Wer suchet, der findet. Gemäß dem Werbeslogan einer bekannten Pils-Brauerei findet der archivstreunende Adelsforscher – nicht immer, aber immer öfter – Materialien und Überlieferungen, die nicht in sein und schon gar nicht in das allgemein verbreitete Bild vom Adel, seinen Betätigungsfeldern und Wertehorizonten passen wollen. Immer öfter? Ja, durchaus, je weiter man nämlich dem adligen “Aufbruch in die Moderne” chronologisch folgt. Zu diesen auffälligen Trouvaillen zählen rege Korrespondenzen zwischen Adligen auf der einen und Rentmeistern, Verwaltern und Werksdirektoren, Agenten, Händlern und Lieferanten, “Aufsehern” und Prospektoren, Handelskammern und Bergämtern auf der anderen Seite. Lohnkosten und Absatzmärkte, Transportwege und Zollschranken, die Qualität von Grubenhölzern, plötzliche Wassereinbrüche und Bergstürze, ja selbst die Funktionsweise von Dampfmaschinen und Schleusenanlagen werden hier von und mit “Hochwohlgeboren” en détail erörtert. Ergänzt u.a. um einschlägige Rechnungsbücher, Rechenschaftsberichte und Prozessakten, Knappschaftslisten, Denkschriften zum Bergrecht und etliche Gruben-, Stollen-, und Werkskartierungen vermitteln sie den Eindruck großer Geschäftigkeit, reger Investitionstätigkeit, betriebswirtschaftlicher Ambition und unternehmerischer Initiative – kurz der Teilhabe des Adels am in der Region bereits vor 1800 einsetzenden Industrialisierungsprozess.
Dass sich Adel bereits weit vor den tiefgreifenden Wandlungsprozessen der Sattelzeit (1750-1850) als Unternehmer betätigte, hat Fritz Redlich seinerzeit (Der Unternehmer, 1964) sehr scharfsinnig darzulegen vermocht. Doch haben die Entwicklungen zwischen Agrarischer, Französischer und Industrieller Revolution mit Blick auf ein adliges Unternehmertum nochmals eigenen Charakter, nicht zuletzt was Marktorientierung und Kapitalinvestition anlangt. Für den rheinischen Adel ergab sich aufgrund der enormen Herausforderungen und Belastungen der “Franzosenzeit”, aber auch zahlreicher neuer Chancen, die beispielsweise das Nationalgütergeschäft, das (späterhin zäh verteidigte) französische Handels- und Bergrecht, die napoleonische Schutzzollpolitik uvm. mit sich brachten, nochmals eine besondere Ausgangssituation. Sie mündete in neuen unternehmerischen Aktivitäten, z.B. im Braunkohletagebau und Steinkohlebergbau, in der Papierherstellung, im Brauereiwesen, im holzverarbeitenden Gewerbe, in der Textil- und Eisenwarenindustrie, und verhalf altbestehenden adligen Regie-Unternehmungen zu neuer Dynamik. Daneben blieben etliche Standesgenossen – so viel lässt sich bereits festhalten – lediglich “stille Teilhaber”, Aktionäre und Profiteure, ohne selbst unternehmerisch aktiv zu werden.
Trotz einiger erster Untersuchungen und wissenschaftlicher Konferenzen (so die Tagung “Adel als Unternehmer im europäischen Vergleich”, 1.-2. Oktober 2009 auf Schloss Ehreshoven bei Overath, gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung), die vor allem eine perspektivische Bestandsaufnahme der vorhandenen Überlieferungen initiierten, klaffen zwischen “Beisselgrube” und “Spee’schen Papiermühlen”, zwischen “Grube Franziska” und “Salm-Alfterschen Sauerbrunn” (http://rhad.hypotheses.org/98) noch weit ausgedehnte Forschungslücken. Sie allmählich zu schließen, bedarf noch etlicher Probe- und Folgebohrungen in den Adelsarchiven, weiterer Transmissionsriemen und Verbindungsstollen in die Wirtschafts-, Industrie-, und Unternehmensgeschichte, jeder Menge Druck im Kessel und einer bisweilen redlich-nonchalanten Bereitschaft zum “unternehmerischen Risiko”. Glück auf!
Florian Schönfuß
Quelle: http://rhad.hypotheses.org/406