Ungleiche Geschwister | Medienbegriffe des Geschichtslernens

In den vergangenen Jahren und Monaten haben sich Diskussionen über die Auswirkungen des digitalen Wandels und digitaler Medien auf das Geschichtslernen (zuletzt u.a. auf den Tagungen #gld13 in München und #nmdig in Salzburg) intensiviert. Gelegentliche Unschärfen dieser Diskussionen ergeben sich daraus, dass von Medien gesprochen wird, dabei aber unterschiedliche Medienbegriffe zugrunde gelegt werden. Das folgende Schaubild differenziert (nach derzeitigem Stand) für das Geschichtslernen relevante Medienbegriffe.


Einerseits schließen sich die drei aufgeführten Medienbegriffe, die bereits seit vielen Jahren diskutiert werden[1], und die aufgezeigten Geltungsansprüche nicht gegenseitig aus und können deshalb supplementär nebeneinander angeordnet werden; die vorgeschlagene Abstufung der Relevanz ist eine normative Setzung. Andererseits sind die Medienbegriffe ungleiche Geschwister. Es gibt wenige Bezugnahmen zwischen den jeweiligen Entstehungs- und Diskussionskontexten, Vorannahmen und zentralen Kategorien.

In der Geschichtsdidaktik ist der Medienbegriff seit Jahren klar abgesteckt und etabliert. Hauptsächlich auf Hans-Jürgen Pandel geht die Setzung zurück, dass Vergangenheit nur medial vermittelbar ist und sich die Geschichte ihre Medien selbst schafft. Im Mittelpunkt dieses Medienbegriffs stehen Objektivationen und Präsentationsformen von Vergangenheit und Geschichte; sie werden aufgrund der Kriterien Authentizität und Historisierbarkeit in Quellen, Darstellungen und Fiktionen kategorisiert. Aus dieser Festlegung resultieren verschiedene Mediengattungen (Texte z.B. als Textquellen, historische Fachliteratur und historische Romane; Filme z.B. als Filmdokument, Dokumentarfilm oder Historienfilm usw.). Dieser Medienbegriff kann eine große Plausibilität für sich verbuchen. Gegenüber Aspekten des digitalen Wandels ist er jedoch abweisend wie eine Teflonpfanne – schließlich ist es beispielsweise gleichgültig, ob Bilder in analoger oder digitalisierter Form vorliegen oder projiziert werden.

Mit dem Fokus auf das Geschichtslernen gewinnen deshalb zusätzlich allgemeine Medienbegriffe an Bedeutung um Veränderungen des Geschichtslernens im digitalen Wandel zu beschreiben und zu erklären; diese berühren auch fachdidaktische Gesichtspunkte. Betreffs des formellen Lernens sind Medien als Lehr- und Lernmittel relevant, dabei insbesondere der instrumentelle Charakter von Medien nicht nur als Mittel, sondern auch als Mittler. Solche Instrumente konfigurieren mediale Denk- und Lernräume, in denen verstärkt subjektorientiertes Lernen stattfinden kann. Diesbezüglich zeigen digitale Medien neue Formen und Wege des Geschichtslernens auf. Digitale Denk- und Lernräume werden (nach heutigem Stand) vor allem durch digitale Geräte und das Internet konfiguriert. Online-Tools wie Blogs, Wikis oder Etherpads ermöglichen beispielsweise kollaborative Lernformate, die bezüglich Diskursivität und Kontroversität auch fachdidaktische Relevanz aufweisen.

Der allgemeine bzw. gesellschaftliche Medienbegriff, der sich mit der Frage der Verbreitung der Massenmedien und der Ausbildung von Medienkompetenz beschäftigt, verdeutlicht, dass mit dem digitalen Wandel ein tiefgreifender gesellschaftlicher und kultureller Umbruch einhergeht, der sowohl formelle als auch informelle Aspekte des Geschichtslernens einschließt. Auf der Münchner Tagung wurde zum digitalen Wandel auch das Lernen unter den Bedingungen der Digitalität diskutiert, dem man sich längst nicht mehr entziehen kann – beispielsweise der Umstand, dass Schüler/innen (egal ob erlaubt oder nicht) Informationen mit ihren Smartphones nachschlagen und sich deshalb die Aufgaben- und Lernkultur verändern sollte. Bezogen auf fachdidaktische Aspekte spielen für das Geschichtslernen insbesondere der entgrenzte Raum des Internets mit einer Hinwendung zur Geschichtskultur oder die neuen kommunikativen Möglichkeiten z.B. in Social Media eine bedeutende Rolle. Einen besonderen Beitrag des Geschichtslernens kann auch die Thematisierung von Mediengeschichte leisten, die durch Medien ausgelöste gesellschaftliche Veränderungen der Vergangenheit mit den aktuellen, rasanten Entwicklungen der heutigen Mediengesellschaft in Beziehung setzt.

Die Diskussion zur Bedeutung des digitalen Wandels für das Geschichtslernen lässt sich somit einfach systematisieren, indem nicht allgemein von Medien, sondern von a) Medien im Sinne des (etablierten) geschichtsdidaktischen Medienbegriffs, b) Medien als Lehr- und Lernmedien und c) Medien im Sinne eines gesellschaftlichen Medienbegriffs gesprochen wird.

Das Schaubild macht einerseits deutlich, dass das Geschichtslernen mit digitalen Medien  aus Perspektive der Geschichtsdidaktik nicht von primärer Relevanz ist. Andererseits kann der etablierte geschichtsdidaktische Medienbegriff den sich vollziehenden digitalen Wandel nur unzureichend beschreiben. Daher kommt den im allgemeindidaktischen Kontext diskutierten Medienbegriffen für die fachdidaktische Reflexion im sich rasant vollziehenden digitalen Wandel eine wachsende Bedeutung zu. Bezogen auf den geschichtsdidaktischen Medienbegriff stellt sich schließlich die Frage, erstens ob und zweitens mittels welcher Ansätze die aufgezeigte Lücke gefüllt werde könnte.

[1] Wichtige Stichwortgeber zur Diskussion des Medienbegriffs für das Geschichtslernen sind neben Hans-Jürgen Pandel, der diesbezüglich die einschlägige Handbuchliteratur dominiert, u.a. Host Gies, der Medien als “Mittel und Mittler” beschrieben hat sowie zuletzt Daniel Bernsen, Alexander König und Thomas Spahn mit ihrem Beitrag Medien und historisches Lernen. Eine ausführliche Darstellung mit entsprechenden Literaturangaben (für das Blog zu umfangreich) folgt im Beitrag zum Open Peer Review „Geschichte Lernen im digitalen Wandel“ (zur Tagung in München vom März 2013).

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2013): Ungleiche Geschwister | Medienbegriffe des Geschichtslernens. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 8.5.2013. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1653, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/1653

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#kgd_nwt | Nachwuchstagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik | PH Ludwigsburg | 2.-4. Oktober 2012 | Sektion: Vernetzung – Geschichte in den digitalen Medien


An der PH Ludwigsburg fand vom 2. bis 4. Oktober 2012 die Nachwuchstagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik Neue Wege, Themen, Methoden statt, auf der über zwanzig Nachwuchsprojekte vorgestellt wurden (s. tweets unter #kgd_nwt). Die Beiträge behandelten mehrheitlich empirische und pragmatische Forschungsvorhaben; Schwerpunkte waren (lt. Sektionstiteln) geschichtskulturelle Aspekte, historisches Vorwissen, digitale Medien, Inklusion, Filme sowie Aspekte inter- und transkulturellen historischen Lernens.

Die Sektion Vernetzungen – Geschichte in den digitalen Medien und ihre Nutzung für das historische Lernen, die hier kurz zusammengefasst werden soll, eröffnete Manuel Altenkirch (Heidelberg), der sein Konzept zur empirischen Erforschung der Wikipedia vorstellte. Um die Frage zu beantworten, wie Wikipedia-Artikel mit historischen Inhalten, die aufgrund ihrer häufigen Nutzung inzwischen von großer geschichtskultureller Bedeutung sind, zustande kommen und welche Konstruktionsprozesse historischer Narrationen sich vollziehen, hat Altenkirch erstens Wikipedia-Einträge, die Versionsgeschichte und die Diskussionsseiten auf breiter empirischer Basis untersucht sowie zweitens Wikiedia-Autoren typologisiert. Jonathan Peter (Kassel) untersucht in privater Initiative geschaltete französischsprachige Internetseiten, die den Zweiten Weltkrieg beispielsweise mit Blick auf Familiengeschichten, regional bedeutsamen Ereignisse oder Militaria thematisieren. Sein Projekt will deren geschichtskulturelle Bedeutung als „Kampf um Erinnerung im WWW“ untersuchen. Ulf Kerber (Karlsruhe) stellte ein Konzept historischer Medienkompetenz vor und brachte Modelle zu historischen Lernprozessen mit Konzepten aus der Medienpädagogik in Deckung. Seine These, dass es zwar begriffliche Unterschiede, dennoch weitreichende konzeptuelle Überschneidungen gibt, lässt sich in die Diskussion einreihen, ob und wie sich der geschichtsdidaktischen Medienbegriff angesichts des digitalen Wandels verändern könnte. Zweitens stellte Kerber das Projekt an der PH Karlsruhe DisKAver zum mobilen e-Learning vor. Alexander König (Saarbrücken) referierte über sein Projekt zur empirischen Analyse von Webquests, die Aufgabenformate zum Lernen mit Internet-Ressourcen vorgeben. König nimmt unter Zugrundelegung des Kompetenz-Modells nach Gautschi eine qualitative und quantitative Analyse zahlreicher im Netz verfügbar Wequests vor. Schließlich berichtete Christoph Pallaske (Köln) von der Entwicklung der Lernplattform segu und möglichen empirischen Forschungsstrategien zum offenen Geschichtsunterricht.

Das Themenspektrum zeigt erstens, dass – wie Sektionsleiter Marko Demantowsky (Basel) bilanzierte – der digitale Wandel in der Geschichtsdidaktik endgültig angekommen ist. Der Aspekt der Vernetzung wurde in der Sektion nicht thematisiert; dazu ist anzumerken, dass die geschichtsdidaktischen Nachwuchsprojekte und -akteure über Blogs und social media nicht nur gut vernetzt sind, sondern auch in verschiedenen Projekten und Veröffentlichungen kooperieren. Die fünf vorgestellten Projekte zielten auf aktuelle Fragen des digitalen Geschichtslernens: erstens die grundsätzliche Diskussion eines geschichtsdidaktischen Medienbegriffs, zweitens neue Formen historischen Erzählens, drittens eine stärkere Hinwendung zu geschichtskulturellen Themen sowie viertens die durch Lernen mit digitalen Medien stärkere Subjektorientierung und neue methodische Konzepte. In der Sektion wurde auch das auf der Nachwuchstagung häufig gehörte Problem deutlich, zielorientierte empirische Forschungsdesigns zu entwickeln, beispielsweise historische Kompetenzen bezüglich konkreter Forschungsfragen zu operationalisieren und mittels geeigneter Parameter zu messen.

 

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2012): #kgd_nwt | Nachwuchstagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik | PH Ludwigsburg | 2.-4. Oktober 2012 | Sektion: Vernetzung – Geschichte in den digitalen Medien.  In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 4.10.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1214, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/1214

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Gibt es historisches Lernen im digitalen Medium – und wenn ja wie viele? | Anmerkungen zu gd_dig (2)


Seit Ende Juni 2012 gibt es bei twitter der Hashtag #gd_dig – meint “Geschichtsdidaktik digital”. Die Diskussion, ob und wie sich historisches Lernen angesichts des digitalen Wandels verändern könnte, hat in den vergangenen Monaten an Fahrt aufgenommen. Der Beitrag knüpft an den Blogpost Geschichtsdidaktik digital | Anmerkungen zu gd_dig (1).

 

Was brauchen Schüler_innen, damit sie sinnvoll mit PC, Tablet oder anderen digitalen Endgeräten im Geschichtsunterricht lernen können? „Informiert euch mal im Internet – dann könnt ihr zum Beispiel eine Power-Point-Präsentation machen!“ Solche Arbeitsaufträge – oft gehört – sind demotivierend und lassen die großen Potenziale digitalen Geschichtslernens brach liegen. Lehr-/Lernkonzepte oder Lernarrangements, die strukturieren, was Schüler_innen in digitalen Lernumgebungen wie lernen sollen und können, sind notwendige Voraussetzung für guten „digitalen“ Geschichtsunterricht.

Kürzlich haben Daniel Bernsen, Alexander König und Thomas Spahn in der neuen Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften den Beitrag Medien und historisches Lernen: Eine Verhältnisbestimmung und ein Plädoyer für eine digitale Geschichtsdidaktik veröffentlicht, in dem sie Anforderungen an digitalen Geschichtsunterricht und eine digitale Geschichtsdidaktik diskutieren. Die Autoren stellen fest, dass „die Digitalisierung unsere Welt grundlegend verändert“ und „ jede Beschäftigung mit Geschichte die Bedingungen der digitalen Welt für Arbeitstechniken und Möglichkeiten historischer Erkenntnis, im digitalen Raum gleichsam als deren conditio sine qua non, immer mitdenken“ (S.2) muss. Der Aufsatz dokumentiert im Folgenden den Forschungsstand sowie allgemeine Aspekte zu konkreten Arbeitstechniken und zu neuen Herausforderungen historischen Lernens bezogen beispielsweise auf Kompetenzorientierung, Veränderungen historischer Narrationen oder die Hinwendung zu geschichtskulturellen, die Lebenswelt der Schüler_innen einbeziehenden Zugänge zu Vergangenheit und Geschichte. In Abgrenzung zum von Hans-Jürgen Pandel geprägten Medienbegriff stellen die Autoren fest, dass „in der Geschichtsdidaktik Nachholbedarf nicht nur bezüglich digitaler Medien, sondern auch hinsichtlich der Entwicklung eines fachspezifischen Medienbegriffs“ besteht (S. 14), „wenn man davon ausgeht, dass Vergangenheit immer nur medial vermittelt zugänglich ist und daher historisches Lernen nur medial erfolgen kann“ (S. 15). Medien sind – so fahren sie fort – nicht nur Unterrichtsgegenstände (wie Quellen, Darstellungen usw.), sondern erstens auch Werkzeuge und zweitens Denkräume historischen Lernens.[1] Das von Bernsen, König und Spahn vorgeschlagene Konzept einer digitalen Geschichtsdidaktik als „integraler Bestandteil der Geschichtsdidaktik“, die „sich mit den Bedingungen und Auswirkungen des digitalen Wandels auf das Geschichtsbewusstsein, historisches Lernen, Geschichts- und Erinnerungskultur“ (S. 16) beschäftigt, rückt diesen erweiterten Medienbegriff in den Mittelpunkt und unterscheidet vier Funktionen digitaler Medien:

  • historisches Lernen an digitalen Medien als Lernobjekte erster Ordnung (z.B. digitalisierte Quellen und Darstellungen);
  • historisches Lernen mit digitalen Medien als Lern- und Denkwerkzeuge (z.B. Blogs; aus „segu-Sicht“ würde ich auch Online-Plattformen für Lernmaterialien hier einordnen);
  • historisches Lernen über digitale Medien als Lernobjekte zweiter Ordnung (z.B. Analyse von Wikipedia-Artikeln);
  • historisches Lernen im digitalen Medium als Lern- und Denkraum. (S. 17ff.)

Der vierte Punkt – in Anlehnung an medienpädagogische Konzepte – versteht sich wohl als (variabel) integratives Konzept der drei erstgenannten Punkte.

Die Ansprüche an das historische Lernen im digitalen Medium werden im Beitrag nur ansatzweise konkretisiert. Wie lassen sie sich in Lehr-/Lernkonzepte übersetzen? In seinem Beitrag „Was ist digitale Geschichtsdidaktik” (Juli 2012) hat König festgestellt, dass eine digitale Geschichtsdidaktik stärker „den Mediennutzer ins Zentrum ihrer Überlegung [rückt]. Sie ist – wie die konstruktivistische Geschichtsdidaktik – eine subjektorientierte Geschichtsdidaktik, welche ‚die Lebenswirklichkeit‘ von Geschichtslernern zum Ausgangspunkt nimmt.“ Lernen im digitalen Medium kann also Chancen für individuelles und differenzierendes Lernen oder z.B. für Projektlernen bieten. Zweitens ist Lernen im digitalen Medium – nach Stand der technischen Möglichkeiten – vielfältig. Noch einmal König: In seinem Beitrag „Geschichtsvermittlung in virtuellen Räumen“ schildert er das Potenzial, Unterricht durch e-Learning-Konzepte zu öffnen (Zusammenfassung Blogpost vom 12.9.2012). Neuere Entwicklungen weisen unter dem Label Web3.0 zum mobilen e-Learning z.B. mittels Smartphones; die Regionalgeschichte könnte in Zukunft stärkeres Gewicht beim historischen Lernen bekommen.

Aus geschichtsdidaktischer Sicht geben die Beiträge Hinweise und es finden sich verschiedene Spuren, wie Lernen im digitalen Medium konturiert sein könnte. Individuelle Lernkonzepte können der individuellen Ausprägung von Geschichtsbewusstsein Rechnung tragen, eine stärkere Fokussierung digital vermittelter Geschichtskultur könnte stärker Lebensbezüge von Schüler_innen berücksichtigen usw. Dennoch scheint eine wichtige Voraussetzung – um das Gefäß historisches Lernen im digitalen Medium aufzufüllen und in Lehr-/Lernkonzepten zu konkretisieren – noch nicht geklärt.  Was zeichnet digitales Geschichtslernen als historisches Lernen aus? Wie lässt sich von der Medien-Reflexion eine tragfähigere Brücke zur geschichtsdidaktischen Theoriebildung und „Grammatik“ (Ausbildung von Geschichtsbewusstsein, fachdidaktische Prinzipien, historische Kompetenzen) schlagen? Ansätze, die geschichtsdidaktische Theoriebildung zugrundelegen und davon ausgehend Aspekte des digitalen Geschichtslernen konkretisieren, sind noch nicht sehr zahlreich; beispielsweise Beiträge von Jan Hodel (z.B. Geschichtslernen mit Copy and Share) oder von Jakob Krameritzsch (Die fünf Typen des historischen Erzählens – im Zeitalter digitaler Medien); sie lassen sich zudem eher der Kategorie Lernen über digitale Medien zuordnen.

Deshalb offen gefragt: Gibt es historisches Lernen im digitalen Medium – und wenn ja, wie viele? Wer kennt Best Practice-Beispiele? Lassen sich Merkmale guten “digitalen” Geschichtsunterrichts benennen? Bezogen auf welche Kategorien und Begriffe der geschichtsdidaktischen “Grammatik” lässt sich für das Lernen im digitalen Medium ein Zugewinn für das Geschichtslernen ausmachen? Sind Ziele historischen Lernens mit digitalen Medien – auf anderem Wege – nicht auch “analog” zu erreichen? Gibt es Aspekte geschichtsdidaktischer Theoriebildung jenseits des Medienbegriffs, die sich angesichts des digitalen Wandels erweitern oder sogar verändern könnten? Dazu gehört abschließend sicher auch die Frage, welche Ansprüche an historisches Lernen sich mit digitalen Medien ausdrücklich nicht erreichen lassen. tbc.


[1] Mit einem solchen erweiterten Medienbegriff knüpfen die Autoren an den Geschichtsdidaktiker Horst Gies an, der vor Jahren forderte, Medien „nicht nur ‚Mittel‘, sondern auch ‚Mittler‘“ aufzufassen; s. Horst Gies: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch zur Unterrichtsplanung. Köln 2004, S. 214 . Gies unterteilt für den Geschichtsunterricht relevante  Medien symbolisch sowohl nach „Hardware“, also Geräte (vom Bleistift bis zum PC), als auch nach „Software“, d.s. Lernobjekte (vom Arbeitsblatt über Filme bis hin zu von Schülern selbst hergestellten Produkten historischen Lernens). Funktional betrachtet sind Medien lt. Gies sowohl Lehrmittel, Lehrsysteme als auch Lernmaterialien.

 

Bildnachweis    C.Pallaske, CC BY SA 3.0

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2012): Gibt es historisches Lernen im digitalen Medium – und wenn ja wie viele? | Anmerkungen zu gd_dig (2). In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 19.9.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/968, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/968

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Notebook oder Tablet – welches digitale Endgerät für die Schule? | Eine Antwort aus Sicht des Faches Geschichte


Dass alle Schüler_innen (zumindest der Sekundarstufen) in absehbarer Zeit mit einem digitalen Endgerät ausgestattet sein werden, scheint heute weniger eine Frage des ob als des wann. Verschiedene Länder weltweit schreiten bereits voran. In Deutschland hat beispielsweise die Internet-Enquetekommission des Bundestags im Januar 2012 gefordert, alle Schüler mit einem Device auszustatten. Positive Folgen sind absehbar: Aufgrund zahlreicher Schulbücher übergewichtige Schulranzen wird es kaum mehr geben. Ein digitales Endgerät (max. ca. 1,5 kg), das die notwendigen Lernmaterialien und Bildungsmedien gespeichert oder online bereithält, daneben Hefte und Mappen, sowie die übrigen Lernmittel und Pausenbrot benötigen deutlich kleinere Ranzen. Und die Schulträger dürfte freuen, dass die heute meist zwei Klassenräume bindenden Computerräume in Zukunft überflüssig werden.

Schule und Lernen werden sich durch digitale Endgeräte für alle Schüler_innen stark verändern. Digitale Geräte können nicht nur als eBook die Inhalte der Schulbücher bereithalten und somit Print-Ausgaben ersetzen. Schüler_innen werden in Zukunft im Unterricht immer online sein und das Lernen in oder mit digitalen Medien eröffnet große Potenziale hin zu einer veränderten, subjektorientierten Lernkultur. Es gilt aber auch: Digitale Endgeräte sind weder Wundermittel noch bedeutet eine flächendeckende Ausstattung, dass Schüler_innen in Zukunft nur noch mit digitalen Medien lernen. Digitale Geräte sind Werkzeug und Arbeitsmittel, die nur dann ausgepackt werden, wenn man sie braucht. Ein großer Teil des Unterrichtsgeschehens wird auch in Zukunft ohne sie stattfinden.

Eine wichtige Frage wird die Finanzierung der Geräte sein. Die Schulen sollten die Geräte zur Verfügung stellen, um eine einheitliche Ausstattung und sozial verträgliche Anschaffung zu ermöglichen. Auf den ersten Blick scheint das Vorhaben teuer. Setzt man aber beispielsweise einen Gerätepreis von 300 Euro an und unterstellt eine Laufzeit von drei Jahren, ergäbe sich Kosten von etwa 100 Euro pro Schüler pro Schuljahr – keine unüberschaubare Summe.

Wozu diese sehr allgemeine Diskussion in einem geschichtsdidaktischen Blog? Auf dem freien Markt werden zurzeit sowohl verschiedene Gerätetypen, Marken und Vertriebssysteme von Software angeboten, die (mit verschiedenen Vor- und Nachteilen) zunächst grundsätzlich zur Anschaffung in Schulen geeignet sein könnten – je nach verschiedenen Funktionen, die von den Geräten erfüllt werden sollen. Zentral ist: Sinnvolle Kategorien und Kriterien, was die Geräte leisten sollen, müssen sich an den Bedürfnissen der Fächer orientieren resp. von den verschiedenen Fachdidaktiken entwickelt und formuliert werden. Hierzu ein skizzenhafter Versuch aus Sicht des Unterrichtsfachs Geschichte, wo drei Punkte entscheidend scheinen:

1 |  Geschichte als Fach, das viel mit Sprache und Textproduktion arbeitet, benötigt unbedingt eine richtige (also haptische), nicht nur eine virtuelle Tastatur.

2 | Erstes zentrales Arbeitsmittel sind Office-Paket-Anwendungen (mit Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentation, Datenbank). Für den Schulgebrauch wäre es optimal, dabei auf kostenlose Open Source-Programme zurückzugreifen, die nur von einem Teil der Geräte unterstützt werden. Open-Source Programme garantieren auch, dass OER (Open Educational Resources) auf den Geräten benutzt werden können. Geräte hingegen, die Software und Applikationen mittels proprietärer Vermarktungsstragien anbieten (die also in zentralen Bereichen nur kostenpflichtige Programme zulassen), sind eher problematisch.

3 | Zweites zentrales Arbeitsmittel sind Browser, die von allen Geräten ohne Mehrkosten zur Verfügung gestellt werden. Das digitale Gerät muss also über integriertes WLAN verfügen. Mittels des Browsers lassen sich fast alle für den Geschichtsunterricht relevanten digitalen Medien sowie Web2.0-Anwendungen bedienen.

Notebooks, die diese drei Punkte erfüllen, finden sich in der Preisklasse bis 300 Euro in verschiedenen, stabilen Ausführungen. Zu beachten bezüglich der Anforderung Open Source ist die Frage, mit welchem Betriebssystem die Geräte arbeiten.

In den letzten zwei Jahren wird von vielen Schulen die Anschaffung von Tablets avisiert. Tablets bieten für einige (im Bereich des Geschichtsunterrichts noch nicht sehr viele) Anwendungen besondere Möglichkeiten und Vorteile. Beispielsweise lassen sich Fotos oder Videos erstellen. Strategisch könnte man aber auch fragen, ob diese Funktionen – falls erwünscht – nicht auch von Smartphones erfüllt werden können, die Schüler_innen heute in großer Zahl besitzen.[1] Es gibt inzwischen zwar “Hybrid”-Tablet-Geräte, die Punkt 1 bis 3 erfüllen, die allerdings in einer Preisklasse ab 500 Euro liegen. Solche Geräte werden ggf. in Zukunft im Preis sinken und dann auch für den Einsatz in den Schulen interessant.

Fazit: Notebook oder Tablet? Aus Sicht des Geschichtsunterrichts wäre mit dem mittelfristigen Ziel einer Ausstattung aller Schüler_innen das Notebook nach heutigem Stand der Dinge ausreichend. Interessant wäre zu hören, wie andere Unterrichtsfächer und Fachdidaktiken diese Frage beantworten würden.

[1] Nachtrag aufgrund eines tweets von @eisenmed: Hierzu wird seit einigen Monaten das Konzept BYOD (bring your won device) diskutiert; allerdings gibt es bislang nur wenige konkrete Beispiele zur Umsetzung im Bereich Schule; s. z.B. den Blog von Richard Heinen.

 

Bildnachweis    links: Bundesarchiv, Bild 183-M0831-0028 / Link, Hubert / CC-BY-SA, rechts: Bundesarchiv, Bild 194-0097-39 / Lachmann, Hans / CC-BY-SA, via Wikimedia Commons

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2012): Notebook oder Tablet – welches digitale Endgerät für die Schule? | Eine Antwort aus Sicht des Faches Geschichte. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 5.9.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/892, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/892

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OER | Open Educational Resources | Freie Bildungsmedien in Deutschland | #OERcamp in Bremen, 14.-16. September 2012


Die „Schultrojaner“-Debatte machte vor knapp einem Jahr die Idee der Open Educational Resources (OER) in einem relativ begrenzten Kreis “netzaffiner” Lehrer und anderer Akteure im Bildungsbereich populär. Online-Bildungsmedien und Lernmaterialien, die sich als OER labeln, müssen drei Bedingungen erfüllen; sie sind 1. frei verfügbar, dürfen 2. urheberrechtlich unbedenklich weiterverbreitet und sogar verändert werden (Public-Domain- oder Creative-Commons-Lizensierung) und  sind 3. mittels Open-Source-Software zu öffnen und zu bearbeiten. In anderen Ländern, z.B. den USA, in Norwegen oder Polen sind OER weithin bekannt und anerkannt, auch weil sie dort von staatlicher Seite unterstützt und finanziert werden; zudem versucht die Unesco gemeinsame Standards für die OER zu entwickeln. In Deutschland stehen die OER (oft übersetzt als “freie Bildungsmedien”) erst am Anfang; über die derzeitige Entwicklung kann man sich im Whitepaper OER und auf der Seite cc your edu informieren.

In Bremen findet vom 14. bis 16. September 2012 das #OERcamp statt, das erstens “die Debatte um die OER im deutschsprachigen Bereich erweitern” und zweitens in “Workshops für Einsteiger” Tipps geben will, wie man OER-Lernmaterialien erstellen und verbreiten kann. Aus Sicht des Projekts segu (Lernplattform für Offenen Geschichtsunterricht, die sich seit Dezember 2011 als OER labelt) sei das OERcamp ausdrücklich empfohlen – und (da selbst verhindert) hier fünf Anmerkungen bzw. Diskussionsanregungen.

1 | Ja! Es ist heute problemlos möglich, anspruchsvolle Lernmaterialien als OER online zu veröffentlichen. segu gibt ein Beispiel dafür, wie man mittels OpenOffice (also einem Open-Source-Programm) Arbeitsblätter (wahlweise als odt, doc oder pdf-Datei) erstellen kann, die von Lehrern und Schülern aufgrund der CC | Creative Commons-Lizensierung urheberrechtlich unbedenklich heruntergeladen und verändert werden können. Eingeschränkt wird die Erstellung von OER durch urheberrechtlich geschützte Texte oder Bildmedien mit Copyright-Lizensierung. Es gibt aber bereits einen großen Fundus an CC-lizensierten Materialien – z.B. bezogen auf Bildmedien bei Wikimedia.

2 | Nach einem Jahr Diskussion ist die anfängliche OER-Begeisterung inzwischen wieder etwas abgekühlt. Das Problem: Der Zuwachs an neuen OER-Lernmaterialien hält sich bislang in engen Grenzen. Und die oft geforderte zentrale OER-Datenbank, auf der Benutzer die Lernmaterialien zur Qualitätskontrolle bewerten können, steht immer noch aus. Bisher betonen viele OER-Akteure, dass sich die OER aus dezentralen, staatlich unabhängigen Netzwerken heraus entwickeln und verbreiten sollen. Diskussionsanregung für das #OERcamp: Festhalten an der Unabhängigkeit (und die OER-Bewegung ggf. stagnieren oder wieder einschlafen sehen) vs. Forderung nach staatlicher Unterstützung überdenken (s. hierzu das norwegische Beispiel der professionellen OER-Plattform NDLA, auf der Lehrer ihre OER-Materialien hochladen können)

3 | Reicht im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung “OER”, um einen ausreichenden Wiedererkennungswert zu schaffen? Was sich im Englischen ja noch ganz interessant anhört (sprich “Oh – Ih – Ahr”) führt im Deutschen eher zu Aussprach-Schwierigkeiten  (“Oh – Ähh – Wat?”) Diskussionsanregung für das #OERcamp: “OER”: neuer Name oder Namenszusatz?

4 | Was ist der Nutzen der OER? Oft wird der Vorteil betont, dass Lernmaterialien auf papierlosem Weg frei verfügbar resp. kostenlos sind. Aber soll es angesichts der in Deutschland im OECD-Vergleich relativ geringen Bildungsausgaben vorrangiges Ziel sein, dass Bildungsmedien nichts mehr kosten? Aus Sicht des Projekts segu war dies nicht der Grund, die Lernmaterialien als OER zu labeln. Vielmehr eröffnen die OER großes didaktisches Neuland. Erstens bieten verschiedene digitale Medien, die sich urheberrechtlich unbedenklich herunterladen, neu zusammenstellen und im Unterricht weiterverbreiten lassen, für Lehrer große Vorteile und auch neue Möglichkeiten zur Kommunikation über Lernmaterialien. Zweitens ermöglichen OER-gestützte Lernkonzepte mehr Methodenvielfalt – beispielsweise bei differenzierendem aufgabenbezogenen Lernen oder auch bei geöffneten Lernmethoden wie Projektlernen. Schüler können in OER-Lernumgebungen endlich sinnvoll mit PC oder Tablet im Unterricht arbeiten. Diskussionsanregung für das #OERcamp: Um OER zu eigenem Selbstbewusstsein zu verhelfen, muss die Diskussion über Nutzen und Nachteile der OER speziell in Deutschland (im Vergleich zu anderen Ländern) geführt und auf Begriffe gebracht werden. Dabei könnte ggf. mehr die Frage im Mittelpunkt stehen: Welche neuen didaktischen Potenziale bieten die OER?

5 | Wie positionieren sich die OER zu den etablierten kommerziellen Anbietern von Bildungsmedien resp. Schulbuchverlagen? Zunächst einmal: Der Stellenwert der OER in der Bildungsmedien-Landschaft ist noch gering; es gilt also, die Kirche im dOERf zu lassen. Weder digitale Medien und das Web2.0 noch die OER werden die Schulbuchverlage – wie in den letzten Monaten gelegentlich zu hören – in absehbarer Zeit überflüssig machen. Diese stehen angesichts der digitalen Veränderungen vor großen Herausforderungen und sicher ist die Frage berechtigt, ob der restriktive Umgang mit Urheberrecht (s. Schultrojaner) nicht kontraproduktiv ist. Dennoch scheint eine Abgrenzung: hier die “guten” OER, dort die “bösen” profitorientierten Verlage (welches Unternehmen will kein Geld verdienen?), weder angemessen noch zielführend. Diskussionsanregung für das #OERcamp: Will man sich von den kommerziellen Anbietern abgrenzen oder Dialoge und sogar Kooperationen (in deren Rahmen die OER-Lernmaterialien ihre Unabhängigkeit bewahren) zulassen. Kann Dialog dazu führen, dass die Verlage von den OER lernen? Selbiges gilt im Übrigen auch für die Frage nach dem Umgang mit Kooperationen zum Beispiel mit Geräte- oder Softwareanbietern und kommerziellen Internetportalen; segu ist z.B. bei Youtube und bei iTunesU, die aber beide CC-Lizenzen unterstützen.

Gutes Gelingen und hoffentlich gute Ergebnisse beim #OERcamp!

 

Bildnachweis    OER-Logo

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2012): OER | Open Educational Resources | Freie Bildungsmedien in Deutschland | #OERcamp in Bremen 14. bis 16. September 2012. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 30.8.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/847, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/847

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Flipped Classroom | #flipclass | Lernvideos @segu_Geschichte | nachgefragt: Welches Potenzial bieten Lernvideos für den Geschichtsunterricht?

Der Spiegel berichtet in seiner jüngsten Print-Ausgabe über den Computereinsatz in der Schule (“Gefangen in der Kreidezeit”, Nr. 20/2012, S. 124-127) im Allgemeinen und über Lernvideos nach dem Flipped Classroom-Prinzip im Speziellen. Auch Focus Schule hat neulich wegen der segu-Lernvideos bei segu angeklingelt. Das Thema Flipped Classroom oder (etwas verkürzt) vorbereitendes Lernen mittels Online-Videos scheint also in der Öffentlichkeit angekommen.

Kurz einige Informationen zu Flipped Classroom: Wie im Spiegel dargestellt, kommt die Idee aus den USA, wo sie bereits weite Verbreitung gefunden hat; von dort ist die Bezeichnung Flipped Classroom oder Inverted Classroom entlehnt. Was “umgekehrtes Klassenzimmer” bedeutet, wird im ZUM Wiki erklärt:

Die ursprüngliche Idee ist, dass die Lehrer ihre Vorträge, die sie sonst als Frontalunterricht vor den Schülern gehalten haben, aufnehmen. [...]  Die Filme oder Screencasts werden im Internet zur Verfügung gestellt und die Schüler haben als Hausaufgabe, sich diese Filme anzuschauen. In der Schule bekommen die Schüler Aufgaben gestellt, die zu den Vorlesungen passen. Es werden also Unterricht und Hausaufgaben vertauscht.

In Deutschland gibt es noch relativ wenige Angebote zum Flipped Classroom; wichtige Informationen geben der Blog Inverted Classroom in Deutschland (und die dazugehörige jährliche Tagung in Marburg; die nächste: #icm13), sowie bereits mit einem Fokus auf den Geschichtsunterricht die einschlägigen Beiträge im Blog Medien im Geschichtsunterricht; darunter eine Anleitung zum Erstellen von Geschichtslernvideos.

Beim Edu-Camp im März 2012 in Köln wurde segu auf die Möglichkeiten von Lernvideos aufmerksam, ist auf den (bereits rollenden) Zug aufgesprungen und hat inzwischen fünf Lernvideos produziert. In die segu-Lernvideos sind schriftliche Aufgaben für individuelles Lernen im Offenen Geschichtsunterricht integriert, sie lassen sich aber auch für das Lernen nach dem Flipped Classroom-Prinzip im lehrerzentrierten Unterricht einsetzen. Die Erfahrungen aus Sicht des segu-Projekts zeigen: Es ist zwar aufwändig, eigene Lernvideos zu erstellen (und es braucht vor allem ein gutes Mikrofon!), aber erstens war es ein interessanter Prozess und zweitens finden die Videos (gemessen an den Klicks) Zuspruch. Ein wichtiger Hinweis: Die segu-Lernvideos zeigen keine bewegten Bilder (etwa von einer dozierenden Lehrperson), sondern bedienen sich der Methode des Screencastings (im Grunde eine abgefilmte PowerPoint-Präsentation) und benutzen dabei Public Domain- oder Creative Commons-Bildmedien. Erfreulich aus Sicht der OER (Open Educational Resources | freie Bildungsmedien) ist, dass sowohl Youtube als auch iTunesU die Creative Commons Lizenzierung unterstützen. Die segu-Lernvideos sind jeweils unter CC abgelegt und eignen sich insbesondere auch für die Verwendung auf Tablets oder Smartphones; dabei sollten Kopfhörer verwendet werden (die Schüler_innen heute meist selbst mit in die Schule bringen).

Sicher: Das auditiv-visuelle Lernen mittels Lernvideos nach dem Flipped Classroom Prinzip bietet Schüler_innen einen motivierenden Zugang zum historischen Lernen. Aber es handelt sich um ein stark gelenktes und tendenziell auf reproduktives Lernen ausgerichtetes Lernarrangement (auch wenn die Aufgaben in den segu-Lernvideos immer Anforderungsbereich II und teilweise auch Anfordeurngsbereich III erreichen). Kurz eine Frage zu Flipped Classroom bzw. zum Einsatz von Lernvideos im Geschichtsunterricht: Welches Potenzial bieten Lernvideos für den Geschichtsunterricht? Die Frage richtet sich sowohl auf Aspekte des praktischen Einsatzes als auch grundsätzlich auf lerntheoretische Überlegungen. Für den weiteren Ausbau der segu-Lernplattform sind Ihre/Eure Kommentare interessant – um herauszuhören, ob sich die Mühe lohnt, weitere Lernvideos zu erstellen.

Bildnachweis: Screenshot

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/563

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Virtuelle Dokumentationsstelle Polen in Deutschland

  Bericht vom Workshop zur Vorstellung der Machbarkeitsstudie zur “PID” von Jacek Barski  |  Dortmund, 10./11. Juli 2012 Der Tagungsort Zeche Zollern in Dortmund: Das berühmte Jugendstil-Portal wird zurzeit renoviert. Auch eine Baustelle: die geplante “Dokumentationsstelle zur Geschichte und Kultur der Polen in Deutschland”   In Dortmund ging heute auf der Zeche Zollern ein Workshop zu Ende, auf dem die Machbarkeitsstudie “Dokumentationsstelle zur Geschichte und Kultur der Polen in Deutschland” (im Folgenden: PID) präsentiert und diskutiert wurde. Vorrangiges Ziel ist der Aufbau einer Online-Plattform, die möglichst viele Interessierte über die Geschichte polnischer Migranten in Deutschland informieren soll – eine Zuwanderergruppe, die jenseits von Podolski und Klose heute öffentlich kaum wahrgenommen wird. Die “reale” Dokumentationsstelle soll in Bochum angesiedelt werden. Initiiert wurde das Projekt im Juni 2011 sowohl von deutscher als auch polnischer Seite. Als Förderer der Machbarkeitsstudie wurde neben dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auch der Landesverband Westfalen Lippe (LWL) mit ins Boot geholt. Jacek Barski hat in den vergangenen Monaten die rund 150-seitige Machbarkeitsstudie erstellt, die sowohl die historisch-politische Relevanz des Themas als auch ein vielversprechendes virtuelles Dokumentations-Konzept umfassend darlegt. Wichtigstes Ergebnis des Workshops war, dass alle beteiligten Akteure und die verschiedenen Kooperationspartner das Projekt jetzt konkret angehen wollen. Auf inhaltlicher Ebene betonten die anwesenden polnischen Verbände den Anspruch, in erster Linie polnische “Spuren” zu dokumentieren und die Interessen der “Polonia” zu vertreten. Prof. Dieter Bingen (Deutsches Polen Institut, Darmstadt) konnte mit seinem Hinweis auf aus Migrationen resultierenden hybriden Identitäten deutlich machen, dass für die Dokumentation multiperspektivische Fokussierungen von besonderem Interesse wären, um einseitige nationale Perspektivierungen zu überwinden und interkulturelles Lernen zu ermöglichen. Der Ansatz der hybriden Identitäten kann heute den größten Teil der meist bereits schon lange in Deutschland lebenden polnischen Migranten zutreffend beschreiben, die ihre Identität nicht eindeutig als polnisch oder deutsch verorten. Abgesehen von inhaltlichen Debatten erwiesen sich aus didaktischem Blickwinkel das von Barski angestrebte Konzept eines virtuellen Dokumentationszentrums und die verschiedenen Vorträge zu technischen Aspekten und virtuellen Präsentationsformaten als innovativer Ausweis des Projekts. Die Open-Source-Plattform soll multimediale Anwendungen mit allen Formaten digitaler Medien, User-generated Content, Online-Ausstellungen, einer Zeitzeugen-Plattform und Kommunikation über verschiede Social-Media Kanäle integrieren. Zudem soll mittels Apps ein Atlas deutsch-polnischer Erinnerungsorte erstellt werden. Die Kooperationspartner (insbes. Fraunhofer-Institut) vermittelten hier originelle und pragmatische mediale Umsetzungsstrategien. Zum Web2.0-Anteil wurde noch nicht deutlich, in welchem Umfang die User beitragen können resp. wie viel redaktioneller Aufwand daraus entsteht. Zu hoffen ist auch, dass der formulierte Open-Source Anspruch mittels geeigneter Lizensierung (Creative Commons) tatsächlich umgesetzt wird. In der abschließenden Diskussion eine generationsabhängige Skepsis über den “Wert des Virtuellen” deutlich. Während des Workshops wurde auch auf das politische Prestigeobjekt des deutsch-polnischen Schulbuches verwiesen, das mit hohem finanziellen Aufwand erstellt und in Zukunft als Buch erscheinen soll. Die meisten Experten sind sich schon im Vorfeld einig, dass es kaum Nachfrage finden wird, weil es zu wenig auf die Bedürfnisse der Schulen abgestimmt ist. Das nutzerorientierte Konzept des Online-Portals PID setzt sich positiv hiervon ab und in Zukunft kann diese Open Source-Ressource direkt im Schulunterricht eingesetzt werden. Die Online-Plattform könnte sich somit zu einem Leuchtturmprojekt entwickeln. Bildnachweis: Zeche Zollern, Baustelle Jugendstilportal, 10. Juli 2012: Pallaske CC BY SA 3.0    

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/377

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Geschichtsdidaktik digital | Anmerkungen zu #gd_dig

In den vergangenen Tagen hat, ausgelöst durch den neuen twitter-Hashtag #gd_dig, in der Blogosphäre eine Diskusion zur Frage: Was ist „digitale Geschichtsdidaktik“?  begonnen. Hierzu ein paar Anmerkungen.


Das Wort Geschichtsdidaktik in einen Binärcode umzuwandeln ergibt eine Reihe von 144 Einser bzw. Nullen (s.o.). Der Reiz und Nutzen des Digitalen liegt ganz offenbar weniger in der Visualisierung seiner schlichten und ursprünglichsten Funktionsweise, die Welt auf nur zwei Zahlen zu reduzieren.

Gibt es eine digitale Geschichtsdidaktik? Die meisten Geschichtsdidaktiker würden die Frage heute wohl eher verneinen. Das Interesse am Thema ist (noch) nicht sehr groß. Bislang wurden der Einsatz und die Möglichkeiten digitaler Medien im Geschichtsunterricht nur von wenigen Geschichtsdidaktiker_innen,[1] vorrangig aber von Praktikern, also “digital affinen” Geschichtslehrern diskutiert und vorangebracht.[2]

Geschichtsdidaktik digital klingt zunächst ziemlich allerweltmäßig. Schließlich gibt es kaum einen Bereich heutiger Gesellschaften oder Aspekte des Lebens, hinter die man nicht einfach das Wort digital setzen kann und damit unspezifische Erwartungen zum Ausdruck bzw. eben nicht zum Ausdruck bringt. Der Versuch, die Vorstellungen über das Digitale im Umkehrschluss zu konkretisieren, sich also zu fragen, was eine nicht-digitale – eine analoge? – Geschichtsdidaktik sein könnte, hilft auch nicht wirklich weiter.

Diskussionen, wie der digitale Wandel die Geschichtsdidaktik – oder andere Bereiche heutiger Gesellschaften – verändert, wirken jeweils von außen ein. Gerade Wissenschaftlern ist es immer lieber, wenn sie neue Impulse selbst setzen können. Ansonsten gilt:  Soll man denn jeder Mode und jedem Trend hinterherlaufen?

Es wäre hilfreich zu klären, was digital jenseits von Einser und Nullen eigentlich meint. Für Geisteswissenschaften maßgebliche mediale und technische Entwicklungen lassen sich nach Stand der Dinge knapp zusammenfassen, d.s. insbesondere

  • die Möglichkeit, verschiedene Medien zu digitalisieren und zu speichern. Das macht sie fast uneingeschränkt „transportfähig“ und verschiedene Medientypen können integriert und/oder neu zusammengestellt werden;
  • die Strukturen digitaler Vernetzung. Die Verfügbarkeit von Medien und Informationen wird dadurch prinzipiell unbegrenzt, zudem durch digitale Endgeräte örtlich ungebunden;
  • der grundlegende Wandel wissenschaftlicher Arbeitstechniken, unterrichtspraktischer Methoden und Kommunikationspraktiken durch Web2.0 und social media.

Eine Ausschärfung, wie solche Entwicklungen einwirken und was genau digitale Geschichtsdidaktik begrifflich fassen und einordnen kann, sowie eine Anbindung an theoretische Aspekte der Geschichtsdidaktik stehen noch weitgehend aus. Wichtige Auswirkungen und Konsequenzen des digitalen Wandels auf die Geschichtsdidaktik benennt Alexander König in fünf Thesen. König macht dabei deutlich, weshalb die Geschichtsdidaktik um eine Positionierung zur Herausforderung des digitalen Wandels nicht umhin kommt. Ganz wesentlich ist dabei – einschränkend – die in These 3 benannte Funktionalität digitaler Medien. Es gibt keinen „Primat des Digitalen“. Historisches Denken und Lernen folgen weiterhin in erster Linie dem Anspruch Geschichtsbewusstsein auszubilden. Neue Möglichkeiten digitalisierter Medien, Arbeitstechniken und Kommunikationspraktiken sind dafür Mittel zum Zweck. Somit will digitale Geschichtsdidaktik keine Rundumerneuerung der Disziplin markieren, sondern wichtige Ergänzungen anregen.

Dennoch wird in den kommenden Jahren die Frage stärker in den Mittelpunkt rücken, ob und wie der digitale Wandel Denkstrukturen und Lernprozesse und damit auch Grundannahmen der Disziplin substanziell verändert. In These 4 deutet König einen möglichen Wandel hin zu einer stärker subjektorientierten Geschichtsdidaktik an. Andere Aspekte könnten sein: die Veränderung der Aneignung von Wissen angesichts des stetig wachsenden Überangebots im Netz; neue Methoden des Lernens, beispielsweise in kollaborativen Formaten; die Veränderung und der “Verschnitt” von Geschichtskultur durch digitale Medien usw. Auch bezogen auf das Alleinstellungsmerkmal des Faches Geschichte, die Kategorie Zeit, führt der digitale Wandel zu Verschiebungen. Kommunikation und Informationsaustausch finden heute in Echtzeit bis in jeden Winkel der Welt statt, und durch mobile Endgeräte machen sich die Menschen zunehmend abhängig davon, ständig überall live am (vermeintlichen) Weltgeschehen zu partizipieren. Diese neuen Kommunikationspraktiken verändern das Zeitbewusstsein nachhaltig; Langsamkeit, etwa der Briefverkehr im 19. Jahrhundert, als z.B. Auswandererbriefe oft Monate unterwegs waren, wird somit immer mehr zu einem Aspekt des Fremdverstehens. Soweit nur einige Anmerkungen, die noch stärker strukturiert und systematisiert werden müssen.

Historiker sollten bekanntlich mit Prognosen vorsichtig sein. Dennoch ein Hinweis betreffs des o.g. Aspekts, ob das Digitale nur eine Mode oder einen Trend beschreibt: Bereits seit Jahren ist klar, dass technische und mediale Entwicklungen mit großen Schritten unaufhaltsam vorangehen. Viele Gesellschaftsbereiche halten mit dieser Entwicklung Schritt, der Bereich Bildung  und hier besonders die Schulen (weniger die Universitäten) hinken deutlich hinterher. Dabei steht der digitale Wandel eher noch am Anfang und die medialen und technsichen Entwicklungen in zehn oder zwanzig Jahren sind heute noch gar nicht vorstellbar. Insgesamt fällt es somit nicht schwer sich auszumalen, dass Geschichtsdidaktik digital | #gd_dig  in Zukunft eine immer wichtigere Rolle im geschichtsdidaktischen Diskurs spielen wird. Wünschenswert wären eine intensivere Diskussion und Auseinandersetzung unter Einbeziehung sowohl von Akteuren aus der Diskziplin als auch der Praxis des Geschichtsunterrichts bzw. der historisch-politischen Bildungsarbeit. To be continued.

[1] Alavi, Bettina: (Hg.): Historisches Lernen im virtuellen Medium. Heidelberg 2010; Danker, Uwe; Schwabe, Astrid (Hgg.): Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdidaktik und neue Medien. Schwalbach/Ts. 2008.

[2] Einen ersten Überblick zu verschiedenen Methoden und Projekten des Lernens mit digitalen Medien  gibt der Blog Medien im Geschichtsunterricht von D.Bernsen.

Bildnachweis: C.Pallaske, CC BY SA 3.0

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/202

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