Art between History and Practice

Bericht vom Panel 4 der Tagung „Areas and Disciplines“ in Berlin, 19. Oktober 2013

Von Luise Neubauer und Katrin Kaptain / Forum Transregionale Studien

Teilnehmer/innen:

  • Hannah Baader, Kunsthistorisches Institut Florenz / ART HISTORIES AND AESTHETIC PRACTICES
  • Mohamed Kamal Elshahed, New York University / EUME Fellow 2013-14
  • Monica Juneja, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
  • Viola König, Ethnologisches Museum Berlin

Moderation: Andreas Beyer, Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris

Area Studies Tagung 2013 010

Abstract

The participants of the fourth panel “Art between History and Practice” concordantly agreed that art history as a discipline and the practice of the European museums have been shaped by the notion of nation ever since their institutional establishment in the nineteenth century. This founding moment and its specific context seemed to be a topic that most of the discussed disciplines shared at the conference “Areas and Disciplines”. Nevertheless, visual studies generally have to deal with transregional processes – since the artifacts and objects examined were travelling and often obtained by conquests or exchange. With the opening up to new global perspectives, calls for a renewal of the discipline repeatedly emerged over the last couple of years. The panel participants discussed these demands not only in methodological terms but even more specific – in terms of the study and preservation of objects and archival materials that often were untended or neglected, sometimes forgotten due to political developments. Several times participants emphasized the urge for close collaborations between museums and university institutions, despite the problems and traps of these co-operations, that the participants were equally aware of.

Zusammenfassung

Die Teilnehmerinnen1 des Panels 4 „Art between History and Practice“ konstatierten einstimmig, dass die Disziplin Kunstgeschichte und die Praxis der europäischen Museen seit ihrer institutionellen Etablierung im 19 Jh. grundständig national geprägt sind – ein Entstehungskontext, mit dem sich fast alle auf der Tagung „Areas and Disciplines“ vertretenen Disziplinen auseinandersetzen müssen. Gleichwohl widmen sich visuelle Studien im Allgemeinen solchen Gegenständen und Artefakten, die durch Reisen, Eroberungen und Austausch von jeher als transregional zu definierten sind. Die im Zuge der Öffnung auf globale Perspektiven in den vergangenen Jahren wiederholt geforderte Erneuerung des Fachs Kunstgeschichte wurde von den Teilnehmerinnen nicht nur im Bereich der Methodik verortet, sondern im Speziellen auch in der Erschließung und Bewahrung von Objekten und Archivmaterial, denen bislang keine oder nicht genügend Beachtung geschenkt worden ist, oder die aus politischen Gründen ins Vergessen geraten sollen. Die Zusammenarbeit von Museen und universitären Einrichtungen wurde mehrfach und nachdrücklich gefordert, obwohl die Teilnehmerinnen zugleich von verschieden gelagerten Problemen und auch Fallstricken dieser Kooperationen zu berichten wissen.

Nationale Kunstgeschichtsschreibung vs. Transregionalität der Kunst

Alle vier Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Panels 4 „Art between History and Practice“ waren sich in einer Frage einig: Sowohl die Disziplin Kunstgeschichte als auch die museale Praxis in Europa sind seit ihrer institutionellen Etablierung im 19 Jh. grundständig national geprägt und haben sich dementsprechend vornehmlich Objekten unter der Fragestellung der eigenen nationalen Identität gewidmet. Die Objekte selbst, mit denen sich beide Bereiche befassen, sind freilich schon immer transregional gewesen: Nicht nur Goldschmiedearbeiten, Grafiken, Skulpturen oder illuminierte Bücher wurden zwischen unterschiedlichsten Orten und Kulturen zirkuliert, auch Künstlerinnen sind immer schon gereist, haben sich Techniken angeeignet und Wissen weitergegeben. Die den Artefakten eigene Mobilität hat sich ebenso in Architekturen niedergeschlagen, wie von den Panelistinnen an mehreren Beispielen anschaulich gezeigt wurde. Wie jedoch mit dem nicht selten hoch politisch aufgeladenen Konflikt umzugehen ist, der sich zwischen den historisch gewachsenen Methoden einer Disziplin bzw. staatlichen Institution und ihrem zu untersuchenden Gegenstand auffächert, hat an diesem Tag unterschiedliche Antworten, vor allem aber offene Fragen hervorgebracht. Die im Zuge der Öffnung auf globale Perspektiven in den vergangenen Jahren vielfach geforderte Erneuerung des Fachs Kunstgeschichte wurde von den Teilnehmerinnen dabei nicht nur im Bereich der Methodik verortet, sondern im Speziellen auch in der Erschließung und Bewahrung von Objekten und Archivmaterial.

BeyerDer Moderator Andreas Beyer vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris beurteilte eingangs die Situation der Kunstgeschichte im Vergleich zu anderen geisteswissenschaftlichen Fächern durch die Einrichtung neuer Lehrstühle zu unterschiedlichen Themenbereichen als gut und inhaltlich breit aufgestellt. Was Andreas Beyer jedoch unerwähnt ließt, war der Umstand, dass bei Kürzungen in der Regel zuerst die kleinen „Orchideenfächer“ dem Rotstift zum Opfer fallen, wie jüngst die Südasiatische Kunstgeschichte an der FU Berlin. Das Beispiel zeigt, dass der Erforschung einer als „europäisch“ definierten Kunst in Deutschland nach wie vor die unhinterfragte Vorrangstellung zukommt.

Absage an Universalmuseen als Aneignung von Welt

Hannah Baader, Kunsthistorisches Institut Florenz, Max-Planck-Institut, und wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprogramms Art Histories and Aesthetic Practices am Forum Transregionale Studien, erkannte einen deutlichen Wandel der Disziplin Kunstgeschichte. In ihren Augen sind die größten Herausforderungen die wissenschaftlichen und museologischen Methoden, die verändert und angepasst werden müssen. Dies könne nur auf der Basis der Erschließung, Erhaltung und Zugänglichkeit von Objekten sowie historischen Quellen erfolgen, ohne dabei der Gefahr eines „neuen Kolonialismus“ anheim zu fallen. Dabei mag vor allem das grundlegende Handwerk der Kunsthistorikerin, die genaue und dichte Beschreibung der formalen Aspekte von Objekten, also ihrer Qualität im Sinne einer Materialität sowie der Herstellungsweise, vor allzu vorschnellen Interpretationen und Zuweisungen schützen.

Wie eng dabei allerdings die Arbeit der Kunsthistorikerinnen mit ihren Objekten Hanna Baaderverknüpft ist, zeigte der kleine wissenschaftsgeschichtliche Exkurs Baaders in die Zeit der Entstehung der wissenschaftlichen Objektivität im 19. Jahrhundert. Wie Lorrain Daston und Elisabeth Lunbeck in ihrem Buch „Histories of Scientific Observation“ aufgezeigt haben, spielten vor allem künstlerische Praktiken der Beobachtung eine zentrale Rolle bei der Wissensgenerierung der modernen Disziplinen. Diese Form der Betrachtung und Beobachtung wurde nicht nur prägend für das Selbstverständnis von Kunsthistorikerinnen. Aus dem Verfahren der Analyse von Objekten, der Herauslösung aus dem Kontext und schließlich der Neuanordnung in Glasvitrinen, ging die Idee des Universalmuseums hervor. Diese Form der Aneignung der Welt war immer auch eine Manifestation ungleicher Machtverhältnisse, dessen Erbe heute Kuratorinnen und Wissenschaftlerinnen vor enorme kulturelle und moralische Konflikte stellt. Zur Lösung muss, laut Baader, vor allem die Lücke zwischen Universitäten und Museen geschlossen werden, wie dies beispielsweise durch das Kooperationsprojekt des KHI Florenz – Max-Planck-Institut mit den Staatlichen Museen zu Berlin „Connecting Art Histories in the Museum“ bereits mit dem dritten Jahrgang an Doktorandinnen und Postdoktorandinnen erfolgreich realisiert wurde.

Plädoyer für die gemeinsame Arbeit vor Ort

Anhand eines Fallbeispiel aus dem vorangegangenen Fellowprogramm „Art, Space and Mobility“, eine Kooperation zwischen der Getty Foundation und dem KHI Florenz, zeigte Baader das enge Beziehungsgeflecht auf, das zwischen Raum, Geschichte und Architektur besteht, ebenso wie neue Herangehensweisen einer „Global Art History“. Eine Exkursion führte die Gruppe von Doktorandinnen und Postdoktorandinnen in die Geisterstadt Ani, die an der stark umkämpften Grenze zwischen der Türkei und Armenien liegt. Der Bauschmuck der noch heute erhaltenen Ruinen zeugt von der wechselhaften religiösen und politischen Geschichte Anis, die im 10. Jahrhundert als Hauptstadt des muslimischen Königreichs Armenien gegründet, in Folge vom christlich-orthodoxen Georgischen Königreich wiederholt erobert und wieder verloren, bis sie schließlich 1319 durch ein Erdbeben zerstört und verlassen wurde. Beispielsweise schließen islamische Muqarnas die Zwickel an der Kirche Tigran Honents ab, in der die orthodoxe Liturgie nach gregorianischer Tradition gefeiert wurde. Die kulturellen Verflechtungen, die sich an diesem Ort verdichteten, ebenso wie das noch heute starke politische Interesse an Geschichte und Tradition dieses Ortes (der Armenischen Bevölkerung wird der Zugang zu ihrer alten Hauptstadt auf türkischem Staatsgebiet verweigert), ließen sich kaum durch eine Expertin allein erfassen. Hingegen eröffnet die Auseinandersetzung einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen mit unterschiedlichem regionalem und kulturellem Hintergrund vor Ort eine Dimensionsvielfalt, die der Komplexität des Ortes Rechnung trägt.

Eine weitere Problematik, die von Baader ebenso wie später von Elshahed angesprochen wurde, ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Kunstwerken sowie von Archivalien. Der Fall des Nationalmuseums in Sarajewo mache deutlich, dass dessen Schließung auf unbestimmte Zeit und die damit entstandene Unzugänglichkeit der Objekte immer auch im Zusammenhang mit politischen Interessen steht und substantielle Auswirkungen auf das nationales Gedächtnis hat. In Anlehnung an Gayatri Spivak, Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, stellte Baader abschließend fest, dass die Notwendigkeit einer ästhetischen Sensibilisierung und Bildung die Grundvoraussetzung für die Idee einer globalen Gerechtigkeit und einer internationalen Demokratie ist.

“Hybridität” als wissenschaftliche Zwangsjacke

Area Studies Tagung 2013 021Monica Juneja (Cluster of Excellence “Asia and Europe in a Global Context”, Universität Heidelberg) stellte die im Zusammenhang des „global turn“ durchaus kontroverse und – wie es scheint – an alle Konferenzteilnehmerinnen gerichtete Frage, inwieweit das Bestreben, verschiedene Regionen in einen gemeinsamen Rahmen einzupassen, mit der Gefahr verbunden ist, die Diversität dieser Regionen zu verflachen. Sie zweifelte daran, ob etablierte Begriffe des Postkolonialismus wie „blurred boundaries“, „Hybridität“, „Kreolisierung“ oder „fuzzieness“ auch heute noch erklärende Funktion haben können. Vielmehr scheinen diese in den vergangenen Jahren zu einer Art Zwangsjacke bzw. wissenschaftlichen Orthodoxie geworden zu sein. Indem sie eine Fülle von ganz unterschiedlichen Erfahrungen als kommensurabel behandeln, folgen sie der Logik einer „Herstellung von Vergleichbarkeit“. Juneja plädierte daher dafür, immer auch die Möglichkeit von Unvergleichbarkeit zuzulassen.

Dieses Problem sah Juneja besonders in Hinblick auf distinkte kulturelle Praktiken, allen voran Praktiken des Sehens und der Visualität. In vielen Kulturen ist das Sehen nicht isoliert zu verstehen, sondern als synästhetische Erfahrung stets mit anderen Sinnen verbunden, wie beispielsweise dem gleichzeitigen Betrachten eines Manuskripts und der oralen Rezitation, sodass das Hören und Sehen in einem performativen Akt miteinander korrespondieren. Ein rein europäisches Verständnis von Sehen nivelliere hingegen derartige Verhandlungsprozesse. Ein gelungenes Beispiel sich derartigen Fragen interaktiver Dynamiken und kultureller Alteritäten zu widmen, sah sie in der Forschergruppe der Freien Universität „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst“ verwirklicht.

Ähnlich wie für Baader stellte auch für Juneja die Zusammenarbeit von Museen und universitären Einrichtungen eine dringende Notwendigkeit dar, um die kolonialen Voraussetzungen der heutigen Existenz von Objekten in den europäischen Museen zu unterminieren und aufzuzeigen. Wie schwer sich dieser Anspruch jedoch realisieren lässt und wie tief die historischen Klassifizierungen im europäischen Verständnis verankert sind, zeigte Juneja am Fall des Musée du quai Branly in Paris. Im Neubau wird seit 2006 die nationale Sammlung kolonialer Artefakte in einem Display präsentiert, das den Anspruch hat, die Objekte aus Afrika, Asien, Ozeanien, Süd- und Nordamerika nicht als ethnologische Funde zu behandeln, sondern sie in ihrer formalen Gestaltung als Kunstobjekte zu privilegieren. Juneja hegte jedoch begründeten Zweifel, inwieweit hier wiederum die alten kolonialen Weltanschauungen – quasi „durch die Hintertür“ – Eingang finden, indem die als „primitiv“ konnotierten Objekte erst durch die Allianz mit der modernen Abstraktion (Europas) in den Rang des Kunstwürdigen gehoben werden. In Anspielung auf das geplante Humboldtforum in Berlin, merkte Juneja ebenso kritisch an, dass der Versuch der Universalmuseen, die Welt unter einem Dach bzw. hinter einer Schlossfassade zu vereinen, dem Zweck dienen könnte, ein kosmopolitisches Image eines Nationalstaats zu kreieren.

Der Fall des Musée du quai Branly, Paris

Die dringenden Fragestellungen einer transregional ausgerichteten Kunstgeschichte waren für Juneja daher, unter welchen Aspekten der Westen die Welt in institutionellen Räumen assimiliert und was genau die Bedingungen des visuellen Displays im Sinne eines kuratorischen Framings sind. An die links neben ihr sitzende Leiterin des Ethnologischen Museums, Viola König, adressierte sie daher die durchaus ernst gemeinte Frage, wieviel historischen Kontext ein Museumsdisplay integrieren solle. Dabei kam es ihr augenscheinlich nicht darauf an, dass zwingend immer alle Geschichten erzählt werden müssen, die die Museumsobjekte während ihrer Reisen durch die ganze Welt und verschiedene Kulturen „erlebt“ haben. Viel wichtiger wäre es für Juneja, die Bedeutung dieser Reisen und Geschichten für diese Kulturen hervorzuheben.

Eine ähnliche Kritik an der gegenwärtigen Ausstellungspraxis zweier der Area Studies Tagung 2013 040renommiertesten westlichen Museen – des Louvre in Paris und des Metropolitan Museums in New York – übte eingangs auch Mohamed Elshahed, Fellow des Programms Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa und Herausgeber des „Cairo Observers“. Als selbsterklärter Modernist sei er schockiert gewesen, dass die beiden jüngst umgestalteten Abteilungen für Islamische Kunst äußerlich zwar einen neuen Anstrich bekommen hätten, aber die Displays nach wie vor denselben Narrativen folgten.

An seinem Curriculum zeigen sich einige der auf der Tagung adressierten Probleme von „Areas and Disciplines“: Elshahed hat zuerst Architektur in Kairo studiert und ist in Folge zu den Middle East Studies gewechselt, um über Architektur der 50er und 60er Jahre zu arbeiten. Er musste jedoch feststellen, dass die Area Studies zum Mittleren Osten nicht an architektonischen Fragestellungen dieses Zeitraums interessiert waren, sodass er als Nachwuchswissenschaftler stets mit dem Problem konfrontiert ist, mit seinen Fallstudien zu moderner Architektur Kairos in keines der Fächer zu „passen“. Die Geringachtung der eigenen architektonischen Hervorbringungen der 50er und 60er in Ägypten sah er nun aber darin begründet, dass im Mittleren Osten die Moderne per se als zweifach illegitim angesehen werde: Entweder sei sie dem westlichen Vorbild zu ähnlich und damit irrelevant oder aber sie versuche sich so sehr vom beherrschenden westlichen Vorbild abzusetzen, dass sie nur scheitern könne.

Wertschätzung der Moderne in Ägypten

Über die meisten seiner Forschungsgegenstände gibt es nahezu keine Informationen oder Archivalien. Viele der sich elegant mit geschwungenen oder kantigen Formen in den städtebaulichen Kontext einfügenden Villen, Bürogebäude, Strandpromenaden oder Hochhäuser existieren nicht mehr, allein ihre fotografischen schwarz/weiß-Reproduktion in alten Magazinen und Zeitschriften zeugen von ihrer früheren Existenz, in den meisten Fällen aber ohne Angaben zum Erbauungszeitpunkt, Auftraggeber oder Architekten. Elshahed muss, in Ermangelung entsprechender Archive für moderne Architektur im Mittleren Osten, Grundlagenarbeit mit der Erschließung von Ressourcen betreiben. Dabei erschien es ihm paradox, dass der Forschung über das 15. und 16. Jahrhundert sehr viel mehr Archivmaterial zur Verfügung steht als seiner Arbeit über Gebäude, die vor nicht mal 60 Jahren entstanden sind.

Die Frage von Archiven, deren Unzugänglichkeiten und geschlossenen Museen brachte ihn, wie Baader, zu der übergeordneten Frage, wie wir als Wissenschaftlerinnen generell mit dem – bisweilen kriegsbedingten – Verschwinden von visueller Evidenz umgehen sollten und welche Auswirkungen diese Dynamiken auf das gesellschaftliche Gedächtnis haben. Im Gegensatz zu Europa und Nordamerika existieren in Ägypten jedoch generell keine Nationalmuseen der Moderne oder Museen für Photographie, Film oder Architektur. Elshahed erklärte, dass die ägyptische Bevölkerung keinen Zugang zu wichtigen Momenten ihres eigenen kulturellen Erbes hat.

Im Kontext der auf dieser Tagung diskutierten Fragen der globalen Öffnung der europäischen Wissenschaften war es mehr als unglücklich, dem ägyptischen Nachwuchswissenschaftler Elshahed als einzigem Redner das Wort vor dem Ende seiner Ausführungen abzuschneiden.

Wer hat das Recht, die materielle Kultur von anderen zu besitzen und zu präsentieren?

Viola KönigDie aufgefächerte Breite der Perspektiven des Fachs Kunstgeschichte wurde mit dem Beitrag der Direktorin des Ethnologischen Museums in Berlin, Viola König, abgerundet. Zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen steht sie vor der aktuellen Herausforderung, die rund 500.000 Objekte umfassende Sammlung des Ethnologischen Museums bis 2019 in das Konzept des Humboldt-Forums zu integrieren. Dabei muss sie sich mit der kritischen Frage auseinandersetzen, die beständig an ethnographische Sammlungen gerichtet wird: Wer hat das Recht, die materielle Kultur von anderen zu besitzen und zu präsentieren? König fragte dementsprechend, wie das Berliner Museum dem Dilemma entgehen könne: entweder die altbewährte Ausstellungspraxis und damit die Formen der kolonialen Aneignung sowie europäischer Machtansprüche fortzuführen oder aber – als anderes Extrem – alle Objekte zurück zu geben und das Museum zu schließen, wie vom Soziologen Tony Bennett gefordert.

Dabei sah sie das derzeit in den Museen Dahlem installierte Künstlerlabor „Humboldt Lab Dahlem“ nicht unkritisch. Die im Lab installierte „Probebühne“ experimentiert mit neuen Formen der Ausstellungspraxis „nicht-europäischer“ Objekte, um die Möglichkeiten eines modernen ethnologischen Museums auszuloten. Auf den ersten Blick erscheint die Einbeziehung zeitgenössischer Künstlerinnen aus den Herkunftsländern der Objekte vielversprechend, um eine durch den europäischen Aneignungsprozess verlorengegangene Bedeutungsebene zurückzugewinnen und um den kulturellen Diskurs auf eine neue Ebene zu heben. Zugleich sah König jedoch die Schwierigkeiten einer dadurch entstehenden Involvierung in aktuelle politische Interessen. Die im Lab entwickelten Projekte eröffnen neue Möglichkeiten, Fragen wie die des Perspektivismus neu zu verhandeln. Jedoch stand für die Direktorin fest, dass es nicht Aufgabe zeitgenössischer Künstlerinnen und deren Installationen sein könne, den „historischen Wert“ der Museumsobjekte darzulegen. Zwar seien die Grenzen der Geschichte beweglich, aber man müsse, um die Gegenwart zu begreifen, zuerst die Vergangenheit verstehen.

Forschen und Präsentieren

In einer nicht ganz unproblematischen Verallgemeinerung forderte König, dass dementsprechend zuallererst die gemeinsame Anstrengung unternommen werden müsste, die „historischen Codes zu entschlüsseln“. Wie sie selbst als Ethnologin auf ihren vielfachen Feldstudien festgestellt habe, fänden sich die Schlüssel nicht selten auch im lebendigen Gedächtnis der Bevölkerung. Eine solche Unternehmung entspringe letztendlich einer zutiefst menschlichen Neugier, die grundlegenden Prinzipien künstlerischer und ästhetischer Praktiken zu verstehen. Ihre derart umrissene Vorstellung eines universellen, jedem Menschen auf der Welt innewohnenden Forscherdrangs sollte hinterfragt werden – zumal wenn König aus der Perspektive einer europäischen Ethnologin von einem „wir“ spricht, das die erkenntnisgetriebene Erforschung der „ursprünglichen Kulturen“ unternehmen müsse. Die von Juneja geäußerte Vorsicht hinsichtlich allgemeiner Vergleichbarkeiten im Sinne anthropologischer Grundkonstanten könnte an dieser Stelle angebracht sein.

Abschließend berichtete König von einer Kooperation mit der zeitgenössischen mexikanischen Künstlerin Mariana Castillo Deball (im Rahmen des Exzellenzclusters „Topoi“), die 2013 den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst für eine raumgreifende Installation einer prekolumbianischen Karte von Tenōchtitlan im Hamburger Bahnhof verliehen bekommen hatte. Mit ihrer eigenen, historisch ausgerichteten Arbeit der Dekodierung dieser Karte, die von Hernán Cortés an Kaiser Karl V. gesandt wurde, konnte König einen entscheidenden Beitrag leisten, die historische Weltanschauung dieser Karte zu verstehen – eine Aufgabe, die die zeitgenössische Künstlerin, laut König, nicht auch noch hätte leisten können. Es war Königs erklärtes Anliegen, eine Lanze dafür zu brechen, dass auf dem Feld transregionaler Studien nur mit der Entschlüsselung von kulturellen und historischen Coes die „wahre“ Forschung betrieben werden könne.

Disziplinäres Re-Framing oder nationale Selbstversicherung?

Trotz aller Einigkeit hinsichtlich der notwendigen Öffnung der Kunstgeschichte auf globale Fragestellungen hat das Panel „Art between History and Practice“ gezeigt, wie schwierig sich besonders die geforderte institutionelle Zusammenarbeit von akademischer Forschung und musealer Praxis gestaltet, um eigene, ganz neue Lösungen für den adäquaten Umgang mit dem kolonialen Erbe zu finden. Im Veranstaltungstext des Panels wurde ein „methodologisches re-framing“ gefordert, damit sich die Kunstgeschichte über die eigenen „Grenzen ihrer traditionellen Perspektiven“ hinwegsetzen kann. Die Lösung sollte jedoch nicht darin liegen, mit einer allgemeinen Theorie von Wechselbeziehungen eine neue Deutungshoheit über globale Prozesse zu generieren. Schwieriger erscheint im postkolonialen Kontext vielmehr eine selbstkritische Reflexion der eigenen Ziele: Vor allem die oft geäußerte Absicht, über die „eigenen“ Grenzen hinaus zu gehen und das „Andere“ zu erforschen. Denn beinhaltet nicht bereits der Akt, das „Andere“ als „anders“ bzw. als „nicht – europäisch“ zu bezeichnen, eine durch koloniales Denken bestimmte europäische Selbstversicherung und dient allem voran der Stabilisierung von Differenz?

Vergleichbare Fragen muss sich die Disziplin Kunstgeschichte im Kontext der interdisziplinär ausgerichteten Tagung „Areas and Disciplines“ stellen. Bereits im ersten, wissenschaftssoziologisch ausgerichteten Panel „Thinking Transregional Studies“ identifizierte Engseng Ho, Duke University Durham, die westliche Theorie- und Wissensproduktion generell als Resultat des Konzepts von Nation und Staat: „A powerful internal-constitutionalist sociology which has kept us thinking along national lines and has banished the external.“ Diese „mächtige Soziologie“ scheint sich im Umgang mit Artefakten in besonderer Weise niederzuschlagen: Zu- und Abschreibungen, Klärung von Besitzverhältnissen und Ansprüchen auf kritische Objekte gehören noch immer zu den Kernkompetenz der Kunstgeschichte, welche ihr anschauliches Gegenüber in der musealen Praxis der „Aus-Stellung“ staatseigener und staatsfremder Artefakte in eigens errichteten, aber getrennten Häusern hat. So wird beispielsweise das Berliner Schloss sowohl als architektonischer Neubau als auch als konzeptuelles Museum „nicht-europäischer“ Kulturen der Museumsinsel gegenüberstehen, die vorwiegend europäische Kunst beheimatet. In diesem Zusammenhang gewann Hos Aufruf, zukünftige transregional ausgerichtete Forschungen mit einer integrativen Gesellschaftsvision zu vereinbaren, eine dringende Aktualität. Der ambitionierte Ruf des Anthropologen und Historikers nach grenzüberschreitenden Konzepten wie „Mobilität“ mag im Falle kunsthistorischer Artefakte vielleicht nicht neu sein, freilich aber mit Blick auf die disziplinär-strukturellen und damit wissensgenerativen Prozesse der Kunstgeschichte selbst. Dominic Sachenmaier, Jacobs Universität Bremen, machte im selben Panel wie Ho auf das zentrale Problem der westlichen Zitations-Indices aufmerksam, die zwar im westlichen Kontext eines der wichtigen Werkzeuge zur Diskursivierung darstellen. Zugleich werden durch dieses System aber Wissenschaftlerinnen, die außerhalb dieses Systems publizieren, durch Geringbeachtung nahezu ausgeschlossen – abgesehen von den in westlichen Institutionen ansässigen „intellektuellen Migranten“.

Der von allen Teilnehmerinnen des kunsthistorischen Panels konstatierten Mobilität visueller Artefakte steht die eigene Unbeweglichkeit der auf den Westen konzentrierten Kunstgeschichte und Museen gegenüber. Zugleich hat das Panel „Art between History and Practice” aber auch gezeigt, dass sich hier und da Bewegungsversuche des recht schwerfälligen kunsthistorischen Körpers regen.

  1. Im Tagungsbericht wird das generische Femininum für allgemeine Personenbezeichnungen verwendet.

Quelle: http://trafo.hypotheses.org/1113

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Nachlese: Vortrag von Hubertus Kohle zur Digitalen Kunstgeschichte

Es lohnt sich, die Ausführungen von Hubertus Kohle in Zürich zu den Themenfeldern Nachhaltigkeit und Finanzierung, Digitalisierung und Recht, Big data und Archive und Sammlungen noch einmal in seinen Blogbeiträgen nachzulesen:

Kohle: “Letzte Woche hat in Zürich eine Konferenz zum Thema “Digital Art History” stattgefunden. Super Stimmung, tolle Organisation. Vor allem hat mir gefallen, dass diese meist etwas langweilige Reihung von Einzelvorträgen vermieden wurde zugunsten eines workshop-Charakters, bei dem die Verteilung auf Produktion und Rezeption von vorneherein aufgebrochen schien. Am Schluss hat das gesamte Plenum sich an der Formulierung eines Manifestes beteiligt, das demnächst veröffentlicht wird. Das nenne ich kooperatives Arbeiten!

Ganz unbescheiden erlaube ich mir, meinen Beitrag hier zu reproduzieren. Da das weblog ja kurz und knapp strukturiert sein soll, teile ich das Ganze in vier Teile auf. Mal sehen, ob das Sinn macht. Also …”

Quelle: http://dhmuc.hypotheses.org/193

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Frühe Nachrichten über China: Seide, die vom Baum gekämmt wird …

Kostbare Seidenstoffe waren in Europa seit langem bekannt und begehrt, Herkunft und Gewinnung der Seide aber blieben ein gut gehütetes Geheimnis, [1] was zu zum Teil abenteuerlichen Erklärungsversuchen führte.

Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm heißt es unter “Seide“: “das gespinnst des seidenwurms, als noch unverarbeitetes naturerzeugnis: die seyden, sericum, bombyx Maaler 371c”. Der Beitrag verweist auf den Eintrag “Seide”  in Die teütsch Spraach[2] von Josua Maaler (1529-1599)) aus dem Jahr 1561.

Weiter heißt es im Wörterbuch der Gebrüder Grimm:

[...] ahd. Seres sizzent hina verro ôstert in eben India, die stroufent aba iro boumen eina wolla, dia wir heiʒên sîdâ, dia spinnet man ze garne, daʒ karn farewet man misselîcho, unde machôt darûz fellôla. Notker 1, 97, 7 Piper [...]

Also: “Die Seres wohnen im fernen Osten neben Indien.[3] Sie streifen von ihren Bäumen eine Wolle, die wir ‘sîdâ’ nennen, die spinnt man zu Garn, das Garn färbt man unterschiedlich, und macht daraus  ‘fellôla’.”
Diese Passage findet sich in der althochdeutschen Übersetzung und Kommentierung von De consolatione philosophiae des Anicius Manlius Severinus Boethius (um 480-524 oder 525) , die der St. Galler Mönch Notker der Deutsche (um 950-1022)[4] anfertigte.

Die Stelle im Codex Sangallensis 825[5], konkret die Zeilen 3-6:

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 – Boethius, De consolatione philosophiae (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825)

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 – Boethius, De consolatione philosophiae (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825)

Demnach wächst die Seide in langen Fäden auf Bäumen und wird  ‘ausgekämmt’.  Das Bild von der Seide, die auf Bäumen wächst, findet sich unter anderem bei Plinius und Herodot. Ob dabei tatsächlichSeide gemeint ist, ist zweifelhaft, denn die Beschreibungen deuten eher auf Baumwolle (Gossypium arboreum) hin …

Bei Plinius, Naturalis historia 6, 23 heißt es:

[...]primi sunt hominum qui noscantur Seres, lanicio silvarum nobiles, perfusam aqua depectentes frondium canitiem, unde geminus feminis nostris labos redordiendi fila rursusque texendi: tam multiplici opere, tam longinquo orbe petitur ut in publico matrona traluceat. [...]

Bostock übersetzt diese Passage:

The first people that are known of here are the Seres, so famous for the wool that is found in their forests. After steeping it in water, they comb off a white down that adheres to the leaves; and then to the females of our part of the world they give the twofold task of unravelling their textures, and of weav- ing the threads afresh. So manifold is the labour, and so distant are the regions which are thus ransacked to supply a dress through which our ladies may in public display their charms. [6]

Der Übersetzer merkt an, dass Plinius Seidenraupen (eigentlich die Larven des Seidenspinners) und deren Kokons in Buch 11, Kapitel 27 im Abschnitt über die “Koische Seide”[7]. Plinius bezeichnet die Larven des Seidenspinners  als “bombyx”[8] und beschreibt die Entstehung der Kokons nicht als ein Sich-Einspinnen, sondern als Nester, die durch Filz- und Walkprozess entstehen.

Bei Herodot liest man, dass in Indien Bäume wild wachsen, die eine Wolle produzieren, die in Schönheit und Güte die von Schafen übertrifft, und dass die Inder Kleidung von diesen Bäumen tragen (Herodot, Historien III, 106).

Die Meinung, dass Seide auf Bäumen wächst, findet sich noch bei Isidor von Sevilla in den kurzen Bemerkungen zu den “Seres”:

Seres a proprio oppido nomen sortiti sunt, gens ad Orientem sita, apud quos de arboribus lana contexitur. [9]

Im Codex Sangallensis 621, S. 40,, einer im 9. Jahrhundert entstandenen St. Galler Abschrift der Historiarum adversum paganos libri VII des Paulus Orosius notiert im 11. Jahrhundert Ekkehart IV.[10] in einer Glosse zu “[...]  qua oceanus Sericus tenditur [...]”[11]:

Ubi et Seres gentes qui serica uellera arboribus natura quadam suis inpendentia mittunt. [...].

Heidi Eisenhut[12] verweist als Quelle für diese Informationen auf Stellen bei Plinius und Isidor von Sevilla, sieht aber die oben erwähnte Stelle im Boethius-Kommentar als wahrscheinlichere Quelle.

  1. Zu den ältesten Funden und zu ersten Nachrichten s. Anastasia Pekridou-Gorecki “Seide.” Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill Online, 2014. Reference. Universitaet Wien. 09 July 2014  http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/seide-e1107010. First appeared online: 2006.
  2. Josua Maaler: Die teütsch Spraach : alle Wörter, Namen und Arten zuo reden in hochteütscher Spraach, dem ABC nach ordenlich gestellt unnd mit guotem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bisshär nie gesähen / Dictionarium germanicolatinum novum : hoc est, Linguae Teutonicae, superioris praesertim, thesaurus / durch Josua Maaler, Burger zuo Zürich = a Iosua Pictorio Tigurino confectus & in lucem nunc primum editus (Tiguri : excudebat Christophorus Froschouerus 1561). Digitalisat: e-rara.ch.
  3. Eduard von Tscharner übersetzt: “Die Seres wohnen fern von hier nach Osten in der Ebene Indien.” [Ed. von Tscharner: "China in der deutschen Dichtung des Mittelalters und der Renaissance" In: Sinica, JG. IX (1934) 8, Fußnote  e.]. Zur Übersetzung von ‘in eben’ vgl. Heinrich August Schrötensack: Grammatik der neuhochdeutschen Sprache [Nachdruck der Ausgabe Erlangen 1856] (Documente linguistica, Reihe VI: Grammatiken des 19. Jahrhunderts; Hildesheim/New York: Olms 1976) 336.
  4. Notker III., genannt Notker Labeo, Notker Teutonicus oder Notker der Deutsche. Zur Biographie: Anna Grotans: „Notker Labeo“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 362-364 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118588869.html.
  5. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825).
  6. [Pliny the Elder,  Naturalis Historia. Translated, with copious notes and illustrations, by the late John Bostock and H. T. Riley. (Bohn's Classical Library, London: H.G. Bohn 1855) Book 6, ch. 20.].
  7. D.i. die Seide der Raupe des Pistazienspinners (Pachypasa otus), die von der Insel Kos stammte und in Rom begehrt war, bevor die Seide aus China verfügbar wurde. S. Rolf Hurschmann: “Coae Vestes.”  Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill Online, 2014. Reference. Universitaet Wien. 09 July 2014 http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/coae-vestes-e302400. First appeared online: 2006.
  8. Bombyx mori = Seidenspinner oder Maulbeerspinner.
  9. Isidorus Hispalensis: Etymologiarum libri XX, 9, II, 40.
  10. Zur Biographie: Franz Brunhölzl: „Ekkehart IV.“, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 433-434 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118529722.html.
  11. Heidi Eisenhut: Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009)  (Betaversion), 1,2,47.
  12. Heidi Eisenhut: Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009)  (Betaversion), 040a7-11.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1608

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Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6818

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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Widerstand – aber wofür?

Von Stefan Sasse

Stauffenberg
Wenn jemand Widerstand leistet, dann muss er sich zwei Fragen stellen: wogegen und wofür. Es liegt in der Sache, dass man sich beim "wogegen" häufig schneller einig ist als beim "wofür". Widerstandsbewegungen finden sich meist zusammen, weil sich viele Menschen in dem einig sind, was sie ablehnen. Nach ihrem Sieg zerfallen sie dann häufig sehr rasch, weil sie sich nicht einig sind, wofür sie das eigentlich tun. Man sieht dies an der Koalition gegen die Taliban (der "Nordallianz" von 2001), an der gegen Ghaddafi (2011), man sieht es an den Gegnern Francos im spanischen Bürgerkrieg (1936-39) und man sieht es an Hitlers Gegnern während dessen Regentschaft (1933-1945). Deren Versuch, den Diktator zu ermorden, jährt sich 2014 zum 70. Mal. Bekanntlich scheiterten sie. Das Nachkriegsdeutschland verdrängte ihre Erinnerung und behielt ihre Verurteilung als Staatsfeinde und Verräter bei, ein Schandfleck, der erst ab den 1960er Jahren langsam beseitigt wurde. Heute werden die Attentäter des 20. Juli gerne geehrt und es wird ihrer gerne gedacht, schon allein, weil man damit vermeidet, dubiose Einzeltäter oder, Gott bewahre, Kommunisten an ihre Stelle zu setzen. Aber was wollten Stauffenberg und seine Mitverschwörer eigentlich erreichen?

Ihr eigentlicher Plan ist schnell erzählt: Stauffenberg, nach einer Verwundung Stabsoffizier in Hitlers Hauptquartier, sollte eine Bombe platzieren und den Diktator so töten, während Mitverschwörer die Kommunikation lahmlegen und so die Kommandostruktur der Nazis unterbrechen sollten. In Berlin würde man sich Kontrolle über das in Deutschland stationierte Ersatzheer verschaffen, die ranghohen Nazis verhaften, die Kontrolle übernehmen und den (West-)Alliierten ein Friedensangebot machen. Bekanntlich scheiterte der Plan, an Pech sowie an Planungsfehlern und grundsätzlichen Pannen. Was selten gefragt wird (besonders nicht in Bryan Singers Verfilumg "Walküre") ist, wie diese neue deutsche Regierung hätte aussehen sollen, und was sie mit dem Krieg mit der Sowjetunion zu tun gedachte. 

Gedenkstätte (Phaeton, CC-BY-SA 3.0)
Hierzu muss man etwas mehr ausholen. Stauffenberg und seine Mitverschwörer bestanden vor allem aus zwei sozialen Gruppen: dem alt-liberalen, konservativen Bürgertum Weimars und noch mehr des Kaiserreichs (etwa Goerdeler) sowie dem ostelbischen Junkertum, der Trägerschicht des alten, konservativ-adeligen Preußen. Beide Schichten hatten sicherlich nicht zu den Gegnern Hitlers gehört, als dieser Weimar den Garaus gemacht hatte, und waren bereits eifrige Unterstützer jener autoritären Regime gewesen, die vor ihm kamen: Brünin, von Papen, von Schleicher. Ihre Gegnerschaft zu Hitler erwuchs aus den steigenden Exzessen des Regimes und dem Gang des Krieges, der sich nach Lage der Dinge nicht mehr gewinnen ließ. Diesen Realitätssinn für das Militärische hatten sie Hitler voraus. Auf politischem Gebiet waren sie mindestens ebenso naiv wie dieser. Ihre Vorstellung war ein Friede, vielleicht sogar Bündnis nach Westen, um den Krieg gegen die Sowjetunion zu einem Abschluss bringen zu können, und den Erhalt eines Deutschland in den Grenzen von 1937, vielleicht sogar mit einem Teil der Gewinne der Jahre 1938 und 1939. Das allerdings war 1944 pure Fantasterei. 

Innenpolitisch wollten die Verschwörer ein autoritäres Deutschland, das ihrer Meinung nach eine "natürlichere" Regierungsform war als die republikanische Demokratie oder Hitlers populistische Diktatur. Eine Volksbeteiligung sollte es allenfalls stark gefiltert geben. Doch das wichtigste Ziel überhaupt war Stauffenberg und seinen Mitverschwörern, das alte Deutschland am Leben zu erhalten, nicht so sehr die genaue Organisationsform im Politischen. Dieses "alte Deutschland" hatte bereits die Weimarer Republik dominiert und damit einen verlorenen Weltkrieg überstanden. Den Männern des 20. Juli war klar, dass sie einen weiteren nicht überstehen würden, denn dieses "alte Deutschland" verkörperten sie. Sollten Hitler und die Alliierten ihren Willen bekommen und das Reich bis zur totalen Niederlage weiterkämpfen, bedingungslos kapitulieren, dann wäre dies auch das Ende der Schicht, die ihn an die Macht gebracht hatte. 

Stauffenberg 1926
Die einzige Möglichkeit, die Existenz der eigenen Klasse zu retten - und den gesamten kulturellen Ballast des "alten Deutschland" - bestand darin, in den Worten von Treschkows, "vor der Weltöffentlichkeit den entscheidenden Wurf gewagt zu haben" und so die moralische Lage zu verbessern und dem unvermeidlichen Strafgericht der Alliierten zu entkommen. Vermutlich hätte diese Strategie sogar halbwegs Erfolg haben können, wenn sie nicht durch die Ereignisse ohnehin redundant geworden wäre: das Land, in dem das "alte Deutschland" kulturell verwurzelt war (Ostelbien) wurde durch den Angriff der Sowjets und die Nachkriegspläne der Alliierten - Stichwort Westverschiebung Polens - deutschem Zugriff (wie sich zeigen sollte: dauerhaft) entzogen. Und die Junkerklasse selbst wurde im letzten halben Jahr faktisch ausgerottet, einerseits durch Hitler selbst, andererseits im Kampf gegen die anstürmende Rote Armee. Der Selbstmord einer Bismarck im heimischen ostpreußischen Gut nur Stunden vor dem Eintreffen der Roten Armee steht exemplarisch für diesen Untergang. 

Gegenüber der Gesamttragödie des Krieges und den Folgen für die Deutschen und ihre Nachbarn geriet der Tod dieser Klasse schnell ins Hintertreffen und wurde kaum beachtet. Die Politik der entstehenden Bundesrepublik bestimmte sie nicht mehr, und ihre Überreste in dem, was früher Mitteldeutschland gewesen war und nun "Sowjetische Besatzungszone" hieß, bevor sich die "Deutsche Demokratische Republik" gründete, wurden von den sowjetischen Besatzungsbehörden mit Eifer ausgerottet. Stauffenberg und seine Mitverschwörer taugen daher wenig als demokratische Symbole. Sie taugen wesentlich mehr als Symbole moralischer Größe. Sie waren fähig, ihren Irrtum einzusehen und die ultimative persönliche Verantwortung dafür zu übernehmen. Ihre Ziele haben sie damit zwar nicht erreicht. Hätten jedoch mehr Menschen gedacht wie sie, so wäre die vernichtende Hitler-Diktatur früher zu Fall gekommen. Ob das langfristig besser gewesen wäre, ist eine ganz andere, düsterere Frage.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/07/widerstand-aber-wofur.html

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Die Julikrise 1914 in ihren Telegrammen

Auf Archivalia macht Dr. Graf in dankenswerter Weise eine breite Netzöffentlichkeit auf die Digitalisate zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufmerksam, die das Politische Archiv des Auswärtigen Amts kürzlich online gestellt hat.

(Wer das Impressum dieses Blogs nicht kennt: Ich bin Mitarbeiter des Politischen Archivs.)

Die digitalisierten Unterlagen aus den Akten des Auswärtigen Amts sind mit Hintergrundmaterial verknüpft, u. a. zur Aktenkunde des Auswärtigen Dienstes um 1914. Die aktenkundliche Einführung beruht auf Meyer (1920), setzt aber in Form von bearbeiteten Scans auf die alte Weisheit, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt.

Über Einschätzungen zum didaktischen Wert und Nutzen dieser Mini-Aktenkunde würde ich mich an dieser Stelle freuen.

Wer meine laufende Serie zur Emser Depesche verfolgt, findet in den Akten zur Julikrise insbesondere zu den Telegrammen viel Vergleichsmaterial.  Es ist doch merkwürdig, dass ein Typ von Schriftstücken, der fast 150 Jahre lang das hauptsächliche Arbeitsmaterial der Diplomatie war und als solches im Guten wie im Bösen Weltgeschichte geschrieben hat, von der akademischen Aktenkunde allenfalls gestreift wird.

Mehr zu den Eigenheiten des Telegramms in der nächsten Folge der “Emser Depesche”, die ich in der kommenden Woche veröffentlichen will.

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/219

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aussichten. Perspektivierung von Geschichte, July 19, 2014

Neueste Beiträge in ‘aussichten’ umsichten: Blick von der Ruffinistraße auf das Gebiet der heutigen Staatsbedienstetenwohnungen Kaiserbiographien: Didius Julianus (193 n. Chr.) Web 1.0: Frameset (html) Über 100 Likes auf der Facebook-Fanseite von VABOSH Digitales Filmportal des Bundesarchivs erweitert um Filme zum Ersten Weltkrieg umsichten: Tarife für den Gütertransport vom Bahnhof Schleißheim zu anderen Stationen Kaiser […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/07/5264/

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Recherchen zu ungarischen Fragämtern

Die letzten Tage habe ich in Budapest verbracht, um im Ungarischen Nationalarchiv zu den Fragämtern in Pressburg, Ofen und Pest in den 1780er Jahren zu recherchieren. Viel erfahren habe ich nicht, aber immerhin weiss ich nun, dass Anton Martin - Betreiber des kurzlebigen, von 1781 bis 1783 bestehenden Pressburger Fragamts - Vorsteher der Pressburger Sesselträger war und zugleich mit dem Fragamt einen Plan für eine Kleine Post einreichte, der allerdings nicht bewilligt wurde.
Demnächst werde ich wieder mal nach Budapest schauen, um mir in der dortigen Nationalbibliothek diverse Intelligenzblätter aus der Zeit 1780-1850 anzusehen.

Magyar Országos Levéltár, C 43, Archiv des Statthaltereirates, Acta secundum referentes, 1780 - Balogh - F. 92

Zum Pressburger Fragamt siehe bisher:

Tantner, Anton: Das Pressburger Frag- und Kundschaftsamt des Anton Martin, 1781-1783, in: Hungarian Studies, 25.2011/1, S. 127-142.
http://phaidra.univie.ac.at/o:105526

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/948987495/

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