Kriegsjahre war geprägt von Ornamentreichtum und heraldischen Zeichen wie Wappen, Adler und Flaggen, mit denen Bezug auf das Kaiserreich genommen wurde. Aus heutiger Sicht wirken diese dadurch oft mit Symbolen „überladen“ und standen im Kontrast zu den im Verhältnis schlichten Verpackungen der Reemtsma-Produkte. Das Gleiche gilt auch für die Markennamen. Eine große Anzahl der frühen Marken wie „The Kaiser“, „General Goeben“, „Unsere Marine“ und „v. Hindenburg“, trugen Bezeichnungen, die ganz offen eine Loyalität zur Monarchie sowie einen gewissen Nationalismus bekundeten. Die Reemtsma-Produkte der 1920er-Jahre waren weitgehend frei von solchen Botschaften. Nach dem Ersten Weltkrieg änderten Firmen die Namen ihrer Marken und ähnelten in diesem Punkt dem Reemtsma-Sortiment, doch ihre klassische Vorkriegsoptik blieb zunächst bestehen. Vermutlich auch, um die traditionelle Käuferschaft nicht zu verlieren.
Wie sehr diese noch in den alten Symbolstrukturen und Bildwelten verwurzelt war, zeigen die Reaktionen auf die Veröffentlichung des umgestalteten Reemtsma-Logos. 1920 wurde das Logo erstmals plakatiert – insgesamt 6000-mal entlang wichtiger Bahnstrecken Deutschlands. Viele Käufer zeigten sich empört über dieses als aggresiv[3] empfundene Zeichen. Sogar das Entfernen dieser Reklame wurde mehrfach verlangt. Das Unternehmen hielt jedoch an der Kampagne fest und ließ sich vom Reichkunstwart Edwin Redslob die Funktionalität und damit die Existenzberechtigung für das Logo bestätigen.
Zigarettenpackung der Marke R6, entwickelt von Hans Domizlaff, ca. 1921 / Grafik: MdA ReeA MA.O 2007/003.4438
„Der volkswirtschaftlich so wichtigen Hinwendung zum Markenartikel“, so Redslob, „entspricht hierbei die Notwendigkeit, alle Markenartikel durch Warenzeichen zu kennzeichnen, die sich leicht einprägen. Hierfür bietet das Reemtsma-Warenzeichen eines der besten Beispiele, die mir bisher bekannt geworden sind.“[4]
Diese Einschätzung bestärkte Reemtsma in seinem Kurs und nach den ersten anfänglichen Schwierigkeiten setzte sich das Reemtsma-Logo auch bei den Käufern durch.
Diese Kombination aus einem offen zur Schau gestellten Bekenntnis zu Moderne, Technik und Fortschritt und einer Produktpalette, die dem Käufer suggerierte, für jeden ganz persönlichen Geschmack die perfekte Marke bieten zu können, bescherte den Reemtsma Cigarettenfabriken nachhaltigen Erfolg. Das gezielte Bewerben ihrer Produkte und das Wahren eines hohen Qualitätsanspruchs ermöglichte es dem Unternehmen, das Stigma einer Kleinfirma nach und nach zu überwinden. Gegen Ende der 1920er-Jahre stieg Reemtsma, noch vor seinem 20-jährigen Bestehen, zum Marktführer[5] auf.
[1] Gries, Rainer; Ilgen, Volker, Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse kriechen!“ Werbung und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 1995, S. 47.
[2] Böllert, Susanne: 100 Jahre Deutsche Industriegeschichte. 1910-2010. Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH. Hamburg 2010, S. 34.
[3] Jacobs, Tino: Zwischen Institution und Experiment. Hans Domizlaff und der Aufstieg Reemtsmas, 1921 bis 1932, S. 148-178. In: Berghoff, Hartmut (Hrsg.): Marketinggeschichte. Genese einer modernen Sozialtechnik. Frankfurt a.M., 2007, S. 153.
[4] Jacobs: S. 153.
[5] Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse kriechen“ Die Erfindung der Markentechnik als Herrschaftsinstrument, in: Forum Schulstiftung (Nr. 45, 12/2006), S. 85.
Literaturhinweise
- Böllert, Susanne: 100 Jahre Deutsche Industriegeschichte. 1910-2010. Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH. Hamburg 2010.
- Gries, Rainer; Ilgen, Volker, Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse krichen!“ Werbung und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 1995.
- Jacobs, Tino: Zwischen Institution und Experiment. Hans Domizlaff und der Aufstieg Reemtsmas, 1921 bis 1932, S. 148-178. In: Berghoff, Hartmut (Hrsg.): Marketinggeschichte. Genese einer modernen Sozialtechnik. Frankfurt a.M. 2007.
- Lindner, Erik: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie. München 2008.
- Rahner, Stefan; Museum der Arbeit (Hrsg.): Werbewelten made in Hamburg. 100 Jahre Reemtsma. Hamburg 2010.
- Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse kriechen“ Die Erfindung der Markentechnik als Herrschaftsinstrument, in: Forum Schulstiftung (Nr. 45, 12/2006), S. 80-92, URL: http://www.schulstiftung-freiburg.de/de/forum/pdf/pdf_218.pdf.
- Weisser, Michael: Cigaretten-Reclame. Über die Kunst, blauen Dunst zu verkaufen. Münster 1980.
- Writes, Houston: Reemtsma. Von der Feldzigarette zur Anti-Wehrmachtsausstellung. Selent 2002.
Weiterführende Links
Werbemittelarchiv der Reemtsma Cigarettenfabriken am Museum der Arbeit Hamburg
PolitCIGs – die Kulturen der Zigarette und die Kulturen des Politischen
Zur Autorin:
Merle Strunk (B.A.) ist Master-Studentin der Geschichtswissenschaft an der Universität Hamburg und wissenschaftliche Hilfskraft im BMBF- Forschungsverbund “PolitCIGs”.