Auf der Suche nach dem Kanon der Geschichte

 

Alles hat vor ein paar Tagen angefangen mit einem Tweet: Welche Bücher sollte jeder #Historiker gelesen haben? #leseliste — Marc Mudrak (@MarcMudrak) July 26, 2014 Um zu erklären, wie es zu dieser Frage kam, muss ich etwas weiter ausholen. Denn auch Tweets haben manchmal längere Vorgeschichten. Während meiner Jahre in Frankreich ist mir in den Buchhandlungen, Bibliographien und Gesprächen etwas aufgefallen, was ich so aus Deutschland nicht kannte: Links des Rheins gibt es eine Art Kanon der großen historischen Wissenschaftsliteratur und Autoren (es sind […]

 

 

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/2165

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Historiker werden im 20. Jahrhundert: Das Interviewbuch von Jacques Le Goff (1996)

Jacques Le Goff ist am 1. April 2014 im Alter von 90 Jahren in Paris verstorben. Er war ein Historiker von beeindruckender Schaffenskraft. Sein letztes Buch, eine Denkschrift zur Periodisierung der Geschichte, in der er die Frühe Neuzeit dem Mittelalter einverleibte, ist noch kurz vor seinem Tod erschienen.1 Der Mediävist gab den Annales entscheidende Impulse, war Präsident der VI. Sektion der École pratique des hautes études und der École des hautes études en sciences sociales. Montags war er bei Radio France Culture mit seiner Sendung “Les lundis de l’histoire” zu hören. Bereits 1996 erschien ein Interviewbuch, in dem Le Goff auf sein Leben und Werden als Historiker in der Nachkriegszeit und sein Wirken als arrivierter Ordinarius in Paris zurückblickt. Passend der Titel: “Une vie pour l’histoire” (Paris, La Découverte, 1996, ND 2010). Darin beschreibt er seine berufliche und persönliche Laufbahn und denkt über deren Einfluss auf seine Art, Geschichte zu schreiben, nach. Er gibt Einblicke in seine Ausbildung als Nachwuchswissenschaftlern in den schwierigen Jahren nach der “Libération” 1944. Er beschreibt seine Freundschaften und gibt seine Eindrücke etwa von Fernand Braudel preis, den er als großen Wissenschaftler, aber mitunter schwachen Charakter darstellt. Der Interviewer, Marc Heurgon, ist dabei meist nur der […]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1987

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Was macht Frankreichs neue Historiker-Generation? Eine Bestandsaufnahme

Die Annales-Dominanz ist schon lange passé. Auch die Repräsentationsgeschichte riecht nicht mehr ganz frisch. Gibt es also etwas wirklich Neues bei den jungen französischen Historikerinnen und Historikern? Auch anderswo bewegen sich ja die kunstvoll hochstilisierten “Brüche” doch im mehr oder weniger kulturkonstruktivistischen Mainstream. Die Wenden sind heute eher thematischer Natur. Vorbei der cultural turn, her mit dem animal turn. Während somit die inhaltliche Zersplitterung fortschreitet, muss die Frage gestellt werden: Gibt es noch eine gemeinsame Richtung, die die Historiker-Generation des frühen 21. Jahrhunderts einzig und wiedererkennbar macht? Was führt uns zusammen und grenzt uns ab? Zu dieser Problematik ist mir in Paris ein Buch in die Hände gefallen, das bezüglich der jüngeren französischen Wissenschaft einige spannende Fingerzeige gibt. 17 Autorinnen und Autoren fragen im von Christophe Granger herausgegebenen und eingeleiteten Band: “À quoi pensent les historiens? Faire de l’histoire au XXIe siècle”. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Beiträger Franzosen, arbeiten in Frankreich oder über Frankreich. Sie geben in der Summe ein griffiges Bild davon, was links des Rheins state of the art ist. Reflexionen dieser Art erscheinen in Frankreich etwa alle 20 Jahre. 1974 veröffentlichten Jacques Le Goff und Pierre Nora in drei Bänden “Faire de l’histoire”, die während [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1309

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Keine Forschung ohne (die richtige) Religion? Ein Fox-News-Interview und die Parallelen in Deutschland

Amerika diskutiert über das Interview eines Historikers. Der Rechtsaußen-Sender Fox News hat am 26. Juli ein Gespräch mit dem  Religionssoziologen Reza Aslan geführt. Das Interview sollte eigentlich um dessen neues Buch “Zealot” gehen. Darin untersucht Aslan die Jesus-Biographie und zeichnet die frühe Erinnerungsbildung um die Figur des “Erlösers” nach.1 Doch um das Buch ging es bei Fox News nur am Rande. Die Journalistin setzte gleich mit ihrer ersten Frage das Thema für die zehnminütige Unterhaltung: “Sie sind Muslim. Warum schreiben Sie dann ein Buch über das Christentum?” Aslan verwies auf seine wissenschaftliche Expertise und darauf, dass sein Glaube bei den Forschungen keine Rolle gespielt habe. Doch die Moderatorin hakte nach. Der Tenor: Kann, darf, soll ein Muslim ein Buch über das Christenum schreiben? Ist er dazu als Nicht-Christ überhaupt in der Lage, zumal er theologische Fundamente dekonstruiert? Tritt da nicht einer in ein Gebiet ein, dass nicht seines ist? Sind diese Bedenken nicht auch sehr deutsch? Sicher, etwas Vergleichbares wie Fox News gibt es in Deutschland nicht. Zudem verläuft der wissenschaftliche Riss weniger zwischen Muslimen und Christen, als vielmehr innerhalb der christlichen Konfessionen. Vergleichbar ist vielmehr eine andere Konstante in der deutschen Religionsgeschichtsforschung, die oft nicht gesagt wird und ebenso [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1435

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“Sehepunkte” mit Sonderteil zur frühneuzeitlichen Religionsgeschichte in Ost-/Südosteuropa

Für alle, die es noch nicht gesehen oder die es übersehen haben: “Sehepunkte” hat in der aktuellen Ausgabe (6/2013) einen ausführlichen Sonderteil mit Rezensionen zur Reformations- und Konfessionsgeschichte in Ost- und Südosteuropa. Johannes Wischmeyer (Mainz) hat die Beiträge organisiert und acht Kritiker/innen dafür zusammengebracht. Diese geben einen umfassenden Einblick in den Stand der osteuropäischen Forschung. Die meisten der besprochenen Bücher sind in osteuropäischen Sprachen geschrieben und somit für viele westeuropäische Historiker/innen bzw. Historiker/innen mit einem westeuropäischen Schwerpunkt leider unzugänglich. Die Besprechungen leisten somit auch einen Beitrag zum Wissenstransfer. Wer sich für die Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit interessiert, dem/der seien also die aktuellen “Sehepunkte” sehr ans Herzg gelegt.

Quelle: http://de.hypotheses.org/73053

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Ein französisch-amerikanisches Gespräch über die Begeisterung für Geschichte

Die kanadisch-US-amerikanische Historikerin Natalie Zemon Davis hat im Jahr 2010, gemeinsam mit dem Franzosen Denis Crouzet, ein Gesprächsbuch veröffentlicht (Natalie Zemon Davis. A Passion for History. Conversations with Denis Crouzet, hg. v. Michael Wolfe (Early modern studies 4), Kirksville 2010). Herausgekommen ist eine Unterhaltung über das Leben, Politik und wie beides bei einer großartigen Historikerin die Arbeit als Wissenschaftlerin prägte.


Natalie Zemon Davis. (Quelle: http://www.magazine.utoronto.ca/new/wp-content/uploads/2010/06/loc_social_historian_480.jpg)

Davis, geboren 1928 in Detroit in einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus, ist eine der innovativsten Forscher/innen über das frühneuzeitliche Frankreich. Seit ihrer Emeritierung in Princeton ist sie an der Universität Toronto tätig. Während ihrer Karriere lehrte sie unter anderem in Yale, Berkeley, Oxford und an der EHESS Paris. Davis arbeitet zur Religions-, Frauen- und Sozialgeschichte Frankreichs, v.a. im 16. Jahrhundert. Bis heute unumgänglich – auch für mich in meiner Dissertation – ist ihr Aufsatz zur rituellen und sozial konstruierten Dimension der Gewalt in den französischen Religionskriegen (The Rites of Violence, in: Past and Present 59, 1973, 51-91)

Denis Crouzet, der in A Passion for History die Rolle des Interviewers, aber auch des kongenialen Vergleichers und Anreicherers übernimmt, wurde 1953 in Paris geboren. Heute lehrt er an der Université Paris IV-Sorbonne. Crouzet veränderte in den 1980er und 1990er Jahren den Blick der Wissenschaft auf die französische Reformation und die Religionskriege. Eschatologische Erwartungen (bzw. deren Abbau), religiöse Gewalt und konzeptuell-anthropologische Dimensionen der Reformation sind sein Thema. All das vereinigte Crouzet besonders detailliert in einer 1990 erschienenen, zweibändigen Monographie (zurückgehend auf seine Dissertation): Les Guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion (vers 1525-vers 1610).

Denis Crouzet. (Quelle: http://newsletter.paris-sorbonne.fr/local/cache-vignettes/L120xH180/D._Crouzet-b5231.jpg)

Das Gesprächsbuch geht zurück auf eine Reihe von Treffen im Jahr 2003. Natalie Zemon Davis ist seit Jahren eine begehrte Gesprächspartnerin auch außerhalb der Historikerzunft. Ihr Leben lädt zu spannenden Berichten ein. Davis’ Herkunft aus der jüdischen Kultur, ihr linkes politisches Engagement in den Hexen jagenden USA zu Beginn der 1950er Jahre (ihr Mann musste für ein halbes Jahr ins Gefängnis, die Konsequenz war ein längeres “Exil” in Toronto) und ihre Beziehung zu Frankreich bieten Gesprächsstoff genug. Besonders spannend ist dabei, wie sich diese persönlichen, beruflichen und politischen Lebenserfahrungen auf ihre Arbeit als Historikerin ausgewirkt haben. Immerhin hat Natalie Zemon Davis mit ihrem sozial- und kulturgeschichtlichen Ansatz die Frühneuzeitforschung bis heute geprägt. Davon zeugt u.a. ein jüngst veröffentlichter Sammelband, der sich mit ihren Thesen aus heutiger Forschersicht auseinandersetzt (Grame Murdock/Penny Roberts/Andrew Spicer (Hg.): Ritual and Violence. Natalie Zemon Davis and Early Modern France (Past and Present Supplement, 7), Oxford 2012).

Diesen Fragen geht Crouzet mit klugen Fragen nach, besonders auf der Suche nach der Verbindung von persönlicher Lebenserfahrung und Wissenschaft. Das ergibt auf schlanken 218 Seiten einen Parforceritt durch das amerikanische Judentum des 20. Jahrhunderts, das Aufkommen der gender studies und der Neuen Kulturgeschichte, Frankreich, politische Hoffnungen und Enttäuschungen und die Verbindung der Geschichte mit dem hier und jetzt. Es geht um Fragen der menschlichen Anthropologie, nach vielleiecht grundsätzlichen Veranlagungen, nach sozialen Dynamiken und den Kämpfen der politisch oder sozial Randständigen. Freilich wird auch die heutige politische und kulturelle Situation, besonders in den USA, in den Blick genommen.

Natalie Zemon Davis erzählt über die Geschichte, ihre Geschichte des 20. Jahrhunderts und die Geschichtswissenschaft darin. Ein spannendes Buch über ein Leben in und mit der Geschichte und wie beide die Blicke aufeinander prägen und verändern. Unbedingt zu empfehlen – ein intelligenter, kurzweiliger und politischer Schmöker.

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/442

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“Faire des sciences sociales”. Was Historiker daraus machen können

Was sind, wo sind und wie sind die Sozialwissenschaften in den humanities zu Beginn der 10er Jahre? Dazu liefert ein ambitioniertes Publikationsprojekt der Ecole des hautes études en sciences sociales Paris nun einen wirklich empfehlenswerten, umfassenden, kontroversen und pointierten Blick. In drei Bänden erschien im November 2012 “Faire des sciences sociales” in den éditions EHESS – sozial- und kulturwissenschaftlich arbeitende Historiker/innen sollten sie kennen.


Die drei Bände von “Faire des sciences sociales”.
Quelle: http://lettre.ehess.fr/4525

Die Reihe beinhaltet drei Bände, die es – wie im Bild – auch zum günstigen Gesamtpreis von 45 Euro in einer Box gibt. Diese befassen sich mit (1) “Critiquer” (2) “Comparer” und (3) “Généraliser” als den drei Hauptaufgaben der Sozialwissenschaften. In jedem Band nehmen Autor/innen aus den verschiedensten Fakultäten der EHESS zu dem Hauptthema Stellung, meist unter Bezugnahme auf das eigene Forschungsgebiet. Doch sind die Beiträge bewusst so allgemein gehalten, dass alle aus den humanities von der Lektüre profitieren.

Die Bände reflektieren natürlich besonders die Sozialwissenschaften der EHESS nach dem “cultural turn” der 1990er Jahre. Während in Deutschland und der Schweiz das Soziale häufig noch gegen das Kulturelle gestellt wird, bilden beide in Frankreich eine selbstverständliche, produktive Einheit. Schon Roger Chartier sprach vor fast 25 Jahren von einer Wende von der histoire sociale du culturel hin zur histoire culturelle du social. Wenn ich mein Dissertationsthema in Deutschland vorstelle, spreche ich (eigentlich gegen meine Überzeugung) von einer “Kulturgeschichte der Altgläubigen”, in Frankreich von einer “Sozialgeschichte”.

Für Historiker/innen halten die drei Bände eine Menge spannender, interessanter und anregender Einsichten bereit. In Band eins (“Critiquer“) befasst sich etwa Jean-Pierre Cavaillé mit der seit Hegel aktuellen Frage, ob Historiker/innen das, was sie an sozialen, politischen und kulturellen Zusammenhängen vor Augen haben, zur Beschreibung und gedanklich-diskursiven Fixierung in Kategorien packen dürfen. Didier Fassin stellt die Anthropologie – eine der methodisch-theoretischen Implusgeberinnen moderner Sozialwissenschaften – als eine “pratique critique” dar. Auch Gesellschaftskritisches bleibt nicht aus. David Martimort kritisiert und dekonsturiert die Expertengesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Band zwei (“Comparer“) befasst sich mit dem sozialwissenschaftlichen Vergleich. Ein Ausschnitt: Mir fällt natürlich gleich der Beitrag von Bruno Karsenti auf, in dem er (nach langer Zeit erstmals wieder) einen strukturalistischen Ansatz für die Religionssoziologie diskutiert. Frédéric Joulian fragt danach, ob und wie man das nicht-Vergleichbare vergleichen kann. Welcher Historiker stand noch nicht vor diesem Problem?

Band drei (“Généraliser“) fragt nach den (möglichen-unmöglichen) Generalisierungen. Auch dieser Teil ist für Historiker/innen höchst interessant, denn besonders in Deutschland gehört die zusammenfassend-einordnende Konzeptbildung schon in das Schlusswort der ersten Hausarbeit. Die Beiträge befassen sich u.a. mit dem methodischen Weg von der Einzahl zum repräsentativen Allgemeinen. Anregend ist auch der Beitrag von Michel de Fornel: das Undefinierte generalisieren. Oder aber das Kulturübergreifende generalisieren, wie bei Jocelyne Dakhlia (Europa und der Islam im Kontakt im frühneuzeitlichen Mittelmeer).

Ich bin jedenfalls sehr angetan von der ersten Lektüre. Deutschland sollte die drei Bändchen aus Frankreich entdecken! Man muss (und soll auch nicht) alle Positionen und Methoden daraus teilen oder gar anwenden. Die Lektüre ist aber auf jeden Fall ein Gewinn und ein Gedankenbeschleuniger – und sei es nur beim Schmökern.

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/415

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