Peter Weiss über den Umgang mit der Weltkultur

Die angemessen Darstellung komplexer Vorgänge ist immer eine große methodische Herausforderung. Wichtige Lösungsansätze kommen für meine Begriffe aus der dialektisch-kritischen Literatur- und Kunsttheorie. Und zwar von den Autoren, die eine besondere Nähe zu historischen Stoffen und historischer Arbeit haben. Walter Benjamin und Ernst Bloch zum Beispiel, aber auch von Peter Weiss. Dieser sagte beispielsweise 1974 in einem Gespräch über seine Arbeit:

Grundsätzlich könnte man mich als “Traditionalisten” bezeichnen, indem die gesamte Weltkultur für mich vorhanden ist und in jeder ihrer Perioden ihre bedeutenden Leistungen aufweist. Das Verhältnis zu den Werken aller Zeitalter indessen schließt ein, daß man auch dort die jeweiligen Widersprüche erkennt und die jeweiligen Klassenbedingtheiten. Du erwähntest Hölderlin. Dabei ging es mir ja auch nicht darum, Hölderlin gegen Goethe auszuspielen, sondern nur in einer Konfliktsituation verschiedener Haltungen und Auffassungen einander gegenüberzustellen. Ich finde zum Beispiel Engels’ Charakterisierung Goethes als äußerst zutreffend, da er beide Seiten Goethes zu treffen vermag. Das ist ja gerade das Wesen der Kunstwerke, daß man sie immer wieder mit neuen Augen betrachten kann und daß man aus Werken, die von den herrschenden Klassen für sich in Anspruch genommen wurden, neue Werte herauszulesen vermag, die – wie ich meine – zu einer klassenlosen Gesellschaft gehören. Der Sturm gegen die Kultur, das Trachten nach dem Sturz von Kulturwerken ist mir immer unverständlich gewesen, wenn auch zum Beispiel der Dadaismus als zeitbedingte Erscheinung interessant und verständlich ist. Natürlich spielen hier herein Erlebnisse aus der Zeit des Aufwachsens, wo ein persönliches Element des Protests und Aufruhrs konfrontiert wurde mit einer Klassikerauffassung, die autoritär und konservativ war.

Quelle: Manfred Haiduk im Gespräch mit Peter Weiss über Die Ästhetik des Widerstands, 30. August 1974, 213f; in: Rainer Gerlach und Matthias Richter (Hg.): Peter Weiss im Gespräch, Frankfurt am Main 1986.


Einsortiert unter:Aufhebung, Methodik, Vermittlung

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/06/30/peter-weiss-uber-den-umgang-mit-der-weltkultur/

Weiterlesen

Psst! Ich bin’s. Der Text!

Meine Autorin wollte gerade beginnen an mir zu arbeiten, als sie etwas davon murmelte, dass es heute vergleichsweise heiß und sie vergleichsweise müde sei. Sprachs und war auf dem Sofa verschwunden. Jetzt schnarcht sie leise vor sich hin und ich muss sehen, wie ich hier zurande komme. Ich finde das ein bisschen ärgerlich, denn ich habe mich schon darauf gefreut, ein ernst zu nehmender Text zu werden. Jetzt werde ich wohl im Vergleich zu den anderen Artikeln eher bescheiden aussehen.

Vorhin, da hatte sie so ein rotes Buch in der Hand. Es hieß “Der Rahmen. Ein Blick des Gehirns auf unser Ich” von Ernst Pöppel. Ja, so was interessiert sie. Aber kaum liest sie fünf Zeilen, da fällt sie vor Müdigkeit um. Wenn ich nicht wäre! Ich habe mich bei meiner Verwandtschaft, nämlich bei der von Seite 296 und 297 danach erkundigt, was sie gelesen hat. Da ging es um Vergleiche. Menschen könnten gar nicht anders, als ständig verschiedene Dinge miteinander zu vergleichen. Sie wären zum Vergleichen geboren, steht da. Sie prüfen auch immer, ob etwas qualitativ oder quantitativ verschieden wäre, also ob etwas mehr oder weniger, oder ob etwas anders ist. Naja, das müssen sie ja auch; Vergleiche sind die Grundlage für Urteile und die wieder Grundlage für das Handeln. Außerdem lernen Menschen durch Vergleiche.

Sie hatte da noch was mit ABC-Listen. Ich kenne so etwas Ähnliches. Früher hieß das “Stadt-Land-Fluss”. Die Listen sollen einerseits dazu gut sein, Assoziationen anzuregen, andererseits kann man durch späteres Vergleichen der Listen etwas dazu lernen. Meint sie. Aber das hat sie auch irgendwo gelesen. Ich glaube, auf dem Buch stand “Trotzdem Lernen” und es war von Vera Birkenbihl.

Was sie damit wohl vor hat? Ob das was mit ARTigo zu tun hat? Für’s Lernen interessiert sie sich nämlich sehr. Da ist sie ja bei den Kindern der Aktiven Schule Petershausen gut aufgehoben. Mit denen macht sie gerade “Buchbinden für Kinder”. Aber bevor ich mich verplaudere, sehe ich mal zu, dass ich aufs Blog komme, ehe sie aufwacht.

Machen Sie’s gut und bis zum nächsten Mal.

Ihr Text

Quelle: http://games.hypotheses.org/273

Weiterlesen

Report: "Researchers of Tomorrow: The research behaviour of Generation Y doctoral students"

Nun, offenbar – und das versucht man mir in letzter Zeit an jeder Ecke zu versichern – gehöre ich zur Generation y. Schön. Dafür kann ich nichts, umsomehr dafür dass ich aber nun zur Gruppe der promovierenden Generation y-ern gehöre. Deren Eigenschaften wurden nun in England untersucht. Die Studie bestätigt, was man auch im deutschen Sprachraum irgendwie schon ahnt, dass ihre Affinität zu Social

Quelle: http://geschichtsweberei.blogspot.com/2012/06/report-researchers-of-tomorrow-research.html

Weiterlesen

Report: "Researchers of Tomorrow: The research behaviour of Generation Y doctoral students"

Nun, offenbar – und das versucht man mir in letzter Zeit an jeder Ecke zu versichern – gehöre ich zur Generation y. Schön. Dafür kann ich nichts, umsomehr dafür dass ich aber nun zur Gruppe der promovierenden Generation y-ern gehöre. Deren Eigenschaften wurden nun in England untersucht. Die Studie bestätigt, was man auch im deutschen Sprachraum irgendwie schon ahnt, dass ihre Affinität zu Social

Quelle: http://geschichtsweberei.blogspot.com/2012/06/report-researchers-of-tomorrow-research.html

Weiterlesen

“Unser Ziel ist es, den wissenschaftlichen Austausch im Netz zu fördern.” Interview mit Georgios Chatzoudis


Interview mit Georgios Chatzoudis, Leiter der Online-Redaktion L.I.S.A. -  Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung.

Mareike König: Herr Chatzoudis, Sie sind Leiter der Online-Redaktion “L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung”. Was genau ist dieses Portal?

Georgios Chatzoudis: Das lässt sich hoffentlich in wenigen Worten nachvollziehbar und anschaulich sagen. Am besten ist natürlich ein kurzer Besuch bei L.I.S.A., denn das Portal ist so angelegt, dass sich das Eine möglichst aus dem Anderen ergibt. Aber ich versuche es einmal: Das Wissenschaftsportal L.I.S.A. ist eine interaktive und multimediale Plattform, die sich an alle richtet, die sich für Historische Geisteswissenschaften interessieren – also beispielsweise für Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte oder auch Islamwissenschaften. Insofern bildet L.I.S.A. den gesamten Förderbereich der Gerda Henkel Stiftung ab, die ausschließlich Disziplinen aus den Historischen Geisteswissenschaften fördert. Wer bei L.I.S.A. angemeldet ist, kann eigene Beiträge verfassen – und zwar in jeder Form, die die digitale Welt zurzeit bietet: als Text, mit Bildern und Bildgalerien, als Audiofile oder als Video.

Unser Ziel ist es dabei, über L.I.S.A. den wissenschaftlichen Austausch im Netz zu fördern und die Prozesse und Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens mit einer interessierten Öffentlichkeit zu teilen. Denn wir sind davon überzeugt, dass die digitale Welt sowohl die Wissenskommunikation und als auch wissenschaftliche Arbeitsweisen verändern wird – wenn nicht sogar die Wissenschaft an sich. Warum wir das glauben? Digitale Kommunikationsformen haben in unseren Alltag inzwischen einen so wirksamen Einzug erfahren, dass diese Entwicklung sicherlich nicht an der Wissenschaft spurlos vorbeiziehen wird. Die Frage ist daher nicht, ob der digitale Wandel die Wissenschaft beziehungsweise ihre Arbeitsweisen und Kommunikationsformen verändert wird, sondern vielmehr wie. Das ist aber noch nicht ausgemacht, sondern wird von allen Beteiligten derzeit rege verhandelt. Anders gesagt: Wer jetzt mitmacht, hat die Gelegenheit mitzugestalten. Das begreifen auch wir als wissenschaftsfördernde Institution als eine große Chance, neue Formen der Wissenskommunikation auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Screenshot des Portals L.I.S.A.

Mareike König: Welche Zielgruppe wird mit L.I.S.A. angesprochen?

Georgios Chatzoudis: Auch in dieser Frage haben wir eine Entwicklung durchgemacht. Zunächst hatte die Stiftung an eine Art Intranet für die Stipendiaten gedacht, aber schon in der Entwicklungsphase wurde uns klar, dass diese Ausrichtung zu eng gefasst war und wir haben daher das Portal für eine breitere Zielgruppe geöffnet. Durch die gute mediale Resonanz zum Start waren viele Interessierte auf L.I.S.A. aufmerksam geworden und wollten mitmachen. Mit dem Effekt, dass L.I.S.A. inzwischen allen offen steht, die sich für Geschichte, Archäologie und andere geisteswissenschaftliche Disziplinen interessieren.

Insofern stellen wir zurzeit eine sehr heterogene Zielgruppe fest – das reicht vom Stipendiaten über Abiturienten, Studenten, Wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte und Lehrstuhlinhaber bis zum Naturwissenschaftler und technischen Ingenieur, der sich nebenbei für Kunst- oder Rechtsgeschichte interessiert. Wir setzen als Redaktion jedenfalls keine Grenzen mehr, sondern freuen uns, wenn Themen aus den Historischen Geisteswissenschaften öffentlich dargestellt, diskutiert und ausgetauscht werden.

Mareike König: Wie können Geisteswissenschaftler die Angebote der Plattform nutzen?

Auf vielfältige und unterschiedliche Weise – die einfachste Form ist der „normale Beitrag“, der als Text, bebildert, vertont oder in Form eines Videos erscheinen kann. Dabei gilt das Blogprinzip – der neueste Beitrag steht an oberster Stelle, bis ein neuer Eintrag erscheint. Wer möchte, kann diesen Beitrag natürlich kommentieren.

Darüber hinaus verfügt unser Portal über einen kollaborativen Arbeitsbereich, den wir L.I.S.A.teamwork genannt haben. Dort können sich Wissenschaftler zu einer Arbeitsgruppe zusammenschließen und untereinander in einem geschlossenen Bereich, zu dem nur sie Zugang und Einsicht haben, austauschen. Die Mitglieder einer Gruppe haben beispielsweise die Möglichkeit, Dokumente, Bilder oder auch Videos hochzuladen und zu archivieren.

Mareike König: L.I.S.A. ist seit 2010 am Start: welche Bilanz ziehen Sie nach zwei Jahren?

Georgios Chatzoudis: Wir sind ganz zufrieden: Seit dem Start am 23. Februar 2010 ist L.I.S.A. mehr als 13.500.000 Mal aufgerufen worden – nach einem Jahr waren es noch eine Million Seitenaufrufe. Bislang haben sich mehr als 500 Mitglieder registrieren lassen. Unser wöchentlicher L.I.S.A.Newsletter erreicht zurzeit fast 1.000 Abonnenten. Auch die Zahl der Beiträge ist nach zwei Jahren Laufzeit inzwischen deutlich gestiegen – aktuell verfügt das Portal über fast 600 Einträge. Erfreulich ist für uns dabei vor allem, dass die Zahl der sogenannten Fremdbeiträge, also Beiträge, die nicht aus der Feder der Redaktion stammen, stetig wächst. Für uns ein wichtiger Indikator dafür, dass L.I.S.A. nicht nur wahrgenommen wird, sondern vor allem lebt. In der Regel ist die Hürde, einen eigenen Beitrag zu verfassen, ja doch eher hoch.

Ein Grund für die wachsende Reichweite von L.I.S.A. ist dabei auf einen wichtigen Multiplikator zurückzuführen, der auch den Sprung in der Nutzerzahl innerhalb eines Jahres erklärt: Präsenz in und Nutzung der sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und GooglePlus.

Mareike König: Welche Beiträge haben bei L.I.S.A. die höchsten Zugriffszahlen und woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Georgios Chatzoudis: Ich habe mich da gerade selbst überraschen lassen und auf den Filter „meist gelesene Beiträge“ geklickt. Demnach führt zurzeit ein Beitrag einer Stipendiatin mit mehr als 70.000 Aufrufen. In ihrem Beitrag beschriebt sie ihr archäologisches Promotionsprojekt – und zwar in englischer Sprache. Letzteres mag ein Grund dafür sein, dass der Beitrag besonders häufig aufgerufen worden ist. Für uns ein Grund mehr, die Navigation bei L.I.S.A. zweisprachig zu halten, also in Deutsch und Englisch. Die Beiträge erscheinen dabei allerdings immer nur in der Sprache, in der sie auch geschrieben wurden. Auf den Plätzen zwei und drei folgen wieder Beiträge in englischer Sprache mit jeweils mehr als 60.000 Klicks – auch hier waren Stipendiaten die Autoren.

Noch häufiger wurden allerdings unsere Filme aus der Rubrik L.I.S.A.video aufgerufen. Die Idee dahinter: Wissenschaftler, deren Projekte von der Gerda Henkel Stiftung gefördert werden, haben ihre wissenschaftliche Arbeit selbst gefilmt. Aus dem Rohmaterial sind anschließend professionell produzierte Projektvideos entstanden, die wir in Episoden veröffentlicht haben. Ziel war und ist es, die Arbeit beispielsweise eines Archäologen oder einer Kunsthistorikerin aus deren Perspektive zu erfahren. Die Forscherinnen und Forscher mussten sich also nicht an Drehbuch und Anweisungen einer Produktionsfirma halten, sondern sie waren Drehbuchautoren und Kamerateam in einem. Sie bestimmten, was gezeigt werden soll und was nicht. Die achtzig Episoden der ersten Staffel sind bisher fast eine Million Mal aufgerufen worden – allein das archäologische Projekt im griechischen Kalapodi um Prof. Dr. Wolf-Dieter Niemeier mehr als 110.000 Mal.


Übersichtsseite des Video-Angebots bei L.I.S.A.

Wir erklären uns das große Interesse an L.I.S.A.video damit, dass Wissenschaft beziehungsweise konkrete Forschungsprojekte im Film dargestellt werden und somit für viele Menschen besser erfahrbar sind. Außerdem ist das Internet geradezu süchtig nach Videos, also warum dann nicht der Online-Community auch Filme mit wissenschaftlichen Inhalten zur Verfügung stellen?

Zusammenfassend und grundsätzlich gilt aber folgendes: Ein Beitrag erfährt nach unserer Erfahrung viel Zuspruch, wenn er gut geschrieben ist, Mut zu einer griffigen Sprache und zum Medienwechsel beweist, visuell ansprechend gestaltet ist – beispielswiese über Bilder Inhalte illustriert und anschließend intelligent beworben wird, insbesondere unter Verwendung sozialer Netzwerke.

Mareike König: Wie geht es weiter mit L.I.S.A., in welche Richtung wird sich die Plattform in den nächsten Jahren entwickeln?

Georgios Chatzoudis: L.I.S.A. ist heute noch – auch nach etwas mehr als zwei Jahren Laufzeit – für uns ein Experiment, an dem wir stetig an den Stellschrauben drehen. Wir nehmen beispielsweise gerne Anregungen unserer Nutzer auf, um die Navigation im Portal zu vereinfachen oder neue Rubriken und Kategorien einzurichten. So kam unter anderem der kollaborative Bereich L.I.S.A.teamwork zustande.

Darüber hinaus versuchen wir, mit Neuerungen aus der digitalen Welt, so gut es geht, Schritt zu halten. Das ist alles andere als leicht, bei der Geschwindigkeit, mit dem sich der digitale Wandel vollzieht. So haben wir zuletzt mit L.I.S.A.mobil eine Version unseres Portals für Smartphones geschaffen, also mit einer abgespeckten Architektur und dafür klar einsehbaren Strukturen.

Des Weiteren wollen wir den Bereich L.I.S.A.Lecture künftig weiter ausbauen. Dabei handelt es sich um ausgesuchte Online-Vorträge und Online-Vorlesungen, die wir selbst aufzeichnen und nachbereiten. Dazu gehören auch unsere Expertenchats bei L.I.S.A.live, an der sich die Nutzer mit Fragen beteiligen können. Warum bauen wir diesen Bereich aus? Anhand der Klickzahlen stellen wir fest, dass Experten im Video online sehr häufig nachgefragt werden. So ist beispielsweise die Aufzeichnung unseres L.I.S.A.live-Chats mit der Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Gudrun Krämer bisher fast 40.000 Mal aufgerufen worden. Das heißt aber auch, dass Wissenschaftler über das Internet beziehungsweise über ihre Präsenz in wissenschaftlichen Webauftritten eine ganz andere Reichweite als in einem Hörsaal oder bei einer Podiumsdiskussion vor vielleicht hundert Leuten haben.

Ein letzter Bereich, mit dem wir uns in Zukunft stärker befassen werden, ist die digitale Veröffentlichung und Archivierung von wissenschaftlichen Monographien – Stichwort: Open Access.

Was wir uns für die Zukunft noch wünschen? Eine stetig wachsende Gemeinde an Lesern, Beitragenden und Kommentatoren, die sich für geisteswissenschaftliche Themen einerseits und deren Vermittlung andererseits interessieren. Wir möchten uns dafür vor allem mit anderen verwandten Portalen und Webpräsenzen stärker vernetzen, neue Kooperationen anregen und bestehende ausbauen. Ziel sollte es aus unserer Sicht sein, die vorhandenen Kräfte zu bündeln, um einen sich nur langsam bewegenden Brocken endlich ins Rollen zu bringen: die Geisteswissenschaften im Netz – online, interaktiv und multimedial.

 Mareike König: Herr Chatzoudis, vielen Dank für das Interview!

Georgios Chatzoudis hat die Fragen schriftlich beantwortet.

______________________________________________________

Links

L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung  http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de

L.I.S.A.teamwork http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/lisa_teamwork.php?nav_id=36

L.I.S.A.Newsletter http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de#newsletter

Rubrik L.I.S.A.video http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/videos_projects.php?nav_id=32&season=3592

Expertenchats bei L.I.S.A. http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/live.php?nav_id=1274

 

Weitere Interviews auf diesem Blog

Bloggen als monastische Übung. Interview mit Hans Ulrich Gumbrecht, 14.7.2011. http://dhdhi.hypotheses.org/967

“Die bedeutenden Wissenschaftssprachen müssen erhalten bleiben”. Interview mit Hinnerk Bruhns,24.1.2012. http://dhdhi.hypotheses.org/726

 

 

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/930

Weiterlesen

“Unser Ziel ist es, den wissenschaftlichen Austausch im Netz zu fördern.” Interview mit Georgios Chatzoudis

Interview mit Georgios Chatzoudis, Leiter der Online-Redaktion L.I.S.A. -  Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung.

Mareike König: Herr Chatzoudis, Sie sind Leiter der Online-Redaktion “L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung”. Was genau ist dieses Portal?

Georgios Chatzoudis: Das lässt sich hoffentlich in wenigen Worten nachvollziehbar und anschaulich sagen. Am besten ist natürlich ein kurzer Besuch bei L.I.S.A., denn das Portal ist so angelegt, dass sich das Eine möglichst aus dem Anderen ergibt. Aber ich versuche es einmal: Das Wissenschaftsportal L.I.S.A. ist eine interaktive und multimediale Plattform, die sich an alle richtet, die sich für Historische Geisteswissenschaften interessieren – also beispielsweise für Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte oder auch Islamwissenschaften. Insofern bildet L.I.S.A. den gesamten Förderbereich der Gerda Henkel Stiftung ab, die ausschließlich Disziplinen aus den Historischen Geisteswissenschaften fördert. Wer bei L.I.S.A. angemeldet ist, kann eigene Beiträge verfassen – und zwar in jeder Form, die die digitale Welt zurzeit bietet: als Text, mit Bildern und Bildgalerien, als Audiofile oder als Video.

Unser Ziel ist es dabei, über L.I.S.A. den wissenschaftlichen Austausch im Netz zu fördern und die Prozesse und Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens mit einer interessierten Öffentlichkeit zu teilen. Denn wir sind davon überzeugt, dass die digitale Welt sowohl die Wissenskommunikation und als auch wissenschaftliche Arbeitsweisen verändern wird – wenn nicht sogar die Wissenschaft an sich. Warum wir das glauben? Digitale Kommunikationsformen haben in unseren Alltag inzwischen einen so wirksamen Einzug erfahren, dass diese Entwicklung sicherlich nicht an der Wissenschaft spurlos vorbeiziehen wird. Die Frage ist daher nicht, ob der digitale Wandel die Wissenschaft beziehungsweise ihre Arbeitsweisen und Kommunikationsformen verändert wird, sondern vielmehr wie. Das ist aber noch nicht ausgemacht, sondern wird von allen Beteiligten derzeit rege verhandelt. Anders gesagt: Wer jetzt mitmacht, hat die Gelegenheit mitzugestalten. Das begreifen auch wir als wissenschaftsfördernde Institution als eine große Chance, neue Formen der Wissenskommunikation auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Screenshot des Portals L.I.S.A.

Mareike König: Welche Zielgruppe wird mit L.I.S.A. angesprochen?

Georgios Chatzoudis: Auch in dieser Frage haben wir eine Entwicklung durchgemacht. Zunächst hatte die Stiftung an eine Art Intranet für die Stipendiaten gedacht, aber schon in der Entwicklungsphase wurde uns klar, dass diese Ausrichtung zu eng gefasst war und wir haben daher das Portal für eine breitere Zielgruppe geöffnet. Durch die gute mediale Resonanz zum Start waren viele Interessierte auf L.I.S.A. aufmerksam geworden und wollten mitmachen. Mit dem Effekt, dass L.I.S.A. inzwischen allen offen steht, die sich für Geschichte, Archäologie und andere geisteswissenschaftliche Disziplinen interessieren.

Insofern stellen wir zurzeit eine sehr heterogene Zielgruppe fest – das reicht vom Stipendiaten über Abiturienten, Studenten, Wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte und Lehrstuhlinhaber bis zum Naturwissenschaftler und technischen Ingenieur, der sich nebenbei für Kunst- oder Rechtsgeschichte interessiert. Wir setzen als Redaktion jedenfalls keine Grenzen mehr, sondern freuen uns, wenn Themen aus den Historischen Geisteswissenschaften öffentlich dargestellt, diskutiert und ausgetauscht werden.

Mareike König: Wie können Geisteswissenschaftler die Angebote der Plattform nutzen?

Auf vielfältige und unterschiedliche Weise – die einfachste Form ist der „normale Beitrag“, der als Text, bebildert, vertont oder in Form eines Videos erscheinen kann. Dabei gilt das Blogprinzip – der neueste Beitrag steht an oberster Stelle, bis ein neuer Eintrag erscheint. Wer möchte, kann diesen Beitrag natürlich kommentieren.

Darüber hinaus verfügt unser Portal über einen kollaborativen Arbeitsbereich, den wir L.I.S.A.teamwork genannt haben. Dort können sich Wissenschaftler zu einer Arbeitsgruppe zusammenschließen und untereinander in einem geschlossenen Bereich, zu dem nur sie Zugang und Einsicht haben, austauschen. Die Mitglieder einer Gruppe haben beispielsweise die Möglichkeit, Dokumente, Bilder oder auch Videos hochzuladen und zu archivieren.

Mareike König: L.I.S.A. ist seit 2010 am Start: welche Bilanz ziehen Sie nach zwei Jahren?

Georgios Chatzoudis: Wir sind ganz zufrieden: Seit dem Start am 23. Februar 2010 ist L.I.S.A. mehr als 13.500.000 Mal aufgerufen worden – nach einem Jahr waren es noch eine Million Seitenaufrufe. Bislang haben sich mehr als 500 Mitglieder registrieren lassen. Unser wöchentlicher L.I.S.A.Newsletter erreicht zurzeit fast 1.000 Abonnenten. Auch die Zahl der Beiträge ist nach zwei Jahren Laufzeit inzwischen deutlich gestiegen – aktuell verfügt das Portal über fast 600 Einträge. Erfreulich ist für uns dabei vor allem, dass die Zahl der sogenannten Fremdbeiträge, also Beiträge, die nicht aus der Feder der Redaktion stammen, stetig wächst. Für uns ein wichtiger Indikator dafür, dass L.I.S.A. nicht nur wahrgenommen wird, sondern vor allem lebt. In der Regel ist die Hürde, einen eigenen Beitrag zu verfassen, ja doch eher hoch.

Ein Grund für die wachsende Reichweite von L.I.S.A. ist dabei auf einen wichtigen Multiplikator zurückzuführen, der auch den Sprung in der Nutzerzahl innerhalb eines Jahres erklärt: Präsenz in und Nutzung der sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und GooglePlus.

Mareike König: Welche Beiträge haben bei L.I.S.A. die höchsten Zugriffszahlen und woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Georgios Chatzoudis: Ich habe mich da gerade selbst überraschen lassen und auf den Filter „meist gelesene Beiträge“ geklickt. Demnach führt zurzeit ein Beitrag einer Stipendiatin mit mehr als 70.000 Aufrufen. In ihrem Beitrag beschriebt sie ihr archäologisches Promotionsprojekt – und zwar in englischer Sprache. Letzteres mag ein Grund dafür sein, dass der Beitrag besonders häufig aufgerufen worden ist. Für uns ein Grund mehr, die Navigation bei L.I.S.A. zweisprachig zu halten, also in Deutsch und Englisch. Die Beiträge erscheinen dabei allerdings immer nur in der Sprache, in der sie auch geschrieben wurden. Auf den Plätzen zwei und drei folgen wieder Beiträge in englischer Sprache mit jeweils mehr als 60.000 Klicks – auch hier waren Stipendiaten die Autoren.

Noch häufiger wurden allerdings unsere Filme aus der Rubrik L.I.S.A.video aufgerufen. Die Idee dahinter: Wissenschaftler, deren Projekte von der Gerda Henkel Stiftung gefördert werden, haben ihre wissenschaftliche Arbeit selbst gefilmt. Aus dem Rohmaterial sind anschließend professionell produzierte Projektvideos entstanden, die wir in Episoden veröffentlicht haben. Ziel war und ist es, die Arbeit beispielsweise eines Archäologen oder einer Kunsthistorikerin aus deren Perspektive zu erfahren. Die Forscherinnen und Forscher mussten sich also nicht an Drehbuch und Anweisungen einer Produktionsfirma halten, sondern sie waren Drehbuchautoren und Kamerateam in einem. Sie bestimmten, was gezeigt werden soll und was nicht. Die achtzig Episoden der ersten Staffel sind bisher fast eine Million Mal aufgerufen worden – allein das archäologische Projekt im griechischen Kalapodi um Prof. Dr. Wolf-Dieter Niemeier mehr als 110.000 Mal.


Übersichtsseite des Video-Angebots bei L.I.S.A.

Wir erklären uns das große Interesse an L.I.S.A.video damit, dass Wissenschaft beziehungsweise konkrete Forschungsprojekte im Film dargestellt werden und somit für viele Menschen besser erfahrbar sind. Außerdem ist das Internet geradezu süchtig nach Videos, also warum dann nicht der Online-Community auch Filme mit wissenschaftlichen Inhalten zur Verfügung stellen?

Zusammenfassend und grundsätzlich gilt aber folgendes: Ein Beitrag erfährt nach unserer Erfahrung viel Zuspruch, wenn er gut geschrieben ist, Mut zu einer griffigen Sprache und zum Medienwechsel beweist, visuell ansprechend gestaltet ist – beispielswiese über Bilder Inhalte illustriert und anschließend intelligent beworben wird, insbesondere unter Verwendung sozialer Netzwerke.

Mareike König: Wie geht es weiter mit L.I.S.A., in welche Richtung wird sich die Plattform in den nächsten Jahren entwickeln?

Georgios Chatzoudis: L.I.S.A. ist heute noch – auch nach etwas mehr als zwei Jahren Laufzeit – für uns ein Experiment, an dem wir stetig an den Stellschrauben drehen. Wir nehmen beispielsweise gerne Anregungen unserer Nutzer auf, um die Navigation im Portal zu vereinfachen oder neue Rubriken und Kategorien einzurichten. So kam unter anderem der kollaborative Bereich L.I.S.A.teamwork zustande.

Darüber hinaus versuchen wir, mit Neuerungen aus der digitalen Welt, so gut es geht, Schritt zu halten. Das ist alles andere als leicht, bei der Geschwindigkeit, mit dem sich der digitale Wandel vollzieht. So haben wir zuletzt mit L.I.S.A.mobil eine Version unseres Portals für Smartphones geschaffen, also mit einer abgespeckten Architektur und dafür klar einsehbaren Strukturen.

Des Weiteren wollen wir den Bereich L.I.S.A.Lecture künftig weiter ausbauen. Dabei handelt es sich um ausgesuchte Online-Vorträge und Online-Vorlesungen, die wir selbst aufzeichnen und nachbereiten. Dazu gehören auch unsere Expertenchats bei L.I.S.A.live, an der sich die Nutzer mit Fragen beteiligen können. Warum bauen wir diesen Bereich aus? Anhand der Klickzahlen stellen wir fest, dass Experten im Video online sehr häufig nachgefragt werden. So ist beispielsweise die Aufzeichnung unseres L.I.S.A.live-Chats mit der Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Gudrun Krämer bisher fast 40.000 Mal aufgerufen worden. Das heißt aber auch, dass Wissenschaftler über das Internet beziehungsweise über ihre Präsenz in wissenschaftlichen Webauftritten eine ganz andere Reichweite als in einem Hörsaal oder bei einer Podiumsdiskussion vor vielleicht hundert Leuten haben.

Ein letzter Bereich, mit dem wir uns in Zukunft stärker befassen werden, ist die digitale Veröffentlichung und Archivierung von wissenschaftlichen Monographien – Stichwort: Open Access.

Was wir uns für die Zukunft noch wünschen? Eine stetig wachsende Gemeinde an Lesern, Beitragenden und Kommentatoren, die sich für geisteswissenschaftliche Themen einerseits und deren Vermittlung andererseits interessieren. Wir möchten uns dafür vor allem mit anderen verwandten Portalen und Webpräsenzen stärker vernetzen, neue Kooperationen anregen und bestehende ausbauen. Ziel sollte es aus unserer Sicht sein, die vorhandenen Kräfte zu bündeln, um einen sich nur langsam bewegenden Brocken endlich ins Rollen zu bringen: die Geisteswissenschaften im Netz – online, interaktiv und multimedial.

 Mareike König: Herr Chatzoudis, vielen Dank für das Interview!

Georgios Chatzoudis hat die Fragen schriftlich beantwortet.

______________________________________________________

Links

L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung  http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de

L.I.S.A.teamwork http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/lisa_teamwork.php?nav_id=36

L.I.S.A.Newsletter http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de#newsletter

Rubrik L.I.S.A.video http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/videos_projects.php?nav_id=32&season=3592

Expertenchats bei L.I.S.A. http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/live.php?nav_id=1274

 

Weitere Interviews auf diesem Blog

Bloggen als monastische Übung. Interview mit Hans Ulrich Gumbrecht, 14.7.2011. http://dhdhi.hypotheses.org/967

“Die bedeutenden Wissenschaftssprachen müssen erhalten bleiben”. Interview mit Hinnerk Bruhns,24.1.2012. http://dhdhi.hypotheses.org/726

 

 

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/930

Weiterlesen

Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft” für Open Access

Die Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft” spricht sich für eine umfassende Unterstützung des Open Access-Prinzips im Wissenschaftsbereich aus. Nach den Vorstellungen der Enquete-Kommission soll Open Access in der deutschen Forschungsförderungspolitik und in der deutschen Hochschullandschaft auch durch die gemeinsame Entwicklung einer nachhaltigen Open Access-Strategie vorangetrieben werden.
Die vollständige Pressemitteilung dazu steht hier: http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_06/2012_314/03.html

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1044

Weiterlesen

Postmoderne Auflösung in Mosaikbausteine oder antiquierte Strukturforschung durch die Hintertür? Eine neue ‘Römische Kunst’ der Kaiserzeit

Zu bewundern ist die Kraft, einen Kreis zu schließen, ohne einfach zum Anfangspunkt zurückzukehren. Als Bernard Andreae, einer der bekanntesten und produktivsten deutschen Archäologen seiner Generation, 1973 eine umfassende Römische Kunst publizierte, war er Anfang Vierzig; der schwere Bildband wurde zum Hausbuch für Humanisten und Augenmenschen, durch die reiche Bilddokumentation aber auch zum Handbuch für Archäologiestudenten. 1999 erschien eine erweiterte Neubearbeitung...(read more)

Quelle: http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2012/06/29/postmoderne-aufloesung-in-mosaikbausteine-oder-antiquierte-strukturforschung-durch-die-hintertuer-eine-neue-roemische-kunst-der-kaiserzeit.aspx

Weiterlesen

Policey, Biopolitik und Liberalismus

Wolfgang Neurath: Policey, Biopolitik und Liberalismus. Vom Zugriff der Macht auf das Leben (Bios), in: Medienimpulse 2/2012

Wolfgang Neurath beleuchtet die Debatten zur Biopolitik aus historischer Perspektive und zeigt auf, wie das Foucaultsche Konzept der gouvernementalité von der Policey des 18. Jahrhunderts bis hin zum aktuellen (Neo)liberalismus seine Macht keineswegs verloren hat.

Online unter: http://www.medienimpulse.at/articles/view/432

Quelle: http://www.univie.ac.at/policey-ak/?p=575

Weiterlesen

Heldensage im Reisetagebuch

Vor ungefähr drei Jahren war ich mit meiner Promotion an einen Punkt gelangt, an dem ich die Entscheidung treffen musste, in welche Richtung sich meine Dissertation weiterentwickeln sollte. Wir hatten unser System Tesla schon zu einem guten Teil realisiert, die Darlegung zur Motivation der Entwicklung eines eigenen Komponentensystems – die Idee wirklich reproduzierbarer Experimente auf Textdaten beliebigen Formats – lag auch bereits in einer Rohform vor. Was fehlte, war ein Anwendungsfall, an dem ich die Funktionalität des Systems bestmöglich demonstrieren konnte. Und die Suche nach einem solchen geeigneten Untersuchungsobjekts hatte mich schon eine ganze Zeit beschäftigt. Eher zufällig stöberte ich dabei nochmal in einem Buch, dessen Lektüre bei mir schon etwas weiter zurücklag: Im wirklich empfehlenswerten Lexikon des Unwissens von Kathrin Passig und Aleks Scholz.1

Dabei fiel mir auf, dass das Voynich-Mauskript (VMS), dem im Lexikon ein Eintrag gewidmet ist, ein durchaus geeignetes Thema wäre, um die Anwendbarkeit von Tesla zu demonstrieren:

  • Das VMS enthält einen Text. Mit unbekannten Zeichen  geschrieben, unbekannten Inhalts und unbekannter Herkunft. Aber einen Text. Und wir haben Tesla entwickelt, um sämtliche Texte analysieren zu können. Auch wenn der VMS-Text auf seine Art einzigartig ist, er sollte sich mit Tesla analysieren lassen.
  • Die Analysen zu VMS sind genauso zahlreich wie auch widersprüchlich. So gut wie alle denkbaren Theorien zur Herkunft oder Inhalt des Textes lassen sich irgendwo finden. Die glaubhaften Analysen einmal in einem System zu bündeln, in dem sie für die ganze Welt reproduzierbar sind, sollte nicht schaden.
  • Das VMS reizt natürlich auch durch seine geheimnisvolle Aura. Damals schon 97 Jahre zerbarsten daran die Theorien durchaus (bisweilen überaus) intelligenter Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler, ohne dass jemand tatsächlich eine allgemein anerkannte Lösung zum Problem hatte liefern können.

Der Anspruch, den Text tatsächlich entschlüsseln zu können, wäre natürlich allzu vermessen gewesen. Das war auch von Anfang an nicht der Plan. Stattdessen wollte ich die Analysen, welche zu den seltsamen Eigenschaften des Manuskripttextes, die ich hier schon einmal thematisiert habe, in einer Umgebung zusammenführen, welche eine einfache Überprüfung der Analyse-Ergebnisse ermöglicht.


Eine aufgeschlagene Seite des Voynich Manuskripts - seltsame Zeichnungen, seltsamer Text. Quelle: en.wikipedia.org

Tatsächlich bin ich aber weiter gekommen, als ich anfangs annahm und wie es dazu kam, will ich hier kurz erzählen: Beim Studium der Literatur zum VMS – die nicht in allen Fällen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und wo sie dies tut, meist in Veröffentlichungen zu anderen Themen versteckt wurde – nahm ich als Grundtenor wahr, dass kein Chiffrierverfahren bekannt wäre, aus dessen Anwendung ein Text resultiert, der dem VMS-Text ähnlich wäre. Ebenso deuteten bestimmte statistische Eigenschaften darauf hin, dass es sich nicht um eine Transkription einer natürlichen Sprache handeln könne. Wenn es aber weder eine Chiffre noch eine unbekannte Transkription sein kann, so liegt die Vermutung nahe, der Text bestehe einfach aus einer sinnlosen Aneinanderreihung von Phantasiewörtern. Damit korrespondiert – semiotisch ausgedrückt – mit der Ausdrucksseite seiner Zeichen keine Inhaltsseite. Und weil ein Text ohne Inhalt auf gewisse Art ein Schwindel ist, wird die Hypothese, dass es sich beim VMS-Text um einen solchen handelt, auch Hoax-Hypothese genannt.

Irgendwie ist der Gedanke, das VMS sei nur ein Schwindel und es gäbe gar nichts zu entziffern, nicht besonders befriedigend. Mehr Charme hat da die Vermutung von William Friedman (einem der größten Kryptoanalytiker des 20. Jahrhunderts), der es für wahrscheinlich hielt, dass der VMS-Text ein früher Entwurf einer synthetischen Sprache a priori sei – ihm also eine Kunstsprache zugrundliege, die sich – im Gegensatz z.B. zum Esperanto – nicht an natürlichen Sprachen orientiert. Weil solche Sprachen aber scheinbar erst in der zweiten Hälfte 17. Jahrhundert entworfen wurden, das VMS aber relativ sicher schon Ende des 16. Jahrhunderts in Prag kursierte, ist diese These problematisch.

Mehr Charme ist jetzt nicht unbedingt ein wissenschaftliches Kriterium. Ich beschloss aber dennoch, Verschlüsselungsverfahren und Ansätze zu Universalsprachen im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit zu recherchieren. Im Zuge dieser Recherchen zu stieß ich auf die Monographie von Gerhard Strasser2 zum Thema, in der dieser die Verbindung zwischen kryptographischen Verfahren und universell gedachten Sprachentwürfen beleuchtet. Ursprünglich wollte Strasser dabei auf die Universalsprachentwürfe des 17. Jahrhunderts eingehen, allgemein als die ersten ihrer Art angesehen. Er kann aber zeigen, dass schon viel früher – durch den Abt Johannes Trithemius (den ich u.a. schon hier für eine andere seiner Arbeiten gewürdigt habe) – eine Chiffre entworfen wurde, deren Anwendung etwas ergab, das wie das Resultat einer Kunstsprache aussieht, das aber ein verschlüsselter Text ist.

Konkret bezieht sich Strasser dabei auf die Teile III und IV der trithemischen Polygraphia. Die darin beschriebenen Verfahren funktionieren prinzipiell wie die aus den ersten beiden Teilen  (die ich hier auch schon vorgestellt habe): Einzelne Buchstaben werden gemäß einer Ersetzungstabelle durch ganze Wörter ersetzt. Während aber die Ersetzungschiffren in den ersten beiden Teilen lateinische Wörter sind und die resultierenden Geheimtexte wie lateinische Gebete anmuten, sind sie in den darauffolgenden Büchern von Trithemius erdachte Phantasiewörter, der resultierende Text sieht demnach aus wie eine Phantasiesprache. Der sehr regelmäßige Aufbau der Phantasiewörter – an einen Wortstamm sind unterschiedliche Endungen angehangen – gemahnt Strasser an die Universalsprachentwürfe von Wilkins und Dalgano, die erst viel später, um 1660, entworfen wurden.

Je zwei Zeilen von Ersetzungschiffren aus der Polygraphia III und IV. In der Spalte ganz links finden sich die zu ersetzenden Buchstaben.

Die Tatsache, dass nun doch um 1500 schon eine Möglichkeit beschrieben wurde, wie ein Text erzeugt werden kann, der wie das Produkt einer Kunstsprache aussieht, fesselte mich natürlich und ich beschloss, die Trithemischen Werke im Original zu konsultieren. Die Recherche führte mich in ein Mikrofichekabüffchen und den Lesesaal der historischen Sammlungen der hiesigen Universitätsbibliothek genauso wie in die Erzbischöfliche Buchsammlung zu Köln (womöglich wäre ich noch im Stadtarchiv gelandet, das aber gerade der Erdboden verschluckte) – alles spannende Orte, zu denen man als Computerlinguist unter normalen Umständen gar nicht vorstößt.

Ich werde nie vergessen, wie ich im Holzverschlag zur Mikrofichebetrachtung über das Lesegerät gebeugt stand, fieberhaft und ungelenk die kleine Folie weiterschob über die Tabellen der trithemischen Polygraphia, bis ich endlich im dritten Teil angekommen, überprüfen konnte, ob das, was ich mir auf Grundlage von Strassers Schilderung vorstellte, tatsächlich auch im historischen Werk zu finden war. Und wirklich hatte Trithemius einzelne Spalten mit Stamm-Endungs-Kombinationen versehen, die wie Flexionsparadigmen aussahen (auch die “Wörter” des VMS weisen ähnliche Eigenschaften auf). Noch phantastischer war, dass die manuelle Strichliste, die ich nebenbei über die Wortlängenverteilung der Ersetzungstabellen führte, eine Binomialverteilung ergab (ebenso wie die VMS-”Wörter”, siehe auch hier). Dank Patrick Sahle hatte ich dann bald auch die Möglichkeit, die Polygraphia an meinem Schreibtisch zu studieren, der sich als die langweiligere, aber effektivere Arbeits-Location erwies.

Dort konnte ich mich dann weiteren Überlegungen zur Operationalisierung der von mir ja erst per Augenmaß festgestellten Ähnlichkeiten zwischen den beiden Texten widmen. Dabei hatte ich stets die Warnung von Kennedy und Churchill3 vor Augen, dass das VMS ein Spiegel sei, in dem jeder nur seine eigenen Vorurteile und Hypothesen bestätigt sieht. Insbesondere musste ich erst einmal Werkzeuge entwickeln, die mir erlaubten, den VMS-Text einzulesen und Polygraphia-III-Texte zu erzeugen, diese in Analyseeinheiten zu unterteilen und schließlich statistische Eigenschaften, die ich nicht einfach per manueller Zählung ermitteln konnte, auszuwerten. Ich befand mich erst am Anfang eines langen Prozesses, an dessen Ende die Fertigstellung und Veröffentlichung meiner Dissertation und die der duchgeführten Experimente stand.

Irgendwann später las ich das Bonmot von Ortoli und Witkowski: “Zwischen der Wissenschaft, wie sie die Öffenlichkeit erträumt oder die Medien feiern, und der Wissenschaft, wie sie die Forscher täglich praktizieren, besteht dieselbe Diskrepanz wie zwischen Heldensage und Reisetagebuch.” Da dachte ich, dass -  zumindest bei mir im Kopf – genau diese Diskrepanz für einen kurzen Moment aufgehoben war.

1 Katrin Passig, Aleks Scholz: “Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt.” Rowohlt Berlin; Auflage: 7 (2007)

2 Gehard Strasser: “Lingua Universalis: Kryptologie und Theorie der Universalsprachen im 16. und 17. Jahrhundert” (Wolfenbütteler Forschungen 38) Harrassowitz, Wiesbaden (1988)

3 Gerry Kennedy und Rob Churchill: “Der Voynich-Code: Das Buch, das niemand lesen kann” Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins (2005)

4  Sven Ortoli und Nicolas Witkowski: “Die Badewanne des Archimedes: Berühmte Legenden aus der Wissenschaft” Piper Taschenbuch (2007)

Anm: Drei der vier aufgeführten Bücher sind das, was gemeinhin und bisweilen abschätzig als populärwissenschaftliche Veröffentlichungen bezeichnet wird. Eine ganze Reihe meiner Links führen außerdem zur Wikipedia. Ich halte den Einbezug beider Arten von Quellen für durchaus legitim in einem Blog, der versucht, die eigene wissenschaftliche Tätigkeit etwas populärer zu machen. Dass manche das anders sehen, weiß ich inzwischen auch. Da kann man aber auch gerne mit mir diskutieren. Nebenbei: Untersuchungen zum Voynich Manuskript tragen im Wissenschaftsbetrieb nicht gerade zur Kredibilität bei, was wohl auch ein Grund dafür ist, dass sich so wenige wirkliche Spezialisten mit dem Thema beschäftigen oder aber ihre Ergebnisse in Unterkapiteln anderer Veröffentlichungen (z.B. in einer Einführung in die Programmiersprache BASIC, kein Witz) verstecken. Bei mir ist das ja auch irgendwie der Fall gewesen. :)

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/278

Weiterlesen