Am Sankt-Veits-Tag (15. Juni) findet in Leipheim – einer zur Reichsstadt Ulm gehörenden Gemeinde im Schwäbischen Donaumoos – die traditionelle Kirchweih zu Ehren des Namenspatrons der Pfarrkirche statt. Teil des Kirchweihfests ist ein Markt, der entweder ganz oder in Teilen ein Geflügelmarkt ist – und in der Kirche stattfindet. Bisher war das kein Problem. Doch im Jahr 1529 wird der Hühnermarkt zu einem der distinktiven Kristallisationspunkte im reformatorischen Glaubensstreit.
Wiederstand gegen den Kirchweihmarkt kommt vom evangelischen Pfarrer Jakob Ritiman. Der offensichtliche Zwinglianer – erkennbar an seiner aggressiven Ablehnung der Realpräsenz und der Transsubstantiationslehre – ergreift im Frühjahr 1529 einige Maßnahmen zur, wie er betont, langsamen aber zielstrebigen Ausmerzung der (altgläubigen) Missstände in Leipheim. Dazu gehören auch das Einstellen des Glockenläutens vor den vielen Feiertage. Damit beginnt der Pfarrer – symbolisch wichtig – am Vorabend von Fronleichnam, trifft dabei aber auf den Wiederstand seines (mutmaßlich altgläubigen) Messmers, der die Sache beim Bürgermeister zur Anzeige bringt. Weiterhin versucht Ritiman, das Öffnen der “tafel” zu unterbinden – gemeint ist vermutlich das Retabel in der Pfarrkirche, das wahrscheinlich Heiligenrepräsentationen oder ähnliches enthält.
Das Auftreten und die Maßnahmen Ritimans erregen die Missbilligung des Bürgermeisters, der gemeinsam mit dem Gericht und dem Ulmischen Vogt den Gemeindepfarrer befragt, ermahnt und sich wegen Erfolglosigkeit in einem Beschwerdebrief an die Ratsherren von Ulm wendet. Der Bürgermeister ist laut Ritiman “ain großer bäbstler”. Auch Ritiman wendet sich an die Ratsherren. Durch diese Briefe (Stadtarchiv Ulm, A Ulmensien 279, fol. 51r-54r) sind wir über die Auseinandersetzungen informiert.
Besonders interessant ist dabei die Auseinandersetzung um den Hühnermarkt an Kirchweih. Es ist durchaus beachtenswert, wie so ein auf den ersten Blick wenig dafür geeignetes Ereignis zu einem konfessionellen Distinktions- und Kristallisationspunkt wird.
Kirchweih in Schelle (Jan Brueghel d. Ä., 1614. Kunsthistorisches Museum Wien)
Bürgermeister und Gericht erklären, worum sich der Hühner-Streit genau dreht:
“Zum drytten hat auch der pfarrer yetz uff zukunftigen Sannt veitz aubent und tag ain jarmarckt die kyrchen zu beschliessen und darein nemalz gaun laussen wollenn. Wie wol er darvon gestanden ist und die kyrchen offen staun laussen will, so will er doch Sant Veitz pfleger nit zugebenn und gestattenn, das sy inder kyrchen nemalz mit Sant Veitz hayltumb bestraichen und von hänen oder anders ain nemen, wie dann von alther her gescheen sey… [Wir werden] im das nit gestatten und neuwerungen laussen machen.”
Was der altgäubige Bürgermeister hier präzise anprangert, ist ist die Veränderung eines offensichtlich wichtigen Bestandteils des Kirchweihmarkts. Demnach wolle der evangelische Pfarrer die sonst zu diesem Anlass offene Kirche abschließen und den Kirchenpflegern nicht erlauben, eine in der Quelle nicht ganz klare Praktik des Bestreichens mit oder durch die Veits-Reliquie vorzunehmen oder vornehmen zu lassen. Zudem wolle der Pfarrer nicht gestatten, dass die Pfarrkirche von Hühnern oder anderem Geflügel eingenommen wird. Ritiman kann diesen Plan am Ende nicht durchsetzen – womöglich auch aufgrund des Drucks der Bevölkerung oder zumindest des altgläubigen Teils.
Der evangelische Pfarrer rechtfertigt das Vorhaben in seinem Brief an den Rat:
“It[e]m ich hab auch mitt meinem meßmar verschafft, das er uff Sant Veittz tag die kierchen vor unnd nach, so man das wort gottes geprediget hatt, zuschliessen sol. Dann ich wöll nitt haben, das man furterhin mer ain hunermarck[t] da uffricht und also uß dem huß des herren ain kauffhuß mach…” Dass er dies nun doch zugelassen hat, beschwere sein Gewissen “größlich”.
Bäuerin mit Henne und Glucke, in: Buch der Natur. Lauber-Werkstatt, Hagenau, 1442-48.
Ritiman fokussiert sich ganz auf den Hühnermarkt, der in der Kirche stattfindet. Die alte Praktik mit der Veits-Reliquie erwähnt er nicht extra, vielleicht weil sie selbstverständlicher Bestandteil des Hühnermarkts ist, vielleicht weil der Hühnermarkt in den Augen der Ulmer Ratsherren skandalöser wirken könnte als eine der noch so verbreiteten Heiligenpraktiken.
Das Vorgehen gegen den Jahr-/Hühnermarkt und die unklare Veits-Reliquienpraktik ist Teil des Reformationsprogramms des Pfarrers. Er setzt das selbst in diesen Kontext. Kirchweihfeste mit ihren Märkten und Festivitäten zu regulieren (oder zu versuchen, sie ganz abzuschaffen) war allgemein schnell ein Ziel reformatorischer Pfarrer und Obrigkeiten. In diesem Zusammenhang geht der Leipheimer Seelsorger gegen zwei Aspekte vor, die ihm ein besonderer Dorn im Auge sein müssen.
Das Geflügel in der Kirche, zusammen mit der Heiligenfrömmigkeit, gerät nun also in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um die dörfliche Religionskultur. Schon bei anderen Gelegenheiten haben sich Risse und punktuell divergierende Lagerbildungen in Leipheim gezeigt. Als Ritiman wie berichtet das Glockenläuten vor Feiertagen abschafft, kommt es zu Murren und Wiederstand der Päpstlichen.
Der Geflügelmarkt in der Pfarrkirche zu Kirchweih provoziert erneut unterschiedliche Haltungen. Der Pfarrer und mit ihm wohl der eher evangelische Teil der Gemeinde, sind gegen diese alten Praktiken. Der Bürgemeister und das Gericht wollen, womöglich stellvertretend für andere Gemeindemitglieder, von diesem alten Brauch hingegen nicht ablassen.
So wird die Haltung zu einem Geflügelmarkt in der Kirche zu einem Moment, in dem in einer oberschwäbischen Landgemeinde grundsätzlichere religiöse Haltungen und Zugehörigkeiten sichtbar und verstärkt werden. Der Raum des sozial-religiös Möglichen soll deshalb durch den Ulmer Rat neu bestimmt werden. Und bis dahin macht Geflügel Konfessionen.
Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/266