XI Konferenz “Kultur und Informatik”

Vom 23. bis 24. Mai 2013 findet die 11. Veranstaltung der Reihe „Kultur und Informatik“ im Pergamon Musum in Berlin statt. Die Veranstaltung stellt Best-Practice-Beispiele, Heraus­for­derungen und Ent­wick­lungs­ten­den­zen im Bereich von Visualisierungen und Interaktionen in den Mittelpunkt. Die Konferenz richtet sich einerseits an Kulturpolitiker, Mitarbeiter der Kultur- und Kreativwirtschaft, an Kommunikationswissenschaftler, Kultur- und Kunstakteure sowie andererseits an Informatiker und Techniker, die zu kulturellen Themen forschen und entwickeln.

Fünf zentrale Fragen stehen im Mittelpunkt der verschiedenen Vorträge und Präsentationen:

  • kulturpolitische Rahmenbedingungen,
  • die Verflechtung und gegenseitige Beeinflussung von Kultur und Informatik,
  • Einfluss von Kunst und Kultur auf die Gestaltung der Zukunft,
  • die mediengerechte Aufbereitung von Informationen sowie
  • die intuitive Benutzung von Mediensystemen.

Diese zentralen Fragestellungen sollen vorrangig anhand von Best-Practice-Beispielen für die Kultur- und Kreativ­industrie analysiert, demonstriert und diskutiert werden.

Call for Paper bis 31. Januar 2013:

Themenvorschläge für Vorträge, Plakate oder Demonstrationen können bis 31. Januar 2013 als Abstract in deutscher oder englischer Sprache eingereicht werden. Vorschläge zu folgenden Gebieten sind gewünscht:

  • Visualisierungs- und Interaktionstechniken,
  • Informations-, Visualisierungs- und Kommunikationssysteme in öffentlichen Räumen,
  • Interaktive Multimedialösungen für Museen, Theater, Konzerthäuser, Ausstellungen etc.
  • Interaktive Systeme in der Kultur- und Kreativwirtschaft,
  • Stadt- und Tourismusinformationssysteme,
  • Digitale Messen, Science Center, Museen, Galerien und Ausstellungen,
  • Virtuelle Rekonstruktionen,
  • Augmented Reality,
  • Media Architecture, speziell digitale Erweiterung realer Gebäude und Stadtquartiere,
  • Positions- und kontextsensitive Dienste,
  • Dokumentieren, Visualisieren und Interagieren in Museen und Archiven,
  • Spielbasierte Aufbereitung von Informationen,
  • Digitales Story Telling,
  • Multimedia-Guides,
  • weitere mit der Themenstellung “Visualisieren, Erkunden, Interagieren” verbundene Fragestellungen

Die Einreichung (1-3 Seiten DIN A4) sollte den Umfang des Beitrages, Vorteile, Theorien und/oder Anwendungen und Ergebnisse enthalten. Des Weiteren sollte der Beitrag so strukturiert sein, dass das Programmkomitee in der Lage ist, die Originalität und den Wert der Leistung zu verstehen.

Eine Einsendung impliziert den Willen, sich für die Konferenz zu registrieren und den Beitrag, insofern dieser akzeptiert wird, auf der Konferenz zu präsentieren.

Die Einsendung der Themenvorschläge erfolgt online als PDF über das Konferenzmanagementsystem der Forschungsgruppe INKA. Erstbenutzer registrieren sich bitte vorab.Sollten Sie hierbei Probleme haben, wenden Sie sich bitte an die Veranstalter.

Alle angenommenen Beiträge werden in den Konferenzband aufgenommen. Der Verlag wird derzeit bestimmt und im Januar 2013 hier veröffentlicht. Eine TeX Vorlage zur Einreichung des finalen Beitrages wird hier im Januar 2013 bereitgestellt.

Alle weiteren Informationen finden Sie auf der Internetseite des Veranstalters hier.

Quelle: http://dss.hypotheses.org/817

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The Learned Correspondence of the Brothers Pez: Catholic Enlightenment in Austria

The Learned Correspondence of the Brothers Pez: Catholic Enlightenment in Austria  Many examples can be given to illustrate the period commonly known as „Enlightenment“. Prominent figures like Isaac Newton, John Locke, René Descartes and Gottfried Wilhelm Leibniz create the impression, that the centre of „Enlightenment“ lay in the (mainly protestant) territories of Northwestern Europe, whereas the southern part of the Empire as well as the monastic field seemed to be barely touched by it. A counterexample for „Monastic Enlightenment“ in this area at around [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/1479

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Vortrag Mary Gibson zu italienischen Gefängnissen im 19. Jahrhundert

Vortrag
MARY GIBSON
From the Papal States to "Roma Capitale" - Prisons in Nineteenth-Century
Italy
10. Dezember 2012, 18 Uhr c. t. am IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien

Under Papal rule and continuing into the twentieth century, Roman prisons clustered in the center of the city and, more specifically, along the Tiber river. This integration into the urban fabric made prisons central to popular conceptions of Rome, inspiring proverbs and songs about the experience of incarceration in working-class life. Thus, prisons offer an interesting point from which to view the period during which the “second Rome” of the Popes gave way to the “third Rome” of the new liberal state.Gender will be central to the analysis of the temporal dimension of the Roman prison system, as some Papal prisons were abandoned, some reformed, and still others built anew. Subordinated to their husbands in civil law, Italian women were also left behind in penal reform, which assigned them to the sphere of religion/ charity rather than to the more modern world of rights and work. Therefore, the treatment of prisoners in the new capital reveals much about gender and the legal construction of citizenship during the transition from Papal to parliamentary rule.

Mary Gibson is Professor of History at the John Jay College and the Graduate Center, City University of New York. She is IFK_Senior Fellow.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/219048093/

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Über die Kartierbarkeit der Geschichte: Anne Kelly Knowles und Historical GIS.

Tony Horwitz: Looking at the Battle of Gettysburg Through Robert E. Lee’s Eyes. In: Smithsonian magazine. Dec. 2012. URL: http://www.smithsonianmag.com/history-archaeology/Looking-at-the-Battle-of-Gettysburg-Through-Robert-E-Lees-Eyes-180014191.html?c=y&story=fullstory

Kernfrage: Welche Rolle können GIS (=Geographic Information Systems)-Verfahren für die Analyse historischer Fragestellungen spielen?

In der Dezember-Ausgabe des Smithsonian Magazine berichtet Tony Horwitz über die Arbeit von Anne Kelly Knowles. Die Geographin erhielt dieses Jahr den Smithsonian Ingenuity Award im Bereich Historical Scholarship und zwar offensichtlich vor allem deshalb, weil sie eine Vorreiterfunktion im Bereich des Einsatzes Historical Geographic Information Systems (HGIS) übernahm. Dabei benutzt man für die Kartographie entwickelte Technologien buchstäblich zum Mapping historischer Ereignisse bzw. Strukturen. Bekannte Beispielanwendungen finde sich im Great Britain Historical Geographical Information System (GBHGIS) oder auch bei HGIS Germany.

Die Digitalisierung historischer Landkarten und das verortende Auftragen von Bezugspunkten (=georeferencing) ermöglicht es, bestimmte Sachverhalte in gewisser im Raum in ihrem Verlauf abzubilden. Die Abbildung der Entwicklung von Grenzverläufen ist da nur ein sehr nahe liegendes Beispiel. Spannend wird es, wenn diese spatiale Dimension mit möglichst konkreten historischen Fakten in Beziehung gesetzt wird. Und Anne Kelly Knowles wird konkret:

“In this instance, she wants to know what commanders could see of the battlefield on the second day at Gettysburg. A red dot denotes General Lee’s vantage point from the top of the Lutheran Seminary. His field of vision shows as clear ground, with blind spots shaded in deep indigo. Knowles has even factored in the extra inches of sightline afforded by Lee’s boots. “We can’t account for the haze and smoke of battle in GIS, though in theory you could with gaming software,” she says.” (Hervorhebung und Einbettung des Links: BK)

Welche Fragestellung man über die Kombination diverser Parameter tatsächlich sinnvoll bearbeitet, hängt selbstverständlich von dem jeweiligen Forschungsgegenstand und -ansatz ab. Deutlich wird jedoch das Potenzial beispielsweise für eine empirische Gegenprüfung überlieferter Quellen. Die Wissenschaftlerin spricht selbst von einer korrektiven Funktion des Mappings. So ermöglicht der Einsatz derartiger Technologien eine neue Perspektive auf bekannte Themen und in gleicher Weise das Aufwerfen von neuen Fragestellungen sowie, drittens, generell neue Möglichkeiten zur Formulierung von Forschungsfragen.

Das Verfahren selbst ist auch eine Art Kombination. Im Webkontext würde man vielleicht von Mash-Up sprechen. Tatsächlich waren Mapping-Anwendung wie das Crime Mapping des Los Angeles Police Departments bahnbrechend bei der Popularisierung derartiger Verknüpfungen. Dass sich die Kombination von (a) raumstrukturierender Visualisierung (Stadtpläne, Landkarten) mit (b) Ereignisdaten (hier: Straftaten) sowie zu mit diesen assoziierten qualitativen Ergänzungsdaten (hier: demographische Angaben) und schließlich (c) einer Zeitachse anbietet, um bestimmte Entwicklungen, Häufungen, Regularitäten und Anomalien zu visualisieren, dürfte spätestens seit Google Maps weithin anerkannt sein. Eine entsprechende Datenbasis vorausgesetzt, lässt sich eigentlich alles, was Geographie, Entwicklung in der Zeit und eine qualitative Konkretisierung verbindet, GIS-basiert abbilden – von der Wetterkarte und Vegetationszyklen bis hin zum Schlagloch.

GIS war vor allem aus der Regionalplanung und kommerziellen Kontexten bekannt. Anne Kelly Knowles realisierte relativ früh (die von ihr herausgegebene Sonderausgabe von Social Science History mit dem Thema Historical GIS: The Spatial Turn in Social Science History erschien im Jahr 2000), dass man diese Technologie ebenfalls sehr gut in geschichtswissenschaftlichen Zusammenhängen einsetzen kann:

“I knew there was a GIS method, used to site ski runs and real estate views, and wondered what would happen if I applied that to Gettysburg.”

Eine wichtige Nebenwirkung dieser Art von Empirisierung mittels expliziter Kartographierung könnte – nicht ganz unpassend zur Kartographie – das Erkennen von Grenzen sein. Nämlich von solchen der Erkenntnisreichweite scheinbar stabiler Einschätzungen sowie der Wege, auf denen diese entstehen:

“We can learn to become more modest about our judgments, about what we know or think we know and how we judge current circumstances.”

Als weiterer Effekt droht im Gegenzug die von Skeptikern häufig angemahnte Überbetonung der Muster gegenüber den Inhalten. Visualisierungen sind in der Regel visuell eindrucksvoll, bleiben bisweilen aber zur Frage, was man konkret aus ihnen ablesen kann, erstaunlich opak.

Anne Kelly Knowles ist mit diesem Problem offensichtlich gut vertraut, zumal sie derzeit das HGIS-Prinzip in einem Projekt zur Holocaust-Forschung („a profoundly geographical event” – A.K. Knowles) einsetzt. Sie weiß also um die Schwierigkeit, „of using quantitative techniques to study human suffering.” Entsprechend argumentiert sie mit der gebotenen Vorsicht:

Knowles is careful to avoid over-hyping GIS, which she regards as an exploratory methodology. She also recognizes the risk that it can produce “mere eye candy,” providing great visuals without deepening our understanding of the past.

Und sie erkennt noch eine weitere Herausforderung: Die der Übersetzung von Messungen und gemappten Strukturen in eine erklärende und verständliche sprachliche Abbildungsform:

Another problem is the difficulty of translating complex maps and tables into meaningful words and stories.

Informationsvisualisierung hat gegenüber der Beschreibung den klaren Vorteil einer Informationsverdichtung. Informationswissenschaftlich gilt der Grundsatz, dass ein Bild sehr viel Information (mehr jedenfalls als tausend Worte) jedoch eher wenig Wissen (nach einem informationswissenschaftlichen Wissensbegriff) speichern kann. Dieses Prinzip wird freilich bei der Hinzunahme einer zeitlichen Dimensionen relativiert. Dennoch bleibt es jedenfalls derzeit notwendig, parallel zur graphischen Abbildung im Mustern eine schlussfolgernde Ableitung des Dargestellten in Textform vorzunehmen. Die visualisierte Informationsmenge muss demzufolge auf Aussagen heruntergefiltert bzw. ausgedeutet werden.

Was man folglich aus dem Artikel und der dort wiedergegebenen Position Anne Kelly Knowles’ mitnehmen kann, ist, dass das Mapping historischer Entwicklungen und Ereignisse mittels GIS einerseits vor allem dafür geeignet ist, bekannte Fragestellungen neu zu betrachten und entsprechend möglicherweise empirisch zu validieren. Und andererseits, im exploratorischen Sinn, Zusammenhänge neu erkennbar zu machen. Für beide Anwendungsfälle gilt jedoch (wie eigentlich immer):

“The technology is just a tool, and what really matters is how you use it”

Wobei zur gelingenden Anwendung insbesondere die Befähigung zur historisch sensiblen und sinnvollen Schlussfolgerung und Interpretation zählen dürfte.

P.S. Eine Kurzbescheibung ihrer Arbeit gibt Anne Kelly Knowles in diesem kurzen Clip.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1165

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Besetzte Vergangenheiten. Erinnerungskulturen an den Zweiten Weltkrieg in Luxemburg – eine historiografische Baustelle


Das erste Bild das Google zum Thema “Luxemburg Zweiter Weltkrieg” vorschlägt, stammt aus einem Wikipedia-Eintrag mit dem Titel “Luxemburg im Zweiten Weltkrieg”… irgendwie logisch.

Manchmal haben Artikel eine ganz lange Entstehungsgeschichte. Besetzte Vergangenheiten. Erinnerungskulturen an den Zweiten Weltkrieg in Luxemburg – eine historiografische Baustelle, der vor kurzem im dritten Heft der luxemburgischen Geschichtszeitschrift Hémecht erschienen ist, beruht auf Forschungen aus dem Jahre 2005/6. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Luxemburg an einem Projekt zu den luxemburgischen Erinnerungsorten. Von den vier Mitarbeitern des Projektes (Sonja Kmec, Michel Margue und Pit Peporte) war ich der einzige Zeithistoriker. Da der Zweite Weltkrieg zentral in der Erinnerungskultur des Grossherzogtums ist, hatte ich mich entschlossen dieses Thema zu vertiefen. Ich profitierte dabei unter anderem von den Schätzen des Centre de Documentation et de Recherche sur la Résistance. Der Artikel war 2007 geschrieben und sollte in einem Sammelband des städtischen Geschichtsmuseum publiziert werden, der bis heute noch nicht erschienen ist. In der Zwischenzeit zirkulierte der Artikel unter Kollegen und Studenten: er ist wahrscheinlich der meistgelesene und meistzitierte meiner Artikel… ohne dass er publiziert war. Fünf Jahre nach seiner Fertigstellung, bin ich um so glücklicher, dass er jetzt endlich auch in gedruckter Form vorliegt.

Der letzte Abschnitt der Schlussfolgerung lautet:

Zum Schluss erscheint mir noch eine Bemerkung über die Interpretation dieser Besatzung im breiteren Rahmen der Diskussion über die Luxemburger Nation von Bedeutung. Der Zweite Weltkrieg bedeutet keineswegs, wie immer wieder behauptet wurde (auch vom Autor dieses Artikels), das Ende des luxemburgischen nation-building process. Identitäten, auch nationale, zeichnen sich durch einen dynamischen Prozess der ständigen Veränderung aus. Sie unterliegen einem ständigen Neu-Definieren, Neu-Erfinden. Der Zweite Weltkrieg als teleologischer Endpunkt der Nationenentwicklung ist ahistorisch. In zwei Hinsichten stellt er jedoch eine wichtige Zäsur dar: Einerseits illustriert er den qualitativen Sprung, den das luxemburgische Nationalgefühl in den 20er und 30er Jahren erfuhr, andererseits bildet die Kriegserinnerung einen wichtigen Bestandteil zur Konstruktion der luxemburgischen Identität. Sie liefert zahlreiche Elemente für die Erfindung dessen, was ein Luxemburger ist. Sie bietet Legitimation, Mythen, Helden usw. und eine Gegen­identität (de Preiss). In diesem Zusammenhang ist das Kriegserlebnis in einer gewissen Weise nicht das Ende, sondern der Anfang einer Identitätskonstruktion, auch wenn natürlich auf zahlreiche ältere Bilder zurückgegriffen wird.

Der ganze Artikel kann hier runtergeladen werden.

Quelle: http://majerus.hypotheses.org/594

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Den Taggingprozesses verstehen: Wie und warum taggen Nutzer persönliche Daten?

In der Tagging-Studie Qin Gaos [1] geht es um das Taggen von persönlicher Information. Im Zentrum dieser HCI-Studie steht der Mensch und die Auswirkungen des Tagging-Vorgangs auf dessen Leistung, Arbeitsbelastung, Gedächtnis und Konsistenz der Wortwahl.

Bezüglich des kognitiven Prozesses beim Taggen von Bildern habe ich bisher keine Studien gefunden. Deshalb schaue ich mir diese hier genauer an,

  • um den kognitiven Prozess und Vorgang des Taggens allgemein zu verstehen,
  • um festzustellen, welche kognitiven Leistungen Taggen erfordert und
  • ob es ggf. Punkte gibt, die zumindest teilweise Rückschlüsse auf das Taggen von Bildern in Bilddatenbanken zulassen.

Die mir interessant erscheinenden Aussagen habe ich grün ausgezeignet und gehe darauf im letzten Abschnitt ein.

Gao erstellte zuerst eine Pilot-Studie (S. 829-834), in der 6 Teilnehmer über ihre Erfahrungen introspektiv und in Interviews darüber berichteten, warum und wie sie Tags für Webseiten selektieren. Diese Pilot-Studie gibt einen detaillierten Einblick in den Vorgang des Taggens:

Warum taggen Nutzer persönliche Daten; was ist ihre Motivation?

Alle Teilnehmer berichteten, dass sie zu ihrem persönlichen Nutzen taggen würden. Vier Teilnehmer sagten aus, dass sie anders taggen würden, wenn sie berücksichtigen, dass sie die Tags mit anderen teilen. In diesem Fall würden sie allgemeinere Begriffe wählen und ad hoc –Definitionen vermeiden. Ein Teilnehmer, der regelmäßig taggt, erwähnte, dass er abschätzen würde, welche möglichen Schlagworte andere verwenden würden, wenn diese nach dem Inhalt suchen würden. Dieser Teilnehmer verwendete die meisten Tags von allen Teilnehmern und taggte jede Webseite mit vier bis sieben Schlagworten.

Bei den Teilnehmern erfüllte Taggen zwei Hauptfunktionen: das zukünftige Auffinden von Dateien sollte erleichtert und der Inhalt von Informationen annotiert werden. Die meisten Teilnehmer waren sich dieser beiden Funktionen bewusst: “Einige Tags sind für das Wiederfinden, andere zum Lesen (um eine Vorstellung davon zu bekommen, worum es geht). Zwei Teilnehmer gaben explizit an, dass sie Tags sowohl als Kategorie als auch als Schlagwort benutzten, wobei sie zugaben, dass diese Erkenntnis post hoc reflexiven Ursprungs ist und dass sie diese zwei Typen von Tags im täglichen Gebrauch nicht absichtlich unterschieden.

Taggen, um Information später wiederzufinden

Vier Teilnehmer befanden, dass die Verwendung von Tags, die Treffgenauigkeit des Auffindens von Informationen – im Vergleich zur Kategorisierung und allgemeiner Stichwortsuche – erhöhen kann. Es hängt davon ab, wie gut es dem Nutzer möglich ist, sich an die Tags die er/sie benutzt hat, wieder zu erinnern. Von den Teilnehmern wurden zwei Verfahren angewandt, um das spätere Wiederauffinden zu vereinfachten: die Erhöhung der Tag-Konsistenz und die Verringerung der Tag-Redundanz. Alle Teilnehmer stimmten überein, dass sie so weit wie möglich, bereits vorhandene Tags wiederverwenden würden, um die Konsistenz von Tags zu erhöhen. Dazu entwickelten sie eigene Regeln:

  • So wurde z.B. der Dateityp als Tag verwendet: “video“ für bewegte Bilddateien oder „media“ für Informationen in Schriftform.
  • Es wurden Tags wie „fun“ oder „interesting“ verwendet, wobei die Teilnehmer berichteten, dass ihnen klar sei, dass diese Tags für andere nicht verständlich sind und nur für sie selbst Bedeutung hätten.
  • Es wurden Tags erstellt, die verschiedene kategoriale Ebenen vermischten, wie „politics“ und „domestic politics“.

Regeln widersprachen sich und nur wenige Teilnehmer konnten sie konsistent anwenden. In allen introspektiven Berichten, in denen selbst erstellte Regeln erwähnt wurden, bemerkten die Teilnehmer, dass die Auswahl von Tags mit ihren persönlichen Regeln kollidierte.

Obwohl die Teilnehmer sich der Inkonsistenz ihrer Tags bewusst waren, waren sie nur widerstrebend dazu bereit, ihre Tags „aufzuräumen“. Nur eine Versuchsperson – ein Novize – änderte bei Konflikten seine Tags sofort. Alle fortgeschrittenen Nutzer betrachteten es als unmöglich, alle ihre Regeln konsistent anzuwenden und akzeptierten das als gegeben. Ein Teilnehmer berichtete, dass er größere Inkonsistenzen bereinigen würde, wenn er es für nötig befand; der Rest der Versuchspersonen erklärte, dass er oder sie nie oder sehr selten Änderungen an den verwendeten Tags vornehmen würde. Zwei der Teilnehmer würden es tun, gäbe es dafür geeignete Werkzeuge.

Taggen, um Inhalt zu annotieren

Taggen ist auch ein Weg, das Verständnis des Inhalts auszudrücken oder eine Zusammenfassung des Inhalts zu geben. Spezielle Tags wie „ChildMp3“ oder „ToyMp3“ beschreiben die Charakteristika des Inhalts einer Website und halfen einem Teilnehmer, schnell eine Vorstellung vom Inhalt einer Liste zu erhalten, ohne jeden Link anklicken zu müssen. Ein anderer Teilnehmer nannte solche Tags „Tags zum Lesen“. Zwei Teilnehmer fanden diese Art von Tags nützlich, um den Wert bzw. die Interessantheit des getaggten Inhalts zu verdeutlichen und eine persönliche Perspektive hinzuzufügen, wenn sie den Inhalt mit anderen teilen wollten. Die meisten Teilnehmer waren der Auffassung, dass sie solche Tags nicht für das Wiederfinden verwenden würden, weil sie sich nicht an die genauen Tags erinnern könnten.

Kriterien für die Auswahl von Tags:

  • Die Wahrscheinlichkeit, Tags zur späteren Organisation von Information wiederzuverwenden. „Wenn ich Tags vergebe, hoffe ich, dass ich sie später wiederverwenden kann. Wenn ich einen Tag, lange Zeit nachdem ich ihn nur einmal einem Inhalt hinzugefügt habe, sehe, denke ich, dass er unnütz ist und ich versuche ihn zu löschen oder ich kombiniere ihn mit Tags, die ich öfter verwendet habe. Aber ich habe nicht die Zeit, das [Aufräumen] regelmäßig zu machen.“
  • Die Wahrscheinlichkeit, eine Information später wiederzufinden. Alle Teilnehmer berichteten, dass sie bei der Auswahl von Tags daran dachten, wie die Information verwendet wird (temporäres Projekt, langfristiges Interesse, allgemeine Referenz). Bedenken bezüglich des Kontextes, in dem die Information gefunden wird, hatte direkten Einfluss auf die Tag-Auswahl. Ein Teilnehmer berichtete, dass er beim Taggen an die möglichen Begriffe dachte, die er bei der Suche nach der Information verwenden würde.
  • Zentralität und Beschreibbarkeit des Inhalts: Die meisten Teilnehmer fanden zentrale Tags, die den Inhalt gut beschreiben, so wichtig, dass sie diese verwendeten, auch wenn sie nicht in ihr organisatorisches Schema passten: „Ich habe „Athen“ vorher noch nicht verwendet, und ich denke, ich werde später auch keinen Inhalt hinzufügen. Aber es ist zu wichtig und beschreibt den Inhalt genau.“
  • Minimierung des Aufwands, Tags zu generieren oder sich daran zu erinnern:Einige Teilnehmer verwendeten verschiedene Verfahren, den kognitiven Aufwand zu minimieren, um Tags zu generieren oder sich an sie zu erinnern.
    • Zwei Teilnehmer kopierten und fügten Worte von der Website als Tags zur Tag-Liste hinzu,
    • drei Teilnehmer verwendeten Schlüsselwörter, die bereits vom Autor als Tag-Referenz vergeben wurden.
    • Einer der drei Teilnehmer berichtete, dass er, bevor er ein Tag vergibt, zunächst aktiv nach diesem Schlagwort suchen würde.
    • Teilnehmer minimierten den Aufwand, sich an Tags zu erinnern, indem sie vertraute Begriffe verwendeten. Lag die Thematik einer Webseite außerhalb ihres gewohnten Wortschatzes, verwendeten sie vertraute Ausdrücke, auch wenn dies zu einer unpräzisen Beschreibung führte. Vor unbekannten Begriffen hatten sie Bedenken: “Ich muss auf den ersten Blick erkennen können, was meine Tags bedeuten und was sie beinhalten.“
    • Konsistenz mit dem eigenen Tagging-Muster. Alle Teilnehmer waren bezüglich der Tagging-Konsistenz skeptisch und verwendeten verschiedene persönliche Heuristiken (z.B. Wiederverwendung von Tags, Ad hoc Tagging-Regeln, Einschränkung der Ebene der Spezifität), um ihre Tagging-Konsistenz zu verbessern.

Zwischen den Kriterien gab es häufig Konflikte. Z.B. wurden zentrale Worte nicht wiederverwendet. Während des Tagging-Prozesses wurden verschiedene Kriterien verwendet. Obwohl die Versuchspersonen in ihrem Tagging-Muster Konsistenz bewahren wollten, waren sie sich der Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit ihres Tagging-Schemas bewusst: “Auch wenn ich einige Erfahrung beim Taggen habe, ist mein Tagging-Prozess doch häufig willkürlich. Manche Schlagwörter fallen mir spontan ein, nachdem ich den Inhalt gelesen habe, und ich verwende einige von ihnen als Tags. Ich kann mir nicht einmal selbst erklären, warum ich einmal ein Wort als Tag selektiere und ein anderes Mal nicht.“ Doch sie zögerten, ihre Regeln zu verfeinern. Zwei Teilnehmer berichteten, dass sie ein paar „große“ (engl. original “big”) Tags verwenden würden, um die Konsistenz zu verbessern, aber sie fanden heraus, dass dies zu einer langen Liste unter jedem „großen“ Tag führte, was die Effizienz der Informationssuche reduzierte.

Dieser Pilot-Studie kann man entnehmen, dass Taggen Mühe macht. Es erfordert einen nicht unerheblichen kognitiven Aufwand, besonders wenn es darum geht, auf Konsistenz und Redundanz der Tags zu achten. Trotzdem führt es zu Konflikten. Folgende Aussagen, zu denen ich einige Bemerkungen hinzugefügt habe, sind mir aufgefallen:

  • ... dass sie anders taggen würden, wenn sie berücksichtigen, dass sie die Tags mit anderen teilen
    Es macht einen Unterschied, ob Nutzer für den eigenen Gebrauch oder für die Öffentlichkeit taggen.
    • Welchen Unterschied gibt es im Tagging-Verhalten beim Nutzer, der Tags über eine Spieloberfläche eingibt und einer Anwendung ohne Gamification?
    • Wie wirkt sich eine als Spiel konzipierte Tagging-Anwendung (z.B. Brooklyn Museum und ARTigo) auf die Generierung von Tags beim Spieler aus?
    • Falls es dabei Unterschiede gibt: Wie kommen sie zustande?
  • Ein Teilnehmer, der regelmäßig taggtverwendete die meisten Tags von allen Teilnehmern
    Es gibt Übungseffekte. Wo liegt ihr Nutzen?
  • … bereits vorhandene Tags wiederverwenden würden…,
  • Konsistenz mit dem eigenen Tagging-Muster.
    Anwender haben ihr Tagging-Muster (Patterns), die ihnen eigene Art zu taggen, Dinge zu benennen, Worte dafür zu wählen. Wenn Anwender über Patterns verfügen, dann müssten auch andere Objekte, wie Künstler, Bilder, Stilepochen etc. ihr Pattern haben.
  • Gibt es Unterschiede im kognitiven Aufwand beim Taggen von Bildern? Falls ja: welche Tags erfordern viel, welche weniger Aufwand? Da ein Aufwand immer eine Hürde bedeutet: Was muss man tun, damit der Anwender diese Hürde überspringen kann?

[1] Qin Gao: An Empirical Study of Tagging for Personal Information Organization: Performance, Workload, Memory, and Consistency. In: International  Journal of Human-Computer Interaction, 27/7-9, 2011, S. 821-863

 

Quelle: http://games.hypotheses.org/810

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James Bonds Kollegen: Der deutsch-deutsche Spionagefilm ist ein unbekanntes Kapitel der Popgeschichte

Daniel Craig als James Bond in “Skyfall”. (Foto: Sony Pictures 2012) Mit dem Erfolg des jüngsten James-Bond-Film “Skyfall” scheint die “Bonditis” wieder ausgebrochen, die vor 50 Jahren mit dem ersten Bond-Film begann. In den Sixties kämpften auf den Leinwänden auch deutsche Spionagehelden – gegen fiktive Superschurken, aber auch gegen höchst reale Zensoren auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Ein unbekanntes Kapitel deutscher Popgeschichte.   Seine Armbanduhr verbirgt ein Tonbandgerät, sein Koffer ein Schlauchboot und er verfügt über ein Mini-Tauchgerät. Seine Pistole trifft immer ihr Ziel, aber seine Gegner erledigt er lieber mit einem betäubenden Handkantenschlag, stets lächelnd und im tadellos sitzenden Anzug. Er raucht ausschließlich Zigarillos der Marke Monte Christo mit goldenem Mundstück. Frauen sind ebenso machtlos gegen seinen Charme wie Superschurken gegen seine Fäuste. Sein Spitzname: Mister Dynamit. Auf den ersten Blick sieht der Mann mit dem explosiven Faustschlag und der ungewöhnlichen Begabung des Bauchredners einem bekannten britischen Spionagefilm-Helden zum Verwechseln ähnlich. Wären da nicht die Details. Etwa die geheime Dienstnummer: Es ist nicht die 007 sondern die 18. Mister Dynamit ist auch nicht in London verbeamtet sondern in Pullach. Und sein Name ist nicht Bond, sondern Urban. Robert Urban. Der wichtigste Unterschied ist jedoch, dass James Bond ein Weltstar ist, Robert Urban jedoch weitgehend vergessen. Dabei war er einst nichts weniger als der deutsche 007. Mitte der Sechzigerjahre für eine Groschenromanreihe konzipiert, hätte der deutsche Held eine ähnlich erfolgreiche Karriere machen sollen wie sein ungleich bekannterer Kollege vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6.   “Dr. No” (1962) James Bond feiert dieser Tage sein 50. Leinwandjubiläum. Noch immer ist er ein „Agent des Zeitgeistes“, wie ihn sein Chronist, der bekennende Fan Werner Greve in einer gerade erschienenen analytischen Hommage genannt hat (Werner Greve: James Bond 007. Agent des Zeitgeistes, Vandenhoeck & Ruprecht 2012). Noch immer schreiben lizensierte Nachfolger die Romanabenteuer fort und noch immer entsteht alle paar Jahre ein Kinofilm. Bonds deutsche Kollegen sind unterdessen weitgehend vergessen. Die „Mister Dynamit“-Hefte erscheinen schon seit Jahren nicht mehr und auch andere harte Männer wie „Kommissar X“ oder „Jerry Cotton“ sind in der Krise. Dabei haben deutsche fiktionale Agenten eine mindestens ebenso brisante Geschichte wie ihr weltbekanntes britisches Vorbild. In den sechziger Jahren kämpften sie auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs — ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutsch-deutscher Popgeschichte. Es beginnt in der Zeit des Kalten Krieges, dessen Frontlinie mitten durch das besiegte Deutschland schneidet. Der Kalte Krieg ist eine symbolische Auseinandersetzung, die nicht nur mit dem taktischen Arsenal der Raketen, Panzersperren und dem Marschtritt der Paradestiefel ausgetragen wurde. In weiten Zügen war er ein Konflikt der Kultur, der die Grenzen zwischen „harten“ und „weichen“ Faktoren aufweichte: Als Bedrohung stationierte Raketen waren of nur Theaterkulissen während Filme und Romane als reale Waffen wirken konnten, deren ideologische Botschaften mitten im Feindesland zündeten. Niemand nahm dies so ernst wie die Zensoren. Die Abenteuer des James Bond waren in der DDR verboten. Im Westen hingegen wurden sie ähnlich populär wie zuvor die aus Großbritannien schwappende Beat-Welle, die so genannte Beatlemania. Die zwischen in den Jahren 1953 bis 1965 erscheinenden Romane des Ex-Spions und Erfolgsschriftstellers Ian Lancaster Fleming verbreiteten sich zunächst in Buchform, dann als täglicher Comicstrip in Zeitungen, schließlich als Filme, die hunderte Millionen Pfund einspielten. Der „Spy Craze“ umfasste bald viel mehr als nur Romane und Kinofilme. Die Modewelle erstreckte sich auf Armbanduhren, Autos, Herrendüfte und Wodkasorten, die in einem bislang einzigartigen product placement mit dem Namen James Bond verbunden waren. Tatsächlich aber war der von Fleming geschaffene Charakter weder der einzige, noch der erste fiktive Spionageheld mit Dienstwaffe und Codenummer. In Frankreich etwa veröffentlichte seit 1949 der Autor Jean Bruce die Abenteuer des Geheimagenten OSS 117,  erst kürzlich parodistisch neuverfilmt mit Jean Dujardin. Sammler zählen mehr als 200 Agentenfilme allein im Verlaufe der Sechzigerjahre. Die meisten von ihnen zeigten starke Ähnlichkeit mit der Fleming’schen Welt. So entkam 1965 Geheimagent 505 der „Todesfalle Beirut“ und auch die Amerikaner zog es in „Geheimauftrag CIA – Istanbul 777“ in die Türkei. Dazu kamen Fernsehserien wie „Get Smart“, „I Spy“, „The Saint“ oder „Amos Burke – Secret Agent“. Refugium des Herrenwitzes: Humor aus der prä-feministischen Ära In den USA spielt Dean Martin die Rolle des Geheimagenten Matt Helm und James Coburn den Agenten Derek Flint, der sich während seiner Anstrengungen zur Rettung der Welt stets mit leicht bekleideten jungen Frauen umgibt. Die meisten westlichen Spionagehelden tragen weniger zur Interpretation des Kalten Krieges als vielmehr zur populären Ausgestaltung des Playboys bei und tragen einen altbackenen Herrenwitz und ausgewachsene Macho-Allüren zur Schau. Die Deutschen tun zunächst schwer mit dem Anschluss an die angloamerikanisch geprägte „Spy Fiction“. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich das Konzept des deutschen Nationalhelden ohnehin in der Krise. Die militaristischen Flieger-Asse, Frontkämpfer und Kolonialoffiziere hatten als Helden ausgedient. Ein erfolgreicher Versuch das neue Genre zu beerben war neben „Mister Dynamit“ die Verfilmung der „Kommissar X“-Groschenromane, deren rund 500 Titel im Rastatter Pabel-Verlag erschienen waren und es in den Sechzigern auf eine Gesamtauflage von 60 Millionen gebracht hatten. Allein im Jahr 1966 werden drei davon für die Leinwand verfilmt. Kommisar X – der bundesdeutsche James Bond ist ein Versicherungsagent. Tom Walker alias Kommissar X kämpft darin gegen geheime Killerorganisationen wie die „Gelben Katzen“, die ihre Opfer mit Karateschlägen töten, doch ist der Titelheld kein Geheimagent, sondern als Versicherungsdetektiv tätig: eine sehr deutsche Variante.  Produzent T.M. Werner zufolge unterschieden sich Bond und Walker „beruflich wie ein Sprengmeister von einem Jagdflieger.“ Zuerst noch im Einsatz gegen die weltbedrohende Laserwaffe eines Atomphysikers, zeigt sich Kommissar X auf seinen weiteren Missionen dem Zeitgeist gegenüber äußerst anpassungsfähig und kämpft in den psychedelischen Sixties gegen die Modedroge LSD. Mit der experimentierten nach eigenen Angaben auch seine Schöpfer – was man den Filmen gelegentlich anmerkt. Einen der aussichtsreichsten Versuche zum internationalisierten Genre aufzuschließen unternimmt eine europäische Co-Produktion, die den Deutschen Horst Buchholz in geheimer Mission nach Istanbul entsendet um dort einen Atom-Physiker aus den Händen einer verbrecherischen Organisation zu befreien. Der ehemalige Halbstarke bewegt sich stilsicher zwischen Spielcasinos, türkischen Bädern und Hafenschlägereien, doch trotz Star-Besetzung mit etablierten deutschen Bösewichten wie Klaus Kinski und Mario Adorf und malerischen Drehorten ist „Estambul 65“ („Unser Mann aus Istanbul“) keine Fortsetzung vergönnt. “Tpoas” (1969) Den westdeutschen Beiträgen zum „Spy Craze“ ist mit ihrem Vorbild gemeinsam, dass der Kalte Krieg in der Handlung nur mittelbar eine Rolle spielt. Während Filme von Alfred Hitchcock („The Torn Curtain“, “Topas”) oder John Frankenheimer (“Seven Days in May”) auf den Realismus setzten, der später zum Markenzeichen der spy novels eines John Le Carré werden wird, setzt die popkulturelle Ausgestaltung der „Bonditis“ auf grellbunten Konsum. Mehr noch als Kalte Krieger sind die Geheimagenten, die aus der Popkultur kamen, Snobs und Playboys, die dem Hedonismus weit stärker anhängen als einem platten Antikommunismus. Für den Ostblock macht sie das umso gefährlicher. Die Angriffe der westlichen Popkultur spürt niemand so deutlich wie die Kulturbehörden der DDR. Die Freie Deutschen Jugend leitet immer wieder Dokumente an die Staatssicherheit weiter, in denen Jugendliche anonym die Vorführung westlicher Agentenfilme fordern. Schließlich entschließt man sich zum cineastischen Gegenschlag. Im Jahr 1963, zwei Jahre nach Bau der Berliner Mauer, kreiert die ostdeutsche Filmproduktion DEFA ein neues Genre: den so genannten Kundschafter-Film. In dem sozialistischen Beitrag zum Spionagegenre tritt der Kundschafter als ideologisch gefestigter Agent des Sozialismus auf. Seine Mission: die  Demontage des dekadenten Westens. “Der Kundschafterfilm: eine Waffe gegen den Imperialismus” Als Mutter des Genres gilt der Film “For Eyes Only”, den der Regisseur János Veiczi 1963 für die DEFA dreht. Der Schauspieler Alfred Müller spielt darin den DDR-Spion Hansen, der als vermeintlicher Republikflüchtling den Bundesnachrichtendienst unterwandert und einen Plan zur Invasion der DDR verhindert. Wichtiger noch als diese grob gestrickte Rahmenhandlung ist die Darstellung der westlichen Popkultur. Musteragent Hansen ist der westliche Lebensstil zuwider: Er trinkt lieber Milch statt Alkohol, verabscheut obszöne Modetänze wie den Twist und ist ein treu sorgender Familienvater. Nebenbei bietet der Film eine für DDR-Produktionen ungewöhnliche Portion Action. Am Ende kommt es zu einer spektakulären Flucht über die deutsch-deutsche Grenze: von West nach Ost. DEFA-Presseinformation zu “Eyes Only” (1963) „For Eyes Only“ wird zum Erfolg. Das Programmheft führte das „außerordentliche Interesse“ bei den Zuschauern auch auf das gewählte Genre zurück: „Der Kundschafterfilm erfreut sich seit jeher besonderer Aufmerksamkeit, vor allem bei einem jugendlichen Publikum.“ Vom westlichen Vorbild man grenzt sich bewusst ab: der Film führe „seinen Helden nicht als einen Supermann vor, wie er bei ähnlichen Filmen aus der bürgerlichen Produktion hinreichend bekannt ist. Die Schwere der Kundschaftertätigkeit wird deutlich, weil er es mit hochqualifizierten Gegnern zu tun hat, die auch über entsprechende technische Möglichkeiten verfügen. So lösen sich die für ihn auftauchenden Probleme nicht mit einer charmanten Handbewegung, sondern nur durch hohen persönlichen Einsatz, durch entsprechend kluge Reaktionen.“ Dieser Realismus mache ihn zu einem Instrument sozialistischer Erziehung, der „auf hervorragende Weise geeignet ist, an seinem Beispiel über Fragen der patriotischen Erziehung zu sprechen, über die Abwehr imperialistischer Machenschaften gegen die DDR und die sozialistische Staatengemeinschaft“. Die Serie „Das unsichtbare Visier“ beerbt das Genre erfolgreich im DDR-Fernsehen. Die popkulturellen Waffen des Ostens werden auch im Westen gefürchtet. Eines der dunkelsten Kapitel der Kulturgeschichte des Kalten Krieges ist die Zensur. Nicht nur im Osten, auch im vermeintlich freien Westen werden die fiktionalen Unterhaltungswerke des politischen Gegners unterdrückt. Dafür ist der „Interministeriellen Ausschusses für Ost/West Filmfragen“ zuständig. Die Aufgabe dieser ominösen, im Verborgenen agierenden Kommission war nichts anderes als die Zensur kommunistischer Filme. In dem 1953 auf Initiative des Innenministeriums der Bundesrepublik gegründeten Gremium, das bis 1966 in Kraft war, saßen neben Vertretern der Ministerien auch Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz: Reale Geheimdienstler verhandelten hier die fiktionalen Agenten. Es ist schwer vorstellbar, dass man die Leinwandabenteuer eines Mister Dynamit, eines Kommissar X oder eines sozialistischen Saubermannes einst so ernst nehmen konnte, dass sich Behörden mit ihrem Verbot befassten. Diese kulturellen Kämpfe aber nur als Nebenschauplätze der politischen Auseinandersetzung zu begreifen, hieße den Kalten Krieg zu verkennen. Ein Konflikt, der auf der Ebene von Symbolen geführt wurde und im Kern ideologisch war, musste Ideen und Kulturprodukte als reale Waffen betrachten. So antiquiert uns heute die Helden aus jenen Jahren vorkommen mögen: Sie haben zeithistorische Bedeutung. Schließlich waren es keine Minikameras, Abhörprotokolle, Überläufer oder Strategieinformationen aus dem Arsenal der geheimen Dienste, die den Kalten Krieg am Ende entschieden. Den realen Sozialismus besiegten vielmehr die hedonistischen Verheißungen des Kapitalismus: Wohlstand, Konsum und grenzenlose Freizügigkeit. Selten dürften diese Verlockungen besser geschüttelt und schöner gerührt worden sein, als in der Popkultur des 20. Jahrhunderts und die hatte mehr Agenten als nur einen James Bond. Dieser Essay ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Vortrages, den Bodo Mrozek auf der Konferenz „Cold War Culture. The Global Conflict and its Legacies in Germany since 1945“ der School of History des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und der University of Cambridge am 20. September 2012 hielt. Er wurde gedruckt in der Literaturbeilage der Wochenzeitung Die Zeit (Nr. 45, November 2012, S. 16-17) und erscheint hier erstmals online.

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/449

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Darf man Kommunisten wählen?

Ich erzittere: Der scharfsinnige Analytiker Christian Rainer, Herausgeber des österreichischen Nachrichtenmagazins Profil, erwägt im Titel seines aktuellen Leitartikels das Undenkbare und sinniert über die demokratischen und humanistischen Werte des Jahrs 2012, ruft sogar eine ganze "Weltregion" an, um dann nach langem, ernsthaften Abwägen angesichts der von Graz dräuenden Weltrevolution eine Antwort zu finden, die ohne Stalin und Pol Pot nicht auskommt: "Nein, darf man nicht." Ich bin beruhigt, wobei eine kleine Unsicherheit bleibt: Denn Rainer relativiert seine Absage als nur "tendenziell negativ". Ein KP-Wahlerfolg noch, und Profil fordert die Vergesellschaftung von Raiffeisen.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/219046431/

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