Ecology and Society – Lektüregruppe im Dezember und Bilanz 2014

Am 19. Dezember hat sich die Lektüregruppe Nachhaltigkeit für das letzte Mal im Jahr 2014 getroffen. Wir haben drei Texte diskutiert: das Kapitel „An Ecological Society“ aus M. Bookchins Buch The Ecology of Freedom; die Einleitung und das letzte Kapitel aus J. Burnheims Is Democracy Possible; und schließlich das Kapitel „The Green Theory of Agency“ aus R. Goodins Buch Green Political Theory.

In dieser letzten Sitzung haben wir nicht nur das erste Jahr sondern auch eine erste thematische Diskussionsreihe abgeschlossen. Dabei haben wir uns mit Fragen beschäftigt, die die Schnittstelle zwischen ethischen und politischen Handlungsalternativen gegenüber der Umweltzerstörung und Ausbeutung der Natur thematisieren. Bei der Diskussion der verschiedenen Texte hat uns insbesondere die Frage interessiert, in welche Richtung wir unser Handeln am besten orientieren sollten, um mit Natur und der Umwelt auf nicht-zerstörerische Art und Weise umzugehen und den bereits verursachten Schaden zu beheben. Diese Frage impliziert keineswegs, dass wir uns für nur einen Weg entscheiden sollten, d.h. entweder für  eine Änderung des Verhaltens aufgrund von ethischen und moralischen Prinzipien oder die Bewirkung von Veränderungen durch politischen Aktivismus oder politisch-institutionelle Reformen. In unseren Diskussionen sind wir beiden Alternativen nachgegangen und dabei festgestellt, dass manche Autoren – u.a. diejenigen, die wir diskutiert haben – zum Einen Kriterien und Prinzipien im Rahmen einer Umweltethik entwerfen und zum Anderen gleichzeitig den politischen Weg als unausweichlich betonen.

Der erste Text in der Diskussionsrunde war Bernward Gesangs Klimaethik. Gesang formuliert drei „utilitaristische Prima-facie-Pflichten“, die als Orientierung gegenüber unterschiedlichen konkreten Optionen dienen sollen. Die Prinzipien beziehen sich auf (1) technische Maßnahmen, um die Erderwärmung zu begrenzen; (2) Strategien, die den Nutzen für Gegenwart und Zukunft realisieren und (3) Investitionen, deren Nützlichkeit sicher ist. Nach der Formulierung der entsprechenden ethischen Prinzipien stellt Gesang drei politischen Strategien dar, um Klimaschutz effektiv zu betreiben: (a) ein konkretes Modell des Mikrozertifikathandels in Verbindung mit (b) Klima- und (c) Bevölkerungspolitik. Abgesehen von den normativen Fragen, die die Strategie einer Bevölkerungspolitik aufwirft, hat uns die Frage beschäftigt, ob die oben genannten ethischen Prinzipien nicht spezifisch als Prinzipien des politischen Handelns – und nicht des Handelns allgemein – gelten und wenn ja, welche allgemeineren Prinzipien gefunden werden könnten.

Um diese Frage weiter zu verfolgen, haben wir das Kapitel „An ecological ethics for the present“ aus J. Tullys Public Philosophy in a New Key, Vol. II diskutiert. Tully stellt die Frage von A. Naess  in den Mittelpunkt der umweltethischen Reflexion, wie man mit dem Konflikt zwischen Umwelt und Entwicklung und zwischen der Erhaltung und der Ausbeutung umgehen kann und dabei gleichzeitig die kulturellen und philosophischen Differenzen zwischen Gerechtigkeitsansprüchen sowie Naturvorstellungen und -praktiken berücksichtigt. Ausgehend von einer kritischen Darstellung der kosmopolitischen Demokratie und der Diskursethik als taugliche Umweltansätze betont Tully, dass diskursive und konsensorientierte Ansätze wenig zu bieten haben im Hinblick auf die Tatsache, dass im Umweltbereich nicht so sehr Wahrheitsansprüche, sondern Lebensformen und Praktiken in Konflikt stehen. Diskussionen sollten dazu dienen, diejenigen Praktiken, die den Weltansichten zugrundeliegen, zu erkennen und davon zu lernen – was im Text von Tully jedoch nur in eine Richtung zu gehen scheint: als westliche Menschen aus den Naturbeziehungen der indigenen Völker zu lernen. Auf der Umsetzungs- und Institutionenebenen impliziert diese Einsicht jedoch keineswegs, dass Konsens als Endpunkt der Verhandlungen erwarten werden kann. Stattdessen sollten Vereinbarungen und die entsprechend geschaffenen Institutionen als experimentell und vorläufig betrachtet werden. Da sie immer offen für Revisionen sind, bleibt die Aufgabe der Umweltethik immer unvollendet.

Auf der Suche nach einem konkreteren Modell, sowohl von ethischen Prinzipien als auch von politischen Strategien, die das Ziel des richtigen Umgangs mit Umwelt und Natur wiederspiegeln, haben wir in der drauffolgenden Sitzung drei Kapitel aus dem Buch Environmental Values von J. O’Neill, A. Holland und A. Light diskutiert. Grundlage der umweltethischen Position dieser Autoren ist die Anerkennung eines Wertpluralismus. Zwei Konsequenzen lassen  sich daraus ziehen: (1) Umweltethik wird nicht als ein System verstanden, in dem moralische Pflichten aus einer Gruppe von normativen Grundprämissen abgeleitet werden. Sie wird hingegen als ein Raum gesehen, in dem die ethische Reflexion die lebensweltliche Praxis und Werte, den darin zu findenden Umgang der Menschen zueinander sowie ihren Umgang mit der Umwelt als Ausgangspunkt nimmt. (2) Wertekonflikte und deren Behandlung werden zum zentralen Thema des Modells. Dieser Thematisierung entsprechend werden Instrumente der politischen Entscheidung stark fokussiert, wobei es scheint, dass es den Autoren mehr um die Kriterien geht, anhand derer bereits getroffenen Entscheidung bewerten werden können. Vorschläge  konkreter institutioneller Formen, die den richtigen Umgang mit Umwelt und Natur in die Wege leiten könnten, werden dabei nicht präsentiert – was als Konsequenz der Annahme des Wertpluralismus verstanden werden kann.

Solche konkreten institutionellen Formen haben wir im Rahmen  demokratietheoretischer Ansätze gesucht. Dafür haben wir den  Artikel von J. O’Neill „Deliberative Democracy and Environmental Policy“ sowie J. Dryzeks Kapitel „Green Democracy“ aus seinem Buch Deliberative Democracy and Beyond diskutiert. Um den ethischen Hintergrund des Modells von Dryzek zu klären, haben wir darüber hinaus seinen  Artikel „Green Reason: Communicative Ethics for the Biosphere“ besprochen. Der Artikel von O’Neill setzt sich mit dem Thema der Repräsentation im deliberativen Modell der Demokratie auseinander: besonders im Fall der nicht-menschlichen Lebewesen und Natur („nonhumans“) und der zukünftigen Generationen ist die politische Repräsentation starken Einwänden ausgesetzt. Da weder die Natur noch die zukünftigen Generationen bei politischen Deliberationen anwesend sein können oder Anderen ihre Ermächtigung geben können, können die Ansprüche von gegenwärtigen Repräsentanten, im Namen der Natur oder der zukünftigen Generationen zu sprechen, nur auf der Basis von epistemischen Gründen legitimiert werden. Da ein solches Problem nicht ganz beseitigt werden kann, sieht O’Neill die beste Alternative darin, nach dem Vorbild Athens eine Form der Demarchie einzusetzen. J. Dryzek schlägt hingegen vor, die deliberative Demokratie in einer radikalen Form zu verstehen, sodass die nicht-menschliche Welt in die Deliberations- und Kommunikationsprozesse einbezogen wird. Er stellt die Idee einer „ökologischen Kommunikation“ dar, die grundsätzlich darin besteht, die Warnsignale der natürlichen Systeme wahrzunehmen und in die Gestaltung von Problemen und in Entscheidungsprozesse aufzunehmen. Diesen kommunikativen Ansatz verteidigt Dryzek gegenüber anderen Ansätzen, die eine Beziehung zur Natur nur aufgrund von spirituellen Einstellungen als möglich konzipieren. Über die deliberativen Prozesse auf der Basis von ökologischer Kommunikation hinaus ist eine  „ökologische Demokratie“ auf die Herausbildung von „spontanen“ Ordnungen angewiesen - insbesondere von internationalen Öffentlichkeiten. Da letztere wesentlich problemorientiert sind, erweisen sie sich als vorteilhaft gegenüber bürokratischen Formen, die nach der Behebung von konkreten, ihnen zugewiesenen Problemen, fortbestehen.

Anhand der Texte von Burnheim, Bookchin und Goodin haben wir die Idee von Demarchie vertieft sowie zwei konkrete Vorschläge der gesellschaftlichen und politischen Organisation unter ökologischen Ideen und Werten diskutiert. Burnheim vertritt die Ansicht, dass Demokratie nicht auf der Basis von Wahlverfahren und Referenda, sondern nur durch Losentscheid der Repräsentanten verwirklicht werden kann. Letzteres soll garantieren, dass die Entscheidungsträger eine repräsentative Stichprobe der Betroffenen darstellt – was Burnheim zufolge gerade den demokratischen Charakter der Entscheidungsinstanzen ausmacht. Er gesteht jedoch, dass kein Modell der Demarchie tatsächlich existiert  und sein Vorschlag in dieser Hinsicht utopisch ist. Er beschreibt daher die Bedingungen, die eine Veränderung der existierenden Institutionen in Richtung demarchische Formen ermöglichen können: ein radikaler Bewusstseinswandel sowie soziale Einstellungen, die bereits im Kern demokratisch sind. Da das Modell von Burnheim nicht direkt mit ökologischen Zielen in Verbindung steht, haben wir anschließend Bookchins Darstellung einer ökologisch verfassten Gesellschaft diskutiert. Seiner Diagnose zufolge hat der Zivilisationsprozess eine Entfremdung der Gesellschaft von der Natur bewirkt. Daher plädiert er dafür, die soziale Evolution wieder in die natürliche Evolution einzubetten. Dies soll erlauben, eine neue Sozialisationsform mit der Natur zu erreichen, die – neben nicht-hierarchischen Institutionen und Sensibilitäten – die ökologische Gesellschaft ausmacht. In der nicht-hierarchischen, ökologischen Gesellschaft gehen die Individuen nach dem biologischen Muster der mütterlichen Vorsorge miteinander um. Die ökologische Gesellschaft besteht aus ökologischen Gemeinschaften oder „ecocommunities“, die in ihren umgebenden Ökosystemen verwurzelt oder integriert sind. Obwohl die Idee einer nicht-hierarchischen Verfassung der ökologischen Gesellschaft mit den in vergangenen Sitzungen diskutierten Vorschlägen von ökologischen politischen Institutionen und Strategien prinzipiell in Einklang gebracht werden kann, haben wir Bookchins Ideen der sozialen Evolution und der mütterlichen Vorsorge als normatives Modell kritisch betrachtet.

Schließlich haben wir uns dem für die ökologische politische Theorie zentralen Ansatz von R. Goodin gewidmet. Im diskutierten Text betont Goodin, dass neben den konkreten politischen Maßnahmen und den von ihnen erwarteten Ergebnissen eine Analyse der Mechanismen nötig ist, die den Handelnden die praktische Umsetzung der Werte und Maßnahmen erlauben. Dabei fokussiert er jedoch statt der individuellen die kollektiven Akteure. Die Verwirklichung von ökologischen oder „grünen“ Werten durch individuelle Handlungen betrachtet Goodin als eine Frage des Lebensstils. Die Umsetzung der grünen Werte auf der politischen Ebene erfolgt hingegen aufgrund des kollektiven politischen Handelns durch die Handlungen der grünen politischen Parteien und durch die Herstellung von grünen politischen Strukturen. Als entsprechende Mechanismen identifiziert er demokratische Partizipation und Gewaltlosigkeit, Basisdemokratie und Ämterrotation sowie schließlich Dezentralisierung und lokale Implementierung von global reflektierten Strategien. In der Diskussion wurde nur Letzteres als einen Mechanismus betrachtet, der grüne Werte verkörpert. Bei allen anderen Mechanismen ist es fraglich, was  als charakteristisch grün oder ökologisch gelten könnte. Die Vermutung, es handele sich bei der Liste von Goodin um Mechanismen, die er aus einem konkreten Fall – die deutschen Grünen – übernimmt, spricht dafür, dass deren ökologischen Charakter kontingent ist und nicht mit umwelt- oder ökologisch orientierten Merkmalen dieser Mechanismen zusammenhängt.

Der Text von Goodin hat unsere Ausgangsfrage, ob ethische oder politische Handlungsalternative mehr zu bieten haben, wenn wir unseren Umgang mit Natur und Umwelt in nicht-zerstörerischen Formen realisieren wollen, in Richtung der politischen Alternativen gelenkt:

Collective action can make a real difference to the state of the world, in a way that individual action cannot. Carrying the green cause to electoral triumph might affect the fate of the earth; deciding to live a thoroughly green lifestyle oneself most definitively will not.

(R. Gooding, Green Political Theory, 1992, S. 121-122)

Auch wenn diese Position keine definitive Antwort auf unsere Frage ist, stellt sie eine eindeutige Antwort dar, die weitere Diskussionen motivieren soll.

 

 

Quelle: http://nachhaltig.hypotheses.org/389

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