Organisation als Natur

Dirk Rustemeyer Gewebt aus Kommunikation, erscheinen sie wie Natur: Nöten und Gefühlen der Einzelnen gegenüber bleiben Organisationen gleichgültig. Unabhängig von politischen oder wirtschaftlichen Ideologien sind Organisationen, wie Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts feststellt, für jedwede staatliche Ordnung unverzichtbar. Sie bilden das bürokratische Skelett moderner Gesellschaften. Doch entpuppt Verwaltungsrationalität sich allzu oft als Irrationalität. Franz Kafkas „Schloß“ entwirft, zeitgleich zu Webers Soziologie, ein beklemmendes Bild dieser unheimlichen Rationalität. Ken Loach hat mit „Ich, Daniel Blake“ (2016, 101 Minuten) Kafkas Schloß ins zeitgenössische Großbritannien verlegt. […]

Quelle: http://kure.hypotheses.org/70

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Bundesarchiv: Internet-Portal zu 25 Jahre Wiedervereinigung

https://wiedervereinigung.bundesarchiv.de/ Das neue Internet-Portal des Bundesarchivs lädt dazu ein, die historischen Ereignisse zwischen dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 nachzuvollziehen. Anhand von digitalisierten Bildern, Plakaten, Tönen und Filmen bringen wir Ihnen die Hoffnungen, Sorgen und Diskussionen dieser dramatischen Monate nahe. Lesen Sie in den Dokumenten, […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/10/6170/

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Die Kraft der Bilder: “Das Lied der Fischer” 漁光曲 (1934)

Anfang der 1930er Jahre unternahm die Regierung Chiang Kai-shek  [Jiǎng Jièshí] 蔣介石 alles, um den Einfluss der linksgerichteten Filmstudios in China zurückzudrängen. Waren es zunächst Zensurmaßnahmen, Aufführungsverbote und Verbote  linksgerichteter Vereinigungen., kam es 1934 zu einer Verhaftungswelle und zahlreichen Mordanschlägen.[1] Trotz der schwierigen Situation wurde in diesem Jahr ein Film eines linksgerichteten Filmemachers zum Publikumserfolg.

Still frame from: Song of the Fishermen (漁光曲)
Song of the Fishermen 漁光曲 (1934) Internet Archive

Yúguāng qū 漁光曲[“Das Lied der Fischer”/”Song of the Fishermen”] von Cài Chǔshēng  蔡楚生 (1906-1968)  erzählt die Geschichte einer Fischerfamilie nach dem Tod des Vaters. Cài Chǔshēng  蔡楚生 verzichtet auf plumpe Agitation und jede Form der Indoktrination, die Wirkung entsteht allein aus der Kraft der Bilder. Das Publikum soll sich mit dem Schicksal der dargestellten ‘einfachen’ Leute identifizieren.

Der Film steht zwischen Stummfilm und Tonfilm, der Film kommt ohne gesprochene Dialoge aus, doch die Filmmusik (vor allem das Titellied Yúguāng qū 漁光曲) trägt entscheidend zur Wirkung bei.[2]

Yúguāng qū 漁光曲 war der erste chinesische Film, der bei einem internationalen Festival einen Preis errang: einen Spezialpreis beim Moskauer Filmfestival 1935.[3]

Der Film im Internet Archive:

 

  1. Dazu einführend Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Weimar: Metzler 1997), 23 f.
  2. S. dazu: Dorothea Charlotte Rusch;  Ideologische Schlager in chinesischen Filmen der 1930er Jahre:  “Siji ge” 四季歌, “Yuguang qu” 渔光曲 und “Dalu ge” 大路歌 (Magisterarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, SS 2013), 64-68.
  3. Kramer (1997), 24. S. auch Rusch (2013)  8.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2039

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Die Kraft der Bilder: “Das Lied der Fischer” 漁光曲 (1934)

Anfang 1930er Jahre unternahm die Regierung Chiang Kai-shek  [Jiǎng Jièshí] 蔣介石 alles, um den Einfluss der linksgerichteten Filmstudios in China zurückzudrängen. Waren es zunächst Zensurmaßnahmen, Aufführungsverbote und Verbote  linksgerichteter Vereinigungen., kam es 1934 zu einer Verhaftungswelle und zahlreichen Mordanschlägen.[1] Trotz der schwierigen Situation wurde in diesem Jahr ein Film eines linksgerichteten Filmemachers zum Publikumserfolg.

Still frame from: Song of the Fishermen (漁光曲)
Song of the Fishermen 漁光曲 (1934) Internet Archive

Yúguāng qū 漁光曲[“Das Lied der Fischer”/”Song of the Fishermen”] von Cài Chǔshēng  蔡楚生 (1906-1968)  erzählt die Geschichte einer Fischerfamilie nach dem Tod des Vaters. Cài Chǔshēng  蔡楚生 verzichtet auf plumpe Agitation und jede Form der Indoktrination, die Wirkung entsteht allein aus der Kraft der Bilder. Das Publikum soll sich mit dem Schicksal der dargestellten ‘einfachen’ Leute identifizieren.

Der Film steht zwischen Stummfilm und Tonfilm, der Film kommt ohne gesprochene Dialoge aus, doch die Filmmusik (vor allem das Titellied Yúguāng qū 漁光曲) trägt entscheidend zur Wirkung bei.[2]

Yúguāng qū 漁光曲 war der erste chinesische Film, der bei einem internationalen Festival einen Preis errang: einen Spezialpreis beim Moskauer Filmfestival 1935.[3]

Der Film im Internet Archive:

 

  1. Dazu einführend Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Weimar: Metzler 1997), 23 f.
  2. S. dazu: Dorothea Charlotte Rusch;  Ideologische Schlager in chinesischen Filmen der 1930er Jahre:  “Siji ge” 四季歌, “Yuguang qu” 渔光曲 und “Dalu ge” 大路歌 (Magisterarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, SS 2013), 64-68.
  3. Kramer (1997), 24. S. auch Rusch (2013)  8.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2039

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Tannbach, die neue große (Dorf-)Erzählung?

Vor rund dreißig Jahren – 1984 – wurde der erste Teil von Edgar Reitz‘ Heimat-Trilogie1 im westdeutschen Fernsehen ausgestrahlt – und wurde ein Überraschungserfolg. Reitz, der bislang nicht gerade als Macher von Straßenfegern bekannt war, erzählte in langen Fernsehfilmen2 die Geschichte der Familie Simon im kleinen Hunsrück-Dorf Schabbach. Obwohl die Filme keine leichte Unterhaltung sind, haben sie doch die Darstellung von Dorf und Heimat seit den 1980er Jahren maßgeblich geprägt.

Das Jahr 2015 begann (für das ZDF) mit einem großen Epos: „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ (offizielle Seite des ZDF) erzählt die Geschichte eines Dorfes zwischen Kriegsende und der Schließung der innerdeutschen Grenze 1952. Das Dorf Mödlareuth, auf der Grenze zwischen Bayern und Thüringen gelegen, wurde im Kalten Krieg als „Little Berlin“ bezeichnet, denn die Grenze zwischen der amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone verlief mitten durchs Dorf und schnitt es in zwei Teile. Nun ist es das historische Vorbild für das halbfiktive Tannbach, in dem das ZDF die deutsch-deutsche Nachkriegs- und Teilungsgeschichte im Mikrokosmos wiedererstehen lässt. Der Dreiteiler wurde im Vorfeld in der Süddeutschen hoch gelobt, er sei „im besten Sinne Geschichtsunterricht“, urteilte Renate Meinhof am 4. Januar.3 Für mich ein Grund, mich vor die Glotze zu setzen. Historienschinken mit Zeitgeschichtsbezug schaffen das in der Regel nicht, aber wenn es doch ums Dorf geht…

Nun, über die Filme als solche mag ich hier gar nicht schreiben, schon gar nicht etwa über historische Authentizität oder gar über die Komposition der Filme selbst. Was ich hier thematisieren möchte, ist die Darstellung des Dorfes bzw. von Dörflichkeit/Ländlichkeit in diesen Spielfilmen.

Ich gehe, wie oben angedeutet, davon aus, dass die „Heimat“-Trilogie von Reitz dieses Thema ausführlich ausbuchstabiert hat, den Provinzialismus des Hunsrück-Dorfes Schabbach explizit in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt hat. Nun haben diverse Kritiker Reitz vorgeworfen, er perpetuiere alte Darstellungsformen des Dörflichen aus dem 19. Jahrhundert.4 Andere verweisen auf die starke Abgeschlossenheit des von Reitz konstruierten Heimatraums, der in dem Moment, da er beschrieben wird, schon verloren zu sein scheint.5 So eindeutig nostalgisch überhöht wird Schabbach in meinen Augen (in meiner Seh-Erfahrung) aber gar nicht dargestellt; im Gegenteil: nicht nur im letzten Film, der „anderen Heimat“, sondern auch schon in der ersten Heimat-Reihe aus den 1980ern wird Heimat gleichzeitig als der Fixpunkt (und damit gewiss auch nostalgisch) und als beengend und einengend dargestellt. Heimat und Fernweh stehen in einem explizit thematisierten Spannungsverhältnis. Darüber hinaus geht es immer wieder darum, wie einerseits die „große Welt“ ins Dorf hineinspielt, wie sie aber in Schabbach, in der Familie Simon, anverwandelt wird, wie eben gerade nicht das Dorf die Welt „da draußen“ widerspiegelt, sondern ein ganz spezieller Ausschnitt ist.

Genug des Vorspanns: Wie wird Tannbach denn nun dargestellt? Wie wird Dörflichkeit/Ländlichkeit im Dreiteiler thematisiert? Man könnte – wohl etwas überzogen, ich gebe es zu – behaupten: überhaupt nicht. Tannbach ist kein Dorf, Tannbach ist ein Spiegel der deutschen Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier kann man, in einem begrenzten Setting und mit einem begrenzten Kreis an Charakteren die Spannungen einfangen, die mit dem Kriegsende und der Gründung der beiden deutschen Staaten verknüpft werden. Aber spezifische Ländlichkeit?

Klar, vor allem im zweiten Teil des Dreiteilers geht es um die Bodenreform in der Sowjetisch Besetzten Zone, der Gutsbesitz und die großen Höfe werden aufgeteilt, die bisherigen Großgrundbesitzer werden enteignet und umgesiedelt. Der Protagonist, der Berliner Flüchtling Friedrich Erler, wird zum begeisterten sozialistischen Jungbauern. Und in vielen Szenen sieht man Feldarbeit. Und natürlich die Kulissen – die Handlung spielt auf Dorfstraßen oder Bauernhöfen. Aber das bleibt, so meine Wahrnehmung, Hintergrund, eben Kulisse. Manche Charaktere, zum Beispiel der frühere Ortsbauernführer, der Schober-Bauer, wird schon ziemlich klischeehaft als bauernschlauer Wendehals dargestellt.

Wie aber sollte man denn überhaupt Dörflichkeit thematisieren? Was verlange ich denn überhaupt? Nun, zum ersten: Ich verlange eigentlich nichts weiter. Tannbach ist eine Fernsehproduktion, und die funktioniert nach anderen Kriterien als (wissenschaftliche) Reflektionen über Ländlichkeit. Auch verlange ich keineswegs, dass blöde Stereotypen reproduziert werden, die Hinterwäldler-Geschichte weitergesponnen wird oder gar gezeigt wird, wie verfilzt die Politik in kleinen Dörfern ist.

Mein Eindruck war aber: Im Grunde macht es gar keinen großen Unterschied, ob Tannbach nun ein Dorf oder eine Kleinstadt ist; vielleicht hätte die Geschichte ganz ähnlich auch in Berlin erzählt werden können – dann vielleicht mit einem Fabrikbesitzer statt mit einem Gutsherrn.

Denn es gibt ja Spezifika kleiner Orte, bäuerlicher Dörfer, gegenüber Städten. Aber diese wurden eben nicht in den Mittelpunkt gerückt, vielleicht, weil sie eben nicht einfach nur die „große“ Geschichte widerspiegeln.

  • Wo wurde mal thematisiert, dass möglicherweise politische Gewalt (wie im dritten Film dargestellt) anders funktioniert, wenn sich Täter und Opfer kennen, und das möglicherweise aus ganz vielen Kontexten – weil sie ihr Leben an einem Ort, in einer Schule, einer Kneipe, einer Kirche verbracht haben?
  • Wo wurde mal die Möglichkeit angetippt, dass eine Mikrogesellschaft, die in erster Linie aus wirtschaftlich Selbständigen (und gleichzeitig Subsistenzwirtschaft Treibenden) besteht, möglicherweise andere Interaktionsformen ausbildet als eine städtische Gesellschaft? Im Falle einer bäuerlichen Gesellschaft, so mein Eindruck nach einiger Zeit an meinem Projekt, spielt halt doch die wirtschaftliche Ebene eine ungleich wichtigere Rolle als in anderen sozialen Kontexten, gibt es gar nicht so viele gesellschaftliche Sphären, die nicht von wirtschaftlichen Praktiken mit durchzogen sind.
  • Außerdem: Wie geht eine kleine Gesellschaft, ein kleines Dorf, mit Fremden um? Denn die Flüchtlinge, die nach Tannbach kommen, allen voran Friedrich Erler, seine Mutter Liesbeth und sein (Nenn-)Bruder Lother, sind ja nicht nur einfach Fremde. Sie sind auch komplett anders sozialisiert als die Einheimischen. Friedrich und Lothar aber sind plötzlich mit allen gut Freund; ihre sehr spezifische Prägung im regimekritischen (Friedrich) bzw. jüdischen (Lothar) Elternhaus in Berlin scheint für ihre Position im Dorf keine Rolle zu spielen6 ; sie fügen sich in die lokale Gesellschaft ein.

Das sind nur ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind, die die Möglichkeit eröffnet hätten, Dörflichkeit einmal jenseits von Stereotypen zu erzählen. Dann hätte vielleicht auch die Erzählung von der großen Geschichte im kleinen Ort Tannbach eine Tiefe erreichen können, die dann wirklich „im besten Sinne Geschichtsunterricht“ gewesen wäre – die nämlich einerseits auf den Einfluss globaler Entwicklungen, andererseits auf die Besonderheit lokaler Bedingungen, Beziehungen und Praktiken aufmerksam macht. Diese Chance aber wurde vertan. Dafür gab’s dicke Quoten. Und eine Fortsetzung ist wohl ins Auge gefasst. Ich bin gespannt.

Auf eine neue große „Dorf“-Erzählung aber werden wir wohl noch länger warten müssen. Tannbach ist ganz sicher nicht das neue Schabbach.

 

  1. Heimat – Eine deutsche Chronik, Zyklus von elf Spielfilmen, BRD 1984.
  2. zwei weitere Fernsehfilm-Zyklen und ein Kinofilm folgten
  3. Meinhof, Renate: Die Fremden, Süddeutsche Zeitung vom 2. Januar 2015, S. 35; gleichlautender Artikel in SZonline vom 4. Januar 2015 unter dem Titel „Auf Tuchfühlung mit der großen Sprachlosigkeit“ unter: http://www.sueddeutsche.de/medien/tannbach-schicksal-eines-dorfes-im-zdf-auf-tuchfuehlung-mit-der-grossen-sprachlosigkeit-1.2287828; letzter Abruf 09.02.2015.
  4. Wild, Bettina: "Kollektive Identitätssuche im Mikrokosmos Dorf. Berthold Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten und die Heimat von Edgar Reitz", in: Reiling, Jesko (Hg.), Berthold Auerbach (1812–1882): Werk und Wirkung, Heidelberg 2012, S. 263–283.
  5. Diese Kritik referiert Moltke, Johannes von: "Heimat-Orte. Zur Konstruktion von Raum und Moderne in Heimat (1984)", in: Koebner, Thomas (Hg.), Edgar Reitz, München 2012, S. 43–63, bes. S. 48 f.
  6. Der Hintergrund der beiden dient jedoch dazu, sie als Verfolgte des Nazi-Regimes zu markieren.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/306

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Science Fiction und Allgemeinplätze der Erinnerungskultur. Genre-atypische Anspielungen auf den Holocaust in Christopher Nolans Interstellar

Heftige Staubstürme fegen über die Erde. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zu einem trostlosen Agrarstaat geworden, heimgesucht von einer Plage, die nur noch den spärlichen Anbau von Mais zulässt. Um die von Nahrungsengpässen gequälte Bevölkerung zu ernähren, hat der Staat auf Planwirtschaft umgestellt, und in der Schule wird nur noch das Nötigste unterrichtet. Pionier-Errungenschaften, auf die das alte Amerika so stolz war, werden als Propaganda verleugnet. So zum Beispiel die Mondlandung des Apolloprogramms.

Der verwitwete Farmer Cooper (Matthew McConaughey), einst einer der besten Piloten des Landes, wird durch anormale Erscheinungen im Zimmer seiner Tochter auf die Existenz eines geheimen NASA-Stützpunkts aufmerksam. Im Verborgenen werden hier Missionen zu unbekannten Planeten koordiniert, die den Menschen Zuflucht bieten sollen, wenn in absehbarer Zeit die Erde endgültig unbewohnbar sein wird.

Cooper bekommt die Aufgabe, drei Planeten zu untersuchen. Nach einigen irrwitzigen Drehungen und Wendungen – Vorsicht, Spoiler! – gelangt Cooper in eine fünfdimensionale Sphäre, in der Zeit eine physikalische Eigenschaft ist. Vergangenheit und Zukunft sind variabel, so kann er seiner Tochter Zeichen geben, um mit dem im All erlangten Wissen Raumschiffkolonien zu bauen, die es den Menschen erlauben, die Erde zu verlassen und eine amerikanische Kleinstadtidylle in der Umlaufbahn des Saturn zu reproduzieren.

Christopher Nolans jüngster Film über Zeit und Raum, Liebe und Vergänglichkeit ist ein eindrückliches Kinoerlebnis. Der verdrehte Plot wird durch eine überwältigende Visualisierung unterstützt und ist gespickt mit Film- und Literaturzitaten, beispielsweise zu Kubricks 2001: Odyssee im Weltall oder John Steinbecks Früchte des Zorns.

Sind diese Referenzen in einem dystopischen Science-Fiction-Film erwartbar, so bedient sich Interstellar jedoch einiger Tropen, die sich regelmäßig nur in Repräsentationen des Holocaust wiederfinden. Diese genre-atypischen Anspielungen sind vermutlich nicht bewusst mit dem Holocaust im Hinterkopf in den Film aufgenommen worden, sie zeigen jedoch die wirkungsvoller Referenz, die der Holocaust für die Ästhetik und Narration amerikanischer populärer Filme darstellt.

Zwei Anspielungen fallen hier ins Auge: Zu Beginn des Films werden Ausschnitte von videographierten Zeitzeugeninterviews eingespielt. Diese Oral-History-Interviews ähneln den ikonischen Interviews mit Holocaust-Überlebenden, die systematisch seit den späten 1970er Jahren aufgezeichnet werden und vor allem durch Steven Spielbergs Shoah Foundation einem breiten Publikum bekannt gemacht wurden. Diese Interviews, in denen Zeitzeugen als in Würde gealterte Menschen gezeigt werden, die aus der sicheren Retrospektive ihre schreckliche Vergangenheit bezeugen, sind aus unzähligen Dokumentarfilmen bekannt. Sie werden in Museen und im Schulunterricht eingesetzt und zunehmend über das Internet verbreitet.

Erst zum Ende von Interstellar wird den Zuschauern klar, dass es sich auch in diesem Film tatsächlich um Zeitzeugen-Interviews von Überlebenden handelt, die in einem musealen Kontext gezeigt werden. Auf der Raumschiff-Kolonie wurde Coopers alte Farm als Museum nachgebaut, auf der das Leben vor dem Exodus dargestellt wird. Verschiede Installationen von Zeitzeugen-Interviews markieren diesen Ort erst als historisierendes Konzeptmuseum, wie es beispielsweise das U.S. Holocaust Memorial Museum oder unzählige andere Gedenkstätten und Holocaust-Museen sind. Ähnlich wie in den Holocaust-Interviews reflektieren die Überlebenden der Erde aus einer neuen und besseren Welt den Untergang der alten. Anne Rothe bezeichnete das (videographierte) Zeugnis als „Währung der Überlebenden“.[1] Indem Interstellar die Ikonographie der Holocaust-Zeugnisse kopiert, wird das Leiden der Erdlinge in die Währung des Holocaust umgetauscht.

Es gibt noch eine zweite Anspielung. Zum Ende des Films landet Cooper auf der Exilkolonie. Er hat sich allerdings zu lange in der Nähe des Schwarzen Lochs Gargantua aufgehalten, was zu einer gravitationsbedingten Zeitdilatation (Wikipedia) führte – mit der Auswirkung, dass die Menschen auf der Erde schneller alterten als Cooper und seine Kollegen im All.[2] So kommt es zu der kuriosen Situation, dass er als nur unwesentlich gealterter Mann an das Sterbebett seiner 90-jährigen Tochter gerufen wird. Im Krankenzimmer haben sich seine zahlreiche Nachfahren versammelt, unter denen er einer der Jüngeren ist. Abgesehen von dieser beliebten Konstellation eines Science-Fiction-Films steckt in der Zusammenkunft der Überlebenden mit ihren Nachfahren ein Motiv, das regelmäßig in Holocaust-Repräsentationen aufgegriffen wird. So beispielsweise in Schindlers Liste, wo auf die zahlreichen Nachkommen der von Oskar Schindler geretteten Juden verwiesen wird, oder in Interviews der Shoah Foundation, in denen die Zeitzeugen mit ihren (nachgeborenen) Angehörigen zu einem finalen symbolträchtigen Gruppenbild vereint sind. Insbesondere die Kinder und Enkelkinder der Zeitzeugen können so das positive Vermächtnis des Überlebens visualisieren und der Erzählung ein versöhnliches Ende geben. Das Überleben bekommt über das Zeugnisablegen für die Opfer und den Schrecken hinaus einen Sinn, denn es hinterlässt neues Leben, gründet gewissermaßen eine neue Lineage, die den dauerhaften Sieg des Überlebens über den Völkermord symbolisiert. Das Gruppenbild wurde zu einem Markenzeichen der Shoah Foundation, das in annähernd der Hälfte aller Interviews zu finden ist. Eine ganz ähnliche Funktion erfüllt die Familienzusammenführung in Interstellar. Obwohl die Familie auseinandergerissen wurde, hinterlässt sie eine Abstammungslinie und triumphiert so über den Untergang der alten Heimat.

Motive, die sich zur Darstellung des Holocaust etabliert haben, markieren in diesem fantastischen Untergangsfilm das Überleben. Dies verdeutlicht einmal mehr, wie der Holocaust und seine Überlebenden zu einer Chiffre der Popkultur geworden sind, die ihre Schwere und Wirkung aus dem Wissen um das reale historische Ereignis zieht. Die Überlebenden des Holocaust wie auch der Erde in Interstellar verstärken durch ihre Existenz, vor allem jedoch durch ihre Zeugnisse, den Triumph des Guten über das Böse und negieren so die reale wie auch die fiktive Dystopie.

[1] Anne Rothe, Popular Trauma Culture. Selling the Pain of Others in Mass Media, New Brunswick u.a.: Rutgers 2011, S. 29.

[2] Für eine Diskussion weiterer (logischer) Löcher des Films siehe 21 Things In Interstellar That Don't Make Sense oder ein Interview mit dem Regisseur.

Quelle: http://fyg.hypotheses.org/234

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Robert Siodmak Retrospektive: Kopienrückschau (2): Frankreich

Die im Zeughauskino gezeigten 35mm Kopien der Filme, die in der Zeit von Robert Siodmaks Exil in Frankreich entstanden, stammen aus zwei Quellen: Die Archives françaises du Film du CNC, Bois d’Arcy stellten Kopien der von Siodmaks Cousin Seymour Nebenzahl mit seiner Firma Nero Film produzierten Filme Le sexe faible (1933), La crise est finie! (1934), La vie parisienne (1936) und Le chemin de Rio (1937) zur Verfügung, ebenso die Kopie von Mister Flow  (1936). Die Kopien von Mollenard (1938) und Pièges (1939) stammten aus dem 2002 von Gaumont übernommenen Télédis-Bestand.

Die Qualität der CNC-Kopien ist insgesamt sehr gut. Bei La crise est finie! scheint es sich um eine erst vor kurzem gezogene Kopie zu handeln, mit entsprechend exzellentem Bild und Ton. Auch die Kopien von Le chemin de Rio und La vie parisienne sind und optisch und mechanisch sehr gut; leider ist der Ton der Kopie von La vie parisienne sehr schwankend. Vermutlich durch eine Filterung wurde er zwar von Nebengeräuschen gesäubert, leise Passagen sind dadurch aber kaum noch hörbar, während laute Geräusche und Dialoge einwandfrei, beinahe zu sauber, klingen. Die Kopie von Le sexe faible wurde vom beschädigten Originalnegativ umkopiert. Die Schäden betreffen den Ton stärker als das Bild, vor allem im vierten und fünften Akt gibt es massive Störgeräusche (die mitunter ein wenig an einen kreisenden Helikopter erinnern). Die Kopie von Mr. Flow zeigt ein paar Gebrauchsspuren, war ansonsten aber völlig in Ordnung.

Beide Télédis/Gaumont Kopien sind in akzeptablem Zustand, aber weit entfernt von der optischen und mechanischen Qualität der CNC Kopien. Die Kopie von Mollenard ist auf ORWO (!) Material kopiert und hat schöne schwarz/weiß-Werte, wenn auch etwas körnig. Die Kopie von Pièges dagegen ist relativ hell und wenig kontrastreich.

Eine Schwierigkeit bei allen Filmen besteht darin, dass offenbar keine untertitelten Kopien in der oben beschriebenen Qualität existieren. Eine Live-Untertitelung war zumindest für vier Filme möglich, zu Mollenard und Pièges waren zur Berlinale Retrospektive 2013 digitale englische Untertitel angefertigt worden – die dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurden – zu La crise est finie! und Mister Flow wurden von SUBS Hamburg deutsche Untertitel für die Retrospektive im Zeughauskino hergestellt.

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/422

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Schrift als Akteur – Expressionistische Zwischentitel in „Das Cabinet des Dr. Caligari“


Ein Beitrag von Caroline Lura

 

“Du musst Caligari werden”vier kleine Worte machtvoller Suggestion. Anfang des Jahres 1920 in Berlin konnte man sich ihnen kaum entziehen. An Litfaßsäulen, Reklamewänden, in U-Bahnhöfen – überall lachte sie einem entgegen: diese rätselhaft-mysteriöse Aufforderung in expressiver Gestaltung (Abb. 1).

Abb. 1: Kino-Anzeige (1920) zu “Das Cabinet des Dr. Caligari”
Entwurf v. Otto Arpke u. Erich Ludwig Stahl
Quelle: cinegraph.de

Schrift und Bild gelten ja generell eher als disparate Medien. Schrift fixiert, vornehmlich Sinn. Das Bild dagegen bannt Sinnlichkeit und – insbesondere als Film – Dynamik und Bewegung. Und während die Schrift ins Korsett normierter Buchstaben in ihrer linearen Anordnung geschnürt ist, erscheint das Bild in seinen Ausdrucksformen vollkommen frei.

Im Stummfilm finden sich die scheinbar konträren Medien vereint. In Form von Zwischentiteln tritt Schrift dabei meist sorgfältig getrennt von den bewegten Bildern auf. Als statischer Fremdkörper und Zäsur im Fluss der Bilder. Das Auge stolpert: Von der Verfolgung dynamisch sinnlicher Körper abrupt ins Lesen starrer Zeichenketten. Anders jedoch in „DAS CABINET DES DR. CALIGARI“ (1920, Regie: Robert Wiene). Neu und aufsehenerregend war neben der expressionistischen Gestaltung des Stummfilms vor allem auch sein innovativer Schrifteinsatz. Wie das Plakat zum Film bereits andeutet: Hier wird die Schrift zum Bild und das Bild zum Zeichen.

 

Technischer Vorspann: Zur Restaurierung

Fast 20 Jahre nach der letzten Restaurierung (1984) feiert “DAS CABINET DES DR. CALIGARI“ in der restaurierten Fassung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Wiesbaden) und des Restaurierungslabors L’Immagine Ritrovata (Bologna) auf der BERLINALE 2014 Premiere. Die digitale Restaurierung in 4K-Auflösung greift einerseits auf das Kameranegativ aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv in Berlin zurück und zieht andererseits alle erhaltenen historischen Kopien aus Filmarchiven weltweit heran.

Was die Zwischentitel anbetrifft, galt lange die 16-mm-Kopie der Deutschen Kinemathek als die einzige Überlieferungsquelle. Es stellte sich jedoch heraus: Das Kameranegativ enthält die meisten Titel als Blitztitel, was eine wesentlich verbesserte Ausgangslage im Vergleich zu den vorherigen Restaurierungen darstellte. Dem Kameranegativ entnommen, wurden die Blitztitel entsprechend ihrer Länge in der ausgefahrenen 16-mm-Kopie verlängert. Da dabei zunächst ein statisches Einzelbild entstand, wurde die Bewegung eines Filmstreifens, der durch einen Projektor läuft, im Nachhinein digital simuliert. Zudem wurde noch die Kornstruktur des Kameranegativs auf die Titel gelegt, sowie das leichte Dichteflackern.

Dynamisch dramatische Zwischentitel

Zusammen ergeben die Texte aus insgesamt 81 Schrifttafeln in „CALIGARI“ etwa eine viertel Stunde Lesezeit, was gemessen an der Gesamtlänge des Films knapp 20% des Filminhalts ausmacht. Besonders im ersten Teil – in der Entfaltung des Plots – wechseln Zwischentitel und Handlungsszenen einander häufig ab. Die Länge der Zwischentitel reicht von obskur-expressiven Einwortsätzen, wie z.B. „Nacht“, „Warten!!!“ und „Er₋ ₋ ₋“, bis hin zu längeren Texten, die, um sie vollständig lesen zu können, von unten nach oben als Rolltitel über die Leinwand laufen. Inhaltlich lassen sich 3 Arten von Zwischentiteln unterscheiden:

  1. Titel mit struktureller Funktion (z.B. Angaben zur Exposition wie „Nacht“, „Heimweg“, „Nach dem Begräbnis“ etc.),

  2. Titel in Form von Kommentaren (z.B. als narrative Erläuterungen wie „In dieser Nacht geschah das erste einer Kette geheimnisvoller Verbrechen“)

  3. Titel mit Dialogpartien

Die Dialog-Zwischentitel, die mit Abstand den größten Teil ausmachen, zeigen oft ein “verschriftlichtes Sprechen”: Gedankenstriche, angedeutete Sprechpausen (“…”), pseudophonetische Schreibweisen (“Herrrrrreinspaziert!”) – hiermit wird Mündlichkeit imitiert. Nur ein erstes Indiz für die angestrebte “Lebendigkeit” der Schriftzeichen in CALIGARI.

Weiteres Auszeichnungsmerkmal der Zwischentitel ist ihre markante graphische Gestaltung. Die Buchstaben in ihren gezackten, unruhigen Formen greifen den Stil der skurril-expressiven Gesamtgestaltung des Filmes auf: Die schräge, kantige Schrifttype entspricht den schiefen Hausfassaden der Setbauten, den aufgemalten Fluchtlinien und ruckartigen Bewegungsabläufen (Abb. 2).

 

Setbauten

Abb. 2: Cesare entführt Jane, Standfoto
(Quelle: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main)

Zwischentitel

Abb. 3: Zwischentitel kurz vor Ende des V. Aktes
(Quelle: Wikimedia Commons)

Neben der expressiven Schrifttype fällt auch der Hintergrund der Texte ins Auge. Oft finden sich hier abstrakte Formelemente, die – dem Designansatz der Buchstaben folgend – die Aufmerksamkeit auf die Materialität der Zwischentitel lenken (Abb. 3). Damit steht dann nicht mehr nur die semantische Funktion, sondern auch die sinnlich-materielle Qualität der Zeichen und Formen im Fokus der Wahrnehmung, sodass es den Zwischentiteln gelingt, auch jenseits der Vorstellungsebene der Wörter eine spannungsgeladene und anregende Stimmung zu vermitteln.

Schrift und Bild konvergieren– zum einen in den Schriftzeichen, die zum expressiven Bild werden, zum anderen indem Hintergrund und Schrifttype miteinander korrespondieren und eine bildhafte Wahrnehmung über den wörtlichen Informationsgehalt hinaus stimulieren.

Hinzu kommt noch ein weiteres, spontan eingesetztes Betonungsmittel: ein Flackern des bemalten Hintergrunds. Vor allem bei längeren Zwischentiteln wird dieser Lichteffekt eingesetzt, um den im Vergleich zum szenischen Bild wenig bewegten Zwischentiteln Dynamik und Dramatik zu verleihen – sprich: den Effekt filmischer Bewegung zu simulieren.

Die Zwischentitel in „CALIGARI“ kommunizieren somit auf allen drei medialen Ebenen: schriftlich, bildlich und bewegt-bildlich (filmisch).

 

“Angehende Schriftzeichen” – Fusion von Text und Filmbild

Höhepunkt der Schrift-Bild-Konvergenz – und mit eine der wichtigsten Szenen im Film – ist die mittels eines „Stopptricks“ realisierte Sequenz, in der der Direktor der Irrenanstalt (a.k.a. Dr. Caligari) von seinen Wahnvorstellungen in Form der Schriftzüge “Du musst Caligari werden” geradezu körperlich verfolgt wird.

 

Video: Du musst Caligari werden – Sequenz

(Quelle: Imaginations – Journal of cross-cultural image studies)

Überall sieht er sie projiziert, und wie die Hebel einer Schreibmaschine fallen die Wörter auf den Direktor ein, treiben ihn vor sich her. „Du musst Caligari werden“ – buchstäbliche Prägung in Form animiert-agierender Schriftzeichen. Zunächst im nächtlichen Himmel, dann auf der Außenwand seiner Villa und der Verästelung des Baumes davor; und schließlich verteilt sich im Vordergrund des Bildes der Name „Caligari“ in einer Art scripturalem Crescendo, an dessem Ende dem Direktor seine neue Identität im wahrsten Sinne des Wortes eingeschrieben wird. Die „Caligariwerdung“ des Anstaltleiters erzeugt eine Fusion von Schrift und Bewegungsbild, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht.

 

Weiterführende Literatur:

  • Christoph Kleinschmidt: Intermaterialität – Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus, transcript Verlag, Bielefeld, 2012

  • Ulrich Johannes eil: Der caligarische Imperativ. Schrift und Bild im Stummfilm, Pandaemonium ger. no.14 São Paulo 2009, online: http://www.scielo.br/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S1982-88372009000100002

  • Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film (1926), Nachdruck der Ausgabe hrsg. v Christian Kiening, Ulrich Johannes Beil, Chronos Verlag, Zürich, 2007

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/211

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Robert Siodmak Retrospektive: Kopienrückschau (1) – Weimarer Republik

Die letzte umfangreiche Robert Siodmak Retrospektive in Deutschland vor der Retrospektive im Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum (01. April bis 29. Juni 2014) fand anlässlich der Berlinale 1998 statt. In keiner Werkgruppe sind ihre Nachwirkungen so sichtbar wie bei den Filmen Siodmaks, die in der Weimarer Republik entstandenen sind. Für die Berlinale-Retrospektive wurden mehrere Filme restauriert oder es wurden neue Kopien hergestellt die nun auch im Zeughauskino gezeigt werden konnten:

Menschen am Sonntag: Kopie der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen; 1997/98 restauriert von der Deutschen Kinemathek und dem Nederlands Filmmuseum (heute EYE), auf Basis einer holländischen Nitrokopie und Materialien aus weiteren Archiven; vgl. dazu: MENSCHEN AM SONNTAG (1929/30) – Eine Fallstudie.

Abschied: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 neu vom Originalnegativ gezogen.

Jim, der Mann mit der Narbe: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 vom Originalnegativ gezogen und ergänzt um den aus einem Dup-Positiv aus den Beständen des Staatlichen Filmarchivs der DDR (SFA) stammenden ersten Akt, der im Originalnegativ nicht überliefert ist.

Stürme der Leidenschaft in der mit Musik unterlegten stummen italienischen Verleihfassung: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 von einem Dupnegativ der italienischen Fassung aus dem Bestand der Fondazione Cineteca Italiana gezogen. Von der deutschen Fassung von Stürme der Leidenschaft ist in der Deutschen Kinemathek ein Fragment überliefert, es stammt aus der Sammlung Fidelius und wurde ebenfalls 1998 umkopiert.

Brennendes Geheimnis: Kopie des Bundesarchiv-Filmarchiv; 1998 wurde eine Neukopierung in Auftrag gegeben, auf dem Festival lief aber eine ältere Kopie aus den Beständen des SFA. Im Zeughauskino konnte nun eine sehr schöne und offenbar kaum gespielte Kopie gezeigt werden, vermutlich die 1998 in Auftrag gegebene.

Die Kopien von Quick (DIF) und Voruntersuchung, von denen leider keine restaurierten Fassungen existieren, stachen umso mehr heraus. Vor allem im Fall von Voruntersuchung wäre eine Restaurierung sehr wünschenswert. Ein oberflächlicher Vergleich der Benutzungskopien der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und des Bundesarchiv-Filmarchivs legt nahe, dass beide vom selben schlechten Ausgangsmaterial und nicht allzu sorgfältig umkopiert wurden. Vor allem die Kopie des Bundesarchivs ist teilweise flau, beide haben mitunter einen stark körnigen Dup-Charakter mit einem Hang zum Ausbrennen, wobei die Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung noch ein wenig kontrastreicher ist und letztendlich auch im Zeughauskino gespielt wurde.

Mit Kopien in gutem Zustand konnten auch die französischen Sprachversionen von Voruntersuchung (Autour d’une enquête) und von Stürme der Leidenschaft (Tumultes) präsentiert werden.

Autour d’une enquête: Kopie der Archives françaises du film du CNC (Bois d’Arcy), vermutlich in den 1990er Jahren von einem gut erhaltenen Nitromaterial umkopiert.

Tumultes: Sendekopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; als Vorlage für eine Fernsehausstrahlung wurde die Kopie etwas heller kopiert als gewöhnlich, dafür war sie nahezu ungespielt.

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/192

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Ein filmographisches Mysterium: Ins Blaue hinein

Das Regiedebüt des Kameramannes Eugen Schüfftan, das Leinwanddebüt von Theo Lingen: Ins Blaue hinein heißt dieser Film. Entstanden ist er wahrscheinlich 1930, doch eigentlich weiß man nahezu nichts. Eine 35minütige Tonfilmskizze im Stil von Menschen am Sonntag (1930) an dem Schüfftan als Kameramann beteiligt gewesen war; wahrscheinlich ebenso wie dieser als privat finanziertes Experiment in Angriff genommen, um zu beweisen, dass sich Tonfilm und Außenaufnahmen nicht ausschließen. Öffentlich aufgeführt wurde Ins Blaue hinein womöglich erst zur Berlinale 1998 – umkopiert von einer Nitrokopie, die ein Schweizer Privatsammler im Centre National de la Cinématographie, Service des Archives du Film, Bois d’Arcy, deponiert hatte. Martin Koerber hatte den Filmtitel dort auf einer Liste ungesicherter Nitromaterialien entdeckt, den Film gesichtet, er „war gleich verliebt – ein kleines, unbekümmert frisches Experiment mit Bildern und Tönen, zugleich ‘Querschnittsfilm’ und Schauspielerübung, musikalische Komödie und Kamera-Manifest“ (Koerber). Recherchen ergaben: nichts. Keine Zensurkarte, kein Hinweis in den Zensurlisten oder der zeitgenössischen Presse. Eine Uraufführung in Deutschland ist nicht nachweisbar. Hinweise zur Entstehung und Geschichte dieses Films werden weiterhin gerne entgegengenommen.

Am Freitag dem 4. April 2014 wird die 35mm Kopie der Deutschen Kinemathek im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin gezeigt. Notfalls kann man sich den Film auch auf der bei Criterion erschienenen DVD oder Blu-ray People on Sunday anschauen, der Ins Blaue hinein als Bonusmaterial beiliegt.

Ins Blaue hinein, 1930 (?)

Regie: Eugen Schüfftan, Buch: Dr. Herbert Rona, Kamera: Laszlo Schäffer, Ton: Franz Schröter, Musik: Harry Ralton, Musikalische Leitung: Alfred Strasser, Regieassistenz: Dr. Herbert Rona, Darsteller: Toni van Eyck, Karl Balhaus, Aribert Mog, Theo Lingen, Wolfgang Staudte, Franz Stein, Werner Scharf, Alice Iversen, Helene Roberts, Produktion: Prisma-Produktion, Tonsystem: Lignose-Hörfilm, Tonkopie: Fitiko.

Kopie: Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, 966 m

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/177

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