Die zehn moralischen Verpflichtungen

Im allgemeinen wird die Ausformulierung der im kaiserzeitlichen China geltenden grundlegenden Normen für zwischenmenschliche Beziehungen dem Konfuzius zugeschrieben. Die fünf gesellschaftlichen Beziehungen (wulun 五論) basieren auf strengen Hierarchien, beruhen aber auf Gegenseitigkeit, wodurch sich insgesamt “zehn moralische Verpflichtungen” (shiyi 十義) ergeben.

In seiner Übersetzung des Liji 禮記 (“Buch der Sitte”) formulierte es Richard Wilhelm:

“Fünf Wege gibt es auf Erden, die immer gangbar sind, und die darauf wandeln sind von dreierlei Art. Sie heißen Fürst und Diener, Vater und Sohn, Gatte und Gattin, älterer und jüngerer Bruder und der Verkehr der Freunde: diese fünf sind die immer gangbaren Wege auf Erden.”[1]

Zur Wechselseitigkeit dieser Beziehungen heißt es dort:

“Was verlangt das sittliche Verhalten des Menschen? Daß der Vater gütig sei und der Sohn ehrerbietig, der ältere Bruder nachsichtig und der jüngere sich unterordne, der Gatte treu sei und die Gattin gehorsam, das Alter freundlich und die Jugend fügsam, der Fürst milde und der Diener ergeben: diese zehn Verhaltensweisen sind die Menschenpflichten.”[2]

 Diese zehn moralischen Verpflichtungen in diesen fünf Beziehungen werden wie folgt zusammengefasst:

  • Wohlwollen des Herrschers und Loyalität des Staatsdieners zum Fürsten (junren chenzhong 君仁臣忠)
  • Väterliche Sanftmut und kindliche Pietät (fuci zixiao 父慈子孝)
  • Freundlichkeit und Respekt zwischen älterem und jüngerem Bruder (xiongyou digong 兄友弟恭)
  • Harmonische Beziehungen zwischen den Eheleuten (fuchang fusui 夫唱婦隨)
  • Großzügigkeit der Älteren und Unterordnung der Jüngeren (changhui youshun 長惠幼順)

Unter diesen “zehn moralischen Verpflichtungen” werden – abgesehen vom Verhältnis zwischen Fürst und Staatsdiener – in Darstellungen zur Kulturgeschichte Chinas wohl vor allem zwei Aspekte betont: Neben der kindlichen Pietät – die schließlich in den von Guo Jujing 郭居敬 zur Zeit der Yuan-Dynastie (1260-1368) verfassten “24 Beispielen der Kindespietät” (ershisi xiao 二十四孝) ihren literarischen Ausdruck fand [3] – ist es vor allem die untergeordnete Stellung der Frau im kaiserzeitlichen China, durch die die oben erwähnte “Harmonie” zwischen den Eheleuten “sichergestellt” werden sollte.

 

  1. Li Gi. Das Buch der Sitte des älteren und jüngeren Dai. Aufzeichnungen über Kultur und Religion des Alten China. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm (Jena 1930) 11.
  2. Zitiert nach Walter Böttger: Kultur im Alten China (Leipzig: Urania, 1977) 160.
  3. Vgl. Weimin Mo, Wenju Shen: “The Twenty-Four Paragons of Filial Piety: Their Didactic Role and Impact on Children’s Lives” Children’s Literature Association Quarterly 24,1 (1999) 15-23 und auch http://www.ruf.rice.edu/~asia/24ParagonsFilialPiety.html

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/439

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Kulturgeschichte Chinas im Netz (I)

Angeregt durch den Überblick von Mind the gap(s) über die China-Blogosphäre (Teil 1, Teil 2) erscheint es sinnvoll, mit einem kommentierten Überblick über Webseiten zu beginnen, die sich der Kulturgeschichte Chinas im weitesten Sinne widmen.

Unter der Leitung von Patricia Buckley Ebrey (University of Washington) entstand “A Visual Sourcebook of Chinese Civilization”. Eine Zeittafel liefert nicht nur einen Überblick über die wichtigsten Dynastien des kaiserlichen China sondern bietet auch dreizehn Karten, die die territoriale Entwicklung Chinas vom Neolithikum bis in die Gegenwart veranschaulichen. Das Themenspektrum reicht von Gräbern aus der chinesischen Antike, über Buddhismus, Kalligraphie und Malerei bis hin zu Gartenkunst, Wohnkultur, Kleidung und der Entwicklung der graphischen Künste in der chinesischen Moderne.

An eine breite Leserschaft – vom Wissenschaftler bis zum interessierten Laien – wendet sich Ulrich Theobald (Tübingen) mit Chinaknowledge – a universal guide for China studies – laut Kurzpräsentation auf der Startseite geht es ihm darum, für jene Bereiche der Geschichte und Kultur Chinas Informationen anzubieten, die anderswo nur ungenügend behandelt werden. Bei der Aufbereitung der einzelnen Themen stützt er sich beinahe ausschließlich auf wissenschaftliche Publikationen in chinesischer Sprache. Die Schwerpunkte liegen auf Kunst, Literatur, Geschichte, Religionen, Musik, Sprache und Schrift.

Eine wahre Fundgrube für Fragen rund um Geschichte, Gesellschaft und das kulturelle Erbe Chinas ist das 2005 gegründete und bis 2007 unter dem Titel China Heritage Newsletter publizierte E-Journal China Heritage Quarterly, das von Geremie R. Barmé (Australian National University) herausgegeben wird[1]. Der Bogen der Beiträge spannt sich vom 80. Jahrestag der Gründung des Palastmuseums in Beijing (Nr. 4, Dezember 2005) oder dem islamischen Erbe Chinas (Nr. 5, März 2006) und den Bemühungen um die Instandhaltung der Chinesischen Mauer (Nr. 6, Juni 2006) bis hin zur kulturgeschichtlichen Bedeutung des West-Sees (Xihu 西湖) bei Hangzhou (Nr. 28, Dezember 2011).

Eine sehr nützliche Linkliste zu chinesischer Kunst und Kultur ist in den “Museums and Exhibitions” sowie “Research + Reference” gewidmeten Abschnitten des Arts of China Consortium (früher: Chinese and Japanese Art History WWW Virtual Library) zu finden.

Der ebenfalls unter dem Dach der WWW Virtual Library 1995 online gegangene Internet Guide for Chinese Studies wurde zuletzt im Juni 2009 (!) aktualisiert. Für eine weitere Beschäftigung mit Aspekten der Kulturgeschichte Chinas interessant erscheinen die in Abschnitten B (“Philosophy/Religion”), C/D (“History”), L (“Education”, vor allem “History of Education”), M (Music), N (“Fine Arts”, von Architektur über Malerei und Kalligraphie bis hin zu Jade und Einrichtungsgegenständen) gesammtelten Links.

  1. Vgl. “Behind the Scenes” http://www.chinaheritagequarterly.org/behind.php?issue=030

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/426

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Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult

Das Opfergelände des Himmels (Tiantan 天壇), in westlichen Darstellungen in der Regel vereinfachend und irreführend als “Altar des Himmels”/”Himmelsaltar” beziehungsweise “Himmelstempel” bezeichnet, war der Ort, an dem zwei der wichtigsten Rituale des Staatskultes des kaiserlichen China vollzogen wurden. Dieser Staatskult läßt sich auf vorkonfuzianische Traditionen zurückführen und wurde – durch die Integration vielfältiger Elemente – “Ausdruck jener konfuzianischen Staatsdoktrin, die den Staat zugleich ethisch und kosmologisch legitimierte.”[1].

Die Rituale am Opfergelände des Himmels zählten zu den “großen Opfern”, die in der Regel vom Kaiser persönlich vollzogen wurden. Neben “großen Opfern” (da si 大祀), gab es “mittlere Opfer” (zhong si 中祀) und “Sammelopfer” (qun si 羣祀 ) beziehungsweise “kleine Opfer” (xiao si 小祀).[2]

Plan du Tien-tang ou temple dedié à Chang-ti ou souverain seigneur du ciel / [tirée du P. Duhalde]

Plan du Tien-tang ou temple dedié à Chang-ti ou souverain seigneur du ciel / [tirée du P. Duhalde] | Quelle: gallica

Das Opfergelände des Himmels – durch eine Mauer in zwei gleich große Teile geteilt – wurde zur Zeit der Ming-Dynastie im 9. Jahr der Ära Jiajing 嘉靖 (i.e. 1530) angelegt. Die wohl ausführlichste Beschreibung aus “westlicher” Sicht lieferte der aus den Niederlanden stammende Sinologe J.J.M. de Groot (1854-1921), der im späten 19. Jahrhundert die Opfergelände in Beijing besuchte [3].

Drei Punkte auf dem Opfergelände sollen hier  erwähnt werden:

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing - Foto: Georg Lehner

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Auf dem im südlichen Bereich gelegenen Runden Hügel (Huanqiu 圜丘) opferte der Kaiser nicht nur zur Wintersonnenwende (dongzhi 冬至) sondern brachte auch im vierten Mondmonat das Gebet um Regen (yu si 雩祀) dar.

In der im nördlichen Bereich gelegenen “Halle des Erntegebets” (Qiniandian 祈年殿) bat er im ersten Mondmonat um eine gute Jahresernte.[4]

Huangqiongyu ("Erhabenes Gewölbe"), Opfergelände des Himmels, Beijing - Foto: Georg Lehner

Huangqiongyu (“Erhabenes Gewölbe”), Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Zwischen den den Nord- und den Südteil dominierenden Punkten lag das Huangqiongyu 皇穹宇, in Übersetzungen meist “Erhabenes Gewölbe” oder “Kaiserliches Himmelsgewölbe” genannt. Darin wurde

“der allerheiligste Fetisch des ganzen Kultes aufbewahrt [...] der ‘Seelensitz’ (shenwei) des Himmelsgottes. Es handelte sich um eine hölzerne Tafel auf einem viereckigen Sockel, in welche die Schriftzeichen huangtian shangdi, ‘erhabener Himmel, oberster Kaiser’, eingeschnitzt waren. Sie stand im nördlichen Teil des Tempelraumes in einem mit Drachenschnitzerei geschmückten Schrein genau in der Nord-Süd-Achse des Tempels mit der Front nach Süden, links und rechts flankiert von den Seelentafeln der verstorbenen Kaiser des herrschenden Hauses.”[5]

 

Mit dem Ende des Kaiserreiches war auch der Staatskult obsolet geworden. Ein letzter Versuch zur neuerlichen Etablierung der Riten am Opfergelände des Himmels wurde schließlich knapp drei Jahre nach dem Ende des Kaiserreiches unternommen. unternommen. Yuan Shikai (1859-1916), Präsident der Republik China, plante, sich zum Kaiser einer neuen Dynastie zu machen und vollzog am 23. Dezember 1914 die zur Wintersonnenwende üblichen Riten am “Opfergelände des Himmels”[6]. Ab 1918 wurde das Gelände als Park öffentlich zugänglich gemacht und 1998 wurde es auf die Weltkulturerbeliste der UNESCO gesetzt[7].

 

  1. Brunhild Staiger, Stefan Friedrich, Hans-Wilm Schütte (Hg.): Das große China-Lexikon. Geschichte – Geographie – Gesellschaft – Politik – Wirtschaft – Bildung – Wissenschaft – Kultur (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003) Sp. 714 (“Staatskult”, Martin Kern)
  2. Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Goldener Drache – Weißer Adler. Kunst im Dienste der Macht am Kaiserhof von China und am sächsisch-polnischen Hof 1644-1795 (München: Hirmer, 2008) 570 (“Zeremonien”, Liang Ke).  Vgl. auch die detaillierte Auflistung der am Ende der Kaiserzeit üblichen Opfer bei H.S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China (Shanghai: Kelly & Walsh, 1911) 202-207 (no. 572)
  3. J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin: Reimer 1918) 141-155, zum Kult ebd., 155-186. Daran orientiert sich auch die Darstellung bei Frank Fiedeler: Yin und Yang. Das kosmische Grundmuster in den Kulturformen Chinas (Köln: DuMont, 1993) 68-75 (“Die Opferstätte des Himmels”)
  4. Vgl. Brunnert/Hagelstrom: Present Day Political Organization, 203
  5. Fiedeler: Yin und Yang, 70
  6. Dieter Kuhn: Die Republik China. Entwurf für eine politische Ereignisgeschichte. 3., überarb. u. erw. Aufl., Heidelberg: edition forum 2007), 143 und 148.
  7. Vgl. http://whc.unesco.org/en/list/881

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/399

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Legenden vom “alten Meister” – die Anfänge des Daoismus

Das Wirken des als historische Person nicht fassbaren “alten Meisters” – im Chinesischen Laozi (bzw. Lao Zi) 老子, im Westen meist Lao Tse oder “Lao-tse” geschrieben – ist ähnlich legendenumwoben wie die Anfänge und die Überlieferung der ihm zugeschriebenen Lehre, des philosophischen Daoismus (daojia 道家).

Über die hinter der Bezeichnung “alter Meister” möglicherweise stehende Person schrieb Wolfgang Bauer in seiner Geschichte der chinesischen Philosophie:

“Hinter diesem unverbindlichen Namen [...] kann sich natürlich jede beliebige Persönlichkeit verstecken. Durch das Epitheton ‘alter’ wurde aber von vornherein der Anspruch erhoben, daß er der eigentliche Urvater des Daoismus sein sollte. Wer immer dieser Laozi gewesen ist (falls bei ihm überhaupt ein historischer Kern existiert) – ein solcher Urvater und der Verfasser des Daoismus kann er nicht gewesen sein.”1

Erst in späterer Zeit wurde dem Laozi die Autorschaft des Daodejing 道德經 (“Buch vom Weg und von der Wirkkraft”) zugeschrieben.  Der Überlieferung zufolge habe ihn seine Mutter “zweiundsiebzig Jahre lang unter dem Herzen [getragen] und ihn dann aus der linken Achselhöhle geboren”2  Nach dem von Sima Qian 司馬遷 (145-86 v. Chr.) verfassten Shiji 史記 (“Aufzeichnungen des Hofschreibers”) soll Laozi ein älterer Zeitgenosse des Konfuzius gewesen sein. Sein Familienname soll Li 李 gewesen, sein Vorname Dan 聃. Zur möglichen Identität der historisch nicht fassbaren Figur gibt es mehrere Theorien3.

Die Ikonographie zeigt Laozi häufig auf einem Wasserbüffel (beziehungsweise einem Ochsen) reitend und spielt damit auf sein “Verschwinden” an. Der Überlieferung nach soll er als Archivar am Hof der Zhou 周 tätig gewesen sein. Angesichts der weitverbreiteten Korruption und der schwindenden Macht der Zhou soll er den Untergang des Reiches vorhergesehen haben und aus Enttäuschung darüber nach Westen geritten sein. Am  Hangu-Paß 函谷關 (in der heutigen Provinz Henan) habe er für den dortigen Grenzwächter seine Lehren niedergeschrieben.4. Dieses bekannte Motiv regte Bertolt Brecht zu seiner “Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration” an.5

  1. Wolfgang Bauer: Geschichte der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus. Herausgegeben von Hans van Ess (München 2001) 89.
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der alten Chinesen (München: 5. Aufl., 1996) 173 f (“Lao-tse”), Zitat ebd., 174.
  3. Stanford Encyclopedia of Philosophy, Art. “Laozi. 1. The Laozi Story”, Alan Chan, (http://plato.stanford.edu/entries/laozi/#LaoSto)
  4. Patricia Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 170 (“Old, bewhiskered male in simple robes riding an ox”). – Vgl. auch Eberhard: Symbole, 174.
  5. Vgl. Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse (Göttingen 2008), 11-13. Zu Brechts Text und zu dessen vom britischen Brecht-Experten John Willett (1917-2002) stammender englischer Übertragung vgl. auch http://www.tao-te-king.org/brecht.htm

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/380

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Die Einheit der “drei Lehren”

Die auch für die Kulturgeschichte Chinas bestimmenden Systeme der Welt- und Wirklichkeitsdeutung – Daoismus (daojiao 道教) , Konfuzianismus (rujiao 儒教) und Buddhismus (fojiao 佛教) – werden im Chinesischen als die “drei Lehren” (sanjiao 三教) [1] bezeichnet. Die wechselseitigen Beeinflussungen und die damit in jeder dieser Lehren einhergehenden Transformationsprozesse führten schließlich zur Ansicht, dass alle drei Lehren auf eine einzige Quelle (sanjiao yiyuan 三教一源) zurückzuführen wären. [2] Diesem geflügelten Wort begegnet man auch in der Form sanjiao yijia 三教一家, das – je nach Interpretation des Schriftzeichens jia 家 – sowohl im Sinne von “Drei Lehren – eine Familie” als auch im Sinne von “Drei Lehren – ein Haus(halt)” zu verstehen ist. [3]

Die “Einheit” der drei Lehren wurde auch in Kunst und Literatur wiederholt dargestellt, so zum Beispiel in der Geschichte “Die drei Lachenden vom Tigerfluss” (Huxi sanxiao 虎溪三笑). Die drei Protagonisten der seit der Tang-Zeit (618-906) tradierten und vor allem während der Song-Zeit populär gewordenen Geschichte sind der Dichter Tao Yuanming 陶淵明 (365-427), der daoistische Philosoph und Magier Lu Xiujing 陸修靜 (406-477) und der buddhistische Mönch Huiyuan 慧遠 (334-416) – schon die Lebensdaten zeigen, dass es sich dabei um eine fiktive Begebenheit handelt – die allerdings wiederholt von der bildenden Kunst wiederholt aufgegriffen wurde [4]. in ihrem Kern stellt die Geschichte ein chinesisches Pendant zur Lessing’schen Ringparabel dar:

“Huiyuan hatte sich in ein Kloster zurückgezogen und gelobt dieses nie zu verlassen, um die Welt der Begierden zu meiden. Eines Tages besuchten ihn Lu Xiujing und Tao Yuanming. Als er die beiden hinausbegleitete, überschritt er, ohne es zu merken, die Brücke über den Tigerfluss. Plötzlich brüllte ein Tiger und Huiyuan wurde sich schlagartig bewusst, dass er sein Gelübde gebrochen hatte. Die drei Freunde brachen jedoch in heftiges Gelächter aus, weil sie sich einig waren, dass künstlich auferlegte Schranken und feierliche Gelübde angesichts der Macht geistiger Freiheit und Reinheit nichtig sind.” [5]

Die Interpretation der Theorie von der Einheit der drei Lehren hing natürlich vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab und hier vor allem die Frage, “ob die Vereinigung der drei Lehren unter dem Primat des Konfuzianismus, des Daoismus oder des Buddhismus stattfand” [6]

 

[1] Vgl. dazu “Sanjiao: The Three Teachings”. Living in the Chinese Cosmos. Understanding Religion in Late-Imperial China (1644-1911). Asia for Educators, Columbia University (Faculty Consultants: Myron L. Cohen, Stephen F. Teiser). [nach oben]

[2] Vgl. Lionel Jensen: Manufacturing Confucianism. Chinese Traditions and Universal Civilization (Durham/London 1997) 296. [nach oben]

[3] Elmar Holenstein: Vergleichende Kulturphilosophie. Chinesische Bilder, japanische Beispiele, schweizerische Verhältnisse (Wiedergabe nach dem Preprint in Forschungstexte der Professur für Philosophie an der ETH Zürich 4 – 1993. [PDF (2007), S. 5] [nach oben]

[4] Vgl. etwa ein auf das Jahr 1616 datiertes Fächerblatt im Museum für Ostasiatische Kunst (Köln), Inv.Nr. A 55/51 (Bildindex der Kunst und Architektur, http://www.bildindex.de/obj05720257.html#|home) [nach oben]

[5] Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hg.): Goldener Drache – Weißer Adler. Kunst im Dienste der Macht am Kaiserhof von China und am sächsisch-polnischen Hof (1644-1795) (München 2008) 451 (“Religion”, Eva Ströber). [nach oben]

[6] Volker Olles: Der Berg des Lao Zi in der Provinz Sichuan und die 24 Diözesen der daoistischen Religion (Asien- und Afrikastudien der Humboldt-Universität zu Berlin 24; Wiesbaden 2005) 148. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/329

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (V): die Mitte

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten, (III) der Süden und (IV) der Westen.

Zum Abschluss dieser Serie folgt die letzte der “fünf Himmelsrichtungen” (wu fang 五方) , nämlich die Mitte (zhong 中). Das Schriftzeichen “stellt eine von einem Pfeil in die Mitte getroffene Zielscheibe dar und bedeutet als Verb ‘in die Mitte treffen’.” [1]

Im Westen hat die Bezeichnung Chinas als “Reich der Mitte” das Ende des Kaiserreiches (1911/1912) überdauert (vgl. “Middle Kingdom”, “Empire du Milieu”, “Regno di Mezzo”, etc.) – so unrichtig diese Übersetzungen – historisch betrachtet – auch sein mögen: Ursprünglich stand der Begriff (Zhongguo 中國) für die “mittleren Staaten”, die Region entlang des Gelben Flusses (Huanghe 黃河),die von den vier Barbaren – den di 狄 im Norden, den yi 夷 im Osten, den man 蠻 im Süden und den rong 戎 im Westen umgeben war. [2] Seine Herausbildung im modernen Sinne erlebte der Begriff Zhongguo mit der Qing-Dynastie (1644-1912), die ihn auf das gesamte unter ihrer Herrschaft stehende Gebiet bezog. Neben dem chinesischen Kernland (Zhongguo benbu 中國本部, im Deutschen meist als “das eigentliche China” oder das “China der 18 Provinzen” und im Englischen als “China proper” bezeichnet) fielen auch das Herkunftsgebiet der ethnisch mandschurischen Dynastie sowie die Gebiete der Mongolen darunter. Chinesische Gelehrte des 19. Jahrhunderte beschränkten den Begriff auf die oben erwähnten 18 Provinzen. [3]

Derartige Zentrumsvorstellungen fanden sich jedoch keineswegs ausschließlich in China. Von Kulturen, die das Zentrum der Welt in ihrem Bereich vermuteten und bisweilen auch durch eine entsprechende Symbolik repräsentierten, sind neben den altorientalischen Reichen (Babylonier, Perser) und den Kulturen des klassischen Altertums auch indische und präkolumbische Kulturen zu erwähnen [4]. Allein in China dürfte dieses Konzept schließlich auch für den Landesnamen gebraucht worden sein. [5]  Der Umstand dass man in China entsprechende Vorstellungen hatte, hatte spätestens im 18. Jahrhundert Eingang ins europäische Allgemeinwissen gefunden. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Vorstellungen über die Gestalt der Erde liest man in der Deutschen Encyclopädie:

“Aus diesen irrigen Vorstellungen folgten andere, z. B. daß man sich eine Stadt, eine Gegend, als die Mitte der Oberfläche der Erde dachte, dergleichen sich die Griechen von Delphi, welches daher ὀμφαλός, orbis umbilicus hies, die Juden von Jerusalem und noch heutzutage die Chinesen von Peking einbilden.” [6]

Nachdem Beijing erst im 15. Jahrhundert zur Hauptstadt des Reiches wurde, hatte man in der chinesischen Antike – zur Zeit der Han-Dynastie (3. Jh. v.- 3. Jh. n. Chr.) oder auch schon früher – das “Zentrum der Welt” (dizhong 地中) weiter südlich – etwa 80 Kilometer nordwestlich der damaligen Hauptstadt Luoyang 洛陽 (in der heutigen Provinz Henan) lokalisiert. Dieses “Zentrum der Welt” lag beim Songshan 嵩山, der traditionell als “heiliger Berg der Mitte” bezeichnet wurde.  [7] Die dortigen historischen Stätten wurden im Jahr 2010 auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gesetzt. [8]

[1] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 195 (“Mitte”). [nach oben]

[2] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise, Bd. 2, S. 248 (Nr. 2719, ‘中國’). [nach oben]

[3] Vgl. dazu Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 421 f. [nach oben]

[4] Manfred Lurker: Wörterbuch der Symbolik (Stuttgart, 5. Aufl. 1991) 852 f. (“Zentrumssymbolik”). Vgl. auch Alvin P. Cohen: Introduction to Research in Chinese Source Materials (New Haven: Yale University Press, 2000) 537. Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass. 2000) 132 (Box 2: Zhongguo 中國). – Zur Zentrumssymbolik im alten Orient vgl. die Hinweise bei Friedhelm Hartenstein: “Kosmologische Implikationen des biblischen Monotheismus” In: Christoph Markschies, Johannes Zachhuber (Hg.): Die Welt als Bild. Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern  (Berlin 2008) 22 Anm. 22. [nach oben]

[5] Wilkinson: Chinese History, 132. [nach oben]

[6] Deutsche Encyclopädie, Bd. 8 (Frankfurt 1782) S. 691 (“Erde”). [nach oben]

[7] Cohen: Introduction, 537. [nach oben]

[8] “Historic Monuments of Dengfeng in “The Centre of Heaven and Earth” (http://whc.unesco.org/en/list/1305). [nach oben]

 

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/323

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2500 Jahre in 90 Minuten? “Kulturgeschichte Chinas” in einer Ringvorlesung

Im Rahmen der am Institut für Geschichte der Universität Wien in jedem Sommersemester anzubietenden Kulturgeschichte-Ringvorlesung  werden sich diesmal – und über das Semester verteilt – mehrere Vorträge mit den Kulturen Asiens beschäftigen. In der Vorlesungseinheit am 19.3. stand die Kulturgeschichte Chinas auf dem Programm.

Dass man sich bei einem weiten Feld wie der Kulturgeschichte und bei der räumlichen Ausdehnung Chinas auf einen beziehungsweise auf einige wenige Aspekte beschränken muss, liegt auf der Hand. Bei der Durchsicht meiner bisher für die in Arbeit befindliche “Einführung in die Kulturgeschichte Chinas” gesammelten Notizen und Textfragmente fiel meine Wahl auf die Bedeutung der “drei Lehren” (san jiao 三教) – Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus – für die kulturellen Entwicklungen in China.

Nach einleitenden Hinweisen zum Kulturbegriff im Chinesischen war die erste Hälfte der Vorlesung einer Kurzpräsentation der Geschichte der “drei Lehren” gewidmet. Für jede der drei Lehren wurde der jeweilige chinesische Begriff erläutert und kurz auf die Geschichte der im Westen dafür gebräuchlichen Bezeichnungen hingewiesen.

Im Zusammenhang mit dem Konfuzianismus folgte auf Bemerkungen zu Leben und Wirken des Konfuzius ein Abriss der durchaus wechselvollen Geschichte der auf ihn zurückgeführten Lehren – begleitet von Kartenmaterial und einigen Fotos aus dem Kongmiao 孔廟 (Konfuzius-Tempel) in Beijing. Als exemplarisch für das “konfuzianische” Denken wurden einige sozialethische Anschauungen vorgestellt: neben den “fünf Grundbeziehungen” (wulun 五論) vor allem die “drei Gehorsamspflichten” (sancong 三從; gegenüber Vater, Ehemann beziehungsweise Sohn) und “vier Tugenden” (side 四德; Keuschheit, angemessene Sprache, “richtiges” Betragen und Fleiß)  die die untergeordnete Stellung der Frau im traditionellen China besonders deutlich machen.

Bei der Geschichte des Daoismus wurde der weite Bogen vom “philosophischen” Daoismus (daojia 道家) – wie er mit der historisch nicht belegten Figur des Laozi 老子 und dem Daodejing 道德經 (“Buch vom Weg und von der Wirkkraft”) verbunden wird (im “Westen” gemeinhin unter den Schreibungen Lao-tse beziehungsweise Tao-te-king “bekannter”) – bis zum “religiösen” Daoismus (daojiao 道教) mit seinen daoistischen “Meistern” (daoshi 道士), seiner Bedeutung für die Entwicklung der Alchemie und der Entstehung eines Netzes von Tempeln (guan 觀) – die Geschichte der daoistischen Tempel wurde am Beispiel des Baiyun guan 白雲觀 (“Tempel der Weißen Wolke”) in Beijing skizziert, der auch das Jahrzehnt der “Kulturrevolution” (1966-1976) unbeschadet überstanden hat.

Die Entwicklung des Buddhismus und seiner Verbreitung nach Südost- und Ostasien wurde anhand entsprechender Karten und Graphiken erläutert. Die legendenumwobenen Anfänge des Buddhismus in China im 1. nachchristlichen Jahrhundert – zwei Mönche, die auf weißen Pferden die ersten Sutren aus Indien gebracht hatten – kamen ebenso zur Sprache wie die ausgedehnten Reisen chinesischer buddhistischer Mönche nach Indien. Diese oft als “Pilgerreisen” bezeichneten Unternehmungen dienten primär dem Sammeln weiterer buddhistischer Texte. Der berühmteste dieser Indienreisenden war Xuanzang 玄奘, der im zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts auf seinen knapp siebzehn Jahre dauernden Reisen insgesamt 25000 Kilometer zurückgelegt haben soll. Die weitere Entwicklung des Buddhismus – nach der Buddhistenverfolgung der 840er Jahre – wurde dann vor allem anhand der Bedeutung, die dem Lamaismus vor allem in der Qing-Dynastie (1644-1912) beigemessen wurde, dargestellt.

Im zweiten Teil der Vorlesung illustrierte ich die Bedeutung der “Drei Lehren” an den Bereichen “Herrschaft”, “Bildung” und “Kunst” (wie sich bei der Vorbereitung zeigte, musste auf den ursprünglich ebenfalls geplante Bereich “Festkultur” aus Zeitgründen verzichtet werden).

Beginnend mit den streng ritualisierten Abläufen der offiziellen Etikette (Einhaltung detaillierter Vorschriften bei kaiserlichen Audienzen) wurden Rolle und Funktion des Kaisers von China vor allem am Beispiel des so genannten “Staatskultwesens” skizziert (illustriert unter anderem mit dem Rundhügel, der dreistufigen Terrasse am Tiantan 天壇 (Opfergelände des Himmels) in Beijing).

In Anlehnung an den dem Konfuzius zugeschriebenen Ausspruch “Etwas lernen und sich immer wieder darin üben – schafft das nicht auch Befriedigung?” wurde die Bedeutung von Bildung und Literatur am Beispiel des Systems der Beamtenprüfungen gezeigt. In diesem Zusammenhang durfte auch der Hinweis auf die von den Kaisern unternommenen Bemühungen zur Herausgabe umfassender Enzyklopädien und Anthologien – und der damit einhergehenden Zensurmaßnahmen – nicht fehlen.

Um die Bedeutung der “drei Lehren” für die Geschichte der chinesischen Kunst zu veranschaulichen, wurde neben Beispielen für buddhistische Statuen auch kurz auf die Malerei eingegangen: zum einen auf die aufgrund ihres Detailreichtums kulturgeschichtlich überaus wertvolle Bildrolle Qingming shanghe tu 清明上河圖 (“Flussaufwärts beim Qingming-Fest”, von Zhang Zeduan 張擇端, 12. Jh.), die die vielen Facetten des Lebens in einer Metropole im frühen 12. Jahrhunderts zeigt, zum anderen auf ein Werk des Bada Shanren 八大山人 (17. Jh.), der den größten Teil seines Lebens dem Wein, der Kalligraphie und der Malerei gewidmet hatte.

 

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/313

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (IV): der Westen

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten und (III) der Süden)

Das Schriftzeichen xi 西 (Westen) zeigt einen Vogel, der sich am Abend – wenn die Sonne im Westen steht – in seinem Nest niedergelassen hat. Nach traditionellen Vorstellungen korrespondiert der Westen mit dem Planeten Venus, mit der Farbe Weiß, mit dem Herbst, mit der Lunge und mit der Wandlungsphase Metall. [1]

Nicht nur der Osten sondern auch – und im noch stärkeren Maße – der Westen galten seit dem Altertum als die “klassischen Himmelsrichtungen für das Paradies” [2].

Im Westen vermutete man den Sitz der Xiwangmu 西王母, der “Königlichen Mutter des Westens”. Der Begriff leitete sich ursprünglich von einem Ortsnamen ab und erhielt schließlich – nicht zuletzt durch das für die Transkription verwendete Zeichen  mu 母 (Mutter) die später geläufige Bedeutung. Wie Fracasso einleitend schreibt, haben wenige Figuren des chinesischen Pantheon so viel Aufmerksamkeit erhalten wie Xiwangmu [3]. Als Sitz der “Königlichen Mutter des Westens” galt das Kunlun 崑崙-Gebirge. Wurde die Göttin zunächst in den düstersten Farben geschildert, so wandelte sich ihr Äußeres in späteren Texten und in der Ikonographie grundlegend. Nach Ferdinand Lessing zeigen bildliche Darstellungen “eine vornehme chinesische Dame [...] deren Erscheinung die Mitte hält zwischen mädchenhafter Zartheit und der Fülle der Matrone.” [4] Anläßlich ihres Geburtstages, den sie – so die Vorstellungen – am 3. Tag des 3. Monats des chinesischen Mondkalenders feiert, lädt sie Götter und Unsterbliche ein, um diesen die nur alle paar tausend Jahre reif werdenden “Pfirsiche der Unsterblichkeit” (pantao 蟠桃) aufwarten zu lassen. [5]

Die mit dem Westen verknüpften Paradiesvorstellungen wurden mit der Verbreitung des Buddhismus in China weiter verstärkt. Die Jingtu 淨土-Schule (“Schule des Reinen Landes”) des Buddhismus verehrte besonders den Buddha Amitābha, der das “Reine Land”, das im Westen gelegene Paradies, regiert. Einige weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Buddhismus geprägt worden waren, enthielten das Schriftzeichen xi 西 (Westen): Indien wurde mit Xiguo 西國 (Land im Westen) und Sanskrit mit Xiyu 西語 (Sprache des Westens) wiedergegeben. [6]

Ab dem 10. Jahrhundert wurden die Meere Südostasiens mit dem Begriff Xiyang 西洋(“Westlicher Ozean”) bezeichnet. Für die bedeutenden maritimen Expeditionen des Zheng He 鄭和 in den Indischen Ozean wurde ebenfalls der Ausdruck xia Xiyang 下西洋, “den westlichen Ozean befahren”) gebraucht. Schon kurz nach ihrem Erscheinen an den Küsten Chinas zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden schließlich die Europäer unter anderem auch als Xiyang ren 西洋人 (“Menschen vom westlichen Ozean”) bezeichnet. Im frühen 17. Jahrhundert prägten die Jesuitenmissionare und deren chinesische Mitarbeiter den Ausdruck Da Xiyang 大西洋 (“Großer Westlicher Ozean”), der fortan für den Atlantik stand. [7]

 

[1] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise Bd. 2, S. 940 (Nr. 4080). [nach oben]

[2] Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück, 142. [nach oben]

[3] Ricardo Fracasso: “Holy Mothers of Ancient China. A New Approach to the Hsi-wang-mu Problem.” In: T’oung Pao 74 (1988) 1-46. – Vgl. auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 203 f. (“Xi Wangmu”). [nach oben]

[4] Zitiert nach Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 136-138 (“Hsi-wang-mu”). [nach oben]

[5] Welch: Art, 204. [nach oben]

[6] Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 729. [nach oben]

[7] Wilkinson: Chinese History, 729 f. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/184

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (III): der Süden

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden und (II) der Osten)

Das Schriftzeichen nan 南 (“Süden”) zeigt ein Gebiet mit üppiger Vegetation. [1] Traditionell ordnete man dem Süden das Element (die Wandlungsphase) Feuer – einer der Namen des Feuergottes lautete Nanfangjun 南方君 (“Herr der südlichen Gegenden”) [2] – und die Farbe Rot zu (erst im 20. Jahrhundert wurde der Osten “rot”). Von den Planeten war dem Süden der Mars zugeordnet, von den Jahreszeiten der Sommer und von den inneren Organen das Herz. [3]

Mit dem Süden, der nach chinesischen Vorstellungen mit dem Leben assoziiert wird, ist traditionell auch der Gott der Langlebigkeit (Shouxing 壽星), eine Gestirnsgottheit, verknüpft: Dieser residiert in einem Palast im Süden, in dessen Garten auch das Kraut der Unsterblichkeit wachsen soll:

“Daher die Auffassung, daß, wenn ‘der Alte des Südscheffels’ [nanji laoren 南極老人] erscheine, im Reich der Mitte Frieden herrsche. Man opfert ihm, um langes Leben und damit zusammenhängend Gesundheit und Glück zu erlangen.” [4]

Rituellen Vorschriften entsprechend saß der Kaiser bei Audienzen mit dem Gesicht nach Süden gewandt, empfing so die positive Energie (yang) und somit “gleichsam als einziger die Ausstrahlung des Himmels aus der Richtung, wo die Sonne am hellsten scheint.” [5]

Zur Zeit der Yuan-Dynastie (1260/1279-1368) war nanren 南人 (“Menschen aus dem Süden”) die Bezeichnung der untersten der vier offiziellen Kategorien der BevölkerungAls nanren wurden all jene Bewohner Chinas bezeichnet, die bis 1279 im Herrschaftsbereich der Südlichen Song-Dynastie gelebt hatten. Die alternative Bezeichnung manzi 蠻子 lebte auch im Begriff Mangi beziehungsweise Manzi fort, den Marco Polo für Südchina verwendete. [6]
Ein Hinweis auf den Süden ist auch im chinesischen Ausdruck für Kompass enthalten. Der chinesische Ausdruck für Kompass lautet zhinan 指南 (bzw. zhinanzhen 指南針 , d.i. Kompassnadel), bedeutet wörtlich “der nach Süden weisende” beziehungsweise “Südweiser” und im übertragenen Sinn “Handbuch”. [7]

 

[1] Robert Morrison: A Dictionary of the Chinese Language. In Three Parts. Part II. Vol. I (Macao 1819), 608: “The region of heat and luxuriant vegetation. The region which contains and cherishes plants and living creatures.” [nach oben]

[2] Vgl. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art (2008) 162 (“God of Fire”). [nach oben]

[3] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise, Bd. 4, S. 559 (Nr. 8080). [nach oben]

[4] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München: Diederichs, 5. Aufl., 1996) 171 f. (“Langlebigkeit, Gott der”). [nach oben]

[5] Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt (1985) 67. [nach oben]

[6] Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford: Stanford University Press, 1985) 339 (Nr. 4099). [nach oben]

[7] Herbert A. Giles: A Chinese-English Dictionary (Shanghai: Kelly & Walsh, 2. Aufl. 1912) 1007 (Nr. 8128). [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/182

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (II): der Osten

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden)

Das chinesische Schriftzeichen für Osten (dong 東) zeigt eine Sonne, die hinter einem Baum aufgeht. Analog dazu steht im Schriftzeichen gao 杲 (d. i. hell, strahlend, grell) die Sonne über dem Baum und im Zeichen yao 杳 (d. i. “weit entfernt sein, ohne eine Spur hinterlassen zu haben”, verschwinden) die Sonne unter dem Baum. Nach traditioneller Auffassung korrespondierte der Osten mit dem Frühling, mit dem Planeten Jupiter, mit der Farbe blaugrün (qing 青), mit der Wandlungsphase/dem Element “Holz” und mit dem Körperorgan Leber. [1] Zudem galt der Osten bzw. die linke Seite “als Platz des Fürsten; daher ist sie auch – und mit ihr der Osten – die geehrte Seite.” [2]

In alten  Vorstellungen wurden vor der Ostküste die “Inseln der Seligen” vermutet. Nach Wolfgang Bauer könnten die Namen dieser drei Inseln – Penglai 蓬萊 (“Wucherndes Unkraut”), Fangzhang 方丈 (“Vierecksklafter”) und Yingzhou 瀛洲 (“Weltmeerkontinent”) – “ursprünglich ganz gewöhnliche Ortsnamen gewesen sein, obgleich alle drei jeweils ein Zeichen enthalten, das an Übernatürliches denken läßt” [3] Auf der Suche nach einem Elixier der Unsterblichkeit sandte der Erste Kaiser (reg. 221-210 v. Chr.) den Magier Xu Fu 徐福 (Xu Shi 徐市) mit einer Expedition zur Erkundung dieser Inseln aus. [4]


Donghuamen 東華門 (Östliches Blütentor), Kaiserpalast, Beijing – Foto: Georg Lehner

Der Leichnam des verstorbenen Herrschers wurde durch das Donghuamen 東華門 (“Östliches Blütentor”), das Tor  an der Ostseite des Palastareals, aus dem Kaiserpalast gebracht [5].

[1] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise VI 342 (no. 11836). Die Etymologie des Zeichens dong (Osten) wurde wiederholt besprochen, in einem “westlichen” Nachschlagewerk wohl zuerst bei Robert Morrison: A Dictionary of the Chinese Language. In Three Parts. Part II. Vol. I (Macao 1819), S. 950. [nach oben]

[2] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996), 178 (“Links und Rechts”). [nach oben]

[3] Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück. Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in der Geistesgeschichte Chinas (München: 2. Aufl., 1989 [1. Aufl. 1974]) 144. [nach oben]

[4] Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 743. [nach oben]

[5] Wilkinson: Chinese History, 825. [nach oben]

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/180

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