“Zwischen der Wissenschaft, wie sie die Öffenlichkeit erträumt oder die Medien feiern, und der Wissenschaft, wie sie die Forscher täglich praktizieren, besteht dieselbe Diskrepanz wie zwischen Heldensage und Reisetagebuch“ schreiben Sven Ortoli und Nicolas Witkowski in ihrer Sammlung wissenschaftlicher Legenden mit dem Titel “Die Badewanne des Archimedes”. Tatsächlich sind Durchbrüche in einer langen, entbehrungsreichen Wissenschaftskarriere doch eher spärlich gesät – und sollten sie doch eintreten, geht es meist um sehr spezifische Forschungsbereiche, die jenseits des einschlägigen Fachpublikums eher keine Begeisterungsstürme hervorzurufen vermögen.
Berühmt geworden sind vor allem so illustre Legenden wie die Bestimmung der Dichte durch den badenden Archimedes oder Newtons Ableitung der Gravitation, induziert durch ein Nickerchen unterm Apfelbaum. Andere wissenschaftliche Erfolge sind der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben, obwohl auch sie ohne Zweifel großartige Leistungen bedeuteten. Bei manchen mag es daran gelegen haben, dass sie Laien einfach nicht gut vermittelbar waren. Andere sind vielleicht einfach in Vergessenheit geraten, weil man sie zu gut versteckte oder sie wieder von der Bildfläche verschwanden, ehe jemand von ihnen Notiz nahm.
Eine solche Episode, die meiner Meinung nach viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat, als ihr bisher zuteil wurde, spielt vor knapp 20 Jahren auf dem Feld der Kryptologie, das an weithin bekannten Legenden gewiss nicht arm ist. Zwar beruhen moderne Verschlüsselungsverfahren vor allem auf komplizierten Berechnungsoperationen, so dass sie auch nur mit enormen computationellen Ressourcen angegriffen werden können.
[...]
Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1970