Ein gesamtdeutscher Diplomat in Paris? Der gescheiterte Versuch 1848

Im August 1848 reiste Friedrich von Raumer mit dem Auftrag von Frankfurt nach Paris, dort als diplomatischer Vertreter der neuen Provisorischen Zentralgewalt von der französischen Regierung anerkannt zu werden. Sein Aufenthalt in Paris war allerdings kurz und erfolglos, denn bereits in den letzten Tagen des Jahres 1848 trat er die Rückreise an. Warum lohnt es sich trotzdem, die wenigen Monate zu betrachten, in denen Raumer vergeblich versuchte, von französischer Seite diplomatische Anerkennung zu finden?

Friedrich von Raumer

Friedrich von Raumer (Künstler unbekannt; Quelle: Illustrierte Zeitung 1910/3, S. 626 – Wikimedia Commons)

Der Aufenthalt von Raumer in Paris stellte den Versuch dar, einen gesamtdeutschen diplomatischen Vertreter in Paris zu etablieren. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Paris mehrere deutsche Staaten, darunter beispielsweise Preußen, Bayern, Baden und Hessen-Darmstadt, die jeweils eigene diplomatische Vertretungen in der französischen Hauptstadt unterhielten. Die im Jahr 1848 infolge der revolutionären Umwälzungen entstandene Provisorische Zentralgewalt mit Sitz in Frankfurt am Main strebte alsbald an, eigene Diplomaten ins Ausland – darunter auch Raumer nach Paris – zu entsenden. Friedrich von Raumer war jedoch kein erfahrener Diplomat, sondern hatte sich bisher vielmehr als Historiker, Professor an der Berliner Universität sowie liberaler Abgeordneter der Nationalversammlung hervorgetan. Nicht nur auf Grund seiner diplomatischen Unerfahrenheit hatte er Schwierigkeiten, sich mit seinem Auftrag in Paris durchzusetzen: Die französische Regierung wollte den Vertreter einer vorläufigen Regierung nicht anerkennen. Demgegenüber reagierten die etablierten deutschen Diplomaten in Paris sowie die Regierungen, die sie vertraten, höchst unterschiedlich auf den Vorstoß der Provisorischen Zentralgewalt: Das Spektrum reichte von der sofortigen Bereitschaft, Paris zu verlassen bis dahin, die Bestrebungen möglichst zu ignorieren.

Im Rahmen meines Dissertationsprojekts möchte ich in einem Unterkapitel den gescheiterten Versuch, einen diplomatischen Vertreter für gesamtdeutsche Interessen in Paris im Jahr 1848 zu etablieren, untersuchen1 Denn es handelte sich um eine Situation, in der die Existenz mehrerer deutscher diplomatischer Vertretungen in Paris grundsätzlich in Frage stand. Die etablierten deutschen Diplomaten vor Ort mussten sich gezwungenermaßen mit ihrer eigenen Legitimität auseinandersetzen. Die Notwendigkeit ihrer Anwesenheit in Paris war kurzzeitig hinterfragbar geworden – angesichts der Möglichkeit, einen gesamtdeutschen Diplomaten in Paris zu etablieren.

  1. Die Quellengrundlage bilden neben den Akten aus den Staatsarchiven der fünf ausgewählten diplomatischen Vertretungen von Preußen, Österreich, Bayern, Baden und Hessen-Darmstadt die Akten der Provisorischen Zentralgewalt, die im Bundesarchiv (v.a. Bestand DB 53) verwahrt werden, Auszüge aus Parlamentsdebatten sowie die edierten Briefe von Friedrich von Raumer: RAUMER, Friedrich von: Briefe aus Frankfurt und Paris 1848–1849, 2 Bde., Leipzig 1849. In der Forschung ist der Provisorischen Zentralgewalt und ihrer Außenpolitik sowie dem Aufenthalt von Raumer in Paris bisher wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Hilfreiche Ausführungen finden sich bei BOTZENHART, Manfred: 1848/49: Europa im Umbruch (Uni-Taschen­bücher 2061), Paderborn – München – Wien u. a. 1998; HEIKAUS, Ralf: Die ersten Monate der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland (Juli bis Dezember 1848) (Europäische Hochschulschriften – Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 739), Frankfurt am Main – Berlin – Bern u. a. 1997.

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/476

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Diplomatie vor Ort: Legitimitätsstrategien und Handlungsformen deutscher Diplomaten in Paris (1815-1870/71)

Im Mittelpunkt des Dissertationsprojekts stehen die deutschen Diplomaten, die in den Jahrzehnten zwischen dem Wiener Kongress von 1815 und dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 in Paris tätig waren. In der französischen Hauptstadt waren zu dieser Zeit nicht nur Preußen und Österreich, sondern unter anderem auch Baden, Bayern, Hannover, Hessen-Darmstadt, Sachsen und Württemberg diplomatisch vertreten. Als souveräne Staaten verfolgten sie jeweils eine eigenständige Außenpolitik, wenngleich sie dem Deutschen Bund, der infolge der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress von 1815 geschaffen worden war, angehörten. Eine deutsche Botschaft in Paris entstand erst im Zuge der Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1871 und ging mit der Auflösung der bestehenden einzelnen Vertretungen – mit Ausnahme der bayerischen Gesandtschaft – einher.

450px-Hôtel_de_BeauharnaisDie Vielzahl deutscher diplomatischer Vertretungen in Paris zwischen 1815 und 1870/71 zeigt, dass die deutschen Einzelstaaten dort Wert auf eine jeweils eigene Repräsentanz legten. Gleichzeitig stellte sich die Frage nach der Notwendigkeit der Diplomaten. Die kleineren deutschen Staaten besaßen nur sehr begrenzte Möglichkeiten, eigene außenpolitische Ziele durchzusetzen. Einen Diplomaten in Paris zu unterhalten, war außerdem sehr kostspielig. Darüber hinaus mischten sich – vereinfacht durch neue und schnellere Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten in Form von Eisenbahn und Telegraphie – Außenminister und Staatsoberhäupter direkt in außenpolitische Belange ein, sodass Diplomaten ihren Wirkungskreis beschnitten sahen. Was Diplomaten leisteten und wofür sie vor Ort gebraucht wurden, kann folglich hinterfragt werden.

Die Untersuchung konzentriert sich auf die diplomatischen Vertreter von Preußen, Österreich, Bayern, Baden und Hessen-Darmstadt in der französischen Hauptstadt und greift neuere kulturgeschichtliche Ansätze im Bereich der Diplomatiegeschichte auf. Der Blick auf Paris als einen Ort diplomatischen Handelns ermöglicht es, der Frage nachzugehen, was Diplomatie in diesem Zeitraum auszeichnete und wie sie funktionierte. Das Ziel ist es, Diplomatie in ihren Eigenlogiken und ihrer spezifischen Ausbildung zu verstehen. Die Handlungsformen und Legitimitätsstrategien der Diplomaten sollen ersichtlich werden. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Diplomaten als Akteure vor Ort, die der Legitimität bedürfen und diese zugleich stiften, eine besondere Bedeutung für die Gestaltung der internationalen Beziehungen haben. Die in dieser Aussage enthaltenen Aspekte – Diplomaten als Akteure, Diplomatie vor Ort und Legitimität als diplomatisches Problem – bilden das Erkenntnisinteresse der Untersuchung. Diplomaten werden als Personen mit eigenen Handlungsspielräumen aufgefasst. Mit dem Blick auf Diplomaten in Paris geht einher, dass ihr Handeln vor Ort, ihre Vorstellungs- und Lebenswelt rekonstruiert werden soll. Die Betrachtung der lokalen Ebene gestattet es, das individuelle Handeln von Diplomaten zu erfassen und gleichzeitig aufzuzeigen, wie sich diplomatische Umgangsformen generell wandelten. Darüber hinaus verdient Legitimität als ein diplomatisches Problem besondere Aufmerksamkeit. Der Fokus liegt auf den Situationen, in denen Legitimität fehlte oder hinterfragt wurde und infolgedessen Rechtfertigungsdruck entstand.458px-R_H_L_Graf_von_der_Goltz_1868_(IZ_50_H_Scherenberg)

Die deutschen Diplomaten in Paris gerieten zwischen 1815 und 1870/71 in mehrfacher Hinsicht unter Legitimitätsdruck, was sich anhand von fünf Problemfeldern herausarbeiten lässt. Das erste Problemfeld behandelt das Selbstbild der Diplomaten, womit die Frage verbunden ist, wie die Diplomaten ihre Position rechtfertigten und welche Auffassungen sie von ihrer Arbeit besaßen. Auftretende Kompetenzstreitigkeiten werden als zweites Problemfeld betrachtet, da beispielsweise die Ausdifferenzierung der Sachgebiete – das Konsularwesen bildete sich aus, Militärattachés als neue Spezialisten entstanden – zu Auseinandersetzungen führte. Die (Un-) Sichtbarkeit der Diplomaten vor Ort bildet das dritte Problemfeld. Warum mussten Diplomaten in Paris sein? Was machte ihre Präsenz notwendig? Eine besondere Bedeutung kann den persönlichen Verbindungen beigemessen werden. Welche politischen Gestaltungsmöglichkeiten Diplomaten besaßen, wird besonders deutlich bei der gegenseitigen Anerkennung der Regierungen und stellt das vierte Problemfeld dar. Wie Diplomaten zur Legitimierung neuer Regierungen beitrugen, lässt sich im Untersuchungszeitraum hervorragend anhand der mehrmaligen Regierungswechsel in Frankreich aufzeigen. Das fünfte Problemfeld berührt die Frage, wann und wie die Existenz der Diplomaten in Frage stand oder Rangverhältnisse neu geordnet werden mussten. Die Notwendigkeit, dass mehrere deutsche Staaten jeweils eigene Vertretungen unterhielten, hinterfragt beispielsweise der gescheiterte Versuch, im Jahr 1848 eine gemeinsame deutsche Vertretung in Paris zu errichten. Insgesamt möchte die Arbeit damit zu einem tieferen Verständnis der Charakteristika von Diplomatie und der Rolle von Diplomaten im Bereich der Geschichte der internationalen Beziehungen und insbesondere der deutsch-französischen Beziehungen des 19. Jahrhunderts beitragen.

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Abbildungen:

Hôtel de Beauharnais, Autor Jospe, Lizenz CC BY-SA 3.0

R H L von der Goltz 1868 (IZ 50 H Scherenberg), public domain

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1344

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