Into Iceland – Kammermusik von der Insel. Isländische Musik in der Elbphilharmonie

Gastbeitrag von Moritz Twente und Diana Sonja Tobler Ein neues Konzerthaus am Wasser, Bauverzögerungen, Kostensteigerungen – die Parallelen zwischen der Hamburger Elbphilharmonie und dem Reykjavíker Konzerthaus Harpa drängen sich auf. Vielleicht fühlten sich die Vertreter*innen der isländischen Musikszene, die am … Weiterlesen →

Quelle: https://norroena.hypotheses.org/889

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Dissonanzenjäger früher und heute: Warum die Neue Musik nicht gut ankommt

Es ist eine 100 Jahre alte Frage, die man auch heute noch bei den Pausengesprächen der Abonnement-Konzerte hören kann: Ist die verbreitete ablehnende Haltung gegenüber Neuer Musik grundsätzlich nichts anderes als etwa die Ablehnung von Beethovens späten Werken durch seine Zeitgenossen oder haben wir es mit einer wesentlich anderen Form der Unverständlichkeit zu tun? Wenn Mathias Spahlinger bei der Uraufführung seines Cellokonzertes im Münchner Herkulessaal (im Januar 2013) ausgebuht wird, müssen wir dann an Richard Wagner denken, wie er 1861 für seinen Tannhäuser in Paris ausgepfiffen wurde, der heute auf den Spielplänen nicht mehr wegzudenken ist?

Es ist eine schwierige und komplexe Frage, die auch in der Nachkriegszeit aktuell war. Nach 1945 musste das Musikleben der Bundesrepublik neu gestaltet werden. Die Musik der österreichisch-deutschen Tradition war politisch belastet, die Neue Musik war von den Nazis als entartet gebrandmarkt und von den Konzertprogrammen verbannt worden. Viele bezeichneten die Neue Musik auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als inhuman und „biologisch minderwertig“ (siehe Blogpost vom 22. April 2014), andere sahen in ihr den einzig möglichen künstlerischen Anknüpfungspunkt nach der Katastrophe. Im Folgenden möchte ich zwei unterschiedliche Antworten auf die oben gestellte Frage aus den 1950er Jahren vorstellen: die erste von Hans Heinz Stuckenschmidt (1952), einem der bedeutendsten Musikkritiker des 20. Jahrhunderts, die zweite von Julius Ahlhorn (1950).

Hans Heinz Stuckenschmidt erklärt, dass die Argumente, die gegen die Neue Musik ins Feld geführt werden, historisch vor die Moderne zurückreichen. Er stellt fest, „daß Melodielosigkeit zu seinen Lebzeiten auch Mozart vorgeworfen wurde, daß man Beethoven als Dissonanzenjäger und nach der Uraufführung der Siebenten Symphonie als reif fürs Irrenhaus hinstellte, daß Wagners Musik als unlogisch, spannungslos und formzersetzend, die Brahmssche als depressiv und konstruiert galt.“1 Stuckenschmidt versucht, die Begründungen der Gegner der Neuen Musik zu schwächen, indem er zeigt, dass eben diese Argumente schon gegen die großen Komponisten der abendländischen Tradition verwendet wurden. Die Neue Musik, so wird stillschweigend impliziert, führe diese große Tradition fort. Dass die Zahl der Befürworter der zeitgenössischen Musik im Vergleich zu früheren Zeiten geschrumpft ist, verweise auf ein außermusikalisches Problem: „Sie [die Klage um den Hörerverlust] hat einen tiefen Sinn, denn sie öffnet den Blick auf eines der ernstesten Probleme der Gegenwart überhaupt. Auf die zunehmende Isolierung und Entfremdung des Spezialisten in der modernen Gesellschaft […].“2 Ähnlich wie Theodor W. Adorno sieht Stuckenschmidt die Kunst als ein Medium an, in dem sich Probleme der Gesellschaft ausdrücken und widerspiegeln.

Julius Ahlhorn würde Stuckenschmidt in einem wesentlichen Punkt widersprechen: Es seien bloß Ausnahmen gewesen, wenn im 19. Jahrhundert Werke von Zeitgenossen als zu neu und unschön verworfen wurden. „Nie aber – und das ist nun das Entscheidende – lehnte man sich gegen eine Musik auf, weil sie modern‘, ‚zeitgenössisch‘ war, niemals hat es einen Gegensatz gegeben wie den uns so geläufigen zwischen sogenannter ‚klassischer‘ und sogenannter ‚moderner‘ Musik. Es ist unschwer zu erkennen, wie schief das Argument von der zeitgenössischen Musik, die zu allen Zeiten zunächst auf Ablehnung gestoßen sei, im Lichte der Tatsachen erscheint.“3 Dass es sich um ein Novum handelt, so Ahlhorn, sei sichtbar in der heutigen, zuvor nie dagewesenen „Kampfstellung“4 zwischen Vertretern der klassischen und der modernen Musik.

Ein Blick auf die (deutsche) Musikforschung – ich erlaube mir diese Bemerkung – bestätigt den von Ahlhorn beschriebenen Gegensatz. Es gibt einige Musikwissenschaftler, die sich mit Enthusiasmus mit zeitgenössischer Musik beschäftigen (ebenso wie mit der Musik anderer Jahrhunderte). Es gibt aber auch eine Gruppe von Forschern, die eine ablehnende Haltung gegenüber Neuer und zeitgenössischer Musik pflegen – oft ohne sich zuvor wissenschaftlich-objektiv mit ihr auseinandergesetzt zu haben. Hier zementieren Wissenschaftler eine Spaltung zwischen Musik, die heute entsteht, und Musik der Vergangenheit: eine Spaltung, die durchaus hinterfragt werden kann (und sollte) und beispielsweise in der Verwertung durch die Populärkultur weniger strikt besteht (ich denke hier an Filmmusik).

Wie erklärt Julius Ahlhorn nun die Ablehnung gegenüber Neuer Musik? Ausgehend davon, dass Kunst immer „lebendiger Ausdruck ihrer Zeit“ sei, kommt er zu dem Schluss: „[...] die neue Musik wird deshalb vom breiten, aber sogenannten gebildeten Publikum abgelehnt, weil es Angst vor dem Leben hat, Angst vor unserer heutigen Zeit und ihren bestürzenden Erscheinungen, Angst vor dem Untergang eines Zeitalters, das man das gutbürgerliche nennen könnte.“5 – Ist es ein Sich-nicht-einlassen-können auf die zeitgenössische Kultur, das Vorurteile und Ablehnung gegenüber moderner Musik evoziert? Wie dem auch sein mag, in einer Sache stimme ich Ahlhorn zu: Die heute entstehende Musik ist lebendiger Ausdruck unserer Zeit. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr verrät uns nicht nur viel über die heutige Kunstproduktion, sondern auch über den heutigen Menschen und sein Verhältnis zu unserer Gesellschaft.

1Hans Heinz Stuckenschmidt, „Die unbedeutende Minderheit“, in: Melos 19 (1952), S. 130.

2Ebd., S. 134.

3Julius Ahlhorn, „Angst vor dem Leben – Angst vor moderner Musik“, in: Melos 17 (1950), S. 274.

4Ebd.

5Ebd., S. 275.

Quelle: http://avantmusic.hypotheses.org/90

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