Reflexionen über diplomatische Herausforderungen im 19. Jahrhundert und heute

von Gesche Schifferdecker (Max Weber Stiftung)

Um mich inhaltlich auf das WeberWorldCafé „Bürger, Blogger, Botschafter: neue Medien und Akteure in der Diplomatie des 21. Jahrhunderts“ vorzubereiten, bin ich am 28. Februar 2014 zum Deutschen Historischen Institut Paris gefahren und habe an dem Studientag „Diplomatie unter Druck? Legitimität als diplomatisches Problem im 19. Jahrhundert“ teilgenommen. Da ich mich vorher hauptsächlich mit diplomatischen

Beziehungen im 20. und 21. Jahrhundert beschäftigt hatte, fand ich es wichtig, die Perspektive der „klassischen“( in der Regel bilateralen Diplomatie) kennenzulernen, um diese in Relation zu setzen zu den mannigfaltigen Akteuren und Interaktionsformen, die heute die diplomatische(n) Bühne(n) prägen. Deswegen soll es im Folgenden nicht nur um ausgewählte Thesen der Vortragenden des Studientages am DHI Paris gehen, sondern ich möchte anhand der drei Kategorien Vertrauen, Legitimität und Information auch Bezug nehmen auf gegenwärtige Entwicklungen und Fragestellungen in den internationalen Beziehungen.

Vertrauen

Das 19. Jahrhundert ist als Referenzpunkt für diplomatische Beziehungen besonders interessant, weil man – zumindest in Deutschland – in den 1820er Jahren sukzessive begonnen hat, Diplomaten professionell auszubilden. Gleichzeitig erfolgte eine Differenzierung des Berufs in verschiedene Vertreter bestimmter Segmente, zum Beispiel Konsuln, Militärattachés und Presseattachés. Unter anderem mit dieser Professionalisierung setzte sich Verena Steller (Frankfurt) auseinander, die den Eröffnungsvortrag des Studientages hielt. Diplomatie im 19. Jahrhundert bedeutete Steller zufolge hauptsächlich Diplomatie von Angesicht zu Angesicht, das heißt Diplomatie durch persönliche Interaktion. Ein zentraler Faktor war hier das Vertrauen, das durch die persönliche Begegnung unterstützt und intensiviert werden sollte. Dieses Vertrauen war zwar nicht einklagbar, half aber, Handlungen vorauszusehen. Vertrauensbildende Maßnahmen prägen auch heute diplomatische Beziehungen ganz wesentlich – und wenn einem Staat von offizieller Seite das Vertrauen entzogen wird, wie es zum Beispiel bei Iran im Kontext der Kritik an dessen Urananreicherungen der Fall war, kann dies schwerwiegende Folgen nicht nur für die politische Reputation, sondern auch die wirtschaftliche Situation des Landes haben. Umgekehrt hat das Vertrauen vieler Staaten massiv unter dem NSA-Skandal gelitten, nicht nur im Verhältnis zwischen den transatlantischen Partnern, sondern auch zwischen EU-Staaten, zwischen Bürgern und ihren Regierungen und das Vertrauen in die Sicherheit von Informationsdienstleistungen.

Legitimität

Fragen der Legitimität, mit denen sich Verena Steller am Beispiel Frankreichs nach der Reichsgründung 1870/71 beschäftigte, hatten einen hohen Stellenwert in den diplomatischen Beziehungen. 1870/71 befanden sich französische Diplomaten in einer prekären Situation: Mit dem Wechsel der Staatsform von der Monarchie zur Dritten Republik hatten die Provisorische Regierung und ihre Vertreter sowohl um die Gestalt jeglicher Repräsentation als auch um die diplomatische Anerkennung von Legitimität und Gewährung von gegenseitiger Anerkennung vor allem durch den deutschen Kriegsgegner zu ringen. Dabei handelte es sich bei der französischen Botschaft in Berlin um den wichtigsten diplomatischen Posten der Republik: Auf „feindlichem“ Boden diente er der Beobachtung und Überwachung, ermöglichte aber auch einen Dialog mit dem „Feind“, wie Marion Aballéa (Genf/Straßburg) feststellte.

Katrin Rack (Bielefeld/Paris) analysierte die Situation der deutschen Diplomaten, die zwischen 1815 und 1870/71 in Paris tätig waren. Auch sie waren mit vielfältigen Standort- und Anerkennungsproblemen konfrontiert – zeitweise waren dort 10 verschiedene deutsche Vertretungen präsent. Eine (gesamt-)deutsche Botschaft gab es erst ab 1871, sie entstand im Kontext der Gründung des Deutschen Kaiserreichs.

Anhand der Diskussion über die Legitimität der Repräsentanten zeigte sich, dass es sich hier zwar um originäre Problematiken des 19. Jahrhunderts handelte, die unter anderem aus den spezifischen Machkonstellationen, die sich nach dem Wiener Kongress in Europa etabliert hatten, resultierten. Im Sinne des Völkerrechts waren alle Staaten gleich – de facto gab es aber Souveräne (Großmächte) und Mi-Souveräne (kleine und mittelgroße Staaten), wie Thomas Müller (Bielefeld) auseinandersetzte. Die Frage der Legitimität in den internationalen Beziehungen hat jedoch eine gleichbleibende Aktualität und wird gegenwärtig diskutiert zum Beispiel anhand des Krim-Referendums, das nicht nur von der EU und den Vereinigten Staaten abgelehnt wird, sondern dessen Rechtmäßigkeit auch eine Minderheit der Krim-Bewohner anzweifelt.

Information

Zur Bedeutung der Auslandskorrespondenten für die diplomatischen Beziehungen am Beispiel des im März 1893 wegen unliebsamer Berichterstattung aus Paris ausgewiesenen deutschen Journalisten Otto Brandes referierte Sonja Hillerich (Duisburg-Essen). Sie betonte, dass, obwohl das Ansehen der Presse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sukzessive wuchs, Auslandskorrespondenten trotzdem häufig anonym berichteten, weil die Zensurbestrebungen ausgeprägt waren: Es gab noch kein „Recht auf Information“, wie es heute – zumindest in demokratisch verfassten Staaten – besteht. Dennoch stellte sich in dieser Zeit zum ersten Mal die Frage, ob Presse als ein Mittel oder sogar als Akteur der diplomatischen Beziehungen identifiziert werden müsse.

Im 21. Jahrhundert haben die Medien diesen Status längst erreicht. Gleichzeitig haben sich durch die digitale Revolution die Möglichkeiten vervielfacht, so dass einzelne oder Gruppen von JournalistInnen, aber auch Kulturschaffende, WissenschaftlerInnen oder andere nicht-staatliche Akteure, sich auch ohne die Unterstützung institutioneller oder bürokratischer Strukturen global vernetzen und Debatten beeinflussen können. Ethan Zuckerman, Wissenschaftler am Berkman Center for Internet and Society, beschreibt die veränderten Kommunikationsstrukturen wie folgt: „They provide a new rhetorical space where a new generation of leaders can think and speak freely. In the long run, this ability to create a new public sphere, parallel to the one controlled by the state, will empower a new generation of social actors.“ Dies betonten auch die Macher des Films über den Wikileaks-Gründer Julian Assange, als sie diesen mit „Die fünfte Gewalt“ untertitelten.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Während es im 19. Jahrhundert in erster Linie darum ging, Vertrauen aufzubauen und als Souverän anerkannt zu sein, um „im Konzert der Mächte“ mitzuspielen, bewegen sich DiplomatInnen im 21. Jahrhundert in ihrem ehemaligen „Hoheitsbereich“ nun in einem unüberschaubaren Netz von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren. FachvertreterInnen im Ausland zusammenbringen und orchestrieren müssen, ohne dabei den Anspruch oder auch nur die Kapazitäten zu haben, die Interessen des Entsendestaates exklusiv zu repräsentieren bzw. in allen Diskursen selbst immer die führende Expertise einbringen zu können, gehört mittlerweile zu den größten Herausforderungen des diplomatischen Alltags.

Quelle: http://wwc.hypotheses.org/46

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