Intersex als “eintragungsfähiges” Geschlecht? Zum deutschen Personenstandsrecht
Historiker wie ich sind ja immer etwas hinterher, gern auch mal ein Jahrhundert oder zwei. Daran gemessen, ein aktueller Kommentar: Vor reichlich einem Jahr trat, mäßig beachtet, eine Novelle des Personenstandsgesetzes (PStG) in Kraft, mit der erstmals seit langem Bewegung in die Frage, ob und wie sich eine intersexuelle Anatomie rechtlich auswirkt. Bis dahin bzw. im 20. Jahrhundert gab es in Deutschland, rechtlich gesehen, nur zwei Geschlechter, und jeder Mensch musste sich als “männlich” oder “weiblich” einordnen lassen. Konkret geschah dies dadurch, dass die […]
Intersex als “eintragungsfähiges” Geschlecht? Zum deutschen Personenstandsrecht
Historiker wie ich sind ja immer etwas hinterher, gern auch mal ein Jahrhundert oder zwei. Daran gemessen, ein aktueller Kommentar: Vor reichlich einem Jahr trat, mäßig beachtet, eine Novelle des Personenstandsgesetzes (PStG) in Kraft, mit der erstmals seit langem Bewegung in die Frage, ob und wie sich eine intersexuelle Anatomie rechtlich auswirkt. Bis dahin bzw. im 20. Jahrhundert gab es in Deutschland, rechtlich gesehen, nur zwei Geschlechter, und jeder Mensch musste sich als “männlich” oder “weiblich” einordnen lassen. Konkret geschah dies dadurch, dass die […]
Zensierte Zwitter. Über zensierte Ausgaben und Übersetzungen historischer Quellentexte
Wer sich mit der Geschichte uneindeutiger Körper beschäftigt, wird schnell mit Zensur-Phänomenen konfrontiert. Das betrifft insbesondere auch Textausgaben und Übersetzungen historischer Quellen, die zwischen der Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Als Einstieg drei Beispiele:
1. Der Chronist Matthäus Paris (gest. 1259) berichtet in seiner Chronica maior von „Androgynen“ in Lincoln: Eine „unheilverkündende und unerhörte“ Begebenheit habe sich dort im Jahre 1246 zugetragen. Eine adelige Frau, verheiratet und Mutter mehrerer Kinder, habe eine andere adelige Frau geschwängert, und zwar „in einer neuen und wundersamen Weise“. Um dieses Wunder zu erklären, verweist der Chronist auf die gelehrte Auslegung des Schöpfungsberichts: Dort heiße es, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe (Gen. 1, 27), die Glosse (gemeint ist ein Werk von Petrus Cantor) aber bemerke zu dieser Stelle, dass es auch androgyne Menschen gebe, die zeugen und empfangen könnten. Letztlich sind es also Berichte über das Wundervolk der Hermaphroditen, wie sie seit der Antike und bis weit in die Neuzeit tradiert wurden, auf die der Chronist sich hier beruft.
Das wäre nicht weiter erstaunlich – viel interessanter ist, wie im 19. Jahrhundert mit diesem Text umgegangen wurde.
Aufgrund ihrer Bedeutung v.a. für die englische Geschichte wurde die Chronik schon im 19. Jahrhundert ins Englische und (teilweise) ins Deutsche übersetzt, keine Selbstverständlichkeit für eine mittelalterliche Chronik. Die deutsche Übersetzung von 1896 erwähnt die „Androgynen“ nicht, was nicht viel bedeuten muss, da es sich um eine Auswahlübersetzung handelt. Die englische Übersetzung von 1853 hingegen ist eine vollständige Übersetzung - verzichtet ausgerechnet auf die oben zitierte Episode, und beruft sich (Bd. 2, S. 166, online hier) auf ihre angebliche Unübersetzbarkeit: "The contents of this chapter being untranslatable, we give the Latin text, which is as follows: "Sub ejusdem anni curriculo, …"
2. Die Konstanzer Chronik (14./15. Jh.) berichtet zum Jahr 1388 von einem Mensch, der doppelte Geschlechtsorgane hatte, in zeitgenössischen Begriffen also ebenfalls ein „Hermaphrodit“. Anders als der gelehrte, auf Latein schreibende Matthew Paris verwendet der Konstanzer Chronist aber nicht diesen gelehrten Begriff; „hat ain zagel, hat ein fud“, schreibt er schlicht und deutlich, um die doppelten Geschlechtsorgane (Penis und Vulva) zu benennen. Eines aber hat er mit Mathew Paris gemeinsam – in den Druckausgaben wurde die Passage zensiert. Die erste Ausgabe der Konstanzer Chronik (durch Mone, hier online), obwohl sonst vollständig, ließ die Passage kommentarlos weg, die zweite (Ruppert) ersetzte sie immer noch durch eine Fußnote mit einer knappen (inhaltlich durchaus zutreffenden) Paraphrase.
3. Ein Kapitel des Paedagogos des Clemens von Alexandrien (gest. um 215), in dem es um Zwitter geht (mehr dazu hier), wird in der weit verbreiteten englischen Übersetzung (Schaff; hier online) stark gekürzt, ohne dass dies im Vorwort erwähnt würde. Erst eine Fußnote zur Kapitelüberschrift erläutert: "For obvious reasons, we have given the greater part of this chapter in the Latin version. [...]." Aus „offensichtlichen“ Gründen „muss“ der griechische Text des Originals auf Latein anstatt auf Englisch wiedergegeben werden – welche offensichtlichen Gründe dies sind, wird nicht gesagt. Immerhin wird die Zensur, bei aller sprachlichen Verschleierung, hier als solche erkennbar. In der deutschen Clemens-Übersetzung in der „Bibliothek der Kirchenväter“ (hier) ist nicht einmal das der Fall - hier wird ein noch kleinerer Teil des Paedagogos-Kapitels übersetzt – und der Rest fehlt ganz, ohne jeden Hinweis darauf, dass hier etwas fehlte!
Mit solchen zensierenden Eingriffen, Nicht-Übersetzungen, Verschleierungen rechnet man bei Textausgaben des 19. und 20. Jahrhunderts bei erotischen und allgemein sexuellen Themen, vor allem, wenn es um homosexuelle Akte und Beziehungen geht – zum Beispiel die berüchtigte Martial-Ausgabe der Loeb Classical Library: Bis zur Neuausgabe 1993 bot sie „einschlägige“ Verse anstatt in englischer in italienischer Übersetzung, die übrigens auch nicht vom Übersetzer selbst stammte, sondern einer Übertragung des 18. Jahrhunderts entnommen war. (Näheres kann man in der klugen Rezension Howells in der Classical Review, siehe hier, nachlesen.)
Die hier zitierten Zensur-Beispiele fallen aber auf dem ersten Blick nicht in dieses Muster: Der „Hermaphrodit von Lincoln“ begeht zwar Ehebruch, aber Matthew Paris berichtet denkbar knapp darüber und in irgendeiner Weise anstössig zu sein. Der Mensch mit doppelten Genitalien, der in der Konstanzer Chronik erwähnt wird, führt ein geordnetes Eheleben: Aufgewachsen als Katharina, nannte er sich später Hans, heiratete eine Frau, und das Konstanzer Gericht bestätigt die Gültigkeit ebendieser Ehe; alles recht langweilig. Erst recht ist Clemens von Alexandrien ziemlich unverdächtig: Die imkriminierten Passagen leugnen die Existenz von „echten“ Hermaphroditen und diskutieren dann angebliche „hermaphroditische“ Tiere wie die Hyäne und den Hasen, um die entsprechenden Speiseverbote des Alten Testamentes (und des sog. Barnabasbriefes) zu deuten. Dogmatisch nicht ganz jedermanns Tasse Tee, aber moralisch jedenfalls unverdächtigt.
Nicht die Darstellung sexueller Handlungen, erst recht nicht moralische Wertungen, sondern allein die Erwähnung von „Hermaphroditen“ ist es offenbar, die bei Herausgebern und Übersetzern des 19./20. Jahrhunderts als problematisch gesehen wurde. Gerade weil antike und mittelalterliche Texte für die meisten Leser wenn überhaupt, dann nur in Übersetzungen zugänglich sind, dürften die oben zitierten Beispiele nicht ohne Wirkung sein. Teilweise gibt es neuere Übersetzungen (z.B. von Clemens), aber gerade dank Google books und Co. erleben die alten, oft gemeinfreien Übersetzungen derzeit eine regelrechte Renaissance. Umso wichtiger ist es, dass man damit zu rechnen lernt, dass Hinweise auf Menschen zwischen den Geschlechtern in diesen Ausgaben gezielt eliminiert wurden.
Zensierte Zwitter. Über zensierte Ausgaben und Übersetzungen historischer Quellentexte
Wer sich mit der Geschichte uneindeutiger Körper beschäftigt, wird schnell mit Zensur-Phänomenen konfrontiert. Das betrifft insbesondere auch Textausgaben und Übersetzungen historischer Quellen, die zwischen der Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Als Einstieg drei Beispiele: 1. Der Chronist Matthäus Paris (gest. 1259) berichtet in seiner Chronica maior von „Androgynen“ in Lincoln: Eine „unheilverkündende und unerhörte“ Begebenheit habe sich dort im Jahre 1246 zugetragen. Eine adelige Frau, verheiratet und Mutter mehrerer Kinder, habe eine andere adelige Frau geschwängert, und zwar „in […]
aventinus nova Nr. 49 [31.08.2014]: „Der Wanderer ins Nichts“. Karl Radeks „Schlageter-Rede“ vom 21. Juni 1923
Mittelalterliche Urkunde im Universitätsarchiv Regensburg entdeckt
Im Universitätsarchiv Regensburg wurde im Rahmen einer regulären Abgabe von Unterlagen, die für die laufende Schriftgutverwaltung nicht mehr benötigt wurden, eine mittelalterliche Urkunde in einem alten Tresor entdeckt. Diese Urkunde stammt aus dem Jahr 1290 und wurde von der Stadt Ypern ausgestellt. Inhaltlich geht es die Zustimmung zu einem Schiedsverfahren beim Grafen von Flandern in einem Streit zwischen Stadt Ypern und Kloster Mesen (Messines). Die Urkunde befindet sich in vergleichsweise gutem Zustand und wurde nach Auffindung archivfachlich verpackt.
Man mag zunächst stutzen: Das Universitätsarchiv ist doch erst 2004 gegründet worden. Wie gelangte also diese flämische Urkunde aus dem Mittelalter ins oberpfälzische Universitätsarchiv? Das Klosterarchiv zu Mesen wurde im Winter 1914/15 von Soldaten der 6. Armee geplündert – vorwiegend also von bayerischen Soldaten. Wie die Urkunde dann letztlich in den Tresor gelangte, wo sie 2012 wieder aufgefunden wurde, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden. Es gibt zwar eine Spekulation, auf die auch in der Presse bereits hingewiesen wurde, aber ich wäre in dieser Frage ohne definitive Belege sehr zurückhaltend.
Als Kriegsbeute fällt die Urkunde unter die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung von 1907, die bereits auf einer normativen Ebene eine Entfremdung von wissenschaftlichen, kulturellen und geistlichen Gütern ausschließt. Sie war sowohl für Belgien wie für das Deutsche Reich und seine Teilstaaten seit 1910 rechtskräftig.
Der Tresor selbst war durch ein simples Vorhängeschloss versperrt, zu dem jedoch kein Schlüssel mehr existierte. In dem Tresor befand sich ein separiertes Schließfach, worin sich die Urkunde befand. Dazu lagen dort u.a. eine Fotoglasplatte, die einen Militärarzt darstellt
Am 16. Juli wird die Urkunde präsentiert. Die Abgabe an das Stadtarchiv Ypern ist für Ende September geplant.
Regensburg im Ersten Weltkrieg. Schlaglichter auf die Geschichte der Donaustadt zwischen 1914 und 1918. Ausstellung in der Staatlichen Bibliothek Regensburg
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf Regensburg waren scheinbar nur gering. Die Stadt präsentierte sich ihren Besuchern als „still“ und „zeitlos“. Einen Eindruck vom „stillen“ Regensburg des Jahres 1917 gibt der Romanist Viktor Klemperer in seiner 1940/41 niedergeschriebenen Autobiographie:
„Den allerletzten Ferientag nutzten wir für Regensburg. Wir besichtigten die Stadt ganz unabgelenkt von allen Kriegsgedanken. Freilich ist (oder war?) Regensburg die zeitfernste aller deutschen Städte. ‚Eine wunderbare, eine absolut zeitlose Steinmasse‘, notierte ich mir unter dem ersten Eindruck, ‚ohne alle Verbindung mit der Gegenwart.‘ Nirgends moderne Stadtteile oder auch nur einzelne Häuser, nirgends Wachstum, Verkehr, Fremdenzustrom. Um Alt-Braunschweig zieht sich eine moderne Stadt, um Alt-Regensburg gar nichts. Völliger Stillstand, auch nicht die Belebtheit eines Museums. [...] Ein ineinandergezahnter Block aus festen Häusern mit hohen Giebeldächern, aus Renaissancepalazzi, aus festungsartigen Kirchen mit eckigen Türmen, riesig über dem steinernen Block mit all seinen Türmen hinausragend der steinerne Dom, schwer steinern zu seinen Füßen die vielbogige uralte Brücke über den Strom. Auffallend viele Turmuhren. Es ist, als sollte betont werden, auch hier stehe die Zeit nicht still. Aber sie steht versteinert still.“
Betrachtet man Ansichten der Domstadt aus jener Zeit, so glaubt man Klemperers Einschätzung bestätigt zu sehen. Doch auch auf Regensburg wirkte der Waffengang, die „Ur-Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts (Georg F. Kennan), in erheblichem Maße.
Wenn im Gedenkjahr 2014 in der Staatlichen Bibliothek Regensburg eine kleine Ausstellung samt Begleitband mit Schlaglichtern zur Geschichte des Ersten Weltkrieges in Regensburg vorgestellt werden kann, so hat dies weniger mit den Zufälligkeiten eines solchen Jubiläums, sondern vielmehr mit dem Regensburger Maler Otto Zacharias zu tun. Dessen Nachlass ruht nun in der Staatlichen Bibliothek Regensburg und steht hier der Forschung zur Verfügung. Der Regensburger Maler Zacharias erlebte den Krieg wie Millionen andere Soldaten und verarbeitete ihn auch künstlerisch, auf seine ganz eigene Weise. Bewegend sind auch die Kinderzeichnungen seines Sohnes Kurt Zacharias, die zeigen, wie sehr auch die Kinder von diesem Krieg betroffen waren. Neben weiteren Dokumenten, Bildern, Zeitungsberichten und Gegenständen, welche helfen sollen, schlaglichtartig die Geschichte des Ersten Weltkrieges für Regensburg zu erhellen, wird auch eine moderne Installation des Regensburger Künstlers Oleg Kuzenko gezeigt, die eindrucksvoll vor Augen stellt wie man sich auch heute künstlerisch mit diesem Thema auseinandersetzen kann.
Die Ausstellung ist vom 10.07. bis 31.08.2014 im Foyer der Staatlichen Bibliothek Regensburg zu sehen.
Die Ausstellung wird am 10. Juli 2014 um 20 Uhr eröffnet. Nach der Begrüßung und Einführung in die Thematik durch den Bibliotheksleiter, Dr. Bernhard Lübbers, spricht Dr. Jörg Zedler von der Universität Regensburg über das „Augusterlebnis“ 1914 in Regensburg.
Der Eintritt ist frei, um Anmeldung per E-Mail (info_AT_staatliche-bibliothek-regensburg.de) oder per Telefon (0941 630806-0) bis 07.07.2014 wird gebeten.
Zur Ausstellung erscheint ein reichillustrierter Begleitband, der in der Bibliothek selbst bzw. im Buchhandel für 19,90 € erworben werden kann:
Namhafte Autoren haben darin die Geschichte Regensburgs während des Ersten Weltkrieges in Einzelaspekten in den Blick genommen.
Bernhard LÜBBERS/ Stefan REICHMANN (Hg.), Regensburg im Ersten Weltkrieg. Schlaglichter auf die Geschichte einer bayerischen Provinzstadt zwischen 1914 und 1918 (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg 10) Regensburg: Dr. Peter Morsbach Verlag 2014; 192 S.: zahlreiche Ill.; ISBN 978-3-937527-76-5
Das Buch enthält folgende Beiträge:
Bernhard LÜBBERS, Schlaglichter auf Regensburgs Geschichte im Ersten Weltkrieg. Eine Einführung, S. 9-15.
Georg KÖGLMEIER, Regensburg im Ersten Weltkrieg. Ein Überblick, S. 17-35.
Jörg ZEDLER, Zwischen Neugierde und Verunsicherung, Angst und aggressivem Patriotismus: Das Augusterlebnis 1914 in Regensburg, S. 37-86.
Peter STYRA, „… Und den Räten ein Automobil…“. Das Haus Thurn und Taxis im Ersten Weltkrieg, S. 87-104.
Bernhard LÜBBERS, „Segne die Waffen unserer Brüder.“ Die Hirtenbriefe des Regensburger Bischofs Antonius von Henle aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, S. 105-118.
Isabella von TRESKOW, Captif je suis… Gefangenschaft und kulturelles Leben französischer Soldaten im Ersten Weltkrieg in Regensburg, S. 119-137.
Dominik BOHMANN, Das Kriegsgefangenenlager am Unteren Wöhrd während des Ersten Weltkrieges, S. 139-153.
Stefan REICHMANN, Otto Zacharias (1876-1952). Großkrieg in kleinen Bildern und Skizzen, S. 155-172.
Stefanie KUFFER, Kurt Zacharias (1908-2004). Kinderzeichnungen an den Vater, S. 173-182.
Wolfgang von SEICHE-NORDENHEIM, Eine Warnung, die (k)einer ernst nahm, S. 183-190.
aventinus historia Nr. 13 [29.04.2014]: Umfassende Bibliographie zu Johannes Aventinus von Prof. Dr. Erich Stahleder auf www.aventinum.info
Historiker werden im 20. Jahrhundert: Das Interviewbuch von Jacques Le Goff (1996)
Jacques Le Goff ist am 1. April 2014 im Alter von 90 Jahren in Paris verstorben. Er war ein Historiker von beeindruckender Schaffenskraft. Sein letztes Buch, eine Denkschrift zur Periodisierung der Geschichte, in der er die Frühe Neuzeit dem Mittelalter einverleibte, ist noch kurz vor seinem Tod erschienen.1 Der Mediävist gab den Annales entscheidende Impulse, war Präsident der VI. Sektion der École pratique des hautes études und der École des hautes études en sciences sociales. Montags war er bei Radio France Culture mit seiner Sendung “Les lundis de l’histoire” zu hören. Bereits 1996 erschien ein Interviewbuch, in dem Le Goff auf sein Leben und Werden als Historiker in der Nachkriegszeit und sein Wirken als arrivierter Ordinarius in Paris zurückblickt. Passend der Titel: “Une vie pour l’histoire” (Paris, La Découverte, 1996, ND 2010). Darin beschreibt er seine berufliche und persönliche Laufbahn und denkt über deren Einfluss auf seine Art, Geschichte zu schreiben, nach. Er gibt Einblicke in seine Ausbildung als Nachwuchswissenschaftlern in den schwierigen Jahren nach der “Libération” 1944. Er beschreibt seine Freundschaften und gibt seine Eindrücke etwa von Fernand Braudel preis, den er als großen Wissenschaftler, aber mitunter schwachen Charakter darstellt. Der Interviewer, Marc Heurgon, ist dabei meist nur der […]