In den vergangenen Jahren und Monaten haben sich Diskussionen über die Auswirkungen des digitalen Wandels und digitaler Medien auf das Geschichtslernen (zuletzt u.a. auf den Tagungen #gld13 in München und #nmdig in Salzburg) intensiviert. Gelegentliche Unschärfen dieser Diskussionen ergeben sich daraus, dass von Medien gesprochen wird, dabei aber unterschiedliche Medienbegriffe zugrunde gelegt werden. Das folgende Schaubild differenziert (nach derzeitigem Stand) für das Geschichtslernen relevante Medienbegriffe.
Einerseits schließen sich die drei aufgeführten Medienbegriffe, die bereits seit vielen Jahren diskutiert werden[1], und die aufgezeigten Geltungsansprüche nicht gegenseitig aus und können deshalb supplementär nebeneinander angeordnet werden; die vorgeschlagene Abstufung der Relevanz ist eine normative Setzung. Andererseits sind die Medienbegriffe ungleiche Geschwister. Es gibt wenige Bezugnahmen zwischen den jeweiligen Entstehungs- und Diskussionskontexten, Vorannahmen und zentralen Kategorien.
In der Geschichtsdidaktik ist der Medienbegriff seit Jahren klar abgesteckt und etabliert. Hauptsächlich auf Hans-Jürgen Pandel geht die Setzung zurück, dass Vergangenheit nur medial vermittelbar ist und sich die Geschichte ihre Medien selbst schafft. Im Mittelpunkt dieses Medienbegriffs stehen Objektivationen und Präsentationsformen von Vergangenheit und Geschichte; sie werden aufgrund der Kriterien Authentizität und Historisierbarkeit in Quellen, Darstellungen und Fiktionen kategorisiert. Aus dieser Festlegung resultieren verschiedene Mediengattungen (Texte z.B. als Textquellen, historische Fachliteratur und historische Romane; Filme z.B. als Filmdokument, Dokumentarfilm oder Historienfilm usw.). Dieser Medienbegriff kann eine große Plausibilität für sich verbuchen. Gegenüber Aspekten des digitalen Wandels ist er jedoch abweisend wie eine Teflonpfanne – schließlich ist es beispielsweise gleichgültig, ob Bilder in analoger oder digitalisierter Form vorliegen oder projiziert werden.
Mit dem Fokus auf das Geschichtslernen gewinnen deshalb zusätzlich allgemeine Medienbegriffe an Bedeutung um Veränderungen des Geschichtslernens im digitalen Wandel zu beschreiben und zu erklären; diese berühren auch fachdidaktische Gesichtspunkte. Betreffs des formellen Lernens sind Medien als Lehr- und Lernmittel relevant, dabei insbesondere der instrumentelle Charakter von Medien nicht nur als Mittel, sondern auch als Mittler. Solche Instrumente konfigurieren mediale Denk- und Lernräume, in denen verstärkt subjektorientiertes Lernen stattfinden kann. Diesbezüglich zeigen digitale Medien neue Formen und Wege des Geschichtslernens auf. Digitale Denk- und Lernräume werden (nach heutigem Stand) vor allem durch digitale Geräte und das Internet konfiguriert. Online-Tools wie Blogs, Wikis oder Etherpads ermöglichen beispielsweise kollaborative Lernformate, die bezüglich Diskursivität und Kontroversität auch fachdidaktische Relevanz aufweisen.
Der allgemeine bzw. gesellschaftliche Medienbegriff, der sich mit der Frage der Verbreitung der Massenmedien und der Ausbildung von Medienkompetenz beschäftigt, verdeutlicht, dass mit dem digitalen Wandel ein tiefgreifender gesellschaftlicher und kultureller Umbruch einhergeht, der sowohl formelle als auch informelle Aspekte des Geschichtslernens einschließt. Auf der Münchner Tagung wurde zum digitalen Wandel auch das Lernen unter den Bedingungen der Digitalität diskutiert, dem man sich längst nicht mehr entziehen kann – beispielsweise der Umstand, dass Schüler/innen (egal ob erlaubt oder nicht) Informationen mit ihren Smartphones nachschlagen und sich deshalb die Aufgaben- und Lernkultur verändern sollte. Bezogen auf fachdidaktische Aspekte spielen für das Geschichtslernen insbesondere der entgrenzte Raum des Internets mit einer Hinwendung zur Geschichtskultur oder die neuen kommunikativen Möglichkeiten z.B. in Social Media eine bedeutende Rolle. Einen besonderen Beitrag des Geschichtslernens kann auch die Thematisierung von Mediengeschichte leisten, die durch Medien ausgelöste gesellschaftliche Veränderungen der Vergangenheit mit den aktuellen, rasanten Entwicklungen der heutigen Mediengesellschaft in Beziehung setzt.
Die Diskussion zur Bedeutung des digitalen Wandels für das Geschichtslernen lässt sich somit einfach systematisieren, indem nicht allgemein von Medien, sondern von a) Medien im Sinne des (etablierten) geschichtsdidaktischen Medienbegriffs, b) Medien als Lehr- und Lernmedien und c) Medien im Sinne eines gesellschaftlichen Medienbegriffs gesprochen wird.
Das Schaubild macht einerseits deutlich, dass das Geschichtslernen mit digitalen Medien aus Perspektive der Geschichtsdidaktik nicht von primärer Relevanz ist. Andererseits kann der etablierte geschichtsdidaktische Medienbegriff den sich vollziehenden digitalen Wandel nur unzureichend beschreiben. Daher kommt den im allgemeindidaktischen Kontext diskutierten Medienbegriffen für die fachdidaktische Reflexion im sich rasant vollziehenden digitalen Wandel eine wachsende Bedeutung zu. Bezogen auf den geschichtsdidaktischen Medienbegriff stellt sich schließlich die Frage, erstens ob und zweitens mittels welcher Ansätze die aufgezeigte Lücke gefüllt werde könnte.
[1] Wichtige Stichwortgeber zur Diskussion des Medienbegriffs für das Geschichtslernen sind neben Hans-Jürgen Pandel, der diesbezüglich die einschlägige Handbuchliteratur dominiert, u.a. Host Gies, der Medien als “Mittel und Mittler” beschrieben hat sowie zuletzt Daniel Bernsen, Alexander König und Thomas Spahn mit ihrem Beitrag Medien und historisches Lernen. Eine ausführliche Darstellung mit entsprechenden Literaturangaben (für das Blog zu umfangreich) folgt im Beitrag zum Open Peer Review „Geschichte Lernen im digitalen Wandel“ (zur Tagung in München vom März 2013).
empfohlene Zitierweise Pallaske, Christoph (2013): Ungleiche Geschwister | Medienbegriffe des Geschichtslernens. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 8.5.2013. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1653, vom [Datum des Abrufs].