Zerknitterte Pergamentstückchen, Palimpseste und Buchumschläge

Im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum wurden von März bis Juni 2017 Zeugnisse früher Mainzer Schriftlichkeit ausgestellt. Neben großen Torinschriften und prachtvoll gearbeiteten Bibeln finden sich Blätter und Bücher, die deutliche Spuren unachtsamen Gebrauchs oder nachlässiger Aufbewahrung zeigen. Die Heidelberger Mittellateinerin Kirsten Wallenwein lässt bei ihrer Führung durch die Ausstellung gerade diese – auf den ersten Blick weniger kostbaren – Exponate in hellem Licht erstrahlen.

Es war einmal eine Zeit, da war die Stadt Mainz ein Zentrum gelehrter Schriftlichkeit. Im Dom zu Mainz befand sich eine Bibliothek, die unermessliche Schätze bewahrt haben muss. In den 1790er Jahren wurde Mainz jedoch einer der Schauplätze der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem revolutionären Frankreich und Preußen. Im Sommer 1793 verbrannte die gesamte Bibliothek. Das frühmittelalterliche Schrifttum der Stadt Mainz ist daher nur in den Stücken erhalten, die sich nicht in der Bibliothek befanden oder die aus Stein waren: Entliehene, gestohlene oder zweitverwertete Bücher (Codices) sowie Schriftstücke, die aus anderen Gründen nicht in der Bibliothek aufbewahrt wurden, sowie Inschriften an Bauwerken oder auf Grabsteinen.

Die Ausstellung im Dom- und Diözesanmuseum, die in Kooperation mit dem SFB 933-Teilprojekt zu Reliquienauthentiken konzipiert wurde, hatte das Ziel, die Reichhaltigkeit des frühen Mainzer Schrifttums zu zeigen.

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Quelle: https://sfb933.hypotheses.org/253

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Michel Foucault und das Mittelalter? Analysebegriff „Heilsökonomie“

Dieser Beitrag ist das zweite Diskussionspapier in unserer Reihe zur Rezeption der Werke und Ideen Michael Foucaults in den deutschen Geschichtswissenschaften. Der am 27. November 2016 veröffentlichte Artikel zur Einführung in diese Reihe ist hier verfügbar.

Im Mittelalter erfolgte ein langwieriger, aber einschneidender christlich-normativer Wandel, der nicht mit dem Begriff der Christianisierung gleichzusetzen ist. Dieser kann je nach Verwendung bereits die bloße Taufe durch vorbeiziehende Wanderprediger bezeichnen, mit der nicht zwangsläufig ein Verständnis und eine vollständige Übernahme christlicher Glaubensinhalte und Deutungen der Lebenswelt einhergingen. Arnold Angenendt schilderte die Konversion der Stammesgesellschaften wie folgt:

[…] der Wechsel zum Christentum […] forderte […] den totalen Bruch mit der Welt der Vorfahren und den von ihnen begründeten Lebensregeln. Die alten Traditionen, die in nichtschriftlichen Gesellschaften das alleinige Lebensfundament bilden, wurden zerstört, und zugleich mußten neue Traditionen aufgebaut werden, weil nur im Rahmen und in der Form von Tradition die zum Leben notwendigen Regeln verstanden werden konnten.[1]



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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/9275

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Die verschlungenen Wege falscher und echter Reliquien

Reliquien der heiligen Elisabeth sind auf der ganzen Welt verstreut. Sie werden in wertvollen historischen Reliquiaren aufbewahrt und zu Festtagen herausgeholt und den Gläubigen gezeigt. Einige dieser Knochen können zweifellos als Fälschungen angesprochen werden. Verehrt werden sie häufig trotzdem.

Man unterscheidet landläufig zwei Arten von Reliquien: Hinterlassenschaften, die vom Körper der Heiligen selbst stammen oder sogenannte Berührungsreliquien. Letztere haben durch die Berührung des Heiligen selbst einen Teil der Heiligkeit in sich aufgenommen, so dass sie selbst als verehrungswürdig angesehen werden.

Die Forschung nach der Echtheit der Reliquien ist meist alles andere als einfach. In normalen Spitälern und Pfarreien reicht die Überlieferung häufig nicht weiter als ins 18. Jahrhundert. In manchen großen Domschätzen sind die Inventare während der Hussiteneinfälle oder während des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen.

Es gibt hunderte von Reliquien, deren Herkunft teilweise gut größtenteils aber auch gar nicht rekonstruierbar ist. Aber zwei Geschichten sind durchaus erzählenswert.

Eine spannende Geschichte ist der Verbleib des Hauptes der Elisabeth. Wie schon (Blogpost vom 18.10.2012) erläutert, wurde der Schädel bereits vor der feierlichen Erhebung der Gebeine am 1. Mai 1236 vom restlichen Körper getrennt. Kaiser Friedrich II setzte ihm selbst im Büßergewand gekleidet eine wertvolle Krone auf.  Der Kopf wurde danach gesondert aufbewahrt und zu verschiedenen Anlässen gezeigt und durch die Kirche oder die ganze Stadt getragen.

Heute erheben mehrere Orte den Anspruch darauf, im Besitz dieses Schädels zu sein.

Schädelreliquie 1: Unter den Reliquien des Elisabetherinnenkloster bei Wien, wohin die verblieben Leichenteile aus Marburg gebracht wurden, befindet sich ein Schädel.

Schädelreliquie 2: Im Dom von Udine befindet sich ein Haupt, das Elisabeth zugesprochen wird. Es steht auf dem Grabmal des seligen Bertrand von Aquileja. Karl IV, der mit dem Seligen befreundet war, besuchte Udine kurz nachdem er in Marburg gewesen war und könnte es bei dieser Gelegenheit gestiftet haben.

Schädelreliquie 3: In der Erzbischöflichen Kapelle von Besançon wird auch ein Elisabethkopf aufbewahrt, dessen Herkunft aber nicht weiter als ins 19. Jahrhundert zurückgeführt werden kann.

Schädelreliquie 4: In Brüssel befindet sich ein Kopf, der lange für das echte Haupt gehalten wurde, weil auf dem Reliquiar, die Inschrift zu finden ist: „Elisabeth de radice Jesse“ / „Elisabeth aus der Wurzel Jesse“. Fälschlich wurde statt „Jesse“- „Hesse“ gelesen. Die Reliquie sollte also nicht von  Elisabeth von Thüringen sondern von der Mutter Johannes des Täufers stammen.

Schädelreliquie 5: Das Elisabethhaupt im kolumbianischen Bogotá soll Anna von Österreich an die  Kolonie geschenkt haben. Es handelt sich um den Schädel eines jungen Mannes.

Schädelreliquie 6: Interessanter ist die Kopfreliquie im Historischen Museum in Stockholm.[1] Der Göttinger Historiker Percy Ernst Schramm, einer seiner Forschungsschwerpunkte waren Herrschaftssymbole, konnte in den 1950er Jahren nachweisen, dass es sich bei der Krone, tatsächlich um die des Staufers Friedrich II gehandelt hat.[2] Die Forschung war aufgerüttelt und die Zeit berichtete.[3] Link

Die Frage ist nun, wie kommt der Kopf der heiligen Elisabeth nach Stockholm? In Marburg kann der Schädel bis 1855 urkundlich verfolgt werden. Dann kam der Kopf nach Wien.

Quellen zufolge ist der Kopf als Kriegsbeute während der Eroberung der Feste Marienburg bei Würzburg neben vielen anderen Kunstschätzen in schwedische Hände gelangt und nach Stockholm gebracht worden.  Der Reliquienforscher Dickmann erklärt plausibel, dass während des Dreißigjährigen Krieges der Deutsche Orden viele Kunstschätze auf die Marienburg bei Würzburg zu deren Schutz verbrachte.[4]

Der Stockholmer Elisabethschädel wird in der Forschung als echt anerkannt.[5]

Eine zweite spannende Geschichte ist die des sogenannten Bechers der Elisabeth in Coburg. Er ist aus dickwandigem Glas und das florale Muster ist geschliffen. Solche Becher werden in der deutschsprachigen archäologischen Forschung  gewöhnlich als „Hedwigbecher“ bezeichnet, nach zwei sehr ähnlichen Gläsern in Krakau und Breslau, die der heiligen Hedwig, Elisabeths Tante, zugesprochen werden.[6]

sog. Glasbecher der hl. Elisabeth in Coburg (Abb.Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 145)

Im Mittelalter hat sich der Becher zusammen mit dem Gürtel und einem Löffel der Elisabeth in Besitz der Markgrafen von Meißen bzw. sächsischen Kurfürsten befunden. Sie sollen in der Schloßkapelle in Wittenberg aufbewahrt worden sein. Sie sind offenbar von der Wartburg dorthin gekommen, nachdem Thüringen Mitte des 13. Jahrhunderts an den sächsischen Hochadel gefallen war. Diese Gegenständen waren in regem Gebrauch: Sie wurden den werdenden Müttern der Familie, bei einer Entbindung gegeben, die sich durch deren Beisein eine gefahrlose und leichte Geburt versprachen.[7]

In der Reformationszeit gelangte der Becher in den Besitz Martin Luthers, der ihn bei seinen berühmten Trinkgelagen häufig benutzt haben soll. Wie er nach Coburg kam ist noch unklar.[8]

Theoretisch ist es durchaus möglich, dass Elisabeth so ein Glas besessen hat, denn solche Gläser, werden in der Regel zwischen dem 11. bis in die Mitte des 12. Jahrhundert eingeordnet.[9]

Letztlich ist es für die viele Gläubige nebensächlich, ob die Echtheit eines Fingers oder eines Stoffrestes einwandfrei nachzuweisen ist, schließlich muss ja was dran sein, sonst würde es ja nicht verehrt.

Ob falsch oder echt, spannende Geschichten erzählen diese Gegenstände allemal.

Weiterführende Literatur:

A. Andersen, Das Reliquiar mit der Krone, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 513-517

V. Belghaus, Der erzählte Körper. Die Inszenierung der Reliquien Karls des Großen und Elisabeth von Thüringen (Berlin 2005)

S. Beissel, Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland im Mittelalter (Nachdruck  Darmstadt 1983)

W. Brückner, Zu Heiligenkult und Wahlfahrtswesen im 13. Jahrhundert. Einordnungsversuch der volksfrommen Elisabeth-Verehrung in Marburg, in: Philips-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige (Sigmaringen 1981) 117-127

Th. Fuchs, Bericht über den Verbleib der Reliquien der hl. Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Katalog (Petersberg 2007) 462-463

U. Geese, Reliquienverehrung und Herrschaftsvermittlung. Die mediale Beschaffenheit der Reliquien im frühen Elisabethkult, Quellen u. Forsch. hessischen Gesch. (Darmstadt u. Marburg 1984)

[1] Zuletzt: B. Reudenbach, Kopf, Arm und Leib. Reliquien und Reliquiare der Heiligen Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Aufsätze (Petersberg 2007) 193-202

[2] P.E. Schramm, Kaiser Friedrich II Herrschaftszeichen. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, Philosophische Klasse 3, Folge 36, (Göttingen 1955)

[3] Chr. E. Lewalter, Stauferkronen in Stockholm. Umwege und Erfolg historischer Forschung, in: Die Zeit 23/ 1955, 9.6.1955

[4] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 10

[5] Zuletzt: St. Rösler, Inszenierungsstrategien Kaiser Friedrich II am Beispiel des Stockholmer Kopfreliquiars und der Translation der heiligen Elisabeth, in: Kunst-Macht-Öffentlichkeit (Berlin 2008)  23-35

[6] R. Koch, Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 273

[7] R. Koch, Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 281

[8] R. Koch, Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.) Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 272

[9] E. Baumgartner/ I. Krueger, Phoenix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters (München 1988) 86-105

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/209

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Das Herz der Elisabeth in Nordfrankreich?

Reliquien spalten die Gesellschaft: die einen wissen nicht was Reliquien überhaupt sind, die anderen halten ihre Verehrung für einen morbiden Auswuchs katholischer Frömmigkeit und wieder andere reisen kilometerweit, um einmal den Arm, Kopf oder auch vertrocknete Innereien sehen zu können. Sie beten zu dem Heiligen und erhoffen sich Hilfe oder sehen  sie/ihn als spirituelles Vorbild an. Das Herz der Elisabeth liegt angeblich in Cambrai, Nordfrankreich. Im Rahmen einer Frankreichreise besuchte ich die Stadt, um das zu überprüfen.

Auch der Leichnam der heiligen Elisabeth ist nach ihrem Tode zerteilt worden,  ihr Körper ist nun auf der ganzen Welt verstreut und wird in vergoldeten Schreinen aufbewahrt. Die verwitwete Landgräfin starb im Alter von 25 Jahren 1231 in dem von ihr gegründeten Hospital in Marburg an der Lahn. Sie wurde bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt, was zu unglaublichen Szenen während ihrer Aufbahrung geführt haben soll. Die Menschen sollen sich regelrecht auf den Leichnam gestürzt haben. Sie rissen Stücke aus ihrem Leichentuch, schnitten Nägel, Haare und sogar die Ohren ab.[1] Bereits kurz nach ihrem Tod muss den Hinterbliebenen klar gewesen sein, hier lag eine Heilige und nun müssen die Maßnahmen für ihre offizielle Heiligsprechung eingeleitet werden.

Ich bin von dem Marburger Historiker Angus Fowler darauf hingewiesen worden, dass es in einer handschriftlichen Notiz heißt, dass das Herz der Elisabeth bereits 1232 nach Cambrai gekommen sei. Das wäre ein Jahr nach ihrem Tode und vier Jahre vor ihrer offiziellen Heiligsprechung durch den Papst.[2]  Bereits 1235 soll in der Kathedrale von Cambrai ein Altar der Heiligen Elisabeth worden sein, was die Existenz einer Reliquie voraussetzt. In Cambrai sind mehrere Reliquien der Heiligen Elisabeth in mindestens acht Schatzverzeichnissen aus den Jahren 1359, 1401, 1461, 1519, 1541, 1571, 1623 und 1670 aufgelistet. Darunter könnte auch das Herz gelistet sein, dass sich unter dem Begriff „Apfel“ verbergen könnte.[3]

Weiterhin ist zu bemerken, dass die Beziehungen zwischen den Landgrafen von Thüringen und den Herzögen von Brabant eng waren, so wurde Elisabeths älteste Tochter in dieses Haus eingeheiratet.

Während der Französischen Revolution wurde die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Kathedrale von Cambrai wurde gebrandschatzt und abgerissen. Die meisten Reliquien wurden eingeschmolzen. Die Kathedralfunktion wurde auf die Klosterkirche Saint-Sepulchre übertragen. An der Stelle der Kathedrale steht heute ein Parkplatz. Laut örtlicher Überlieferung entging das Herz der Elisabeth der Zerstörung und wurde in einem Kupfergefäß in Form eines Herzes gebettet und in eine Nische auf der Rückseite des Hauptaltares eingelassen. Dieses Gefäß wurde 1990 aufgebrochen und gestohlen, die Reste des Elisabethherzes las man vom Boden auf und verbrachte es in ein neues kleines Herzreliquiar, das ich mir anschauen durfte.[4] Foto unten.

Die Geschichte der Herz-Reliquie hat zuletzt Frau Suzanne Frontier de la Messelière in ihrer Doktorarbeit zum Thema „Elisabeth de Hongrie. Biographie et Hagiographie“ an der Universität Freiburg/ Schweiz bearbeitet. Eine kurze Zusammenfassung findet sich auf dieser Internetseite.

Die Abschlussarbeit liegt meines Wissens noch nicht gedruckt vor.

Der Großteil des verstorben Körpers der heiligen Elisabeth dürfte bis zu ihrer Heiligsprechung 1235 in Marburg verblieben sein. Der Leichnam wurde präpariert, in dem man Fleisch und Knochen voneinander trennte und auch getrennt voneinander aufbewahrte. Der Kopf wurde als die wertvollste Reliquie wiederum gesondert aufbewahrt. Bei der feierlichen Erhebung war der Kaiser Friedrich II persönlich anwesend. Er nahm das Haupt und setzte ihm eine kostbare Krone auf, was damals als Zeichen der Demut begriffen wurde.[5]

Der Verbleib des verwesenden Fleisches in den nächsten Jahrhunderten ist unbekannt. Der Theologe Dickmann mutmaßt, dass es sich in dem bleiernen Kästchen, dass zwischen 1854 und 1861 aus einem Schacht unter dem heutigen Elisabethmausoleum heraufgehoben wurde, befinden könnte. Friedrich Lange, der zur damaligen Zeit die Restaurationsarbeiten leitete, beschrieb den Inhalt als „zu Klumpen verbackene Hostien“.[6] Die These ist als hypothetisch zu werten.

Das Skelett dürfte nach ihrer Erhebung erst einmal in ihrem Hospital aufbewahrt worden sein. 1249 wurde sie schließlich in die neu errichtete Elisabethkirche überführt und kam in den 1270er Jahren in den goldenen Schrein in der Sakristei.

Bis zum Ende des Mittelalters sind immer wieder Teile des Skelettes entnommen worden. Überliefert ist zum Beispiel, dass Sophie eine Rippe ihrer verstorbenen Mutter bei sich gehabt haben soll, um darauf Schwüre abzunehmen. Ein Arm soll bereits kurz nach ihrem Tod ins Prämonstratenserinnenkloster Altenberg bei Wetzlar verbracht worden sein, wo ihre jüngste Tochter Gertrud dann Äbtissin war.[7] Über Umwege gelangte das Reliquiar in den Besitz der Fürsten zu Sayn-Wittgenstein. Er wird heute in der Schlosskapelle von Schloss Sayn bei Koblenz aufbewahrt.[8]

1539 entnahm der zum Protestantismus übergelaufene Landgraf Philipp von Hessen, genannt der Großmütige, die Gebeine seiner Ahnmutter aus dem Schrein. Die sterblichen Überreste wurden in einen Sack verpackt und ins Marburger Schloß gebracht.[9] Der großmütige Urenkel ließ verkünden er hätte der Knochen auf dem Friedhof beim Michelchen in Marburg verstreuen lassen, was ihm freilich niemand glaubte. Der Deutsche Orden forderte ihn immer wieder auf, die Reliquien zurückzugeben, aber auch das Eingreifen des Kaisers sollte nicht fruchten.[10] Während des Schmalkaldischen Krieges wurde Philipp 1547 in der Schlacht bei Mühlberg gefangengenommen. Der Deutsche Orden forderte die Herausgabe erneut, nur diesmal mit dem Zusatz des Kaisers, dass sich eine Rückgabe positiv auf die Dauer der Gefangenschaft auswirke.

Am 12.7.1548 wurden die Gebeine dem Deutschen Orden in Marburg ausgehändigt. Von dem Skelett waren noch der Kopf mit Kinn, 5 kleinere und größere Röhrenknochen, eine Rippe, zwei Schulterbeine und ein Breitknochen vorhanden.[11]

1588 bat der Deutschmeister Erzherzog Maximilian von Österreich den Marburger Landkomtur um die Herausgabe der Reliquien. Noch im selben Jahr wurden sie in das Wiener Klarissenenkloster verbracht. Als dieses 1782 aufgelöst wurde, kamen die verblieben Knochen ins Elisabetherinnenkloster in der Nähe von Wien, wo sie sich heute noch befinden.[12] Der Verbleib ist in Forschung umstritten.[13]

In der Elisabethkirche selbst befinden sich keine Reliquien der heiligen Elisabeth mehr. Die Körperteile Elisabeths von Thüringen sind auf der ganzen Welt verstreut, wobei nicht jede der verehrten Reliquien als echt einzustufen ist.

Das Herz der Elisabeth hat in der deutschsprachigen Forschung noch nicht die Beachtung gefunden, die es möglicherweise verdient hätte. Wenn die urkundliche Rückverfolgung eine Echtheit der Hinterlassenschaft wahrscheinlich macht, sollte das Herz der Elisabeth seinen Platz unter den wichtigsten Reliquien der Heiligen eingeräumt werden. Doch vorher müssen die Urkunden geprüft und alle Indizien abgewägt werden, um zu einem Ergebnis zu kommen.


Foto der Herzreliquie in Cambrai (Foto: Kai Thomas Platz)


[1] E. Könsgen (Hrsg.), Caesarius von Heisterbach. Das Leben der heiligen Elisabeth und andere Zeugnisse, Veröff. Hist. Kommission Hessen 67,2 = Kleine Texte mit Übersetzungen 2 (Marburg 2007) 190-191

[2]  Mit freundlichen Hinweis von Angus Fowler M.A. / A. Huyskens, Quellstudien zur Geschichte der Hl Elisabeth. Landgräfin von Thüringen (Marburg 1908) 33/ A. Fowler, Das Herz der Heiligen Elisabeth in Cambrai/Nord-Frankreich (Masch. Schriftl. Manuskript Marburg 2011)

[3] B. Delmaire, Nennung von Reliquien der hl. Elisabeth im Reliquien-Verzeichnis der Kathedrale von Cambrai, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige Katalog (Petersberg 2007) 197-199

[4] B. Delmaire, Nennung von Reliquien der hl. Elisabeth im Reliquien-Verzeichnis der Kathedrale von Cambrai, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige Katalog (Petersberg 2007) 197-199

[5] T. Franke, Zur Geschichte der Elisabethreliquien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 167

[6] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 4

[7] T. Franke, Zur Geschichte der Elisabethreliquien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 168

[8] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 5

[9] Th. Fuchs, Bericht über den Verbleib der Reliquien der hl. Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Katalog (Petersberg 2007) 462-463

[10] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 2

[11] Th.Fuchs, Der Landkomtur des Deutschen Ordens bestätigt die Rückgabe der Reliquien der heiligen Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Katalog (Petersberg 2007) 462-463

[12] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 7

[13] U. Hussong, Im Namen der Elisabeth Nachleben und Jubiläumsfeiern in Marburg (Marburg 2007) 25

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/162

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