Welche Quellenarten finden sich in den frühneuzeitlichen Adelsarchiven, aus welchen Quellen lassen sich welche Informationen für die eigen Forschung ziehen? Diese und anderen Fragen erklärt Dr. Werner Frese in unserer kleinen Reihe zum Thema “Genealogische Quellen in Privatarchiven”.
Genealogische Quellen in Privatarchiven, Teil 1 (von Werner Frese)
Zu den wesentlichen Grundlagen einer Gutsherrschaft gehören die Lagerbücher oder Urbare, die ihren Besitz an Höfen, Liegenschaften und Gerechtsame aller Art erfassen, sowie die Protokollbücher über die ihr eigenbehörigen Menschen. Diese letzteren verzeichnen, wann und zu welchen Bedingungen die hofsitzenden Eheleute, das Bauerngut angetreten oder gewonnen haben, wann sie verstorben sind und was anlässlich ihres Todes an Sterbfallgeld fällig wurde. Der Abgang der eigenbehörigen Kinder geschah durch Freilassung oder Tausch bzw. Wechsel gegen eine eigenbehörige Person einer anderen Gutsherrschaft. Diese mehr personalbezogenen Informationen finden sich in den Protokollbüchern über Gewinn, Versterb, Wechsel und Freilassung. Über diese Vorgänge wurden natürlich auch Ausfertigungen (Urkunden) erstellt: die Pacht- oder Gewinnbrief, der Wechsel- bzw. Freibrief. Die freigelassene Person, wenn sie sich nicht in eine Stadt begab, besaß den Freibrief meist nur kurze Zeit, weil sie in der Regel ihr Unterkommen bei einer anderen Gutsherrschaft suchte und zeichenhaft für die erneute Annahme der Eigenbehörigkeit den Freibrief der neuen Herrschaft aushändigte. In manchen Privatarchiven liegen heute ansehnliche Sammlungen von Freibriefen, die zuweilen auf der Rückseite vermelden, auf welchem Hof die soeben noch frei gewesene Person sich niedergelassen und verheiratetet hat. Gelegentlich gibt es auch Bücher, in denen die Kinder der eigenbehörigen Familien registriert wurden, um ihren Verbleib festzuhalten und evtl. Ansprüche gegen sie geltend machen zu können.
Lagerbücher sind oft prächtig in Leder gebunden.
Lagerbücher beschreiben den Besitz und die aufsitzenden Leute meist punktuell. Ihre Fortschreibung erfolgte in unregelmäßigen Abständen, in den sogenannten Hofsprachen, die wiederum die hofsitzenden Leute, häufig genug auch den Verbleib der Kinder festhalten, insbesondere dann, wenn sie sich nicht freigekauft hatten.
Die unregelmäßigen oder ungewissen Einkünfte, die der Gutsherrschaft aus Gewinn, Versterb und Freilassung zukamen, finden sich in den Jahresrechnungen häufig unter der Rubrik ungewisse Gefälle.
Das Lagerbuchverzeichnis beginnt oft mit einem Gebet oder ähnlichem.
Gegenüber diesen, die einzelnen Eigenbehörigen systematisch erfassenden Quellen ist das übrige Renteischriftgut für den Genealogen sekundär, sogar die Hofesakte, deren eigentlicher Zweck die Information über den Zustand der Hofstelle ist, z. B. Markenberechtigungen, Landtausch, Grenzen, Holzbestand des Hofes, baulicher Zustand, Verschuldung etc. Trotzdem übermitteln diese Akten noch zahlreiche „Personalia“ und geben vor allem das Kolorit für die Lebensumstände der Bauern ab, bedingt durch Natur- und Kriegsereignisse, Krankheiten bei Mensch und Vieh, Brautschatzabfindungen, Kapitalaufnahmen.
Hofesakten können umfagreich oder dünn sein. Sie enthalten alle Dokumente, die ein Eigentümer über einen Hof vorliegen hatte.
Pachtregister und Register über Dienstleistungen jeglicher Art, z. B. Spann-, Botendienste, Heu- und Mäh- und Jagddienste weisen zwar die Personen nach, aber nicht als individuelle Personen, sondern nur als den zur Prästation verpflichteten Hofinhaber. Daher erscheint er fast immer ohne seinen Vornamen und ist genealogisch nicht sicher zu verorten.
Ein übliches Pachtregister
Manche Gutsherrschaften waren gleichzeitig Inhaber von Gerichtsherrlichkeiten oder fungierten auch als Holz- oder Markenrichter. In den Protokollen der unterherrlichen Gerichtsbarkeiten werden überwiegend zivile Streitigkeiten abgehandelt, z. B. Schuldforderungen, die sehr langlebig sein können und deshalb nicht selten eine diesbezügliche Erb- und genealogische Abfolge darstellen, die für den Genealogen höchst aufschlussreich sind, besonders, wenn es um Erbstreitigkeiten, Kindesabfindungen und Brautschatz-, Unterhaltszahlungen geht. Viel häufiger sind Fälle der Strafgerichtsbarkeit, die nicht nur sehr genau die Beteiligten in Injurienklagen und bei tätlicher Gewalt angeben, sondern auch Zeugen mit ihrem Alter und ihrer Profession und häufig genug den Verwandtschaftsverhältnissen. Hier kommen natürlich nicht nur die Eigenhörigen vor, sondern es können theoretisch alle der Gerichtsbarkeit Unterworfenen und solche, die das Gericht als Kläger angerufen haben, namentlich vorkommen. Dasselbe gilt für die Markenprotokolle, wobei die Gegenstände sich natürlich stets auf die Markennutzung beziehen.
In allen Privatarchiven finden sich zahlreiche Prozesse, die die Gutsherrschaft mit den eigenbehörigen Bauern in Forderungssachen geführt hat. Auch diese greifen meist weiter zurück und geben Blicke auch auf Zeiten frei, die lange vor dem eigentlichen Prozessbeginn liegen, und somit frühere Verhältnisse des Hofes und der aufsitzenden Menschen beleuchten.
Wenn die Gutsherrschaft mit mehreren Höfen in einem Kirchspiel begütert war, lassen sich in ihrem Archiv nicht selten Rechnungen des Kirchspiels finden und sogar Kirchspielsschatzungen (Steuerlisten), deren überwiegende Menge natürlich in der landesherrlichen Verwaltung anzutreffen ist. Hatten die Adelsherrschaften auch Kirchenpatronate, finden sich natürlich in ihrem Archiv auch die Kirchenrechnungen, die besonders für das gesamte kirchliche Personal bis zur Hebamme ergiebig sind. Man darf überhaupt davon ausgehen, dass die Rechnungsregister aller Art sehr viel auskunftsfreudiger als heute sind, die genauen Umstände und Leistungen für Zahlungen angeben und natürlich namentlich deren Empfänger oder Rechtsnachfolger. Lohnenswert, wenngleich mühseliger, ist daher auch die Durchsicht der Rechnungsbelege der Kaufleute, Handwerker, Apotheker, Ärzte, Künstler
Bei geistlichen Institutionen und Stiftern, deren Überlieferung durch die Säkularisation in die Archive der Standesherren geraten sind, ist aufmerksam zu machen auf die Kapitelsprotokolle. Diese erfassen, ganz anders als zunächst ihre Bezeichnung vermuten lässt, weniger geistliche Angelegenheiten als vielmehr fast alle Geschäfte der gutsherrlichen Verwaltung des Klosterbesitzes, wie sie bereits oben dargestellt worden sind. Ergiebig sind besonders die mancherorts darin verzeichneten Vergaben der Wortstätten, aus denen sich zuweilen lückenlose Hausgeschichten und Abfolgen ihrer Bewohner erstellen lassen.
Vom Gutsarchiv ist das Familienarchiv der adligen Familien zu unterscheiden. Hier wurden insbesondere Eheberedungen, Testamente und Abfindungen der nachgeborenen Kinder aus rechtlichen Gründen aufbewahrt. Zur Durchsetzung von Erbansprüchen waren nicht selten langwierige Prozesse nötig, in denen die Abstammungsverhältnisse durch graphische Schemata dargestellt, aber auch durch Urkunden belegt wurden. Adelsfamilien, deren Söhne Domherrenstellen besetzten oder Töchter in Stiftern untergebracht wurden, besitzen nicht selten die Aufschwörungstafeln der Probanden, die ihre adlige Herkunft über vier Generationen beweisen. Seit dem 19. Jahrhundert haben einige Archivare bei Neuordnungen des Archivs sogar Personalakten gebildet, in denen von der Taufurkunde bis zu Patenten und Bestallungsurkunden sogar bedeutsame Korrespondenzen der betreffenden Personen vereinigt liegen.
Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/217