Stimmen der Kulturwissenschaften mit Matthias Röhr über die Ursprünge des Chaos Computer Clubs

Anfang der 1980er Jahre gründete eine kleine Gruppe um den charismatischen Wau Holland in Berlin/Hamburg eine “galaktische Vereinigung ohne feste Strukturen” – mittlerweile zählt der Chaos Computer Club zu den wichtigsten Vereinen, was die Themen Netz, Technik und Gesellschaft betrifft. Der Historiker Matthias Röhr hat zu den Ursprüngen des CCC geforscht und er erzählt in dieser Episode, wie die Ideen des Hackings und Phreakings im alternativen Milieu Deutschlands der 1980er Jahre Fuß fassten und zur Entstehung des Chaos Computer Clubs führten.

SdK 42: Matthias Röhr über die Anfänge des Chaos Computer Clubs

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=4061

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#kgd_nwt | Nachwuchstagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik | PH Ludwigsburg | 2.-4. Oktober 2012 | Sektion: Vernetzung – Geschichte in den digitalen Medien


An der PH Ludwigsburg fand vom 2. bis 4. Oktober 2012 die Nachwuchstagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik Neue Wege, Themen, Methoden statt, auf der über zwanzig Nachwuchsprojekte vorgestellt wurden (s. tweets unter #kgd_nwt). Die Beiträge behandelten mehrheitlich empirische und pragmatische Forschungsvorhaben; Schwerpunkte waren (lt. Sektionstiteln) geschichtskulturelle Aspekte, historisches Vorwissen, digitale Medien, Inklusion, Filme sowie Aspekte inter- und transkulturellen historischen Lernens.

Die Sektion Vernetzungen – Geschichte in den digitalen Medien und ihre Nutzung für das historische Lernen, die hier kurz zusammengefasst werden soll, eröffnete Manuel Altenkirch (Heidelberg), der sein Konzept zur empirischen Erforschung der Wikipedia vorstellte. Um die Frage zu beantworten, wie Wikipedia-Artikel mit historischen Inhalten, die aufgrund ihrer häufigen Nutzung inzwischen von großer geschichtskultureller Bedeutung sind, zustande kommen und welche Konstruktionsprozesse historischer Narrationen sich vollziehen, hat Altenkirch erstens Wikipedia-Einträge, die Versionsgeschichte und die Diskussionsseiten auf breiter empirischer Basis untersucht sowie zweitens Wikiedia-Autoren typologisiert. Jonathan Peter (Kassel) untersucht in privater Initiative geschaltete französischsprachige Internetseiten, die den Zweiten Weltkrieg beispielsweise mit Blick auf Familiengeschichten, regional bedeutsamen Ereignisse oder Militaria thematisieren. Sein Projekt will deren geschichtskulturelle Bedeutung als „Kampf um Erinnerung im WWW“ untersuchen. Ulf Kerber (Karlsruhe) stellte ein Konzept historischer Medienkompetenz vor und brachte Modelle zu historischen Lernprozessen mit Konzepten aus der Medienpädagogik in Deckung. Seine These, dass es zwar begriffliche Unterschiede, dennoch weitreichende konzeptuelle Überschneidungen gibt, lässt sich in die Diskussion einreihen, ob und wie sich der geschichtsdidaktischen Medienbegriff angesichts des digitalen Wandels verändern könnte. Zweitens stellte Kerber das Projekt an der PH Karlsruhe DisKAver zum mobilen e-Learning vor. Alexander König (Saarbrücken) referierte über sein Projekt zur empirischen Analyse von Webquests, die Aufgabenformate zum Lernen mit Internet-Ressourcen vorgeben. König nimmt unter Zugrundelegung des Kompetenz-Modells nach Gautschi eine qualitative und quantitative Analyse zahlreicher im Netz verfügbar Wequests vor. Schließlich berichtete Christoph Pallaske (Köln) von der Entwicklung der Lernplattform segu und möglichen empirischen Forschungsstrategien zum offenen Geschichtsunterricht.

Das Themenspektrum zeigt erstens, dass – wie Sektionsleiter Marko Demantowsky (Basel) bilanzierte – der digitale Wandel in der Geschichtsdidaktik endgültig angekommen ist. Der Aspekt der Vernetzung wurde in der Sektion nicht thematisiert; dazu ist anzumerken, dass die geschichtsdidaktischen Nachwuchsprojekte und -akteure über Blogs und social media nicht nur gut vernetzt sind, sondern auch in verschiedenen Projekten und Veröffentlichungen kooperieren. Die fünf vorgestellten Projekte zielten auf aktuelle Fragen des digitalen Geschichtslernens: erstens die grundsätzliche Diskussion eines geschichtsdidaktischen Medienbegriffs, zweitens neue Formen historischen Erzählens, drittens eine stärkere Hinwendung zu geschichtskulturellen Themen sowie viertens die durch Lernen mit digitalen Medien stärkere Subjektorientierung und neue methodische Konzepte. In der Sektion wurde auch das auf der Nachwuchstagung häufig gehörte Problem deutlich, zielorientierte empirische Forschungsdesigns zu entwickeln, beispielsweise historische Kompetenzen bezüglich konkreter Forschungsfragen zu operationalisieren und mittels geeigneter Parameter zu messen.

 

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2012): #kgd_nwt | Nachwuchstagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik | PH Ludwigsburg | 2.-4. Oktober 2012 | Sektion: Vernetzung – Geschichte in den digitalen Medien.  In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 4.10.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1214, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/1214

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Archivalia, Open Access und die Reaktion auf Polemik

Gestern abend in Archivalia: Ein instruktiver Beitrag zur Frage, ob man einen in einem alten Archivtag-Tagungsband erschienenen Artikel Open Access veröffentlichen darf; jetzt wäre nur wünschenswert, jemand würde sich mit der rechtlichen Situation in Österreich so auskennen - und dies publizieren - wie Klaus Graf im Falle Deutschlands.
Ich finde es ja äußerst schade, dass Peter Haber und Oldenbourg auf Klaus Grafs substanzielle Beiträge für ihren Historyblogosphere-Band (für den ich auch einen Artikel eingereicht habe) verzichten wollen, was dort geplant gewesen wäre, wie eine Erörterung der Frage, ob man Bilder lebender Personen veröffentlichen darf, ist doch zu wichtig, als dass in einem anderen Zusammenhang geäußerte, wie bei Graf üblich im Modus der Polemik formulierte Kritik zum Anlass für eine Ablehnung genommen werden sollte. Sicher kann man sich an Formulierungen wie Geschreibsel und später dann Schleim stoßen und diese für unangemessen halten, aber diese hätten ja auch Anlass für eine Replik auf die durchaus vorhandenen, wenn auch elliptischen Argumente sein können, und diese Replik hätte dann je nach Geschmack kühl-sachlich oder ebenso polemisch daherkommen können. [Disclaimer: Ich weiß, so etwas kostet Zeit; aber wenn man die nicht aufbringen will bzw. kann, ist ignorieren wohl die beste Reaktion]. Überhaupt ist es wahrscheinlich ratsam, sich als SammelbandherausgeberIn nicht verantwortlich für alle von den BeiträgerInnen in anderen Medien getätigten Aussagen zu fühlen und die Sache - also das geplante, wichtige Buchprojekt - voran zu treiben, ohne Rücksicht auf Scharmützel an anderen Baustellen zu nehmen.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/156272066/

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SE Close Reading

A9.10.2012 startet die Lehrveranstaltung Close Reading als Methode der Cultural Studies, die ich gemeinsam mit Peter Becker halten werde.

Termin: DI 11.30-13.00
Ort: Seminarraum Geschichte 3 Hauptgebäude, 2.Stock, Stiege 9
Anmeldung per E-Mail: email hidden; JavaScript is required

Die Veranstaltung kann im Rahmen des Erweiterungscurriculums besucht, oder als Freies Wahlfach belegt werden. Wir haben vor, einige Klassiker der Cultural Studies zu lesen – wie z.B. Lawrence Grossberg – und wollen sie mit prägenden Theorietexten diskutieren – darunter Texte zur Governmentality oder Akteur-Netzwerk-Theorie. Darüberhinaus wird es zwei Praxisworkshops geben, mit der Idee, die Theorien in einer Forschungspraxis anzuwenden.

Ein paar Plätze sind noch frei …

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=4053

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Auf die Plätze, fertig, Blog! Junge Forscherinnen und Forscher bloggen die Dresden Summer School 2012

  Seit Montag läuft die Dresden Summer School 2012 “Von der Vitrine zum Web 2.0 – Museen, Bibliotheken und Archive im digitalen Zeitalter”. Die Organisatoren begleiten die Veranstaltung nicht nur mit einem eigenen Blog, sie haben auch die insgesamt 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Auftakt von uns in der Software WordPress und den Grundlagen des Bloggens schulen lassen. Auf diese Weise können sie gleich in das Bloggeschehen eingreifen. Bei der Schulung am Montag mischten sich Vorfreude und großes Interesse zunächst noch mit leiser Skepsis ob dieser neuen Form der Publikation, denn auch für den Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist das Bloggen Neuland. Nach kurzer Zeit überwog jedoch ganz einfach der Spaß am Umgang mit dem neuen Medium und die notwendigen Grundlagen zur Erstellung eines Artikels waren im Handumdrehen gelernt. Lisa Kolb schritt dann als Erste der Gruppe zur Tat und postete ihren Beitrag „Aufbruch! Umbruch? Start der Dresden Summer School 2012“. Beim wissenschaftlichen Schreiben habe sie sich bisher immer viel Zeit genommen, nun aber habe sie einen Beitrag deutlich schneller „losgelassen“ und sei damit sehr zufrieden. Das Bloggen habe sie regelrecht angesteckt. Und noch einen Vorteil sieht sie: „Endlich einmal Schreiben ohne Fußnoten!“ Auch David Duindam gefällt die Möglichkeit, in informellerer Weise seine forschungsrelevanten Beobachtungen und Gedanken nach außen tragen zu können. Bisher habe er nicht gewusst, wie er das Medium Blog für sich nutzbar machen kann. Nun fasziniere ihn die Möglichkeit, ein Blog als eine Art öffentliches Notizbuch zu seinen Forschungen zu führen. Ein Raum zur Entfaltung der Gedanken, zum ersten Formulieren und Festhalten von Überlegungen und Zwischenergebnissen, zur Sammlung von Links und anderen Notizen sowie zum Austausch mit Kollegen, dies sind alles Eigenschaften eines Blogs, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als sehr positiv bewertet wurden. Mehrere beschäftigte jedoch, ob das Bloggen nicht der wissenschaftlichen Seriosität und damit dem Ruf schaden könnte. Allerdings überzeugte die von de.hypotheses.org geleistete Qualitätssicherung, die trotz lockereren Tonfalls auf wissenschaftliche Inhalte achtet. Die Schulung war also in vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben nicht nur die Publikationsform Blog und das Portal de.hypotheses.org kennengelernt, sondern sich auch die notwendigen Grundlagen in WordPress angeeignet. Die Tipps und begleitenden Informationen waren schließlich sogar für erfahrene Blogger wie Sonja Ostendorf-Rupp interessant. Bleibt nur noch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern weiterhin eine spannende Zeit zu wünschen – wir freuen uns auf weitere Berichte und Gedanken zur Dresden Summer School 2012! ___ Foto von Inger Brandt      

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/687

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A propos du billet précédent

Le professeur Beat Näf (UNIZH) a décidé de cesser dès à présent toutes ses activités digitales, comme il l'a annoncé sur ce blog dans son dernier billet. Il a été le premier, et le seul, professeur ordinaire a avoir bien voulu contribuer au blog d'infoclio.ch.

Parmi les activités digitales désormais orphelines du prof. Näf, on compte une application iPhone sur les voies romaines en Suisse, un guide multimédia de l'histoire de la ville de Zurich, une application sur les églises anciennes de la ville de Köln, ainsi que plusieurs modules de e-learning en sciences de l'antiquité.

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Quelle: http://www.infoclio.ch/de/node/27453

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Die deutsche Einheit, Teil 1

Von Stefan Sasse

Brandeburger Tor, Dezember 1989
Als die DDR 1989 den 40. Jahrestag ihres Bestehens feierte, knirschte es bereits heftig im Gebälk. Der sowjetische Staatschef Gorbatschow, der anlässlich der Feiern in Berlin weilte, kündigte dem Land de facto die Gefolgschaft auf – und ohne die Unterstützung der Sowjetunion war die DDR in ihrer damaligen Form nicht zu halten, das musste allen klar sein, selbst Erich Honecker. Die frenetischen Reformversuche der SED nach Honeckers Entmachtung und dem Mauerfall zeigen, dass die Parteiführung das auch erkannt hatte – sie kam jedoch wesentlich zu spät und musste mit einer Konkursmasse arbeiten, die kaum mehr Handlungsspielraum bot. Dazu kam noch die erdrückende Umarmung aus dem Westen, denn auch wenn er rhetorisch noch etwas anderes behauptete, so hatte Bundeskanzler Helmut Kohl längst die Weichen auf die deutsche Einheit gestellt – nach Artikel 23GG, was ein substantielles Mitspracherecht der SED effektiv ausschloss. Im Folgenden sollen die Schritte, die zur deutschen Einheit führten, besprochen werden, ehe der Blick auf eine Bewertung dieser Vorgänge gerichtet werden kann.

Selbst die größten Verteidiger der DDR können nicht verleugnen, dass das Land sich 1989 in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Bereits 1983 hatte nur die Vermittlung von Franz Josef Strauß – ausgerechnet! – über einen Milliardenkredit den drohenden Bankrott des Landes abgewendet. Dieser Kredit zeigt, dass die Bundesrepublik kein grundsätzliches Interesse am Untergang der DDR haben konnte. Der Grund dafür ist leicht zu erraten: ein Bankrott der DDR würde nicht ohne schwere innenpolitische Verwerfungen abgehen. Solche Verwerfungen aber gefährdeten den damals von der UdSSR keinesfalls in Frage gestellten Verbleib des Landes im Ostblock und mussten daher sowjetische Reaktionen hervorrufen. Die Gefahren, die aus einer solchen Situation resultieren konnten waren in der damals wieder aufgeheizten Situation (man denke an den NATO-Doppelbeschluss) kaum zu unterschätzen. Die wichtigste Frage ist also, was 1989 anders war als 1983, warum die BRD plötzlich bereit war, aggressive Schritte zur Auflösung und Integration der DDR zu gehen, die in dem eher zurückhaltenden Regime der Bonner Außenpolitik sonst undenkbar gewesen wären. 

Michail Gorbatschow, 1986
Diese Ursache liegt in der Situation der Sowjetunion begründet. In der deutsch-deutschen Politik war seit 1949 nichts ohne die Zustimmung der großen Blockvormächte USA und UdSSR zu machen gewesen. Die BRD besaß zwar seit 1955 formell außenpolitische Souveränität durch das Ende des Besatzungsstatus; da aber innerdeutsche Angelegenheiten bis zum Abschluss eines Friedensvertrags den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs unterlagen und diese sich im Konsens einigen mussten, war unter der Situation des Kalten Krieges hier nicht viel zu gewinnen – die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition stellte hier eher die Ausnahme als die Regel dar und vollzog eher einen Schwenk, den die Siegermächte sich bereits länger gewünscht hatten. Als 1985 Michail Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU wurde, änderte sich die Situation in der Sowjetunion aber grundsätzlich. Nicht nur wollte Gorbatschow mit Glasnost („Offenheit“) Reformen im eigenen Land einleiten (die er implizit auch für die Blockstaaten forderte), sondern im Rahmen der Perestroika („Umbau“) auch die Außenpolitik auf eine andere, etwas kooperativere Grundlage stellen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig jegliche Legendenbildung zurückzuweisen, nach der Gorbatschow die Sowjetunion und den Ostblock generell in Richtung Westen hätte umbauen wollen – die vorherrschende Rolle der KPs in den jeweiligen Ländern und der Sowjetunion in der Region stand für ihn nie zur Debatte; er wollte sie lediglich modernisieren. 

Während die Sowjetunion eine zaghafte Öffnung begann, sah die Führung der DDR auf eine bestimmte Weise klarer als Gorbatschow: Honecker und seine Verbündeten im Politbüro waren sich sicher, dass eine Öffnung unter Glasnost und Perestroika ihr Ende bedeuten würde und lehnten sie entschieden ab. Sie waren sich der Gefährdung ihrer Herrschaft nur zu bewusst, denn die DDR hatte 1953 selbst einen Aufstand erlebt, der nur durch sowjetische Panzer unterdrückt werden konnte (was Gorbatschow 1989 explizit ausschloss und die SED damit fallen ließ) und war durch die Revolutionen in Ungarn 1956, der Tschechoslowakei 1968 und Polen seit 1980 jedes Mal selbst gefährdet gewesen und hatte die Grenzen schließen müssen. Als die Glasnost und Perestroika in diesen sozialistischen Nachbarländern in den späten 1980er Jahren erneut für Unruhen sorgte und Ungarn seine berühmte Grenzöffnung nach Österreich vollzog, schloss die DDR erneut die Grenzen und machte sich effektiv zu einer Insel inmitten Europas – eine unhaltbare Position. 

Khomeinis Rückkehr 1979 löste die 2. Ölkrise aus
Die prekäre Lage der DDR entsprang zwei Hauptursachen. Die eine war eine der politischen Mentalität, die andere war wirtschaftlich. Die politisch-mentale war eine beinahe bleierne Schwere, die über dem Geistesleben des Landes lag. Selbst sozialistische Denker, die den Westen verachteten und alternative Wege des Sozialismus suchten, wurden aus Sorge um das Machtmonopol der SED unterdrückt. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns etwa kann nur pars pro toto stehen. Noch schwerwiegender für das Regime aber war die wirtschaftliche Lage. Die DDR und ihre Produkte waren nicht wettbewerbsfähig, es kam zu Engpässen, an Konsumgütern herrschte Dauermangel und die Lage auf dem Wohnungsmarkt blieb dauerhaft angespannt. Dazu kam, dass die Ölkrisen der 1970er Jahre die DDR wegen ihrer starken Importabhängigkeit schwer getroffen hatten, denn die UdSSR, von der sie ihr Öl bezog, hatte im Umfeld der Ölkrisen ihre Preise stark erhöht. Ohne neue Kredite konnte sich die DDR mittelfristig nicht mehr refinanzieren, und aus dem gebeutelten Ostblock waren solche Kredite nicht zu haben, während Investoren das Land kaum attraktiv finden konnten. 

Um das zu ändern, musste das Land eine ganze Reihe tiefgreifender Reformen unternehmen, die alle auf eine stärkere marktwirtschaftlichere Orientierung hinausliefen. Das bedeutet nicht, dass das Land eine zweite BRD hätte werden müssen – es sind genügend alternative Wirtschaftsideen vorhanden, an denen man sich hätte versuchen können, ohne gleich eine radikale Transformation in den Kapitalismus zu übernehmen, wie dies dann geschah. Das Problem mit all diesen Varianten war aber eben, dass sie tiefgreifend waren und die Interessen- und Machtgeflechte der Partei wenn nicht in Frage stellten so doch zumindest erschüttern und verändern würden. Von den staatlichen Banken über die großen Unternehmenskonglomerate und die landwirtschaftlichen Produktionseinheiten der LPGs hing alles irgendwie an der Partei, war der Aufstieg unmittelbar mit der Linientreue verknüpft. Reformen würden das ändern und diese Machtbasis entfernen – eine Gefahr, die Honecker wesentlich deutlicher sah als Gorbatschow und sich deswegen dem auch entgegenstemmte.

Abzeichen der Friedensbewegung, einer starken opp. Strömung
Im Frühsommer 1989 kam zu diesen wirtschaftlichen Problembedingungen allerdings die politische Dimension hinzu. Trotz der gängigen Unterdrückungspraktiken des Regimes begann sich eine immer stärker wahrnehmbare Opposition zu formieren, die Freiräume geschickt auszunutzen wusste – etwa unter dem Dach der evangelischen Kirche. Vermehrt kam es zu Treffen und Unmutsbekundungen, begannen sich DDR-Bürger zu formieren und über Alternativen nachzudenken und sie auch zu fordern. Als Gorbatschow die Feiern zum 40. Jahrestag besuchte, war diese Bewegung bereits so weit fortgeschritten, dass sie sich traute, die Feierlichkeiten mit Protesten zu überschatten. Sie ging dabei auch insoweit sehr geschickt vor, als dass die Gorbatschow und seine Glasnost&Perestroika-Reformen als Vorbild erklärte und von der DDR-Führung „nur“ einforderte, dem Vorbild des großen Bruders aus dem Osten zu folgen – etwas, das die SED fast 40 Jahre lang unter dem Slogan „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ praktiziert hatte. Die 180-Grad-Wende, die die SED nun zu beschreiben gezwungen war, entbehrte jeglicher Glaubwürdigkeit („Würden Sie ihre Wohnung tapezieren, nur weil Ihr Nachbar das tut?“). Der Druck auf Honecker stieg immer weiter. 

Der erste große politische Protest in der DDR aber fand bereits im Mai 1989 statt. Der Anlass waren die Kommunalwahlen. Wie üblich fälschte die SED großzügig die Wahlscheine, um auf die üblichen Werte im hohen 90%-Bereich zu kommen, aber die reine Zahl der oppositionellen Stimmen ging weit über das Gewohnte hinaus. Da die Auszählungen offen waren – Teil der demokratischen Legitimationsstrategie der SED – konnte diese Fälschung nur funktionieren, indem Gegenstimmen als ungültig gezählt wurden. Zum ersten Mal beobachteten aber viele Bürger den Prozess und protestierten lautstark gegen dieses Vorgehen – eine für das Regime ungewohnte Situation, mit der sie nicht umzugehen wusste und auf die es hauptsächlich mit Repression reagierte. Die Protestdemonstrationen, besonders auf dem Alexanderplatz, begannen sich schnell zu verfestigen und zu Dauerinstitutionen zu werden. 

Grenzbefestigung in Tschechien
Den nächsten Schlag erlitt die SED, als Ungarn und die Tschechoslowakei im Rahmen der von Gorbatschow betriebenen Auflösung der Breschnew-Doktrin (die eine Unterordnung der Außenpolitik unter Moskau gefordert hatte) ihre Grenzen zum Westen öffneten. Die DDR reagierte schnell und schloss ihrerseits die Grenzen zu diesen Ländern; viele Urlauber, die sich zur Zeit dort befanden, nutzten allerdings die Gelegenheit und flüchteten in die BRD, was für das Regime verheerende Fernsehbilder erzeugte. Nennenswert ist hier besonders die Besetzung der bundesdeutschen Botschaft in Prag, wo Flüchtlinge tagelang kampierten, ehe die DDR der Ausreise zustimmte – in einem Sonderzeug über das Territorium der DDR. Was sich die SED davon versprochen hatte ist nicht ganz klar, denn die Fahrt geriet zu einem regelrechten Triumphzug und führte die Probleme des Landes einmal mehr der ganzen Welt vor Augen. 

Das nächste große politische Signal war die Gründung des „Neuen Forums“ am 9./10. September 1989. Gedacht war es als eine Art basisdemokratische Organisation zur Formulierung oppositioneller Ideen und Ausübung von Druck auf die SED. Entgegen heutiger BRD-Folklore war es keine Vorstufe zur Einigung; die Auflösung der DDR stand nicht auf der Agenda. Den Initiatoren ging es darum, eine bessere DDR zu schaffen, nicht, sie abzuschaffen. Die Initiatoren des Forums hatten selbst nicht damit gerechnet, wie populär es innerhalb kürzester Zeit werden sollte. 

Der Platz des Himmlischen Friedens
Ein herber Rückschlag für die Oppositionellen war das Schicksal der zeitgleich stattfindenden Proteste in China auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Die Niederschlagung dieser Proteste durch die chinesische KP war, obwohl anders als in den westlichen Medien berichtet gar nicht auf dem Platz selbst, eine blutige Angelegenheit. Die entsprechenden Fernsehbilder entsetzten die Zuschauer auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, aber während sie für den Westen nur eine Bestätigung der postulierten Unmenschlichkeit des Ostens waren nutzte das Staatsfernsehen der SED sie, um die eigenen Bürger zu verunsichern und in Angst zu halten und kommentierte sie schonungslos. Der Eindruck, dass die DDR zu ähnlichen Maßnahmen greifen würde, wurde bewusst geschürt und verließ die Einwohner des Landes bis zum Mauerfall auch nicht mehr. Die SED nutzte diese Furcht massiv aus, um die Menschen vom Protestieren abzuhalten. Das Schlagwort von der „chinesischen Lösung“ machte alsbald die Runde. Anfang Oktober wurde zudem die NVA in „erhöhte Alarmbereitschaft“ versetzt. Gestoppt wurden die Proteste dadurch allerdings nicht. Noch immer protestierten wöchentlich hunderte und tausende von Oppositionellen gegen die SED und ihre Herrschaft über die DDR, und die Proteste ebbten auch zu den 40. Jahrestagsfeierlichkeiten nicht ab.

Bildnachweise: 
Brandenburger Tor - DoD photo, USA (gemeinfrei)
Gorbatschow - RIA Novosti archive, image #359290 / Yuryi Abramochkin (CC-BY-SA 3.0)
Khomeini - sajed.ir (GNU 1.2)
Logo - unbekannt (gemeinfrei)
Grenze - Ladin (GNU 1.2)
Platz - LuxTonerre (CC-BY-SA 2.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/10/die-deutsche-einheit-teil-1.html

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