Irische Geschichte, Teil 6: Etablierung zweier Irland

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. In ihm wurde beschrieben, wie Irland seit der Personalunion mit der englischen Krone eine wechselhafte Beziehung mit England unterhielt und vor allem durch seine inneren Konflikte gespalten war, die entlang der Konfessionsgrenzen und Besitzverhältnisse verliefen. In Teil 2 wurde deutlich gemacht, wie die Politik der britischen Regierung und des Parlaments eine immer stärkere Wechselwirkung mit Irland entwickelten, in dem sich eine nationalistische Bewegung zu bilden begann und stets an Boden gewann. Als Großbritannien sich für die Selbstverwaltung Irlands, die Home Rule, entschied, hatten die Devolutionisten, die die totale Unabhängigkeit wollten, bereits deutlich an Boden gewonnen. Teil 3 beschrieb die zunehmende Gewaltbereitschaft zwischen den Unionisten in Ulster und den Nationalisten im Rest des Landes und die Konflikte um die Home Rule und wie diese Konflikte durch den Ersten Weltkrieg erst vertagt und dann verschärft wurden. In Teil 4 wurde gezeigt, wie die Iren den bewaffneten Kampf gegen die Briten aufnahmen und bereits in diesen Tagen der inner-irische Konflikt zu einer Art verdeckten Bürgerkrieg wurde. Auch die irische Nationalbewegung spaltete sich über das Ergebnis des Konflikts - die Teilung Irlands und den Dominion-Staus - und begann den bewaffneten Kampf gegeneinander. In Teil 5 haben wir gesehen, wie die Spaltung in offenen Bürgerkrieg ausartete, der letztlich mit der Niederlage der Radikalen und dem Tod vieler Moderater endete. Profitiert hat vor allem Großbritannien, das die Unabhängigkeit Nordirlands als Ganzes sichern konnte. Viele strukturelle Probleme blieben jedoch in beiden Ländern bestehen und noch ungelöst.

Eamonn de Valera
Um die Wirren des Bürgerkriegs endlich hinter sich zu lassen, beschloss die nun regierende Fianna Fàil, die IRA zu legalisieren und einen Schlussstrich zu ziehen, indem man Amnesien für politische Gewalttaten der Vergangenheit aussprach. Die Wahlen von 1932 gewann Fianna Fàil entscheidend gegen ihre Gegner der Gründerpartei Cumann na nGaedheal, indem sie von deren laissez-faire-Politik abrückte und stattdessen ein staatlich gesteuertes Industrialisierungsprogramm, die Schaffung von Jobs und die Errichtung eines sozialen Netzes propagierte. Sie forderte außerdem die vollständige Unabhängigkeit vom britischen Empire, anstatt im bisherigen Dominion-Status zu verbleiben. Bis weit ins 20. Jahrhundert ist die Fianna Fàil die natürliche Regierungspartei Irlands geblieben.

In den 1930er Jahren erwuchs ihr jedoch Konkurrenz am rechten Rand. Die "Army Comrades Associaton", die sich bald als "National Guard" taufte und deren Anhänger wegen ihrer Uniformierung "Blauhemden" genannt wurden, versuchten zwar nicht, die Macht auf parlamentarischem Wege zu erobern (wie es Hitlers Nationalsozialisten 1933 tun würden), sondern orientierten sich mehr am Vorbild von Mussolinis italienischen Schwarzhemden. Gleichwohl gefährdeten sie die innere Sicherheit, weil sie sich beständig mit der IRA Scharmützel und offene Straßenschlachten lieferten, was gleichzeitig einen ohnehin vorhandenen Linksruck der IRA beförderte, die man bald nur noch als linksextrimistische Terrororganisation beschreiben konnte (eine Entwicklung, die in Nordirland bereits vorher verlaufen war). Als die Blauhemden 1933 in einer Nachahmung von Mussolinis "Marsch auf Rom" einen erfolglosen Angriff auf die Dáil unternommen, wurde die Organisation von Präsident de Valera verboten. Das Gespenst einer faschistischen Machtübernahme zerstob damit in Irland genausoschnell wie in Großbritannien, wo Mosley mit seiner faschistischen Partei ein ähnlich unrühmliches Ende fand.

Abzeichen der Blauhemden
Es zeigte sich bald, dass de Valeras entschiedenes Durchgreifen gegen die Blauhemden auch den anderen inneren Unruheherd begünstigte. Nachdem die IRA nun vor allem gegen Repräsentanten des Systems vorging und diese ermorderte, erließ de Valera 1936 auch ein Verbot der IRA, das 1939 mit drakonischen Maßnahmen verschärft und durchgesetzt wurde. Die irische Politik löste sich damit endgültig von der bewaffneten Durchsetzung und bewegte sich ab sofort auf verfassungsrechtlicheren Pfaden. Dazu passte, dass de Valera dem Land 1937 eine neue Verfassung gab. Sie wurde mit einfachem Plebiszit bestätigt und schaffte viele der früheren Provisorien ab, darunter auch die Titel der Regierungsorgane (Präsident statt Governor-General, Government statt Exeucutive Council, etc.). Eine Republik war das Land aber offiziell immer noch nicht, sondern Königreich im Vereinigten Königreich Großbritanniens.

Das sollte sich bald ändern, denn der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schuf für Großbritannien eine Reihe wesentlich dringenderer Probleme als die irische Politik. Irland erklärte sich für neutral - was viele im Land als wichtigen Schritt zur echten Unabhängigkeit empfanden - arbeitete aber im Geheimen mit den Alliierten zusammen, was so weit ging, dass Pläne für den Fall einer deutschen Invasion ausgearbeitet wurden. In diesem Fall (von der Wehrmacht mit üblich deutscher Kreativität "Fall Grün" getauft) wäre die irische Armee alliiertem Kommando unterstellt worden. Dies stellte für Irland sicher, dass die siegreichen Alliierten das Land nicht als Feind betrachten würden. Die IRA dagegen sah die Ereignisse als Chance, die Briten aus Nordirland zu vertreiben und begann eine neue Terrorkampagne. Sie plante sogar, die Nazis um Hilfe zu bitten, wozu es freilich nie kam. De Valera griff hart durch, internierte alle bekannten IRA-Anführer und hängte diverse Terroristen. Die kurze IRA-Terrorwelle kam damit schnell wieder zum Erliegen, ohne große Auswirkungen zu haben.

Sitzungssaal des Dàil
1949 erklärte Irland sich endgültig zur Republik, was nach den geltenden Regularien des Commonwealth einen automatischen Ausschluss zur Folge hatte (da man ja das Oberhaupt der Krone von England nicht anerkannte). Dies war kein Ausschlussgrund; Indien etwa, das 1947 seine Unabhängigkeit als Republik erklärt hatte, trat danach wieder ein. Irland tat dies jedoch nicht, und die britische Regierung erklärte öffentlich, das Land fortan als Ausland zu betrachten. Erst 1962 jedoch wurde in Irland auch formell die englische Krone als Staatsoberhaupt abgelöst und die vakante Repräsentanz im britischen Parlament aufgegeben.

Die irische Wirtschaftspolitik hoher Schutzzölle und des Versuchs des Aufbaus eigener Industrie unter de Valera scheiterte in diesen Jahren jedoch. Obwohl Irland aus dem Zweiten Weltkrieg dank seiner Neutralität mit wesentlich besserer Wirtschaftslage herausgegangen war, stagnierte die Wirtschaft stark, während der Rest Europas einen Aufschwung erlebte. Dies führte 1958 zum Regierungswechsel. De Valera, der seit rund 20 Jahren Regierungschef gewesen war, wurde abgelöst, und mit ihm seine Wirtschaftspolitik. Irland senkte radikal die Zölle, investierte in Infrastruktur und erlebte bald hohe Wachstumsraten, die es an den europäischen Standard aufschließen ließen und die das Land verkrüppelnde Emigrationsraten deutlich senkten.

Charles de Gaulle
Auf der internationalen Bühne spielte Irland im Kalten Krieg praktisch keine Rolle. Ohne Zugehörigkeit zu einem der beiden Blöcke, aber mit starken Bindungen an die angelsächsische Welt verwehrte ihr die UdSSR bis 1955 die Anerkennung in der UNO. Danach war das große außenpolitische Projekt Irlands die Aufnahme in die Europäische Union, von der man sich - gerade dank der begonnenen Freihandelspolitik der niedrigen Zölle - deutliche Wachstumsimpulse erhoffte. Das Land wurde aber zur Geisel Frankreichs eigener Großmachtpolitik unter Charles de Gaulles in jener Zeit, der die geplante Aufnahme Großbritanniens aus machtpolitischen Gründen mit seinem Veto blockierte. Auch Irlands Aufnahme fiel unter dieses Veto, da die Insel wegen ihrer starken Anbindungen zur britischen Wirtschaft wirtschaftlich kaum von Großbriannien zu trennen war.

Eine der wichtigsten Reformen, die Irland in dieser Zeit vornahm, war die Schulgeldfreiheit. Sie gehörte in das größere Bündel der Infrastrukturmaßnahmen, war aber wesentlich mit dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft den Sprung von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft schaffte. Breiten Schichten wurde erstmals der Zugang zu höherer Bildung ermöglicht, was gleichzeitig für eine Bewegung der Bevölkerung sorgte. Viele Menschen begannen vom Land in die Stadt zu ziehen, und das soziale Klima liberalisierte sich (wenngleich die starke katholische Ausrichtung des Landes es im europäischen Vergleich immer noch illiberal erscheinen lässt, besonders in Fragen wie der Abtreibung).

Parade des Orange Order
In der Zwischenzeit hatte Nordirland seine eigenen Probleme. Die weit reichende Diskriminierung der katholischen Minderheit durch die wirtschaftliche Elite der Protestanten fand praktisch eine Insitutionalisierung; zahlreiche Gesetze benachteiligten die Katholiken und schlossen sie von Staatsämtern aus. Gleichzeitig wurde durch Wahlmanipulation ihre Bedeutung verringert. Protestantische Opposition gegen die Ulster Unionist Party konnte keine große Bedeutung erreichen, weil sie zersplittert und über ihre Ziele uneins war.


Effektiv befand sich Nordirland von 1925 bis 1965 unter einer kontinuierlichen und ruhigen Kontrolle der Unionisten, die allerdings immer wieder von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Katholiken und Protestanten kurz erschüttert wurde. Der schlimmste Zusammenstoß dieser Art fand 1935 statt, als der Orange Order bei einem Umzug von seiner Route abwich und durch ein katholisches Viertel zog. Erwartungsgemäß kam es zu einem Ausbruch von Gewalt mit neun Toten und zahlreichen Verletzten, der von der Regierung als Vorwand für Repressalien gegen die Katholiken genutzt wurde. Insgesamt blieb Nordirland ein Pulverfass, das kontinuierlich nicht explodierte. Die Unionisten schienen die Situation im Griff zu haben.

Parlament in Belfast
Ein Wandel wurde schließlich von innerhalb der Ulster Unionist Party erreicht, als Viscount Brookeborough von Terence O'Neill als Premierminister abgelöst wurde. Letzterer kam 1963 an die Macht, als auch die Republik Irland einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Der gemeinsame Weg zur Industrialisierung verbesserte die Beziehungen der beiden Irlands, und O'Neill bemühte sich sehr darum, die Beziehungen zwischen Katholiken und Protestanten zu verbessern. Radikale innerhalb Nordirlands selbst arbeiteten jedoch von beiden Seiten gegen ihn: weder der Orange Order noch die IRA hatten ernsthaftes Interesse an Frieden, und auch innerhalb der Partei selbst gab es heftige Kritik. Regierungsmitglieder wurden auf Versammlungen tätlich angegriffen. Doch all diese Unruhe war nichts gegen den Ärger, der ab 1969 über Nordirland hereinbrechen sollte.


Literaturhinweise: 
Richard English - Armed Struggle - The history of the IRA 
T. R. Dwyer - Michael Collins
Michael Collins (DVD, Spielfilm)
The Wind that shakes the Barley (DVD, Spielfilm) 
Bildnachweise: 
Eamonn de Valera - National Photo Collection (gemeinfrei)
Blauhemd-Abzeichen - Thomas Gun (gemeinfrei)
Sitzungssaal - Tommy Kavanagh (CC-BY-SA 3.0)
Charles de Gaulle - Office of War Information (gemeinfrei)
Parade - Helenalex (CC-BY-SA 3.0)
Parlament - LukeM212 (CC-BY-SA 2.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/09/irische-geschichte-teil-6-etablierung.html

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Ohne Worte: Der Mittelfinger des Spitzenkandidaten. Zur Gegenwart einer körpergeschichtlichen Praxis der Provokation

Foto: Süddeutsche Zeitung Magazin 2013

Auf dem Cover des Magazins der „Süddeutschen Zeitung“ prangt der Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und streckt dem Betrachter seinen Mittelfinger entgegen. Anlass zu der Geste war die provokative Suggestiv-Frage: „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“1Peer Steinbrück hatte sein Einverständnis zu einem „Interview ohne Worte“ gegeben und Fragen mit Gesten beantwortet — eine typische Magazin-Idee. Das als „Antwort“ auf die zitierte Frage entstandene Foto ist in jenem strengen Schwarz-Weiß gehalten, das normalerweise geeignet wäre, den in dieselben Farben gekleideten Kandidaten in das staatstragende Licht einer Foto-Historisierung zu entrücken. Sein Fingerzeig bewirkte das Gegenteil.

Schon die ersten Kommentare in der Halböffentlichkeit der sozialen Netzwerke zeugten von Erregung. Die obszöne Geste sei „eines Staatsmannes nicht würdig“, schrieb ein Kommentator. Steinbrück habe sein ohnehin berüchtigtes „cholerisches Naturell“ damit abermals unter Beweis gestellt, kommentierte ein anderer. „Steinbrücks Stinkefinger hat die Wahl entschieden“ – zu seinen Ungunsten, prophezeite gar die Zeitung „Die Welt“. Im Internet verbreitete sich das Bild mit der dem Medium eigenen Geschwindigkeit. Nachahmungstäter, darunter der Musikproduzent Tim Renner, fotografierten sich in eben jener “Rowdy-Pose” (“Stuttgarter Zeitung”). Montagen zeigen Steinbrück als E.T., den Außerirdischen mit dem Leuchtfinger, oder reduzierten die ohnehin schon wenig kontroverse Bundestagswahl 2013 auf eine zwischen zwei hohlen Gesten, dem erigierten Finger des Herausforderers und dem fromm wirkenden Merkel’schen Wai:

Sogar die ferne “New York Times” berichtete, traute sich aber nicht, das corpus delicti abzubilden und wich stattdessen auf ein Bild des Steinbrück’schen Zeigefingers aus. Dazu zitierte die NYT den deutschen Minister Philipp Rösler (FDP), der die „gesture“ für „unworthy“ befand. In der puritanisch geprägten Öffentlichkeit der USA ist die phallische Geste weit stärker tabuisiert als hierzulande. Warum aber provoziert die schlichte Handbewegung so sehr? Und in welche Traditionen schreibt sich Steinbrück hier ein? Die Körpergeschichte plädiert seit langem dafür, auch Haltungen und Gesten dieselbe Aufmerksamkeit wie Texten zu schenken. Die Steinbrück’sche Pose scheint ein Paradebeispiel für den Ausdruck einer langen körpergeschichtlichen Tradition der Pop- und Protestgeschichte in der unmittelbaren politischen Gegenwart.

In der universalen Gebärdensprache zur Herabwürdigung von Personen steht die Geste für die wenig freundlichen Worte “f*ck you” und ist daher volkstümlich auch als “Stinkefinger” bekannt. Der wohl bekannteste pophistorische Fall eines öffentlich vorgezeigten Fingers in der Popgeschichte ist der des Country-Sängers Johnny Cash. Gemeinsam mit Carl Perkins, Sleepy LaBeef und nicht zuletzt Elvis Presley war Cash in den fünfziger Jahren im Sun-Studio des Produzenten Sam Phillips bekannt geworden. Wie andere „Classic Rocker“ durchlitt er nach der kurzen Blütezeit des Rock’n’Roll eine weniger erfolgreiche Phase, in der er sich vom Rythm&Blues und Rockabilly auf Country-Musik umorientierte. Nachdem das Establishment der Country-Musik in Nashville ihn Jahre lang als Außenseiter behandelt hatte, “bedankte” sich Cash 1996 nach seinem mit einem Grammy gekrönten Come-Back mit einer ganzseitigen Anzeige im Billboard-Magazine. Darauf ist ein bei seinem berühmten Konzert im Gefängnis von St. Quentin entstandenes Foto zu sehen, dass ihn mit wutentbranntem Gesichtsausdruck und ausgestrecktem Mittelfinger zeigt. Dazu setze sein Management den bitter-ironischen Kommentar: „American Recordings and Johnny Cash would like to acknowledge the Nashville music establishment and country radio for your support.”

Ein aufmerksamkeitsökonomischer PR-Gag seines neuen Produzenten Rick Rubin, den man wohl nur vor dem Hintergrund der Prüderie der amerikanischen Gesellschaft versteht, die Four-Letter-Words mehr zu fürchten scheint, als den Privatbesitz von Schusswaffen. Einige Jahre später folgte der Country-Musiker Willie Nelson nach — indem auch er den Mittelfinger reckte. Als die Bekleidungskette „Urban Outfitters“ unlängst die Fotos von Cash und Nelson auf T-Shirts druckte, kam es zu einem Streit – um das Copyright.

Tatsächlich gehörte die Pose schon länger zum Pop. Der Sex Pistols-Musiker Johnny Rotten hatte sie als typische Handbewegung des Punk bekannt gemacht. Der Gestus gehörte bald zum Standard-Repertoire der Provokations-Kultur und prangte auf Schallplatten- und Fanzine-Covern.

Dass er aber bis heute keineswegs normal ist, bewies erst im Jahr 2012 die Sängerin M.I.A. Als sie gemeinsam mit der 53-jährigen Pop-Ikone Madonna beim Super Bowl in Indianapolis auftrat, zeigte M.I.A. einem Kamera-Mann ihren Finger und erntete dafür prompt einen Sturm der Entrüstung. Der Fernsehsender verpixelte das Bild nachträglich in einem Akt der Zensur und entschuldigte sich bei den Zuschauern, weil es nicht ganz gelang, „die unpassende Geste zu verdecken“. Da half es wenig, dass sich M.I.A. entschuldigend auf die lange Tradition des Punk berief: In den USA ist die sexualisierte Handbewegung noch nicht vorzeigbar.

In Deutschland mag sich dies nun ändern.

„In Gesten und Körperhaltungen, aber auch im Erfahren des Körpers und im Umgang mit ihm kommen [..] Verstehensweisen zum Ausdruck; sie sind geradezu in ihm eingeschrieben“, schreibt Hartmut Rosa.2 Derart verkörpertes Wissen, so der Soziologe im Anschluss an Taylor und Bourdieu, präge unseren Habitus. Inkriminierte Gesten und Körperpraktiken, das lässt sich anhand von vormals als obszön gebrandmarkten Tänzen wie dem Twist studieren, werden meist dann enttabuisiert, wenn sie von prominenten Personen der Zeitgeschichte medienwirksam inszeniert werden. Es mag zunächst schwer fallen, eine habituelle Linie von Johnny Rotten und Johnny Cash über M.I.A. zu Peer Steinbrück zu ziehen. Aus zeithistorischer Perspektive muss man aber wohl oder übel davon ausgehen, dass der deutsche Politiker seinen Körper mit einer einzigen Geste in eine lange popgeschichtliche Tradition eingeschrieben hat. Damit dürfte über kurz oder lang ein weiteres Tabu fallen, das jahrzehntelang zur Provokation taugte. What’s next?

  1. Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 37 vom 13. Dezember 2013.
  2. Hartmut Rosa: Identität und kulturelle Praxis.  Politische Philosophie nach Charles Taylor, Frankfurt/Main, New York: Campus 1998, S. 147.

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/991

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aventinus visio Nr. 6 [23.08.2013]: Zur Sache, Schätzchen (1968) – der spielerische Bruch bürgerlicher Konventionen

Jugendliches Lebensgefühl, Unzufriedenheit und Rebellion — mit diesen drei Schlagworten wird meist die Grundthematik von May Spils’ Spielfilm ‘Zur Sache, Schätzchen’ aus dem Jahr 1968 umschrieben: eine Filmkomödie, die das Lebensgefühl junger Menschen in den 1960er-Jahren ausdrücke. http://bit.ly/17RnxFi

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/08/4661/

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FES: Helmut-Schmidt-Archiv im Archiv der Sozialen Demokratie

http://wp.ub.hsu-hh.de/3950 Der ständig wachsende Bestand enthält Korrespondenz, Sachakten und Sammelgut vor allem zu folgenden Bereichen: Zeit im SDS, Arbeit als Bundestagsabgeordneter, als Innensenator, als Minister und Bundeskanzler, Unterlagen als Mitglied im SPD-Parteivorstand und -präsidium, als stellvertretender Vorsitzender der SPD und aus der Arbeit im InterAction Council sowie privat-politische Korrespondenz. Text: http://wp.ub.hsu-hh.de/3950

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/08/4643/

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Workshop: Gender meets Generation and Pop in Europe. Göttingen, 18.-19. Juli 2013

45er, 68er, 89er: Es sind vor allem die sogenannten politischen Generationen, die in der Historiographie zur deutschen Zeitgeschichte prägnant skizziert worden sind. Konstituiert werden sie – nach dem klassischen Konzept von Karl Mannheim – durch das Erleben einer tiefgreifenden gemeinsamen Umbrucherfahrung bestimmter Alterskohorten, manifestiert zumeist in Kriegen, Revolutionen oder anderen gewaltsamen und politisch aufgeladenen Ereignissen. Weitere Möglichkeiten des prägenden Einflusses auf die Bildung von Generationen, z.B. durch konsumtorische, mediale oder lebensweltliche Erfahrungen werden demgegenüber häufig ignoriert bzw. banalisiert.

Die bisherige Vernachlässigung von populär- und alltagskulturellen Erfahrungswelten zeitigt zudem deutliche Folgen für die Analyse geschlechterspezifischer Generationenbildungen. Die meisten Protagonisten generationeller Formierungen im politischen Raum sind männlich. Generationelle Erfahrungen und Deutungen von Frauen werden mit Ausnahme herausragender Politikerinnen hingegen ignoriert oder allenfalls unter die von Männern subsummiert. Die bisherige Blindheit von generationellen Konstruktionen gegenüber der Kategorie Geschlecht einerseits und der Populärkultur andererseits möchte der Workshop überwinden, indem gezielt danach gefragt wird, welche geschlechterspezifischen generationellen Deutungen mit dem Bereich der Populärkultur – hier Mode und Musik – in Europa zwischen 1950 und dem Jahr 2000 verbunden waren. Dieser Zeitraum wird ausgewählt, weil sich in ihm zum einen die Ausprägung und Kommerzialisierung der Rock- und Popmusik vollzog und zum anderen die Mode – erstmals unabhängig von sozialen Schichten und Stadt-Land-Unterschieden – als Teil einer weitgefächerten Konsumgüterindustrie zum bedeutsamen Distinktionsmittel zwischen den Generationen avancierte.

Donnerstag, 18. Juli 2013

13.00 Uhr
Begrüßung und Einführung
Prof. Dr. Dirk Schumann (Georg-August-Universität Göttingen)
PD Dr. Lu Seegers (Humboldt-Universität zu Berlin)

13.30 Uhr
Keynote
Geschlechterspezifik und Generation in Mode und Musik im 20. Jahrhundert.
Prof. Dr. Uta Poiger (History Department, Northeastern University Boston)

14.15 Uhr – 16.00 Uhr
Sektion 1: Populärkultur, Konsum und generationelle Stile

Von männlicher Politik zu gegendertem Konsum? – Skeptische Anmerkungen zum Bemühen, das Generationskonzept für die historische Forschung zu retten.
Prof. Dr. Kaspar Maase (Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen).

Transnationale Subkultur? Gender und Generation als Probleme der Popgeschichte nach 1945.
Bodo Mrozek (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam)

«Konservativ ist in!» Die „Lebenswelt der ‘anderen 68er’ im ‘Zeitalter der Uneleganz’.
Dr. Anna von der Goltz (History Department, Georgetown University)

16 Uhr – 16.30 Uhr Kaffeepause

16.30 Uhr – 18.15 Uhr
Sektion 2: Musik als Trigger für generationelle Verortungen

„Erst ma´ eins auf die Fresse’“ – Wut und Weiblichkeit in den frühen deutschen Punkszenen.
Henning Wellmann (Forschungsgruppe „Gefühlte Gemeinschaften“, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin)

Girls in the Gang: Constructing Violence in Urban Space in Budapest in the 1960s.
Dr. Sándor Horváth (Historisches Institut, Akademie der Wissenschaften Ungarn, Budapest)

Ab 19.00 Uhr gemeinsames Abendessen

Freitag, 19. Juli 2013

9.00 – 12.15 Uhr
Sektion 3: „Generationen-Kleider“: Mode als generationelle Aneignung und Imagination im Ost-West-Vergleich

Gender als interdependente Kategorie? Sich kleiden in Mutter-Tochter-Beziehungen.
Nadine Wagener-Böck (Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen)

Die Queen of Punk im Wunderland. Text-Gewebe im Werk Vivienne Westwoods.
Julia Hoffmann (DFG-Graduiertenkolleg Generationengeschichte, Georg-August-Universität Göttingen)

Kaffeepause

“Sowohl meine Oma als auch meine Mama nähten sich selbst die Kleider…”:
weibliches Nähen als generationsübergreifendes Überlebens- und Distinktionsmittel in der spätsowjetischen Konsumkultur .
Anna Tikhomirova (Abteilung Geschichtswissenschaften, Universität Bielefeld)

Zwischen Tradition und Beat. Junge Jugoslawinnen im Spannungsfeld neuer Körpererfahrung und alter Moral.
Nathalie Keigel, (Historisches Department, Universität Hamburg)

12.15 – 13.00 Uhr Mittagsimbiss

13.00 – 14.30 Uhr
Sektion 4: Generationelle Ästhetisierungen der Populärkultur in Europa

“For a Mother’s love”. Die Dialektik zwischen Melodrama und Generationen.
Vănia Morais (DFG-Graduiertenkolleg Generationengeschichte, Georg-August-Universität Göttingen)

„Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist anders!“ Alternative Lebensstile als habituelle Abgrenzung zur Elterngeneration in den 1970er Jahren in BRD und DDR.
Dr. Rebecca Menzel (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam)

14.30 Uhr bis 15.30 Uhr
Schlussdiskussion

Veranstalter: DFG-Graduiertenkollegs 1083 “Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert”, Georg-August-Universität Göttingen
Datum, Ort: 18.07.2013-19.07.2013, Göttingen, Heyne-Haus, Papendiek 16, 37073 Göttingen

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/971

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Spielzeugland

Von Stefan Sasse

Auf Youtube findet sich der brillante Kurzfilm "Spielzeugland" (eingebettet nach dem Break), der auf eine ungeheuer eindringliche Weise die Thematik der Judenverfolgung in gerade 12 Minuten aufarbeitet. Es kann nie ein Ende haben, diese Thematik immer und immer und immer wieder aufzuarbeiten und im Gedächtnis jeder neuen Generation lebendig zu halten. Es darf einfach keinen Schlussstrich geben.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/07/spielzeugland.html

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Irische Geschichte, Teil 5: Bürgerkrieg und Spaltung

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. In ihm wurde beschrieben, wie Irland seit der Personalunion mit der englischen Krone eine wechselhafte Beziehung mit England unterhielt und vor allem durch seine inneren Konflikte gespalten war, die entlang der Konfessionsgrenzen und Besitzverhältnisse verliefen. In Teil 2 wurde deutlich gemacht, wie die Politik der britischen Regierung und des Parlaments eine immer stärkere Wechselwirkung mit Irland entwickelten, in dem sich eine nationalistische Bewegung zu bilden begann und stets an Boden gewann. Als Großbritannien sich für die Selbstverwaltung Irlands, die Home Rule, entschied, hatten die Devolutionisten, die die totale Unabhängigkeit wollten, bereits deutlich an Boden gewonnen. Teil 3 beschrieb die zunehmende Gewaltbereitschaft zwischen den Unionisten in Ulster und den Nationalisten im Rest des Landes und die Konflikte um die Home Rule und wie diese Konflikte durch den Ersten Weltkrieg erst vertagt und dann verschärft wurden. In Teil 4 wurde gezeigt, wie die Iren den bewaffneten Kampf gegen die Briten aufnahmen und bereits in diesen Tagen der inner-irische Konflikt zu einer Art verdeckten Bürgerkrieg wurde. Auch die irische Nationalbewegung spaltete sich über das Ergebnis des Konflikts - die Teilung Irlands und den Dominion-Staus - und begann den bewaffneten Kampf gegeneinander.

Soldaten der irischen Armee auf einem Schiff
Prinzipiell war für die Counties im Norden Irlands vorgesehen, dass die Grenzen provisorisch waren und dass eine Kommission sie entlang der Präferenz der Bewohner festlegen würde. Diese Regelung war stark im Interesse der neuen Irischen Republik, denn die Unionisten im Norden stellten nicht auch nur annähernd in der gesamten Fläche der sechs Counties die Mehrheit; wenn die Kommission auch nur bei der Hälfte eine unionistische Mehrheit gefunden hätte, wäre dies eine Überraschung gewesen. Ein solcherart zusammengesestutztes Nordirland aber wäre praktisch nicht lebensfähig gewesen; eine winzige Enklave am Nordostzipfel des Landes, von den lebenswichtigen Verbindungen der Industriegebiete (die unionistisch und protestantisch waren) und dem sie versorgenden Umland (das eher nationalistisch und katholisch war) abgeschnitten. Der aufkeimende Bürgerkrieg zwischen den Vertragsgegnern um Éamon de Valera und den Befürwortern um Michael Collins aber enthob Großbritannien dieses Problems. 


Um britische Hilfe im Kampf gegen die Rebellen zu erhalten, akzeptierte die Regierung in Irland schnell den Status Quo. Nordirland wurde mit den Vertragsgrenzen unabhängig vom Rest Irlands und bekam von Großbritannien die Selbstverwaltung zugestanden. Im Gegenzug erließ London der Irischen Republik die Schulden, die es im Teilungsvertrag übernommen hatte (was ein für die internationale Anerkennung entscheidender Schritt gewesen war) und versorgte es mit Waffen und Munition für den Kampf gegen die Rebellen. 

Regierungstruppen
Der eigentliche Bürgerkrieg begann im Sommer 1922. Die ersten freien Wahlen der Irischen Republik erbrachten eine solide Mehrheit für die Sinn Féin, die den Vertragsschluss befürwortete und zu diesem Zeitpunkt effektiv unter Kontrolle Michael Collins stand. Die IRA selbst war über den Vertrag gespalten; die Mehrheit unterstützte auch hier Collins' Regierung. Nachdem Terroristen der vertragsfeindlichen IRA bei einem Anschlag in London den pensionierten General Henry Hughes Wilson ermordeten drohte die Regierung in London damit, Schritte gegen die Rebellen zu ergreifen wenn Collins dies nicht selbst unternahm. Nachdem die vertragsfeindliche IRA auch noch den irischen General JJ O'Connel kidnappte, ließ Collins die Hochburg der Rebellen in Dublin angreifen und erobern. Innerhalb kürzester Zeit wurde im ganzen Land gekämpft. Die Ironie der Situation dürfte den Briten gefallen haben, denn die Iren wandten nun die Taktiken, mit denen sie zuvor die Briten bekämpft hatten, gegeneinander an. 

Während die Regierung versuchte, die Rebellen aufzugreifen und gefangenzunehmen oder zu töten (was ihnen wegen der Kenntnis des Landes und der Spaltung des Landes besser gelang als den Briten während des Unabhängigkeitskriegs, lauerten die IRA-Rebellen den Anführern der Republik auf und versuchten sie zu ermorden. Auch Michael Collins selbst fiel einem solchen Hinterhalt zum Opfer. Insgesamt aber verzeichnete die IRA wesentlich weniger Erfolg im Kamof gegen ihr republikanisches Pendant, das die Taktiken aus eigener Anschauung viel zu gut kannte. Die Republik schreckte nicht davor zurück, Exekutionen an Gefangenen durchzuführen um so Rache für Anschläge zu nehmen und führte immer wieder konzentrierte Schläge gegen die Kommandostruktur der Rebellen durch. Der militärische Anführer der IRA, Liam Lynch, fiel im April 1923 einem solchen Angriff zum Opfer. Die neue Führung der IRA unter Frank Aiken und Éamon de Valera drängte daraufhin auf Frieden, und die IRA legte die Waffen nieder. Ein Friedensvertrag allerdings wurde nie geschlossen, und der entstehende Friede war von höchst brüchiger Natur, schon alleine, weil viele IRA-Anführer (unter anderem de Valera) verhaftet wurden.  

Denkmal für die erschossenen IRA-Kämpfer in Ballyseedy
Trotz des gerade erst beendeten Bürgerkriegs und des offensichtlichen Siegs der Republik wurden sofort nach Ende der Feindseligkeiten erneut Wahlen abgehalten - ein Schritt, der die liberale und demokratische Natur der neuen irischen Republik unterstrich, besonders, da auch die Vertragsgegner an den Wahlen teilnehmen durften (selbst diejenigen, die im Gefängnis saßen). De Valera und seine Vertragsgegner gewannen rund ein Drittel der Stimmen; die unter dem Banner der "Cumann na nGaedheal" (Bündnis der Gälen) angetretenen Vertragsbefürworter gewannen allerdings eine komfortable Mehrheit, die sie bis 1932 halten konnten. Auch die ersten Schritte der neuen Regierung waren angesichts der gerade erst überstandenen Verwerfungen im Kampf gegen Großbritannien und dem Bürgerkrieg erstaunliche Leistungen des liberalen Staatsgedankens: eine neue Polizei wurde geschaffen um die verrufene RIC zu ersetzen, und die gewählten lokalen County Councils wurden aufgelöst und durch von der Zentralregierung ernannte County Managers ersetzt. 

Die Polizei, die "Garda Síochána" (Hüter des Friedens), war unbewaffnet und politisch neutral - erneut, angesichts des gerade überstandenen Bürgerkriegs eine erstaunliche Entwicklung. Die Ersetzung der County Councils dagegen kann nicht gerade als besonders demokratisch gelten, da an ihre Stelle ernannte Beamte traten. Gleichzeitig aber war der Schritt notwendig, um den Zugriff der Regierung auf das ganze Land zu gewährleisten, denn viele der Councils waren noch voller Vertragsgegner, und praktisch alle waren bis auf die Knochen korrupt und verhinderten eine vernünftige Verwaltung des Landes. Gleichzeitig blieben viele Notstandsgesetze weiter in Kraft, die während der sporadisch stattfindenden IRA-Attacken jeweils eingesetzt wurden, um Verdächtige en masse gefangenzusetzen und abzurteilen. Gleichzeitig allerdings wurden bis 1924 alle Gefangenen aus dem Bürgerkrieg, auch etwa de Valera, entlassen. 

Kevin O'Higgins
Die Vertragsgegner formierten sich 1926 in einer eigenen Partei, der " Fianna Fáil" (Republikanische Partei), die allerdings - wie damals die IPP - ihre Sitze nicht einnahm und das Parlament boykottierte. Der Schritt bedeutete jedoch gleichzeitig auch die Trennung vom militanten Arm der Vertragsgegner, der IRA, die ohne politische Vertretung blieb. Diese Boykotthaltung wurde 1927 aufgegeben, als die IRA General Kevin O'Higgins ermordete, der im Bürgerkrieg für die Exekutionen zuständig gewesen war. Die "Fianna Fáil" machte damit klar, dass sie die IRA nicht mehr unterstützte, die daraufhin in der Irischen Republik stark an Einfluss verlor und sich mehr und mehr auf terroristische Anschläge verlegte.

In Nordirland dagegen nahm die IRA eine andere Entwicklung. Sie hatte bereits während des Unabhängigkeitskriegs in Opposition zu den Unionisten gestanden und diese mindestens ebenso erbittert wie die Briten bekämpft. Der Friedensvertrag 1920 sorgte eher für eine Verschärfung dieses Konflikts als für seine Auflösung. Die IRA in Nordirland war fest entschlossen, den Vertrag zu bekämpfen und die Vereinigung beider Landesteile mit Gewalt zu erwirken. Die RIC, die im Gegensatz zur Irischen Republik nicht aufgelöst wurde, erhielt bald Unterstützung durch die Ulster Special Constablery (USC), während die Regierung den Notstand ausrief und mit Kriegsrecht gegen die IRA zu Felde zog. Die USC bestand dabei fast vollständig aus den alten Ulster Volunteers, so dass die alten religiösen und politischen Konflikte nahtlos ins Polizeisystem übertragen wurden: die katholische IRA bekämpfte entschlossen die protestantische USC. In den Kämpfen zwischen 1920 und dem Ende des Bürgerkriegs im Süden 1923 starben hunderte von Menschen. 

Sinn Féin Plakat gegen die RUC
Die Gewalt schuf ein allgemeines Klima der Furcht, und die Repressalien der nordirischen Regierung gegen die katholische Minderheit (die pauschal der Unterstützung der IRA verdächtigt wurde) trieb viele Katholiken in die Emigration über die Grenze, was die Zurückgebliebenen nur noch mehr isolierte. Die Versuche der nordirischen Regierung, mit der Auflösung der USC und der Schaffung der "Royal Ulster Constabulary" (RUC) eine religiös gemischte Einheit mit beruhigender Wirkung zu schaffen scheiterte trotz des Transfers vieler katholischer Polizeibeamter von der RIC zu der neuen RUC; die katholische Bevölkerung akzeptierte die RUC niemals als "ihre" Polizei und entfremdete sich zunehmend von dem neuen nordirischen Staat, eine Entwicklung, die durch die Diskriminierungspolitik der nordirischen Regierung noch weiter verstärkt wurde. 

Die zwei Hauptinstrumente dieser Diskriminierung waren das auch aus den USA bekannte "Gerrymandering", bei dem die Grenzen der Wahlbezirke so gezogen wurden, dass Mehrheiten für die unionistischen Parteien gesichert waren - entweder stopfte man möglichst viele Katholiken zu unionistischen Mehrheiten und neutralisierte so ihre Stimme, oder man fasste die mehrheitlich katholisch bewohnten Bezirke solcherart zusammen, dass sie starke Enklaven mit stabilen, wenn auch schmalen protestantischen Mehrheiten enthielten. Dieses undemokratische System wurde durch die zweite Säule noch verschärft, die das Wahlrecht auf "primary tenants" (die eigentlichen Mieter; die damals besonders om sozial niedrig stehenden, katholischen Milieu weit verbreiteten Untermieter wurden dadurch ausgeschlossen), deren Frauen und Landbesitzer beschränkte und den (protestantischen) Firmen mehrfaches Stimmrecht hab. Dieses System, das in Großbritannien in den 1940er Jahren abgeschafft wurde, bestand in Nordirland bis 1969 und garantierte bis in die 1960er Jahre hinein die unumschränkte Herrschaft der Protestanten über die katholische Minderheit.

Die katholische Minderheit wurde zudem ökonomisch diskriminiert. Weder war sie in den mittleren und oberen Verwaltungsrängen präsent, noch fanden sie Anstellung in den wichtigsten Branchen wie dem Schiffbau oder dem Maschinenbau. Die Entfremdung vom Staat wurde nur dadurch in Grenzen gehalten, dass Nordirland im Gegensatz zur Irischen Republik den Trend Großbritanniens zum Wohlfahrtsstaat mitmachte, der den armen Katholiken ein soziales Fangnetz bot. In der Irischen Republik dagegen hielt sich der Staat sehr zurück und senkte im Gegenzug die Steuern stark ab.

Literaturhinweise: 
Richard English - Armed Struggle - The history of the IRA 
T. R. Dwyer - Michael Collins
Michael Collins (DVD, Spielfilm)
The Wind that shakes the Barley (DVD, Spielfilm)


Bildnachweise: 
Soldaten auf Schiff - National Library of Ireland on The Commons (gemeinfrei)
Regierungstruppen - unknown - personal collection (gemeinfrei)
Ballyseedy - Patrick McAleer (CC-BY-SA 2.5)
Kevin O'Higgins - unbekannt (gemeinfrei)
Plakat - Ógra Shinn Féin (CC-BY-SA 3.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/06/irische-geschichte-teil-5-burgerkrieg.html

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Das “Unternehmen Barbarossa” und die deutsche Kriegswirtschaft

Wirtschaft, Politik und Militär – diese drei Elemente waren im NS-Regime eng miteinander verbunden. Als die sogenannte “Blitzkriegsstrategie” der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs an ihr plötzliches Ende kam, musste die NS-Führung auf politischer Ebene  die Kriegsstrategie anpassen. Doch musste, um den Krieg weiterführen zu können, vor allem aber die Kriegswirtschaft  für die länger andauernden und ressourcenbindenden Kriege umstrukturiert werden.

Im Zuge des sogenannten „Unternehmen Barbarossa“ erließ Adolf Hitler am 20. Juni 1941 den Befehl, in den Krieg gegen die Sowjetunion einzutreten. Bereits am 22. Juni 1941 durchbrachen deutsche Panzertruppen die ersten sowjetischen Stellungen, so dass deutsche Infanterieeinheiten weiter in das Landesinnere vordringen konnten.1 In der deutschen Führung war man sich sicher, mit der bis dahin an der Westfront erfolgreichen Strategie des „Blitzkriegs“ innerhalb kürzester Zeit wichtige sowjetische Stellungen einnehmen und den letztendlichen Sieg herbeiführen zu können. Doch bereits im August 1941 mehrten sich auf Seiten der deutschen militärischen Führung unter Generalstabschef Halder erhebliche Zweifel am Erreichen eines schnellen Sieges: Das Vordringen der deutsche Truppen geriet durch die personellen und materiellen Verluste ins Stocken, denn das unüberschaubar große Kriegsterrain und die zahlenmäßige Überlegenheit der Roten Armee waren unterschätzt worden. Obwohl die deutschen Truppen im Oktober 1941 in der Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk der Roten Armee erhebliche Verluste zufügten, schafften es die deutschen Truppen nicht, den von Hitler erlassenen Befehl, die sowjetische Hauptstadt Moskau anzugreifen, erfolgreich durchzuführen. Extreme Witterungsbedingungen und eine sowjetische Gegenoffensive am 5./6. Dezember 1941 drängten die deutschen Truppen bis auf weiteres zurück. Statt einem schnellen Sieg sah sich die deutsche Führung nun einem Zweifrontenkrieg gegenüber, zudem erklärte auch die USA am 11. Dezember 1941 dem Deutschen Reich den Krieg.2 Die bereits 1941 auf deutscher Seite erlittenen Verluste sowohl materieller als auch personeller Art waren erheblich. Außerdem schienen mit dem Scheitern vor Moskau die schnell führbaren Kriege an ihr jähes Ende gekommen zu sein. So erkannte die deutsche Führung, dass für länger andauernde Kriege neben einer Anpassung der Kriegsstrategie vor allem das gesamte kriegswirtschaftliche Konzept umgestellt werden musste.3 Hitler übertrug nun die Aufgabe der Effektivierung der Rüstungsindustrie und ihre Ausrichtung auf lange, ressourcenbindende „Abnutzungskriege“ Albert Speer, dem bisherigen Generalbauinspektor der Reichshauptstadt. Als neuer Reichsminister für Bewaffnung und Munition übernahm Speer dabei vor allem „den Auftrag die Wirtschaft des „Dritten Reichs“ mit Entschiedenheit auf die Erfordernisse der Kriegsführung umzustellen.“4

Speer übernahm von seinem Vorgänger Fritz Todt, der am 8. Februar 1942 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt war, das 1940 eingerichtete Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. Die sogenannte „Organisation Todt“ war ab März 1940 damit beauftragt, das „Kompetenz- und Koordinationschaos“5 zwischen den wirtschaftspolitischen  Entscheidungsträgern durch eine zentrale, vereinfachte Planungsbehörde zu ersetzen. Nach der Niederlage vor Moskau wurde Todts „Stellung durch einen Führererlass“ entschieden aufgewertet, doch vermochte er bis zu seinem Tod keine tiefgreifenden Maßnahmen zur schnellen Rüstungssteigerung in die Wege zu leiten.6 Mit der darauffolgenden „Speerschen Selbstverwaltung“ sollten die Kompetenzen und Befugnisse der Rüstungsproduktion in sogenannten „Lenkungsbereichen“ wie „Ringen“ und „Ausschüssen“ gebündelt werden. Diese Gremien wurden von den Industrievertretern selbst besetzt. So entstand in den Kriegsjahren von 1942 bis 1944 zwischen der deutschen Privatwirtschaft und dem NS-Regime eine hochkomplexe Kooperationsstruktur, die für die Industrievertreter die erstmalige Möglichkeit der “Selbstverwaltung” mit sich brachte.7

Die Speersche „Selbstverwaltung der Industrie“ war alternativlos staatlich vorgegeben und bot den für alle deutschen Betriebe verbindlichen Rahmen für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten. Der Anreiz für die Unternehmen, „freiwillig“ an der „Selbstverwaltung der Industrie“ teilzuhaben und mit den staatlichen Behörden zu kooperieren und für sie Rüstungsaufträge abzuwickeln, lag in folgendem Prinzip: Indem Todt und Speer die Industrie als Kooperationspartner scheinbar auf Augenhöhe mit den staatlichen Behörden hob und der Industrie in ihren Bereichen Verantwortung und Selbstständigkeit zugestanden und übertrugen und sie an der Macht der nationalsozialistischen Herrschaft teilhaben ließen, waren staatliche Eingriffe auf die Autonomie der Unternehmen nicht mehr so offensichtlich bzw. wurden von den Unternehmen anfangs nur in wenigen Fällen als störend empfunden.8 Doch die Regulation bzw. beabsichtigte Verschärfung des Wettbewerbes durch Speers Behörden stellte einen Eingriff in den Markt und in die Autonomie der Unternehmen dar. Darüber hinaus bestimmten in den Ausschüssen und Ringen die marktführenden Unternehmen, die sich in den ausgetragenen Konkurrenzkämpfen durchsetzen konnten, die unternehmerischen Entscheidungen aller übrigen Unternehmen, die in den Selbstverwaltungsorganen waren und profitierten von ihrer Dominanz. Auch dies war ein Eingriff in die Autonomie der Unternehmen und bedeutete eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiräume.  Zweifellos verschwammen mit der „Selbstverwaltung der Industrie“ die Grenzen zwischen „staatlicher Wirtschaftsadministration“ und „privatwirtschaftlicher Sphäre“,9denn diese war eine Schnittstelle zwischen Industrie und Staat. In dieser Selbstverwaltung der Industrie wuchs auch im Laufe des Krieges die politische Mitverantwortung.10 Genauso waren die führenden Figuren dieser Organisationsform, nämlich die „NS-Industriellen“, geschickt eingesetzte „Zwitter“, die die Vermischung von Staat und Industrie symbolisierten und gleichzeitig einen staatlichen Zugriff auf unternehmerischen Handlungsraum ermöglichten.11

Gewisse Handlungsfreiräume der Unternehmen bestanden für die Zeit unter Speer im Wesentlichen darin, dass die Unternehmen gegensätzliche Interessen wie ihr Streben nach Selbsterhaltung und der Ausrichtung auf eine Friedenswirtschaft verfolgen konnten, ohne dass ihnen dafür staatliche Repressalien drohten. Mag dies dem mangelnden Durchgreifen der Speerschen Behörden geschuldet sein, die auch strukturelle Probleme der Selbstverwaltung nicht effektiv zu bewältigen vermochten, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass die Unternehmen in der Verfolgung ihrer unternehmerischen Interessen und in der späteren Entwicklung von Interessen, die sich gegen die kriegswirtschaftlichen Ziele Speers richteten, lediglich ihr ökonomisches Streben nach Wachstum, Profit und längerfristigem Überleben zum Ausdruck brachten, das jedes privatwirtschaftliche Unternehmen, das in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung agiert, kennzeichnet.12

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Das “Unternehmen Barbarossa” und die deutsche Kriegswirtschaft. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

  1. Vgl. Hartmann, Christian: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941-1945. München 2011. S. 38.
  2. Vgl. Hartmann 2011. S. 37-44. ; Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen 1919-1945. München 2009. S. 255.
  3. Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus: Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919-1945. München 2009. S. 255.
  4. Siehe Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. München 2009. S. 88 ; Vgl. auch Müller, Rolf-Dieter: Albert Speer und die totale Rüstungspolitik im totalen Krieg, in: Kroener, Bernhard R. / Müller, Rolf-Dieter / Umbreit, Hans: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen. 1942-1944/45. Stuttgart 1999. S. 275.
  5. Siehe Erker, Paul: Industrieleiten in der NS-Zeit: Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmern in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Passau 1994. S. 16.
  6. Vgl. Wehler 2009. S. 256 ; Müller in: Kroener / Müller  / Umbreit. 1999. S. 276.
  7. Vgl. Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung: die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Bonn 2007. S. 647.
  8. Vgl. Erker in: Erker, Paul / Pierenkemper, Toni: Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten. München 1999. S. 8.
  9. Siehe Volkmann, Hans-Erich: Ökonomie und Expansion: Grundzüge der NS-Wirtschaftspolitik: Ausgewählte Schriften. München 2003. S. 100.
  10. Vgl. Volkmann 2003 S. 76.
  11. Vgl. Erker in: Erker / Pierenkemper 1999. S. 7.
  12. Vgl. Buchheim, Christoph: „Unternehmen in Deutschland und NS-Regime 1933-1945. Versuch einer Synthese“, in: Historische Zeitschrift 282 (2006). S. 379-381.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/06/das-unternehmen-barbarossa-und-die-umstrukturierung-der-deutschen-kriegswirtschaft/

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Irische Geschichte, Teil 4: Der irische Unabhängigkeitskrieg

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. In ihm wurde beschrieben, wie Irland seit der Personalunion mit der englischen Krone eine wechselhafte Beziehung mit England unterhielt und vor allem durch seine inneren Konflikte gespalten war, die entlang der Konfessionsgrenzen und Besitzverhältnisse verliefen. In Teil 2 wurde deutlich gemacht, wie die Politik der britischen Regierung und des Parlaments eine immer stärkere Wechselwirkung mit Irland entwickelten, in dem sich eine nationalistische Bewegung zu bilden begann und stets an Boden gewann. Als Großbritannien sich für die Selbstverwaltung Irlands, die Home Rule, entschied, hatten die Devolutionisten, die die totale Unabhängigkeit wollten, bereits deutlich an Boden gewonnen. Teil 3 beschrieb die zunehmende Gewaltbereitschaft zwischen den Unionisten in Ulster und den Nationalisten im Rest des Landes und die Konflikte um die Home Rule und wie diese Konflikte durch den Ersten Weltkrieg erst vertagt und dann verschärft wurden.

Mitglieder der dritten Tipperary-Brigade der IRA, 1921
Großbritannien war nicht in der Lage, Irland unter seiner Herrschaft zu behalten. In den Nachwehen der "Conscription Crisis" von 1918 fiel unter den Irish Volunteers der Entschluss, die Unabhängigkeit, die Großbritannien nicht zuzugestehen bereit war, gewaltsam zu erzwingen. Am 21. Januar 1919 kam das revolutionäre irische Parlament, die Dáil Éireann, in Dublin im Mansion House zusammen und verabschiedete die irische Unabhängigkeitserklärung, die recht unspezifisch "die irische Nation" für unabhängig erklärt (möglicherweise um nicht von Anfang an in Konflikt mit den Unionisten um Ulster zu geraten). Wie um die Nachricht zu unterstreichen wurden am selben Tag auch die ersten Schüsse des Unabhängigkeitskriegs abgegeben, als Mitglieder der Irish Volunteers zwei Mitglieder der Royal Irish Constabulary, RIC, einer Art bewaffneter Besatzungspolizei, in Tipperary erschossen. Der 21. Januar 1919 wird daher allgemein als Beginn des irischen Unabhängigkeitskriegs gesehen.

Der Begriff eines "Krieges" ist hier allerdings irreführend, wenn man ihn sich wie den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg vorstellt, mit Armeen, die einander auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen. Die Irish Volunteers, die sich kurz darauf in Irish Republican Army, IRA, umbenannten, waren eine irreguläre Armee, schlecht ausgerüstet und ausgebildet, aber mit großer Unterstützung in der Bevölkerung und guter Kenntnis des Gebiets, in dem sie kämpften. Ihre bevorzugte Taktik war der Hinterhalt (das einzige Mal, dass sie in größerem Maßstab eine britische Stellung direkt angriffen, endete in einem Desaster) von kleinen Einheiten. Sie trugen keine Uniformen und führten einen irregulären Guerilla-Krieg. Entsprechend schickten die Briten auch nur relativ wenig reguläre Truppen gegen sie, sondern griffen auf eine Verstärkung der RIC sowie auf zwei irreguläre Freiwilligenverbände zurück, die sich bald einen Namen machen sollten: die Auxiliary Division of the Royal Irish Constablery (ADRIC, Hilfsdivision der königlich-irischen Polizei, oft als Auxies oder Auxiliaries bezeichnet) und die Black and Tans (etwa: Schwarz-und-Hellbraune, wegen der Farbe ihrer Uniformen), eine Art Söldnertruppe, die sich vor allem aus Veteranen des Ersten Weltkriegs zusammensetzte, die nicht mehr zurück ins Zivilleben fanden.

Auxiliaries und Black and Tans in Dublin, 1921
Beide Truppen fühlten sich nicht besonders an geltende Gesetze und Regeln weder der Kriegsführung noch der Polizeiarbeit gebunden. Sie schossen zuerst und fragten dann. Ihre bevorzugte Taktik war der Vergeltungsangriff; wenn die IRA einen Hinterhalt gelegt hatte, rächten sich die Auxiliaries und die Black and Tans an der Zivilbevölkerung, um auf diese Art vor weiteren Angriffen abzuschrecken - eine Taktik, die noch nie funktioniert hat und auch in Irland eher dazu führte, die Bevölkerung weiter gegen Großbritannien aufzubringen und der IRA weitere Mitglieder zuzutreiben. Man muss den Briten allerdings zugutehalten, dass es wenig klare Handlungsalternativen gab. Die Anführer der IRA und der Irischen Republik waren, sofern man sie nicht relativ schnell hatte verhaften können, untergetaucht und in der zunehmend gegenüber der Sache der irischen Republik loyaler werdenderen Bevölkerung praktisch nicht auszumachen, ein Problem, das durch die fehlende Kenntnis des Aussehens zentraler Figuren wie etwa Michael Collins noch verschärft wurde.

Die gegenseitige Gewalt nahm bis zum November 1920 immer weiter zu. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 300 Menschen auf beiden Seiten getötet und wesentlich mehr verwundet oder (im Fall der IRA) gefangengenommen worden. Der Krieg war mindestens genauso sehr eine Polizeiaktion wie ein bewaffneter Kampf, und der Versuch, Mitglieder und besonders Anführer der IRA zu identifizieren stellte ein zentrales Betätigungsfeld der RIC dar, was Offiziere der RIC wiederum zu primären Angriffszielen der IRA machte. Besonders berüchtigt war die sogenannte "Cairo Gang" (nach dem Cairo Café in dem sie sich zu treffen pflegten und ihrem vorherigen Einsatz in Ägypten) in Dublin, eine Gruppe von etwas mehr als einem Dutzend Polizisten, die drauf und dran waren, mit ihrem besonders effektiven Spitzelnetzwek die komplette IRA-Struktur in der Stadt zu zerlegen. Es war Michael Collins, der den Plan entwickelte sie alle zu ermorden und den Befehl dazu gab. Neben der Cairo Gang wollte Collins auch die Agenten der RIC töten lassen und hatte zu diesem Zweck eine Liste von 50 Namen zusammengestellt. Der "Verteidigungsminister" der Republik bestand jedoch darauf, sie auf 35 zusammenzukürzen, da bei vielen Namen überhaupt nicht klar war, ob es sich überhaupt um Spione handelte - Collins und seine Unterstützer in der IRA waren nicht gerade zimperlich, was solche Unklarheiten anging. Sie töteten, genauso wie ihre Gegner von den Black and Tans und den Auxiliaries, lieber zu viele als zu wenige Menschen in der Hoffnung, dadurch einen Gegner zu erwischen.

Die "Cairo Gang"; fast alle starben am "Bloody Sunday"
Am frühen Morgen des 21. November schlug die IRA zu. In mehreren gleichzeitigen, koordinierten Attentaten wurden elf Geheimdienstmitarbeiter sowie zwei Auxiliaries, die den Opfern zu Hilfe kommen wollten, erschossen. Die britische Antwort kam prompt: Die RIC umzingelte das Fußballstadion in Croke Park, Dublin, wo an diesem Nachmittag ein Spiel mit 5000 Zuschauern stattfand und wollte eine große Razzia durchführen. Der Plan war, alle männlichen Zuschauer an den Ausgängen zu filzen, aber aus ungeklärten Gründen wurden Schüsse abgegeben, woraufhin die RIC das Feuer auf die Menge eröffnete und 14 Menschen tötete; weitere 60-70 wurden verwundet. Die RIC gab an, von der IRA beschossen worden zu sein, aber diese Version ist nicht besonders glaubwürdig. Am Abend wurden zudem drei gefangene IRA-Mitglieder in Dublin Castle von den Wachen totgeschlagen; angeblich hatten sie versucht zu fliehen. Der Tag ging als "Bloody Sunday" in die Geschichte ein und war ein propagandistisches Debakel für die Briten.

Beide Seiten griffen nun wesentlich freizügiger auf Gewalt zurück. Die IRA legte einige großangelegte Hinterhalte, die zweistellige Opferzahlen unter den Soldaten zufolge hatten, während die britischen Kräfte freizügiger als bisher Verdächtige inhaftierten oder gleich ermordeten. Von den rund 2000 Toten des Konflikts starben fast drei Viertel nach dem "Bloody Sunday". Doch die Gewaltspirale benachteiligte wie bereits am "Bloody Sunday" die Briten. Die IRA galt als legitime Freiheitskämpferin, die Briten als blutige Unterdrücker und Mörder. Der Ruf besonders der Auxiliaries und der Black and Tans war so schlecht, dass sogar der englische König in öffentlichen Reden auf Mäßigung drang und am 22. Juni 1921 sogar eine Rede hielt, in der er zum Friedensschluss aufrief. Friedensverhandlungen zwischen der IRA und Großbritannien, die 1920 erfolgversprechend gewirkt hatten, bevor die IRA wegen der Forderung, vor weiteren Gesprächen die Waffen niederzulegen den Kontakt abgebrochen hatte, wurden wieder aufgenommen und im Juli 1921 ein Waffenstillstand erklärt. Die Zeit des Waffenstillstands sollte für die eigentlichen Verhandlungen genutzt werden.

David Lloyd George
In der Zwischenzeit hatte die britische politische Strategie wesentlich bessere Erfolge als die militärische gezeigt. Lloyd George, Premierminister von Großbritannien, hatte 1919 ein viertes Home-Rule-Gesetz eingebracht, das 1920 vom Parlament verabschiedet wurde und die Teilung Irlands in Nordirland (6 Counties) und Südirland (26 Counties) vorsah. Beide Teile erhielten ein eigenes Parlament unter einem gemeinsamen "Lord Lieutenant of Ireland"; das Gesetz enthielt außerdem Bestimmungen für eine Wiedervereinigung. In Belfast nahm die Gewalt während des Krieges erwartungsgemäß bereits bürgerkriegsähnliche Gestalt an; die unionistischen Protestanten kämpften gegen die Katholiken der IRA, die wiederum die Protestanten und die Briten gleichermaßen bekämpften. Es gelang der IRA jedoch nicht, substantielle Unterstützung im Norden zu gewinnen, die mit der Restirlands vergleichbar wäre. Die Eskalation der Gewalt ab dem "Bloody Sunday" bedrängte die IRA in Belfast, und die Unionisten schlugen mit terroristischen Attacken gegen die katholische Bevölkerung zurück. Das Ziel der Briten in den Verhandlungen mit der IRA ab 1921 war es daher, Nordirland in seiner bisherigen Form als Teil Großbritanniens beizubehalten; das Ziel der IRA war es, eine Unabhängigkeit des ganzen Irlands unter ihrer Führung zu erreichen. Die Chancen dafür standen jedoch von Anfang an schlecht.

Vermutlich war dies den meisten IRA-Mitgliedern selbst bereits klar. Im Vorfeld der Verhandlungen nutzte Éamon de Valera, der Präsident der irischen Republik, dieses Wissen, um den populären Michael Collins als mit umfangreichen Vollmachten ausgestatteten Unterhändler nach London zu schicken und so die Verantwortung abzuschieben. Der Vertrag, der aus diesen Verhandlungen im Dezember 1921 hervorging, war gemäß der Theorie, dass gute Verhandlungen beide Seiten unbefriedigt zurücklassen, ein voller Erfolg: Irland wurde als "Freistaat" unabhängig (und behielt den englischen König als Oberhaupt, weswegen es nicht "Republik" heißen durfte), löste sich ansonsten aber von Großbritannien. Die Briten bestanden außerdem darauf, dass das im vierten Home-Rule-Gesetz geschaffene irische Parlament für zwei Jahre zum Dáil Éireann ko-existierte und den Vertrag ebenfalls ratifizierte. Nominell vereinigte der Vertrag Irland als Gesamt-Freistaat, doch die sechs nördlichen Counties (deren Grenze von einer Kommission festgelegt werden sollte) hatten die Möglichkeit, aus dem Vertrag auszusteigen und stattdessen unter der Home Rule Teil des Vereinigten Königreichs zu bleiben, eine Möglichkeit, von der allen Beteiligten klar war, dass sie ergriffen werden würde.

Michael Collins
Das Ergebnis des Irisch-Britischen Vertrags hob Irland damit effektiv auf den Status eines Dominions, ähnlich Kanadas oder Neuseelands. Gleichzeitig schien die Teilung des Landes, bislang nur provisorisch, der nächste große Zankapfel zu sein, denn die Grenzen Nordirlands waren noch lange nicht festgelegt und die neue irische Regierung hoffte darauf, sie so eng ziehen zu können, dass Nordirland alleine nicht überlebensfähig wäre und so das ganze Irland zu den eigenen Bedingungen vereint werden könne. Doch solche feinsinnigen politischen Pläne kamen nie zustande, denn die IRA spaltete sich über das Ergebnis des Vertrags selbst: Éamon de Valera verlor die Wahlen für die neuen politischen Institutionen, und sein Plan, Michael Collins bloßzustellen, hatte nur für eine radikale Minderheit funktioniert. Diese Minderheit kündigte 1922 die Loyalität zur Dáil Éireann auf und begann den bewaffneten Kampf gegen die neue irische Regierung. Michael Collins stand dieser als provisorischer Regierungschef vor, während sich die Rebellen um de Valera sammelten. Der Unabhängigkeitskrieg ging nahtlos in einen Bürgerkrieg über, und niemand hatte mehr großartig Gelegenheit, sich um rechtliche Ansprüche in Nordirland zu kümmern, wo die Briten eifrig den Status quo zementierten.

Weiter geht's in Teil 5.

Literaturhinweise: 
Richard English - Armed Struggle - The history of the IRA 
T. R. Dwyer - Michael Collins
Michael Collins (DVD, Spielfilm)
The Wind that shakes the Barley (DVD, Spielfilm)

Bildnachweise:
IRA Tipperary -  unbekannt (gemeinfrei)
Auxiliaries und Black and Tans - National Librabry of Ireland and the Commons (gemeinfrei)
Cairo Gang - Hulton Getty (gemeinfrei)
Lloyd George - Harris & Ewing (gemeinfrei)
Michael Collins - W. D. Hogan for C & L Walsh Photographers (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/06/irische-geschichte-teil-4-der-irische.html

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aventinus recensio Nr. 37 [12.06.2013]: Thomas König: Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich, Innsbruck u.a.: StudienVerlag 2012. 26,90 €. ISBN 978-3-7065-5088-8

Die besprochene Dissertation untersucht die Tätigkeit der United States Educational Commission in Austria von ihrer Gründung 1950 bis zur Umstrukturierung 1964, bei der diese österreichische Fulbright-Kommission in Austrian American Educational Commission umbenannt wurde. http://bit.ly/10hr1C8

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/06/4491/

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