Es ist Deine Pflicht zu benutzen, was du weißt!

Cover-BerrenbergMan muss nicht lange suchen, um glänzende Beispiele skandinavischer Arbeiterliteratur in den Bücherregalen der Bibliotheken zu finden: Ivar Lo-Johansson, Martin Andersen Nexø, Ture Nerman und Moa Martinson sind nur einige Namen, die jedem Literaturfreund auch ohne ein spezielles Interesse für Arbeiterliteratur bekannt sein sollten. Sucht man jedoch nach norwegischen Vertretern, wird man nicht so schnell fündig. Gab es etwa in Norwegen keine Arbeiterliteratur? Konsultiert man norwegische oder skandinavische Literaturgeschichten müsste man diese Frage schnell mit einem „nicht wirklich“ beantworten. Doch kann es sein, dass die norwegische Arbeiterbewegung als mit Abstand radikalste und dynamischste in Nordeuropa keine spezifisch proletarische Literatur hervorgebracht hat?

Diesen Fragen wird im nun vorliegenden Buch nachgegangen, in dem systematisch die proletarische Literaturdebatte analysiert wird und ein zeitgenössisches Literaturverständnis rekonstruiert wird, das den Blick weg vom literarischen Werk und dessen Autorinnen und Autoren, hin zu den mit Literatur in Verbindung stehenden Praktiken lenkt. Denn weniger das literarische Werk stand im Fokus des Interesses, sondern was und wie mit Literatur gehandelt wurde. Literatur sollte dabei nicht unterhalten und um ihrer selbst willen geschrieben, gelesen, vorgetragen oder aufgeführt werden. Ihr Hauptzweck war es zu bilden.

Die Arbeit ist im Rahmen des von 2010 bis 2013 durchgeführten und am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Uni Köln und dem Skandinavischen Seminar der Uni Freiburg angesiedelten DFG-Projekts “Literarische Praktiken in Skandinavien um 1900″ entstanden. Im Projekt wurden akteurorientierte Praktiken wie die Autorenlesung, medienorientierte Praktiken wie Literaturverfilmungen und milieuorientierte Praktiken wie die der Arbeiterbewegung untersucht.

Die Erschließung von teilweise bisher ungesichtetem Material brachte eine norwegische Arbeiterliteratur ans Licht, die erst aus der praxeologischen Perspektive sichtbar wird. Welche Rolle spielte belletristische Literatur im weit reichenden Bildungsbetrieb der norwegischen Arbeiterbewegung? Wie sollte Literatur produziert und rezipiert werden? Wie wurde sie produziert und rezipiert? Und warum findet man in heutigen Literaturgeschichten so wenig zum Thema?

Das Buch stellt eine Bestandsaufnahme der rekonstruierbaren literarischen Praxis der norwegischen Arbeiterbewegung dar und entwickelt dabei mit einem kontrastiven Seitenblick auf Schweden eine Erklärung für die bisherige Absenz der norwegischen Arbeiterliteratur nicht nur in der Forschung.

Christian Berrenberg: »Es ist deine Pflicht zu benutzen, was du weißt!« Literatur und literarische Praktiken in der norwegischen Arbeiterbewegung 1900-1931

Erschienen bei Ergon, 2014 (= Literarische Praktiken in Skandinavien; Band 3), 476 Seiten, ISBN: 978-3-95650-031-2

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt, inkl. Abschlussbericht unter http://www.skanlitprax.de

 

 

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2387

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Kooperatives E-Learning in den „kleinen Fächern“ – ein Pilotprojekt der Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln

Inno-Lehre gefoerdert - Universität zu KölnSicherlich steht Köln nicht alleine mit dem Problem da, dass die Zahlen der Masterstudierenden selbst im Vergleich zur Zahl der vorherigen Magisterabsolventen zurückgegangen sind. Eine Evaluation unter den Studierenden des Instituts für Skandinavistik/Fennistik (Köln) im vergangenen Jahr ergab, dass die Masterstudierenden sich unabhängig davon ein umfangreicheres, spezifisch für sie konzipiertes Lehrangebot wünschten. Diesen Wünschen als „kleines Fach“ nachzukommen, ist in der Regel aufgrund der knappen Lehrkapazitäten schwierig.

Mit Qualitätsverbesserungsmitteln des Rektorats der Universität zu Köln, die unter dem Titel „Innovation in der Lehre“ vergeben wurden, wird im Projekt eine E-Learning Plattform aufgebaut, in der Lehrveranstaltungen gesammelt werden, die dann bundesweit – und im benachbarten Ausland – an skandinavistischen und fennistischen Instituten angeboten werden können.

Das Projekt startet im kommenden Wintersemester 2013/14 mit zwei Lehrveranstaltungen, die von Köln aus ‚moderiert‘ und im Anschluss evaluiert werden. Innovativ ist dieses Projekt nicht allein, da es auf sinnvolle Weise E-Learning in die Lehre integriert, sondern da es strukturell Wege betritt, die Grundlagen für eine bundesland- und staatenübergreifende Lehre schaffen sollen – mit allen damit verbundenen rechtlichen, technischen und strukturellen Fragestellungen.

Mittel- und langfristig soll die Plattform durch Kooperationsverträge stabilisiert und verstetigt werden, indem jeder Kooperationspartner Lehrveranstaltungen in die Plattform einspeist, die dann wiederum allen beteiligten Instituten und Seminaren zur Verfügung stehen. Auf diese Weise erhalten Masterstudierende Zugang zu den vielfältigen fachlichen Forschungsschwerpunkten und Kompetenzen der jeweils anderen Beteiligten Institute/Seminare und können somit eine individuellere Ausgestaltung ihres wissenschaftlichen Aufbaustudiengangs vornehmen.

Bei Interesse an dieser Initiative melden Sie sich unter skanfen-e-master@uni-koeln.de oder werfen einen Blick auf die Projekthomepage: http://skanfen.phil-fak.uni-koeln.de/17399.html

Eine Übersicht über skandinavistische und fennistische Institute, Seminare bzw. Abteilungen im deutschsprachigen Raum und im benachbarten Ausland findet sich auf den Seiten des Fachverbandes Skandinavistik unter http://www.skandinavistik.org/skandinavistik/institute.html

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1733

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Eine neue Sicht auf die Arktis – ArkGIS.org

Screenshot ArkGIS

Schiffsverkehr in der Arktis – Screenshot von http://www.arkgis.org

Während Minister aus den Staaten der nördlichsten Regionen der Welt über Machtverhältnisse, wirtschaftlichen Nutzen und Umweltschutz in der Arktis ringen, veröffentlicht der WWF Norwegen eine neue, frei zugängliche, interaktive Karte, dessen Zentrum der Nordpol bildet. Unter dem Namen ArkGIS (Arctic Geographical Information System) wurde Datenmaterial von u.a. dem Arktischen Rat, dem Institute of Marine Research und der Norwegischen Küstenverwaltung grafisch aufbereitet. Dem Nutzer stehen somit derzeit 368 verschiedene Karten und Kartenansichten zur Verfügung, die z.B. den Schiffsverkehr im Nordpolarmeer anzeigen, Gas- und Ölvorkommen verzeichnen und geschützte Regionen ausweisen.

Das Besondere an ArkGIS ist die staatenübergreifende Konzeption der Karte, die es ermöglichen soll »to be able to make relevant information universally available – in a very visible manner«, so die Projektleiter. Bisheriges frei zugängliches Kartenmaterial war meist auf einen Aspekt – in aller Regel die Ausbreitung des Packeises und mögliche Schifffahrtsrouten – beschränkt und sehr nationalstaatlich perspektiviert, was wohl am eindrücklichsten im Kontext der Frage darüber, wem der Nordpol gehört, deutlich wurde. Zur Untermauerung der Besitzansprüche diente meist Kartenmaterial, das z.B. unterseeische Gebirge als Fortführung des nationalstaatlichen Landareals anführte. Vermittelt wurde die Debatte durch eindimensionale Karten, die einen Überblick über die 200-Seemeilen-Zonen und die Gebietsansprüche der Anrainerstaaten geben. In ArkGIS hingegen kann der Nutzer sich seine eigene Karte erstellen und die Aspekte einblenden und kombinieren, die ihn interessieren und die in der Auseinandersetzung über die arktischen Besitzansprüche häufig ausgeblendet wurden, woraus sich gleich eine Vielzahl unterschiedlicher Betrachtungsweisen und damit verbundenen neuen Fragestellungen zu einer solch riesigen Region generieren lassen.

Die Sichtbarmachung der Region ist dem Projekt sicherlich auf eine sehr detaillierte und nicht zuletzt ansprechende Art gelungen. Sie stellt einen wichtigen, differenzierten Beitrag zur Arktis-Debatte dar, die ansonsten geprägt ist von nationalen Eitelkeiten, wirtschaftlicher Habgier und – leider allzu häufig blindem – ökologischem Aktionismus.

http://www.arkgis.org

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1642

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Nationalenzyklopädie versus Wikipedia – Norwegens Store Norske Leksikon: SNL.no


The Library: Encyclopedias, 1964
Flickr Commons, LSE Library (public domain)

Spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends kämpfen viele Verlage mit einbrechenden Verkaufszahlen ihrer Enzyklopädien und Lexika, wie zuletzt der Verlag Encyclopaedia Britannica, der 2010 aufgrund niedriger Nachfrage die letzte 32-bändige Ausgabe seines prestigeträchtigen Nachschlagewerks herausgegeben hat.

Druckausgabe des Store Norske Leksikon

Druckausgabe des Store Norske Leksikon

Auch in Norwegen kämpfte der durch die beiden größten Verlage des Landes, Aschehoug und Gyldendal, gegründete Kunnskapsforlaget mit sinkenden Umsätzen. 1978–1981 gab er die erste Ausgabe des Store Norske Leksikon [Großes Norwegisches Lexikon] heraus, das die beiden vorherigen großen Standardenzyklopädien Aschehougs konversasjonsleksikon und Gyldendals Store Konversasjonsleksikon vereinte. Die vierte Ausgabe von Store Norske Leksikon, die von 2005–2007 herausgegeben wurde, war bereits die letzte Printausgabe des Lexikons und wurde von einer kostenpflichtigen Online-Ausgabe  abgelöst. Doch auch die Online-Ausgabe erbrachte nicht die erhofften Gewinne, da sie in direkter Konkurrenz zum Enzyklopädiegiganten Wikipedia stand. 2010 kündigte Kunnskapsforlaget an, dass der Betrieb der Online-Version des Lexikons eingestellt werde, worauf eine Debatte über die Zukunft der ›norwegischen Nationalenzyklopädie‹ folgte. Ausgelöst wurde diese vor allem durch die Aussage der norwegischen Kulturministerin Anniken Huitfeldt, die sagte, sie halte es nicht für die Aufgabe des Staates, die Verantwortung für die Netzausgabe des Store Norske Leksikon zu übernehmen. In einem Interview mit dem norwegischen Fachblatt der Buchbranche Bok & Samfunn äußerte sie ferner: »Es braucht starke Argumente, damit der Staat sich an der Finanzierung eines nationalen Lexikons beteiligt. Eine solche Anfrage ist durch den Kunnskapsforlaget gekommen, und wir werden sie selbstverständlich genau abwägen, aber ich habe meine Zweifel daran, wie richtig das ist. Es wird um viel Geld gehen, und Netzlexika wie Wikipedia sind eine interessante Alternative. Ich bemerke, dass viele negativ gegenüber Wikipedia eingestellt sind, aber ich teile diese Auffassung nicht.«

Onlineversion des Store Norske Leksikon

Onlineversion des Store Norske Leksikon

Die humanistische Bildungsorganisation Fritt Ord [Freies Wort] und die Sparebankstiftelse DnB Nor übernahmen daraufhin das Lexikon und geben es seitdem in Zusammenarbeit mit den Universitäten, der norwegischen fachliterarischen Autorenvereinigung und der norwegischen Wissenschaftsakademie unter dem Projektnamen Norsk nettleksikon [Norwegisches Netzlexikon] heraus. SNL.no beinhaltet sowohl das Store Norske Leksikon als auch das Store Medisinske [Große Medizinische] und das Norsk Biografisk Leksikon [Norwegische Biografische Lexikon], alles drei fachliterarische Standardwerke. Die Zielsetzung des Projekts formuliert seine Redakteurin Ida Jackson wie folgt: »Das norwegische Netzlexikon arbeitet für Wissen für alle, ein freies Internet, digitale Bildung und Forschungsvermittlung auf gut Norwegisch.« Im Redaktionsblog des Lexikons, Lille Norske [Kleines Norwegisches], schreibt sie ferner: »Ein Lexikon ist kein Buch. Ein Lexikon ist keine Internetseite. Ein Lexikon ist Inhalt. Das Wichtige ist nicht schönes Papier oder ein Goldrücken. Das Wichtige sind nicht Teilen-Knöpfe zu Facebook und Twitter. Das Wichtige sind die Artikel, die Links zwischen den Kapiteln und die Metadaten zu den Artikeln. Es sind die Texte.«

An der hier nur kurz skizzierten Debatte um Store Norske Leksikon zeigen sich grundlegende Legitimationsprobleme der traditionsreichen Lexika und Enzyklopädien im Zeitalter von Wikipedia und Google. Gerade für eine solch kleine Nation wie Norwegen scheint der sich anbahnende Verlust der Nationalenzyklopädie so schmerzhaft zu sein, dass sogar nicht-staatliche Organisationen enorme Summen in die Hand nehmen – laut Aftenposten investierten Fritt Ord und Sparebankstiftelsen DnB Nor je 15 Millionen Kronen ins Lexikon –, um nicht vollkommen von einer ›Weltenzyklopädie‹ wie Wikipedia überschattet zu werden.

Funktionen von snl.no

Funktionen von snl.no

Neben der symbolischen Bedeutung des Lexikons ist es jedoch vor allem die Frage nach inhaltlicher Qualität, die die norwegische Debatte anfeuerte und die ähnliche Debatten außerhalb Norwegens bereits leitete und leiten wird; wie auch in Deutschland, wo die Brockhaus-Enzyklopädie vor ähnlichen Schwierigkeiten steht. Store Norske Leksikon und damit auch SNL.no ist im Gegensatz zu Wikipedia eine Primärquelle, aus der mit Angabe eines Autors zitiert werden kann und die durchweg ›echte‹ Literaturangaben enthält. Wikipedia hingegen wird kontinuierlich – und kostenlos – aktualisiert. Hierin liegt der wohl größte Vorsprung von Wikipedia vor SNL.no, den die norwegische Redaktion jedoch in zweierlei Hinsicht einholen will. Zum Einen sollen viele neue Akademiker für die Online-Publikationen des Store Norske Leksikon gewonnen werden: »Akademiker, Forscher und Fachautoren sollen lernen, dass das Netz ein Teil der Öffentlichkeit ist, kein Schimmelpilz hinter dem Sofa«, wirbt Ida Jackson. Zum Anderen bietet SNL.no die Möglichkeit, nach einer Registrierung Änderungsvorschläge und Aktualisierungen abzugeben – ähnlich wie bei Wikipedia –, die jedoch von einem der 300 Fachexperten und nicht nur per ›Schwarmintelligenz‹ redigiert werden. Genau in diesem Punkt liegt die eigentliche Innovation des internetbasierten Lexikons SNL.no. Es stellt nicht nur eine fundierte und qualitätsgesicherte Quelle für u.a. Schüler, Studenten und Wissenschaftler dar, es versucht zudem das Renommee eines traditionsreichen Nachschlagewerkes auf eine moderne Publikationsform zu übertragen und rüttelt an alten, behäbigen Verhaltensweisen einer Wissenschaftswelt ›von gestern‹. Die Hauptredakteurin von Store Norske Leksikon kündigt deshalb in einem Interview mit Aftenposten an: »Du wirst sehen können, ob ein emeritierter Professor wirklich an der Diskussion teilnimmt. Früher konnte man sich hinter einer lebenslaufbasierten Autorität verstecken. Aber das, was im Netz Legitimität verleiht, ist Handlung. Fachverantwortliche, die nicht antworten oder mehr als drei Tage brauchen, um zu antworten oder Anwesenheit zu zeigen, wollen wir immer los werden. Diejenigen, die sich so aufführen, wollen wir einfach nicht haben.«

Letztendlich ist der Fortbestand des kostenlosen SNL.no jedoch weiterhin von der Finanzierung abhängig und es bleibt zu hoffen, dass die derzeitige Kulturministerin Hadia Tajik sich mehr für das norwegische Online-Nachschlagewerk einsetzt als es ihre Vorgängerin getan hat und die Verantwortung für die Unterstützung eines so löblichen Bildungsprojekts auch beim Staat sieht.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1115

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100 Jahre Arbeiterbildungsverein in Schweden – ›Niveauerhöhung‹ für alle

  Dieses Jahr begeht Arbetarnas Bildningsförbund (ABF) [Der Bildungsverband der Arbeiter] sein 100-jähriges Jubiläum, welches er mit einer umfangreichen Veranstaltungswoche mit Vorlesungen, Workshops, Musik und Ausstellungen in Stockholm feiert. Anlässlich des Jubiläums einer der größten Weiterbildungseinrichtungen Nordeuropas erscheint es angebracht, einen Blick auf die Gründung – vor allem die Begründung – des ABF zu werfen. Logo Arbetarnas Bildningsförbund Der ABF wurde 1912 durch Initiative des Schulleiters von Brunnsviks folkhögskola, der ersten ›rörelsefolkhögskola‹ [Volksbewegungshochschule] Schwedens, Rickard Sandler, gegründet, zunächst unter dem Namen Arbetarnas riksförbund för biblioteks- och föreläsningsverksamhet [Der Reichsverband der Arbeiter für den Bibliotheks- und Vorlesungsbetrieb]. Durch ihn fand die Weiterbildungsarbeit der Arbeiterbewegung ihre zentrale Institution, die heute Schwedens größter Studienverband, mit Niederlassungen in nahezu jeder Kommune, ist. Die Weiterbildungsarbeit stellte einen zentralen Wirkungsbereich der Arbeiterbewegung dar, womit sie eine Tradition der Volksbildung fortsetzten, die seit dem 19. Jahrhundert vor allem durch die Kirchen, aber auch durch Volksbewegungen wie die Abstinenzler, betrieben wurde. Die Arbeiter sollten (weiter-)gebildet werden, um sie – und in der Idealvorstellung die gesamte Gesellschaft – zu ›besseren Menschen‹ zu erziehen und ihr ›Niveau zu erhöhen‹, wie Rickard Sandler in seiner Grundsatzrede zum Verhältnis der Sozialdemokratie und Volksbildung ausrief: »Wir brauchen keine Idealmenschen. Dass aber eine auf breitem demokratischen Fundament basierende Gesellschaft ein besseres Menschenmaterial [sic] benötigt als wir es heute besitzen, ist zweifellos. Wenn sich die Funktionen der Gesellschaft erweitern, wächst natürlich der Anspruch an die Kompetenz der Gesellschaftsmitglieder. Deshalb muss die Volksbildung ein Hauptanliegen des sozialistischen Staats sein, auf ganz andere Weise als für den kapitalistischen.« Bildung stellte eine Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der Sozialdemokratie/des Sozialismus dar, indem die Arbeiter zum Einen theoretisch geschult und zum Anderen moralisch und intellektuell ›erhöht‹ werden sollten. Besonders letzteres Bildungsziel nahm sich der ABF auch aus taktischen Gründen zu Herzen, da die sozialdemokratische Jugend, stellvertretend für die gesamte Arbeiterklasse, in der Presse sowie in bürgerlichen Kreisen einen zweifelhaften Ruf hatte, den es zu verbessern galt. Durch die Priorisierung der allgemeinbildenden Inhalte war es zudem möglich, sich staatliche Unterstützung zu sichern, die einer rein sozialistisch ausgerichteten Bildungseinrichtung verwehrt geblieben wäre. Aufgrund der staatlichen Unterstützung waren die Einrichtungen des ABF zudem für alle offen, nicht nur für Arbeiter. Zu den moralischen Bildungszielen gehörte die Bekämpfung des Alkoholkonsums, die schon seit den Anfängen der proletarischen Weiterbildungsarbeit, aufgrund der engen Verbindung führender Personen der Abstinenzler- zur Arbeiterbewegung, auf der Tagesordnung stand. Es galt, die vor allem durch die Einführung des Achtstundenarbeitstags neu erlangte Freizeit der Arbeiter sinnvoll zu füllen und ein Alternativangebot zu dekadenten Freizeitbeschäftigungen wie eben dem Alkoholkonsum sowie dem Konsum ›schlechter‹ Literatur zu schaffen. Der ABF bekämpfte indirekt, durch sein Bildungsangebot, sowie direkt, durch eine groß angelegte Kampagne, die so genannte ›Schundliteratur‹: Detektivgeschichten, wie die Nick-Carter Hefte, und andere Groschenromane, die vor allem die Jugend verziehen würden: »Die Volksseele wird durch die Presseprodukte, die lediglich das Leben verbittern oder Nahrung für Sensationslust und Skandalhunger bieten, vergiftet. Jeder Freund der Volksgesundheit sollte sich deshalb verpflichtet fühlen, solche Vergiftung zu verhindern.« Wenn es auch noch weitere Zwecke der Weiterbildungsarbeit des ABF gab, wie zum Beispiel die Agitation und die Gleichstellung von Frauen, so waren es doch gerade die allgemeinbildenden Ziele des Verbandes, die sein Programm maßgeblich beeinflussten und den Inhalt von Studienzirkeln, Vorlesungen, Lesezirkeln und Bildungsausflügen prägten, in denen sich relativ unbeeinflusst durch sozialistische Propaganda mit Literatur, Kunst und Musik auseinander gesetzt wurde. Gerade die Studienzirkel, an denen bereits 1926 über 30.000 Schweden teilnahmen, stellten den Kern der Weiterbildungsarbeit dar. Rickard Sandler beschreibt die Ausrichtung der Studienzirkel in seiner Grundsatzrede von 1917: »Der Studienzirkel wird zu dem, was seine Mitglieder aus ihm machen. Ihr Bestes können sie nur in Freiheit tun. Keine patentierte Konstruktion, keine Gebrauchsanweisung der Welt kann mehr bewirken als das eigene freie Interesse der Mitglieder. Die Schablone ist der Tod für die Bildungsarbeit.« Diese bereits durch Sandler geforderte Freiheit für die Bildungsarbeit des ABF, die die Gesellschaft verbessern soll, findet sich noch 100 Jahre später in Form eines kreativen Fotowettbewerbs, den der ABF anlässlich seines Jubiläums ausrichtet und unter anderem auf Youtube bewirbt.   Der heutige ABF ist, bezogen auf seine inhaltliche Ausrichtung, seinem Erbe treu geblieben, wirft man einen Blick auf sein umfangreiches und breit gefächertes Angebot, das sich sehr von dem seiner etwas jüngeren Schwesterorganisationen in Dänemark (Arbejdernes oplysningsforbund, AOF, gegründet 1924) und Norwegen (Arbeidernes Opplysningsforbund, AOF, gegründet 1931) unterscheidet, wo vor allem berufliche Aus-Bildung im Vordergrund steht. Auch bezüglich seiner Herkunft ist sich ABF treu geblieben. Es ist die einzige der drei Organisationen, die ihr Akronym bereits auf der Startseite ihrer Homepage auflöst, den Besucher in Großbuchstaben mit der Überschrift »ABETARNAS BILDNINGSFÖRBUND« begrüßt und somit die politisch-ideologische Herkunft nicht versteckt.    

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/515

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