Von Begabungen, (unelitären) Eliten und Privilegien einer Förderung: Wissenswertes zu Stipendien und Begabtenförderwerken – Von Eva-Maria Bub

Dass Studieren teuer ist, braucht wohl kaum weiter ausgeführt zu werden. Dass Promovierende insbesondere innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften einen wesentlichen und wichtigen Teil der Forschungsarbeit leisten, ist ebenfalls hinreichend bekannt. Dass sie dabei häufig weder von Universitäten noch von … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5656

Weiterlesen

Archäologie des 1. Weltkriegs im Elsass/Lothringen (Ausstellung)

Wir weisen gerne auf die neue Ausstellung des Archäologischen Museums Straßburg hin (25.10. 2013 bis 31.12. 2014)!
Flyertitel

Aus der Presseinformation:

Die archäologische Untersuchung jüngerer Kriegsschauplätze, vor allem aus dem Ersten Weltkrieg, ist ein noch junger Forschungsbereich, der nicht nur der Geschichtsforschung zahlreiche Perspektiven eröffnet, sondern auch viele neue Einblicke in den Kriegsalltag der Frontsoldaten gestattet. In den letzten zehn Jahren konnten im Elsass und in Lothringen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, insbesondere bei Grabungen von befestigten Stellungen wie beispielsweise den kürzlich erforschten Standorten Geispolsheim/Schwobenfeld im Departement Bas-Rhin und Carspach/Kilianstollen im Department Haut-Rhin.

Die Ausstellung zieht eine erste Bilanz dieser Arbeiten und vermittelt einen Überblick über die bei Grabungen im Elsass und in Lothringen entdeckten Gegenstände sowie von den Archäologen untersuchte Anlagen im Hinterland und an der Front. Bei dieser interdisziplinär konzipierten Schau, die rund 20 der in Ostfrankreich ergrabenen Standorte vorstellt, kommen viele historische und archäologische Fragestellungen zur Sprache.

Ausstellungsflyer

Quelle: http://archives.hypotheses.org/565

Weiterlesen

„The Third Order of Order“ – Relationale Erschließung und Indizierung als Chance für die Defragmentierung von Kontexten und Überlieferung

Vortrag auf der internationalen Datenbanktagung – Conference on Digitization – der Archive von NS-Gedenkstätten, Dachau 23.-25. Oktober 2013

„In the third order of order, knowledge doesn’t have a shape. There are just too many […] ways to make sense of our world.” (Weinberger, Everything is Miscellaneous, 83).

Die so genannte „dritte Ordnung“, von der David Weinberger hier spricht, ist – auf Archivgut und Digitalisate übertragen – weder die der physischen Vorlage noch eine virtuell organisierte, aber statische digitale Abbildung, vielmehr ist sie eine vielfältig generierbare Ordnung auf der Grundlage von Metadaten über Relationen zwischen Objekten. „Unordnung der dritten Ordnung beseitigen wir, indem wir ihre Metadaten arrangieren; die Objekte selbst rühren wir dabei nicht an“, schreibt Weinberger.[1] Lassen Sie mich versuchen, sie als Chance für die Erschließung und Präsentation von Archivgut zum Zweck seiner Defragmentierung und Kontextualiserung zu illustrieren.

Das Thema „archivische Erschließung“ möchte ich heute unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass sie die Defragmentierung von Kontexten und Überlieferung zum Ziel hat. Zusammenhänge innerer und äußerer Art müssen durch Beschreibungen benannt werden, andernfalls sind sie zwar vorhanden, aber nicht sichtbar. Die Akten und Dokumente der Konzentrationslager sind weltweit verstreut, fragmentiert. Ihre inhaltlichen Kontexte sind durch die Erschließung der einzelnen Archive, in denen sie sich befinden, erleuchtet, mal heller, mal weniger hell. Defragmentierung heißt ein mehrdimensionales Puzzle zusammenzusetzen, Fragmente zusammenzubringen, ihre Kontexte sichtbar zu machen.

Die Fragen, die ich dazu stellen möchte, richten sich darauf, inwiefern klassische Erschließungsmethoden zu einer solchen Defragmentierung beitragen, inwiefern neue technische Möglichkeiten eine Änderung der Methoden erfordern, welche Rolle dabei Standards und Standardisierung spielen und welche Bedeutung den Relationen zwischen den Teilen dieses Puzzle bei dessen Zusammensetzung zukommt.

Die Fragen lauten:

  1. Bildet das heute verbreitete Modell der fixen Beständetektonik die historische Realität ab?
  2. Welchen Zweck kann die Digitalisierung von Archivgut im Rahmen der Zugänglichmachung von Erschließungsinformation erfüllen?
  3. Worauf sollte sich Erschließung richten und welche Standards sollte sie nutzen?
  4. Was ist relationale Erschließung und welche Folgen hat sie für den Nutzer?

1.     Bildet das heute verbreitete Modell der fixen Beständetektonik die historische Realität ab?

CLASSIC FINDING AIDS

Die am weitesten verbreitete Methode der Erschließung von Archivgutbeständen besteht in der Verzeichnung und Zuordnung zu einer festgesetzten Gliederung oder Tektonik. Archive werden in Bestände unterteilt, die den Namen ihrer Provenienzstellen tragen, die Bestände werden nach Organisationseinheiten in diesen Provenienzstellen oder nach Funktionen, die die Provenienzstellen wahrgenommen haben, gegliedert. Das einheitliche zentrale Suchkriterium für den Nutzer nach für ihn passenden Beständen liegt in der Fragestellung: Was war die Aufgabe oder Funktion einer Provenienzstelle und kann ihre Überlieferung daher für mein Forschungsthema relevant sein?

Gerade angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten stellt sich nun aber die grundsätzliche Frage: Ist das Provenienzprinzip im digitalen Zeitalter als Ordnungsprinzip noch zielführend? In der Tat wird das Provenienzprinzip als alleiniges Ordnungsschema in den internationalen archivwissenschaftlichen Fachjournalen seit einiger Zeit wieder kontrovers diskutiert.

MULTIPLE MEANINGS

Der ehemalige Generalarchivar der Niederlande Eric Ketelaar wies auf dem internationalen Archivarskongress „Archives without Borders“ 2010 in Den Haag darauf hin, dass der innere Sinn – „the meaning“ – eines Archivale oder auch jedes anderen Kulturguts immer ein vielfacher sei und nicht auf einen einzigen Kontextstrang reduziert werden könne.[2] Inhalte werden vom Wahrnehmenden bei ihrer Wahrnehmung in Kontexte gestellt, sie zeigen sich durch die Komposition der Teile des Archivale, einer archivischen Serie oder eines ganzen Archivkörpers und sie ergeben sich aus der Wahrnehmung der Entstehungszusammenhänge.

Erschließung nach einer provenienzmäßigen Ordnung oder Findmitteltektonik führt zur Konzentration auf den Kontext der Entstehungsgemeinschaft des Archivguts und erschöpft sich im Wesentlichen darin. Anders gesagt: Eine solche Erschließung läuft Gefahr, den Sinn der Archivalien auf einen einzigen Kontextstrang zu reduzieren. Dann geschähe genau das, wovor Eric Ketelaar warnte.

Peter Horsman, emeritierter Dozent für Archivwissenschaft an der Universität Amsterdam, zeigte in seinem Beitrag „Wrapping Records in Narratives“ auf einem archivwissenschaftlichen Workshop in Bad Arolsen im Oktober 2011, dass Archivalien vielfach aus ihrem ursprünglichen Gebrauch entfernt und zu anderen Zwecken weiterverwendet wurden.[3] Damit wurden sie auch in andere physische Kontexte gebracht, zum Beispiel in andere Registraturen verbracht. Er spricht von Dekontextualisierung und Rekontextualisierung. Prominente Beispiele finden sich zuhauf im Archiv des Internationalen Suchdienstes. Dokumente aus zahlreichen Provenienzen wurden dort in thematisch bestimmte Bestände zusammengebracht. Die aus ihrem ursprünglichen Entstehungs- und Nutzungskontext entfernten, also dekontextualisierten Dokumente wurden von da an für die Suche und Schicksalsklärung der darauf erwähnten Personen genutzt und mit neu entstehenden Fallakten verknüpft, sie wurden also rekontextualisiert, in einen neuen Kontext gebracht.

Rekontextualisierungen lassen sich in den uns geläufigen Findbüchern nicht abbilden, allenfalls in recht ausführlichen Bestandsgeschichten, die nicht unbedingt zur spannenden Lektüre einladen, oder andeutungsweise in mehr oder weniger übersichtlichen Graphiken.

Ketelaar geht mit seiner Aussage über den Sinn in den Archivalien weiter. Strebt man die Integration der von ihm angedeuteten Vielschichtigkeit archivalischer Kontexte in die Erschließung an, muss man sehen, dass diese über entstehungsursächliche und durch den Gebrauch der Unterlagen generierte Kontexte hinausgehen. Welche Konsequenzen sich auch für den archivwissenschaftlichen Diskurs ergeben, so wird doch eines hier bereits klar und soll die Antwort auf unsere erste Frage sein:

Das heute verbreitete Modell der fixen Beständetektonik bildet die historische Realität von Überlieferungskontexten nur sehr beschränkt ab. Sind wir damit nicht zufrieden, benötigen wir neue Modelle für die archivische Erschließung.

2.     Welchen Zweck kann die Digitalisierung von Archivgut im Rahmen der Zugänglichmachung von Erschließungsinformation erfüllen?

Sie sehen aus diesem scheinbar unvermittelten Übergang, dass ich eine bessere Abbildung der historischen Realität in den Erschließungserzeugnissen mit der Digitalisierung von Archivgut hier in einem unmittelbaren Zusammenhang darzustellen beabsichtige.

Wir kommen mit den Anforderungen an eine aussagekräftige Erschließung offenbar nicht so recht weiter, wenn wir nur fragen, wie Erschließung aussehen kann. Offenbar spielt es eine mindestens ebenso große Rolle, genauer zu betrachten, was das eigentlich ist, das wir erschließen wollen. Wir müssen uns daher hier der Frage zuwenden, was wir als Archivbestand im Sinne der Erschließung verstehen möchten. Daraus wird sich zeigen, welche Rolle dabei die Digitalisierung spielt.

Der technische Fortschritt erlaubt uns, die Digitalisierung und das Vorliegen oder wenigstens perspektivische Vorliegen unserer Bestände in Form von digitalen Repräsentationen, also Digitalisaten, in unsere Betrachtungen als für die Zukunft geradezu fundamental einzubeziehen.

IMAGES / AGGREGATIONS

Ein Archiv, das einen Großteil seines Archivguts digitalisiert hat, ist in der Lage, die dadurch produzierten Bilddateien in beliebig viele Strukturen zu bringen. Das geschieht entweder, indem die Dateien vorgefertigten Strukturen manuell zugeordnet werden, oder indem sie mit kodierten Metadaten versehen werden, die die Grundlagen für automatisierte Strukturierungsprozesse sind. Aggregationen solcher Dateien können ebenso als Einheiten definiert und mit Metadaten versehen werden, die diese Definition fixieren. Dadurch kann zum Beispiel eine Abfolge von dreißig Images als eine Akte, also als eine Aggregation, definiert und abgegrenzt werden.

Die unbegrenzt vielfache Verknüpfbarkeit der Imagedateien ermöglicht ebenso unbegrenzt viele definierbare Aggregationen, also Anhäufungen von Images in einer festzulegenden Reihenfolge und in einem festzulegenden Umfang.

Indem man so vorgeht, geschieht ein paradigmatischer Wechsel. War bisher die Erschließung an die Gestalt der physischen Vorlage der Archivalieneinheit gebunden, ist der Beschreibung nun ein Schritt voranzustellen: die Bestimmung des Umfangs und der Struktur der zu beschreibenden Einheit, die mit der physischen Vorlage nicht mehr identisch sein muss. Es kommt also zu einer Trennung von physischer Struktur und virtueller Struktur, zu einer Differenz von physischem und virtuellem Bestand. In der Archivwissenschaft spricht man von der Differenz zwischen dem physical fonds und dem conceptual fonds.[4]

Daraus wird deutlich, dass eine eindeutige Abgrenzung von Beständen dann kaum mehr möglich ist, denn: Entscheidet man sich für ein Abgrenzungskriterium, z.B. die institutionelle Herkunft, so bleiben andere Beziehungsgemeinschaften unberücksichtigt, auch wenn sie gleichermaßen als Abgrenzungskriterien tauglich wären. Peter Horsman hat in seinem bereits zitierten Vortrag anhand der Suchkartei des niederländischen Roten Kreuzes die Vielschichtigkeit von Entstehungszusammenhängen illustriert und ihre Beziehungen zu zahlreichen anderen physischen Beständen sichtbar gemacht. Strukturierung nach der Theorie des conceptual fonds hieße, die Elemente des physischen Bestands in ihren jeweiligen Beziehungen in der dafür erforderlichen Anzahl virtueller Bestände darzustellen, etwa in den jeweiligen Findbüchern solcher aus dem physischen Bestand gebildeten virtuellen Bestände.

Die so genannten Postkustodialisten unter den Archivwissenschaftlern sagen, es sei nicht möglich, Archivalien einem einzigen Bestand zuzuordnen, da dadurch nicht Bestände transparent, sondern Beziehungsgemeinschaften verdunkelt würden. Diese Ansicht scheint sich immer mehr durchzusetzen.

Der britische Archivwissenschaftler Geoffrey Yeo vom University College London schrieb vor wenigen Monaten in der kanadischen Fachzeitschrift „Archivaria“ folgenden Satz: „In the world of paper records, aggregations are brought together and arrangement is fixed before the user arrives on the scene, but many critics argue that the digital revolution overturns these conventions“.[5] Wir müssen uns zu Herzen nehmen, dass die Möglichkeiten dieses digitalen Umbruchs, den er als digitale Revolution bezeichnet, nur zu einem Teil von den neuen technischen Möglichkeiten der Erschließung abhängen, zum anderen Teil aber von der Art der Repräsentation des zu beschreibenden Materials. Diese muss in digitaler Form vorliegen. Das geht aus Yeo’s Satz ebenso klar hervor wie aus meinen vorigen Ausführungen. Für uns heißt das, dass die Digitalisierung unseres Archivguts die grundlegende Voraussetzung für eine Präsentation im Verständnis des conceptual fonds ist.

Ich komme zur Antwort auf die Frage, welchen Zweck die Digitalisierung im Rahmen der Zugänglichmachung von Erschließungsinformation erfüllen kann: Bisher diente Digitalisierung fast ausschließlich dazu, Archivalien leichter vorlegen zu können, sei es am Monitor im digitalen Lesesaal oder im heimischen Arbeitszimmer des Nutzers über das Internet.

Nun aber bedeutet Digitalisierung auch, Archivgut in Strukturen präsentieren zu können, die bislang nicht visualisiert werden konnten. Das ist ihr erweiterter Zweck in einer paradigmatisch veränderten Erschließungs- und Nutzungskultur.

3.     Worauf sollte sich Erschließung richten und welche Standards sollte sie nutzen?

Nach diesen strukturellen Betrachtungen von Archivgut wollen wir nun sehen, welche Objekte und Eigenschaften wir bei der Archivguterschließung und bei der Erschließung der damit in Beziehung stehenden Entitäten berücksichtigt haben sollten.

METADATA MODEL

Der Internationale Archivrat (ICA) hat vier Standards für die archivische Erschließung erarbeitet, die sich mit den vier Objektgruppen befassen, die in einem Findmittelsystem koordiniert werden sollten:

  1. Das Archivgut,
  2. Die Erzeuger des Archivguts und weitere damit im Zusammenhang stehende Akteure
  3. Die Funktionen und Aufgaben, deren Umsetzung für die Entstehung des Archivguts ursächlich waren
  4. Das verwahrende Archiv mit seinem Sammlungsmandat und seinen Zugangsdaten.

Die Zusammenschau der Objektgruppen, die in einem Findmittelsystem koordiniert werden sollen, ist die oberste Stufe des so genannten Metadatenmodells. Das Metadatenmodell eines Archivs gibt vor, was bei der Erschließung beschrieben werden soll. Es setzt sich in die Tiefe fort bis hinunter zur Definition der einzelnen Felder und Attribute bei der Erschließung eines Einzelstücks. Das Modell lässt sich nach den Bedürfnissen der einzelnen Archive oder Archivsparten beliebig erweitern, jedoch sollte für jede Objektgruppe, die man in sein Metadatenmodell aufnehmen möchte, ein einigermaßen verbreiteter Beschreibungsstandard genutzt werden, um die Erschließungsdaten archivübergreifend austauschbar zu machen.

Beispiele für Erweiterungen wären vor allem Ereignisse (Events) oder Orte (Places). Die besondere Bedeutung solcher Angaben im Rahmen der Holocaustforschung wurde im Projekt EHRI insofern berücksichtigt, als Standards für ihre Beschreibung und dazu nutzbare Thesauri vermerkt und erarbeitet wurden.

Gängige Standards sind die XML-basierten Formate EAD für Archivgut und EAC für Akteure (natürliche und juristische Personen).

Für die Beschreibung von Aufgaben und Funktionen ist ein XML-basierter Standard bislang nicht erstellt worden. Die auf dem Markt befindliche Archivsoftware beinhaltet in der Regel Export- und Importschnittstellten für EAD und zunehmend auch für EAC. Für die Überführung von Erschließungsdaten, die bereits in Datenbanken vorliegen, sind Mapping-Werkzeuge leicht zu erhalten. Zurzeit besteht seitens der beiden großen einschlägigen Portalbetreiber, dem Archivportal Europa und dem Archivportal D, großes Interesse, interessierten Archiven bei der Bereitstellung XML-basierter Findmittel nach dem EAD-Standard behilflich zu sein. Auch Softwareanbieter und Archivdienstleistungsfirmen übernehmen Mapping-Arbeiten. Durch die Datenbereitstellung in Archivportalen kann Archivgut im Internet virtuell gemeinsam durchsucht und gleiche Provenienzen als zusammengehöriges Ganzes sichtbar gemacht werden. Das Team der Kontaktstelle für an der Datenbereitstellung für das Archivportal Europa interessierte Archive befindet sich im Bundesarchiv in Berlin.

Wir können aber mehr erreichen als eine Abbildung und Anhäufung von Erschließungsinformation in der Qualität, die wir bereits bereitstellen können. Unser Anliegen ist es, Tools zu nutzen, die Erschließungsinformation nutzbar machen, die bereits in unseren Systemen gespeichert ist, aber noch nicht umfassend verwertet wird. Uns interessieren vor allem die Personen, die auf den Dokumenten erscheinen. Deshalb sind für uns nicht nur die Kontexte aus dem Entstehungs- und Nutzungszusammenhang des archivalischen Materials wichtig, sondern ebenso die Beziehungen zu den Akteuren, die nicht einmal unmittelbar an der Entstehung der Unterlagen beteiligt waren, eben der Inhaftierten und Opfer anderer Verfolgungsmaßnahmen. In unserem Metadatenmodell nimmt der Bereich der Akteure also einen herausragenden Platz ein.

Ich habe bereits im vergangenen Jahr auf unserem Treffen in Auschwitz erläutert, wie Information über Personen, die wir aus den Dokumenten bereits exzerpiert vorliegen haben, in Normdatensätze zusammenfließen können, die prinzipiell mit anderen Archiven austauschbar sind.

MATCHING DATA

Ähnliche Ziele wurden damals im EHRI-Projekt verfolgt. Die in unserem Kreis seit Jahren immer wieder aufscheinende Problematik der eindeutigen Identifizierbarkeit ein- und derselben Personen in unterschiedlichen Ihrer Datenbanken vereitelte dann aber doch die Umsetzung in die einrichtungsübergreifende Praxis, so dass es auch heute noch ein Desiderat ist, Instrumente zu bekommen, die die Identifikation von Personen über die eigenen Archivbestände hinaus in quantitativ hinreichendem Umfang eindeutig möglich machen.

Vielleicht hilft es weiter, und bitte verstehen Sie das nicht anders als eine Anregung zum Experiment, wenn sich die Erschließung nicht nur auf die Eigenschaften der Personen, sondern verstärkt auch auf die Qualität ihrer Beziehungen zu ihrer Umwelt, das heißt zu anderen beschreibungsfähigen Objekten und Objektgruppen, konzentrieren würde.

CIDOC CRM SCHEMA

Ich möchte hierzu auf die so genannten objektorientierten konzeptuellen Referenzmodelle (object-oriented Conceptual Reference Model – CRM) hinweisen, die als Metadatenschemata die Art und Weise der Erschließung, sprich: die Metadatenmodelle der Archivare, beeinflussen können. Angewandt werden solche Modelle derzeit bereits bei den Museen unter der Bezeichnung CIDOC CRM oder im Kulturgutportal Europeana unter dem Namen „Europeana Data Model“ (EDM). Solche Referenzmodelle bestehen aus Ontologien, die durch eine vorgegebene, aber erweiterbare Anzahl von Klassen und Eigenschaften beschrieben werden. Auf die archivische Erschließung abgestimmte Kataloge solcher Klassen und Eigenschaften sind mir bislang nicht bekannt. Sie müssten erarbeitet werden, was gerade auf Ihrem Arbeitsgebiet auch projektbezogen vielversprechend sein könnte. Konzeptuelle Referenzmodelle zielen also auf die Beschreibung von Beziehungen zwischen Objekten ab. Die Fokussierung dieser Beziehungen als Gegenstände der Beschreibung im Rahmen der archivischen Erschließung birgt die Chance, spätere Suchvorgänge von Nutzern auf der Qualität von Beziehungsformen basieren zu lassen und damit die Brücken, die zwischen den Objekten bestehen, nicht minder als die Objekte selbst zu beachten und als kurze Wege zum angestrebten Rechercheziel effizient zu nutzen: CRM bilden die Grundlage für Recherchen nach den Prinzipien des Semantic Web.

CIDOC/CRM MEDIATOR

Solche relationsbasierten Modelle haben eine strukturelle Affinität zu den Datenmodellen relationaler Datenbanken. Die Frage liegt demnach nahe, ob möglicherweise in Ihren Datenbanken bereits vorhandene Beziehungsdefinitionen schon jetzt in ein exportfähiges und in unterschiedlicher Umgebung einfach nachnutzbares Format gebracht werden könnten, das eine auf Information über Relationen basierende Suche erlaubt, ich denke an EAD-XML. Das wäre ein gewichtiger Schritt hin zur Auswertbarkeit solcher Daten im Rahmen eines relationalen bzw. eines Referenzmodells. Ein Conceptual Reference Model stellt eben gerade nicht den Anspruch, in einer Datenbank ein homogenes Metadatensystem zusammenzuführen. Vielmehr ist es geeignet, beliebig viele unterschiedliche Metadatensysteme zu durchsuchen und die Kodierungen in die Semantik des eigenen Metadatenschemas zu überführen und auf dieser Basis das Resultat des Suchvorgangs zu präsentieren. Demnach liegen Findbücher in EAD oder Personenbeschreibungen in EAC jeweils in einem dieser möglichen Vorlage-Metadatensysteme vor und können in eine CRM-basierte Suche einbezogen werden.

WORKING PORTALS

Als EAD-XML Files können Sie Ihre Daten bereits jetzt in das Archivportal Europa einspeisen. Von dort ist die Übernahme ins CRM-basierte Kulturgutportal Europeana quasi per Mausklick möglich. Die Nutzung relationaler Modelle kann gegebenenfalls künftig ein Weg sein, doch noch die Datenbanken der Gedenkstätten in einer Weise übergreifend recherchierbar zu machen, die die eindeutige Identifikation derselben Personen in verschiedenen Datenbanken leichter möglich macht als es bisher der Fall war.

Ich komme zur Ausgangsfrage zurück und fasse die Antwort wie folgt zusammen:

Die Erschließung sollte sich mindestens auf die Objektgruppen Archivgut sowie Schriftguterzeuger und andere im Zusammenhang mit der Archivgutentstehung als bedeutend angesehene Akteure erstrecken. Dafür sollte man sich an den Profilen des Archivportals Europa für die Standards EAD und EAC orientieren. Für die Nutzung objektorientierter konzeptueller Referenzmodelle fehlen derzeit noch auf die Bedürfnisse der Gedenkstättenarchive zugeschnittene Modelldefinitionen.

4. Was ist relationale Erschließung und welche Folgen hat sie für den Nutzer?

Ich habe nun einiges über die Umwandlung von vorliegenden Erschließungsdaten in relationale Modelle gesagt. Abschließend erlauben Sie mir noch einige Worte dazu, wie relationale Erschließungsdaten neu erfasst werden können und welche Veränderung sich für den Nutzer ergibt. Dafür nehme ich die Antwort auf die Eingangsfrage vorweg:

Relationale Erschließung basiert auf dem Zusammenspiel von Beziehungen zwischen zu beschreibenden Objekten. Sie kann mittels eines verlinkten Systems von Normdatensätzen (Authority Files), mittels Facettenklassifikationen oder mittels der Einbindung objektorientierter konzeptueller Referenzmodelle erfolgen. Bei der relationalen Erschließung gibt es keine fixen Klassifikationen oder Hierarchien, vielmehr lassen sich solche nach ausgewählten Kriterien on demand temporär generieren. Für den Nutzer heißt das, dass er seine eigenen, qualitativ hochstehenden Findmittel nach seinem Bedarf auf der Grundlage der Metadaten der beschriebenen Objekte und Relationen selbst erzeugen kann.

Relationale Erschließung knüpft an die Beziehungen an, die die zu beschreibenden Objekte, also beispielsweise das Archivgut, zu anderen Objekten haben. Relationale Erschließung basiert darauf, Beziehungsgemeinschaften zu kennzeichnen. In der Erschließungspraxis könnte die Relationsbeschreibung etwa durch Indizierung erfolgen. Sowohl die äußere Abgrenzung der Bestände als auch die innere Ordnung eines Bestands wird auf der Grundlage solcher Indizierungen hergestellt. Wir bewegen uns im conceptual fonds. Wir beschreiben Dokumente und Akten als Abfolgen von Digitalisaten und als virtuelle Einheiten, deren Elemente sich beliebig oft wiederholen dürfen und bei denen es keine Rolle spielt, ob ihre physischen Vorlagen in derselben Abgrenzung existieren oder nicht. Die gesamte Information, die man bisher in Gliederungen abbildete, wäre dann in den Indizierungen, also in den Metadaten der indizierten Objekte, enthalten.

Die neue Erschließungssituation wirkt sich auf die Nutzung aus.

USER-GENERATED COLLECTIONS

Erst bei Bedarf wird die auf die Inhalte und Strukturen der in den Indizierungen vorliegenden Metadaten gerichtete Sortierfunktion vom Archivar oder vom Nutzer aktiviert. Nach Vorgaben dazu, welche Indzierungswerte in welcher Hierarchie zur Bildung einer gegliederten Struktur für ein temporär benötigtes Findmittel zugrunde gelegt werden sollen, erfolgt eine automatische Sortierung und generiert ein Findbuch on demand. Der Nutzer, der die für ihn wichtigen Eigenschaften auswählt, generiert den Bestand, der durch die Gemeinsamkeit der ausgewählten Beziehungen definiert wird und sich im nutzergenerierten Findbuch spiegelt. Darüber hinaus muss dieses System gerade in Ihrem Metier auch die Erschließungsinformation beinhalten, die sich nicht auf das Archivgut selbst bezieht, sondern auf die Akteure, Orte und sonstigen relevanten Größen, die mit dem Archivgut verbunden sind oder über die es informiert. Dafür sind geeignete Verlinkungen zwischen Archivgutbeschreibungen und beispielsweise Personenbeschreibungen einzufügen.

Hier sind nun sind die Softwareentwickler angesprochen, in Kooparation mit uns die benötigten Instrumente herzustellen.

[1] Weinberger, Das Ende der Schublade, S. 210.

[2] Archives without borders/Archivos sin fronteras, proceedings of the international congress in The Hague, August 30 – 31, 2010 / ed. Hildo van Engen et al. – Berchem, Vlaamse Vereniging voor Bibliotheek-, Archief- en Documentatiewezen, Sectie Archieven, [2012]

[3] http://www.its-arolsen.org/fileadmin/user_upload/Dateien/Archivtagung/Horsman_text.pdf

[4] Vgl. hierzu u.a.: Peter Horsman, The Last Dance of the Phoenix or The De-Discovery of the Archival Fonds. In: Archivaria 54 (2002), und: Geoffrey Yeo, The Conceptual Fonds and the Physical Collection. In: Archivaria 73 (2011).

[5] Geoffrey Yeo, Bringing Things Together: Aggregate Records in a Digital Age. In: Archivaria 74 (2012).

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/932

Weiterlesen

Objekt des Monats / object of the month: October 2013

Gefäß in Form einer sitzenden weiblichen Figur Iran, vermutlich aus der Stadt Kaschan, um 1200 Höhe: 35,4 cm / Breite: 23,2 cm / Tiefe: 12,4 cm Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. I. 2622 Das im monumentalen Stil bemalte Gefäß ist … Continue reading

Quelle: http://jameel.hypotheses.org/233

Weiterlesen

Vnterschiedliche Wunderwerck

Eine Flugschrift aus dem Jahr 1626, wie sie in diesen Jahren und Jahrzehnten durchaus üblich ist. Eine Sammlung von Nachrichten ganz unterschiedlicher Art, vor allem aber über politische und militärische Ereignisse: Vorneweg die neuesten Entwicklungen vom oberösterreichischen Bauernaufstand, dann militärische Ereignisse in der Grafschaft Mark, wo spanische Truppen operierten, Aktionen der holländischen Flotte vor der flandrischen Küste, weitere Neuigkeiten von Tilly und dem dänischen König, aber auch aus dem Veltlin, aus Piemont, Turin, Mailand, Venedig und vom französischen Hof.

Dazwischen notiert diese Flugschrift allerdings auch eine Reihe von Merkwürdigkeiten, die sich an verschiedenen Orten ereignet haben: Ausführlich wird die Wunderheilung einer Magd beschrieben, die jahrelang von Hexen geplagt wurde und gelähmt war; erwähnt wird weiterhin eine Pferdeschwemme, die sich in Blut verwandelt habe, berichtet wird aber auch von schönen weißen Rosen, die man auf Apfelbäumen gefunden hat, während man andernorts Birnbäume fand, die zwar schon haselnußgroße Früchte trugen, und dennoch erneut zu blühen anfingen. Der Passus endet mit den Worten: „was alles diß bedeuten wird / haben wir zu erwarten / GOtt der Allmächtige wende es zum besten / vnd beschere vns den lieben Frieden / vmb JEsu Christi willen / Amen.“

Es gab sicher ein Bedürfnis nach Informationen aus der Welt des Politischen; was an den Höfen und in den Feldlagern passierte, wollte man schon erfahren. Doch was sollte man sich für einen Reim auf diese „Wunderwerck“ machen? Letztlich herrschte eine große und wachsende Verunsicherung, die sich auch mit Endzeiterwartungen verknüpfen konnte. Daß die Welt aus dem Lot geriet, schien nicht zuletzt an den die Alltagserfahrungen übersteigenden Ereignissen deutlich zu werden, die immer wieder zu beobachten waren. Oftmals wurden diese Anomalien sehr eindeutig als Warnhinweise gewertet, daß göttliche Strafen für die Sündhaftigkeit der Welt drohten. Eine solche moralische Wendung wurde in dieser Flugschrift nicht vollzogen, dafür erschienen die Zeichen offenbar nicht eindeutig genug. Aber unbestritten schien, daß man allein von Gott Rettung und Frieden erwarten könne.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/334

Weiterlesen

nianhao 年號 – kaiserliche Regierungsdevisen

Für die zeitliche Orientierung in der (Kultur-) Geschichte Chinas spielen die nianhao 年號 (aus der Vielfalt älterer und neuerer Übersetzungen seien hier nur Regierungsdevise, Regierungstitel, Jahrestitel oder Ärenbezeichnung genannt) der Kaiser eine große Rolle, symbolisieren sie doch den “Anspruch des Kaisers auf die Regulierung der Zeit.”[1]

Für knapp anderthalb Jahrtausende – vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gründung der Ming-Dynastie im Jahr 1368 musste sich ein “Neubeginn” nicht unmittelbar an der Thronbesteigung eines neuen Herrschers orientieren. Der Wechsel der Regierungsdevise während der Herrschaft eines Kaisers konnte so den “Anbruch einer neuen Zeit”[2] symbolisieren. Wolfgang Bauer meinte, dass die Einführung dieser nianhao “aufs engste mit diesem ängstlichen Ausschauhalten nach der Bestätigung der eigenen Handlungen durch Äußerungen der Natur in Zusammenhang steht.”[3]

Da nach 1368 jeder Kaiser für die Dauer seiner Herrschaft nur eine solche nianhao annahm, werden diese “Regierungsdevisen” vor allem für die Geschichte der letzten beiden kaiserlichen Dynastien – Ming (1368-1644) und Qing (1644-1911) in der “westlichen” Literatur auf eine Weise verwendet, die den irrigen Schluss nahelegt, es könnte sich dabei um den Namen des Kaisers handeln.

Dass man schon mit der Auswahl der nianhao der Herrschaft des neuen Kaisers ein Programm geben wollte, soll im folgenden am Beispiel der den Kaisern der Qing beigelegten Devisen illustriert werden[4]:

  • 1644-1661 Shunzhi 順治 (“[dem Himmel] folgsame Regierung”)
  • 1662-1722 Kangxi 康熙 (“Gesunder Weltfrieden”)
  • 1723-1735 Yongzheng 雍正 (“Harmonische Geradheit”)
  • 1736-1795 Qianlong 乾隆 (“Durch den Himmel Unterstützter”)
  • 1796-1820 Jiaqing 嘉慶 (“Vielversprechendes Heil”)
  • 1821-1850 Daoguang 道光 (“Leuchten des dao [Weg, Vernunft]“)
  • 1851-1861 Xianfeng 咸豐 (“Ganze Fülle”)
  • 1862-1874 Tongzhi 同治 (“Vollkommene Ordnung”)
  • 1875-1908 Guangxu 光緒 (“Wachsende Herrschaft”)
  • 1909-1911 Xuantong 宣統 (“Klare Grundsätze”)
  1. Thomas O. Höllmann: Das alte China. Eine Kulturgeschichte (München 2008) 156.
  2. Ebd.
  3. Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück (München 1989 [1974]), 113.
  4. Vgl. Evelyn S. Rawski: The Last Emperors. A Social History of Qing Imperial Institutions (Berkeley/Los Angeles/London 1998) 303 (Appendix One: Names of Qing Emperors and the Imperial Ancestors), Gertraude Roth Li: Manchu. A textbook for reading documents (Honolulu 2000) 376. Renate Eikelmann (Hg.): Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte. 400 Jahre China und Bayern (München 2009) 538 (Tabelle mit den nianhao in chinesischer, mandschurischer, mongolischer und tibetischer Fassung sowie weiteren Literaturangaben). – Zur Genealogie der Qing-Dynastie vgl. Erich Hauer, Das Mandschurische Kaiserhaus, sein Name, seine Herkunft und sein Stammbaum. In: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen, I. Abt., Bd. 29 (1926) 1-39; Qingshigao 清史稿 [Entwurf einer Geschichte der Qing-Dynastie], Ausgabe: Zhonghua shuju (Beijing 1976); Bd. 17 und Bd. 18 [= biao 表, juan 1-7:  huangzi shibiao 皇子史表, juan 1-7], sowie die Quellen- und Literaturangaben bei Rawski, Last Emperors (1998) S. 315 Anm. 69, 334 Anm. 58.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/852

Weiterlesen

Hirngespinst Willensfreiheit? Wie die Neurowissenschaften unser Menschenbild beeinflussen

WebBildDie Willensfreiheit als Möglichkeit, sich zwischen Handlungsoptionen entscheiden zu können, bildet einen wichtigen Ausgangspunkt in unserem Denken über den Menschen – einige Neurowissenschaftler ziehen die Existenz eines freien Willens jedoch in Zweifel. Da alle Gehirnleistungen auf neurochemischen Vorgängen beruhen, ist dies mit einer autonomen geistigen Willensbildung schwer vereinbar. Zugespitzt formuliert würde ein Verbrecher, bei dem bestimmte Hirnprozesse anders ablaufen, entsprechend seiner genetischen Disposition handeln und wäre für dieses Handeln moralisch nicht verantwortlich. Ist der freie Wille also nur eine Illusion? Unsere am 26. November 2013 im Gartensaaal des Hotel Baseler Hof (Esplanade 15) in Hamburg um 19 Uhr stattfindende Podiumsdiskussion thematisiert eben diese und weitere Fragen.

Wenn die Beschaffenheit des Gehirns den Menschen von selbstbestimmten Entscheidungen freispricht, wirft dies Fragen auf, denen sich auch die geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu stellen haben.

Eine Infragestellung der Willensfreiheit hat zudem konkrete Auswirkungen auf die Schuldfrage in der Rechtsprechung. Schuldfähigkeit erfordert ein Mindestmaß an Selbstbestimmung und die Einsicht in das eigene Handeln. Fehlt diese Vorbedingung, bedeutet dies zumeist Maßregelvollzug oder Sicherungsverwahrung. Auf neuromedizinischem Weg in bestimmte Verhaltensweisen einzugreifen und damit verhütend auf Wiederholungstäter einzuwirken, ist möglich. Ob sich solche Maßnahmen vor dem Hintergrund ethischer und moralischer Maßstäbe aber anwenden lassen, erscheint fraglich. Kritiker befürchten einen Rückfall in Zeiten, in denen die Kriminologie mit der Medizin eine unheilige Allianz einging und Menschen mit bestimmten anatomischen Merkmalen eine Neigung zur Straffälligkeit unterstellt wurde.

Muss unser Verständnis von Moral, Ethik und Schuld neu definiert werden? Welche Rolle spielen die Neurowissenschaften in unserer Kultur und Gesellschaft? Sind sie zu einer modernen Leitwissenschaft geworden? Welche Lehren können wir aus der historischen Entwicklung der Strafjustiz ziehen? Bedarf es einer Reform des Strafrechts auf der Grundlage neurologischer Befunde? Dürfen Auffälligkeiten präventiv korrigiert werden?

Zu einer Diskussion dieser und weiterer Fragen laden wir Sie herzlich in den Gartensaal des Hotel Basler Hof in Hamburg ein. „Geisteswissenschaft im Dialog“ ist eine gemeinsame Veranstaltung der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften, der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Es diskutieren mit Ihnen:

Prof. Dr. John-Dylan Haynes
Bernstein Center der Charité Berlin
Zur Person / Statement

Prof. Dr. Reinhard Merkel
Fakultät für Rechtswissenschaft
Universität Hamburg
Zur Person / Statement

Prof. Dr. Reinhard Werth
Medizinische Fakultät
Ludwig-Maximilians-Universität München
Zur Person / Statement

Dr. Richard Wetzell
Deutsches Historisches Institut Washington D. C.
Zur Person / Statement

Moderation: Martina Kothe
Norddeutscher Rundfunk
Zur Person

Veranstaltungsort:
Hotel Baseler Hof
Gartensaal
Eingang Esplanade 15
20354 Hamburg

Bitte melden Sie sich bis zum 21. Novemer an.
Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr.

Hier der Programmflyer zum Download

Quelle: http://gid.hypotheses.org/928

Weiterlesen

Fünf Fragen an… Olivier Canteaut (Paris)

Guten Abend Herr Canteaut, wir sind die Studierenden der veranstaltungsbegleitenden Übung „Einführung in die französischsprachige Geschichtsforschung“ von Herrn Hiltmann und würden Ihnen im Rahmen eines Interviews gern ein paar Fragen stellen: zu ihrem akademischen Werdegang, aber auch zu methodischen Aspekten und … Continue reading

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/1022

Weiterlesen

Tagungsbericht: Editionsreihen von Regierungsakten im internationalen Vergleich

Unter dem vielsagenden Titel „Zwischen Unverzichtbarkeit und Ungewissheit: Editionsreihen von Regierungsakten im internationalen Vergleich“ fand am 22. Oktober 2013 am Österreichischen Staatsarchiv in Wien ein Workshop statt, zu dem dieses zusammen mit dem Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung (INZ) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eingeladen hatte. Ziel der Veranstaltung war vor allem die Bestandsaufnahme und Bewusstseinsbildung zu Stand und Perspektiven der Regierungsakteneditionen in Österreich, wozu auch der Vergleich mit derartigen Unternehmen in Deutschland und der Schweiz beitragen sollte.

Das Programm der Veranstaltung finden Sie hier.

Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867, Bd. 2/4

Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867, Bd. 2/4

Nach Begrüßungsworten vom Direktor des INZ, Michael Gehler, wurde die Tagung mit einem Impulsreferat von Waltraud Heindl eröffnet. Die pensionierte Universitätsprofessorin, bekannt unter anderem für ihre Forschungen zur Geschichte der Bürokratie in Österreich1 und des Frauenstudiums, war auch lange Zeit Mitarbeiterin an der Edition der Ministerratsprotokolle der Habsburgermonarchie. Sie begann mit der Feststellung, Editionen seien „das ungeliebte Kind“ unter den wissenschaftlichen Großprojekten. Politische Ansprüche, die sich auf eine einseitig ökonomisch verstandene „Anwendbarkeit“ richteten, und organisatorische Paradigmen, die jede langfristige Bindung von Mitteln zu vermeiden suchten, hätten schon die Vorstellung von Langzeitvorhaben den Entscheidungsträgern „unbegreiflich“ gemacht. Demgegenüber stellte sie die kritische Textedition als wissenschaftliche Tradition heraus, die aus dem Historismus des 19. Jahrhunderts komme – einer Zeit, in der die Historie eine Leitwissenschaft der europäischen Gesellschaften und das allgemeine Bewusstsein der Gebildeten in weit höherem Maße historisch geprägt gewesen sei als gegenwärtig. Die damals entwickelten Standards und Methoden seien allerdings keineswegs ausschließlich für die Geschichtswissenschaft, sondern für den gesamten Bereich der Geistes-, Kultur- und Rechtswissenschaften gültig geblieben. Die Edition strebe einerseits danach, aus einer schwer zugänglichen Quelle einen leicht und zuverlässig abrufbaren „Wiedergebrauchstext“ zu machen, andererseits sei ein bloßer Abdruck keine Edition, sondern als unverzichtbarer Bestandteil gehöre zu dieser auch die wissenschaftliche Aufbereitung durch kritische Textgestaltung, Regestierung, Kommentierung und Einleitung. Das Vorgehen habe dabei nicht dem Ermessen zu unterliegen, sondern an Richtlinien gebunden zu sein, die im voraus festgelegt und auch den Benutzern deutlich gemacht werden. Dementsprechend, so Heindl, seien „nur die besten Historikerinnen und Historiker gut genug, um editorisch tätig zu sein“. Im Übrigen würden auch der cultural und der linguistic turn in der Geschichtswissenschaft das Bedürfnis nach solide ausgeführten Texteditionen keineswegs reduzieren, sondern im Gegenteil erhöhen – schließlich könne niemand Texte dekonstruieren, wenn keine zur Verfügung stehen. Sie schloss mit einem Plaidoyer erstens dafür, den Entscheidungsträgern in politischen Ämtern und Förderinstitutionen den Wert von Editionen verständlich zu machen, und zweitens dafür, auch an den Universitäten wieder mehr die Fähigkeiten in der Lehre zu berücksichtigen, die EditorInnen bräuchten.

Im Folgenden wurden zwei deutsche, ein schweizerisches und drei österreichische Großvorhaben jeweils von ihren Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern vorgestellt. Bärbel Holtz, Leiterin des Akademievorhabens „Preußen als Kulturstaat“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sprach über die von 1994 bis 2003 durchgeführte Edition der Protokolle des Preußischen Staatsministeriums. Hier war eine durchgehende Überlieferung über mehr als ein Jahrhundert (1817–1934/38) zu bearbeiten, wobei die Vorgaben des Fördergebers – die Finanzierung erfolgte aus dem Akademienprogramm – von Beginn an klarstellten, dass eine limitierte Projektzeit einzuhalten und eine Volltextedition jedenfalls ausgeschlossen war. Zentral für die Lösung dieser Aufgabe war ein Editionskonzept, das eine Mischung aus überwiegend standardisierter regestenförmiger Wiedergabe und der Übernahme einzelner besonders signifikanter Ausdrücke aus dem Originalwortlaut vorsah. Dank dieser kompakten Präsentationsweise nimmt ein Protokoll in der Regel nur eine Druckseite ein. Der wissenschaftliche Wert liegt daneben aber auch in einem sehr eingehend gestalteten Anmerkungsapparat, der möglichst umfassend auf bezügliche Akten sämtlicher Ministerien verweist, und in den kommentierten Registern, wobei vor allem das Personenregister geradezu eine Prosopographie der bis dahin schlecht erforschten preußischen Beamtenschaft wurde und inzwischen gerne als solche benutzt wird. Die 12 Bände in insgesamt 17 Teilbänden sind heute vollständig und unentgeltlich online zugänglich.

Hanns Jürgen Küsters, Professor an der Universität Bonn und Hauptabteilungsleiter Wissenschaftliche Dienste bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, berichtete über die lange, aber keineswegs geradlinige Geschichte der Edition der „Dokumente zur Deutschlandpolitik“. Er hob hervor, wie unmittelbar dieses Unternehmen nicht nur in seiner Entstehung, sondern auch in Detailentscheidungen über Zielsetzungen und Editionsplan von konkreten politischen Darstellungs- und Legitimationsinteressen abhängig war und ist – ein Umstand, der zu einer (so Küsters wörtlich) „verkorksten“ Reiheneinteilung und Erscheinungsfolge der Bände geführt habe. Die Arbeitsgruppe unterstand direkt dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, später dem Bundesinnenministerium; andere Ministerien zeigten sich freilich nicht immer kooperativ bei der Bereitstellung amtlicher Schriftstücke. Küsters ging auch auf die großen Probleme der Auswahl der Dokumente ein, zumal auch ausländische Bestände nach Möglichkeit herangezogen werden; das „Zauberwort ‚Schlüsseldokumente‘ “, meinte er augenzwinkernd, stehe zwar in jedem Antrag und Projektbericht, eine Definition sei ihm aber noch nicht untergekommen.

Ursina Bentele präsentierte die Edition „Diplomatische Dokumente der Schweiz“. In den 1970er Jahren zunächst als interuniversitäre Initiative entstanden, ist sie heute ein Unternehmen der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften. Die erste Reihe mit 15 Bänden zum Zeitraum 1848–1945 ist abgeschlossen; die Edition der Dokumente ab 1945 erfolgt parallel in Form der Datenbank DODIS und gedruckter Bände, in die freilich nur ein Teil der in der Datenbank bearbeiteten Stücke im Volltext eingeht – die Bücher erhalten so die Funktion von „Wegweisern“ zur Datensammlung. Die Forschungsleistung der Editionsgruppe, so Bentele, bestehe aber auch noch unter diesen Umständen zu einem beträchtlichen Teil in der Reduktion des verfügbaren Materials auf die präsentierte Auswahl: Für einen Band, der drei Jahre Schweizer Außenpolitik abdeckt, würden etwa 600 Laufmeter Akten oder rund 1,5 Millionen Schriftstücke gesichtet.

Screenshot eines Rechercheergebnisses aus DODIS

Screenshot eines Rechercheergebnisses aus DODIS

Von österreichischer Seite wurde zunächst die Edition der Ministerratsprotokolle der Habsburgermonarchie von Stefan Malfèr und Thomas Kletečka vorgestellt. Als Gemeinschaftsunternehmen österreichischer und ungarischer HistorikerInnen nahm sie ihren Anfang in den späten 1960er Jahren; die erste Serie, enthaltend die Ministerratsprotokolle der Jahre 1848 bis 1867, ist heute mit insgesamt 26 Bänden nahezu abgeschlossen, die letzten zwei sind bereits in Vorbereitung. Ähnlich steht es um die in Ungarn edierten Protokolle des gemeinsamen österreichisch-ungarischen Ministerrats von 1867 bis 1918. Die dritte Serie mit den Protokollen des „cisleithanischen“ Ministerrats aus der Zeit der Doppelmonarchie ist auf lediglich elf Bände kalkuliert, weil ein erheblicher Teil der Vorlagen beim Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 zerstört oder beschädigt wurde. Malfèr hob hervor, dass der hohe Standard – er bekannte sich insbesondere zur Volltextedition und zum ausführlichen wissenschaftlichen Kommentar einschließlich Verweisen auf Bezugsakten und Forschungsliteratur – zwar für die lange Bearbeitungsdauer mitverantwortlich sei, die immer wieder der Verteidigung bedurft habe, aber auch ein entscheidendes Kriterium für den Wert und die sehr positive Aufnahme der Edition in Fachkreisen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung liefere unvermeidlich auch bereits erste Ergebnisse hinsichtlich einer Interpretation des Regierungshandelns, in diesem Fall etwa für eine Neubewertung der Leistungen und Versäumnisse des „Neoabsolutismus“ der 1850er Jahre oder des Oktoberdiploms von 1860. Die Arbeit der Gruppe verstehe sich damit auch als Beitrag zu einer von ideologischen Verzerrungen und Ressentiments „entrümpelten Erinnerungskultur“ zur Habsburgermonarchie, so Kletečka.

Gertrude Enderle-Burcel überschrieb den von ihr gemeinsam mit Hanns Haas und Alexandra Neubauer-Czettl vorgetragenen Bericht über die Ministerratsprotokoll-Edition zur Republik Österreich bewusst provokativ mit „Blick zurück im Zorn“. Bei Beginn des Unternehmens in den 1970er Jahren habe zwar seitens des Bundeskanzlers Bruno Kreisky und der Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg ein klares politisches Bekenntnis zur Notwendigkeit der Bearbeitung bestanden, die Finanzierung und Ausstattung der Arbeitsgruppe sei jedoch von Beginn an unzulänglich gewesen, und dies habe sich im Laufe der Zeit nur noch verschärft. Nie habe es mehr als einen festen Dienstposten für das Vorhaben gegeben; die zwischen Bundeskanzleramt und Wissenschaftsministerium geteilte Zuständigkeit habe es beiden Behörden immer wieder erleichtert, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Basisfinanzierung wurde schließlich nach jenem desaströsen Regierungsbeschluss von Oktober 2010, der zur Einstellung jeglicher Förderung des Bundes für außeruniversitäre Forschung führte, gestrichen. Derzeit gebe es noch eine Finanzierung durch die Gemeinde Wien in Form jährlicher (!) Förderverträge sowie eine Projektfinanzierung des Bundeskanzleramtes für die Digitalisierung und Transkription der Unterlagen. Dabei handle es sich – was im Grunde selbstverständlich sein müsste – um Quellen von höchster Wichtigkeit und großer Aussagekraft, deren Bearbeitung allerdings hohe Ansprüche stelle, da auch die Originalmitschriften zu berücksichtigen sind, in denen vieles enthalten ist, was in die Reinschriften keine Aufnahme fand. Diese Mitschriften freilich sind in Gabelsberger Kurzschrift aufgezeichnet worden, die heute nur noch von wenigen ExpertInnen gelesen wird. Die Zukunft des Unternehmens sei derzeit höchst ungewiss; nach den 23 erschienenen Bänden wären noch 29 weitere nötig, um auch nur die Erste Republik abzuschließen, eine zweite Reihe zur Zweiten Republik steht noch in den Anfängen.

Etwas versöhnlicher klang die Präsentation der „Außenpolitischen Dokumente der Republik Österreich“ durch Klaus Koch, Walter Rauscher und Elisabeth Vyslonzil. Dieses Gegenstück zu den „Diplomatischen Dokumenten der Schweiz“ wurde um 1990 – lange nach dem Einsetzen ähnlicher Projekte in vielen anderen europäischen Staaten2 – angestoßen. Der von Beginn an schlanke Editionsplan, der für den gesamten Zeitraum der Ersten Republik 12 Bände vorsah, ist durchgehalten worden; acht Bände sind erschienen, zwei im Druck, die letzten beiden in Vorbereitung.

Der durch diese Präsentationen geschaffene Überblick zeigte zwar, dass auch in Deutschland und der Schweiz für langfristige Editionsprojekte der Himmel nicht immer voller Geigen hängt, dass aber doch die Situation in Österreich besonders unbefriedigend ist. Während die preußischen Staatsministeriumsprotokolle von fünf Promovierten bearbeitet wurden und DODIS acht wissenschaftliche MitarbeiterInnen beschäftigt, kann keine der genannten österreichischen Unternehmungen darauf zurückblicken, jemals mehr als drei Dienstposten besessen zu haben. Fördermodelle mit zehn- oder zwölfjähriger Laufzeit gibt es in Österreich schlichtweg nicht. Ein Großteil der Finanzierung erfolgte in allen drei Fällen über Jahrzehnte hinweg in Form aneinandergereihter dreijähriger Projekte, bei jeweils neuer Beantragung und Begutachtung. Die Zukunft aller drei Editionen ist völlig offen; für keine gibt es derzeit eine Finanzierung über das Jahr 2014 hinaus.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Geschäftsführerin Dorothea Sturn), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Brigitte Mazohl, Präsidentin der Philosophisch-historischen Klasse) und des Österreichischen Staatsarchivs (Gertrude Enderle-Burcel) sowie einer Beamtin des Wissenschaftsministeriums (Ursula Brustmann), die freilich bereits eingangs erklärte, nicht für die politische Ebene des Ressorts sprechen zu können, sondern nur den Standpunkt der dortigen FachbeamtInnen zu repräsentieren. Als Leitfragen wurden ausgegeben: „Wie kann politisches Interesse für Editionen gefördert werden? Welche Wünsche der Öffentlichkeit an Editionen sind zu berücksichtigen? Wie kann die nötige Finanzierung eingeworben und verstetigt werden?“

Ein niederschmetternd einmütiger Befund war zunächst der, dass es um das politische Interesse für Wissenschaft im Allgemeinen, Geisteswissenschaften im Besonderen und speziell für Editionen in Österreich derzeit schlecht bestellt respektive dieses überhaupt nicht vorhanden sei. Hinsichtlich der derzeit laufenden Verhandlungen über eine Regierungsbildung nach den Nationalratswahlen im September wurden zudem von mehreren Seiten Befürchtungen laut, dass eine Zusammenlegung des Wissenschaftsministeriums mit anderen Ressorts, vielleicht auch eine Trennung der Universitäts- von den Forschungsagenden zu befürchten sei. Dass von Seiten der Wissenschaft mehr Arbeit zur Bewusstseinsbildung nötig sei, blieb angesichts dessen unbestritten. Dazu wurden von verschiedenen Seiten Vorschläge vorgebracht, teils organisatorischer Natur – Vernetzung laufender Editionsvorhaben zu einer Plattform zwecks gegenseitiger Information und koordinierter Medien- und Lobbyarbeit (Mazohl; von vielen Seiten begrüßt) –, teils inhaltlicher Art, etwa die Idee einer Betonung des Werts von Staatsakteneditionen als Instrument der Demokratieerziehung (Küsters). Manches war wohl auch eher sarkastisch gemeint, etwa die Frage von Waltraud Heindl, ob es zielführend sei, die Namen politischer Entscheidungsträger ähnlich groß und sichtbar außen auf Editionsbände zu schreiben, wie die Namen der Bürgermeister auf Wiener Gemeindewohnbauten stehen.

Gedenktafel Bieler Hof

“Ediert aus den Mitteln der Republik Österreich in den Jahren 2017–2020 unter der Bundeskanzlerin X und dem Bundesminister für Wissenschaft Y”? (Photo: Bauinschrift des Bieler-Hofes in Wien 21. Quelle: Wikimedia Commons/Herbert Josl)

In institutioneller Hinsicht waren sich die Diskutierenden einig, dass die bestehenden Fördermodalitäten des FWF (als inzwischen nahezu einzig verbliebener Agentur zur Förderung der Geisteswissenschaften in Österreich) für langfristige Editionsprojekte wenig geeignet sind. Ob es Aufgabe des FWF sei, eine derartige Förderschiene in sein Programm aufzunehmen3, war hingegen umstritten. Von manchen wurde dies mit Nachdruck gewünscht, die FWF-Vertreterin sah eine solche Ausweitung der Tätigkeit angesichts der aktuellen Ressourcenausstattung des Fonds jedoch für die absehbare Zukunft als nicht diskutabel an4. Als Trägerinstitution größerer Vorhaben sahen fast alle, angesichts der weiterhin sehr ungünstigen Bedingungen für die Schaffung neuer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, in erster Linie die Akademie der Wissenschaften gefragt. Nach den Worten ihrer Vertreterin wäre diese dazu gerne bereit – entsprechende Budgetmittel vorausgesetzt, womit natürlich wieder die politische Ebene angesprochen war.

Diskutiert wurde auch, inwiefern sich die Rahmenbedingungen auf editorische Tätigkeit selbst auswirken müssten. Von außen ist immer wieder der bloße Abdruck von Texten ohne wissenschaftlichen Apparat empfohlen, nicht selten auch gefordert worden, wie etliche Anwesenden berichten konnten. Allen Teilnehmenden der Veranstaltung war jedoch klar, dass hierin keine Lösung liegen kann, sondern gerade die wissenschaftliche Aufarbeitung den Mehrwert der editorischen Arbeit ausmacht: Indexierung schafft erst die Möglichkeit einer Benutzung zu vorgegebenen Themen, der Nachweis der bisherigen Literatur führt an den Forschungsstand heran und Verweise auf weitere Akten ermöglichen weiterführende Forschung. Ein Textabdruck oder auch eine Sammlung von Digitalisaten ohne alles dieses ist dagegen ein unbenutzbarer Datenwust. Dies müsste freilich auch außerhalb von Fachkreisen klar gemacht werden. Gertrude Enderle-Burcel gab unerquickliche Anekdoten aus ihren Verhandlungen mit Beamten des Bundeskanzleramts zum Besten: Es sei von ihren Gesprächspartnern als unverständlich bezeichnet worden, wie jemand ein oder gar zwei Jahre an einem Editionsband „herumnudeln“ könne; es sei nach den Kosten pro Seite, ja nach Kosten pro Anmerkung gefragt worden; schließlich erscheine die (bereits erwähnte) Finanzierung für die Digitalisierung und Transkription der Protokolle zwar ihr und ihren KollegInnen als Vorarbeit für eine Edition, dem Fördergeber jedoch anscheinend als abschließende Erledigung des Anliegens. Selbst die Anlage eines Registers sei für überflüssig befunden worden, denn wenn die Transkripte online verfügbar seien, gebe es ja die Möglichkeit der Volltextsuche – in ungefähr 13.000 Seiten …

Die neuen technischen Möglichkeiten der Bearbeitung und Präsentation wurden von allen als unverzichtbar eingestuft, etliche Stimmen riefen allerdings nach einer differenzierten Abwägung von Kosten und Nutzen. Auf Online-Präsenz ganz zu verzichten und nur auf gedruckte Editionsbände hinzuarbeiten, wurde allgemein als weder wissenschaftlich vertretbar noch gegenüber einem außerwissenschaftlichen Publikum entgegenkommend abgelehnt. Hingegen wurde darauf verwiesen, dass Online-Editionen, gerade solche in Datenbankform, vor allem erweiterte Zugangs- und Suchmöglichkeiten brächten, nicht jedoch die von uninformierter Seite häufig vermutete Kostenreduktion; im Gegenteil, spätestens bei der Absicht einer langfristigen Nutzung auf Jahrzehnte hinaus sei mit viel höheren Kosten zu rechnen. Gerade die lange Nutzungsdauer ist jedoch ein besonderes Merkmal von Editionen; Bände der „Monumenta Germaniae Historica“ oder der „Acta Borussica“ aus dem 19. Jahrhundert werden heute noch geläufig zitiert. Dies wurde mehrfach als gewichtiges Argument für den Druck gewertet, dessen Langzeit-Speicherfähigkeit von keinem elektronischen Medium ohne vielfache Datenmigration erreicht wird. Die meisten Diskussionsbeiträge liefen darauf hinaus, dass sich Kombinationslösungen empfehlen, bei denen die Kapazität, Zugänglichkeit und Suchmöglichkeiten einer Online-Edition mit den Speichereigenschaften einer parallelen Druckausgabe verbunden werden. Selbst bei dem in dieser Hinsicht zukunftsweisend erscheinenden DODIS-Projekt steht „die Abschaffung des gedruckten Bandes nicht zur Debatte“ (Bentele).

Gibt es ein Fazit, das auch für die Belange unseres weit kleiner definierten Eichstätter Editionsprojekts zur Zentralgewalt anwendbar wäre? Deutlich wurde durch die Veranstaltung zunächst, dass Editionen keineswegs bloße Kärrnerarbeit sind, sondern geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung, die eine vielfache Weiternutzung ermöglicht. Dass dies außerhalb enger Fachzirkel den Wenigsten klar zu sein scheint, ist ein wesentliches Problem, und es steht allen an Editionen beteiligten ForscherInnen gut an, jede Gelegenheit zur Bewusstseinsbildung zu ergreifen. Überaus klar wurde auch, dass Editionen hohe Ansprüche an eine gediegene und konsequente Bearbeitung stellen und dementsprechend Schwerarbeit sind. Letzteres wussten wir bei der Zentralgewalt-Edition schon; Ersteres auch, aber das Workshop bestärkt uns darin, den Blick stets darauf gerichtet zu halten, dass unsere Produktion nicht nach der Zahl der Dokumente bewertet wird, die wir abgetippt haben, sondern nach der zielführenden Auswahl derselben und der Güte der Bearbeitung. Jene Standards in Textgestaltung, Erschließung und Präsentation, die sich bei einem solchen Erfahrungsaustausch als unverzichtbar und unhintergehbar über die verschiedensten Projekte hinweg erweisen, sind auch in unserer Edition zu berücksichtigen. Aber davon wird an anderer Stelle mehr zu schreiben sein.

  1. HEINDL, Waltraud: Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 bis 1848 (Studien zu Politik und Verwaltung 36), Wien – Köln – Graz 1990; HEINDL, Waltraud: Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich 1848–1918, Wien 2013.
  2. Ein solches Verspätungsempfinden im internationalen Vergleich hatte Ursina Bentele bereits als Motivation für die 1972 erfolgte Initiative zu den „Diplomatischen Dokumenten der Schweiz“ angesprochen, was von Klaus Koch mit ironischem Lächeln aufgegriffen wurde.
  3. Dies war 2007/08 unter dem Programmtitel NIKE bereits geplant, fiel jedoch der Wirtschaftskrise und den daraus folgenden Budgetkürzungen zum Opfer.
  4. Dorothea Sturn verwies hierbei darauf, dass etwa der Schweizerische Nationalfonds, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, über viermal so viele Mittel verfüge wie der FWF.

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/385

Weiterlesen