„Alles was Recht ist! Rechtsfragen bei der Benützung von Archivgut“: Oberpfälzer Archivpflegertagung 2013 in Amberg

Zur jährlich stattfindenden Oberpfälzer Archivpflegertagung lud die Leiterin des Staatsarchivs Amberg, Frau Dr. Rita Sagstetter, am 24. Oktober 2013 die Archivpflegerinnen und Archivpfleger der Oberpfalz nach Amberg ein. Im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung standen Rechtsfragen, die sich bei Archivgutnutzung ergeben, wie es Frau Dr. Sagstetter in ihrem Einladungsschreiben formulierte. Nach der Begrüßung und der Einführung in diese oft undurchsichtig erscheinende und komplexe Thematik durch Fr. Dr. Sagstetter sollten zwei Vorträge das Tagungsthema „Alles was Recht ist! Rechtsfragen bei der Benützung von Archivgut“ näher beleuchten und praxisbezogene Hinweise liefern.

Für die bayerischen Archive stellen „Recht und Rechtsfragen“ in Bezug auf die Archivbenützung respektive die Benützung von Archivgut einen umfangreichen Komplex dar, der sich aus dem Bayerischen Archivgesetz ergibt. Denn die „Archivierung umfasst die Aufgabe, das Archivgut zu erfassen, zu übernehmen, auf Dauer zu verwahren und zu sichern, zu erhalten, zu erschließen, nutzbar zu machen und auszuwerten“1. Folglich resultiert aus der Zielsetzung, das Archivgut dem Benutzer zugänglich zu machen, ein gewisser Zielkonflikt zwischen Allgemeinheit und Persönlichkeit, wie es Frau Dr. Sagstetter formulierte. Die Lösung dieser vermeintlichen Kontroverse obliegt dem jeweiligen Archiv, der zuständige Archivar muss sozusagen als eine Art Mediator fungieren, um den Benutzern einen offenen Zugang zu allgemeinen Archivgut unter Wahrung des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG) und der Persönlichkeitsrechte zu ermöglichen.

Die Benützung von Archivgut muss folglich an Regularien geknüpft sein, die eine daten- und persönlichkeitsschutzrechtliche Basis darstellen. Herr Dr. Till Strobel vom Staatsarchiv Amberg stellte in seinem Vortrag das „Archivbenützungsrecht“ vor und erläuterte dessen oft nicht unproblematische Anwendung im Archivalltag. Vor allem in Bezug auf das Schriftgut des 20. Jahrhunderts ist die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben eine schwierige Aufgabe und muss stets geprüft werden. Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte nach Art. 1, 2 und 5 garantieren den Menschen aber eine Transparenz hinsichtlich der staatlichen Institutionen und ihrer Entscheidungen. Dr. Strobel verwies hier als Beispiel auf die Entwicklung der Benutzeranträge des Staatsarchivs Amberg. So sind heute im Gegensatz zu früher die Angaben zu Beruf und Sprachkenntnissen freiwillig, da sie keine notwendige Information darstellen und die Persönlichkeit der Benutzer betreffen.

Grundsätzlich stellt das Bayerische Archivgesetz (BayArchivG) vom 1. Januar 1990 die rechtliche Grundlage des Archivbenützungsrechts dar. Durch das sogenannte Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 des Bundesverfassungsgerichts war eine juristische Präzisierung hinsichtlich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nötig geworden, sodass neben dem genannten Archivgesetz auch eine Benützungsordnung für die staatlichen Archive Bayerns (ArchBO) am 16. Januar 1990 erlassen wurde. Diese regelt neben der eigentlichen Benützung auch die Benützungsgebühren in den staatlichen Archiven.
Der Referent verwies außerdem auf den Art. 10 Abs. 1 BayArchivG, der bestimmt, dass das in den staatlichen Archiven verwahrte Archivgut nach Antrag zur Verfügung steht. Einschränkend wirkt hierbei Art. 10 Abs. 2 BayArchivG, da ein berechtigtes Interesse an der Benützung vorliegen muss und zugleich nicht gegen Schutzfristen verstoßen werden darf. „Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die Benützung zu amtlichen, wissenschaftlichen, heimatkundlichen, familiengeschichtlichen, rechtlichen, unterrichtlichen oder publizistischen Zwecken oder zur Wahrnehmung von berechtigten persönlichen Belangen erfolgt“2. Unter Abs. 2 Nr. 3 werden die Auflagen zur Benützung aufgeführt, die auch eine Verweigerung des gesamten Archivguts miteinschließen, wenn beispielsweise eine Staats- oder Persönlichkeitsrechtsgefährdung durch die Benützung entstünde. Für eine auf das Grundgesetz gestützte Benützung ist eine Regelung der Sperrfristen unablässig, ein mögliches Regelungsdefizit muss vermieden werden. Dr. Strobel verwies hier auf die Justizakten oder Personalakten, wo stets ein Geburtsdatum vermerkt ist. Der Bezug auf eine natürliche Person ist häufig gegeben, das Archivgut bedarf deshalb einer konsequenten Überprüfung hinsichtlich personenbezogener Einzelangaben. Bei Archivgut wie Steuer-, Patienten-, Prozess-, oder Personalakten ergibt sich eine Kongruenz zwischen dem Namen und dem Inhalt. So stellen alte Schülerlisten, die neben dem Geburtsdatum und der Anschrift Beurteilungen sowie Noten beinhalten, einen personenbezogenen Akt dar, der aufgrund des BayDSGs den bekannten Sperrfristen unterliegt, erklärte Dr. Strobel. Bei einer Tätigkeit in einem öffentlichen Amt wäre der Personalakt mit einer Sperrfrist belegt, die Akten bezüglich der „reinen“ Tätigkeit wären offen zugänglich, sofern sie nicht gegen andere Auflagen verstoßen. „Archivgut, das besonderen Geheimhaltungsvorschriften unterliegt, darf frühestens 60 Jahre nach seiner Entstehung benützt werden; das gleiche gilt für die Entschädigungsakten des Landesentschädigungsamts und die Rückerstattungsakten der Wiedergutmachungsbehörde Bayern“3. Das Bundesarchivgesetz schreibt zusätzlich eine Sperrfrist von 30 Jahren für die Wahrung des Steuer-, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, für das Sozialgeheimnisses sogar 60 Jahre vor, die nach dem Ende des jeweiligen Aktes beginnt. Es regelt ferner auch die Benützung des Archivguts von Zoll, Deutsche Bahn, Deutsche Post sowie Bundespolizei und garantiert den im Umweltinformationsgesetz (UIG) festgesetzten Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Akten, welche Informationen zu Umwelt, Lebensmittel, Wasser oder Luft beinhalten. Eine Beschränkung stellt wiederholt der Datenschutz dar, falls sich personenbezogene Daten im Archivgut befinden.

Im Praxisalltag, so erläuterte Dr. Strobel, sind alle Anfragen einzeln zu prüfen, da häufig parallele Schutzfristen einzuhalten sind und Akten häufig uneinheitlich erwachsen sind. Daher ist es meist unumgänglich den personenbezogenen Teil der Aktes zu sperren und den „unbelasteten“ Teil dem Benutzer vorzulegen – vorausgesetzt es ist nicht ausreichend, wenn der Archivar persönlich Auskunft über den „unbelasteten“ Teil des Aktes erteilt. Eine weitere Möglichkeit stellt der Antrag auf Schutzfristenverkürzung (Art. 10 Abs. 4 BayArchivG) dar, die strikt geregelt ist und eine Verkürzung bei personenbezogenem Archivgut nur zulässt, „wenn der Betroffene eingewilligt hat oder wenn die Benützung zur Erreichung des beabsichtigten wissenschaftlichen Zwecks, zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder aus sonstigen im überwiegenden Interesse der abgebenden Stelle oder eines Dritten liegenden Gründen unerlässlich ist und sichergestellt ist, dass schutzwürdige Belange des Betroffenen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden“4. Für die kommunalen Archive gelten die gleichen Voraussetzungen, sodass der Erlass einer allgemein gültigen Archivordnung sehr empfehlenswert ist, um eine einheitliche Benützung des Archivguts zu gewährleisten. Für Unterlagen, die unter einem gesetzlichen Geheimnisschutz stehen oder personenbezogene Daten beinhalten, gelten nach Art. 13 Abs. 2 BayArchivG die bereits aufgezeigten Sperrfristen und Beschränkungen.

Ein besonderes Archivgut stellen, vor allem in den kommunalen Archiven, die Personenstandsunterlagen dar, die nach Angabe an das Archiv als Archivgut gelten und deshalb dem BayArchivG unterliegen. Mit dem Personenstandsrechtsreformgesetz (PStRG) vom 19. Februar 2007, das am 1. Januar 2009 in Kraft trat, erfolgte die Einführung eines elektronischen Personenstandsregisters anstelle der bisherigen Personenstandsbücher. Die Fortführungsfristen der Personenstandregister betragen für die Geburtenregister 110 Jahre, für die Sterberegister 30 Jahre und für die Ehe- und Lebenspartnerschaftsregister 80 Jahre.5 In der Praxis bedeutet dies, dass nach dem Ablauf der Fristen die Register an die zuständigen Archive übergehen und als Archivgut benutzbar werden. Das PStG regelt die Benützung der Personenstands- und Personenstandszweitbücher streng, weshalb bei Anfragen empfohlen wird, als Archivar eine persönliche Auskunft zu erteilen oder Auszüge in Kopie vorzulegen, um eine Einhaltung der Schutzfristen zu garantieren.

Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Strobel erklärte Frau Dr. Sagstetter, dass die Personenstandsunterlagen vor dem Übergang ans Archiv als Registraturgut gelten und somit dem Personenstandgesetz unterliegen. Im Archiv werden sie aber zu Archivgut und können unter Einhaltung der Schutzfristen nach dem BayArchivG eingesehen werden. Hierbei muss beachtet werden, dass auch „Findmittel“ personenbezogene Informationen enthalten können und dementsprechend gesperrt oder eingeschränkt dem Benutzer vorgelegt werden müssen.

Der zweite Vortrag der Tagung „Urheber- und Persönlichkeitsrechte im Archiv“ stellt ein Thema in den Vordergrund, das in der Archivkunde6 ohne Zweifel eine Rolle spielt, in den kommunalen Archiven wahrscheinlich aber wenig Beachtung findet, obwohl es diese ebenfalls betrifft – womöglich sogar stärker als Staatliche Archive. Dr. Susanne Wolf von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns zielte mit ihrem Vortrag darauf ab, die Wichtigkeit und Omnipräsenz der Urheber- und Persönlichkeitsrechte gerade in der kommunalen Archivlandschaft Bayerns herauszustellen, um zukünftig in der Praxis für dieses Thema sensibilisiert zu sein.

Die gesetzliche Grundlage des Urheberrechts stellt das „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Urheberrechtsgesetz (UrhG)“ vom 9. September 1965 dar, zuletzt geändert am 1. Oktober 2013.7 Die letzte Änderung tritt zum 1. Januar 2014 in Kraft und umfasst laut Frau Dr. Wolf den sogenannten „3. Korb“. Er beinhaltet eine für die Archivarbeit wichtige Regelung: die Nutzung von Werken, deren Urheber nicht oder nur schwer ermittelbar ist – diese Werke werden auch als „Verwaiste Werke“ bezeichnet.

Als „Geschützte Werke“ werden nach § 2 Abs. 2 UrhG nur persönliche geistige Schöpfungen anerkannt, die einer gewissen Formgebung entsprechen und eine Individualität aufweisen müssen. Man spricht hierbei von einer „Leistungshöhe“, welche ein durch das Urheberrechtsgesetz geschütztes Werk besitzen muss. Als Beispiele für geschützte Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst, die diese Anforderungen erfüllen, gelten Sprachwerke, Schriftwerke, Werke der Musik, Werke der bildenden Künste, Lichtbildwerke oder Lichtbilder sowie Zeichnungen, Pläne und Karten, also Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art. Ausnahmen bilden amtliche Werke wie Gesetze, Verordnungen, amtl. Erlasse usw. nach § 5 UrhG. Findbücher sind dagegen keine amtlichen Werke und sind damit frei verwertbar, nach § 43 UrhG. Ferner ist festzustellen, dass der Urheber der Schöpfer des Werkes ist – im Sinne des Schöpferprinzips. Eine juristische Person kann dagegen keine Urheberechte geltend machen. Die wichtigste Aussage zum Urheberrecht findet sich unter § 11: „Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.“8 Aus diesem Passus resultieren auch die beiden Unterabschnitte „Urheberpersönlichkeitsrecht“ und „Verwertungsrechte“, die auch für die Archivpraxis von Bedeutung sind. Das Urheberpersönlichkeitsrecht garantiert dem Urheber einen „ideellen Schutz“, da es ihn in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes schützt, wie Frau Dr. Wolf betonte. Die Verwertungsrechte beinhalten das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG), das Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG) sowie das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 19 UrhG) einschließlich dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Für das Urheberrecht außerordentlich wichtig sind die Regelungen die Rechtsnachfolge betreffend, die unter § 28 UrhG subsumiert werden. Ferner werden die Einräumung und die Übertragung von Nutzungsrechten sowie die angemessene Vergütung (§ 31 – § 44 UrhG) detailliert geregelt. Die Differenzierung zwischen dem einfachen und dem ausschließlichen Nutzungsrecht garantiert eine Beschränkung der Nutzung auf eine oder mehrere Personen. Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mit dem Erwerb eines Werkes nicht automatisch die Übertragung der Urheberechte erfolgt. Der Eigentum oder Besitz eines Werkes erlaubt folgerichtig nicht unbedingt die uneingeschränkte Nutzung des Werkes in Form einer Vervielfältigung oder einer Verbreitung. Frau Dr. Wolf erinnerte daran, bei der Übernahme beispielsweise eines Nachlasses sich auch die Urheberrechte schriftlich übertragen zu lassen. Die Dauer des Urheberrechts gilt 70 Jahre ab dem Tod des Urhebers und wird als zeitliche Schranke gesehen (§ 64 UrhG). Dennoch sind nach § 53 UrhG Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch zulässig, wenn sie beispielsweise zum wissenschaftlichen Gebrauch, zur Veranschaulichung für Schule und Hochschule oder als Schutzdigitalisierung dienen.

Vor der Benützung im Archiv muss geprüft werden, ob ein Werk bereits veröffentlicht (§ 6 Abs. 1 UrhG) – z.B. in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – oder erschienen (§ 6 Abs. 2 UrhG) ist – in einem Buch der Öffentlichkeit angeboten. Ist dies der Fall, ist eine Vorlage im Lesesaal möglich. Liegt eine ungeklärte Rechtslage vor, d.h. das Werk ist weder veröffentlicht noch erschienen, kann eine Vorlage verweigert oder unter Einschränkung, in Form eines Zitier- und Kopierverbots, gewährt werden. Zieht der Benützer eine Veröffentlichung in Erwägung, sollte er durch einen Antrag auf die möglichen Urheberechte an dem Werk aufmerksam gemacht werden und bekommt gleichzeitig die Verantwortung für die Wahrung der Recht übertragen. Für die Praxis erscheint dieses ein Vorgehen als unerlässlich.

Ein für den kommunalen Archivalltag exemplarisches Archivgut stellen Lichtbilder sowie Lichtbildwerke dar. Die Schutzfristen für erstere werden unter § 72 UrhG geregelt, sie erlöschen 50 Jahre nach dem Erscheinen oder der Herstellung des Lichtbilds. Satellitenfotos oder gewerblich hergestellte Aufnahmen zählen beispielsweise zum Archivgut „Lichtbilder“. Im Gegensatz hierzu gilt bei Lichtbildwerken, die nach § 2 UrhG eine geistige Schöpfung darstellen und somit als geschütztes Werk eingestuft werden, eine Frist von 70 Jahren nach dem Tod des Fotografen.9 Bei der Verwertung oder der Vervielfältigung eines Lichtbildwerks ist folglich auf die Einhaltung der Fristen zu achten. Als eine weitere Kategorie stellte Frau Dr. Wolf die „gemeinfreien Fotografien“ nach § 2 Abs. 2 UrhG und § 129 UrhG vor. Alle Fotos oder Lichtbilder, die nach dem 31. Dezember 1940 veröffentlicht worden sind und bei denen gleichzeitig der Urheber auch nach diesem Datum verstorben ist, gelten als geschützt, die Frist läuft hier am 1. Januar 2016 ab. Paradoxerweise gilt der Schutz für Lichtbildwerke von 70 Jahren für Werke in den Jahren 2012 – 2015 eigentlich nicht mehr, jedoch schützt der oben genannte Passus diese Werke immer noch. Als letztes und aber wahrscheinlich aufgrund der Aktualität interessantestes Archivgut präsentierte die Expertin die anfangs bereits erwähnten „Verwaisten Werke“. Als „Verwaiste Werke“ werden Werke und sonstige Schutzgegenstände u.a. in Büchern, Zeitungen oder Zeitschriften, sowie Filmwerke, Bildträger und Tonträger bezeichnet, die aus öffentlich zugänglichen Sammlungen (in Bibliotheken, Archiven oder Museen) stammen und deren Urheber oder Rechtsinhaber trotz intensiver Recherche nicht mehr festgestellt werden kann. Die §§ 61 – 61c UrhG gelten ab dem 1. Januar 2014 und setzen u.a. fest, dass eine Nutzung durch die Allgemeinheit nicht möglich ist, sondern nur privilegierte Nutzer, wie beispielsweise Archivare oder Bibliothekare, der „besitzenden“ Institutionen eine Vervielfältigung oder öffentliche Zugänglichmachung vornehmen dürfen, vorausgesetzt eine Veröffentlichung des jeweiligen Inhalts hat bereits stattgefunden.10

Neben dem Urheberrecht garantiert das Persönlichkeitsrecht dem Urheber ein Recht am eigenen Bild, auch als „Bildnisrecht“ bezeichnet.11 Die Rechtsgrundlage für das Recht am eigenen Bild stellt das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG, auch KUG)“ vom 9. Januar 1907 dar. Ursprünglich wegen der widerrechtlichen Aufnahme von Fotos des toten Reichskanzlers Otto von Bismarck erlassen, sind heute im Wesentlichen noch die §§ 22, 23 und 24 KunstUrhG wichtig. So besitzt jeder Mensch das Recht über die Veröffentlichung eines Bildnisses seiner Person zu entscheiden, den sogenannten Einwilligungsvorbehalt.12 Ausnahmen werden unter § 23 KunstUrhG geregelt. Es dürfen ohne der nach § 22 erforderlichen Einwilligung „Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte“, „Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen“, „Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben“ sowie „Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient“ verbreitet und zur Schau gestellt werden.13 Die im Anschluss an den Vortrag gestellten Fragen zeigten, dass dieser Bereich enormen Diskussionsbedarf bietet, da häufig eine ungeklärte Urheberschaft vorliegt und die verwaisten Werke eine komplizierte Handhabe verlangen. Frau Dr. Sagstetter verwies in ihrem Schlusswort vor allem auf die Umsetzung der Vorschriften und die Einhaltung der Schutzfristen in der Praxis, die sich zwar aufgrund neuer Medien oft als komplexe Aufgabe darstellen, dennoch strikt verfolgt werden und gerade deshalb oberste Priorität genießen. Es bleibt abzuwarten, wie sich im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung von Archivgut die rechtlichen Grundlagen im Bereich Archivbenützungsrecht sowie Urheber- und Persönlichkeitsrecht verändern (müssen).

1 Art. 2 Abs. 3 BayArchivG.
2 Art. 10 Abs. 2 Nr. 2 BayArchivG.
3 Art. 10 Abs. 3 Nr. 4 BayArchivG.
4 Art. 10 Abs. 4 Nr. 2 BayArchivG.
5 § 5 Abs. 5 Personenstandgesetz (PStG).
6 Auszug Literaturliste Dr. Susanne Wolf: Klaas, Nadine: Die Grundlagen des Urheberrechts und des Rechts am eigenen Bild, in: Archive in Bayern 6, 2010, S. 211-352. und Polley, Rainer: Archiv- und urheberrechtliche Aspekte der Anfertigung von Reproduktionen und der Digitalisierung, in: Archive in Bayern 6, 2010, S. 361-392.
7 http://www.gesetze-im-internet.de/urhg/, 25.10.13, Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG).
8 § 11 UrhG.
9 § 64 UrhG.
10 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2013, Teil I Nr. 59, S. 3728-3729.
12 § 22 KunstUrhG.
13 § 23 KunstUrhG.

Quelle: http://histbav.hypotheses.org/568

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Der König von Polen als Fürsprecher eines Klosters am Niederrhein

Im Herzogtum Kleve gelegen, konnte das Kloster Marienbaum kaum den üblichen Belastungen des Kriegs entkommen. Immer wieder sollte der Konvent Kontributionen zahlen. Dagegen setzte sich die Äbtissin schon in den 1620er Jahren durchaus erfolgreich zur Wehr, zumindest zeitweise konnte sie sogar eine völlige Befreiung von jeglichen Kriegssteuern erwirken.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/331

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Von Begabungen, (unelitären) Eliten und Privilegien einer Förderung: Wissenswertes zu Stipendien und Begabtenförderwerken – Von Eva-Maria Bub

Dass Studieren teuer ist, braucht wohl kaum weiter ausgeführt zu werden. Dass Promovierende insbesondere innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften einen wesentlichen und wichtigen Teil der Forschungsarbeit leisten, ist ebenfalls hinreichend bekannt. Dass sie dabei häufig weder von Universitäten noch von … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5656

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Archäologie des 1. Weltkriegs im Elsass/Lothringen (Ausstellung)

Wir weisen gerne auf die neue Ausstellung des Archäologischen Museums Straßburg hin (25.10. 2013 bis 31.12. 2014)!
Flyertitel

Aus der Presseinformation:

Die archäologische Untersuchung jüngerer Kriegsschauplätze, vor allem aus dem Ersten Weltkrieg, ist ein noch junger Forschungsbereich, der nicht nur der Geschichtsforschung zahlreiche Perspektiven eröffnet, sondern auch viele neue Einblicke in den Kriegsalltag der Frontsoldaten gestattet. In den letzten zehn Jahren konnten im Elsass und in Lothringen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, insbesondere bei Grabungen von befestigten Stellungen wie beispielsweise den kürzlich erforschten Standorten Geispolsheim/Schwobenfeld im Departement Bas-Rhin und Carspach/Kilianstollen im Department Haut-Rhin.

Die Ausstellung zieht eine erste Bilanz dieser Arbeiten und vermittelt einen Überblick über die bei Grabungen im Elsass und in Lothringen entdeckten Gegenstände sowie von den Archäologen untersuchte Anlagen im Hinterland und an der Front. Bei dieser interdisziplinär konzipierten Schau, die rund 20 der in Ostfrankreich ergrabenen Standorte vorstellt, kommen viele historische und archäologische Fragestellungen zur Sprache.

Ausstellungsflyer

Quelle: http://archives.hypotheses.org/565

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„The Third Order of Order“ – Relationale Erschließung und Indizierung als Chance für die Defragmentierung von Kontexten und Überlieferung

Vortrag auf der internationalen Datenbanktagung – Conference on Digitization – der Archive von NS-Gedenkstätten, Dachau 23.-25. Oktober 2013

„In the third order of order, knowledge doesn’t have a shape. There are just too many […] ways to make sense of our world.” (Weinberger, Everything is Miscellaneous, 83).

Die so genannte „dritte Ordnung“, von der David Weinberger hier spricht, ist – auf Archivgut und Digitalisate übertragen – weder die der physischen Vorlage noch eine virtuell organisierte, aber statische digitale Abbildung, vielmehr ist sie eine vielfältig generierbare Ordnung auf der Grundlage von Metadaten über Relationen zwischen Objekten. „Unordnung der dritten Ordnung beseitigen wir, indem wir ihre Metadaten arrangieren; die Objekte selbst rühren wir dabei nicht an“, schreibt Weinberger.[1] Lassen Sie mich versuchen, sie als Chance für die Erschließung und Präsentation von Archivgut zum Zweck seiner Defragmentierung und Kontextualiserung zu illustrieren.

Das Thema „archivische Erschließung“ möchte ich heute unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass sie die Defragmentierung von Kontexten und Überlieferung zum Ziel hat. Zusammenhänge innerer und äußerer Art müssen durch Beschreibungen benannt werden, andernfalls sind sie zwar vorhanden, aber nicht sichtbar. Die Akten und Dokumente der Konzentrationslager sind weltweit verstreut, fragmentiert. Ihre inhaltlichen Kontexte sind durch die Erschließung der einzelnen Archive, in denen sie sich befinden, erleuchtet, mal heller, mal weniger hell. Defragmentierung heißt ein mehrdimensionales Puzzle zusammenzusetzen, Fragmente zusammenzubringen, ihre Kontexte sichtbar zu machen.

Die Fragen, die ich dazu stellen möchte, richten sich darauf, inwiefern klassische Erschließungsmethoden zu einer solchen Defragmentierung beitragen, inwiefern neue technische Möglichkeiten eine Änderung der Methoden erfordern, welche Rolle dabei Standards und Standardisierung spielen und welche Bedeutung den Relationen zwischen den Teilen dieses Puzzle bei dessen Zusammensetzung zukommt.

Die Fragen lauten:

  1. Bildet das heute verbreitete Modell der fixen Beständetektonik die historische Realität ab?
  2. Welchen Zweck kann die Digitalisierung von Archivgut im Rahmen der Zugänglichmachung von Erschließungsinformation erfüllen?
  3. Worauf sollte sich Erschließung richten und welche Standards sollte sie nutzen?
  4. Was ist relationale Erschließung und welche Folgen hat sie für den Nutzer?

1.     Bildet das heute verbreitete Modell der fixen Beständetektonik die historische Realität ab?

CLASSIC FINDING AIDS

Die am weitesten verbreitete Methode der Erschließung von Archivgutbeständen besteht in der Verzeichnung und Zuordnung zu einer festgesetzten Gliederung oder Tektonik. Archive werden in Bestände unterteilt, die den Namen ihrer Provenienzstellen tragen, die Bestände werden nach Organisationseinheiten in diesen Provenienzstellen oder nach Funktionen, die die Provenienzstellen wahrgenommen haben, gegliedert. Das einheitliche zentrale Suchkriterium für den Nutzer nach für ihn passenden Beständen liegt in der Fragestellung: Was war die Aufgabe oder Funktion einer Provenienzstelle und kann ihre Überlieferung daher für mein Forschungsthema relevant sein?

Gerade angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten stellt sich nun aber die grundsätzliche Frage: Ist das Provenienzprinzip im digitalen Zeitalter als Ordnungsprinzip noch zielführend? In der Tat wird das Provenienzprinzip als alleiniges Ordnungsschema in den internationalen archivwissenschaftlichen Fachjournalen seit einiger Zeit wieder kontrovers diskutiert.

MULTIPLE MEANINGS

Der ehemalige Generalarchivar der Niederlande Eric Ketelaar wies auf dem internationalen Archivarskongress „Archives without Borders“ 2010 in Den Haag darauf hin, dass der innere Sinn – „the meaning“ – eines Archivale oder auch jedes anderen Kulturguts immer ein vielfacher sei und nicht auf einen einzigen Kontextstrang reduziert werden könne.[2] Inhalte werden vom Wahrnehmenden bei ihrer Wahrnehmung in Kontexte gestellt, sie zeigen sich durch die Komposition der Teile des Archivale, einer archivischen Serie oder eines ganzen Archivkörpers und sie ergeben sich aus der Wahrnehmung der Entstehungszusammenhänge.

Erschließung nach einer provenienzmäßigen Ordnung oder Findmitteltektonik führt zur Konzentration auf den Kontext der Entstehungsgemeinschaft des Archivguts und erschöpft sich im Wesentlichen darin. Anders gesagt: Eine solche Erschließung läuft Gefahr, den Sinn der Archivalien auf einen einzigen Kontextstrang zu reduzieren. Dann geschähe genau das, wovor Eric Ketelaar warnte.

Peter Horsman, emeritierter Dozent für Archivwissenschaft an der Universität Amsterdam, zeigte in seinem Beitrag „Wrapping Records in Narratives“ auf einem archivwissenschaftlichen Workshop in Bad Arolsen im Oktober 2011, dass Archivalien vielfach aus ihrem ursprünglichen Gebrauch entfernt und zu anderen Zwecken weiterverwendet wurden.[3] Damit wurden sie auch in andere physische Kontexte gebracht, zum Beispiel in andere Registraturen verbracht. Er spricht von Dekontextualisierung und Rekontextualisierung. Prominente Beispiele finden sich zuhauf im Archiv des Internationalen Suchdienstes. Dokumente aus zahlreichen Provenienzen wurden dort in thematisch bestimmte Bestände zusammengebracht. Die aus ihrem ursprünglichen Entstehungs- und Nutzungskontext entfernten, also dekontextualisierten Dokumente wurden von da an für die Suche und Schicksalsklärung der darauf erwähnten Personen genutzt und mit neu entstehenden Fallakten verknüpft, sie wurden also rekontextualisiert, in einen neuen Kontext gebracht.

Rekontextualisierungen lassen sich in den uns geläufigen Findbüchern nicht abbilden, allenfalls in recht ausführlichen Bestandsgeschichten, die nicht unbedingt zur spannenden Lektüre einladen, oder andeutungsweise in mehr oder weniger übersichtlichen Graphiken.

Ketelaar geht mit seiner Aussage über den Sinn in den Archivalien weiter. Strebt man die Integration der von ihm angedeuteten Vielschichtigkeit archivalischer Kontexte in die Erschließung an, muss man sehen, dass diese über entstehungsursächliche und durch den Gebrauch der Unterlagen generierte Kontexte hinausgehen. Welche Konsequenzen sich auch für den archivwissenschaftlichen Diskurs ergeben, so wird doch eines hier bereits klar und soll die Antwort auf unsere erste Frage sein:

Das heute verbreitete Modell der fixen Beständetektonik bildet die historische Realität von Überlieferungskontexten nur sehr beschränkt ab. Sind wir damit nicht zufrieden, benötigen wir neue Modelle für die archivische Erschließung.

2.     Welchen Zweck kann die Digitalisierung von Archivgut im Rahmen der Zugänglichmachung von Erschließungsinformation erfüllen?

Sie sehen aus diesem scheinbar unvermittelten Übergang, dass ich eine bessere Abbildung der historischen Realität in den Erschließungserzeugnissen mit der Digitalisierung von Archivgut hier in einem unmittelbaren Zusammenhang darzustellen beabsichtige.

Wir kommen mit den Anforderungen an eine aussagekräftige Erschließung offenbar nicht so recht weiter, wenn wir nur fragen, wie Erschließung aussehen kann. Offenbar spielt es eine mindestens ebenso große Rolle, genauer zu betrachten, was das eigentlich ist, das wir erschließen wollen. Wir müssen uns daher hier der Frage zuwenden, was wir als Archivbestand im Sinne der Erschließung verstehen möchten. Daraus wird sich zeigen, welche Rolle dabei die Digitalisierung spielt.

Der technische Fortschritt erlaubt uns, die Digitalisierung und das Vorliegen oder wenigstens perspektivische Vorliegen unserer Bestände in Form von digitalen Repräsentationen, also Digitalisaten, in unsere Betrachtungen als für die Zukunft geradezu fundamental einzubeziehen.

IMAGES / AGGREGATIONS

Ein Archiv, das einen Großteil seines Archivguts digitalisiert hat, ist in der Lage, die dadurch produzierten Bilddateien in beliebig viele Strukturen zu bringen. Das geschieht entweder, indem die Dateien vorgefertigten Strukturen manuell zugeordnet werden, oder indem sie mit kodierten Metadaten versehen werden, die die Grundlagen für automatisierte Strukturierungsprozesse sind. Aggregationen solcher Dateien können ebenso als Einheiten definiert und mit Metadaten versehen werden, die diese Definition fixieren. Dadurch kann zum Beispiel eine Abfolge von dreißig Images als eine Akte, also als eine Aggregation, definiert und abgegrenzt werden.

Die unbegrenzt vielfache Verknüpfbarkeit der Imagedateien ermöglicht ebenso unbegrenzt viele definierbare Aggregationen, also Anhäufungen von Images in einer festzulegenden Reihenfolge und in einem festzulegenden Umfang.

Indem man so vorgeht, geschieht ein paradigmatischer Wechsel. War bisher die Erschließung an die Gestalt der physischen Vorlage der Archivalieneinheit gebunden, ist der Beschreibung nun ein Schritt voranzustellen: die Bestimmung des Umfangs und der Struktur der zu beschreibenden Einheit, die mit der physischen Vorlage nicht mehr identisch sein muss. Es kommt also zu einer Trennung von physischer Struktur und virtueller Struktur, zu einer Differenz von physischem und virtuellem Bestand. In der Archivwissenschaft spricht man von der Differenz zwischen dem physical fonds und dem conceptual fonds.[4]

Daraus wird deutlich, dass eine eindeutige Abgrenzung von Beständen dann kaum mehr möglich ist, denn: Entscheidet man sich für ein Abgrenzungskriterium, z.B. die institutionelle Herkunft, so bleiben andere Beziehungsgemeinschaften unberücksichtigt, auch wenn sie gleichermaßen als Abgrenzungskriterien tauglich wären. Peter Horsman hat in seinem bereits zitierten Vortrag anhand der Suchkartei des niederländischen Roten Kreuzes die Vielschichtigkeit von Entstehungszusammenhängen illustriert und ihre Beziehungen zu zahlreichen anderen physischen Beständen sichtbar gemacht. Strukturierung nach der Theorie des conceptual fonds hieße, die Elemente des physischen Bestands in ihren jeweiligen Beziehungen in der dafür erforderlichen Anzahl virtueller Bestände darzustellen, etwa in den jeweiligen Findbüchern solcher aus dem physischen Bestand gebildeten virtuellen Bestände.

Die so genannten Postkustodialisten unter den Archivwissenschaftlern sagen, es sei nicht möglich, Archivalien einem einzigen Bestand zuzuordnen, da dadurch nicht Bestände transparent, sondern Beziehungsgemeinschaften verdunkelt würden. Diese Ansicht scheint sich immer mehr durchzusetzen.

Der britische Archivwissenschaftler Geoffrey Yeo vom University College London schrieb vor wenigen Monaten in der kanadischen Fachzeitschrift „Archivaria“ folgenden Satz: „In the world of paper records, aggregations are brought together and arrangement is fixed before the user arrives on the scene, but many critics argue that the digital revolution overturns these conventions“.[5] Wir müssen uns zu Herzen nehmen, dass die Möglichkeiten dieses digitalen Umbruchs, den er als digitale Revolution bezeichnet, nur zu einem Teil von den neuen technischen Möglichkeiten der Erschließung abhängen, zum anderen Teil aber von der Art der Repräsentation des zu beschreibenden Materials. Diese muss in digitaler Form vorliegen. Das geht aus Yeo’s Satz ebenso klar hervor wie aus meinen vorigen Ausführungen. Für uns heißt das, dass die Digitalisierung unseres Archivguts die grundlegende Voraussetzung für eine Präsentation im Verständnis des conceptual fonds ist.

Ich komme zur Antwort auf die Frage, welchen Zweck die Digitalisierung im Rahmen der Zugänglichmachung von Erschließungsinformation erfüllen kann: Bisher diente Digitalisierung fast ausschließlich dazu, Archivalien leichter vorlegen zu können, sei es am Monitor im digitalen Lesesaal oder im heimischen Arbeitszimmer des Nutzers über das Internet.

Nun aber bedeutet Digitalisierung auch, Archivgut in Strukturen präsentieren zu können, die bislang nicht visualisiert werden konnten. Das ist ihr erweiterter Zweck in einer paradigmatisch veränderten Erschließungs- und Nutzungskultur.

3.     Worauf sollte sich Erschließung richten und welche Standards sollte sie nutzen?

Nach diesen strukturellen Betrachtungen von Archivgut wollen wir nun sehen, welche Objekte und Eigenschaften wir bei der Archivguterschließung und bei der Erschließung der damit in Beziehung stehenden Entitäten berücksichtigt haben sollten.

METADATA MODEL

Der Internationale Archivrat (ICA) hat vier Standards für die archivische Erschließung erarbeitet, die sich mit den vier Objektgruppen befassen, die in einem Findmittelsystem koordiniert werden sollten:

  1. Das Archivgut,
  2. Die Erzeuger des Archivguts und weitere damit im Zusammenhang stehende Akteure
  3. Die Funktionen und Aufgaben, deren Umsetzung für die Entstehung des Archivguts ursächlich waren
  4. Das verwahrende Archiv mit seinem Sammlungsmandat und seinen Zugangsdaten.

Die Zusammenschau der Objektgruppen, die in einem Findmittelsystem koordiniert werden sollen, ist die oberste Stufe des so genannten Metadatenmodells. Das Metadatenmodell eines Archivs gibt vor, was bei der Erschließung beschrieben werden soll. Es setzt sich in die Tiefe fort bis hinunter zur Definition der einzelnen Felder und Attribute bei der Erschließung eines Einzelstücks. Das Modell lässt sich nach den Bedürfnissen der einzelnen Archive oder Archivsparten beliebig erweitern, jedoch sollte für jede Objektgruppe, die man in sein Metadatenmodell aufnehmen möchte, ein einigermaßen verbreiteter Beschreibungsstandard genutzt werden, um die Erschließungsdaten archivübergreifend austauschbar zu machen.

Beispiele für Erweiterungen wären vor allem Ereignisse (Events) oder Orte (Places). Die besondere Bedeutung solcher Angaben im Rahmen der Holocaustforschung wurde im Projekt EHRI insofern berücksichtigt, als Standards für ihre Beschreibung und dazu nutzbare Thesauri vermerkt und erarbeitet wurden.

Gängige Standards sind die XML-basierten Formate EAD für Archivgut und EAC für Akteure (natürliche und juristische Personen).

Für die Beschreibung von Aufgaben und Funktionen ist ein XML-basierter Standard bislang nicht erstellt worden. Die auf dem Markt befindliche Archivsoftware beinhaltet in der Regel Export- und Importschnittstellten für EAD und zunehmend auch für EAC. Für die Überführung von Erschließungsdaten, die bereits in Datenbanken vorliegen, sind Mapping-Werkzeuge leicht zu erhalten. Zurzeit besteht seitens der beiden großen einschlägigen Portalbetreiber, dem Archivportal Europa und dem Archivportal D, großes Interesse, interessierten Archiven bei der Bereitstellung XML-basierter Findmittel nach dem EAD-Standard behilflich zu sein. Auch Softwareanbieter und Archivdienstleistungsfirmen übernehmen Mapping-Arbeiten. Durch die Datenbereitstellung in Archivportalen kann Archivgut im Internet virtuell gemeinsam durchsucht und gleiche Provenienzen als zusammengehöriges Ganzes sichtbar gemacht werden. Das Team der Kontaktstelle für an der Datenbereitstellung für das Archivportal Europa interessierte Archive befindet sich im Bundesarchiv in Berlin.

Wir können aber mehr erreichen als eine Abbildung und Anhäufung von Erschließungsinformation in der Qualität, die wir bereits bereitstellen können. Unser Anliegen ist es, Tools zu nutzen, die Erschließungsinformation nutzbar machen, die bereits in unseren Systemen gespeichert ist, aber noch nicht umfassend verwertet wird. Uns interessieren vor allem die Personen, die auf den Dokumenten erscheinen. Deshalb sind für uns nicht nur die Kontexte aus dem Entstehungs- und Nutzungszusammenhang des archivalischen Materials wichtig, sondern ebenso die Beziehungen zu den Akteuren, die nicht einmal unmittelbar an der Entstehung der Unterlagen beteiligt waren, eben der Inhaftierten und Opfer anderer Verfolgungsmaßnahmen. In unserem Metadatenmodell nimmt der Bereich der Akteure also einen herausragenden Platz ein.

Ich habe bereits im vergangenen Jahr auf unserem Treffen in Auschwitz erläutert, wie Information über Personen, die wir aus den Dokumenten bereits exzerpiert vorliegen haben, in Normdatensätze zusammenfließen können, die prinzipiell mit anderen Archiven austauschbar sind.

MATCHING DATA

Ähnliche Ziele wurden damals im EHRI-Projekt verfolgt. Die in unserem Kreis seit Jahren immer wieder aufscheinende Problematik der eindeutigen Identifizierbarkeit ein- und derselben Personen in unterschiedlichen Ihrer Datenbanken vereitelte dann aber doch die Umsetzung in die einrichtungsübergreifende Praxis, so dass es auch heute noch ein Desiderat ist, Instrumente zu bekommen, die die Identifikation von Personen über die eigenen Archivbestände hinaus in quantitativ hinreichendem Umfang eindeutig möglich machen.

Vielleicht hilft es weiter, und bitte verstehen Sie das nicht anders als eine Anregung zum Experiment, wenn sich die Erschließung nicht nur auf die Eigenschaften der Personen, sondern verstärkt auch auf die Qualität ihrer Beziehungen zu ihrer Umwelt, das heißt zu anderen beschreibungsfähigen Objekten und Objektgruppen, konzentrieren würde.

CIDOC CRM SCHEMA

Ich möchte hierzu auf die so genannten objektorientierten konzeptuellen Referenzmodelle (object-oriented Conceptual Reference Model – CRM) hinweisen, die als Metadatenschemata die Art und Weise der Erschließung, sprich: die Metadatenmodelle der Archivare, beeinflussen können. Angewandt werden solche Modelle derzeit bereits bei den Museen unter der Bezeichnung CIDOC CRM oder im Kulturgutportal Europeana unter dem Namen „Europeana Data Model“ (EDM). Solche Referenzmodelle bestehen aus Ontologien, die durch eine vorgegebene, aber erweiterbare Anzahl von Klassen und Eigenschaften beschrieben werden. Auf die archivische Erschließung abgestimmte Kataloge solcher Klassen und Eigenschaften sind mir bislang nicht bekannt. Sie müssten erarbeitet werden, was gerade auf Ihrem Arbeitsgebiet auch projektbezogen vielversprechend sein könnte. Konzeptuelle Referenzmodelle zielen also auf die Beschreibung von Beziehungen zwischen Objekten ab. Die Fokussierung dieser Beziehungen als Gegenstände der Beschreibung im Rahmen der archivischen Erschließung birgt die Chance, spätere Suchvorgänge von Nutzern auf der Qualität von Beziehungsformen basieren zu lassen und damit die Brücken, die zwischen den Objekten bestehen, nicht minder als die Objekte selbst zu beachten und als kurze Wege zum angestrebten Rechercheziel effizient zu nutzen: CRM bilden die Grundlage für Recherchen nach den Prinzipien des Semantic Web.

CIDOC/CRM MEDIATOR

Solche relationsbasierten Modelle haben eine strukturelle Affinität zu den Datenmodellen relationaler Datenbanken. Die Frage liegt demnach nahe, ob möglicherweise in Ihren Datenbanken bereits vorhandene Beziehungsdefinitionen schon jetzt in ein exportfähiges und in unterschiedlicher Umgebung einfach nachnutzbares Format gebracht werden könnten, das eine auf Information über Relationen basierende Suche erlaubt, ich denke an EAD-XML. Das wäre ein gewichtiger Schritt hin zur Auswertbarkeit solcher Daten im Rahmen eines relationalen bzw. eines Referenzmodells. Ein Conceptual Reference Model stellt eben gerade nicht den Anspruch, in einer Datenbank ein homogenes Metadatensystem zusammenzuführen. Vielmehr ist es geeignet, beliebig viele unterschiedliche Metadatensysteme zu durchsuchen und die Kodierungen in die Semantik des eigenen Metadatenschemas zu überführen und auf dieser Basis das Resultat des Suchvorgangs zu präsentieren. Demnach liegen Findbücher in EAD oder Personenbeschreibungen in EAC jeweils in einem dieser möglichen Vorlage-Metadatensysteme vor und können in eine CRM-basierte Suche einbezogen werden.

WORKING PORTALS

Als EAD-XML Files können Sie Ihre Daten bereits jetzt in das Archivportal Europa einspeisen. Von dort ist die Übernahme ins CRM-basierte Kulturgutportal Europeana quasi per Mausklick möglich. Die Nutzung relationaler Modelle kann gegebenenfalls künftig ein Weg sein, doch noch die Datenbanken der Gedenkstätten in einer Weise übergreifend recherchierbar zu machen, die die eindeutige Identifikation derselben Personen in verschiedenen Datenbanken leichter möglich macht als es bisher der Fall war.

Ich komme zur Ausgangsfrage zurück und fasse die Antwort wie folgt zusammen:

Die Erschließung sollte sich mindestens auf die Objektgruppen Archivgut sowie Schriftguterzeuger und andere im Zusammenhang mit der Archivgutentstehung als bedeutend angesehene Akteure erstrecken. Dafür sollte man sich an den Profilen des Archivportals Europa für die Standards EAD und EAC orientieren. Für die Nutzung objektorientierter konzeptueller Referenzmodelle fehlen derzeit noch auf die Bedürfnisse der Gedenkstättenarchive zugeschnittene Modelldefinitionen.

4. Was ist relationale Erschließung und welche Folgen hat sie für den Nutzer?

Ich habe nun einiges über die Umwandlung von vorliegenden Erschließungsdaten in relationale Modelle gesagt. Abschließend erlauben Sie mir noch einige Worte dazu, wie relationale Erschließungsdaten neu erfasst werden können und welche Veränderung sich für den Nutzer ergibt. Dafür nehme ich die Antwort auf die Eingangsfrage vorweg:

Relationale Erschließung basiert auf dem Zusammenspiel von Beziehungen zwischen zu beschreibenden Objekten. Sie kann mittels eines verlinkten Systems von Normdatensätzen (Authority Files), mittels Facettenklassifikationen oder mittels der Einbindung objektorientierter konzeptueller Referenzmodelle erfolgen. Bei der relationalen Erschließung gibt es keine fixen Klassifikationen oder Hierarchien, vielmehr lassen sich solche nach ausgewählten Kriterien on demand temporär generieren. Für den Nutzer heißt das, dass er seine eigenen, qualitativ hochstehenden Findmittel nach seinem Bedarf auf der Grundlage der Metadaten der beschriebenen Objekte und Relationen selbst erzeugen kann.

Relationale Erschließung knüpft an die Beziehungen an, die die zu beschreibenden Objekte, also beispielsweise das Archivgut, zu anderen Objekten haben. Relationale Erschließung basiert darauf, Beziehungsgemeinschaften zu kennzeichnen. In der Erschließungspraxis könnte die Relationsbeschreibung etwa durch Indizierung erfolgen. Sowohl die äußere Abgrenzung der Bestände als auch die innere Ordnung eines Bestands wird auf der Grundlage solcher Indizierungen hergestellt. Wir bewegen uns im conceptual fonds. Wir beschreiben Dokumente und Akten als Abfolgen von Digitalisaten und als virtuelle Einheiten, deren Elemente sich beliebig oft wiederholen dürfen und bei denen es keine Rolle spielt, ob ihre physischen Vorlagen in derselben Abgrenzung existieren oder nicht. Die gesamte Information, die man bisher in Gliederungen abbildete, wäre dann in den Indizierungen, also in den Metadaten der indizierten Objekte, enthalten.

Die neue Erschließungssituation wirkt sich auf die Nutzung aus.

USER-GENERATED COLLECTIONS

Erst bei Bedarf wird die auf die Inhalte und Strukturen der in den Indizierungen vorliegenden Metadaten gerichtete Sortierfunktion vom Archivar oder vom Nutzer aktiviert. Nach Vorgaben dazu, welche Indzierungswerte in welcher Hierarchie zur Bildung einer gegliederten Struktur für ein temporär benötigtes Findmittel zugrunde gelegt werden sollen, erfolgt eine automatische Sortierung und generiert ein Findbuch on demand. Der Nutzer, der die für ihn wichtigen Eigenschaften auswählt, generiert den Bestand, der durch die Gemeinsamkeit der ausgewählten Beziehungen definiert wird und sich im nutzergenerierten Findbuch spiegelt. Darüber hinaus muss dieses System gerade in Ihrem Metier auch die Erschließungsinformation beinhalten, die sich nicht auf das Archivgut selbst bezieht, sondern auf die Akteure, Orte und sonstigen relevanten Größen, die mit dem Archivgut verbunden sind oder über die es informiert. Dafür sind geeignete Verlinkungen zwischen Archivgutbeschreibungen und beispielsweise Personenbeschreibungen einzufügen.

Hier sind nun sind die Softwareentwickler angesprochen, in Kooparation mit uns die benötigten Instrumente herzustellen.

[1] Weinberger, Das Ende der Schublade, S. 210.

[2] Archives without borders/Archivos sin fronteras, proceedings of the international congress in The Hague, August 30 – 31, 2010 / ed. Hildo van Engen et al. – Berchem, Vlaamse Vereniging voor Bibliotheek-, Archief- en Documentatiewezen, Sectie Archieven, [2012]

[3] http://www.its-arolsen.org/fileadmin/user_upload/Dateien/Archivtagung/Horsman_text.pdf

[4] Vgl. hierzu u.a.: Peter Horsman, The Last Dance of the Phoenix or The De-Discovery of the Archival Fonds. In: Archivaria 54 (2002), und: Geoffrey Yeo, The Conceptual Fonds and the Physical Collection. In: Archivaria 73 (2011).

[5] Geoffrey Yeo, Bringing Things Together: Aggregate Records in a Digital Age. In: Archivaria 74 (2012).

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/932

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Objekt des Monats / object of the month: October 2013

Gefäß in Form einer sitzenden weiblichen Figur Iran, vermutlich aus der Stadt Kaschan, um 1200 Höhe: 35,4 cm / Breite: 23,2 cm / Tiefe: 12,4 cm Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. I. 2622 Das im monumentalen Stil bemalte Gefäß ist … Continue reading

Quelle: http://jameel.hypotheses.org/233

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Vnterschiedliche Wunderwerck

Eine Flugschrift aus dem Jahr 1626, wie sie in diesen Jahren und Jahrzehnten durchaus üblich ist. Eine Sammlung von Nachrichten ganz unterschiedlicher Art, vor allem aber über politische und militärische Ereignisse: Vorneweg die neuesten Entwicklungen vom oberösterreichischen Bauernaufstand, dann militärische Ereignisse in der Grafschaft Mark, wo spanische Truppen operierten, Aktionen der holländischen Flotte vor der flandrischen Küste, weitere Neuigkeiten von Tilly und dem dänischen König, aber auch aus dem Veltlin, aus Piemont, Turin, Mailand, Venedig und vom französischen Hof.

Dazwischen notiert diese Flugschrift allerdings auch eine Reihe von Merkwürdigkeiten, die sich an verschiedenen Orten ereignet haben: Ausführlich wird die Wunderheilung einer Magd beschrieben, die jahrelang von Hexen geplagt wurde und gelähmt war; erwähnt wird weiterhin eine Pferdeschwemme, die sich in Blut verwandelt habe, berichtet wird aber auch von schönen weißen Rosen, die man auf Apfelbäumen gefunden hat, während man andernorts Birnbäume fand, die zwar schon haselnußgroße Früchte trugen, und dennoch erneut zu blühen anfingen. Der Passus endet mit den Worten: „was alles diß bedeuten wird / haben wir zu erwarten / GOtt der Allmächtige wende es zum besten / vnd beschere vns den lieben Frieden / vmb JEsu Christi willen / Amen.“

Es gab sicher ein Bedürfnis nach Informationen aus der Welt des Politischen; was an den Höfen und in den Feldlagern passierte, wollte man schon erfahren. Doch was sollte man sich für einen Reim auf diese „Wunderwerck“ machen? Letztlich herrschte eine große und wachsende Verunsicherung, die sich auch mit Endzeiterwartungen verknüpfen konnte. Daß die Welt aus dem Lot geriet, schien nicht zuletzt an den die Alltagserfahrungen übersteigenden Ereignissen deutlich zu werden, die immer wieder zu beobachten waren. Oftmals wurden diese Anomalien sehr eindeutig als Warnhinweise gewertet, daß göttliche Strafen für die Sündhaftigkeit der Welt drohten. Eine solche moralische Wendung wurde in dieser Flugschrift nicht vollzogen, dafür erschienen die Zeichen offenbar nicht eindeutig genug. Aber unbestritten schien, daß man allein von Gott Rettung und Frieden erwarten könne.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/334

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nianhao 年號 – kaiserliche Regierungsdevisen

Für die zeitliche Orientierung in der (Kultur-) Geschichte Chinas spielen die nianhao 年號 (aus der Vielfalt älterer und neuerer Übersetzungen seien hier nur Regierungsdevise, Regierungstitel, Jahrestitel oder Ärenbezeichnung genannt) der Kaiser eine große Rolle, symbolisieren sie doch den “Anspruch des Kaisers auf die Regulierung der Zeit.”[1]

Für knapp anderthalb Jahrtausende – vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gründung der Ming-Dynastie im Jahr 1368 musste sich ein “Neubeginn” nicht unmittelbar an der Thronbesteigung eines neuen Herrschers orientieren. Der Wechsel der Regierungsdevise während der Herrschaft eines Kaisers konnte so den “Anbruch einer neuen Zeit”[2] symbolisieren. Wolfgang Bauer meinte, dass die Einführung dieser nianhao “aufs engste mit diesem ängstlichen Ausschauhalten nach der Bestätigung der eigenen Handlungen durch Äußerungen der Natur in Zusammenhang steht.”[3]

Da nach 1368 jeder Kaiser für die Dauer seiner Herrschaft nur eine solche nianhao annahm, werden diese “Regierungsdevisen” vor allem für die Geschichte der letzten beiden kaiserlichen Dynastien – Ming (1368-1644) und Qing (1644-1911) in der “westlichen” Literatur auf eine Weise verwendet, die den irrigen Schluss nahelegt, es könnte sich dabei um den Namen des Kaisers handeln.

Dass man schon mit der Auswahl der nianhao der Herrschaft des neuen Kaisers ein Programm geben wollte, soll im folgenden am Beispiel der den Kaisern der Qing beigelegten Devisen illustriert werden[4]:

  • 1644-1661 Shunzhi 順治 (“[dem Himmel] folgsame Regierung”)
  • 1662-1722 Kangxi 康熙 (“Gesunder Weltfrieden”)
  • 1723-1735 Yongzheng 雍正 (“Harmonische Geradheit”)
  • 1736-1795 Qianlong 乾隆 (“Durch den Himmel Unterstützter”)
  • 1796-1820 Jiaqing 嘉慶 (“Vielversprechendes Heil”)
  • 1821-1850 Daoguang 道光 (“Leuchten des dao [Weg, Vernunft]“)
  • 1851-1861 Xianfeng 咸豐 (“Ganze Fülle”)
  • 1862-1874 Tongzhi 同治 (“Vollkommene Ordnung”)
  • 1875-1908 Guangxu 光緒 (“Wachsende Herrschaft”)
  • 1909-1911 Xuantong 宣統 (“Klare Grundsätze”)
  1. Thomas O. Höllmann: Das alte China. Eine Kulturgeschichte (München 2008) 156.
  2. Ebd.
  3. Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück (München 1989 [1974]), 113.
  4. Vgl. Evelyn S. Rawski: The Last Emperors. A Social History of Qing Imperial Institutions (Berkeley/Los Angeles/London 1998) 303 (Appendix One: Names of Qing Emperors and the Imperial Ancestors), Gertraude Roth Li: Manchu. A textbook for reading documents (Honolulu 2000) 376. Renate Eikelmann (Hg.): Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte. 400 Jahre China und Bayern (München 2009) 538 (Tabelle mit den nianhao in chinesischer, mandschurischer, mongolischer und tibetischer Fassung sowie weiteren Literaturangaben). – Zur Genealogie der Qing-Dynastie vgl. Erich Hauer, Das Mandschurische Kaiserhaus, sein Name, seine Herkunft und sein Stammbaum. In: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen, I. Abt., Bd. 29 (1926) 1-39; Qingshigao 清史稿 [Entwurf einer Geschichte der Qing-Dynastie], Ausgabe: Zhonghua shuju (Beijing 1976); Bd. 17 und Bd. 18 [= biao 表, juan 1-7:  huangzi shibiao 皇子史表, juan 1-7], sowie die Quellen- und Literaturangaben bei Rawski, Last Emperors (1998) S. 315 Anm. 69, 334 Anm. 58.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/852

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Hirngespinst Willensfreiheit? Wie die Neurowissenschaften unser Menschenbild beeinflussen

WebBildDie Willensfreiheit als Möglichkeit, sich zwischen Handlungsoptionen entscheiden zu können, bildet einen wichtigen Ausgangspunkt in unserem Denken über den Menschen – einige Neurowissenschaftler ziehen die Existenz eines freien Willens jedoch in Zweifel. Da alle Gehirnleistungen auf neurochemischen Vorgängen beruhen, ist dies mit einer autonomen geistigen Willensbildung schwer vereinbar. Zugespitzt formuliert würde ein Verbrecher, bei dem bestimmte Hirnprozesse anders ablaufen, entsprechend seiner genetischen Disposition handeln und wäre für dieses Handeln moralisch nicht verantwortlich. Ist der freie Wille also nur eine Illusion? Unsere am 26. November 2013 im Gartensaaal des Hotel Baseler Hof (Esplanade 15) in Hamburg um 19 Uhr stattfindende Podiumsdiskussion thematisiert eben diese und weitere Fragen.

Wenn die Beschaffenheit des Gehirns den Menschen von selbstbestimmten Entscheidungen freispricht, wirft dies Fragen auf, denen sich auch die geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu stellen haben.

Eine Infragestellung der Willensfreiheit hat zudem konkrete Auswirkungen auf die Schuldfrage in der Rechtsprechung. Schuldfähigkeit erfordert ein Mindestmaß an Selbstbestimmung und die Einsicht in das eigene Handeln. Fehlt diese Vorbedingung, bedeutet dies zumeist Maßregelvollzug oder Sicherungsverwahrung. Auf neuromedizinischem Weg in bestimmte Verhaltensweisen einzugreifen und damit verhütend auf Wiederholungstäter einzuwirken, ist möglich. Ob sich solche Maßnahmen vor dem Hintergrund ethischer und moralischer Maßstäbe aber anwenden lassen, erscheint fraglich. Kritiker befürchten einen Rückfall in Zeiten, in denen die Kriminologie mit der Medizin eine unheilige Allianz einging und Menschen mit bestimmten anatomischen Merkmalen eine Neigung zur Straffälligkeit unterstellt wurde.

Muss unser Verständnis von Moral, Ethik und Schuld neu definiert werden? Welche Rolle spielen die Neurowissenschaften in unserer Kultur und Gesellschaft? Sind sie zu einer modernen Leitwissenschaft geworden? Welche Lehren können wir aus der historischen Entwicklung der Strafjustiz ziehen? Bedarf es einer Reform des Strafrechts auf der Grundlage neurologischer Befunde? Dürfen Auffälligkeiten präventiv korrigiert werden?

Zu einer Diskussion dieser und weiterer Fragen laden wir Sie herzlich in den Gartensaal des Hotel Basler Hof in Hamburg ein. „Geisteswissenschaft im Dialog“ ist eine gemeinsame Veranstaltung der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften, der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Es diskutieren mit Ihnen:

Prof. Dr. John-Dylan Haynes
Bernstein Center der Charité Berlin
Zur Person / Statement

Prof. Dr. Reinhard Merkel
Fakultät für Rechtswissenschaft
Universität Hamburg
Zur Person / Statement

Prof. Dr. Reinhard Werth
Medizinische Fakultät
Ludwig-Maximilians-Universität München
Zur Person / Statement

Dr. Richard Wetzell
Deutsches Historisches Institut Washington D. C.
Zur Person / Statement

Moderation: Martina Kothe
Norddeutscher Rundfunk
Zur Person

Veranstaltungsort:
Hotel Baseler Hof
Gartensaal
Eingang Esplanade 15
20354 Hamburg

Bitte melden Sie sich bis zum 21. Novemer an.
Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr.

Hier der Programmflyer zum Download

Quelle: http://gid.hypotheses.org/928

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