„Die Pop-Künstler machten Bilder, die jeder, der den Broadway runterlief, in Sekundenschnelle erkennen konnte — Comics, Campingtische, Herrenhosen, Prominente, Duschvorhänge, Kühlschränke, Colaflaschen —, all die tollen modernen Dinge, die der Abstrakte Expressionismus so beharrlich zu ignorieren suchte.“1
Dass Comics immer wieder von der Pop-Art aufgegriffen wurden, ist kein Geheimnis. Auch Andy Warhol (1929—1987) hat wiederholt auf Motive aus diesem Medium zurückgegriffen. Doch inwiefern ist ein Einfluss der Comicbildsprache in frühen, buchgrafischen Werken des Künstlers spürbar?
Die Beschäftigung mit Andy Warhol als Autor und Gestalter von Büchern ist bisher sehr spärlich: Der Kunsthistoriker Rainer Crone betrachtet dieses Tätigkeitsfeld Warhols im Kontext von dessen Frühwerk2 und die amerikanische Kunst- und Literaturwissenschaftlerin Reva Wolf hat sich wiederholt mit Warhols Verhältnis zur Literatur auseinandergesetzt.3 Eine erste intensive Auseinandersetzung mit der Rolle von Büchern in Warhols Œuvre erfolgte allerdings erst im Zuge der Ausstellung Reading Andy Warhol, die 2013/2014 im Museum Brandhorst zu sehen war.4 Die Ausstellung zeigte, dass Warhol gerade in seinem Frühwerk, aber auch späterhin immer wieder als Gestalter von Buchumschlägen und Illustrator von Kinderbüchern, sowie als Autor eigener Buchprojekte tätig war.5 Für letztere sind im Besonderen die sogenannten Promotional Books zu nennen, die Warhol zwischen 1952 und 1960 in kleiner Auflage als Geschenke für Freunde und Kunden drucken ließ.
Wie bereits in Definitionssache I angesprochen, definiert sich der Comic im wesentlichen durch seine Verknüpfung von Bild und Text. Mit diesem Merkmal steht er als Kunstform jedoch nicht alleine da: Auch die Illustration arbeitet mit derselben Kombination.
Wo die Unterschiede liegen und welche weiteren Begrifflichkeiten eine Rolle spielen, darum geht es in diesem Beitrag.
Betrachtet man beispielsweise Illustrationen in mittelalterlichen Codices, die Münchener Bilderbogen oder Werke von Gustave Doré, so hat man es stets mit einem asymmetrischen Verhältnis von Bild zu Text zu tun:1 Die Illustrationen verfolgen das Ziel der Verbildlichung eines Textes und sind somit von diesem abhängig — vor allem, wenn es sich um einen bereits vorhandenen, älteren Text handelt. Damit wird diesen Werken in keinster Weise ihr Kunstcharakter abgesprochen — schließlich ist jede Illustration eine eigenständige Interpretation der Textvorlage —, das Verhältnis ist jedoch ein klares: Der Text kann ohne das Bild bestehen, das Bild hingegen verliert, wenn es isoliert wird, einen Großteil seines Zusammenhangs und ist in diesem Sinne gerade noch verständlich, wenn der Text bekannt ist (wie es beispielsweise bei Märchen gemeinhin der Fall ist).
“Comics are not prose. Comics are not movies. They are not a text-driven medium with added pictures; they’re not the visual equivalent of prose narrative or a static version of a film. They are their own thing: a medium with its own devices, its own innovators, its own clichés, its own genres and traps and liberties. The first step toward attentively reading and fully appreciating comics is acknowledging that.”1
Betrachten wir den Comic als ein eigenständiges Medium, dann stellt sich die Frage, was dieses Medium genau ausmacht. Worin unterscheidet es sich von anderen Medien und Kunstformen? Wie lässt sich der Comic definieren? Diesen Fragen möchte ich in einer Reihe von Beiträgen nachgehen, um zentrale Aspekte des Comics als eigenständiger Kunstform zu erfassen.
Eine umfassende Definition des Mediums Comic wurde bisher noch nicht erbracht und aufgrund der Schwierigkeiten, die diese Fragestellung mit sich bringt, wird mitunter von einer unmöglichen Definition gesprochen.2
Einer der populärsten Definitionsansätze stammt von Scott Mc- Cloud. 1994 veröffentlichte der US-amerikanische Comicautor und -theoretiker mit Understanding Comics. The Invisible Art einen Band, der bis heute eine maßgebliche Referenz auf dem Gebiet der Comicforschung darstellt und jedem, der sich mit dem Medium Comic auseinandersetzen möchte, als Einstiegs- oder auch Vertiefungslektüre anempfohlen sei.3
Basierend auf Will Eisners Ausführungen4 entwickelte McCloud folgende Definition: Comics sind “juxtaposed pictorial and other images in deliberate sequence, intended to convey information and/or to produce an aesthetic response in the viewer”, oder kurz “sequential art”.5 Für McCloud definieren sich Comics folglich durch ihre Sequenzialität, um genauer zu sein, durch die sequenzielle Anordnung, die Aneinanderreihung von zusammengehörigen Bildern bzw. Bildelementen.
Ausgehend von dieser funktionalistischen Definition lassen sich sämtliche Kunstwerke, die in einer Abfolge von Bildern erzählen, unter dem Begriff Comic subsummieren. So z. B. der Teppich von Bayeux, griechische Vasen oder Werke der ägyptischen Malerei.6
Gleichzeitig schließt dieselbe Definition einen nicht unerheblichen Teil der Comicproduktion aus: Ein-Bild-Comics, oft auch als Cartoons bezeichnet, bestehen schließlich nicht aus einer Aneinanderreihung von Bildern.7 Serien wie The Family Circus von Bil und Jeff Keane, nichtlustig von Joscha Sauer oder gar Hogan’s Alley von Richard F. Outcault — oft als erster Zeitungs-Comicstrip gehandelt —, dürften demzufolge nicht der Kunstform Comic zugeordnet werden.
Andererseits führt McCloud an anderer Stelle8 aus, dass auch innerhalb von Panels, sprich innerhalb eines Einzelbildes eines Comics, Sequenzialität gegeben ist. Er zeigt, dass sich ein einzelnes Panel aufgrund des Nebeneinanders verschiedener Bildelemente und des Nacheinanders verschiedener Handlungselemente, die ja in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden, auch in mehrere Panels unterteilen ließe:
Warum sollte sich dieses Prinzip auf einzelne Panels, aber nicht auf Ein-Bild-Comics anwenden lassen? In seinem Essay Redefining Com- ics greift Philosophieprofessor John Holbo diesen Gedanken auf und führt ihn argumentativ fort, wobei er zu dem Schluss kommt, dass letztlich jedes Bild mit narrativen Eigenschaften im engeren oder weiteren Sinne — und dies lässt sich wiederum auf einen großen Teil aller Bildwerke anwenden — die von McCloud angeführte “Lesetätigkeit” erfordert und somit als Comic zu bezeichnen sei. Schließlich erzählen oder implizieren die meisten Bilder eine Geschichte oder geben durch die Darstellung und Anordnung der einzelnen Bildelemente eine Leserichtung vor.9
Demzufolge wären nicht nur die von McCloud ausgeschlossenen Cartoons als Comics zu bezeichnen, sondern auch Da Vincis Letztes Abendmahl, um ein beliebiges Beispiel anzuführen. In Holbos Gedankenspiel mag einiges an Ironie stecken, doch zeigt es, dass McClouds Definition durchaus erweiterungsbedürftig ist.10
Neben diesem Kritikpunkt, dass McClouds Definition im selben Moment sowohl zu weit als auch zu eng gefasst ist, wird häufig angemerkt,11 dass McCloud den Bildern einen höheren Stellenwert einräumt als dem Text: Zwar geht aus seiner Definitionsfindung hervor, dass Worte durch ihren zeichenhaften Charakter unter den Begriff der “images” fallen12 und somit zum Bildrepertoire von Comics zählen können, aber auch, dass er sie nicht als obligatorisch erachtet:13 “If the pictures, independent of the words, are telling the whole story and the words are supplementing that, then that is comics.”14
Es finden sich zwar Beispiele für Comics, die (weitestgehend) auf den Einsatz von Sprechblasen und Erzähltext verzichten — so Arzach von Mœbius (1975/76) und Le Sens von Marc-Antoine Mathieu (2014) — tatsächlich weist der Großteil aller Comics jedoch eine Verknüpfung von Bild und Text auf.
McCloud hat mit Understanding Comics eine herausragende Einführung in die Funktionsweise von Comics und in die Erzählmechanismen der sequenziellen Kunst geliefert. Sein Definitionsansatz hat dazu beigetragen, der Betrachtung des Comics als eigenständiger Kunstform näher zu kommen, einen fruchtbaren, bis in die heutigen Tage anhaltenden Diskurs angeregt und ein Fundament gelegt, auf dem weitergebaut werden kann.
Wolk, Douglas: Reading Comics. How Graphic Novels Work and What They Mean. Boston 2007, S. 14.
Vgl. Schikowski, Klaus: Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler, Stuttgart 2014, S. 26 und Groensteen, Thierry: The Impossible Definition, in: Heer, Jeet; Worchester, Kent (Hrsg.): A Comics Studies Reader, Jackson 2009, S. 124—131.
McCloud, Scott: Understanding Comics. The Invisible Art, New York 1994.
Eisner, Will: Comics and Sequential Art, Princeton 1992.
McCloud 1994, S.9
Vgl. ebd., S. 10—19.
Vgl. ebd., S. 21.
Vgl. ebd., S. 94—97.
Vgl. Holbo, John: Redefining Comics, in: Meskin, Aaron; Cook, Roy T. (Hrsg.): The Art of Comics. A Philosophical Approach. Malden (u. a.): 2012, S. 3—14.
Weiterführend hierzu: Meskin, Aaron: Defining Comics?, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 65 (1), 2007, S. 369—379: Meskin vertritt die Position, dass Comics, wenn überhaupt, lediglich aus einem historischen Gesichtspunkt definierbar sind. — Hayman, Greg und Pratt, Henry John: What Are Comics?, in: Goldblatt, David; Brown, Lee B. (Hrsg.): A Reader in Philosophy of the Arts, Upper Saddle River 2005, S. 419—424.
Bspw. bei Wartenberg, Thomas E.: Wordy Pictures: Theorizing the Relationship between Image and Text in Comics, in: Meskin, Aaron; Cook, Roy T. (Hrsg.): The Art of Comics. A Philosophical Approach. Malden (u. a.) 2012, S. 87f.
Vgl. McCloud 1994, S. 8.
Vgl. ebd., S. 21.
McCloud in einem Interview mit Robert Harvey in The Comics Journal 179, 1995, S. 52ff., zitiert bei Holbo 2012, S. 20.