Tweets und Gedanken zur Tagung “Im Netz der sozialen Medien”

Trotz Temperaturen über 35 Grad fanden am 27/28. Juni knapp 70 Zuhörerinnen und Zuhörer ihren Weg ins Deutsche Historische Institut Paris zur Tagung „Im Netz der sozialen Medien: Neue Publikations- und Kommunikationswege in den Geisteswissenschaften“. Auf dem Programm standen zwölf Vorträge von deutschen und französischen Wissenschaftler/innen, die Best-practice-Beispiele vorstellten und Auswirkungen der sozialen Netze auf Wissenschaft und Lehre analysierten.

Äußerst vielfältig waren dabei die thematisierten Punkte, die durchaus kontrovers diskutiert wurden. Fünf in Vorträgen und Diskussionen wiederkehrende Themenbereiche sollen hier kurz vorgestellt werden, wobei es sich natürlich um eine subjektive Auswahl handelt. Wer sich noch im Nachhinein ein eigenes Bild machen möchte, kann sich die 588 Tweets zur Tagung durchlesen, die in der hier angehängten Excel-Tabelle extrahiert wurden. tweets_dhiha3. Die Vorträge werden außerdem in Kürze an dieser Stelle als Podcasts und Filme veröffentlicht.

1. Vielfalt und Bedeutung der sozialen Medien

Die Tagung machte zunächst die große Vielfalt des bestehenden Angebotes an sozialen Medien deutlich. Die Vorstellung bestehender Projekte, zumal in einem internationalen Rahmen, war eine gute Möglichkeit, sich dem Phänomen zu nähern. Auch wenn der erste Hype vorbei ist, entstehen weiterhin neue Sites, Werkzeuge und Applikationen, von denen Google +, das am folgenden Tag an den Start ging, nur das prominenteste Beispiel ist.

Soziale Netze stellen in der Wissenschaft verschiedene Services, wie z.B. die Vorstellung der Person des Wissenschaftlers, Kommunikation und Vernetzung, das Teilen von bibliographischen Referenzen und multimediale Anwendungen. Als wichtiges Element für ihre Bedeutung wurde die Größe der einzelnen Communities ausgemacht. Parallel zur Teilnehmerzahl steigt auch die Produktivität der sozialen Netze. Diese sind erst dann wirklich funktional, wenn genügend Personen teilnehmen, so René König, der aufgrund der Krankheit von Michael Nentwich den einleitenden Vortrag zu Social Network Sites alleine übernahm [Prezi-Präsentation http://t.co/kfGfPko].

Demgegenüber steht jedoch der gegenwärtiger Trend, lokale Netze, wie z.B. in einzelnen Universitäten aufzubauen. Diese ermöglichen den Studierenden, wie Sophie Mahéo am Beispiel von Carnets2Descartes zeigte, ein Ausprobieren in relativ geschützten Räumen [http://carnets.parisdescartes.fr/].

Zwei widersprüchliche Strömungen bei den Befürwortern der sozialen Medien machte Pierre Mounier derzeit aus: Der utilitaristischen Haltung mancher Wissenschaftler, die z.B. auf die erhöhte Visibilität der Forschung hinweisen, stellte er die anti-utilitaristische oder idealistische Haltung derjenigen gegenüber, die das gemeinsame Arbeiten an Projekten und das Teilen von Informationen im Sinne einer reinen Wissenschaft hervorheben.

Dem Argument, dass die Qualität der Angebote nicht immer gewährleistet sei, wurde entgegengehalten, dass auch trotz des Fetisches „peer-review“ in solcherart kontrollierten Organen nicht immer nur Herausragendes publiziert werde. Ein Wissenschaftler ohne Blog jedenfalls, so machte Klaus Graf deutlich, ist kein guter Wissenschaftler. Und bei guter Wissenschaft ist es letztlich egal, wo sie erscheint [Vortrag von Klaus Graf: http://archiv.twoday.net/stories/29751181/].

Darüber hinaus wurde deutlich, dass man die sozialen Medien nicht mit Ansprüchen überfrachten darf. Den Vorwurf der Unübersichtlichkeit oder auch der Mehrkanalität könnte man im analogen Bereich so mancher wissenschaftlicher Publikationsszene ebenfalls machen.

2. Wissenschaftskultur 2.0: Kultur des Fragments (Klaus Graf) und Kultur des Teilens (André Gunthert)

Soziale Netze verändern unsere Wissenschaftskultur in mindestens zweierlei Hinsicht: Sie laden zum einen zur Fragementierung ein, indem eher „Wissenshäppchen“ präsentiert und nur einzelne Aspekte eines Beitrags kommentiert werden. Dies kann kritisiert werden, ist aber vielleicht einfach nur ein Schritt zurück zum Genre der Miszellen des 19. Jahrhunderts, die in den sozialen Netzen eine zweite Blüte erleben können. Klaus Graf sprach in diesem Zusammenhang von einer “Kultur des Fragments”, die in der Wissenschaft ihren berechtigten Platz habe. Die meisten wissenschaftlichen Publikationen sind wahre Monster, so Gloria Orrigi, zu groß, zu steif, mit zu viel Redundanz. Statt die Publikation als eine große Einheit zu sehen, sollte man die Einheiten multiplizieren, in einen Prozess der flüssigen Publikation kommen, die Fragmentierung wieder einführen [http://liquidpub.org/].

Soziale Medien erlauben darüber hinaus, andere am Entstehungsprozess einer Arbeit teilhaben zu lassen, indem man mit der Publikation von Teilergebnissen schon sehr viel früher in einen Dialog mit der Fachcommunity tritt. Ein Feedback gibt es daher nicht erst, wenn es vermeintlich für Korrekturen und Anregungen zu spät ist, d.h. nach der Veröffentlichung eines Artikels in einer Fachzeitschrift, sondern während des Forschungsprozesses selbst.

Eine ganz neue Art von Wissenschaftskultur entsteht außerdem durch das in den Geschichtswissenschaften nicht eben verbreitete Freigeben seiner Quellen und das gemeinsame Bearbeiten größerer Datenmengen. Eine Kultur des Teilens, des kollaborativen, verteilten wissenschaftlichen Arbeitens müsse erst noch entstehen, so André Gunthert, sonst können auch die Werkzeuge der sozialen Medien nicht sinnvoll eingesetzt werden [von ihm vorgestellt: http://culturevisuelle.org]. Patrick Danowski, der anhand von LibraryThing zeigte, was Bibliotheken noch lernen müssen, plädierte dafür, den Workflow vom Nutzer her zu denken, um Crowdsourcing-Projekte erfolgreich zu gestalten.

3. Das Individuum im sozialen Netz und seine Beziehung zu den Institutionen

Thematisiert wurden die Fragen nach dem Profil der User im Netz und nach ihrer spezifischen Identität, die sich von Plattform zu Plattform, von Anwendung zu Anwendung durchaus verschieden gestalten kann.

Festgestellt wurde auch, dass ein Defizit in der Ausbildung der Studierenden und Wissenschaftler besteht. Digital natives sind demnach nur ein Mythos, denn die Häufigkeit der Nutzung sozialer Medien verrät noch nichts über die tatsächliche Kompetenz in ihrer Anwendung. Zentral ist darüber hinaus die Frage der Anerkennung des Engagements in den sozialen Medien, und zwar sowohl als Studienleistung als auch bei Berufungs- und Einstellungsverfahren. Regelmäßig in einem Blog mit 50 oder 500 Abonnenten wissenschaftliche Beiträge zu publizieren, ist eine Leistung, die entsprechend honoriert gehört.

In ein Spannungsverhältnis gerät die Beziehung des Einzelnen zu den Institutionen, wenn es um soziale Medien geht. Die Institutionen unterstützen oftmals neue avantgardistische Projekte zu wenig, so Antoine Blanchard. Junge Wissenschaftler beginnen daher in den Gebieten der Institutionen zu wildern und bottom up ihre eigenen Ideen umzusetzen. Auch wenn diese teilweise durch Partnerschaften mit Institutionen hinterher gleichsam wieder eingefangen werden, verschieben sich hier doch Innovationsprozesse [zum Mindmap: http://t.co/LsY2Dtt].

4. Werkzeuge und ihre Bewertung

Viele soziale Medien sind der Versuch, reale Beziehungen auf die Internetwelt zu übertragen. Die dabei angebotenen Werkzeuge werden jedoch als steif und einengend beschrieben. Von einer Plattform mit Zwängen sprach Milad Doueihi, mit dem Hinweis, dass man bei Twitter z.B. nur 140 Zeichen schreiben kann. Aufgrund der spezifischen Visualisierung etabliert sich derzeit eine Kultur des Indexes, eine Kultur der Listen. Auch eine Verschiebung von Links zu Like ist laut Geert Lovink zu beobachten.

Ein dynamischer Umgang der User mit den Applikationen ist jedoch auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit wahrscheinlich. Peter Haber wies darauf hin, dass sich z.B. Facebook aktuell von einem Werkzeug der Beziehungspflege, als das es eigentlich gedacht war, hin zu einem Werkzeug der Information wandelt. Zu beobachten ist außerdem eine Diversifizierung der Angebote, so ermöglichen z.B. einige Sites ein privates Blogging, bei dem Beiträge nur für ausgewählte Nutzer sichtbar sind.

Von der Möglichkeit, Beiträge oder auch Rezensionen im Netz zu kommentieren, wird derzeit nur wenig Gebrauch gemacht. Dabei scheint es auch keinen Unterschied zu machen, ob Plattformen moderiert sind (wie bei recensio.net, vorgestellt von Lilian Landes) oder Kommentare frei zugelassen werden (wie bei PhotosNormandie, vorgestellt von Patrick Peccatte http://www.flickr.com/photos/photosnormandie/). Unerwünschte Kommentare, so hieß es pragmatisch, werden einfach gelöscht.

5. Kritik und Ausblick

Geert Lovink forderte in seinem einleitenden Vortrag eine größere Reflektion über unser Tun im Netz und mehr Forschung über unsere gegenwärtige Internetkultur. Er bemängelte das bestehende Theoriedefizit [Lovinks neues Buch: "Networks without a cause", erscheint im Frühjahr 2012, http://t.co/rFsMMjc]. Ist multitasking möglich? Überfordern uns das ständige Online-Sein, die Beschleunigung der Kommunikation? Sind soziale Medien Zeitfresser? Und existiert elearning überhaupt, oder ist nicht alles humain learning (Marko Demantowsky), lassen sich die meisten elearning Angebote doch auf ein digitales Bereitstellen von Seminarlektüre und Aufgaben reduzieren?

Auch wenn die Antworten auf diese Frage zwischen entschiedener Netzkritik und überzeugter Sympathie für die sozialen Medien schwankten, war zu bemerken, dass eine Ent-Emotionalisierung im Umgang mit den sozialen Medien eingesetzt hat. Die notwendige Reflektion über unsere Internetkultur, darüber, was in den sozialen Netzen wirklich passiert, die Etablierung eines Metadiskurses hat begonnen und wird sich in den nächsten Jahren durch weitere Studien sicherlich fortsetzen. Allerdings könnte es sein, so Peter Haber, dass sich der Trend dann schon weg von den sozialen Medien hin zu Collaboratories, Data-Driven-History, und Visual History bewegt hat.

Tweets und Gedanken zur Tagung « Dans la toile des médias sociaux / Im Netz der sozialen Medien », 27-28 Juni 2011 : Programm

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/284

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Eröffnung durch Geert Lovink: Kulturpolitik der sozialen Medien – von der Kritik zu Alternativen

Geert Lovink

Die Tagung “Im Netz der sozialen Medien: neue Kommunikations- und Publikationswege in den Geisteswissenschaften” wird heute, am 27. Juni 2011 um 18h00 mit einem Vortrag von Geert Lovink, dem Direktor des Institut of Network Cultures à Amsterdam eröffnet. Geert Lovink spricht über “Kulturpolitik der sozialen Medien – von der Kritik zu Alternativen ” .
Präsentation des Vortrags

Anstatt die Verletzung der Privatsphäre im Netz oder derzeitige Firmenmonopole zu beklagen, sollte die Netcommunity stärker die sogenannten sozialen Medien in den Mittelpunkt der Diskussion rücken und diese erforschen, kritisieren, benutzen und wenn nötig auch wieder verlassen. Die Softwarealternativen für Facebook und Twitter sind in Vorbereitung. Dabei geht es nicht bloß um Konkurrenz. Was ansteht, ist eine neue Generation sozialer Medien, die nicht länger zentral gesteuert, sondern dezentral von den Akteuren selbst installiert und bestimmt werden können.

Geert Lovink
Geert Lovink, d’origine australo-néerlandais, est théoricien et critque de média. Il est directeur fondateur de l’Institut of Network Cultures à Amsterdam (2004). Titulaire d’un PhD de  l’université de Melbourne, il a travaillé en 2003 au Centre for Critical and Cultural Studies, université de Queensland. En 2004, il a obtenu une assignation de Research Professor au Hogeschool van Amsterdam et Associate Professor à l’université d’Amsterdam. En 2005/06, il a tenu le grade de fellow au Wissenschaftskolleg à Berlin.

Veröffentlichungen u.a.
Zero Comments.
Blogging and Critical Internet Culture, London and New York: Routledge, 2007.
Dawn of the Organized Networks (avec N. Rossiter) , in: Fibreculture Journal 5 2005.
Dark Fiber,
Cambridge Mass.: MIT Press, 2002.
Uncanny Networks,
Cambridge Mass.: MIT Press, 2002.

Liens / Links
Geert’s weblog: www.networkcultures.org/geert
Geert Lovink sur Wikipedia.de: http://de.wikipedia.org/wiki/Geert_Lovink
Institute of Network Cultures http://networkcultures.org/wpmu/portal/

Complements
Programme du colloque “Dans la toile des médias sociaux”

Posté dans : DH3

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/33

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Das universitäre soziale Netz Carnets2 Descartes von Sophie Mahéo

Sophie Mahéo

Sophie Mahéo

Das universitäre soziale Netz Carnets2 Descartes: Veröffentlichung, Gruppendynamik und studentisches Engagement

Carnets2 Descartes bietet Studierenden und anderen Akteuren von Paris Descartes ein soziales Netz an. Dieses ist in das digitale Umfeld der Arbeit der Universität eingebunden und besitzt gleichzeitig einen externen Zugang (http://carnets.parisdescartes.fr). Das Netz Carnets2 entsteht aus der Produktion persönlicher oder kollektiver Inhalte, die verschiedene Themenbereichen behandeln. Im Lesemodus zeigt es sich den Webnutzern als partizipatives Journal, das die denkende und handelnde Universitätscommunity präsentiert. Die Beteiligung wird über verschiedene Web 2.0- Formen (Artikel, Termine, Favoriten) organisiert, der Publikationskontext wird von jedem selbst gewählt.

Die “Ich” von Paris Descartes engagieren sich somit für ein Schreiben über sich (die Autoren sind verantwortlich für ihre Inhalte, auch wenn die Plattform moderiert wird), und bringen damit die Kompetenzen der Akteure der Universität zur Geltung. Für die Universität geht es darum, eine digitale Ausbildung anzubieten: Ausbildung zur Veröffentlichung und des Verwaltens seiner digitalen Identität, Umsetzen der Überlegungen aus der Schulung von C2I in die Praxis.

Mein Beitrag soll zeigen, wie diese Veröffentlichung zu einem Zugehörigkeitsgefühl der Studierenden zu ihrer Uni beiträgt.

Kurzbiografie

Seit 2006 ist Sophie Mahéo Community manager und verantwortlich für die Publikationsstrategie von Carnets2, dem sozialen Netz der Universität Paris Descartes.
Im Rahmen der IT-Fortbildungen, für die sie verantwortlich ist, organisiert sie die Schulungen neuer Online-Werkzeuge der Universität und des Web 2.0.
Sie ist außerdem Gründungsmitglied der französischsprachigen Community Elgg (die freie Software, die für Carnets2 verwendet wird) und beteiligt sich an der Animation derselben seit 2009.

Intervention dans le cadre du colloque « Dans la toile des médias sociaux / Im Netz der sozialen Medien », 27-28 juin 2011 : inscription et programme

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/214

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Social Network Sites – ein Trend für die Wissenschaft? von Michael Nentwich und René König

Spätestens seitdem Facebook die Schwelle von 500 Millionen Mitgliedern erreicht hat und diesem Phänomen ein Hollywood-Blockbuster gewidmet wurde, sind Social Network Sites (SNS) zu einem viel diskutierten Phänomen geworden. Die mannigfaltigen und einfachen Möglichkeiten der Vernetzung und Kommunikation schüren gleichsam Hoffnungen wie Ängste: Unternehmen feiern die neuen Vermarktungschancen und BürgerrechtlerInnen das demokratisierende Potenzial; DatenschutzrechtlerInnen  weisen auf Privatsphärenkonflikte hin und PädagogInnen und KulturkritkerInnen warnen vor diversen unerwünschten Nebenfolgen. Demgegenüber ist das Potenzial von SNS für den Wissenschaftsbetrieb bislang noch wenig debattiert worden. Dieser Beitrag widmet sich dieser Lücke und skizziert mögliche akademische Einsatzgebiete und die damit verbundenen Chancen und Probleme. Dabei wird sowohl auf allgemeine SNS wie Facebook eingegangen, als auch auf wissenschaftsspezifische SNS, die sich in den letzten Jahren ebenfalls zunehmend verbreiten.

Michael Nentwich

Michael Nentwich

Michael Nentwich, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien http://eiop.or.at/mn

 

 

 

 

 

René König

René König

 

René König, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) http://renekoenig.eu

 

 

 

 

Links

Wissenschaft und Social Network Sites http://epub.oeaw.ac.at/ita/ita-projektberichte/d2-2a52-5.pdf

Intervention dans le cadre du colloque “Dans la toile des médias sociaux / Im Netz der sozialen Medien”, 27-28 juin 2011 : inscription et programme

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/102

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